Weisheit der Runen - Árpád Baron von Nahodyl Neményi - E-Book

Weisheit der Runen E-Book

Árpád Baron von Nahodyl Neményi

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Beschreibung

Die Runen, die Zauberzeichen der Germanen, faszinieren uns bis heute, doch geben sie uns auch immer noch Rätsel auf. Dieses Buch bringt eine verständliche Deutung der Runen unter Einbeziehung aller historischer Quellen und ist als praktische Anleitung für das Runen-Orakel und die Verwendung der Runen als Schrift gedacht. Auch wie man seine persönlichen Schlüsselrunen findet und wie man sich Einstabrunen und daraus Zauberzeichen selbst machen kann, erfährt man hier. Das Buch ist leichtverständlich und offenbart die wirkliche Esoterik der Runen ohne haltlose Spekulationen.

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Inhalt

Vorwort

Die Runenreihe

Runen und Götterglaube

Vorbereitungen zum Runenlosen

Runenstäbe aufladen

Ablauf des Runenwerfens

Runenbedeutung

Deutungsbeispiele

Runenwürfel

Runen als Schrift

Schlüssel- und Namensrunen

Runenstellungen

Runen im Jahreskreis

Runeninschriften

Vorwort

In diesem Buch möchte ich Ihnen die Runen, die magischen Zauberzeichen der Germanen, näherbringen und in verständlicher Weise beschreiben; die historischen Quellen werden dabei berücksichtigt, aber nicht im Wortlaut angeführt, denn es soll kein wissenschaftliches Buch über Runen sein, sondern eine leichtverständliche Anleitung. Aber es soll auch kein esoterisches Buch sein, wenn „Esoterik“ gleichzeitig bedeutet, eindeutige Quellen zu ignorieren und durch wilde Spekulationen zu ersetzen. Alle hier getroffenen Schlußfolgerungen fußen auf den historischen Primärquellen, die ich schon in meinem heute vergriffenen Buch „Heilige Runen – Zauberzeichen des Nordens“ (Ullstein 2004) vollständig im Wortlaut angeführt hatte. Dieses Buch mit 464 Seiten war für Runen-Neulinge nicht leicht zu verstehen, und deswegen war lange in der Planung, ein kürzeres, leichter verständliches Buch herauszubringen, was ich hiermit nun tue. Auch wenn ich auf die Anführung der Quellen weitestgehend verzichte, fußt der Inhalt dieses Buches dennoch auf diesen Quellen und gibt nichts vor, was den Quellen widerspricht.

Für die Runenforscher beginnt die Zeit der Runen vor nicht ganz zwei Jahrtausenden; sie interessieren sich nur für die Runen als Laut- und Schriftzeichen, nicht aber für die Runen als Bild- und Kultzeichen. Es stimmt, Runen wurden erst in diesen 2 Jahrtausenden auch als Schriftzeichen, vergleichbar dem lateinischen ABC, verwendet, und vielleicht waren Römer mit ihrer Schrift den Germanen Vorbild, es mit den Runen genauso zu machen. Aber vor dieser Zeit gab es die Runen auch schon als Zauberzeichen, und diesen Teil der Runengeschichte blenden die Runenforscher unver­ständlicherweise bis heute aus. Ja, sie sprechen sogar ganz bewußt nicht von Runen, sondern von „vorrunischen Begriffszeichen“; sie sprechen also eindeutigen Runen überhaupt ab, „Runen“ zu sein. Ich mache das nicht, in meiner jetzt 38 Jahre lang währenden Zeit der Beschäftigung mit Runen und germanischer Religion und Mythologie habe ich die Erkenntnis gewonnen, daß man manches, was die Forscher seit Jahren definiert haben, durchaus in Frage stellen kann und manchmal sogar muß. Wenn sich eine einzelne Rune auf einer Bronzezeit-Urne findet, dann werde ich dieses Zeichen auch als Rune bezeichnen, zumal wenn es einer späteren Rune völlig gleicht.

Ich werde auch die Runen in keiner Weise mit dem 3. Reich in Verbindung bringen oder davon distanzieren, denn daß uralte germanische Kultzeichen, die von den Göttern gekommen sind, nichts mit irgendwelchen politischen Regimen unserer Jahrhunderte zu tun haben können, die vielleicht einzelne Zeichen mißbraucht haben, ist jedem intelligenten Leser klar.

An dieser Stelle geht es darum, eine gute Anleitung zur Verwendung der Runen zu geben, ohne deswegen ungenau zu werden oder den Quellen zu widersprechen. Dieses Buch ist also eine Essenz aus den Überlieferungen und baut auf das vorhandene Wissen über die Runen auf. Dabei bleiben hier nur zwei Bereiche unberücksichtigt, nämlich die Verwendung der Runen im Zauber und die Mythen der Runenherkunft. Diese Themen hätten das Buch unnötig verteuert und sind für die meisten Leser weniger interessant.

Das Buch möge helfen, dieses interessante Gebiet näher kennenzulernen und den Geheimnissen der Runen und Götter näherzukommen.

Bad Belzig, Herbst 2020

Kapitel 1

Die Runenreihe

Seit zwei Jahrtausenden sind die Runen gut bezeugt als magische Schrift- und Bildzeichen der Germanen, unserer Vorfahren und Vorfahren der meisten Menschen in Nord-Amerika, Nord-Europa und Australien. Die Wikinger, die zu den Nordgermanen gehören, brachten die Runen mit nach Amerika, was wir mit Sicherheit annehmen können, auch wenn der berühmte Kensington-Runenstein wohl unecht ist. Die Runen entsprechen unserer Mentalität also mehr als andere Schriften, und sie faszinieren uns wegen der mit ihnen verbundenen Geheimnisse und wegen ihrer magischen Bedeutung und Wirksamkeit. Das Wort „Rune“ bedeutet „geraunter Zauber“ und „Geheimnis“ und ist mit unserem deutschen „raunen“ verwandt. Damit ist nicht nur das jeweilige Zeichen allein gemeint, sondern auch der damit verbundene leise geraunte Zauber, wozu auch der jeweilige Runenname selbst gehört.

Erst ab der Zeitenwende vor 2 Jahrtausenden wurden die Runen auch wie Schriftzeichen genutzt. Einzelne kurze Wörter, meist magische Namen, finden sich auf Waffen oder Gegenständen. Aber schon lange zuvor wurden einzelne Runenzeichen als Zauberzeichen gebraucht, nachweisbar schon seit der Steinzeit. Schon auf Urnen finden sich Runenzeichen, allerdings noch nicht als Lautzeichen (Buchstaben), sondern als Begriffszeichen. Ein Zeichen steht also noch nicht für einen Buchstaben und man kann etwas lesen, sondern für eine ganze Gruppe von zusammengehörigen Begriffen. Die wissenschaftliche Runenforschung beschäftigt sich ausschließlich mit den Runen als Schriftzeichen der vergangenen 2000 Jahre. Uns hingegen interessieren die Runen zuerst als Los- und Zauberzeichen, wie sie von Anfang an verwendet wurden.

Woher stammen die Runen? Die Forscher rätseln darüber immer noch und sind sich nicht einig. Einige vermuten irgendein südliches Alphabet als Vorlage, können sich aber nicht einigen, welches das gewesen sein soll. Auch die einheimische Herkunft hat man zumindest für einzelne Runenzeichen angenommen.

Der Mythos wie er in der Edda, der altisländischen Sammlung von nordischen Götter- und Heldenliedern, erhalten ist, besagt, daß es der Weisheitsgott Odin (Wodan) war, der die Runen in einem magischen Ritual erfand oder erkannte und sie dann später auch einzelnen Menschen lehrte. Auch der Mondgott Heimdallr gilt nach der Edda als ein Vermittler der Runen an die Menschen.

Die Runen galten daher wegen ihrer göttlichen Herkunft als heilige Zeichen, und auch wir wollen sie entsprechend behandeln. Runen sind nicht dafür da, um profane Dinge aufzuschreiben.

Die Runen stehen – ähnlich wie die Buchstaben unseres heutigen Alphabets – in einer bestimmten Reihenfolge. Diese Reihenfolge kennen wir, weil es verschiedene Inschriften gibt, wo alle Runen in ihrer Reihenfolge stehen. Ein Beispiel dafür ist die Steinplatte von Kylver, Gotland, Schweden aus der Zeit um 350 bis 400 (Abb. 1). Die Runenreihe dort sollte die magische Kraft aller Runen beschwören. Es findet sich dazu noch ein einzelnes Runenwort („sueus“), welches von der Mitte aus in beide Richtungen gelesen werden muß und dann „eus“ („Pferd“) bedeutet. Daneben ist auch noch ein heute verwitterter Pferdekopf in den Stein geschlagen. Und dann erkennt man am Ende der Runenreihe ein eigenartiges Baumzeichen, welches links sechs, rechts acht Äste hat. Man deutet es als geheimen Hinweis auf die sechste Rune von hinten, die Rune Ehwaz („Pferd“) und die achte Rune von vorne, Wunjo („Wonne“, auch der Gott Wodan). Wollte der Runenritzer damit erreichen, daß die Seele des hier Verstorbenen mit dem Pferd nach Walhall zu Wodan gelangt?

Es gibt noch viele weitere Runenfundstücke, wo die ganze Runenreihe zu finden ist, z. B. das Brakteat 22 von Vadstena, Östergötland, 1. Hälfte des 6. Jh. (Abb. 39, S. →), dazu aus späterer Zeit auch noch Handschriften, die die Reihe auflisten.

Abb. 1: Steinplatte von Kylver, Gotland 350-400 u. Zt.

Abb. 2: Die ältesten Runenformen mit ihren Varianten.

Die ältere, bei allen germanischen Stämmen einheitliche Runenreihe hat 24 Runen. Die Abb. 2 zeigt die ältesten Runenformen mit ihren Varianten und Lautwerten.

In Skandinavien verkürzte sich diese Reihe in der Zeit ab dem 7. und 8. Jh. auf 16 Runen; 8 Runen waren im Norden inzwischen außer Gebrauch gekommen. In England wurde die Reihe hingegen um einige Runen erweitert; dort hatte man ja ursprünglich auch die alte Runenreihe von 24 Runen. Als dann die Normannen nach England kamen, brachten sie ihre Runen der verkürzten Reihe mit, die man nun einfach hinten anhängte. Uns soll hier zuerst nur die ältere Reihe beschäftigen, da sie noch ursprünglicher ist und alle Runen der jüngeren Reihe mit beinhaltet, aber 8 Runen mehr hat. Damit ist z. B. ein Losen etwas genauer möglich; ein Schreiben heutiger Namen und Begriffe ist einfacher als mit der verkürzten Runenreihe der Skandinavier. Diese wurde übrigens später (um 1000) um drei weitere Runen ergänzt, weil man 19 Runen für die goldene Zahlenreihe der Runenkalender brauchte.

Wenn man Runen verwenden will, ist es notwendig, sie kennenzulernen. Jede Rune hat einen Namen und Begriffswert, eigentlich eine ganze Gruppe von Begriffen. Die Namen der Runen aus der Zeit um das Jahr 1000 sind in verschiedenen mittelalterlichen Handschriften aufgeführt; daraus haben Runenforscher die Runennamen rekonstruiert, wie sie vor etwa 2000 Jahren gelautet haben. Diese erschlossenen Namen verwende ich hier in diesem Buch.

Eine Rune, wie die erste Rune mit dem rekonstruierten Namen Fehu, steht für den Begriff Vieh, Viehbesitz, aber dann auch desweiteren für Fahrhabe (beweglicher Besitz), Reichtum, Geld, Gold. Aber mit der Zeit bekamen die Runen zusätzlich zu ihrem Begriffswert auch einen Lautwert, wie unsere heutigen Buchstaben. In der Regel wurde dabei der Anfangsbuchstabe des Runennamens zum Lautwert der Rune. Die Rune Fehu also konnte nun auch den Buchstaben „F“ bedeuten, wenn man sie zum Schreiben verwenden wollte. Außerdem hat jede Rune eine bestimmte Stellung in der Reihenfolge der Runen. Die Rune Fehu ist z. B. die erste Rune in der Reihe (wie das A im ABC); deswegen kann diese Rune auch einfach für die Zahl „1“ stehen.

Jede Rune hat also drei Bereiche, und bei unserer Beispielsrune Fehu sieht das dann so aus:

Runenname: Fehu (Vieh, Fahrhabe, Besitz usw.)

Runenlaut: f

Runenzahl: 1

Viele Runen stehen auch für eine germanische Gottheit, doch ist dies nicht immer klar. Es gibt in der Runenreihe 24 Runen, die in einer genau festgelegten Reihenfolge stehen. Nach den Lautwerten der ersten sechs Runen dieser Reihe nennt man die ganze Runenreihe „Futhark“ (f-u-th-a-r-k).

Wenn man eine Runeninschrift lesen will, dann liest man die Runen nach ihren Lauten; nur wenn sich dabei kein Sinn ergibt, deutet man Runen auch nach ihrer jeweiligen Bedeutungsgruppe.

Wenn wir Runen verwenden wollen, müssen wir uns die 24 Runenzeichen genau merken; dazu müssen wir ihren jeweiligen Namen und Begriffsbereich kennen. Es wäre auch gut, wenn wir darüber hinaus ihren Laut und ihren Zahlwert kennen würden, doch ist das für das Losen nicht so wichtig. Die Form der jeweiligen Rune, die Namen und Bedeutungen der einzelnen Runen sollten wir auswendig lernen. Das ist nicht allzu schwer, denn wenn man die Namen der Runen kennt, erschließen sich die Begriffsbereiche fast von selbst.

Die 24er Runenreihe ist unterteilt in drei Gruppen oder Achterreihen (Aettir); auch die jüngere Runenreihe hat so eine Unterteilung, obwohl es dort gar nicht mehr acht Runen je Gruppe gibt. Die aus dem 17. Jh. überlieferten Namen für diese Achterreihen bei der jüngeren Runenreihe, nämlich Freyrs Aett, Hagals Aett und Tyrs Aett, kann es noch nicht in der älteren Reihe gegeben haben, da der Fruchtbarkeitsgott Freyr in dieser Zeit Ingwaz hieß und die Anrede „Freyr“ (= Herr) noch nicht in Gebrauch war. Jedenfalls liegt die Annahme nahe, daß die Achterreihen der älteren Runenreihe auch Namen trugen und auf die drei Hauptgötter bezogen wurden: „Wodans Acht“ (die ersten 8 Runen), „Donars Acht“ (die Runen 9 bis 16) und „Tius Acht“ (die Runen 17 bis 24).

Die Tabelle auf der nächsten Seite zeigt die 24 Runen des älteren Futharks mit ihren Namen, Lautwerten und Zahlen:

Abb. 3: Tabelle der älteren Runenreihe mit Namen, Zahl- und Lautwerten.

Jede einzelne Rune als magisches Zeichen stellt irgendetwas dar, doch wissen wir in vielen Fällen nicht genau, was die jeweilige Rune darstellt.

Um das einer Rune ursprünglich zugrundeliegende Bild zu erkennen, müssen wir uns mit dem Material beschäftigen, auf das die Runen eingeritzt wurden, dem Holz. Denn die Runen wurden nicht geschrieben, sondern geritzt. Noch heute steckt in unserem Wort „to write“ das Wort „ritzen“ und der deutsche Begriff „Buchstabe“ bedeutet wörtlich „Buchenstab“, weil auf einem Stab aus Buchenholz die Rune eingeritzt wurde. Um auf Holzstäbchen Runen ein­zukerben mußte man waagerechte Linien weglassen oder abschrägen, denn sie verlaufen mit der Faser des Holzes, und wenn man waagerecht ritzt, kann das Holz leicht splittern. Aus diesem Grunde wurden die alten magischen Bildzeichen zuweilen um 90 Grad gedreht, also senkrecht gestellt. Wenn wir die Rune also zurückdrehen, können wir eventuell das ihr zugrundeliegende Urbild wieder erkennen:

Wenn wir die erste Rune Fehu um 90 Grad nach links drehen, dann können wir mit ein wenig Phantasie in ihr einen von links nach rechts fliegenden Vogel erkennen, der von der Seite zu sehen ist. Vermutlich handelt es sich übrigens dabei entweder um einen Adler, oder einen Raben, heilige Vögel des Gottes Woden. Diese Deutung wird auch dadurch unterstützt, daß in einem schwedischen Runenlied der Runenname dieser Rune „Fugl“ (= Vogel) lautet. Aber in einem isländischen Runenzauber wird die Rune als „ungeschnittene Ähre“ charakterisiert. Wir müssen also feststellen, daß es schon früher verschiedene Deutungen gab, welches Urbild von der jeweiligen Rune dargestellt wurde.

Deutungen sind immer unsicher; die Fehu-Rune kann auch einfach einen Baum darstellen. Selbst als Rinderkopf mit zwei Hörnern haben Forscher das Zeichen schon gedeutet; Esoteriker wollten einen Mann mit aufgerichtetem Phallus erkennen usw.

Ich werde bei der Einzeldeutung der Runen auf überlieferte und erschlossene Urbilder eingehen, sofern sie überzeugend sind.

Kapitel 2

Runen und Götterglaube

Die Bezeichnung „Runenorakel“ ist irreführend, denn die Runen sind viel mehr als ein bloßes Herumorakeln. Mithilfe von richtig ausgeführtem Runenlosen kann man mit den Göttern in Verbindung treten. In den Runen sind Götterkräfte enthalten bzw. werden mit den Runen für uns aktiviert. Die Vorstellung einer tatsächlichen Existenz von Göttern und Geistern ist also notwendig, um die Runen zu verstehen und zum Losen verwenden zu können. Denn die Götter antworten nur denen, die Sie auch in ihr Weltbild einbeziehen, die zu Ihnen beten und Sie um Antworten fragen.

Im Mythos, wie er in der altisländischen Liedsammlung der Edda enthalten ist, ist es der Gott Odin (Wodan), der als er jung war, die Runen erkannte oder entdeckte. Odin begab sich zu seinem Lehrmeister, den weisen Zwerg Mimir, und mußte sich 9 Tage und Nächte an einem Ast der Weltesche aufhängen. Dabei durfte er nicht essen und nicht trinken. Auf diese Weise wurde eine Trance herbeigeführt, und Odin erkannte in den unter ihm liegenden Zweigen die Runen. Nun durfte er sich auf die Erde begeben und von dem magischen Zaubertrank Odrörir trinken. Die Zweige, in denen Odin die Runen erkannte, hatte sein Lehrmeister Mimir unter dem hängenden Gott ausgebreitet. Den Zaubertrank hingegen hatte Odin selbst aus dem Reich der Riesen beschafft; das war eine seiner Initiationsaufgaben. Aber er durfte den Trank noch nicht trinken; er schluckte ihn nur und brachte ihn in der Gestalt eines Vogels zu den Göttern, wo er ihn in bereitgestellte Gefäße spie. Denn auch der Gott mußte sich erst das Recht verdienen, den Zaubertrank trinken zu dürfen.

Die Abb. 4 zeigt den einäugigen Gott Wodan am Jagdfries der Außenwand der Kirche zu Königslutter. Die Sage bringt die Jagdfriesdarstellungen mit „Wuotan“ in Verbindung.

Den Mythos der Initiation des Gottes Odin nahmen die Menschen sich zum Vorbild, und Männer, die Runenzauberer werden wollten, hängten sich in ähnlicher Weise, in einer Haut sitzend an einen Baum im Heiligtum, um so in Trance zu kommen. Sie durften dabei weder trinken noch essen, auch nicht schlafen. Darauf deutet eine Inschrift des Steines von Reistad, Agder, Norwegen, um das Jahr 500, wo der Runenmeister sich selbst so nannte: „Ich, der Wache [wakraz] unternahm das Ritzen“ (siehe S. →). Da „Vakr“ (der Wache) auch ein Name des Gottes Odin ist, scheint das Wachbleiben ein Bestandteil des Initiationsrituals gewesen zu sein. Das Fasten, welches in der Edda von Odin bei seiner Runeninitiation erwähnt wird, wurde von den Menschen wahrscheinlich nicht ganze neun Tage und Nächte geübt, wie der Gott es im Mythos tat, sondern wohl nur drei. Außerdem durfte der Einzuweihende nicht sprechen; für notwendige Verständigungen mit dem Einweihungsmeister standen die Klopfrunen zur Verfügung, eine in Handschriften überlieferte Art der Verschlüsselung der Runen: Ein erstes Klopfen gibt die Gruppe (das Aett) der Rune an, ein zweites Klopfen deren Stellung im Aett. Bei der Gruppe wurde oft rückwärts gezählt (nicht immer), d. h. die 3. Runengruppe (beginnend mit Tiwaz) galt dann als die erste. Die Fehu-Rune wäre danach also die 1. Rune in der 3. Gruppe; es wird dann zuerst drei Mal geklopft für die Gruppe, dann eine kurze Pause, und dann wird ein Mal geklopft – das ist die Rune Fehu als Klopfrune.

Abb. 4: Wuotansdarstellung am Jagdfries an der Außenseite der Kirche von Königslutter im Elm, Kreis Hannover (Niedersachsen). Photo: H. Zippel

In einer anderen Schilderung in der Edda erfahren wir von der Walküre Sigrdrifa, welche Runenweisheit zusammen mit ethischen Regeln ihrem Schützling Sigurd lehrte. Sigurd ist der Held, den die deutsche Sage als Siegfried kennt. Er tötete den Drachen und beschaffte den Nibelungenschatz. Siegfried hat es tatsächlich gegeben; es ist der 575 ermordete ostfränkische König Sigibert I., aber auch Vorstellungen von Arminius sind wohl mit in die Sagenfigur Siegfried/ Sigurd eingeflossen.

Eine dritte Geschichte der Edda handelt von dem Gott Heimdallr, der mit drei Menschenpaaren Nachkommen erzeugt, von denen die drei Stände abstammen. Dem Sohn des Standes der Edlen lehrt der Gott die Runen, so daß er nun am Ende König werden kann.

Odin ist der Schöpfergott, Gott der Weisheit, Gott der Seelen, des Sturmes, der Belebung und des Todes, Gott des Zaubers und der Ekstase. Er wird in Indien unter dem Namen Rudra oder Shiva noch heute verehrt und entspricht dem Gott-Vater der Christen.

Heimdallr ist der Gott des Mondes und der Gott des Wissens, denn der Mond ist der erste Wissenschaftler, da er seine Kinder, die Sterne, zählen muß. Bei den Germanen wurde er auch Mannus