Weihnachtswunderzeit - Frank Bonkowski - E-Book

Weihnachtswunderzeit E-Book

Frank Bonkowski

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Beschreibung

Wenn das Trio Infernale, eine Gruppe junggebliebener oft eigenwillig (andere sagen originell oder schräg) denkender Theologen und Autoren sich entschließt, gemeinsam ein Weihnachtsbuch mit ihren besten Kurzgeschichten zum Thema Advent und Weihnachten zu veröffentlichen, darf man sicher sein, daß es keine alltäglichen und vor allem keine 08/15 Geschichten zur wundersamsten Zeit des Jahres sind. Da kommt das bis an sein höchsten Bord geladene Schiff aus einem der ältesten deutschsprachigen Advents- und Weihnachtslieder schon mal als zeitreisendes Raumschiff daher, Weihnachten wird im Waschsalon gefeiert, ein letzter Weihnachtsbaum erleuchtet die Hölle und in ZoomNACHTEN wird spekuliert, wie der Ursprung von Weihnachten im Zeichen von Corona hätte ablaufen können. Ein geschäftstüchtiger Wirt verteidigt sein Verhalten gegenüber unerwünschten ausländischen Gästen zur Zeit als Weihnachten seinen Anfang nahm, ein königlicher Tyrann blickt auf frühere Weggabelungen seines Lebens zurück und eine Pastorentochter gibt Einblick in ihr Tagebuch im Advent. Eine U-Bahnlinie wird am Heiligen Abend zur Weihnachtswunderlinie, im Knast werden zur Weihnachtszeit tausende von (Sommer-)Blumen zum Blühen gebracht, was es im Norden für interessante Phänomene zu beobachten gibt, wird in der Wikingerweihnacht geschildert und wie Corona für einen Weihnachtswunderwunschbaum gesorgt hat, kann man auch nachlesen. 15 kleine Geschichten zum großen Fest vom Trio Infernale die es in sich haben. Von 3 Autoren - Frank Bonkowski, Thomas Klappstein, Mickey Wiese - die es drauf haben, sich schätzen und mögen und die wundersame Zeit von Weihnachten und den, der Weihnachten ins Rollen gebracht hat, einfach lieben.

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INHALT

Vorwegworte

Weihnachten im Linienbus

Mickey Wiese

Wikingerweihnacht

Thomas Klappstein

Ich bin doch nur ein Geschäftsmann

Frank Bonkowski

Es kommt ein Schiff geladen in die erfüllte Zeit

Mickey Wiese

Morgens im Café

Thomas Klappstein

Der Tyrann

Frank Bonkowski

Der letzte Weihnachtsbaum erleuchtet die Hölle

Mickey Wiese

Weihnachtswunderblumen hinter Gittern

Thomas Klappstein

„Der Tag, an dem ich Weihnachten kapierte“ — Adventliche Einblicke in das Tagebuch einer Pastorentochter

Frank Bonkowski

Weihnachten im Waschsalon

Mickey Wiese

U79 – Die Weihnachtswunderlinie

Thomas Klappstein

Nigel, der Tölpel

Frank Bonkowski

Draussen bleiben

Frank Bonkowski

Schwarze ZOOMnachten

Mickey Wiese

Weihnachtswunder in herausfordernden Zeiten

Thomas Kappstein

Weihnachtswurzeln

NT-Weihnachtsgeschichten nach Lukas und Matthäus

VORWEGWORTE

„Vorworte“, die Texte und Buchbeiträge, die wahrscheinlich am häufigsten überblättert und am wenigsten gelesen werden, wie einer meiner Freunde und Autorenkollege an diesem „Trio infernale – Buchprojekt“ bemerkte. Trotzdem, ein Buch ohne „Vorwegwort“, ist ja eigentlich nur ein halbes Buch. Und jetzt gibt’s hier zu den drei bereits existierenden Vorworten jedes einzelnen Autors aus der 1.Auflage, gleich noch ein viertes zur bearbeiteten und vor allem erweiterten 2. Neuauflage dazu. Sei’s drum ...

Für uns drei befreundete Autoren der WEIHNACHTSWUNDERZEIT war es ein kleines Weihnachtswunder, dass unser erstes gemeinsames Werk im Erscheinungsjahr 2019 so einen guten Anklang gefunden hat. 12 eigene Geschichten haben wir zusammen getragen – einige haben schon früher an anderer Stelle das literarische Licht der Welt erblickt, andere erschienen zum ersten Mal – und viel Spaß bei der Arbeit am gemeinsamen Projekt gehabt und bis aufs Cover fast alles selbst gemacht. Waren dann im herausfordernden „Coronajahr 2020“ mit anderen Projekten und Dingen beschäftigt und haben uns im darauf folgenden Jahr eine erweiterte Neuauflage vorgenommen. Einen Relaunch mit zusätzlichen Texten. Jeder von uns dreien hat eine neue Geschichte geschrieben. Einige beeinflusst von der Corona-Krise, die aber auch in den Jahren danach noch Bestand haben dürften. Haben festgestellt, daß es im Inhalt gestalterisch doch einiges zu optimieren gibt, wir hier aber an unsere Grenzen stoßen und den Satz und die Gestaltung des Inhaltes dieser Neuauflage in die Hände der erfahrenen und für uns genialen Grafikerin Silja Dreyer gelegt, die auch schon das Cover und den Umschlag der Ursprungsausgabe gestaltet hat, das wir natürlich auch für diese Neuauflage beibehalten haben.

Uns drei, das „Trio Infernale“ – eine Gruppe junggebliebener, oft eigenwillig (andere sagen originell) denkender Theologen (die Beschreibung „Out-of-the-box-Theologen“ finden wir auch gut ) – eint die Hoffnung und Sehnsucht, einen besonderen, einen speziellen Advent zu erleben und eine Weihnachtszeit, die voller Wunder steckt, die es zu entdecken gilt.

„Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen – man weiß nie, was man bekommt“. Dieses mittlerweile berühmte Filmzitat aus „Forrest Gump“ kommt uns in den Sinn bei An- und Durchsicht des fertigen neuen Manuskriptes. Ihr und Sie haltet es in Buchform in der Hand. Alle Geschmacksrichtungen können vertreten sein. Aber da Pralinen kleine Meisterwerke sind, schmecken sie eigentlich alle gut. Auch wenn man persönlich natürlich geschmackliche Vorlieben hat. So wird es auch mit den Geschichten dieses Buches sein. Nicht jede Geschichte entspricht dem für einige wichtigen weihnachtlichen, manchmal klischeebeladenen „Schmuseideal“. Auch in der Advents- und Weihnachtszeit ereignet sich das ganz normale Leben. Und manchmal mögen wir es auch etwas schräg. Es kann sein, das einen eine Geschichte einmal nicht so sehr berührt oder erreicht. Dafür geht einem anderen Menschen genau bei diesem Text gerade ein Licht auf, das er schon lange ersehnte und das ihn auf seinem Weg stärkt. Oder er findet sie einfach nur schön. Und auch umgekehrt.

Kleine literarische Oasen, die in einer besonderen Zeit des Jahres zum Nachdenken, Meditieren, gerne auch Diskutieren und zum Schmunzeln anregen können.

Ihnen und Euch als Leserin und als Leser wünschen wir anregende Momente. Gesegnete Adventstage und -wochen, eine frohe Weihnachtszeit (die übrigens bis in den Januar hinein dauert) und mindestens jedes Jahr ein echtes Weihnachtswunder. Ruhig auch einmal mitten im Jahr.

Herzlichst

Das TRIO INFERNALE:

Frank Bonkowski, Thomas Klappstein, Mickey Wiese Bad Segeberg / Duisburg / Frankfurt a.M. - AD 2021

P.S.

Die eigentliche „Weihnachtswurzel“, die original Geschichten und Texte, von denen aus in unseren Herzen etwas angezündet wurde, was ein Blitzlichtgewitter in unseren Gehirnen auslöste, finden sich zum Nachlesen noch mal am Ende des Buches. Die Weihnachtsgeschichten nach Lukas und Matthäus, aus dem Neuen Testament der Bibel. Alle Geschichten, die wir je über Weihnachten geschrieben haben und schreiben werden, sind aus diesen beiden Wurzeln herausgewachsen. Die neutestamentlichen Weihnachtstexte sind die Wurzeln und unsere Geschichten sind quasi die bunten Triebe und Blüten.

Wer mag, kann die Originale auch gerne vorab lesen und sich dann den weiteren Geschichten widmen. Dann einfach das Buch auf den hinteren Seiten zuerst aufschlagen.

Wer hat an der Uhr gedreht? Ist es wirklich schon über 8 Jahre her, dass mein Freund Thomas mich gefragt hat, ob ich nicht einen ungewöhnlichen Blick auf Weihnachten werfen könne? Mit Weihnachten im Bordell ging die Reise damals los und Jahr für Jahr habe ich mich wieder erneut an ungewöhnliche Orte aufmachen dürfen, um auszuloten wie dieselbe alte frohmachende Botschaft von der Menschwerdung Gottes sich an unterschiedlichen Orten und Zeiten auswirken kann. Weihnachtswundernacht für den Brendow Verlag war eines der großartigsten Projekte, an denen ich mitwirken durfte. Was die ganze Sache noch besser gemacht hat war, dass ich darüber auch meinen Freund Frank kennengelernt habe. Als Trio haben wir in den letzten Jahren so viel miteinander erlebt, gelacht, gefeiert, tief und flach diskutiert ... Lieber Frank, lieber Thomas, ich hab euch total lieb! Und 7 Bände und einige Best of’s später war uns klar, dass wir nicht einfach aufhören wollen, weil auch das Wunder von Weihnachten nicht aufhört zu leuchten und jeden noch so dunklen Winkel einer Hölle auf Erden erleuchten will.

Mickey Wiese AD 2019

ACH! Drei Buchstaben, die so viel zum Ausdruck bringen können: Erstaunen, Überraschung, Enttäuschung, Entspannung, Begeisterung ...

„ACH! – endlich haben wir drei – das TRIO INFERNALE – es geschafft, unseren lange gemeinsam gehegten Wunsch in die Tat umzusetzen, zusammen ein Buch zu veröffentlichen“ so denke ich beim Schreiben meines Vorwortes. Viele Ideen sind in fröhlicher Runde zwischen meinen beiden Kollegen, vor allem aber Freunden Frank und Mickey und mir bewegt worden. Ernste und weniger Ernste. Auf gemeinsamen Wanderungen über die Frankfurter Buchmesse, dort beim Kaffee bei den Österreichern, beim „Äppelwoi“ in einer der kultigen Frankfurter Schänken oder beim Mickey am Frühstückstisch. Mit Frank in der Sauna. Bei Verlagen vorgestellt und wieder verworfen worden. Bis wir auf die eigentlich naheliegende Idee kamen, unser erstes gemeinsames Buch einfach zu dem Thema rauszubringen, was uns seit Jahren immer wieder literarisch in einer anderen Buchreihe zusammengeführt hat: kleinen Geschichten zum großen Fest, dass wiederum seinen Ursprung darin hat, dass ein Großer ganz klein wurde. Der Himmel hat die Erde berührt und der Schöpfer, Gott, wurde Mensch. Das hat alles verändert. Auch uns. Auch mich. Diese Weihnachtswunderzeit, an die wir jährlich erinnert werden, hat Einfluß bis heute. Davon handeln die Geschichten in diesem Buch. Dank an Frank und Mickey für vielen inspirierenden Begegnungen. Fröhliche Weihnachten für Euch. Und natürlich für Euch und Sie liebe Leserin, lieber Leser.

Thomas Klappstein AD 2019

„Ich hasse Weihnachten und alles was damit zu tun hat. Lametta, das Gehetze von einer Veranstaltung zur nächsten, selbst die Liste mit all den noch zu kaufenden Geschenken.“ So begann jedes Jahr ein Gespräch, in dem ein befreundeter Pastor mir sein Leid geklagt hat und ich konnte ihn verstehen.

„Ich hasse Weihnachten, weil es mich an meine Kindheit erinnert. Ich musste Heiligabend immer meinem Vater helfen Tannenbäume zu verkaufen. Wenn ich den dann bei Kunden in den obersten Stock geschleppt hatte, gab es fast immer eine Mandarine als Trinkgeld. Ich kriege bis heute keine Mandarinen runtergewürgt. Und wenn du endlich nach Hause kamst, dann schwamm da im Badezimmer immer ein Karpfen, in der Badewanne, der noch ermordet werden musste.“ Das erzählte mir ein befreundeter Musiker, bevor wir „Blue Christmas“ für ein Adventskonzert proben wollten und ich kann ihn auch verstehen.

Ich kann verstehen, warum so viele mit Weihnachten nichts anfangen können. Riesige Erwartungen, große Enttäuschungen, weil die gar nicht erfüllt werden können.Der Familienstreit, der daraus oft entsteht. Diese Adventszeit, die eigentlich mal als eine Zeit gedacht war, wo wir runterkommen und uns auf das was wichtig ist im Leben besinnen, die so unglaublich hektisch geworden ist.

Warum lieben wir drei trotzdem Weihnachten? Wir lieben alle drei gute Geschichten. Die Geschichte, dass Gott seinen Himmel verlässt und von einem armen, unterdrückten Pärchen in einer alten Scheune zur Welt gebracht wird. Ein Gott, der sozusagen einen menschlichen Anzug anzieht aus Fleisch und Blut und hier unten rumläuft und Menschen neue Hoffnung und Selbstwert gibt … Das ist ganz einfach eine großartige Geschichte, die wir drei selber erlebt haben und die uns immer wieder neu Hoffnung und Selbstwert gibt. Wir lieben es diese Geschichte so kreativ wie möglich weiterzuerzählen.

Für Mickey und mich hat Weihnachten in den letzten Jahren meistens Ostern begonnen, wenn wir von Klappy eine Erinnerungsmail bekommen haben, wann denn unsere Weihnachtsgeschichte bei ihm landen würde. Also haben wir oft in den Osterferien über Weihnachten nachgedacht. Irgendwie passend. Diese Idee, dass aus Kaputtem, Kleinem, sogar Totem, wunderschönes, neues Leben, Auferstehung passieren kann. Darum lieben wir diese Weihnachtsgeschichte und dass wir nun zu dritt, als Trio Infernale dieses Buch rausbringen können, ist sozusagen das Sahnehäubchen auf dem Weihnachtskuchen.

Frank Bonkowski AD 2019

WEIHNACHTEN IM LINIENBUS

Von Mickey Wiese

Die Linie 776 war eine besondere Buslinie. Ihre Fahrer waren Busfahrer aus Berufung und Leidenschaft, manche schon in der 3. Generation. Zumindest half ihnen diese Betrachtungsweise über die schlechte Bezahlung und die mangelnde Wertschätzung ihres Berufsstands in der Bevölkerung hinweg. Der ganzen Bevölkerung? Nein. Diejenigen, die noch mit den Herzen sehen konnten, sahen bisweilen auch noch etwas Anderes in diesen Männern. Vor allem die Kinder fuhren immer wieder gerne mit.

Manchmal verabredeten sie sich sogar dort im Bus, um ein paar Runden zu fahren, mit den Fahrern zusammenzusein und mit ihnen zu reden, weil die immer freundlich zu ihnen waren und zuhörten. Und mit der Zeit wurden die Busfahrer der Linie 776 so immer mehr zu modernen Hirten, die auf ihre Herde aufpassten und schauten, dass es allen gutgeht.

Sie fuhren vorsichtig, wenn sie sahen, dass auf der letzten Bank Hausaufgaben gemacht wurden oder eine alte Dame noch keinen Sitzplatz gefunden hatte.

Die Strecke des 776ers führte durch moderne Hochhaussiedlungen und alte Dorfkerne, soziale Brennpunkte, öde Landschaften, an der Gesamtschule vorbei, in die die meisten Kinder der Gegend gingen, bis hin zu einem großen Einkaufszentrum.

Dragan Müller war einer der Fahrer. Er war ein gläubiger Mensch und hätte viel lieber die Linie 777 gefahren, aber die fuhr mittlerweile nur noch im Tal der Reichen, und nicht jeder durfte dort ans Steuer. Dragan gehörte jedenfalls nicht dazu. Dazu hatte er schon zu oft Ärger gehabt. Unter anderem auch immer wieder, weil er sich den Kindern gegenüber freundlich zeigte, ihnen Geschenke machte, sich mit ihnen sehr privat unterhielt und Außenstehende das des Öfteren als Grenzüberschreitungen empfunden hatten. Dabei haben sie seine Motivation komplett missverstanden. Aber sie konnten ja nicht wissen, wo er herkam, und dass im Balkankrieg seine Geschwister und sein Vater vor seinen Augen und denen seiner Mutter erschossen worden waren. Seine Mutter Snejana und er hatten nur fliehen können, weil sein Vater sich im Todeskampf über sie geworfen und die Angreifer sie für tot gehalten hatten. Danach waren sie durch die Wirren des Kriegs über dunkle Transportkanäle fast ein ganzes Jahr lang nach Deutschland geflohen.

Da war Dragan 7 Jahre alt gewesen. Als er 8 geworden war, hatte seine Mutter an Weihnachten den Busfahrer Martin Müller kennengelernt. Die beiden heirateten, und Martin war Dragan ein guter Vater geworden. Auch darum war Dragan Busfahrer geworden – nicht nur wegen dem vergeigten Hauptschulabschluss.

Durch seine Geschichte hatte Dragan immer einen besonderen Blick für Kinder, denen es nicht so gut ging, die Mangelerfahrungen im weitesten Sinne hatten. Und aus denen setzten sich hauptsächlich die Fahrgäste der Linie 776 zusammen. Sie trafen sich sozusagen in ihrem externen Kinderzimmer als einem sicheren Raum.

Das Ungewöhnlichste waren sicherlich alljährlich die Feiertage, allen voran Weihnachten. Feiertage bescherten den Familien, zumindest in dieser Gegend, neben Rührseligkeit vor allem auch ein erhöhtes Konfliktpotential. So fuhren einige Busfahrer an Weihnachten heimlich Sonderschichten, die sie eigentlich nicht fahren durften. Die Busfahrgesellschaft wusste inoffiziell davon. Sie sagten zwar nichts dazu und ließen die Fahrer gewähren, weil sie spürten, dass hier etwas Besonderes geschah. Trotzdem fuhren alle diese Sonderschichten auf eigenes Risiko.

Sie fuhren ihre normale Strecke und sammelten all die Kinder und Erwachsenen ein, die zu Hause nicht klar kamen, die den Eltern ungehorsam waren, die Stress hatten, deren Liebe erkaltet war, die einsam waren. Eben alle die, von denen die Bibel sagte, dass sie das Reich Gottes nicht erben werden. Aber Dragan und seine Kollegen erinnerten sich immer gerne an das muslimische Sprichwort: „Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss der Prophet eben zum Berg kommen.“ So wurde der Bus alle Jahre wieder zum Stall, zu einer mobilen Weihnachtskrippe, und brachte die Fahrgäste nicht mehr irgendwohin, sondern alle waren schon angekommen, während sie noch fuhren.

Auf dem Armaturenbrett stand auch dieses Jahr ein kleiner Weihnachtsbaum aus Plastik, der bunte Botschaften des Lichts lustig in die Nacht blinkte. An die Seitenfenster hatten die Fahrgäste selbstgebastelte Strohsterne, Lametta, goldene Heiligenbildchen und alles andere angeklebt, das sie mitgebracht hatten. In den Halteschlaufen für die Stehplätze hingen über den Fahrgastraum verteilt Wunderduftbäumchen in den Duftnoten Tannenbaum, Weihrauch und Myrrhe. Und zusammen mit den von diversen Buffets gestohlenen Plätzchen und Kuchenstücken ergab das eine seltsam wunderliche Weihnachtsstimmung.

Alle waren sie da, die üblichen Fahrgäste, und feierten miteinander ausgelassen und sangen fröhlich das einzige Weihnachtslied, das sie aus den Supermärkten und dem Radio kannten: Oh Tannenbaum, 1. Strophe. Und an jeder Haltestelle stiegen noch mehr ein.

Nur einmal, als an einer Haltestelle Hermann Hodes, der unter den Fahrgästen gefürchtete Leiter des Jugendamts, einsteigen wollte, der schon viele Familien durch obskure Inobhutnahmen zerstört hatte, tat Dragan so, als habe er nichts gesehen und fuhr einfach weiter.

An der nächsten Haltestelle stieg eine Gruppe Astrologen zu, die nach Fernsehaufnahmen im abgelegenen Studio eines Privatsenders den regulären Bus verpasst hatten. Sie waren sofort angetan von der feierlichen Atmosphäre im Bus und den Geschichten, die ihnen die Fahrgäste darüber erzählten. Und so ließen sie es sich nicht nehmen, auch ihrerseits von Träumen und Hoffnungen für die Menschen zu erzählen, die, wie sie sagten, in den Sternen standen. Kurz bevor sie wieder aussteigen mussten, brachten sie den Fahrgästen noch das beliebte Weihnachtslied von Alfred H. Zoller bei: „Stern über Bethlehem, zeig uns den Weg“, und wünschten allen noch viel Licht auf ihrem Weg durch die Dunkelheit.

Und dann geschah es. Einfach so. An einer einsamen Haltestelle, an der eigentlich noch nie jemand zugestiegen war, stand plötzlich eine Gruppe Männer im Bus, als sei sie hereingebeamt worden. Sie trugen zerlumpte Mäntel, ihr Gang war gebeugt. Aber wenn sie sich unbeobachtet glaubten, dann strahlte jeder Zentimeter ihrer Körperhaltung Würde und etwas Heroisches aus. Unter den Mänteln konnten die kleineren Kinder bei mancher unbedachten Bewegung der Männer dazu auch noch glänzende Rüstungen hervorschimmern sehen. Ganz geheuer war ihr Auftreten den Fahrgästen auf jeden Fall nicht. Die Situation rettend, öffnete der größte der merkwürdigen Männer schließlich den Mund und sagte: „Habt keine Angst. Auch wenn wir etwas gewöhnungsbedürftig aussehen, sind wir doch einfach nur unterwegs, um zu einem besonderen Gottesdienst einzuladen, der heute Nacht im alten ehemaligen Supermarkt stattfindet.“

Den Supermarkt kannten die Älteren der Fahrgäste noch. Er lag im Schatten dreier riesiger Hochhaussilos mit jeweils 120 Mietparteien und hatte vor ein paar Jahren Pleite gemacht. Vor kurzem hatte dann eine freie christliche Gemeinde den Supermarkt gemietet und hielt nun dort ihre Gottesdienste ab. Und damit es ein wenig mehr nach Kirche aussah, hatten dann die katholischen Pfadfinder des Orts kürzlich einen Holzglockenturm auf dem Dach des Supermarkts errichtet.

Im Weihnachtsgottesdienst der Gemeinde sollte heute Nacht ein Ehepaar davon berichten, dass sie heute Vormittag ein Kind bekommen hatten. Das Ehepaar, Traugott und Maria Josephsson, kannten sie auch alle. Seit 13 Jahren versuchten die schon ein Kind zu bekommen, aber außer Fehlgeburten und einem Haufen Schulden wegen teurer, aber nutzloser Befruchtungsmethoden, war nichts geschehen. Aber sie hatten nie aufgegeben und waren dadurch für viele in der Gegend zum Beispiel für Durchhaltevermögen geworden.

Dass Maria jetzt aber endlich schwanger geworden war, hatte niemand aus der Gegend mitbekommen. Wenn sie genau darüber nachdachten, hatte sie sich in der letzten Zeit immer mehr zurückgezogen. Und jetzt sollte es geklappt haben? Das würde ja wohl einem Wunder gleichkommen. Das mussten sie sich unbedingt ansehen.

Aber bevor Dragan und seine Fahrgäste die Männer nach den näheren Umständen fragen konnten, waren die schon wieder ausgestiegen. Und während die Männer in ihren mit Lumpen verhüllten Rüstungen in der Dunkelheit entschwanden, hätte manch einer der Fahrgäste schwören können, dass sie dabei gar nicht den Boden berührten, und andere sahen, dass eine leicht glimmende Aureole sie umgab. Aber diese Wahrnehmung hätte natürlich auch dem Vorglühen geschuldet sein können.