Weißwurst für Elfen - Bettina Brömme - E-Book

Weißwurst für Elfen E-Book

Bettina Brömme

4,8

Beschreibung

Natascha, Ende zwanzig und ziemlich dick, fristet ihr Dasein in einer angesagten Eventagentur. Doch dann erfüllt sich für die Münchnerin ein Traum: Durch einen Blitzschlag tauscht sie den Körper mit ihrer schlanken, attraktiven - und ziemlich verhassten - Kollegin Li. Aller Gewichtsprobleme entledigt macht sich Natascha auf, endlich ihren charmanten Chef Wim zu erobern. Der sich als Problem erweist. Genauso wie die Aufgabe, die neu gewonnene Traumfigur zu hegen und zu pflegen. Aber auch Li fühlt sich in ihrer neuen Haut alles andere als wohl. Bis sie merkt, dass es nicht nur auf Äußerlichkeiten ankommt …

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Cover

Titel

Bettina Brömme

Weisswurst für Elfen

Roman

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Ausgewählt von

Claudia Senghaas

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2011–Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 07575/2095-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2011

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/Korrekturen: Julia Franze/René Stein

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung der Fotos von © Irum / sxc.hu und

»rote pumps high heels« von © Kramografie / fotolia.de

ISBN 978-3-8392-3670-3

1. Hassen

Verbrauch: 987 Kalorien

Sie war schön. Wunderschön. So richtig wunderschön. Ich wusste sofort, ich würde sie hassen.

Meine Finger krampften sich um die Butterbrezel und ich bemerkte nicht, wie hunderte kleiner Salzkörnchen für immer zwischen den Ritzen meiner Computertastatur versanken.

Die Frau, von der ich mir wünschte, dass sie mir bis zum Ende meines Lebens vollkommen unbekannt geblieben wäre, sah angeekelt auf meine mit Butter verschmierten Hände.

Feierlich sagte nun Wim: »Natascha, darf ich dir deine neue Kollegin vorstellen: Das ist Elisabeth Kraska, sie arbeitet ab heute mit uns. Also, herzlich willkommen, Elisabeth!«

Die Brezel entglitt meiner Hand, während Wim diese Neuzeit-Aphrodite an den Schreibtisch geleitete, der meinem direkt gegenüberstand.

Ich würde sie nicht nur kennenlernen, ich würde sie den ganzen Tag anschauen müssen.

Mechanisch nahm ich das Kauen meines etwas verknitterten Laugengebäckstücks wieder auf, während ich fischstumm beobachtete, was weiter geschah.

Aphrodite setzte sich mit einer eleganten Bewegung auf den Bürostuhl und sah demütig zu Wim hinauf. Sie öffnete den Mund – vielleicht hatte sie die krächzende Stimme eines Raben? – und flötete engelsgleich: »Danke schön. Sagt doch bitte ›Li‹ zu mir. So nennen mich alle meine Freunde.«

Beinahe wäre mir die Butterbrezel wieder hoch gekommen. Ich hustete wild und fuchtelte mit den Armen, wobei ich den Kakao-Tetrapak neben meiner Computertastatur gefährlich zum Schwanken brachte. In letzter Sekunde erwischte ich ihn und begann, hektisch am Strohhalm zu ziehen. Wim schmunzelte.

»Natascha gehört hier quasi schon zum Inventar«, erklärte er Aphrodit-Li nun nonchalant. »Gell, Natascha?« Am liebsten hätte ich mit »Wuff« geantwortet, nickte aber nur und zog erneut am Strohhalm, was ein gurgelndes Schmatzen verursachte.

Wim ließ sich auf Lis Schreibtischkante nieder und sein Blick glitt so unverhohlen in ihr Dekolleté, dass ich rot anlief. Li dagegen blickte ihm sphinxhaft schweigend ins Gesicht. Wim räusperte sich.

»Also, wenn du Fragen hast – wende dich an Natascha, sie kennt den Laden und wird dir sicher gerne weiterhelfen. Oder, Natascha?«

Sein kurzer Blick zu mir hinüber war gemein. Hundsgemein. Dieses ganz leichte, schelmische Lächeln, das kleine feine Fältchen neben seine Mundwinkel zauberte, das markante Kinn noch markanter erscheinen ließ und die grauen Augen zum Leuchten brachte, sodass er wie ein Siebenjähriger aussah, der heimlich den Schokopudding aufgegessen hat und dem man so gerne eine Standpauke halten würde, es aber einfach nicht hin bekommt: dieser »Wim-macht-Natascha-schwach«-Blick. Montagmorgens war ich diesem Blick besonders hilflos ausgeliefert, weil ich ihn ja ein ganzes ödes Wochenende lang entbehrt hatte.

»Gut.« Wim stand vom Schreibtisch auf, tätschelte Lis Oberarm und nickte hoffnungsfroh. »Und du, Natascha, denkst daran, dass die Einladungen an die Bäcker-Bagage heute raus müssen.« Nun war es an mir, mein schönstes Lächeln aufzusetzen, an einer Haarlocke zu drehen und unbefangen zu erwidern: »Das ist bereits am Freitag passiert. Ich hab schon die ersten Zusagen.«

»Brav«, nickte Wim und nun wurde auch mir ein Oberarm-Tätscheln zuteil, das meinen Körper gleichzeitig zum Schaudern und Erhitzen anregte. Dann verließ er das Zimmer und ich war allein. Allein mit dieser Frau.

Die nächsten Minuten blieben wir beide stumm. Li sah sich interessiert in unserem Büro um, das mit seinen vielleicht 15 Quadratmetern nicht allzu viel zum Schauen hergab. Regalwände voller Ordner, ein Kühlschrank mit einer Kaffeemaschine darauf, ein paar Plakate von glanzvollen Events unserer Agentur. Das Schönste war vielleicht der Blick aus dem Fenster. Wir thronten im obersten Stockwerk eines Jahrhundertwende-Altbaus, der erst vor zwei Jahren komplett saniert worden war. Durch die bodentiefen Fenster erkannte man – wenn man sich die Nase an der Scheibe platt drückte – eine Ecke des Gärtnerplatzes. Man konnte aber auch sehr viel Himmel sehen, eine echte Rarität in der Münchner Innenstadt.

Während ich vorgab, dringende E-Mails beantworten zu müssen, beobachtete ich Li beim Beobachten. Sie war wirklich erstaunlich schön. Ihr längliches, schmales Gesicht wurde von feinen Wangenknochen gleichmäßig moduliert. Die großen, saphirblauen Augen, umrahmt von passendem Mascara und Kajal, leuchteten unter dunklen, aber nicht zu dominanten Augenbrauen. Die schmale Nase war griechischen Göttinnen abgeschaut und die Lippen waren voll, ohne künstlich aufgepumpt zu wirken. Ober- und Unterlippe bildeten in der Mitte eine ganz kleine Lücke, die ihr etwas kindliches geben würde, wäre es nicht so sexy. Ihr Gesicht strahlte eine absolute Ebenmäßigkeit und Harmonie aus. Allerdings auch viel Kühle. Arktische Kühle. Antarktische Kälte gar, wobei ich mir zugegebenermaßen unsicher war, ob es in der Antarktis noch kälter ist als in der Arktis. Jedenfalls verwunderte es mich, dass die Spitzen ihrer dunkelblonden Haare, etwas unterhalb des Kinns fedrig abgeschnitten, nicht zu Eiskristallen gefroren waren.

Dass sie groß und sehr, sehr schlank war – muss ich es noch erwähnen? Ihr Alter ließ sich nicht ganz einfach schätzen. Etwas älter als ich, vielleicht. Zweite Hälfte der 20er. Ende zweiter Hälfte, hoffentlich.

In dem figurbetonten, fliederfarbenen Hosenanzug mit den dezenten Nadelstreifen und dem vorsichtig hervorlugendem, beinahe durchsichtigem, weißen Top darunter, hätte Wim sie zu jeder Präsentation, zu jedem Abendevent und na ja – zu sich nach Hause mitnehmen können. Und sicher auch wollen. Ich bemerkte, wie mein Blick vom Beobachtungsmodus wieder in den Hass-Modus wechselte. Und wie sie mich nun anstarrte. Schnell griff ich nach meiner Tasche und …

… zog einen Marsriegel hervor. Einen Marsriegel!! Diese Frau tat den ganzen Vormittag nichts anderes als essen. Wie wollte sie einen Event organisieren, wenn sie ständig nur aß? Vielleicht war sie ja aber auch fürs Catering zuständig und testete immer und immerzu, ob die Qualität der Lieferanten (Bäckereien, Süßigkeitenhersteller, Milchmischgetränkemixer etc.) konstant blieb. So wie sie diesen Wim vorhin angehimmelt hatte, hatte sie sicher selbstlos ihren Körper zur Verfügung gestellt, um diese Aufgabe zu bewältigen. Eine musste es ja tun, warum nicht sie? Immerhin schien es ihren ureigensten Interessen sehr nahe zu kommen.

Während sie scheinbar geschäftig auf ihren Computerbildschirm starrte, musste ich mich von dem kleinen, gelblich-braunen Karamell-Fädchen losreißen, das zwischen ihrem Mundwinkel und dem hängenden Schweinebäckchen eingeklemmt war und mir Brechreiz verursachte. Ihre ganze Erscheinung war dermaßen … – mir fehlten die Worte! Mir! Grisselige Haare, leicht verfettet und strähnig, hingen über ihre Schultern, bis über ihre Ellenbogen und verschwanden irgendwo zwischen den Falten ihres Bauches. Die Farbe erinnerte an verschrumpelte Blutorangen und harmonierte aufs Widerwärtigste mit der senfgelben Klein-Mädchen-Haarspange, die knapp überm Ohr die Masse zurückhalten sollte. So konnte man leider ihr Gesicht besonders gut sehen. Der Begriff ›flächige Wangen‹ beschrieb die Ausmaße ihrer Backen nur unzureichend. Zwischen diesen teigigen Fladen versteckte sich eine winzige Nase, die man nur aufgrund des Knubbels an der Spitze und der großen Nasenlöcher wahrnahm, die leicht gen Himmel strebten. Darüber standen eng zusammen kleine, missgünstige Augen, verwaschen braun und matt. Weil sie ständig die Stirn in Falten zog, rutschten die Augen noch dichter aneinander, so dass sie beinahe wie ein Zyklop aussah. Irgendwo weiter unten, über einem weiteren dicken Knubbel, der wohl das obere der beiden Kinne darstellen sollte, saß ein spitzes, rundes Mündchen in blassem Rosa, mit dem sie in einem fort gleichmütig ihr Essen zermahlte. Sie musste alle hässlichen Gene ihrer Vorfahren von Jahrhunderten an sich gerissen haben! Glücklicherweise sah ich nur ihren dicken Kopf und ein senfgelbes T-Shirt, das ihren Hals unschön einklemmte. Der Blick auf den unteren Teil ihres Körpers blieb mir erspart. Vielleicht, hoffte ich, war sie mit ihrem Bürostuhl so verwachsen, dass sie immer und ewig dort säße. Eine Sekretärinnenpuppe, die mit Süßigkeitengaben künstlich am Leben erhalten wurde.

Was tat ich nur hier? Ich saß einer fetten Schlampe gegenüber, die sich einen Dreck um mich scherte. Sie fraß den ganzen Tag und war nicht in der Lage, mir irgendwie zu erklären, was meine Aufgabe in dieser Bude sein sollte. Zugegeben, der Blick aus dem Fenster war ganz hübsch, aber beileibe nicht tagfüllend. Ich sah – hoffentlich gelassen wirkend – auf meine Fingernägel. Dank aufwendiger Arbeiten am Vorabend schimmerten sie dezent mattgrau. Da entdeckte ich, dass sich die Farbe am kleinen, linken Finger schon wieder gelöst hatte. Mistzeug. Ob es stören würde, wenn ich diesen Makel ganz kurz ausbessern würde? Ich wüsste nicht wen. Die dicke Tippse interessierte sich sowieso nur für ihre Naschereien und ihren Computer, und sonst war hier ja niemand.

Aus meiner frisch auf eBay ersteigerten Jimmy-Hendrix-Bag kramte ich unauffällig meinen Nagellack hervor und ging ans Werk. Das – garantiert unmusikalische – Body-Double von Beth Ditto bekam solche Stielaugen, dass ihr schokoladenhaltiges Kakaogetränk nun endgültig umfiel, als sie sich unauffällig zu mir hinüber beugen wollte. Leider war es leer und ›wie war doch gleich wieder ihr Name?‹ warf das Päckchen in den Abfalleimer unter ihrem Schreibtisch.

Noch immer war kein Wort zwischen uns gewechselt worden. Dafür öffnete sich die Tür und Wim trat ins Zimmer, einen Stapel mit Mappen unter dem Arm. Erstaunt sah er zunächst auf das kleine grau-triefende Nagellackpinselchen in meiner Hand, dann auf – ja, ich musste sie ab heute so nennen – meine Kollegin.

»Och, Natascha«, maulte Wim. Mir wurde klar, warum ich mir ihren Namen einfach nicht hatte merken können. Natascha – das klang nach braunäugigem Reh. Die Namensträgerin dagegen sah eher nach braunäugiger, trächtiger Hirschkuh aus.

»Natascha, gib der Li doch ein bisschen was zu tun. Zeig ihr, wie dein Gästelistenmanagement funktioniert oder wie die üblichen Einladungskarten hergestellt werden. Hm?«

»Sie schien nicht daran interessiert«, konterte die Hirschkuh gar nicht mal unschlagfertig, und ich beschloss, einen Schmollmund zu ziehen.

»Du hattest auch mal deinen ersten Tag hier und warst froh, dass dich Annette unter ihre Fittiche genommen hat«, stauchte Wim sie zusammen. XL-Bambi murmelte etwas Unverständliches (vielleicht hatte sie schon wieder etwas im Mund?). Wim legte mir den Stapel Mappen vor.

»Hier, Li. Das sind Konzepte, Produktionshandbücher, Wordings und so Sachen unserer letzten Events. Lies dir das mal in Ruhe durch. Du bist ja Kommunikationsprofi. Heute Nachmittag stelle ich dich dann dem restlichen Team vor, okay?« Er zwinkerte jovial. Gerade noch rechtzeitig zog ich den Arm weg, bevor er ihn erneut tätscheln konnte.

Big Wim hielt sich für eine ganz heiße Nummer, das hatte ich sofort gemerkt. Sicher, er sah nicht schlecht aus. Groß, markantes Gesicht, graue Schläfen – aber irgendwie ein bisschen schäbig teddybärenhaft. Und ein Schwätzer war er obendrein.

Als mein Vater vor zwei Wochen angekommen war und erklärt hatte, er hätte jetzt ein Vorstellungsgespräch bei der Eventagentur wow für mich vereinbart, dachte ich, er mache einen Witz. Agentur – okay. Aber wow? Wie albern!

»wow« stehe für »we organize whatever« hatte mir Wim Otto Werner, der Inhaber der Agentur, ein paar Tage später erklärt. Und wie sehr er sich freuen würde, mich im Team begrüßen zu dürfen. Zu diesem Zeitpunkt wusste er gerade mal mein Alter, dass ich Kommunikationswissenschaften und Marketing studiert hatte und meine Promotion nicht so gelaufen war, wie sie hätte sollen. Offen gesagt, hatte ich sie nach eineinhalb Jahren Rumgequäle einfach abgebrochen.

Mein Aussehen schien ihm als Referenz zu genügen, was mich allerdings nicht weiter erstaunte. Ich hatte bisher jeden Job bekommen, den ich wollte. Okay, allzu viele hatte ich bisher nicht gewollt. Jos Großzügigkeit und gelegentliche Modeljobs hatten mich bisher vor den Niederungen der Arbeitswelt verschont. Aber mit 31 Jahren, so mein Vater, sollte ich doch mal auf eigenen Beinen stehen – lang genug seien sie ja, wie er gerne kalauerte. Ja, er hatte ja recht, den ganzen Tag mit Powerpilates, Thai-Boxen und Bhangra-Aerobic zu vertun, war auf Dauer nicht ausfüllend. Und nach Mann und Kindern stand mir nun auch nicht gerade der Sinn. Kinder? Die gehörten bei mir in die Kategorie ›uuhhhh‹. Sicher war es viel lustiger, große Abendveranstaltungen aufzumischen und Champagner kredenzt zu bekommen.

Ich schielte kurz auf die Uhr. Halb elf erst. Noch zu früh für mein mittägliches Mango-Lassi. So schnappte ich mir geschäftig die Produktionshandbücher und war froh, mich von den mahlenden Unterkieferbewegungen meiner Kollegin ablenken zu können, die schon wieder an irgendeinem Dreck knabberte.

Erneut vergingen quälend lange Minuten der Stille, bis ich vor Schreck zusammenzuckte. Dabei war es nur das Telefon, das klingelte. Die Dicke warf ihre hüftlange Lockenpracht nach hinten und hob ab: »Agentur wow, Teamassistenz. Natascha Döpke, grüß Gott. Was kann ich für Sie tun?« ›Döpke‹ – wie passend! Ich grinste ihr frech ins Gesicht und sie warf mir prompt …

… einen bösen Blick zu. Konnte ich was dafür, dass meine niedersächsische Mutter für romantische russische Literatur geschwärmt hatte, als sie mit mir schwanger war?

Ich versuchte, dem Anrufer – trotz des Bananenstückchens in meiner linken Wangentasche – deutlich zu antworten. Nur mit Deutlichkeit wurde man diese Art Anrufer nämlich wieder los.

Er: »Hi, meine Name ist Arthur Mändler, ich bin Schauspieler und wollte mal fragen …«

Ich: »Hi, Arthur, danke für Ihren Anruf. Wenn Sie sich bewerben wollen, schicken Sie uns doch mal unverbindlich Ihre Setkarte, eine DVD und so Sachen.«

Er: »Ja, hm, gerne, das mit der DVD ist grad ein bisschen schwierig, mein Gerät, das ist, äh, kann ich nicht lieber mal vorbei kommen? Das ist doch auch für Sie ein ganz anderer Eindruck, wenn ich so in echt …«

Ich: »Ja, schon, klar. Aber wissen Sie, wir müssen leider auf eine DVD bestehen.«

Er: »Schon klar, klar. Weiß ich alles. Aber, verstehen Sie …«

Und so geht das dann endlos und der ach so tolle Schauspieler meint, wir haben den lieben langen Tag nur darauf gewartet, dass er sich bei uns vorstellt, um als großer Moderator oder Entertainer in die Analen der Eventgeschichte einzugehen. Klingt die Stimme nett, mache ich ihm gleich klar, dass es verlorene Liebesmüh ist, unsere knackevolle Kartei noch mehr zu strapazieren. Klingt er grausam, ermuntere ich ihn, einfach mal die Setkarte zu schicken, um zu sehen, was für ein Schnulli hinter dieser Stimme steckt. Man braucht ja auch mal ein bisschen Freude im Alltag.

Es ist nicht so, dass mir mein Job keinen Spaß macht. Er macht schon Spaß. Auch nach beinahe drei Jahren noch. Die Stimmung in der Agentur ist meist ganz gut, außer wenn wir kurz vor einem Hyper-Event stehen, dann liegen alle Nerven blank. Das ist etwa ein Mal im Monat so. Und während die Herren und Damen Senior Project Manager eine kreative Idee nach der anderen in ihre Konzepte knallen, darf die Teamassistentin für die Umsetzung geradestehen. Telefonieren, E-Mails schreiben, recherchieren, kopieren, den Zeitplan im Visier behalten und überall einspringen, wo’s gerade brennt. Und dafür hatte ich meinen Bachelor in Eventmanagement gemacht. Was hatte ich mich auf einen abwechslungsreichen Job gefreut. Na ja, inzwischen hatte ich erkannt, dass mein Büroschreibtisch immer derselbe war. Ob ich nun abhakte, ob der Vorstandsvorsitzende von BMW zum Incentive kommt, oder – wie aktuell – Bäckermeister Knust die Jahrestagung der Bäckerinnung wahrnimmt – das gab sich nicht viel.

Die Kollegen dagegen fahren oft mit raus, vor Ort. Zu Sportturnieren und Incentives mit Bergwanderung oder Paragliding (worum ich sie ehrlich gesagt nicht allzu sehr beneide), zu Seminaren, Präsentationen und Galadinners (um die ich sie schon deutlicher beneide).

Aber wer weiß, vielleicht könnte ich in Zukunft ja meiner neuen Kollegin die eine oder andere Fleißarbeit übertragen. Sie musste ja noch lernen. Vielleicht beging sie weitere Nagellack-Fauxpas und würde erst richtig beweisen müssen, dass sie etwas anderes konnte, als hübsch aus der Wäsche zu gucken.

»Als was bist du denn eingestellt worden?«, richtete ich nun das erste Mal direkt das Wort an sie. Sie sah erschrocken vom siebten Produktionshandbuch hoch, in das sie vertieft war.

»Als Praktikantin?«

Ihr Lächeln enthüllte eine selbstverständlich tadellose Reihe weißer Zähne. »Na, Wim sagte, wenn es gut mit uns hier klappt, könnte ich als Junior Project Managerin einsteigen.« Nicht blass werden, dachte ich. Unterkiefer oben halten. Ich schob mir ein grünes Haribo-Ungeheuer in den Mund und tat so, als erinnerte ich mich wieder.

»Ach, stimmt, der neue Praktikant soll ja erst Mitte des Monats anfangen«, tat ich gelassen und wandte mich wieder meinem Bildschirm zu.

2. Mango-Lassi

44 Kalorien

»Will jemand mit zum Essen?«, rief Susan Meyer, die wie immer ohne zu klopfen die Tür aufriss. »Wir wollten mal wieder ins Zappeforster.« Ich schüttelte den Kopf und wies auf Li.

»Aber unsere neue Kollegin geht sicher gerne mit«, beeilte ich mich zu sagen. Eine Stunde ohne sie – was für eine Aussicht! Doch Li zierte sich, natürlich.

»Ach, danke. Ich bin nicht so die Mittagesserin.«

Natürlich nicht.

»Da kann man auch nur was trinken.«

»Ich hab was dabei. Beim nächsten Mal. Danke.«

»Dich muss ich ja eh nicht fragen, Natascha«, schmunzelte Susan und schloss die Tür wieder.

Ich muss das erklären. Ich esse nicht so gerne Hauptmahlzeiten, wenn mir Menschen dabei zusehen. Ich komme mir dabei so nackt vor. Als würden alle bei jedem Bissen, den ich mir in den Mund schiebe, sagen: »Reicht das nicht? Du hast doch schon genug! Schau dich doch an.« Genau das will ich aber nicht, mich ansehen. Ich will essen und in Ruhe gelassen werden. Beziehungsweise, eigentlich will ich überhaupt nicht essen. Aber weil das ja nicht so geht wie mit dem Rauchen – aufhören und sich nie wieder damit beschäftigen –, muss ich essen. Ich will mich ja nicht zu Tode hungern. Ach, das Essen und ich – das ist eine komplizierte Beziehung. Am besten hat es funktioniert, als ich noch klein war. Da konnte ich futtern, was ich wollte, und alle sagten, süß, die Kleine mit ihrem Babyspeck. Als ich aber in die Pubertät kam und mein Bruder sagte, normalerweise bekämen Mädchen ab 12, 13 Brüste und keine Doppelkinne, war mein Verhältnis zum Essen erstmalig gestört. Meine Mutter – auch nicht gerade eine zierliche Elfe – schleppte sofort die Brigitte-Diät an und ich wurde im Kalorienzählen angelernt. Daheim beim Essen zählte ich also, wie wahnsinnig wenig Paprika-Kalorien und Salat-Kalorien und Hühnchen-Kalorien ich doch so zu mir nahm, aber kaum war meine Zimmertür zu, hörte ich auf mit dem Zählen und begann zu essen. Richtig zu essen. Da ich in meinem Zimmer schlecht kochen konnte, fiel die Auswahl etwas einseitig aus: Süßigkeiten und Knabbereien brachten mich durch die Schule und jenseits der 70-Kilo-Grenze. Vielleicht stammt aus dieser Zeit mein Bedürfnis, heimlich und unbeobachtet zu essen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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