Weiter gedacht Quer gedacht - Brigitte Hutt - E-Book

Weiter gedacht Quer gedacht E-Book

Brigitte Hutt

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Beschreibung

Erzählungen, deren Protagonist*innen Sie vermutlich überwiegend kennen - doch: Wie ging es Loriots Nudel nach dem Dreh? Hätte Obelix gern Kinder? Was wollten Hänsel und Gretel den Brüdern Grimm immer schon mal sagen, und was haben Ochs und Esel am Weihnachtstag gemacht? Märchen und Fabeln, Bilder und Mythen - weiterdenken, anders denken, mit Personen und Autoren spielen ... All das geschieht hier.

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Seitenzahl: 219

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Inhalt

Vorwort

Gespräche, die nie geführt wurden

Seepferdchen & Kuttel

Lady & Earl Grey

Ostsandmännchen & Westsandmännchen

Falbala & Obelix

Struppi & Tim

Paul hat Fragen

Autoren treffen ihre Protagonisten

Sag die Wahrheit

Von wegen fromm!

Stockholm, Dalagatan

In finaler Mission

Der Kreis der Eingeweihten

Feindbild

Vom Eise befreit …

Märchen zeitversetzt

Vom Mädchen und dem Wolf

Von der Frau und der Flunder

Hans im Pech

Unpassend

Nicht stören

Der Brandner Kevin und das ewig‘ Leben

Die Brandner Kathi und der gute Jahrgang

Brandneue Märchen mit alter Magie

Das Märchen vom Schutz

Das Glas, das etwas ändern wollte

Arthur und die drei Wünsche

Das Märchen von den Wegweisern

Mythologisches neu gelesen

Danaergeschenk

Philemon und Baucis

Flügel der Liebe

Krippe im Stall

Der Tausch

Carpe diem

Geschichten in Bildern

Erinnerung

Hinter den Kulissen

Nur für mich allein

Es holt uns ein

Fortschritt

Stillleben mit Wespe

Bühne der Bilder

Tiger for One

Nachleben einer Nudel

Landleben mit Pilzen

Freundschaft mal anders

Schloss der Verheißung

So bunt

Gewusst wie

Der Bote

Vorwort

Was passiert mit den Personen, Orten und Dingen in einem Buch, wenn ich es ausgelesen habe und zuklappe, was mit denen in einem Film, wenn ich das Kino verlassen habe? Andererseits – was ist denen zugestoßen, bevor ich das Buch geöffnet, den Film angeschaut habe?

Wie ginge ein Autor mit seinen Protagonisten um, wenn sie plötzlich vor ihm ständen und Erklärungen forderten? Das sind einige der Gedanken, die zu diesen Erzählungen geführt haben.

Aber auch anderes: Betrachten Sie ein Bild, das Ihnen gefällt, das Sie „anspricht“, dann kann daraus in Ihrem Kopf eine ganze Geschichte entstehen. Ein Weg tut sich auf, Wasser beginnt zu fließen, Wind zu wehen, Menschen und Tiere interagieren. Erkenntnisse entstehen, die der Urheber des Bildes vielleicht gar nicht im Sinn hatte …

Noch einen Schritt weitergedacht: Märchen und Mythen, über viele Generationen erzählt und umgeformt – könnten die nicht auch ganz anders verlaufen? Insbesondere, wenn sie in der heutigen Zeit angesiedelt würden?

Ich frage mich solche – mitunter kuriosen – Dinge oft, und stets öffnet sich eine Fülle von Möglichkeiten, die dann in meinem Kopf herumspuken. Da hilft nur eins: sie herauslassen, sie aufschreiben, damit wieder Platz im Kopf ist. Für neue Kuriositäten …

Mein Dank gilt Manfred, ohne dessen – ebenfalls kuriose – Anregungen viele dieser Geschichten nicht hätten entstehen können. Ohne ihn wäre Ikaros nicht geflogen und das Wunder von Kana nicht erklärbar. Danke, mein Philemon.

Brigitte Hutt 2022

Gespräche, die nie geführt wurden

In diesem Kapitel passiert nichts. Es wird nur geredet. Dabei treffen fast immer Personen aufeinander, von denen wir alle schon einmal gehört haben. Nur haben wir sie möglicherweise nicht als Personen wahrgenommen. Um Erinnerungslücken zu schließen, werden die meisten Mitwirkenden zunächst kurz vorgestellt. Und ich verspreche Ihnen, (fast) alle sind so zeitlos, dass Sie die Originale und ihre Erlebnisse finden und Vergleiche anstellen können. Bei den britischen Adligen wird es ein wenig schwierig, von denen kennt man ja eigentlich nur ihren (guten?) Geschmack, aber dafür ist es vielleicht vergnüglich für alle Sinne, sozusagen.

Es sind immer zwei, die hier miteinander sprechen, damit weder die Autorin noch der Leser oder die Leserin sich in diesen Gesprächen verlieren. Hören Sie Ihnen zu, und lassen Sie sich darauf ein, mal mit Schmunzeln, mal mit Nachdenken.

Seepferdchen & Kuttel

Joachim Ringelnatz erfand ihn: den Matrosen Kuttel Daddeldu. Ringelnatz liebte das Meer, nicht nur die Seefahrt. Vor allem hatte er eine Schwäche für eines der bezauberndsten Meerestierchen. Und so besang er es oft und liebevoll: das Seepferdchen. Hier treffen sich diese beiden.

Seepferdchen: Ich lebe!

Kuttel: Das hoffe ich. Ich hab‘ dir nie was getan.

Seepferdchen: Ich bin auch gar nicht vertrocknet, sondern sehr beweglich, ich kann schwimmen!

Kuttel: Ich nicht. Ich bin Matrose.

Seepferdchen: Ach? Und da bist du nicht im Wasser?

Kuttel: Auf dem Wasser. Ich heuere auf Schiffen an. Ich komme in Häfen an. Ich arbeite, saufe, lebe.

Seepferdchen: Und beobachtest Seepferdchen?

Kuttel: Die sehe ich manchmal. Aber meist, wenn sie schon zu Souvenirs geworden sind.

Seepferdchen: Tot. Bröckelig.

Kuttel: So ungefähr. Aber inzwischen gibt es euch ja auch in Aquarien!

Seepferdchen: Hm, ja. Wir brauchen nicht viel Platz.

Kuttel: Fühlt ihr euch da wohl?

Seepferdchen: Doch, eigentlich schon. Keine Fressfeinde, verstehst du. Nicht einmal Menschen. Oder wenigstens nur die, die uns wohlwollen. Futter einstreuen.

Kuttel: Was vermisst du? Vermisst du etwas?

Seepferdchen: Jemanden, der mich verehrt.

Kuttel: Du meinst ein See-Stütchen? Wie in meinem Gedicht über dich?

Seepferdchen: Quatsch. Die täte das nicht, oder nur so lange, bis sie ihre Eier in meiner Tasche untergebracht hat. Würde mich verführen, begatten oder beeiern – und aus. Und dann habe ich wieder den Ärger mit all den Kindern! Nein. ich meine eher so jemanden, der mich „Seestütchen! Schnörkelchen! Ringelnass!“ nennt. Das war ein Highlight in meinem Leben. Auch wenn ich nicht das Stütchen bin.

Kuttel: In deinem Leben. In meinem war es eher so, dass er, du weißt ja, wer, alle meine schlechten Eigenschaften hervorgekramt hat. Dabei waren das doch nur seine eigenen. Seepferdchen: Aber die Leute lieben dich dafür.

Kuttel: Und deshalb ist mein Name bis heute ein Synonym für eine etwas windige Person. Windig! Dabei bin ich so standfest, wie es ein Seemann nur sein kann.

Seepferdchen: Außer, wenn du getankt hast.

Kuttel: Das gehört dazu. Weiß er auch von sich selbst.

Seepferdchen: Bist du schon mal über Bord gegangen?

Kuttel: Hmm.

Seepferdchen: Ja?

Kuttel: In jedem Hafen, klar doch.

Seepferdchen: Du weißt genau, dass ich das nicht meine.

Kuttel: Hmm.

Seepferdchen: Ja?

Kuttel: Bei so ’nem ordentlichen Sturm, da kann so was schon mal passieren.

Seepferdchen: Und wie ging das aus?

Kuttel: Rettungsring.

Seepferdchen: Siehst du! Wenn du schwimmen könntest, wäre das gar nicht nötig gewesen!

Kuttel: Aber dann hätten die anderen Matrosen sich ja auch nicht so toll fühlen können.

Seepferdchen: Haben sie dir Kosenamen gegeben? Seekerlchen? Paddelchen? Kuddelnass?

Kuttel: Quatsch. Rum hat’s gegeben.

Seepferdchen: Igttigittigitt! Da tauche ich lieber ab.

Lady & Earl Grey

In jedem gut sortierten Teegeschäft finden Sie sie. Earl Grey ist der Klassiker unter den aromatisierten Tees, parfümiert mit Bergamotte. Seine Lady kam erst später in die Regale. Sie ergänzt ihren Namens- und Adelsverwandten durch Zitronen- und Orangenaromen.

Personalisieren wir die beiden doch einmal und setzen sie auf einen britischen Herrensitz, wo Lord und Lady nach alter Tradition hingehören, in herrlich altmodischer Atmosphäre …

Lady: Könnte ich bitte einen Tee haben, Charles?

Earl: Der Butler hat Ausgang, Amanda.

Lady: Oh. Und wenn nun du …

Earl: Nein.

Lady: Nun, eigentlich mag ich gar keine Bergamotte. Schmeckt immer so parfümiert.

Earl: Nur in den billigen Mischungen.

Lady: Ach? Und welches ist dann die richtige Mischung?

Earl: Ausgewählte chinesische Tees.

Lady: Zum Beispiel?

Earl: Unsere Köchin hat sie vorrätig.

Lady: Könntest du sie bitten?

Earl: Ich? Ich rufe höchstens den Butler.

Lady: Und wenn der Ausgang hat?

Earl: Dann bemühe doch du dich!

Lady: Das ist definitiv unter meinem Niveau.

Earl: Ach, unter meinem etwa nicht?

Lady: Ich dachte immer, Charles, du seist ein Gentleman. Auch mir gegenüber.

Earl: Ich bin ein Gentleman. Deshalb muss ich das nicht unter Beweis stellen.

Lady: Und ich eine Lady. Die begibt sich nicht zum Personal.

Earl: Sie holt sich das Personal nur in ihr Zimmer.

Lady: Was genau meinst du damit?

Earl: Ich erinnere nur an Tony.

Lady: Tony? Ach, du meinst den Gärtner, den wir letztes Jahr hatten? Warum hast du den eigentlich entlassen?

Earl: Weil er aus deinem Zimmer kam, beste Amanda.

Lady: Wieso ist das ein Grund zur Entlassung?

Earl: Was hat ein Gärtner in deinem Zimmer zu suchen?

Lady: Er …

Earl: Ja?

Lady: Er hat mir etwas aus der Orangerie gebracht. Um meinen Tee aufzuwerten.

Earl: Hat er? Sich selbst, meinst du?

Lady: Charles, bitte. Wenn es denn so gewesen wäre, wie du es dir vorstellst, dann hättest du sicher nichts davon bemerkt.

Earl: Wie kannst du da so sicher sein?

Lady: Weil …

Earl: Ja?

Lady: Na gut. Wenn du unbedingt willst. Weil du es die anderen Male auch nicht bemerkt hast.

Earl: Welche anderen Male?

Lady: Nun, bei Andrew, dem Küchengehilfen, Edward, dem Stallburschen, Henry, dem Zeitungsjungen …

Ostsandmännchen & Westsandmännchen

Erinnern Sie sich noch an den Kulturstreit um diese beiden? Die im Westen fanden das Sandmännchen im Ostfernsehen besser, und für die im Osten war alles gut, was im Westfernsehen lief. Damals. The grass is always greener on the other side of the fence (or the wall), oder, zu gut Deutsch: Die Kirschen in Nachbars Garten schmecken immer ein bisschen süßer. Solange man nicht hineinkommen kann.

Ostsandmann: Du siehst noch immer sehr gepflegt aus.

Westsandmann: Du inzwischen auch.

Ostsandmann: Man könnte auch sagen, geschniegelt.

Westsandmann: Früher warst du eher schmuddelig. Wie alles in deinem Land.

Ostsandmann: Und du ein Lackaffe. Wie alle in deinem Land.

Westsandmann: Vorsichtig, mein Land ist jetzt auch dein Land.

Ostsandmann: Darüber will ich gar nicht nachdenken.

Westsandmann: Ach ja? Bist du auch ein „früher war alles besser“-Philosoph?

Ostsandmann: Oh, danke, dass du mich Philosoph nennst. Eben noch hast du was von schmuddelig gesagt.

Westsandmann: Das passt doch. Denk an Diogenes in der Tonne.

Ostsandmann: War der schmuddelig?

Westsandmann: Na, gepflegt sicher nicht.

Ostsandmann: Ich war aber eigentlich doch immer gepflegt. Meine Leute haben darauf Wert gelegt.

Westsandmann: Klar, sie wollten alle so sein wie wir.

Ostsandmann: Zumindest wie das, was man von euch im Fernsehen ergattern konnte.

Westsandmann: ‚Ergattern‘ ist ein hübsches Wort. Ein bisschen altmodisch, aber hübsch.

Ostsandmann: ‚Hübsch‘ ist auch ein altmodisches Wort.

Westsandmann: Findest du?

Ostsandmann: Aber was ist schlimm daran? Wir, wir beide, sind altmodisch. Wer erzählt seinen Kindern heute noch was von Traumsand, wenn nicht wir?

Westsandmann: Eltern erzählen gar nicht mehr, glaube ich. Die setzen die Kinder vor unsere Sendung, und dann ab ins Bett.

Ostsandmann: Echt? Woher weißt du das?

Westsandmann: Hat mein Produzent neulich erzählt.

Ostsandmann: Unser Produzent.

Westsandmann: Richtig, inzwischen sind wir ja eins.

Ostsandmann: Weil zusammenwächst, was zusammengehört. Hat euer Kanzler mal gesagt.

Westsandmann: Und damit hat alles ein Ende gefunden.

Ostsandmann: Was meinst du?

Westsandmann: Na, früher haben die Kinder bei uns immer gesagt, dass du viel besser bist …

Ostsandmann: … und bei uns, dass euer Fernsehen sowieso viel besser ist!

Westsandmann: Und jetzt? Ohne Konkurrenz kein Geschäft. Total langweilig.

Ostsandmann: Ja, total langweilig. Ich muss schon in den Spiegel gucken, um mit dir … äh, mit mir … äh … na ja, um jemanden zum Reden zu haben.

Westsandmann: Und die Kinder heute kennen uns nur einmal, also, als einen, also …

Ostsandmann: Vielleicht könnte man sagen, wir … ich … na ja, das Sandmännchen ist einmalig. Ist doch auch was!

Westsandmann: Zusammengewachsen, weil es, also wir, zusammengehört. Gehören.

Ostsandmann: Musst du immer das letzte Wort haben? Westsandmann: Ja.

Falbala & Obelix

Die Franzosen Goscinny und Uderzo haben sie sich ausgedacht: ihre gallischen Vorfahren Asterix und Obelix. Schlitzohrig, mutig, eine Freude für Generationen. In unzählige Sprachen übertragen. So im Leserkreis angekommen, dass ein neuer Zeichner und ein neuer Autor die Serie weiterleben lassen. Mein Liebling ist der große, ewig hungrige, etwas einfältige Dicke – oh, pardon, nicht dick, nur dick angezogen, darauf legt er Wert. Eine meiner Lieblingsgeschichten ist Band 101: Obelix ist verliebt. Aber wie schon Tucholsky festgestellt hat: Nach dem Happyend (für Obelix‘ Traumfrau Falbala), spielt das Leben ganz anders. Hören wir mal rein.

Obelix: Asterix? Wo steckst du? Ich habe Hunger.

Falbala: Hast du den nicht immer?

Obelix: Oh, F-F-Falbala!! Wo kommst du denn jetzt her?

Falbala: Obelixchen, da musst du doch nicht gleich rot werden. Ich wollte mal wieder alte Bekannte besuchen.

Obelix: Wie geht es dir denn? Und … na ja, ihm.

Falbala: Oh, wenn du noch immer rot wirst bei meinem Anblick, dann geht es mir richtig gut. Möchtest du ein Küsschen?

Obelix: Nicht doch. Oh. Hmm. Guut.

Falbala: Besser als Wildschweinbraten?

Obelix: Viiieeel besser. Also – manchmal. Also jetzt.

Falbala: Du hast dich nicht verändert.

Obelix: Du auch nicht. Du wirst immer schöner.

Falbala: Oh, das geht runter. Danke! Wenn doch …

Obelix: Ja?

Falbala: Ach. Mein gutes altes Obelixchen.

Obelix: Das ist doch nicht etwa eine TRÄNE??

Falbala: Nein, nein, mir ist nur etwas ins Auge geflogen.

Obelix: TUT ER DIR NICHT GUT?

Falbala: Psst. Das muss doch keiner hören. Ich … also ich … also ich denke, ich werde ihn … verlassen.

Obelix: Tragicomix? Echt?

Falbala: Ja. Er … er denkt nur an sich. An Heldentaten, an Ruhm, ans Häuserbauen. Sogar unsere Kinder ignoriert er. Er hat immer so viel zu tun, weißt du.

Obelix: Dann verlass ihn und komm zu mir. – Ach, äh, Kinder, sagst du? Wie viele habt ihr denn?

Falbala: Oh, drei. So süß, sage ich dir! Die nehme ich natürlich mit, wenn ich ihn verlasse. Komix ist jetzt neun, Blandina sieben und Quantix fünf. Der ist ein Schlaukopf, sage ich dir! Steckt seine Geschwister schon jetzt in die Tasche.

Obelix: Äh, Schlaukopf?

Falbala: Ja, und Blandina ist eine begabte Tänzerin. Mir wie aus dem Gesicht geschnitten, sagen alle.

Obelix: Äh, Tänzerin?

Falbala: Ja, und Kinder muss man ja so fördern, das ist wichtig.

Obelix: Und der dritte – Komix? Ist wenigstens der ein richtiger Junge? Also, jagen, fischen, Steine werfen und so?

Falbala: Aber nein. Der schreibt.

Obelix: Ah, schreibt?

Falbala: Und zeichnet. Geschichten über unser Volk. Genial, sage ich dir. Er könnte sicher auch über dich und dein Dorf etwas schreiben, wenn er erst mal hier wäre! Das würden bestimmt viele gern lesen.

Obelix: Kein Mensch hat uns je gelesen, und uns wird auch keiner lesen2!

1Band 10 „Asterix als Legionär“ – der gallische Schönling und Held Tragicomix ist in die römische Legion gezwungen worden, seine Braut Falbala sucht Hilfe bei Asterix und Obelix.

2Zitat aus Asterix-Band 19 „Der Seher“ (für nicht-Eingeweihte: Da geht es ums Lesen in den Eingeweiden…)

Struppi & Tim

Noch einmal Comics, noch einmal Kult, diesmal aus Belgien und etwas älter. Das online-Lexikon Wikipedia schreibt dazu: „Die Serie ‚Les Aventures de Tintin‘ inspirierte viele Künstler, darunter Regisseur Steven Spielberg und Maler Andy Warhol. Fachleute, die sich mit diesem Thema beschäftigen, werden nach dem belgischen Originaltitel der Serie Tintinologen genannt.“ – Passt zu einer Zeit, in der „-ologen“ die Herrscher*innen der öffentlichen Meinung sind. Doch schauen wir mal, was die beiden Helden heute machen.

Struppi: Gib es endlich zu.

Tim: -

Struppi: GIB ES ENDLICH ZU!

Tim: Was ist?

Struppi: Du bist alt geworden.

Tim: -

Struppi: DU – BIST – ALT – GEWORDEN! Du hörst schlecht, das ist ja kaum zu übersehen, äh, zu überhören – na ja. Und du siehst auch schlecht. Und deshalb machen wir uns nicht mehr auf die Reise. Keine Reisen mehr, ach! Ich langweile mich zu Tode.

Tim: Nun ja. Das mit dem Tod verstehe ich, schließlich bist du ja auch alt geworden.

Struppi: ICH?!?!

Tim: Du. Du hörst schlecht, deine Augen waren noch nie die besten, du riechst schlecht – und wenn du die Gefahr nicht mehr riechst, wie sollen wir dann noch Abenteuer bestehen?

Struppi: Wenn ich schlecht rieche, kannst du mich ja mal baden.

Tim: Du weißt genau, wie ich das meine. Ein Hund, der nicht mehr gut riecht, ist … ist …

Struppi: Immer noch ein Hund.

Tim: Meinetwegen. Aber kein Abenteurer mehr.

Struppi: Und ein Reporter, der nichts mehr sieht, nicht mal seine eigenen Tippfehler, der ist …

Tim: … im wohlverdienten Ruhestand. Außerdem schreibe ich meine Memoiren.

Struppi: Ach ja? Wann?

Tim: Jeden Tag. Immer wieder. Immer. Sozusagen.

Struppi: Und ich bekomme das nicht mit?

Tim: Ich sage ja, du hörst schlecht.

Struppi: Wie du!

Tim: Meinetwegen. Außerdem schläfst du 20 Stunden am Tag. Da kann ich 20 Stunden tippen, ohne dass du es merkst.

Struppi: Kannst du. Tust du?

Tim: -

Struppi: TUST DU?

Tim: Du merkst es eben nicht.

Struppi: Kann ich mal sehen, was du schon geschrieben hast? Schließlich geht es ja auch um mich.

Tim: Es ist eine Datei. Man schreibt heute mit dem Computer.

Struppi: Ich weiß. Kann ich sie mal sehen? Wie gesagt, schließlich geht es ja auch um mich.

Tim: Wieso um dich? Es sind meine Memoiren!

Struppi: Du willst nicht sagen, dass du meine Rolle weggelassen hast?

Tim: Schreib deine eigenen Memoiren.

Struppi: Du weißt, dass ich das nicht kann.

Tim: Siehst du. Du wirst alt.

Struppi: -

Paul hat Fragen

Zum Abschluss dieses Kapitels lassen wir einen (fast) ganz realen Jungen mit seiner ebenso realen Mutter reden … Paul: Mama, ich habe Durst. Und ich muss dauernd husten.

Mutter: Warte, ich hole dir ein Bonbon. Ich habe noch Salbeibonbons.

Paul: Mama, wie heißt noch mal das Bonbon mit dem ü?

Mutter: Welches ü?

Paul: Ü-ka-lü…

Mutter: Eukalyptus. Ypsilon, nicht ü.

Paul: Eu-ka-ly-p-tus. Und was ist das? Woher kommt das?

Mutter: Das ist zunächst ein Baum. Der produziert Öl, und daraus macht man Bonbons.

Paul: Baum? Wie bei uns im Garten? Wächst der da auch?

Mutter: Nein. Der wächst … ach, im Süden. In Australien. Und in Afrika, glaube ich.

Paul: Wie sieht der aus?

Mutter: Ähm, warte, da stand doch was im Apothekenblatt – hier: Der hat längliche, schmale Blätter. Und so eine Art Krönchen als Früchte. Da ist das Öl drin.

Paul: Und daraus macht man Bonbons? Hustenbonbons?

Mutter: Ja.

Paul: Aber im Süden, haben da die Leute auch Husten?

Mutter: Sicher, warum nicht? Und heutzutage werden Eukalyptusbäume überall gepflanzt.

Paul: Auch bei uns?

Mutter: Weiß ich nicht, kann schon sein. Jedenfalls in Afrika, das habe ich gelesen. Hier steht‘s: „In einigen Weltregionen, in denen Eukalyptus nicht heimisch ist, wird er heute wegen seiner Schnellwüchsigkeit und guten Holzqualität angebaut.“

Paul: Was ist schnell – wü …?

Mutter: Schnellwüchsigkeit. Das heißt, er wächst schneller als andere Bäume. Er überholt sie.

Paul: Welche?

Mutter: Na, die, die sonst in Afrika oder wo wachsen.

Paul: Und dann müssen die Platz machen? Wenn der Eu-ka-dings kommt?

Mutter: Nein, andersherum. Die Leute haben die alten Bäume umgehauen, um das Holz zu verkaufen. Und als nur noch wenige Bäume da waren, mussten sie neue pflanzen. Weil die Bäume, die da vorher standen, nur langsam wachsen, man also viele Jahre warten muss, bis man wieder Holz verkaufen kann, mussten sie sich was anderes ausdenken. Also haben sie Eukalyptus gepflanzt. Der wächst schnell.

Paul: Und dann können sie die Bäume wieder abhauen?

Mutter: Genau.

Paul: Mama, kann man hier bei uns auch Euka-dings pflanzen? Hier bei uns im Garten? Mama, dann verkaufen wir das Holz und verdienen Geld.

Mutter: Na ja, das hat ja auch Nachteile. Mal abgesehen davon, dass unser Garten so groß nicht ist: Eukalyptus trinkt viel Wasser aus dem Boden. Sagt das Apothekenblatt. Was macht dann mein Gemüse, meine Tomaten zum Beispiel? Die verdursten dann!

Paul: Mama, gibt es in Afrika Tomaten?

Mutter: Ach, das weiß ich jetzt nicht. Aber Gemüse gibt es. Yams zum Beispiel.

Paul: Jam – was?

Mutter: Yams. Auch mit Ypsilon, vorn. Das wächst in der Erde. Ähnlich wie Kartoffeln.

Paul: Und das verdurstet dann nicht?

Mutter: Wieso?

Paul: Wenn die Euka-dings, wenn die alles Wasser wegtrinken.

Mutter: Nun, ich denke, es gibt einen Platz für die Bäume und einen anderen für das Gemüse. Afrika ist groß.

Paul: Wie groß?

Mutter: Viele, viele Male so groß wie unser Land.

Paul: Toll. Dann fahren die Menschen morgens mal schnell dahin, wo das Gemüse wächst, und holen was zum Essen, und dann fahren sie zu den Bäumen und verkaufen das Holz.

Mutter: Nicht ganz – die, die das Holz verkaufen, sind Firmen. Außerdem ist „mal schnell fahren“ in einem so großen Land nicht möglich. Also: Entweder die Menschen haben Gemüse oder sie haben Holz.

Paul: Hast du nicht gesagt, das Holz verkaufen Firmen?

Mutter: Ich glaube schon. Meistens.

Paul: Welche Firmen?

Mutter: Ach, das sind internationale Konzerne. Firmen, die das Holz nach Europa oder nach Amerika verkaufen. Wir können hier bei uns auch Möbel aus afrikanischem Holz kaufen. Da gibt es eine Menge Möglichkeiten heutzutage.

Paul: Und die Menschen? In Afrika?

Mutter: Was ist mit denen?

Paul: Verdienen die Geld mit dem Holz? Oder haben die nur Gemüse?

Mutter: Welches Gemüse?

Paul: Das, was verdurstet.

Mutter: Was haben sie denn von verdurstetem Gemüse?

Paul: Weiß ich nicht. Aber du hast gesagt, wenn man Eu-ka-ly-p-tus-bäume pflanzt, verdurstet das Gemüse.

Mutter: Ja, aber das sind ja die Firmen, die die pflanzen.

Paul: Und was machen die Menschen?

Mutter: Pflanzen Gemüse.

Paul: Und das verdurstet.

Mutter: Himmel, hier … hier hast du dein Salbeibonbon.

Paul: Aber ich habe immer noch Durst. Wie das Gemüse.

Autoren treffen ihre Protagonisten

Autorinnen und Autoren geben ihren Geschöpfen ein Leben, eines von vielen. Manches darin wäre auch anders möglich gewesen, Entscheidungen müssen bei jedem Handlungsstrang getroffen werden. Im Zuge des Schreibens entwickelt sich eine Eigendynamik, die dazu führt, dass die Autorin oder der Autor ihre Personen immer lebendiger wahrnehmen, sie liebgewinnen (oder hassen lernen).

Und wenn nun die Person aus dem Buch hervortritt und ihre Schöpferin, ihren Schöpfer fragt, was diese Geschichte denn bedeuten soll? Wenn die Person eine ganz eigene Meinung entwickelt und diese auch aussprechen möchte?

Lassen wir einige mehr oder weniger berühmte Figuren in das Leben ihrer Autorinnen oder Autoren ein. Da nicht alle Leserinnen und Leser die gleichen Literaturvorlieben haben werden wie ich, hier die Kurzvorstellung, mit der Sie dann gern die Originale suchen können. Wenn Sie sich lieber überraschen lassen wollen, überspringen Sie den nächsten Absatz einfach.

Hänsel und Gretel treffen auf die Brüder Grimm – nun, das kennen wir. Wilhelm Busch wird von der frommen Helene malträtiert – kennen viele von uns noch. Astrid Lindgren spricht mit ihrem berühmtesten Kind – wer hat nie von Pippi Langstrumpf gehört! Um Ian Fleming und James Bond einordnen zu können, müssen wir schon Liebhaber von Spionagefiktion sein. An Agatha Christies Miss Marple und Hercule Poirot kommt man auch als Nicht-Krimi-Lesende*r kaum vorbei. Ich jedenfalls liebe diese zwei, Sie werden es merken. Und zum Abschluss wird es klassisch: William Shakespeare sieht sich konfrontiert mit dem Geldverleiher Shylock, den er seinem Kaufmann von Venedig beigegeben hat, und Johann Wolfgang (von) Goethe trifft seine drei berühmtesten Geschöpfe und hat Visionen vom 21. Jahrhundert …

Sag die Wahrheit

Das Gasthaus war alt. Nur wenig Licht drang aus den kleinen Fenstern nach draußen. Wenn sich die Tür öffnete, um einen späten Gast einzulassen, hörte man Gelächter, mitunter Gesang, in jedem Fall aber atmete man einen Schwall bunt gemischter Küchengerüche, begleitet von einer Wolke aus Alkoholdunst.

Die zwei Kinder hatten sich im Schutz der Dunkelheit und der Bäume nahe an das Haus herangewagt. Vorsichtig warfen sie Blicke durch eines der Fenster. Nach einiger Zeit des Zuschauens flüsterte der Junge dem Mädchen zu: „Dort, dort rechts. Die zwei, die sich ein bisschen ähnlichsehen.“

Das Mädchen wagte einen weiteren Blick und erschrak. „Er steht auf! Er kommt!“

„Wer? Wo?“ Der Junge drängte sie zur Seite.

Da öffnete sich bereits die Tür des Hauses, und ein Mann trat heraus, um tief die frische Nachtluft einzuatmen. Während er den Sternenhimmel betrachtete, wagten die Kinder sich näher heran. Sie nickten sich gegenseitig zu und schoben einander vor, aber keines von beiden traute sich richtig. Schließlich bemerkte der Mann an der Tür die Geräusche und rief scharf: „Wer ist da?“

Die Kinder hielten erschrocken inne. Schließlich, der Mann hatte noch einmal gefragt, fasste sich das Mädchen ein Herz und sagte: „Wir sind es. Wir. Und … wir möchten Sie gern etwas fragen. Sie … sind doch der Herr Grimm?“

„Wilhelm Grimm, ja. Aber ich kenne euch nicht!“

Er musterte sie in dem wenigen Licht, das aus dem Haus fiel.

„Aber Sie sind es doch, der uns … der unsere Geschichte aufgeschrieben hat. Sie und Ihr Herr Bruder. Margarethe ist mein Name, und das da ist Johannes, auch Hans genannt. Mein Bruder.“

Der Mann runzelte die Stirn und überlegte. Dann lachte er auf. „Ach. Ihr seid es! Das ist lustig. Ich dachte, ihr seid eine reine Erfindung der Menschen, eine Erzählung, mit der man Kindern beibringt, dass das Leben hart ist.“

„So ein Unfug!“, rief das Mädchen trotzig und kam einen Schritt näher. „Natürlich gibt es uns. Und eine Menge anderer wie uns. Arme Kinder, deren Eltern nicht genug zu essen für die Familie haben.“

„Nun ja“, antwortete der Mann beschwichtigend, „das ist natürlich richtig. Solche gibt es an jedem Ort und zu jeder Zeit. Aber dass ihr zwei, hier, also … aber was wollt ihr eigentlich von mir?“

„Warum haben Sie uns so beschrieben? So grausam? Und die alte Frau eine Hexe genannt?“

„Grausam? Wie meinst du das?“

„Na, dass wir die alte Frau in der Waldhütte in den Ofen gestoßen haben. So was tun wir nicht!“

„Und wie, meinst du, hättet ihr sonst entkommen sollen?“, fragte der Mann belustigt. Da öffnete sich die Tür des Gasthauses erneut, und ein weiterer Mann, dem ersten ähnlich, trat hinzu.

„Oh, du hast Gesellschaft! Ich fragte mich schon, wo du bleibst! Einer der Reisenden drinnen erzählt ganz wunderliche Schnurren. Solltest du auch anhören.“

„Du solltest dir das hier anhören, Jacob“, antwortete Wilhelm Grimm. „Diese zwei netten Kinder hier sind wohl unserer Märchensammlung entstiegen und werden rebellisch!“

„Gar nicht rebellisch“, protestierte nun der Junge und legte einen Arm um die Schultern seiner Schwester. „Wir wollen nur wissen, wie Sie auf die Idee mit dem Ofen gekommen sind, und wieso Sie die alte Frau eine Hexe genannt haben.“

„Nun, wie gesagt“, meinte Wilhelm, „anders wäret ihr nicht entkommen. Das Vorzeigen des Knöchelchens, mein lieber Hans, hat euch doch nur einen Aufschub gewährt, das war aber keine Lösung. Und eine Hexe war sie doch wohl, eine recht böse, wenn sie Kinder essen will, da stimmt ihr mir doch sicher zu, nicht wahr?“

„Aber nein. Sie war eine alte Frau“, sagte das Mädchen. „Ganz allein im Wald. Und wenn sie in ihrer Küche gewerkelt hat, hat sie immerfort gemurmelt, dass man aufpassen muss, dass sich Gesindel im Wald herumtreibt, dass eine alte Frau allein sehr vorsichtig sein muss. Solche Sachen. Nein, eine Hexe war sie nicht.“

„Aber sie hat euch nicht gehen lassen“, sagte jetzt Jacob. „Stimmt doch, oder?“

„Ja. Sie brauchte jemanden, der ihr half.“