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Susan Brownmiller

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Beschreibung

Brillante Analyse der »neuen Weiblichkeit«, die sich in der Rückkehr zu vorfeministischen Verhaltensweisen manifestiert. In Streifzügen durch Zeiten und Kulturen sammelt die bekannte amerikanische Feministin Susan Brownmiller Elemente und Attribute des jeweils als weiblich verstandenen Verhaltens und sucht die gesellschaftlichen Hintergründe auszuleuchten. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Susan Brownmiller

Weiblichkeit

Aus dem Amerikanischen von Manfred Ohl und Hans Sartorius

FISCHER Digital

Inhalt

PrologKörperHaarKleidungStimmeHautBewegungGefühlEhrgeizEpilogDanksagungAnmerkungenKörperHaarKleidungStimmeHautBewegungGefühlEhrgeizNamen- und Sachregister

Prolog

Bei uns zu Hause gab es ein Spiel, das »Tischdecken« hieß, und ich durfte Mutter dabei helfen. Die Gabeln lagen links vom Teller, Messer und Löffel rechts. Wie ich mich erinnere, gehörte es zu meinen ersten Pflichten, das Besteck richtig anzuordnen. Und alles daran steckte voller Bedeutung. Wenn ein Messer oder eine Gabel zu Boden fiel, hieß das, ein Mann kam unerwartet zum Abendessen; bei einem gefallenen Löffel war mit einer Frau zu rechnen. Es spielte keine Rolle, daß sich auf diese Zeichen hin nie Gäste einstellten; ich hatte jedenfalls eine Regel gelernt, um die Geschlechter zu unterscheiden. Männer waren scharfkantig, mit spitzen Zinken ausgestattet und gefährlich; Frauen hatten sanfte Kurven und nahmen die Nahrung in einer weichen Rundung auf. Es leuchtete ein wie die Zuordnung von Rosa und Blau, die ich bei den Babys beobachtete. Daraus sprach eine wohlgeordnete Welt. Daddy war tagsüber nicht da, weil er arbeiten mußte. Zu Hause beschäftigte er sich am liebsten mit Pfeife, Tabak und der Werkzeugkiste. Er war Messer und Gabel. Mami und Großmutter mit ihren stattlichen Figuren, ihren Töpfen und Pfannen waren ausgewachsene Suppenlöffel mit einem beachtlichen Fassungsvermögen. Und ich war ein kleiner und zierlicher Kaffeelöffel – leicht zu halten und gerade richtig für Pudding, mein liebster Nachtisch.

Es gehörte zu meinen ersten Absichten, brav zu sein, wie man es von mir erwartete, denn wie die meisten Kinder wurde ich nicht nur belohnt, wenn ich etwas richtig gemacht hatte, eine gute Leistung machte mich stolz und gab mir Sicherheit. Mädchen unterschieden sich von Jungen, und es schien meine Aufgabe zu sein, diesen Unterschied deutlich zu machen. Erteilte meine Mutter mir die ersten Lektionen, wenn sie mir weiße Organdyschürzchen und Kniestrümpfe anzog und bittere Tränen weinte, weil ich sie schmutzig machte? Natürlich! Trugen meine liebevollen Tanten und Onkel, die mir hübsche Puppen und niedliches Puppengeschirr schenkten, zu meiner Erziehung bei? Natürlich! Aber selbst ohne das entsprechende Spielzeug und die passenden Kleider lehrte mich alles in meiner Umgebung die Kunst der Weiblichkeit. Und ich verinnerlichte jede dieser Lektionen: Märchen, die man mir abends vorlas; bunte Anzeigen, die ich in den Zeitschriften bestaunte, noch ehe ich den Text entziffern konnte; Filme, die ich sah, Comics, die ich sammelte; schnulzige Hörspiele, die ich begeistert anhörte, wenn ich mit einer Erkältung im Bett lag. Ich war gern ein kleines Mädchen oder vielmehr eine Märchenprinzessin, denn dafür hielt ich mich.

Im Verlauf meiner stürmischen Jugend, der ein turbulentes Leben als erwachsene Frau folgte, wurde die Weiblichkeit immer mehr zu einem Ärgernis. Sie hüllte sich in eine strahlende, subtile, jedoch verblüffend unbeständige Ästhetik, war jedoch gleichzeitig etwas genau Definierbares und Forderndes, kurz gesagt ein strenger Kodex, der Erscheinung und Verhalten durch Dinge festlegte, die das Etikett »Du darfst« oder »Du darfst nicht« trugen, und dagegen lehnte sich etwas in mir auf. Weiblichkeit war eine Herausforderung, die dem weiblichen Geschlecht auferlegt wurde. Keine stolze, selbstbewußte Frau konnte es sich leisten, sie zu ignorieren, besonders dann nicht, wenn sie insgeheim äußerst ehrgeizig war und ihre keimenden Ambitionen in völliger Verwirrung abwechselnd erstickte oder nährte.

»Verlier deine Weiblichkeit nicht« und »Ist es nicht großartig, wie sie es schafft, sich ihre Weiblichkeit zu bewahren?« Solche Sätze hatten ein erschreckendes Gewicht. Sie sprachen von einem so grundsätzlichen, endgültigen Versagen, daß alles andere nicht zählte. Der Flipperautomat registrierte »Tilt«, das Spiel war zu Ende. Der Frau, die ihre Weiblichkeit verloren hatte, stand die Disqualifikation auf die Stirn geschrieben. Unter ihrem Namen sammelten sich keine Punkte mehr an, denn mit ihrem unglückseligen, unschicklichen Bemühen, einen Mann zu imitieren, hatte sie sich um ihr Geburtsrecht gebracht. Ein solches bedauernswertes Wesen lebte in der Vorhölle, und ich hatte die Vorstellung, ich würde es eines Tages vielleicht sehen, wenn ich in den Spiegel blickte. Offenbar lag die Gefahr so nahe, daß überall Warntafeln standen. War es dann nicht möglich, daß das kleine Päckchen Unmut aufbrach, das ich insgeheim mit mir herumtrug, und das Zeichen auf meiner Stirn erschien? Gleichgültig, welche Probleme ich mit der Weiblichkeit auch hatte, ich behielt sie für mich; ich mußte mit den Hindernissen allein fertig werden, die die Weiblichkeit mir in den Weg stellte, denn es gab keine Frauenbewegung, die entscheidende Fragen stellte oder schamlos die Regeln mißachtete.

Im wesentlichen ist Weiblichkeit eine romantische Empfindung, die sentimental auferlegte Beschränkungen tradiert. Selbst während sie in den achtziger Jahren vorwärtsstürmt, Lippenstift anlegt und hohe Absätze trägt, um gut gekleidet zu wirken, stolpert sie über die Rüschen und Unterröcke einer längst vergangenen Zeit. Die Weiblichkeit ist unweigerlich und unveränderlich etwas, das Frauen in der Vergangenheit in größerem Maß besaßen – nicht nur in der historischen Vergangenheit früherer Generationen, sondern auch im persönlichen Leben jeder Frau. Sie lebt in der jungfräulichen Unschuld, auf die das Wissen folgt, in der samtigen Wange, die das Alter rauh werden läßt, im »angeborenen Wesen«, das eine Frau zu vergessen und mißachten scheint, wenn sie ihre Fesseln abwirft. Warum ist das so? Die Informationen der XX-Chromosomen sind nicht durcheinandergeraten, das vom Östrogen bestimmte hormonelle Gleichgewicht besteht im allgemeinen immer noch, wie die Natur es vorsieht; die Fortpflanzungsorgane sind üblicherweise dort, wo sie hingehören, gleich wie man sie benutzt, und die Brüste, ob groß, ob klein, sind meist an der richtigen Stelle. Aber biologische Weiblichkeit genügt eindeutig nicht.

Weiblichkeit verlangt immer mehr. Sie muß ihren Verehrerkreis ständig mit einer bereitwilligen Demonstration des Unterschieds beruhigen, selbst wenn er eigentlich nicht besteht, oder sie muß eine natürliche Variante aufgreifen, betonen und in dieser Tonart eine atemberaubende Symphonie komponieren. Man stelle sich vor, es liegt einem nichts daran, man hat anderes im Kopf und ist trotz bester Anleitung und Ausbildung taub und bleibt von dieser Musik ungerührt? Den weiblichen Unterschied zu mißachten bedeutet soviel, als läge einem nichts an Männern. Damit riskiert man den Verlust ihrer Aufmerksamkeit und Verehrung. Mangelnde Weiblichkeit gilt als elementares Versagen sexueller Identität oder als Nachlässigkeit gegenüber sich selbst, denn eine solche Frau hält man (und sie hält sich selbst) für unfraulich, für ein Neutrum oder schlicht für unattraktiv – das sind jedenfalls die Worte der Männer dafür.

Zugegeben, wir sprechen über eine raffinierte Ästhetik. Weibliche Neigungen können großen Genuß verschaffen, sei es als kreatives Betätigungsfeld oder lediglich als Mittel der Entspannung. Solchen Regungen nachzugeben, weil es Spaß macht, Aufmerksamkeit erweckt oder um sie zur Kunst zu erheben, gehört zu den großen Freuden der Frauen. Doch die größte Attraktion (und gleichzeitig das zentrale Paradox) ist der Aspekt der Konkurrenz, den Weiblichkeit beim unaufhörlichen Kampf, zu überleben und vielleicht sogar zu siegen, zu verheißen scheint. Die Welt schenkt der weiblichen Frau ein freundliches Lächeln; sie kommt ihr mit kleinen höflichen Gesten und unbedeutenden Privilegien entgegen. Doch die Wettbewerbssituation ist bestenfalls eine Ironie, denn Weiblichkeit erreicht man nur, indem man Einschränkungen hinnimmt, seine eigene Meinung auf gewisse Themen beschränkt, sich für indirektes Vorgehen entscheidet, sich auf alle möglichen Dinge konzentriert und sich seinen Interessen nicht mit der Ausschließlichkeit widmet, wie ein Mann seinen eindeutig männlichen. Eine Frau muß kein allzu großes Vorstellungsvermögen besitzen, um zu begreifen, daß das Prinzip Weiblichkeit eine einzige Ansammlung großer und kleiner Kompromisse ist, auf die sie sich einlassen muß, um eine erfolgreiche Frau zu sein. Eine Frau, die Schwierigkeiten hat, die Anforderungen der Weiblichkeit zu erfüllen, die sich von ihren Trugbildern nicht täuschen läßt, oder die vielleicht wegen ihrer Fehler und Unvollkommenheiten kritisiert wird, sieht in der Weiblichkeit eher eine verzweifelte Beschwichtigungsstrategie. Und sie hat vielleicht weder den Wunsch noch den Mut, diese Strategie aufzugeben, denn die Niederlage droht ihr so oder so.

In gewissen Kreisen ist es gerade modern, das weibliche und das männliche Prinzip als Gegenpole des menschlichen Spektrums zu sehen und klugerweise zu erklären, beide Pole seien in jedem Menschen zu finden. Sonne und Mond, Yin und Yang, weich und hart, aktiv und passiv usw. mögen in der Tat Gegensätze sein, aber ein linearer Verlauf erhellt das Problem nicht. (Die Weiblichkeit in all ihren Facetten ist ein sehr aktives Unterfangen.) Wo liegt also der grundsätzliche Unterschied? Das männliche Prinzip läßt sich als treibende ethische Kraft der Überlegenheit erklären, die direkten und sicheren Erfolg verheißt, während das weibliche Prinzip sich aus Verletzlichkeit, Schutzbedürfnis, den Ritualen der Fügsamkeit und der Konfliktvermeidung zusammensetzt – kurz, ein Ausdruck der Abhängigkeit und des guten Willens ist, der dem maskulinen Prinzip seine romantische Gültigkeit verleiht und ihm bewundernd Beifall zollt.

Männer schätzen Weiblichkeit, denn durch den Gegensatz wirken sie männlicher; und das besondere Geschenk der Weiblichkeit an sie ist das Einräumen einer Extraportion unverdienten Geschlechtsunterschiedes, der den Männern einen unangefochtenen Raum zubilligt, in dem sie frei atmen, sich stärker, klüger und kompetenter fühlen können. Man könnte sagen, Männlichkeit sei oft das Bemühen, den Frauen zu gefallen, doch es ist bekannt, daß Männlichkeit durch Zurschaustellung von Beherrschung und Kompetenz gefällt, während Weiblichkeit dadurch angenehm wird, daß sie erkennen läßt, daß ihr solche Absichten fernliegen, wenn es nicht gerade um unbedeutende Dinge geht. Launen, Unberechenbarkeiten und gefühlsbetontes Denken und Verhalten, wie etwa Tränen der Freude oder Angst hält man gerade deshalb für feminin, weil sie nicht auf dem sicheren Weg zum Erfolg liegen.

In den Anfängen der Geschichte war die weibliche Frau durch ihre physische Abhängigkeit definiert, durch ihre biologisch angelegte Unfähigkeit, den Kampf mit den Kräften der Natur aufzunehmen, der ein Prüfstein männlicher Stärke und Kraft war. Heute spiegelt sie eine ökonomische und emotionale Abhängigkeit wider, die man immer noch als »natürlich«, romantisch und begehrenswert hält. Nach fünfzehn beunruhigenden Jahren, in denen viele grundlegende Vorstellungen über die Geschlechter in Frage gestellt wurden, ist die ökonomische Ungleichheit immer noch nicht verschwunden. Eine große Zahl Frauen – Mütter mit kleinen Kindern oder Frauen in den mittleren Jahren, die nach einer Scheidung auf dem Trockenen sitzen – ist auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Aber selbst Frauen, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, teilen ein universelles Bedürfnis nach Zugehörigkeit (man kann es Liebe nennen, wenn man will). Noch nie haben so viele Männer ihr sexuelles Interesse an Frauen verloren wie heute; andere nutzen die Gelegenheit und beschließen, ihr Interesse zu zeigen, indem sie ihre Partnerinnen wechseln und die Betonung auf Abwechslung legen. Es ist ein soziologisches Faktum, daß der weibliche Konkurrenzkampf um zwei rare Dinge – Männer und Arbeitsplätze – noch nie mit solcher Heftigkeit geführt wurde wie in den achtziger Jahren.

Deshalb erstaunt es nicht, daß wir zur Zeit ein neuerwachtes Interesse an Weiblichkeit und das unverhüllte Verfolgen weiblicher Ziele beobachten. Weiblichkeit dient dazu, den Männern zu versichern, daß die Frauen sie brauchen und daß ihnen sehr viel an Männern liegt. Indem die Weiblichkeit das Dekorative und Frivole zum Stil erhebt, funktioniert sie als wirksamstes Gegenmittel zur erzwungenen Ernsthaftigkeit, das heißt dem Zwang, sich in einer harten, schwierigen Welt durchzusetzen. Durch ihren Anspruch, direkte Konfrontation zu vermeiden und Konflikte zu glätten, erweist sich die Weiblichkeit als Wertsystem des Netten, als eine Quelle des Einfühlungsvermögens und der Rücksichtnahme, und genau das ist in der modernen Gesellschaft Mangelware.

Es gibt keinen Grund zu leugnen, daß die Hinwendung zur weiblichen Kunst der Illusion einer Frau Sicherheit geben kann, wenn sie sich darauf versteht. Die Sexualität unterliegt atemberaubenden Wandlungen, und deshalb besitzt die Feststellung, daß jemand »durch und durch« eine Frau ist (die Frage des Inquisitors) durchaus einen gewissen Wert. Eine Antwort auf diese Frage läßt sich durch Anhäufung weiteren Beweismaterials finden; deshalb kann die Bestätigung in einem so einsichtigen, aber trivialen weiblichen Verhalten bestehen wie dem Kauf eines neuen Lidschattens, dem Experimentieren mit dem neuesten Nagellack oder dem Tränenausbruch beim Happy-End im gerade aktuellen und populären Liebesroman. Ist daran etwas destruktiv? Zeit und Kosten, Energieverschleiß und die Konzentration auf Bedeutungsloses fallen einem dabei sofort ein; und wie in der Buchhaltung muß das alles gegen die bestätigenden Vorteile aufgerechnet werden.

Ich habe in diesem Buch versucht, bedeutsame Prinzipien der Weiblichkeit bis zu den elementar biologischen Aspekten zurückzuverfolgen, denn der Ausdruck der Weiblichkeit wird im allgemeinen als Steigerung der Fraulichkeit gepriesen oder als die gestaltete und geformte Vervollkommnung des weiblichen Rohmaterials. Manchmal stellte ich fest, daß ein biologischer Zusammenhang besteht und manchmal nicht. Hin und wieder mußte ich mir auch eingestehen, daß viele wissenschaftliche Behauptungen über die Natur der Frau keineswegs bewiesen und sehr umstritten sind. Eine vernünftige Schlußfolgerung ist nicht möglich, ehe alle Beweise vorliegen. Es erwies sich als aufschlußreicher, den Ursprüngen der Weiblichkeit in den übernommenen Statussymbolen der Oberschicht nachzuspüren und in der historischen Unterwerfung der Frauen durch die Mittel sexueller Gewalt, von Religion und Gesetz, indem man gewisse Märchen über die Natur der Frau als biologische Tatsachen hinstellte. Es war auch sehr lehrreich, die Weiblichkeit unter dem Gesichtspunkt der Verführungskunst zu betrachten, die sich im allgemeinen nicht unbedingt mit aristokratischer Verfeinerung vereinbaren läßt und die für manche widersprüchliche weiblichen Signale verantwortlich ist, die oft ein unergründliches Rätsel darstellen.

Zu den wichtigsten Themen, denen ich nachgegangen bin, gehört der Konkurrenzaspekt der Weiblichkeit, der Wettkampf von Frau gegen Frau, der auf das Bemühen zurückzuführen ist, Männern zu gefallen und sie an sich zu fesseln. Der Konkurrenzkampf von Mann gegen Mann um Rangordnung und die Verfügbarkeit von Frauen ist ein beliebtes Thema in der Anthropologie und nimmt in Untersuchungen von Mensch und Tier einen bedeutenden Platz ein. Doch nur wenige Wissenschaftler haben daran gedacht, den erbitterten Kampf der Frauen um Rang und Männer zu studieren. Und doch ist das Bemühen, dem weiblichen Ideal näherzukommen, ebenso weiblich zu sein wie andere Frauen, ja sie zu übertreffen, das wichtigste Feld (ganz sicher auch das einzig sanktionierte), auf dem man der modernen Frau erlaubt, den Konkurrenzkampf nach Herzenslust zu führen, wobei man sie natürlich ermutigt.

Es ist eine berechtigte Frage, ob dieser Wettstreit eine gesunde oder nützliche Überlebensstrategie darstellt.

Es hat nie an Lobgesängen auf die Weiblichkeit (in Verbindung mit entsprechenden Verhaltensregeln) gefehlt. Mehrere Generationen von Frauen kennen das Rezept von Zucker und Peitsche und die Anforderungen auswendig, die an »die Frau, die ich heirate« gestellt werden (eine niedliche, weiche rosa Puppe mit Spitzenhemdchen, lackierten Nägeln und einer Blume im Haar), und den Stoßseufzer: »Typisch Frau«, »Empfindlich wie ein kleines Mädchen«, mit dem sie dafür belohnt wird. Mein Beitrag mag ausgesprochen unmusikalisch sein; aber er ist kein Lehrbuch dafür, wie man es nicht tut, und ebensowenig eine pauschale Verurteilung. Die Weiblichkeit verdient, daß man sich gründlich mit ihr beschäftigt, und das habe ich versucht.

Ein wirkungsvolles ästhetisches Konzept, das auf dem Eingeständnis von Machtlosigkeit basiert, ist ein schwieriges Thema, denn seine Widersprüchlichkeiten sind schwer faßbar, verflüchtigen sich, sind letztendlich aber sehr bezeichnend. Ein Auftreten, das unterwürfiges Verhalten mit dem Glanz der Oberschicht vereint, und Umgangsformen, die sich zu gleichen Teilen aus Bescheidenheit und Zurschaustellung zusammensetzen, sind Widersprüche, die wohlüberlegt interpretiert werden müssen. Eine Überlebensstrategie, die auf unverhüllten Zugeständnissen und auferlegten Restriktionen basiert, verdient eine eingehende Untersuchung, denn es wird nicht immer deutlich, was aufgegeben und was gewonnen wird. Ich habe meine Kapitel nach pragmatischen Gesichtspunkten unterteilt: Körper, Haar, Kleidung, Stimme etc., um zu einer rationalen Analyse zu gelangen, die frei ist von Mystifikationen. Im Bemühen, den weiblichen Strategien gerecht zu werden, die ich selbst praktiziere oder abgelegt habe, war es unvermeidlich, mit bestimmten vertrauten Aspekten hart ins Gericht zu gehen, während andere wohlwollende Toleranz fanden. Ich beabsichtige nicht, meine Kompromisse und Entscheidungen als den besseren Weg darzustellen oder zu behaupten, sie seien das letzte Wort zu diesem Thema. Ich möchte auch keineswegs Frauen verurteilen, die ihr »Handwerk« anders ausüben als ich. Ich würde mich freuen, wenn dieses Buch dazu beiträgt, das Bewußtsein zu schärfen, und hoffe, daß das weibliche Ideal nicht länger dazu benutzt wird, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern fortzuschreiben; ich hoffe, daß Übertreibungen unnötig werden, um aus dem biologischen Geschlecht Sicherheit zu schöpfen.

New York City, im September 1983

Susan Brownmiller

Körper

Die Darstellung des nackten Menschen, sagt Kenneth Clark in seiner Studie über den idealen Körper, ist eine Kunstform, die von den Griechen im fünften Jahrhundert vor Christus erfunden wurde, »so wie die Oper eine Kunstform ist, die im siebzehnten Jahrhundert in Italien entstand«. Aus dem männlichen Wunsch heraus, erotischer Vollkommenheit zu huldigen, entstanden Statuen nackter Körper von harmonischen Proportionen, aus denen Göttlichkeit und Stärke sprachen.

Falten und andere Makel waren nicht erlaubt. Das geometrisch ausgewogene Maß wurde zu einer mystischen Religion erhoben. Die ersten großen Nackten waren Statuen schöner junger Männer. Erst etwas später folgten ihnen Statuen schöner junger Frauen.

Für die klassischen Griechen waren beim vollkommenen weiblichen Körper die Abstände zwischen den beiden Brustwarzen, vom unteren Ansatz der Brüste bis zum Nabel und vom Nabel zum Schritt gleich groß. Das Schönheitsideal der Gotik, Jahrhunderte später, unterschied sich davon erheblich. Die Brüste waren nur noch ovale Rundungen, die Clark als »betrüblich klein« empfindet; der Bauch beschrieb eine lange, eiförmige Kurve, die zumindest in unseren Augen an eine fortgeschrittene Schwangerschaft denken läßt. Und Clark stellt fest, daß »der Nabel im Vergleich zum klassischen Schönheitskanon genau doppelt so weit von den Brüsten entfernt ist«. Das Schönheitsideal der Griechen, der Gotik und der Renaissance weist auch Ähnlichkeiten auf. Füße und Zehen sind weit, stark und kräftig; die Fingernägel – wenn sichtbar – sind nach heutigen Maßstäben kurz geschnitten und nicht gerade schmal.

Die vollkommene Frauengestalt einer Zeit orientiert sich meist nur an einem Ideal, gleichgültig welche natürlichen Varianten des Körperbaus es auch gibt – dick oder dünn, groß oder klein, die Vorstellungen von körperlicher Vollkommenheit können sich schlagartig verändern. Es ist nicht erstaunlich, daß sich der Gedanke vom idealen weiblichen Körper am häufigsten mit dem Namen Venus verbindet; denn Venus ist die Göttin der Liebe, und wie Byron es treffend für die Männer formulierte: »Die Liebe eines Mannes und sein Leben sind zwei verschiedene Dinge, eine Frau macht diesen Unterschied nicht.« Die erste entdeckte, mittlerweile berühmte steinzeitliche Statuette einer Frau mit üppigen Brüsten, dickem Bauch und ausladendem Hinterteil, die damit jedem anerkannten weiblichen Schönheitsideal widersprach, wurde sarkastisch mit dem Namen Venus von Willendorf bedacht – ein Männerwitz.

Eine Frau spürt die Tyrannei der Venus, wenn sie glaubt – oder wenn ein Mann es glaubt und es ihr sagt –, ihre Hüften seien zu breit, ihre Schenkel zu dick, ihre Brüste zu klein, ihre Beine zu kurz und ihre Taille sei nicht an der richtigen Stelle, um den augenblicklichen Maßstäben erotischer Anziehungskraft gerecht zu werden. Die Londoner Gesellschaft vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs sah in einer Venus des spanischen Malers Velasquez aus dem siebzehnten Jahrhundert die vollkommenste Venus überhaupt (sie hat auch heute noch ihre Anhänger). Sie ist als Rokeby Venus bekannt und ruht wie eine Odaliske mit dem Rücken zum Betrachter auf dem Diwan und blickt in einen Spiegel. (O weibliche Eitelkeit! O weibliche List!) Der denkwürdigste Aspekt der Rokeby Venus, der Schwerpunkt des Bildes ist – um es deutlich zu sagen – ihr üppiger nackter Hintern.

Als die militante Frauenbewegung in England 1914 das Stadium eines Guerillakriegs erreicht hatte und Emily Pankhurst im Hollowaygefängnis in einen Hungerstreik getreten war, entschloß sich Mary Richardson, alias Polly Dick, eine Aktivistin der Bewegung, zu einer kühnen Tat. Sie sah einen verblüffenden Zusammenhang zwischen der öffentlichen Huldigung des erotischen nackten weiblichen Körpers und der Weigerung des britischen (Männer-!)Parlaments, den Frauen das Stimmrecht zu gewähren. Mary Richardson ging, mit einem kleinen Beil bewaffnet, das sie im Ärmel ihrer Jacke versteckte, in die National Gallery und zerschlug das schützende Glas der Rokeby Venus, ehe die Aufseher sie davonzerrten.

In einer Parallelität, die in der Politik vielleicht ebenso üblich ist wie in der Kunst, wählte sich die neuerwachte Frauenbewegung, die vor fünfzehn Jahren in Amerika ihren Anfang nahm, in einer ersten dramatischen Tat ein Symbol der Venus als Ziel ihres Angriffs. The Women’s Liberation Movement präsentierte sich 1968 mit einer Demonstration während der »Miss Amerika-Wahl« in Atlantic City einer aufgeschreckten Öffentlichkeit. Unter anderem protestierte man dagegen, daß »Frauen in unserer Gesellschaft Tag für Tag gezwungen sind, sich das Wohlwollen der Männer zu erkämpfen und dabei von lächerlichen Schönheitsidealen versklavt werden, die ernstzunehmen und zu akzeptieren uns anerzogen wird«.

In welchem Alter beginnt ein Mädchen, sich ihrer Vorzüge bewußt zu werden und ihre Mängel zu zählen? Wann schließt sie zum ersten Mal die Zimmertür ab und verrenkt sich vor dem Spiegel, um sich von hinten, im Profil, von links und von rechts zu sehen, um die Form ihrer Waden und Schenkel zu begutachten, um sich über ihre Schulterblätter Gedanken zu machen und sich zu fragen, ob sie je eine Taille haben wird? Als nächstes zieht sie den Bauch ein, streckt die Brust vor und dreht sich noch einmal vor dem Spiegel, auf der Suche nach der schmeichelhaftesten Pose. Sie hält in Gedanken fest, woran sie arbeiten, was sich verbessern und was bleiben muß, denn sonst … In welchem Alter setzt dieser Prozeß ein, diese zwanghafte Konzentration auf jede Einzelheit ihres Körpers, die sehr wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens einen Gutteil der Zeit in Anspruch nehmen wird? Wann darf sie vergessen, daß ihre Anatomie von anderen ständig begutachtet wird, daß es einen Standard begehrenswerter Schönheit, auch für einzelne Körperteile, gibt, an dem Freunde, Geliebte, Arbeitskollegen, Konkurrentinnen, Feinde und Fremde sie messen? Wie kann sie immun bleiben gegen den allgemeinen Lobgesang auf den Filmstar mit dem Körper der Saison, gegen Pinupkalender in der Tankstelle nebenan, gegen das faszinierende Model in der Modezeitschrift, gegen die zufällige Bemerkung ihres Freundes, gegen den wehmütigen Blick ihres Ehemanns, gegen das Pfeifen oder die plötzliche feindselige Bemerkung, die sie auf der Straße hört?

Ich erinnere mich noch, daß ich als erstes Zeichen der Weiblichkeit von meinem sich entwickelnden Körper ein dünnes, zerbrechliches Handgelenk forderte, das ich mit den Fingern der anderen Hand mühelos umfassen konnte. Als zweites eine schlanke, eng gegürtete Taille. Als nächstes beschäftigte mich das Problem, unter allen Umständen kleiner zu bleiben als die Jungen oder zumindest nicht den Platz des größten Mädchens anzustreben. »Oh, wie sie gewachsen ist!« Und: »Ist sie nicht groß?« waren erste Warnungen vor dem Unheil. In der fünften Klasse wußte ich, daß ich alles andere als groß werden wollte. Ich hatte den Ehrgeiz, als Erwachsene zierlich und schlank zu sein. Meine Mutter, die stattlich und eher etwas rundlich war, hatte für meine Seelenruhe etwas zu oft (vor meinem Vater!) verkündet, ich würde einmal ihren üppigen Busen haben. Nein, bestimmt nicht, murmelte ich erschrocken, wenn ich daran dachte, was ich beim gemeinsamen Bad gesehen hatte. Doch noch schlimmer war die Angst, daß ich mich überhaupt nicht entwickeln würde und für den Rest meines Lebens Unterhemden tragen müßte.

Ich glaube, meine Mutter hatte mir, ohne es zu beabsichtigen, zu verstehen gegeben, daß Brüste ein Problem sind. Sie glaubte, ihre seien durch enges Schnüren ruiniert worden, als sie in den zwanziger Jahren die flachbrüstige, knabenhafte Figur anstrebte. »Binde niemals deine Brüste«, erklärte meine vollschlanke Mutter, während sie sich in ihre zweiteilige Korsage zwängte. Wie sich herausstellte, mußte ich diesen Rat nie beherzigen. In den fünfziger Jahren, als ich auf dem College war, beherrschten die aufgeblähten Jane Russell-/Marilyn Monroe-Busen die Szene. Ich litt unendlich unter meinen erbärmlich flachen Brüsten und trug sie in einem Stütz-BH mit Schaumeinlagen unnatürlich hoch und vorstehend.

Wenigstens hatte ich weder breite Schultern noch kräftige Gelenke. Die Vorstellung von Grübchen in den Knien verwirrte mich, denn meine waren knochenhart und glatt. Doch noch beunruhigender war die Tatsache, daß sie sich nicht berührten, wenn ich aufstand und die Füße zusammenpreßte. Ich mußte mir eingestehen, daß ich O-Beine hatte. Über meinen Hintern bildete ich mir, um die Wahrheit zu sagen, erst in der Mitte der sechziger Jahre eine Meinung, denn ich war in der Zeit der Hüftgürtel und Korseletts aufgewachsen, als man behauptete, alle jungen Damen brauchten eine gewisse Stütze für den Bauch und etwas, um die schwingenden Hinterbacken zu halten, ganz zu schweigen von einer sicheren Möglichkeit, die Strümpfe zu befestigen. Als ich in der Mitte der sechziger Jahre als Reaktion auf ein neueres Modell des weiblichen Körpers BH und Gürtel beiseitelegte, stellte ich fest, daß meine Brüste plötzlich nicht mehr zu klein waren und daß meine Schenkel, meine Hüften und mein Hintern die entscheidende Prüfung bestanden: Sie paßten ohne Schwierigkeiten in Männerjeans.

Es läßt sich nicht leugnen, mein Bauch nimmt in den letzten Jahren etwas an Umfang zu. Er wirkt unerbittlich weiblich und nicht mehr jugendlich flach. Ich kann nicht an den Bauarbeitern auf einer der New Yorker Straßen vorbeigehen, ohne unwillkürlich den Bauch einzuziehen. Ich mache jeden Morgen Yoga, esse weniger als früher und versuche nicht an Schokolade zu denken. Schlank bleiben ist an die Stelle des »Kleiner bleiben als die Jungen« getreten und: »Wir müssen, wir müssen, wir müssen unseren Brustumfang vergrößern.« Ich vermute, mein Gewicht wird mich solange beschäftigen, bis ich, wie Lea in Chéris Ende, über das Alter sexueller Begutachtung hinaus bin und mich nicht länger damit beschäftige, was ein Mann vielleicht über mich denkt.

Zum Zeitpunkt der Geburt ist der anatomische Unterschied eine recht einfache Sache. Es ist ein Mädchen! Es ist ein Junge! Diese uralten Ausrufe der Erleichterung folgen nach einem kurzen, schnellen Blick auf die Geschlechtsteile eines Babys. Entsprechend der Information des Chromosomensatzes – XX bei einer Frau, XYbei einem Mann – sehen sie eine winzige Scheide oder einen kleinen Penis. Von den Genitalien abgesehen tritt der sexuelle Dimorphismus in Größe und Figur erst in der Pubertät auf, wenn aufgrund eines hormonellen Mechanismus, der üblicherweise einsetzt, ein Junge wächst und ein Mädchen weibliche Formen entwickelt.

Ausgelöst durch Östrogene, vergrößern sich die Genitalien des pubertierenden Mädchens und werden sensitiver; die Brüste wachsen, der Uterus weitet und das Becken verbreitert sich. Ovarien und Eileiter werden funktionsbereit, und die Menstruation setzt ein. Die sexuelle Reife wird sichtbar durch Bildung von Fettgewebe, das Becken und Brustdrüsen umgibt – es entsteht der eindeutig weibliche Körper, die vollkommenen weiblichen Rundungen der Brüste, Hüften, Schenkel und des Hinterns. Die Geschlechtsreife bringt einer jungen Frau ihre Figur, das physische Wahrzeichen ihrer sexuellen Natur. Dichter, Maler und Bildhauer haben den weiblichen Körper gefeiert, wenn auch oft auf Einzelteile reduziert. Er war der beliebteste Gegenstand menschlicher Anbetung, und um ihn rankten sich Mythen; aber er unterlag auch kritischer Beurteilung, ästhetischen Eingriffen, wurde lächerlich gemacht und gewaltsam mißbraucht.

Auch die Geschlechtsteile des Mannes vergrößern sich mit Beginn der Pubertät und werden fortpflanzungsfähig. Der junge Mann darf stolz sein auf die schwellenden Muskeln an den Armen, an Brust, Rücken, Schultern und Beinen. Gymnastik und Sport können diesen schnellen Zuwachs an Muskulatur und Kraft unterstützen, aber die Ursache ist genetischer und hormoneller Natur. Geflügelzüchter haben sich die fettbildende Wirkung des Östrogens mit großem Erfolg zunutze gemacht, um ihre Ware zart und fleischig auf den Markt zu bringen. Testosteron dagegen würde zu schrecklich zähen und mageren Hühnern führen. In der Pubertät wächst das Knochengerüst eines Mannes stärker als das einer Frau, in jeder Hinsicht, mit Ausnahme des Beckens, und seine Knochen werden fester. Breite Schultern, kräftige Knochen und schwellende Muskeln charakterisieren die ideale männliche Figur. Sie unterscheiden den Mann vom Knaben und die Frau vom Mann.

Kurz nach der ersten Menstruation, meist mit etwa dreizehn, ist ein Mädchen mehr oder weniger ausgewachsen; mit etwa achtzehn hat sie ihre endgültige Größe erreicht. Und gerade wenn sie verzweifelt feststellt, daß sie wahrscheinlich nie einen Mann finden wird, der groß genug für sie ist, schießen die Jungen in die Höhe. Die Pubertät setzt bei Knaben zwei Jahre später ein als bei Mädchen, und sie wachsen, bis sie etwa zwanzig sind. Beim Zusammenwirken der Sexualhormone und Wachstumshormone ist das Testosteron ein äußerst wirksamer Faktor. Aber im wesentlichen ist eine längere Wachstumsphase der Männer – aufgrund ihrer später einsetzenden Geschlechtsreife – dafür verantwortlich, daß sie fünf bis zehn Prozent größer als Frauen werden.

Eine Erklärung dafür, daß Mädchen schneller geschlechtsreif werden als Knaben und nach Einsetzen der Menstruation das Knochengerüst nicht mehr wächst, liefert vielleicht die urmenschliche Vergangenheit, in der die Lebenserwartung gering war und eine Frau so schnell wie möglich die wichtige Aufgabe der Fortpflanzung erfüllen mußte. Je früher sie die Pubertät erreichte, desto besser. Der männliche Reifeprozeß stand nicht unter einem solchen biologischen Druck. Hatte eine Frau erst einmal Kinder, dann wäre es für den Organismus belastend gewesen, wenn er sich noch in der Wachstumsphase befunden hätte. Ein entstehender Fötus und ein Kind, das gestillt werden muß, erfordern große Mengen an Proteinen, Calcium und anderen Spurenelementen. Die Erfüllung solch lebenswichtiger Voraussetzungen setzen einen Körper, der selbst noch im Wachstum begriffen ist, einer doppelten Belastung und einem schwerwiegenden Ernährungsengpaß aus. Eine Mutter, deren Knochenbau ausgewachsen war, hatte besser Überlebenschancen und somit auch ihr Baby. Ashley Montagu hat auf das Phänomen hingewiesen, daß ein Mädchen üblicherweise in den ersten Jahren nach Einsetzen der Menstruation trotz äußerer Anzeichen nicht fruchtbar ist. Es sind dies die Jahre geringen, aber anhaltenden Wachstums. Die Natur scheint die Unfruchtbarkeit als ein Mittel zu betrachten, die Sterblichkeit von Müttern und Kindern zu verringern.

Anthropologen sehen in der Körpergröße eines Mannes einen Vorteil im Konkurrenzkampf um Frauen. In der allgemeinen Vorstellung verbinden sich mit Maskulinität immer die Begriffe groß und stark, während zierlich und schwach dem Weiblichen zugeordnet werden. Eine Männerportion bedeutet mehr Essen auf dem Teller, und »Kleenex« packt für Männer mehr Papiertücher in die Schachtel. Der durchschnittliche amerikanische Mann ist einen Hauch größer als ein Meter fünfundsiebzig und die durchschnittliche amerikanische Frau ein Meter vierundsechzig. Eine Frau, die dem Durchschnitt entspricht und ein paar Zentimeter kleiner ist als der Mann, wird wahrscheinlich mit ihrer Größe zufrieden sein und lebt in Harmonie mit der Größenästhetik der Mann-Frau-Beziehungen.

Doch zehn Prozent aller Amerikanerinnen sind größer als ein Meter einundsiebzig, und sie überragen die zehn Prozent der amerikanischen Männer, die kleiner als ein Meter achtundsechzig sind. (Zehn Prozent der Bevölkerung entsprechen bei anderen geschlechtsspezifischen Merkmalen wie Taille und Schulterbreite nicht den Durchschnittswerten.) Fünf Prozent der weiblichen Bevölkerung, die wirklich großen Frauen, bringen das konventionelle Größenverhältnis durcheinander, da sie die Durchschnittsmänner bei weitem überragen.

Die meisten Gesten der Etikette und die Anstandsregeln gehen von der konventionellen Ungleichheit in Größe und Stärke aus. Ein kleiner Mann, der schützend den Regenschirm über eine größere Frau hält, wirkt leicht komisch. Und in den romantischen Vorstellungen gilt der übliche Größenunterschied ebenso als Norm. Die größte Frau der Welt hat erklärt, sie könne sich nie in einen kleineren Mann verlieben – mit zwei Meter einunddreißig bleibt sie leider ledig. Cher ist größer als Sonny, aber in ihren gemeinsamen Fernsehauftritten war sie das nicht. Lady Di ist nur einen Zentimeter kleiner als Prinz Charles, wenn sie flache Absätze trägt. Aber für die Briefmarke anläßlich der Hochzeit des königlichen Paares wurde sie schlicht einen Kopf kleiner gemacht. »Sie sah zu ihm auf« ist mehr als der verzückte Seufzer aus einem Liebesroman. Der Satz stimmt mit unseren Vorstellungen von einer heterosexuellen Beziehung überein. Eine Frau, die einen Mann überragt, verletzt eine Grundregel der Weiblichkeit, denn ihre Körpergröße erinnert ihn daran, daß er vielleicht zu klein – unzulänglich, untauglich – für den Konkurrenzkampf in der Männerwelt ist. Sie hat seiner Männlichkeit einen Schlag versetzt und seine Stellung als Aggressor-Beschützer untergraben. Einem Mann zu zeigen, daß er vielleicht nicht gebraucht wird, ist eine äußerst unweibliche Haltung. Die Frau weiß, daß sie dafür bezahlen wird, wenn sie es auf andere Weise nicht wiedergutmachen kann.

Obwohl ich nicht ganz ein Meter achtundsechzig bin, eine günstige Größe für eine Frau, komme ich mir neben einem kleineren Mann immer etwas plump vor. Die vertrauten Proportionen sind nicht mehr im Gleichgewicht. Der Augenkontakt ist merkwürdig verschoben. Vielleicht bringe ich ihn mit einer unbewußt kräftigen Bewegung zu Fall. Ich leide für ihn, weil er so klein ist, und fühle mich schuldig, weil ich unabänderlich größer bin. Ich mache mich klein, ich verrenke mich und neige den Kopf. Ich greife in meine Kiste weiblicher Listen und tue alles, um meine scheinbare Überlegenheit, meine relative Stärke zu verwischen.

In einem überfüllten U-Bahn-Wagen in Tokio erreichte ich die äußerste Grenze schicklicher Größe und stand in Gefahr, für alle anwesenden japanischen Männer ein echter Affront und eine grobe Beleidigung des Gefühls für ausgewogene Proportionen zu sein, das in diesem Land herrscht. Es war kaum meine Schuld, daß Amerikaner im allgemeinen zu den größeren Menschen gehören, aber ich wollte nicht unweiblich erscheinen: übergroß, bedrängend, unhöflich.

In Amerika leben einige der größten Frauen der Welt und werden nur noch von den Schweizerinnen, den Schwedinnen, den Deutschen und den Norwegerinnen übertroffen. Wir sind ebenso groß wie viele Männer in Südeuropa, Asien und Lateinamerika. Wir sind größer als die meisten vietnamesischen, thailändischen und laotischen Soldaten. Wir überragen die Yanomamokrieger aus Brasilien, die Männer der kriegerischen Stämme aus Neuguinea, die Javaner, die Lappen, die Mayas und die Quechuaindianer. Die Buschmänner der Kalahari, die Pygmäen und einige andere afrikanische Stämme sind zweifellos kleiner als wir. Amerikanerinnen überragen jemenitische Juden, Sibirier und die ganze Bevölkerung sardinischer und mancher spanischer Dörfer. Amerikanerinnen sind beträchtlich größer als die meisten Französinnen, Italienerinnen und Spanierinnen; die polnischen Männer können kaum auf uns herabblicken. Genetik und Ernährung haben uns in diese Position gebracht. Vielleicht liegt es mehr an unserer Körpergröße als an unserer angeblichen Unabhängigkeit, sexuellen Freiheit oder unserem Durchsetzungsvermögen, daß wir im Vergleich zu anderen Frauen auf der Welt hartnäckig im Ruf stehen, weniger Weiblichkeit zu besitzen als andere Frauen auf der Welt.

Die Gleichsetzung von Männlichkeit mit Körpergröße ist scheinbar eine unausrottbare, vielgeliebte Vorstellung. In Kenia habe ich beim Anblick von Elefantenkühen mit ihren Kälbern den Ausruf gehört: »Sieh doch die großen Bullen«, und in Alaska: »Ist das ein großer Bulle«, angesichts einer Moschusochsenmutter mit ihrem Nachwuchs, und in beiden Fällen mußte ich insgeheim mit den Zähnen knirschen. Frauen, die Irrtümer korrigieren, gelten als unweiblich und rechthaberisch, doch es ist schlichtweg eine Tatsache, daß der durchschnittliche Tierfreund beim Anblick einer Gruppe im allgemeinen das größte Tier für ein Männchen und selbstverständlich für den Anführer hält.

Frühe sexuelle Reife bremst das Wachstum von Pavian- und Gorillaweibchen energisch, während die Männchen beider Gattungen einige Jahre länger an Größe zunehmen. Barthaare, zottige Mähnen, lange Eckzähne und andere geschlechtsspezifische Kennzeichen, die ein Männchen vom Weibchen unterscheiden, entwickeln sich üblicherweise in dieser späten Wachstumsphase. Bei den Gibbons werden andererseits Männchen und Weibchen etwa im gleichen Alter geschlechtsreif, und sie unterscheiden sich in Größe und Aussehen kaum voneinander. (Bei achtzehn Prozent der Primaten fehlen geschlechtsspezifische Merkmale, und interessanterweise leben diese Tierarten im wesentlichen monogam.) Der schlechte Ruf der Hyänen hat viel mit ihrer Häßlichkeit und dem unheimlichen »Hohngelächter« zu tun; und die Tatsache, daß das Weibchen größer ist als das Männchen (es wird erst ein Jahr später geschlechtsreif), ihm überlegen ist und eine große lange Klitoris neben einem Pseudoskrotum besitzt, macht Hyänen auch nicht beliebter. Man hielt sie für hermaphroditische, homosexuelle, ausschweifende und lüsterne Tiere, als Horace Walpole die Mary Wollstonecraft als »eine Hyäne in Unterröcken« bezeichnete und so in einem einzigen bösartigen Satz ihre Weiblichkeit und die ganze Frauenbewegung beleidigte.

Der Anblick eines großen Weibchens, das sich mit einem kleineren Männchen paart, ist aus menschlicher Sicht und dem vermenschlichten Bild der Tiere in Kinderbüchern so ungewöhnlich, daß viele intelligente Menschen staunen, wenn sie hören, daß in der Mehrzahl aller Tierarten die Weibchen das größere Geschlecht sind. Dies ist eine evolutionsbedingte Anpassung, die vermutlich für die Erhaltung der Art Vorteile bringt. Man denke an den amerikanischen Weißkopfseeadler, die Königskrabbe, die Schnee-Eule, den Großen Schwammspinner, die Chinchilla, die Vipernnatter, die Python, den Grönlandwal, den Buckelwal, den Grauwal, den Blauwal (das heißt, das größte Lebewesen der Welt ist weiblich), alle Arten von Kaninchen und Hasen, an Habichte und Falken, an Kröten, Haie, den Lachs, die Flunder, die meisten Kolibris, Schildkröten und Fische, Vögel, Reptilien und Amphibien und zahllose Insekten. Zugegeben, die meisten Arten mit großen geschlechtsreifen Weibchen drängen sich auf den unteren Sprossen der Evolutionsleiter; und das läßt die Annahme zu, daß Mutter Natur für ihre späteren Modelle eine Änderung im Auge hatte oder eine wirkungsvollere Art der Mutterschaft fand. Trotzdem ist eine Korrektur des Gesamtbildes ein ausgezeichnetes Argument, um einige weitverbreitete Vorstellungen von Größe und Männlichkeit bei großen und kleinen Tieren zu widerlegen.

Wenn wir uns wieder den Menschen und den meisten anderen Primaten zuwenden, begegnen wir einer Ungleichheit von Größe und Stärke; und das hat ernstzunehmende Folgen. Die Anthropologin Sarah Hrdy hat das so ausgedrückt: »Männchen sind größer als Weibchen und in der Lage, sie zu tyrannisieren.« In Untersuchungen über Primaten spricht man im allgemeinen von Dominieren; bei Gorillas und Pavianen läuft das im wesentlichen darauf hinaus, wer auf dem beliebtesten Ast sitzen darf oder die süßesten Früchte frißt. Bei den Menschen geht es eindeutig um mehr. Vermutlich wird ein Wissenschaftler eines Tages nachweisen, daß Selbstsicherheit und Aktivität nicht durch das Vertrauen wachsen, das überlegene Körperkraft schenkt, doch irgendwie bezweifle ich es. Das Konkurrenzverhalten der Männer hat eine sehr lange Geschichte, und sie ist geprägt von Gewalttätigkeit. Die Unfähigkeit der meisten Frauen, sich im Hinblick auf Körperkräfte mit Männern zu messen, beruht auf einem biologischen Unterschied. Man könnte in diesem Zusammenhang an den Katzenmaki denken, dessen Weibchen zwar kleiner ist als das Männchen, aber trotzdem dominiert – es beachtet das auffällige Werbungsverhalten des Männchens nicht und versetzt ihm nach Lust und Laune Knüffe und Püffe –, aber wenn es darum geht, sind wir eben doch keine Katzenmakis.

Trotzdem sind die Frauen auch nicht so schwach, zart oder kraftlos, wie es das augenblickliche ästhetische Ideal suggeriert. Der sexuelle Dimorphismus unterscheidet den Mann vielleicht durch Muskelstärke und Größe von der Frau, doch die andere Seite der Münze ist keineswegs Weiblichkeit. Beachtliche Mengen weichen Fettgewebes sind charakteristisch für das weibliche Geschlecht – eine biologische Anpassung an die Zwänge von Mutterschaft und Überleben. Der weibliche Körper besteht im Durchschnitt zu fünfundzwanzig Prozent aus Fettgewebe, der männliche dagegen üblicherweise nur zu fünfzehn Prozent. Und dieser Unterschied beruht nicht in erster Linie auf anstrengender körperlicher Arbeit oder Muskeltraining. Als sich unsere entwicklungsgeschichtlichen Eigenschaften vor einigen Millionen Jahren verfestigten, waren die Nahrungsquellen vermutlich recht unsicher; und die subkutanen Fettpolster im weiblichen Körper entstanden wahrscheinlich als zusätzliche Nahrungsreserve. Eine Schwangerschaft verschlingt ganze achtzigtausend Kalorien, und das Körperfett ist für die Milchproduktion vonnöten. Dr. Rose Frisch von der Harvard University hat die Theorie aufgestellt, daß der Ovulationszyklus aussetzt, sobald ein bestimmtes Maß an Fettgewebe unterschritten wird. Frauen, die unter chronischer Appetitlosigkeit leiden, menstruieren üblicherweise nicht mehr, wenn dieser kritische Punkt erreicht ist. Auch bei Berufssportlerinnen kann es zeitweilig zum Aussetzen des Menstruationszyklus kommen, während sich das Verhältnis von Fett- und Muskelgewebe in ihrem Körper verändert.

Wie wir wissen, ist rundliches Aussehen für die heutige Vorstellung vom Weiblichen problematisch. Fettgewebe läßt zwar die gefeierten fraulichen Rundungen entstehen, ist jedoch auch die Ursache für Masse und Fülle – Eigenschaften, die man eher mit männlicher Kraft und Stärke in Zusammenhang bringt. Die scheinbar natürliche Tendenz des weiblichen Körpers, füllig, wenn nicht sogar wabbelig zu werden, steht der Idealvorstellung von zarten Formen entgegen. Außerdem nimmt das Fettgewebe an den bekannten Stellen wie Hüften, Brüsten, Bauch und Schenkeln nicht notwendigerweise im gleichen Maß zu; die genetischen Unterschiede zwischen Frauen sind allgemein bekannt. Trotzdem hat praktisch jede Kultur versucht, den weiblichen Körper in eine einheitliche Form zu bringen, und zwar meist aufgrund einer Ästhetik, die Körperfülle leugnet, indem sie einen Teil der weiblichen Anatomie verändert, betont oder der natürlichen Form des Körpers drastisch entgegenwirkt.

In vergangenen Jahrhunderten mußte eine Frau von Rang schmerzhafte Einschränkungen ihrer Bewegungsfähigkeit auf sich nehmen, die sie am Atmen hinderten oder das Gehen beschwerlich machten, weil ein bestimmter Teil ihres Körpers eingeschnürt wurde – Taille, Bauch, Brustkorb, Brust, Nacken oder Füße. Dahinter stand der Glaube, eine ästhetisch unvollkommene, formlose natürliche Figur zu verschönern oder zu verfeinern. Im Osten mußte die Japanerin den Obi erdulden, in Burma den Halsring und in China die gebundenen Füße. Im Westen trug sie das Korsett aus Stahl oder Fischbein.

Jedes Mittel der Verschönerung schränkte ihre Freiheit ein und schwächte ihre Kraft; es war ein Hindernis auf dem Parcours, den sie mit künstlicher Anmut versuchen mußte zu bewältigen. Jedes dieser Folterinstrumente betrachtete sie als Zeichen ihrer privilegierten Stellung und als moralisches Rüstzeug für korrektes Verhalten. Alle diese einfallsreichen Fesseln wurden von den Männern als Objekte, die nichts mit der Frau zu tun hatten, die sie verschönern sollten, erotisch verklärt.

Bernhard Rudofsky, ein provozierender Gesellschaftskritiker, behauptet, Männer würden vom erzwungenen Trippeln der Frauen sexuell aufs höchste erregt. Eine solche Aussage ist äußerst ketzerisch, aber nicht so einfach von der Hand zu weisen. Man denke an eine chinesische Kurtisane oder die Frau eines chinesischen Adeligen, die anstelle normaler Füße zwei weniger als zehn Zentimeter große Stümpfe in hübschen Stoffschühchen hat, und man versteht einiges von der gewaltsamen Unterwerfung der Frauen durch die Männer. Aber weniger deutlich wird die Auffassung von ausgesuchter weiblicher Schönheit, die sich hinter dieser gewaltsamen Entstellung verbirgt – die sinnlich erregende Nutzlosigkeit, der dekorative Reiz, den die entstellten, verkrümmten Glieder darstellen. Eine Lotosblüte mit den Bewegungen einer Weide: romantische Bilder für den Sieg des Menschen über die Natur. Der von Kindesbeinen an am Wachsen gehinderte Fuß ähnelte, wie man sagte, der Lotosblüte, die sehr verehrt wurde; und die Frau, die sich, mit Hilfe eines langen Stabes oder auf ihren Mann beziehungsweise auf Dienerinnen gestützt, vorwärtsbewegte, erinnerte an den flüsternden Wind in den Weiden, denn sie schwankte bei jedem ängstlichen Schritt. In den achthundert Jahren, in denen die Sitte des Fußbindens blühte, beschäftigte sich die chinesische Pornographie ständig mit der Liebe zum Lotosfuß – eine höchst kunstvolle Art von Manipulation, von Haltungen und Stellungen.

Wie verabscheuenswürdig er auch sein mag, der gebundene Fuß veranschaulicht mehrere Aspekte der Asthetik des Weiblichen. Diese Sitte entstand in der verfeinerten Welt einer dekadenten Oberschicht, die von den Frauen keinerlei körperliche Arbeit verlangte. So wurden gebundene Füße zum beneidenswerten Symbol von Luxus, Müßiggang und Kultiviertheit. Herausgelöst wurde ein bestimmter Teil des weiblichen Körpers, der sich in gewisser Hinsicht vom männlichen Körper unterschied – in diesem Fall der etwas kleinere Fuß. Die natürliche Anlage wurde im Namen künstlerischer Vervollkommnung grausam auf die Spitze getrieben. Eine selbstverständliche, funktionale Bewegung wurde einfallsreich unterbunden, und somit nahm man der Frau die Fähigkeit, sich allein in ihrer Umgebung zu behaupten. Die Welt wurde dadurch zu einem noch gefährlicheren Ort, und die aus dem Gleichgewicht gebrachte Frau zu einem noch abhängigeren, furchtsameren Wesen. Durch den einfachen Gegensatz wurde der Mann kompetenter und standfester – mit anderen Worten männlicher. Der schwankende Gang der Frau wurde romantisiert – und dadurch gerechtfertigt –, indem man ihm sexuelle Attraktivität zusprach. Die winzigen, nutzlosen Füße, der Teil ihres Körpers, der »vervollkommnet« worden war, wurde dadurch in den Bereich dekorativer Schönheit erhoben. Diese Sitte gab jeder Frau das tiefverwurzelte Gefühl von Unsicherheit, das sich auf die Überzeugung stützte, ein Teil ihres Körpers sei äußerst häßlich (der übliche Ausdruck in China war »Gänsefuß«), und es seien einschneidende Maßnahmen notwendig, um diesen Zustand zu ändern. Außerdem erforderte diese Korrektur ein enges Zusammenwirken von Mutter und Tochter, um das qualvolle Werk der Verschönerung zu verbringen, und um die weiblichen Werte von Fügsamkeit und Unterwürfigkeit weiterzugeben. Denn die besorgte Mutter war das Werkzeug des Willens, das die Füße ihrer leidenden Tochter verstümmelte und ihre Auflehnung besänftigte, indem sie ihr ständig das Versprechen des zierlichen Schühchens vor Augen führte. Sie lehrte ihr Kind schon sehr früh, daß es die Aufgabe der Frau war, in einer beinahe übermenschlichen Anstrengung ihren Körper und ihr Leben unter Tränen und Schmerzen zu verändern, um einem Mann zu gefallen.

In der westlichen Welt schlug die Ästhetik des Weiblichen eine andere Richtung ein. Hier glaubte man, der gesamte Oberkörper erfordere von Brust bis zur Hüfte künstlerische Umgestaltung. Das beengende Korsett mit den Stäben aus Stahl oder Fischbein war das höchst einfallsreiche Mittel, das die Bewegungen einer Frau behinderte, während es ihre Figur einem romantischen Ideal anpaßte. Aus der Kunstgeschichte und aus Dokumenten des sechzehnten Jahrhunderts wissen wir, daß zwei mächtige Königinnen – Katharina von Medici in Frankreich und Elizabeth I. von England zu den ersten Frauen zählten, die diesen einschnürenden Käfig trugen; damit übernahmen sie auf ihre Weise die Rüstung ihrer edlen Ritter, in der das weiche Fleisch und der Brustkorb verschwanden. Es ist hoch interessant, daß die beiden ersten korsettierten Frauen der Geschichte eine Medici und eine jungfräuliche Königin waren – zwei kühne, ehrgeizige Frauen, deren Machthunger man als »unnatürlich« bezeichnete. Warum taten sie das? Was veranlaßte sie, Brust und Bauch diese Unbequemlichkeit zuzumuten, während sie Verträge aushandelten und mit großem Geschick Intrigen und Morde planten? Könnte es sein, daß der einzige Zug, den ihre Feinde ihnen hinter vorgehaltener Hand absprachen – weibliche Schwäche, ein sanftes, nachgiebiges Wesen – sich am besten in dem exzessiv kleinen und im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubenden Mieder unter Beweis stellen und zeremoniell zur Schau tragen ließ? Die schlanke Taille war kein ausschließlich weibliches Symbol der Eitelkeit. Elizabeths Vater, Heinrich VIII., schnürte die Hüften, um seine Brust betont kräftig erscheinen zu lassen. Aber König Heinrich und andere Männer gingen nie soweit, daß sie dadurch Schmerzen litten.

Zwei Dinge müssen an dieser Stelle betont werden. Erstens: Keine Diskussion über den weiblichen Körper in der westlichen Welt führt sehr weit, wenn man dem Korsett nicht den richtigen Platz einräumt. Wie vertraut der Gegenstand auch zu sein scheint, das Korsett hat keine stützende, sondern eine beherrschende Rolle in der Geschichte des Körpers gespielt. Zweitens: Die Männer haben alle möglichen modischen Kunstgriffe benutzt, um ihr Körperimage aufzuputzen – Hosenbeutel, hohe Absätze, wattierte Schultern, schulterbetonte Jacken; aber nichts von alldem wirkte beengend oder verursachte Schmerzen. Um die Wahrheit zu sagen, die Männer haben im Laufe der Geschichte kaum etwas an ihrem Körper verändert, um anziehender auf Frauen zu wirken. Die Entwicklung von Bizeps und breitem Brustkorb sind ehrenwerte Nebenprodukte harter körperlicher Arbeit und eine Hilfe bei sportlichen Wettkämpfen, beim Kräftemessen. Der Bodybuilder, der Mann mit Plateausohlen oder der Glatzkopf mit Toupet sind Zielscheibe des Spotts, denn nach der Männlichkeitstheorie unternimmt der richtige Mann nichts, um zu gefallen. (Er hat bessere Möglichkeiten, seinen Wert unter Beweis zu stellen.) Von einer Frau erwartet man aber, daß sie zu Listen und Leiden greift, um ihre weibliche Natur unter Beweis zu stellen und um der Schönheit willen, die bei einer Frau nach dem Willen der Männer Selbstzweck ist.

Das Korsett führte nicht nur zu einer hoheitsvollen Haltung und kleinen, weiblichen Bewegungen – eine Dame konnte sich kaum vorbeugen oder tief Luft holen, dafür bebte ihr Busen, und der Fächer flatterte im angestrengten Bemühen, genug Luft zu bekommen –, sondern wurde der notwendige Unterbau für jede Frau, die mit der Mode ging. Das Streben nach dem vollkommenen Körper im vollkommenen Kleid beinhaltete auch das Streben nach dem vollkommenen Korsett, das die Brüste heben, vergrößern oder abflachen konnte, die Hüften verbreiterte oder schmaler machte, die Taille zusammendrückte oder verlängerte, dem Rücken den richtigen Schwung gab, die Schultern hängen ließ und den Bauch zurückpreßte – ganz wie es das Mode-Ideal der Zeit verlangte. Je nach Stil einer Zeit und der Entschlossenheit seiner Trägerin konnte ein Korsett schätzungsweise zwischen zwanzig und achtzig Pfund Druck ausüben. Das Schnüren war eine Herausforderung an die Zähigkeit einer Dame und an die Kraft ihrer Zofe oder einen geeigneten Bettpfosten, wenn der Abend nahte und das Korsett fester gezogen werden mußte. Aber welch bewundernde Blicke fielen auf die zerbrechliche Taille, die starke Hände umspannen und hochheben konnten. Und der entzückende Charme einer schwankenden, in Ohnmacht sinkenden Dame, die so anmutig männlichen Schutz forderte! Zumindest wurde sie romantisch so dargestellt. In Wirklichkeit war die durchschnittliche Frau im Korsett keineswegs eine Scarlett O’Hara mit Wespentaille, die auf einem rauschenden Ball flirtete. Sie war eine stämmige Matrone, die insgeheim das Korsett löste, so oft es möglich war, und die sich ärgerte, wenn das Dienstmädchen »Dame spielte«, indem es heimlich selbst ein Korsett trug.

Die verführerischen Aspekte des Korsetts förderten unter anderem die Vorstellung, der weibliche Körper sei von Natur aus ungesund und bedürfe an entscheidenden Stellen Halt durch künstliche Hilfen. Eine Frau des neunzehnten Jahrhunderts glaubte, sie sei mit einer häßlichen Taille geboren worden und eine feste Stütze würde die Unfähigkeit von Rückgrat und Muskulatur, das Gewicht von Brüsten und Bauch zu tragen, ausgleichen. Da ihre Muskeln durch Nichtbenutzung und Einschnürung jämmerlich verkümmerten, hatte sie tatsächlich Grund, über den Halt dankbar zu sein, den das Korsett ihr gab, denn ohne ihn mußte sie fürchten, körperlich und geistig zu einem degenerierten Häufchen Elend zusammenzusinken. Ihre aufrechte, würdige Haltung wurde mit moralischer Rechtschaffenheit und gesellschaftlichem Anstand gleichgesetzt; das Lockern des Korsetts oder das Erscheinen in der Öffentlichkeit ohne diesen Panzer galt als Zeichen eines lockeren unsittlichen Lebenswandels. Den Körper so weit zu bringen, daß er das Korsett ertrug, war eine Disziplin, die in der Kindheit gelernt wurde. Denn für eine besorgte Mutter war es nie zu früh, die nachlässige Haltung zu korrigieren, mit der ihre Tochter geboren worden war. Die Einweihung in die Geheimnisse von Haken und Ösen waren Initiationsriten für die Geheimnisse und Verantwortungen einer jungen Dame; das beengende Korsett war das Symbol für die Unterwürfigkeit und das Selbstbewußtsein der weiblichen Welt.

Die Kunsthistorikerin Anne Hollander konstatiert in ihrem Buch Seeing Through Clothes, daß viele weltberühmte Werke der Malerei dem nackten weiblichen Körper nicht in seiner natürlichen Gestalt, sondern in Übereinstimmung mit der Kleider- und Korsettmode der entsprechenden Zeit huldigen – mit aufgerichteten oder weit auseinanderstehenden Brüsten, mit hoher oder niedriger Taille, mit rundlichem oder flachem Bauch etc. etc. Offensichtlich konnte das Korsett nicht nur die Frau formen, sondern auch die erotischen Wunschvorstellungen des Malers. Der Korsettfetischismus in der Geschichte der Pornographie ist erstaunlich; und selbst in der heutigen freieren und natürlicheren Zeit gibt es keine Anzeichen für sein Abklingen.

Ein seltsam altmodisches Interesse an Gürteln, Büstenhaltern und Strumpfbändern (ich habe noch kein pornographisches Bild von einer Frau in Strumpfhosen gesehen) scheint zu verraten, daß für viele Männer das ganze Arsenal weiblicher Verpackung ein stärkeres sexuelles Reizmittel ist als die unverhüllte Realität eines durch nichts behinderten Körpers.

Natürlich ist Frauenunterwäsche zumindest teilweise erotisch besetzt, denn sie umgibt die verbotenen weiblichen Geheimnisse. Bei der altmodischen Verführung mußte der entschlossene Liebhaber Schritt für Schritt vorgehen. Er mußte zunächst den beachtlichen Gürtel lösen, den Büstenhalter aufhaken, den weichen Körper freilegen und die moralischen Hemmungen überwinden. Vor dem Hintergrund der doppelten Moral nimmt dieses feststehende Szenarium mit der dekorativen Unterwäsche ein eigenes sexuelles Leben an, denn sie verkündet die widersprüchliche Botschaft von tugendhafter Zügelung und frivoler Zurschaustellung. In den lockeren neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts war das rüschenbesetzte Strumpfband aus Spitze, das die Varietétänzerin von der Bühne ins Publikum warf, eine aufreizende Geste, in der ein herausforderndes, freches Versprechen lag. Heute scheint allgemeine Übereinstimmung darüber zu herrschen, daß schwarze Spitzen mit Erotik aufgeladen sind, denn sie sprechen von einem verruchten, eingestandenen Narzißmus, obwohl die Trägerin selbst durchaus der Konvention entsprechend passiv bleiben kann. Schwarze Spitze gilt schon seit so vielen Generationen als sexy, daß sie für manche Frauen das Nonplusultra an weiblicher Unterwäsche darstellt, während andere sie für vulgär und billig halten. Auf der anderen Seite repräsentiert weiße Baumwollunterwäsche in gewissen Kreisen weibliche Keuschheit und erlesenen Geschmack, während andere sie als zu schlicht, unelegant und kindlich empfinden.