Weggeglückt - René B. Werner - E-Book

Weggeglückt E-Book

René B. Werner

4,9

Beschreibung

Weggeglückt“ soll dem Thema Liebe mit Tiefgang begegnen, den Leser innehalten lassen, ihn zum Nachdenken anregen. Wer hier nur eine Schnulze vermutet, könnte enttäuscht sein. Das Buch vereint eine Mischung aus Humor, Emotion, Erotik, Dramaturgie mit den sonstigen Annehmlichkeiten einer Liebesgeschichte. Vorwort des Romans: ‚Glücklich sein‘ ... Was ist das eigentlich? Wie lange dauert so etwas und wie genau fühlt sich das an? Ist dieses Gefühl käuflich, austauschbar, wie fast alle Dinge im Leben? Oder ist Glück nur eine Art Intervall? Ein kurzer Moment, der mit einem Küchentuch beseitigt wird und uns müde und matt zurücklässt. Was sind wir bereit, für diesen Zustand zu tun – ihn nicht als gegeben hinzunehmen, sondern uns dessen bewusst zu sein, dass nur durch permanente Arbeit das Rädchen der Zufriedenheit schnurrend weiterläuft? Wo Erkenntnis beginnt, reift die Erfahrung und wo das Innehalten nicht als Faulheit oder gar Schwäche zugelassen wird, sondern wir dem Leben mit Achtsamkeit begegnen, dort dürfte der Boden für die Frucht des Glücks recht nahrhaft sein. Der stärkste Feind des Glücks scheint wohl die Gewohnheit zu sein – oder es treibt uns das Streben nach noch viel besserem, vollkommenerem Glück und lässt uns das alte achtlos zurück lassen! Wie definiert man nun überhaupt diese Erscheinung scheinbarer Zufriedenheit? Heißt das Stillstand? Ist das tatsächlich nur in einer Person oder einer einzigen Sache zu finden? An der nächsten Ecke wartet doch schon das nächste Hoch und alles und jeder ist austauschbar! Auch Glück? Auch Liebe? Haben wir verlernt, einfach wir selbst zu sein, etwas bescheidener – für andere da zu sein – Liebe zu geben ohne stets aufzuwiegen und den eigenen Vorteil zu suchen – unser Glück zu erkennen, ohne es abhängig davon zu machen, ob es konform mit den Wertvorstellungen unserer Umgebung geht? Wo sind die Individualisten? Nicht die aufgesetzten Revoluzzer, die im Streben nach Einzigartigkeit letztlich auch nur nach Anerkennung ihrer Mitmenschen lechzen ... Durch die Begleitung der Romanfigur Julia werden wir unter anderem mit diesen Fragen und Gedanken konfrontiert und auch die weiteren Personen in diesem Buch bringen den Leser zum Nachdenken. Und so mancher wird sich hier auf beeindruckende Weise inmitten der Wirrungen der Liebe wiederfinden. Wird an seine Liebe denken, an seine Freunde und diese Sache, die es festzuhalten gilt: ... das Glück!

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„Die einen waren auf der Suche und

deshalb unzufrieden,

die anderen hatten gefunden und

waren letztlich

mit dem Gefundenen unzufrieden.

Und der Gefundene…?

… wäre wohl oft am liebsten nie

entdeckt worden!“

René B. Werner   

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Am Fenster

Kapitel 2: Die erste Begegnung

Kapitel 3: Partyfieber

Kapitel 4: Die Taxifahrt

Kapitel 5: Auf einen Tee mit Thomas

Kapitel 6: Gefühlswelten

Kapitel 7: Definition Traummann

Kapitel 8: Einmal hin und zurück, bitte…

Kapitel 9: Kein Weg zurück

Kapitel 10: Kaffee, so schwarz wie die Seele

Kapitel 11: Lukas ist der Beste!

Kapitel 12: Nein!

Kapitel 13: Die braune Freundin

Kapitel 14: Der Brief

Kapitel 15: Der Mann auf der Treppe

Kapitel 16: Zuhause auf der Parkbank

Kapitel 17: Alexandra

Kapitel 18: Eine Stunde Glück

Kapitel 19: Vergängliches Glück

Kapitel 20: Eine Welt in Weiß

Kapitel 21: Aus einem anderen Blickwinkel

Kapitel 22: Glücksbringer

Kapitel 23: Zimmer 218

Kapitel 24: Das Handy

Kapitel 25: Liebe mich so wie gestern

Kapitel 26: Im Rhythmus der Verbitterung

Kapitel 27: Nur noch kurz verabschieden

Kapitel 28: Und die Welt dreht sich weiter

Kapitel 29: Dresden

Kapitel 30: Die Sache mit Elena Günther

Kapitel 31: Freunde bleiben, Liebe geht

Kapitel 32: Das Glück zur Erde

Kapitel 33: Wie beschreibt man Liebe?

Kapitel 34: Einen Psychiater für alle, bitte!

Kapitel 35: Bruchmühle

Kapitel 36: Liebe mit Vernunft

Kapitel 37: Wenn unsere Fassade uns selbst betrügt

.

Kapitel 38: Wo beginnt ein Neuanfang?

Kapitel 39: Wettlauf gegen die Vergangenheit

Kapitel 40: Am Zeiger drehen

Kapitel 41: Glück ist da, wo man sich mit Zufriedenheit umgibt

Kapitel 42: Neues Leben, neue Liebe?

Kapitel 43: Erinnerung findet jeden Weg

Kapitel 44: Die Kraft der Reinheit

Kapitel 45: Die Vergangenheit kehrt zurück

Kapitel 46: Der neue alte Stammgast

Kapitel 47: Ich seh´ etwas, was Du nicht siehst…

Kapitel 48: Wie viel Zeit bleibt uns?

Kapitel 49: Der Blick der Generationen

Kapitel 50: Ein Wimpernschlag der Zeit

Vorwort

‚Glücklich sein‘… Was ist das eigentlich? Wie lange dauert so etwas und wie genau fühlt sich das an? Ist dieses Gefühl käuflich, austauschbar, wie fast alle Dinge im Leben? Oder ist Glück nur eine Art Intervall? Ein kurzer Moment, der mit einem Küchentuch beseitigt wird und uns müde und matt zurücklässt. Was sind wir bereit, für diesen Zustand zu tun – ihn nicht als gegeben hinzunehmen, sondern uns dessen bewusst zu sein, dass nur durch permanente Arbeit das Rädchen der Zufriedenheit schnurrend weiterläuft?

Wo Erkenntnis beginnt, reift die Erfahrung und wo das Innehalten nicht als Faulheit oder gar Schwäche zugelassen wird, sondern wir dem Leben mit Achtsamkeit begegnen, dort dürfte der Boden für die Frucht des Glücks recht nahrhaft sein.

Der stärkste Feind des Glücks scheint wohl die Gewohnheit zu sein – oder es treibt uns das Streben nach noch viel besserem, vollkommenerem Glück und lässt uns das alte achtlos zurück lassen! Wie definiert man nun überhaupt diese Erscheinung scheinbarer Zufriedenheit? Heißt das Stillstand? Ist das tatsächlich nur in einer Person oder einer einzigen Sache zu finden? An der nächsten Ecke wartet doch schon das nächste Hoch und alles und jeder ist austauschbar! Auch Glück? Auch Liebe?

Haben wir verlernt, einfach wir selbst zu sein, etwas bescheidener – für andere da zu sein – Liebe zu geben ohne stets aufzuwiegen und den eigenen Vorteil zu suchen – unser Glück zu erkennen, ohne es abhängig davon zu machen, ob es konform mit den Wertvorstellungen unserer Umgebung geht? Wo sind die Individualisten? Nicht die aufgesetzten Revoluzzer, die im Streben nach Einzigartigkeit letztlich auch nur nach Anerkennung ihrer Mitmenschen lechzen…

Durch die Begleitung der Romanfigur Julia werden wir unter anderem mit diesen Fragen und Gedanken konfrontiert und auch die weiteren Personen in diesem Buch bringen den Leser zum Nachdenken. Und so mancher wird sich hier auf beeindruckende Weise inmitten der Wirrungen der Liebe wiederfinden. Wird an seine Liebe denken, an seine Freunde und diese Sache, die es festzuhalten gilt:… das Glück!

Kapitel 1Am Fenster

Wenn Berlin so verträumt da liegt, seine Umwelt in tristes Grau bettet, die Autos in sich aufsaugt, um sie mit dem nächsten Atemzug in gleicher Menge wieder freizugeben, dann bleiben bisweilen die Zeiger der Zeit für einen Augenblick stehen und manche Menschen nutzen diesen Moment, um kurz innezuhalten und ganz tief Luft zu holen.

Heute war einer dieser Tage und Julia blies die angestaute, warme Luft mit einem tiefen Seufzer an die Fensterscheibe ihres Zimmers. Sie vernahm das Rauschen der Heizung und spürte die Wärme durch ihre Jeans dringen. Oft stand sie hier, schaute einfach hinaus und gab sich ihren Gedanken hin. Für kurze Zeit nahm ihr das von der Atemluft beschlagene Glas die Sicht. Julia – es war einer dieser blonden Engel, die es vermochten, ihre Umwelt zu verzaubern. Diese Wesen haben eine unheimliche Kraft. Männer werden zu Trotteln, die Türen der Welt öffneten sich weit und die neidvollen Blicke der weiblichen Konkurrenz pflasterten ihren Weg zum nächsten Tresen, an dem das Freigetränk wartete. Ihr Alter von fast 27 Jahren sah man ihr nicht an. Man mochte sie auf Anfang Zwanzig schätzen. Während sie so am Fenster stand, ihre Stirn an die kalte Fensterscheibe drückend hinaus in das wippende Grün der vom Winde getriebenen Blätter schaute, malten ihre Gedanken eifrig Bilder. Mal ganz bunt, mal einfach nur schwarz-weiß. Hier lachte, weinte, telefonierte sie, hier wurden Pläne geschmiedet und wieder verworfen, hier wurde Kummer verarbeitet und begraben, hier wartete sie auf ihn und hier legten sich so manches Mal zärtlich Männerarme um ihre Hüften und wurde somit der Anfang für den ein oder anderen Akt der Liebe gelegt.

Wenn sie grübelte, dann drehte ihr Zeigefinger unendliche Spiralen in ihr langes, blondes Haar. Wieder und wieder stellte sie ihre Augen auf Weitsicht um dann im nächsten Augenblick wieder der Versuchung nachzugeben, ihr Spiegelbild aus nächster Nähe in der Fensterscheibe zu betrachten, die Konturen wohlwollend wahrzunehmen und zufrieden mit dem was sie sah wieder in die Ferne zu schauen.

Während sie den silbernen Ring an ihrem Finger betrachtete dachte sie an IHN – ihren Verlobten – Steve. Sie kannten sich nun schon neun Jahre lang. Eine Ewigkeit, wenn man bedenkt, inmitten einer unsagbar schnelllebigen Zeit zu leben. Einer Zeit voller Versuchungen. Die Auslage stets prall gefüllt von immer wieder neuen Verlockungen, die Vertrautes allzu schnell verblassen lassen konnten. Im gesellschaftlichen Streben nach oben, nach Erfolg, Geld und Macht, blieb keine Zeit für Schwächen oder den Blick nach links oder rechts. Unter dem Dauerdruck allgegenwärtiger Schönheitsideale schienen Werte ebenso schnell in Vergessenheit zu geraten, wie das Abendprogramm der Vorwoche. Getrieben von diesen Faktoren des vermeintlichen Glücks, waren die Kliniken Berlins gefüllt von Menschen, die diesem Druck nicht mehr standhielten; die ihr Leben bisher einfach anders definierten und an diesen Idealen zu scheitern drohten. Zumeist handelt es sich hierbei um Menschen, die wir alle gern haben. Liebevoll, sensibel, nachdenklich und in der Regel ein wenig schüchtern. So begegnet uns diese scheinbar aussterbende Rasse des menschlichen Wesens, verdrängt an den Rand des Alltags, den Ellbogen ausweichend kaum mehr Platz findend, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, ohne sich auszugrenzen, gar zu isolieren.

Julia runzelte die Stirn. Waren sie denn auch so? Waren sie nicht ganz ‚normale‘ Menschen? Auch wenn Julia hier in ihrer WG und Steve noch immer im Haus seiner Eltern wohnten. Sie hatten es trotzdem geschafft, eine Beziehung zu führen und nicht nachzugeben, auch wenn in letzter Zeit das Glück tagtäglich ein Stück weiter in die Ferne gerückt zu sein schien. Ja, Steve und Julia waren ein Traumpaar und dieses Bild neun Jahre lang nicht verblassen zu lassen, dem scheinbar existierenden Anspruch durch Freunde und Bekannte über einen solchen Zeitraum gerecht zu werden – allein das war bereits ein akrobatischer Kraftakt. Es war inzwischen doch eher ein Kampf, auf dem Pinsel des Lebens zu balancieren, immer schön gerade und konzentriert, um bei all den Wirrungen der Gefühle das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Und hier am Fenster wurden irgendwann auch die ersten Zweifel an der Beziehung zu Steve laut. Die Angst, etwas zu verpassen, wurde größer und größer. Sie spürte das Treten auf der Stelle und war sich bewusst, dass auch für sie die Uhr des Lebens unaufhörlich weitertickte. Längst war das Thema ‚Baby‘ im Laufe der Zeit zum Streitgegenstand geworden. Obwohl das Wort Streiten falsch platziert erschien. Es war eher ein Totschweigen und in ihrem Inneren brodelte ein Vulkan, der jederzeit auszubrechen drohte. Nie war der richtige Moment da. Steve war noch nicht bereit und viel zu sehr mit seinen Karriereplänen beschäftigt. Und sie selber? Julia hatte sich damals für die Lehre zur Bürokauffrau entschieden. Eine Sackgasse, wie sie später merkte. Je alltäglicher ihr Arbeitsleben wurde, desto mehr nagte an ihr der Blick auf ihren strebsamen Freund und erst recht das Thema Nachwuchs. Letzteres lastete wie ein schwerer Klotz auf ihr und war somit ein nahrhafter Boden für die Entstehung von reichlich Frustpotenzial. Hier sah sie den Ursprung ihrer Unzufriedenheit.

Wie oft konnte sie in letzter Zeit den Anblick von Steve, seine bloße Anwesenheit, einfach nicht mehr ertragen. Wie oft war schon der sich nähernde Atem ein Grund, sich widerwillig abzuwenden, beim Versuch der ungewollten Nähe zu entkommen. Wie oft sah sie Steve heimlich nach. Sein Po und sein viel zu vertrauter Penis waren schon lange nicht mehr Teil ihrer Begierde. Wo noch vor einigen Jahren Wogen des Verlangens über ihr zusammenschlugen, sie die Stärke seiner Männlichkeit nicht oft genug in Empfang nehmen konnte und unter den Stößen zufrieden wippend in eine Kissenecke biss, war scheinbar nur noch Leere. Was war geblieben? Der Alltag hatte zunehmend Oberhand über sie gewonnen. Ein noch so schöner Mensch ergraut im Schatten des täglichen Einerleis. Die Schönheit verblasst und auch Brad Pitt hängt seine Unterhose über die Wäscheleine und pupst bei der Morgentoilette… Was hält die Farben frisch? Wer hat nun den Zauberpinsel, der die Konturen immer wieder nachzieht und die Farben am Leuchten hält? Wo liegt das Geheimnis? Ist es eigentlich möglich, dieser von der Zivilisation geschaffenen Monogamie gerecht zu werden? Wie viel Opfer kann eine Liebe denn überhaupt verlangen? Und was eigentlich ist Liebe? Unzählige Bücher wollen dem Geheimnis auf die Spur gekommen sein. Es werden Empfehlungen ausgetauscht wie Großmutters Backrezepte und ein jeder hegt den Anspruch auf die einzig wahre Lösung. Doch lieben wir einander oder lieben wir am Ende nur uns selbst? Ist nicht jede Abwägung im Leben nur eine Entscheidung für das Angenehmere, Bequemere – den Weg des geringsten Widerstands und dem erhofften positiven Ergebnis fürs eigene Empfinden?

Für Julia war Liebe ein Naturereignis. Ein Vulkanausbruch. Eine Explosion. Nichts war stärker als das Gefühl unbändiger Kraft. Ein Gefühl, was das Leben von einem Tag auf den anderen in ein neues Licht tauchte. Die Farben wurden intensiver, die Blätter an den Bäumen wippten vergnügt. Der Mensch stand früh auf und lächelte den Morgen an. Alles wurde süß, die Kugel Eis schmeckte noch viel besser, das Licht strahlte heller. Melodien im Radio erreichten das Herz, Liebesfilme waren auf einmal gar nicht mehr so kitschig. Und wo war nun dieses Gefühl geblieben? Es lag doch schon längst im Gestern begraben. War bedeckt vom furchtbaren Grau des Alltags. Das Licht war schon lange nicht mehr hell und überhaupt – Eis macht dick!

Kapitel 2Die erste Begegnung

Julia hatte mal wieder viel zu lange geschlafen. Ihr Handy klingelte schon zum wiederholten Mal. Sie lag wie so oft in der Badewanne, hatte sich eine Flasche Prosecco mit an den Wannenrand genommen und war nun doch, von Neugierde getrieben, hin- und hergerissen. Verdammt, warum hatte sie das Teil nicht in Reichweite zu sich an die Wanne gelegt? Sie wollte eben einfach mal entspannen. Niemanden hören und sehen. Aber nun wollte sie doch an ihr Handy. Das nächste Klingeln ließ Julia endlich aufspringen und aus der Wanne steigen. Sofort war der Boden pitschnass und Julia musste aufpassen, nicht auf den nassen Fliesen auszurutschen. Nun aber schnell!

Julia riss die Tür auf, rannte die drei Meter bis zu ihrer Handtasche, kramte das Handy hervor und… zu spät. Es war Steve. Dieser Blödmann. Seinetwegen hatte sie nun die schöne, warme Wanne verlassen und stand splitternackt im Flur. Sicher war das nur wieder einer dieser vermeintlichen Kontrollanrufe. Als ob sie sich nicht schon genug sahen. Entnervt drehte sie sich um und blickte in zwei fremde Augen.

Vor ihr stand ein großer, dunkelhaariger Typ und guckte unter einem Handtuch hervor, welches er gerade dazu nutzte, sich die nassen Haare abzutrocknen. Was wollte der jetzt hier und wo kam der auf einmal her? Peinlich berührt versuchte Julia das notwendigste ihres Körpers zu bedecken, was aussichtslos war und jetzt eigentlich auch egal. Er starrte bereits wie vom Blitz getroffen auf ihre Brüste. Julia schätzte ihn auf etwa Mitte Zwanzig. Ein verlegenes und doch auch sehr lässiges Grinsen dieses hübschen, sportlichen Jünglings entschärfte die Situation ein wenig und jetzt grienten sich beide, peinlich berührt, einfach nur für endlose Sekunden an. Julia mit einem Telefon bekleidet und ein wildfremder Mann, mit freiem Oberkörper und offener Jeans, der gerade einem Unwetter enteilt und durchnässt war bis auf die Knochen.

„Hi. Ich bin Thomas!“ Endlich zerbrachen ein paar Worte dieses furchtbare Gebilde aus Scham und Regungslosigkeit. „Ich bin ein Freund von Michael.“ Es blieb nicht aus, dass einer der WG-Jungs Besuch mit nach Hause brachte. Manchmal hörte man nur das Kichern weiblicher Spielgefährten durch die hellhörigen Wände, ein anderes Mal musste man vermuten, dass eines dieser Weiber am lebendigen Leibe operiert wurde, so schrien sie des Öfteren beim Liebesspiel und gaukelten den vermeintlichen Sexmonstern ungeahnte Orgasmen vor. An anderen Tagen wiederum war die Küche ein Ort von sagenhafter Aura, wenn stahlharte Typen sich mit eisernen Blicken zu einem Pokerabend zusammenrotteten.

Mitten auf der Oranienburger Straße hatten sie sich alle hier vor etwa zwei Jahren einquartiert. Julia und ihre vier Jungs. Steve war anfänglich rasend vor Eifersucht. Er verstand nicht, was an einem WG-Leben so toll sein sollte und warum es alles Männer sein mussten. Er fügte sich aber schlussendlich, denn Julia hätte sich nicht davon abbringen lassen.

„Julia“, murmelte sie nun doch recht schnippisch hervor. „Ich habe auch zwei Augen, dafür müsstest du deinen Blick mal kurz etwa 30cm höher richten…!“ Noch angriffslustiger fuhr sie fort: „Und nun mach mal, dass du Land gewinnst!“ Thomas guckte etwas überrascht, drehte sich aber ohne ein weiteres Wort um und ließ sie stehen. ‚So eine Zicke. Was denkt die sich denn eigentlich?‘ Ok, das was er da gerade sehen durfte, das war wirklich zum Augen reiben schön. Aber auch Thomas wusste um sein Aussehen und war nun schon fast beleidigt, mit einer solchen Ansage konfrontiert worden zu sein. So eine kleine Ziege! Der Reiz war groß, sich jetzt einfach noch einmal umzudrehen und dieses Kunstwerk in Augenschein zu nehmen. Aber er lief so aufreizend und lässig wie nur möglich weiter. Julia blickte diesem Thomas nach. Sein durchtrainierter Rücken fiel ihr natürlich auf, aber sie wollte in diesem Moment nichts Positives an diesem arroganten Affen finden! Mit einem mittelschweren Knall fiel die Tür zu Michaels Zimmer ins Schloss. Julia stand noch immer wie angewurzelt da, erwachte nun aus ihrer scheinbaren Starre und tippelte wieder zurück ins Bad. Jetzt hatte sie auch keine Lust mehr zu baden.

Heute war Samstag und der obligatorische Mädelsabend stand auf dem Programm. Mit ihren Freundinnen Tanja, Susen und Maria ein bisschen durch die Bars ziehen und die Gegend samt der darin tummelnden Männerwelt unsicher machen.

Kapitel 3Partyfieber

Während Julia begann sich abzutrocknen, schweiften ihre Gedanken zu Steve. Sein Anruf. Er hatte in den letzten Stunden auffallend oft probiert, sie zu erreichen. Bisher hatte sie das einfach ignoriert. Hoffentlich war nichts passiert! Nun doch etwas beunruhigt drückte sie die Rückruftaste. Sie lauschte dem Rufzeichen und betrachtete sich dabei im Spiegel. Instinktiv machte sie ein kleines Hohlkreuz und vergewisserte sich, dass ihre Brüste nicht doch schon anfingen zu hängen. Mit skeptischer Miene und gerunzelter Stirn inspizierte sie ihr Spiegelbild. Diese Bewegungsabläufe wiederholten sich fast schon täglich und nun wollte sie nochmal überprüfen, welchen Anblick dieser Thomas vorhin zu sehen bekommen hatte. Aus seiner Perspektive waren sie vielleicht doch ein bisschen klein? Und wenn man von oben schaute, sah es dann womöglich doch so aus, als ob sie ein wenig zum Boden zeigten? Sie blickte sich tief in ihre graugrünen Augen und mahnte sich innerlich dazu, nicht so grimmig zu gucken, um damit nicht die Bildung von Falten zu unterstützen.

„Julia?!“, war am anderen Ende der Leitung fragend zu vernehmen. Julia ließ ihr Spiegelbild nicht aus den Augen. Er weiß doch, wer dran ist! Statt dieser überflüssigen Frage, wäre doch viel mehr ein freundliches ‚hallo, mein Schatz‘ angebracht gewesen. Nichts. Kein liebes Wort zur Begrüßung, keine herzliche Floskel. Alles schien so abgenutzt und alltäglich. „Hi Schatzi“, erwiderte sie betont überschwänglich und spitzte dabei hochnäsig ihre Lippen. „Ich war in der Wanne und hatte mein Handy in der Tasche. Was gibt’s denn?“, fuhr sie fort.

Irgendwie konnte sie in letzter Zeit immer weniger nett zu ihm sein. Es war eine spürbare Distanz zwischen ihnen und dieser Graben wuchs von Zeit zu Zeit zu einer scheinbar unüberwindbaren Hürde. Es war, als ob jeder den anderen einfach nur noch nervte. Der Partner war der ausgemachte Grund für die eigene Unzufriedenheit. Und somit fokussierte man im Laufe der Zeit alle nervraubenden Dinge, den Alltag, all das Grau nur noch auf diese Person. Steve! Der Schuldige war ausgemacht. Und wenn bis zum Zeitpunkt des Wiedersehens oder des eingehenden Anrufes noch alles schön war, dann kippte die Laune schlagartig in eine negative Richtung. „Ach nichts“, hörte sie ihn sagen. „Wollte nur mal sehen, was du so machst. War nicht so wichtig! Wann sehen wir uns denn mal wieder?“

„Du, ich bin extrem in Eile“, erwiderte sie. „Ich gehe heute mit den Mädels aus und muss los. Lass uns später oder am besten morgen telefonieren!“ Sie wimmelte ihn ab. Ja, sie hatte keine Lust auf ein Gespräch, schon gar nicht auf ein Treffen. Auf ihren Verlobten. Sie wollte jetzt einfach in Ruhe im Bad sein, sich schön machen, eincremen, die Haare glätten und wohl duftend in Schale werfen. Kein ‚Für wen hübschst du dich denn so auf?‘ und auch kein ‚Trink nicht so viel!‘ Nein, auf solche Sprüche hatte Julia jetzt einfach keine Lust. „Ok. Dann bis später! Mach´s gut!“ Er nahm es so hin und sie hörte an seinem Tonfall, dass er enttäuscht war. „Kussi!“ Sie legte auf. Demonstrativ drehte sie den Regler des Badradios noch ein wenig lauter und elektronische Klänge brachten ihre Laune nun wieder in Partystimmung. Steve war schnell wieder vergessen. Und ihre Brüste waren schön! Selbstbewusst warf sie ihre nasse blonde Mähne in den Nacken, warf ihrem Spiegelbild einen Kuss zu und nickte vergnügt zu den leicht übersteuerten Bässen.

Euphorisch hüpfte sie nun im Takt der Musik und jaulte überschwänglich mit. Sie beobachtete sich dabei unentwegt im Spiegel. Wie schön sie war. Sie liebte sich und ihren Körper. Jetzt hielt sie inne und betrachtete sich wieder ganz konzentriert. Die kleine freche Stupsnase, die zarte Wangenpartie und der seidige Kussmund verbanden sich zu einem Gesamtkunstwerk. Julia spitzte wohlwollend die Lippen. Vielleicht könnten ihre Brüste doch etwas größer sein? Aber nein. Heute war sich Julia ganz sicher, dass alles perfekt war. Da das morgen schon wieder ganz anders aussehen konnte, saugte sie diesen seltenen Moment der Zufriedenheit in sich auf.

Genüsslich tropfte sie sich die Bodylotion auf ihre Haut. Die Kälte ließ sie kurz schaudern und bescherte ihr eine Gänsehaut. Während sie die Creme auf ihrem Körper verteilte, dachte sie an den letzten Sex mit Steve. Zumindest versuchte sie sich zu erinnern. Wann war das eigentlich gewesen? Julia schüttelte missmutig den Kopf. Schon lange waren die intensiven Momente scheinbar unendlichen Verlangens vorbei. Keine abenteuerlichen Praktiken mehr, keine Experimente, keine unmöglichen Orte zu den unmöglichsten Zeiten.

Den Platz der flammenden Leidenschaft hatte Blümchensex für sich eingenommen. Obwohl diese Umschreibung viel zu romantisch erschien. Es war einfach fad und langweilig geworden. Manchmal hatte sie das Gefühl, der eigentliche Akt war nur noch eine Entladung unvermeidbarer Anstauungen, eine pflichtbewusste Handlung, um dem Bild einer normgerechten Beziehung die Schärfe zu erhalten. Sie kam auf keinen Nenner. Die Gedanken drohten ihr nun doch die Partylaune zu vermiesen und so wischte sie diese schnell beiseite. Der Abend gehörte ihr. Sie war bereit. Und sie war gewillt, ihre Lust auszuleben – wenn sich die Gelegenheit bieten sollte. Sie zog ihr schwarzes Top an und zufrieden sah sie, wie sich die Konturen ihrer Weiblichkeit unter dem glatten Stoff abzeichneten. Ja, sollte doch nur jeder auf ihre Brüste starren. Sie waren zu schön, um sie zu verstecken. Steve konnte die Schönheit inzwischen sicher nicht mehr sehen und schätzen. Und den Blick von Thomas, den spürte sie noch immer und ein wohliges Gefühl breitete sich bei diesem Gedanken aus. Sie ging zurück in ihr Zimmer, zog ihre enge Lieblingsjeans an und schnappte sich ihre Handtasche. Es war angerichtet und der Abend konnte beginnen.

20 Uhr. Treff an der Weltuhr auf dem Alexanderplatz. Für Julia ein Katzensprung und so war sie über den zentralen, touristischen Treffpunkt geradezu dankbar gewesen. Vorbei an den Hackeschen Höfen bahnte sie sich ihren Weg durch die Massen. Touristen schoben sich mit gewichtiger Miene an ihr vorbei. Hier und da sah man die ersten Damen des anschaffenden Gewerbes mit ihren Gürteltaschen auf Position gehen. Ein schönes Schauspiel für vorbei laufende Passanten, denn eines musste Julia sich eingestehen: Die Frauen waren wirklich was fürs Auge. Kaum zu glauben, dass sie sich diesem Gewerbe verschrieben hatten. Julia lief schneller, denn der Blick auf die Uhr deutete ihr, dass sie nun auch mit einem olympiareifen Sprint zu spät kommen würde.

Und sie war tatsächlich wie immer die letzte. Da standen die Mädels und blickten ihr erwartungsvoll entgegen. Aber schon beim Aufeinandertreffen war die nervige Wartezeit vergessen. Die vier Freundinnen fielen sich in die Arme. Die Theatralik eines solchen Momentes war bemerkenswert. Eigentlich musste man auf eine Familienzusammenführung nach jahrelanger Trennung schließen und hinter der nächsten Ecke Kai Pflaume vermuten, aber es war eine Zeremonie, die so normal war, wie der gegenseitige Kuss auf den Mund. So macht man das unter Freundinnen. Tanja, Susen, Maria und Julia. Eigentlich wie eine von einem Casting geschüttelt und gerührte Komposition von vier hinreißend aussehenden jungen Damen, deren Haarfarbe und Klamottenstil so abgesprochen erschienen, dass der Betrachter durchaus dem Gedanken erliegen konnte, einer aus dem Bezahlfernsehen gesteuerten Manipulations-Group gegenüberzustehen. Ein optischer Selbstbedienungsladen – für jeden Geschmack etwas dabei.

Der Abend verlief unspektakulärer. Die vier Mädels waren nicht weit gekommen und in ihrer Lieblingsbar hängen geblieben. Susen tippte die ganze Zeit auf ihrem Handy herum und tat geheimnisvoll. Sie war die kleinste der vier Frauen. Die Männer waren verrückt nach ihr. Sie war blond und zierlich und es tat dem Männerego so unendlich gut, einem scheinbar schützenswerten Wesen zu begegnen und sich in ihrer Nähe stark und unheimlich männlich zu fühlen. Tanja, die natürlichste von allen, wurde den ganzen Abend vom Barkeeper umworben. Sie war wie ein unbeschriebenes Blatt. Ihr Aussehen wirkte rein und unschuldig und da sie sich nicht viel aus Schminke machte, war das einerseits auf den ersten Blick etwas farblos, auf den zweiten Blick wartete da eine Traumfrau darauf, entdeckt zu werden. Und sie wurde entdeckt. Jeder Mann nahm für sich in Anspruch, diesem scheinbaren Geheimnis als erster auf die Spur gekommen zu sein.

Julia indes tanzte stundenlang mit Maria zu den blödsinnigsten Liedern. Eigentlich nahmen sie nur ein Bad im Meer der Blicke und genossen es, die Stars des Abends zu sein. Maria war das perfekte Gegenstück von Julia. Mit störrischen schwarzen Locken und den zumeist viel zu roten Lippen hatte sie schnell den Spitznamen ‚Marie‘ bekommen. Denn wenn man es so wollte, dann waren die beiden wie Gold- und Pechmarie – zumindest äußerlich. Maria war genau wie Julia schon viele Jahre in einer Beziehung. Aber seit gut zwei Jahren hatte Maria ein Verhältnis mit ihrem Dozenten. Anfänglich hatte sich Julia von ihr abgewandt und sie für ihr Verhalten verurteilt. Sie war angewidert von der Falschheit, den Lügen und gleichzeitig verärgert, nun als Mitwissende auch eine gefühlte Teilschuld zu tragen. Es war aber auch ein unterschwelliges Gefühl der Eifersucht, das Besitz von Julia nahm.

Als gute Freundin war sie bisher immer Teil ihrer Veränderungen gewesen. Sie schrieben ihre Liebesbriefe gemeinsam, lagen früher stundenlang eingekuschelt unter der Bettdecke, um unter Erörterung einer breiten Themenpalette gemeinsam an die Decke zu starren. Kein Weg wurde ohne den Rat der Freundin begangen. Hier jedoch war es anders gewesen und das irritierte Julia anfangs sehr. Aber mittlerweile erwischte sie sich auch dabei, dass sie neugierige Fragen stellte. Ein bisschen beneidete sie die Freundin sogar um ihre sexuellen Erfahrungen und Erzählungen von ihr sorgten für eine ansteigende Lust. Julia saugte alles auf und ihre Fantasie hatte sie inzwischen schon so manches Mal die Stelle der Freundin einnehmen lassen.

Und so lauschte Julia auch heute gespannt auf die gehaltvollen Brocken, die ihr Maria beschwingt ins Ohr trällerte. Sofort war da wieder diese Sehnsucht zu spüren, eine Art Fernweh. Schon längst war in ihr ein Feuer entfacht und schmunzelnd gestand sie sich ein, dass sie heute ihren 1,90m großen Feuerwehrmann getroffen hatte.

„Was lachst du?“, hörte sie Maria neugierig fragen. „Ach, nichts“, log Julia, „ich stelle mir nur gerade vor, wie bei euch die mündliche Prüfung aussieht!“ Jetzt kicherten die beiden Freundinnen und Julia musste sich keinen bohrenden Fragen stellen.

Die vier Mädels kannten sich bereits aus der Schule. Sie hatten gemeinsam gespielt, die Pubertät durchlebt, von Jungs geschwärmt und Geheimnisse gehütet. Das Erwachsenwerden hatte aber auch bei den Freundinnen Spuren hinterlassen. Der Alltag brachte einen immer größer werdenden Abstand zwischen die gemeinsamen Treffen und die meisten Freundschaften waren inzwischen mehr und mehr geprägt vom gemeinsamen Schwelgen in Erinnerungen…

Kapitel 4Die Taxifahrt

Gegen fünf Uhr rührten die Vier in den Resten ihrer Gläser. Tanja hatte sich unter der Vielzahl baggernder Männer schon längst eine attraktive Mitfahrgelegenheit gesucht, verabschiedete sich überschwänglich mit einem Augenzwinkern in die Runde und die drei Verbliebenen steuerten schlussendlich einen nahe gelegenen Taxistand an. Keine hatte Lust mit einem der röhrenden Elche aus der Balzfraktion den Heimweg zu beschreiten. Sie wollten jetzt einfach ihre Ruhe – irgendwann war dann auch genug und mit jedem zu nah vorm eigenen Gesicht auftauchenden Männergesicht, was mit angestrengt lässiger Mine und irgendeiner dämlichen Floskel den gemeinsamen Weg zur Bar anpries, schwand zu späterer Stunde der Respekt vor dem hormonell etwas überversorgten Geschlecht.

Es regnete nun schon zwei Tage ununterbrochen. Pitschnass nahmen sie auf den hinteren Sitzen des wartenden Taxis Platz. Und nun wurde es Julia ganz heiß. Ihre Wangen füllten sich mit Hitze und sie spürte, wie ihr pochendes Herz ihr den Atem zu nehmen drohte. Der Mann da am Steuer – es war Thomas.

Seine Augen begegneten ihr im Rückspiegel und es war ein merkwürdig vertrauter Blick. Wie konnte das sein? In die Augen hatten sich beide bisher ja nur ganz kurz gesehen…

‚Mensch Julia, was ist los?‘ Zum Glück waren Susen und Maria schon so müde, dass sie von all dem nichts mitbekamen. „Oranienburger Str. 86?“, fragte Thomas provokant. Julia nickte und sie lächelte verlegen. Da saß er nun zum Greifen nah, ihr Feuerwehrmann. Nun war ihr das schwarze enge Top doch ein wenig peinlich. Aber der Taxifahrer kannte ja schon das Geheimnis ihrer Rundungen und das brachte Julia innerlich total in Unruhe. Normal war das nicht. Das musste der Alkohol sein.

Sonst war Julia mit dem Stolz einer Göttin ausgestattet. Sich selbst liebend wusste sie mit der werbenden Männlichkeit umzugehen und zu spielen. Sie war also dahingehend völlig gelassen – kannte es überhaupt nicht anders. Eigentlich…

Seit Anbeginn liefen ihr die Jungs hinterher und sie spürte regelrecht schlechte Laune aufkommen, wenn mal ein paar Männer nichts von ihrer Schönheit zu sehen schienen und sie scheinbar ignorierten. Und was war nun?

Ihre Augen verfolgten die Regentropfen an der Fensterscheibe. Wie lange würde dieser Thomas heute noch arbeiten? Hatte er danach vielleicht das gleiche Ziel wie wir? Und warum mussten Susen und Maria gerade heute bei ihr schlafen? Unkontrolliert schwirrten ihr alle möglichen Gedanken und Fragen durch den Kopf.

„So. Da wären wir!“ Julia schreckte auf. So schnell? Sie standen vor ihrem Haus. „Das macht dann 24,10€!“ Thomas hatte sich umgedreht und grinste Julia an. Sie mochte seine weißen Zähne und seinen Mund, der sicherlich zu super zärtlichen Küssen taugte. Sie spürte genau, dass er versuchte, den Blick in dieser Lage nicht nach unten abschweifen zu lassen. Thomas sah aber dennoch genau, dass sich Julias Brustwarzen anmutend unter dem regennassen, engen Oberteil abzeichneten.

„Stimmt so!“ Julia drückte ihm 25€ in die Hand und versuchte, möglichst schnell aus dem Taxi zu kommen und dieser komischen Situation zu enteilen. Thomas schaute ihr beim Verlassen des Taxis unverblümt auf den Hintern und dachte: ‚Was für eine Frau!‘ Diese Mischung aus augenscheinlicher Perfektion, einem gewissen Trotzkopf, gepaart mit einer liebenswerten Zurückhaltung, faszinierte ihn vom ersten Augenblick an.

„Was war denn das jetzt?“, hörte Julia nun Maria fragen. „Kennst du den?“ Ihr fragender Blick richtete sich auf Julia. „Flüchtig!“, erwiderte sie. „Nicht der Rede wert!“, fügte sie noch lügender Weise hinzu. Indem sie sich mit der Hand durch die Haare fuhr, erhaschte sie noch einen letzten Blick auf den adretten Taxifahrer, der ihre Aufmerksamkeit mehr auf sich zog, als ihr lieb war. Sie sah den Rücklichtern des Taxis hinterher und das eigenartige Gefühl im Bauch begleitete sie noch die Treppen hinauf bis in die Wohnung. Heute konnte sie die Schlafgäste nicht gebrauchen. Gern wäre sie mit ihren Gedanken allein gewesen und hätte ihrem Körper die erotische Anspannung genommen, indem sie sich selbst berührte.

So richtig lohnte der Weg ins Bett nicht mehr. Draußen hatten schon längst die Vögel begonnen, den Tag zu begrüßen.

Die Drei machten sich wortlos, jede in ihre Gedankenwelt versunken, bettfertig und während sich Maria und Susen auf ihre aufblasbaren Matratzen lümmelten, saß Julia noch in der Küche mit einer Tasse Tee in der Hand und starrte auf den Kühlschrank. Wie konnte sie nur so empfinden? Was war denn nur los? Ihr Blick streifte über ihre Hand, die bis vorhin noch einen Verlobungsring trug. Wie nackt ihr Finger ohne ihn war. Aber fühlte sie sich auch nackt ohne ihren Verlobten? Diese Frage beschäftigte sie mehr und mehr. Steve tat ihr in diesem Moment leid. Er war so bodenständig und liebenswert. Sie wusste insgeheim um seine guten Seiten. Nie würde er sie betrügen oder absichtlich verletzen. Er war das, was man gern mit dem Wörtchen ‚lieb‘ umschrieb. Aber gegen das was hier geschah, waren sie wohl beide machtlos. Was kann schon ein laues Lüftchen der Gewohnheit gegen einen Sturm des Begehrens ausrichten?

Julia hatte vor etwa einem Jahr einfach ‚ja‘ gesagt, als Steve sie fragte, ob sie seine Frau werden würde. Natürlich! Das macht man doch so! Zumal sie Steve nicht im ganzen Restaurant lächerlich hätte machen können. Er kniete im Überschwang von Rotwein und des schönen Abends plötzlich neben ihrem Tisch und tat das, wovon jede Frau insgeheim träumte. Da er sogar einen Ring dabei hatte, schien sein Vorhaben zumindest schon eine Weile geplant gewesen zu sein. Später erzählte er ihr, dass er schon seit vier Monaten auf den passenden Moment gewartet hatte. So – seither waren sie nun verlobt. Von einer Hochzeit hatte seitdem aber niemand mehr gesprochen. Mit Ausnahme ihrer Eltern. Da wuchs natürlich die Verwunderung über diese merkwürdige Konstellation aus zwei getrennten Wohnungen und einer sich scheinbar entwickelnden Dauerverlobung.

Aber auch wenn Julia versuchte, sich gedanklich auf das Thema Ehe einzulassen – es funktionierte nicht. Im Fernsehen sieht das immer alles ganz anders aus. Eine Hochzeit erfolgt doch im Taumel des Glücks?! Die Paare kämpfen mit ihren Tränen und die Welt liegt sich in den Armen. Aber wie soll das nach neun Jahren gehen? Wie sollen wir den ganzen unbewussten Anforderungen an eine romantische Hochzeit gerecht werden? Weinen? Nein – höchstens wegen der Bedeutsamkeit des Moments und letztlich wohl auch wegen der Angst vor dem, was man da tut.

Kapitel 5Auf einen Tee mit Thomas

Julia erschrak. In der Scheibe des Küchenfensters zeichnete sich die Gestalt einer männlichen Person ab. Sie fuhr herum. Wütend schrie sie: „Mensch! Musst du dich denn ständig so anschleichen! Du hast doch echt ´nen Knall!“ Es war doch tatsächlich Thomas. „Sorry“, entgegnete er mit verständnisloser Miene. „Ich habe ganz normal die Tür aufgeschlossen und die Wohnung betreten!“, sagte er sichtlich verstört. Julia rang noch immer um Fassung. Scheinbar hatte sie in Gedanken versunken tatsächlich nicht die Bewegung an der Tür bemerkt, aber der Schreck saß noch zu tief. „Ach vergiss es…!“, raunte sie vor sich hin.

Natürlich hatte sie gehofft, dass er heute noch nach Hause kommt. ‚Nach Hause‘, wie sonderbar das klang. Wo kam er denn jetzt so schnell her? Sie kam sich vor wie in einem Klatschroman, so naiv und kitschig erschien ihr dieses absurde Gefühlskarussell.

Plötzlich spürte sie seine Hand auf ihrer Schulter. „Hey. Es tut mir echt leid! Ich wollte dich wirklich nicht erschrecken…!“ Julia fasste seine Hand und sagte: „Schon ok!“ Schnell stand sie dabei auf, um der Enge zu entkommen. Das war einfach zu nah. Was denkt der sich? Ihre Blicke trafen sich wieder und in diesem Moment standen zwei junge, schüchterne Teenager in der Küche. Sie trank aus ihrer Tasse, die schon längst leer war. Er wiederum stützte sich verlegen an das klapprige Küchenregal und brachte es damit fast zum Einstürzen.

„Willst du auch einen Tee?“, hörte sie sich sagen. Er nickte. Sie stellte den Wasserkocher noch einmal an und beobachtete die Bewegungen des Wassers bis es kochte. ‚Wie sehe ich jetzt bloß in meinem karierten Schlafanzug aus?‘, dachte sie. ‚Wieso habe ich auch gerade heute diesen Liebestöter an?‘ Die Chance war zumindest groß gewesen, dass sie sich schon bald in der Wohnung ein weiteres Mal begegnen. Julia kannte es aber nicht anders. In einem von Männern dominierten Haushalt musste man als Frau schon ein bisschen mit seinen Reizen geizen. Sie beruhigte sich. Denn tief im Inneren wusste sie genau, dass sie auch in einem noch so biederen Schlafanzug eine Provokation für die Männerwelt war. Sie würde doch selbst Malerarbeiten nur in einem Blaumann ausführen, der ihrer Figur schmeichelte und ihre Weiblichkeit hinreichend betonte. Und Thomas? Er sah irgendwie immer gut aus. Wie er da jetzt stand, wie ein großer Junge. Seine starke Brust zeichnete sich unter dem T-Shirt ab und sie bewunderte diese schönen, glatten Arme, die an wunderschön gepflegten Händen endeten, welche sicherlich zu unsagbar sanften Berührungen imstande waren. Für einen kurzen Augenblick wünschte sie sich, dass er sie jetzt einfach von hinten in die Arme nahm, ihren Hals küsste und dabei sanft mit den Fingerspitzen über ihr Dekolleté streichelte…

Das Wasser des Wasserkochers musste wohl schon eine Weile kochen, denn der Dampf breitete sich bereits unter den Hängeschränken aus. Ohne sich jedoch etwas anmerken zu lassen und immer noch den Rücken zu Thomas gewandt, nahm sie, nachdem sie mit einem kurzen Schreck in die Realität zurückgekehrt war, eine Tasse aus dem Schrank. „Pfefferminze oder Früchtetee?“, rief sie so unbeschwert wie möglich. „Egal“, hörte sie ihn sagen. „Hauptsache du bleibst noch ein bisschen mit hier!“ Jetzt grinste er bestimmt wieder so, dachte sie.

Sie saßen sich schweigend gegenüber, während es draußen schon längst wieder hell geworden war. Dieser Küchentisch war der Mittelpunkt des ganzen WG-Lebens. Doch heute wäre eine gemütliche Singlewohnung der passendere Rahmen für ihr Aufeinandertreffen gewesen.

Julia bereute, dass sie nicht allein hier wohnte. Auch wenn beide gerade nichts sagten, war es einfach schön, gemeinsam in der Küche zu sitzen. Nachdem ein paar Minuten vergangen waren, wurde das Schweigen nun doch etwas unangenehm. „So, ich spring dann mal unter die Dusche!“, sagte sie. Und fügte hinzu: „Bist du jetzt öfter bei uns?“ Thomas schaute sie mit seinen Kinderaugen an. „Ich denke schon!“ Das reichte ihr fürs erste, denn sie wollte nicht zu viel Interesse zeigen. „Dann schlaf gut und bis die Tage…“, fügte sie scheinbar belanglos hinzu.

Thomas blieb noch mindestens eine halbe Stunde sitzen. Er lauschte den Geräuschen der Dusche und spürte sein Verlangen. Wie gerne würde er sich jetzt einfach neben die Dusche setzen und Julia dabei zusehen. Wie sie ihren Körper einseift, wie die Wassertropfen an ihrer glatten Haut abperlen, wie sie sich die nassen Haare in den Nacken streift und sich ihm dabei mit ihrer ganzen