Wellenkrieg - Armin Müller - E-Book

Wellenkrieg E-Book

Armin Müller

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Beschreibung

Funk und Funkaufklärung waren und sind gut gehütete Geheimnisse moderner Nachrichtendienste. Armin Müller beleuchtet u. a. anhand der BND-Akten erstmals umfassend, welche Anforderungen, Möglichkeiten und Grenzen diesen wichtigen Teil der Auslandsaufklärung bestimmten. Er untersucht, wie die Organisation Gehlen nach dem Zweiten Weltkrieg die technische Abteilung ihres Nachrichtendienstes organisierte. Sie baute zum einen Verbindungen zu ihren Quellen hinter dem Eisernen Vorhang auf, den sogenannten Agentenfunk. Zum anderen erfasste sie mit ihrer Funkaufklärung Kommunikation und Signale des Gegners. Darüber hinaus wurde die Abteilung entscheidend für die Verteidigungsplanungen des Dienstes und die Zusammenarbeit mit der jungen Bundeswehr.
(Band 5 der Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945-1968)

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Seitenzahl: 766

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Armin Müller

Wellenkrieg

Veröffentlichungen der UnabhängigenHistorikerkommission zurErforschung der Geschichte desBundesnachrichtendienstes1945–1968

Herausgegeben von Jost Dülffer,Klaus-Dietmar Henke, WolfgangKrieger und Rolf-Dieter Müller

BAND 5

Armin Müller

Wellenkrieg

Agentenfunk und Funkaufklärungdes Bundesnachrichtendienstes1945–1968

»Im Namen der Elektrifizierung, des Fortschritts und der Statistik!« Aus: »700 Intellektuelle beten einen Öltank an« von Bertolt Brecht, 1929

Diese Arbeit wurde als Inauguraldissertation 2017 am Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Philipps-Universität Marburg verteidigt; Gutachter waren Prof. Dr. Wolfgang Krieger und Prof. Dr. Christian Kleinschmidt.

Editorische Hinweise: Stellen, an denen einzelne Informationen durch den Bundesnachrichtendienst nicht freigegeben wurden, sind durch Schwärzungen kenntlich gemacht. Decknamen und Tarnbezeichnungen stehen in Anführungszeichen.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

1. Auflage als E-Book, August 2017entspricht der 1. Druckauflage vom Juni 2017© Christoph Links Verlag GmbHSchönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0www.christoph-links-verlag.de; [email protected]: Stephanie Raubach, Ch. Links VerlagLektorat: Jana Fröbel, Ch. Links Verlag

eISBN 978-3-86284-403-6

Inhalt

Vorbemerkung

Einleitung

Fragestellung

Forschungsstand

Quellen und Methode

Begriffe

Dank

I.Wellenkrieg

1.Von Zossen nach Pullach

Stunde null

Personalprofil

2.Vom Kriege

Übergangsmilieu

Selbstverständnis

Verhältnis zu den Streitkräften

II.Agentenfunk

1.Einsatzprinzipien und Grundlagen

Ultrakurzwelle

Kurzwelle

Blindfunk

Rahmenbedingungen

2.Leitstellen und Infrastruktur

Leitstellen der Organisation Gehlen

Berlin

Mobile Leitstelle

Sendestellen des BND

3.Schulwesen und Ausbildung

Rekrutierung

Funkschulen

Ausbildungspraxis

4.Geräte

Geräte der ersten Generation

Funkbetrieb

Kurzsignalgeräte

5.Verschlüsselung

Grundprinzipien

Individueller Zahlenwurm

Schlüsselmittelherstellung

Schlüssel für den Agentenfunk

6.Agentenfunker

Arten von Funkern

Einsatzvorbereitung

Einsatzrealität

Pannen

Fallbeispiel »Conti«

Volksaufstand und Aktion »Feuerwerk«

Fortsetzung »Conti«

7.E-Fall und R-Netze

E-Fall

Kriegs-BND

Fernmelderegiment

R-Netze der Organisation Gehlen

R-Netze des Bundesnachrichtendienstes

Sondereinheiten

8.Funkabwehr

Grundlagen

Funkabwehr der Organisation Gehlen

Funkabwehr des Bundesamtes für Verfassungsschutz

III.Funkaufklärung

1.Einsatzprinzipien und Grundlagen

Militärische Aufklärung

Horch- und Peildienst

Elektronische Aufklärung

2.Organisation, Aufbau und Infrastruktur

Die Anfänge

Die Peiler

Horchstelle Kransberg

Einsätze und Außenstellen

Kassel und Söcking

Lauf

Husum

Diplo-Erfassung

Berlin

3.Entzifferung und Forschung

Diplo-Entzifferung

Weiterer Ausbau

Ionosphäreninstitut

ELOKA-Institut

4.Technische Aufklärung zur See

Baltic Fishery Protection Service

»Neptun«

»R-10«

Schnellboote der Bundesmarine

Funkaufklärung der Bundesmarine

5.Elektronische Aufklärung

Ausschuss für Funkortung

»Jutta«

Schöningen

Fliegerstaffel

ELINT

6.Fernmeldeaufklärung der Streitkräfte

Abgrenzungen

Die Türme

Hochthron

Kampf um die Auswertung

IV.Wellenkrieg – Wellenfrieden. Resümee

1.Von Berlin nach Prag

Die Luftbrücke

Der »Prager Frühling«

2.Bilanz

Anhang

Abkürzungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

Archivalien

Presse und andere Medien

Internetquellen

Vorschriften

Technische Fachliteratur

Zeitgenössische Veröffentlichungen

Editionen und Memoiren

Literatur

Ortsregister

Personenregister

Über den Autor

Vorbemerkung

Die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968

Die Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968 (UHK) wurde im Frühjahr 2011 berufen und sechs Jahre mit insgesamt 2,2 Millionen Euro aus Bundesmitteln finanziert. Die Kommission sowie ihre zeitweilig zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, denen zu allererst gedankt sei, hatten im Bundeskanzleramt und im Bundesnachrichtendienst freien Zugang zu allen derzeit noch klassifizierten und bisher bekannt gewordenen Akten des Untersuchungszeitraums. Nach vorbereitenden »Studien« (www.uhk-bnd.de) legt sie ihre Forschungsergebnisse nun in mehreren Monografien vor. Die UHK hatte sich verpflichtet, die Manuskripte durch eine Überprüfung seitens des BND auf heute noch relevante Sicherheitsbelange freigeben zu lassen. Dabei ist sie bei keiner historisch bedeutsamen Information einen unvertretbaren Kompromiss eingegangen.

Das Forschungsprojekt zur Geschichte des BND unterscheidet sich von ähnlichen Vorhaben insofern, als es sich nicht auf die Analyse der personellen Kontinuitäten und Diskontinuitäten zur NS-Zeit beschränkt, sondern eine breit gefächerte Geschichte des geheimen Nachrichtendienstes aus unterschiedlichen Perspektiven bietet. Eine Bedingung der Vereinbarung mit dem BND war es gewesen, dass die UHK den Rahmen und die Schwerpunkte ihrer Forschung selbst festlegt. Gleichwohl waren auf einigen Feldern Einschränkungen hinzunehmen, namentlich bei den Partnerbeziehungen und den Auslandsoperationen des Dienstes.

Die Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzleramt, vertreten durch Herrn Ministerialdirigent Hans Vorbeck, war ausgezeichnet. Bei den BND-Präsidenten Ernst Uhrlau, der das Projekt durchsetzte, Gerhard Schindler, der es förderte, und Bruno Kahl, der die Erträge erntet, stieß die Arbeit der Kommission auf wachsendes Verständnis und Entgegenkommen. Der Kommission ist es eine besondere Genugtuung, dass sie den entscheidenden Anstoß dazu geben konnte, dass die Einsichtnahme in historisch wertvolle Unterlagen des deutschen Auslandsnachrichtendienstes für alle Interessierten inzwischen zu einer selbstverständlichen Gewohnheit geworden ist.

Jost Dülffer, Klaus-Dietmar Henke (Sprecher),Wolfgang Krieger, Rolf-Dieter Müller

Einleitung

Der Begriff Wellenkrieg entstammt einem Aufsatz von General a. D. Leo Hepp,1 der im Jahr 1956 in der Wehrwissenschaftlichen Rundschau unter dem Titel »Die Funkaufklärung, ein Teilgebiet des Wellenkrieges« veröffentlicht wurde.2 Hepp legte hier detaillierte Gedanken zur Rolle einer westdeutschen Funkaufklärung nieder. Diese würde nicht auf einem isolierten Feld operieren, sondern sei intensiv mit anderen Aufklärungsbereichen zu vernetzen:

[Es] soll die Notwendigkeit betont werden, die gesamte politische, wirtschaftliche und militärische Funkaufklärung in einer Hand zu vereinigen und sie in einen engen organisatorischen Zusammenhang zu bringen mit den anderen Aufklärungsorganen. Nur eine derartige »Einheit der Aufklärung« ist geeignet, ein vollständiges Lagebild mit der gebotenen Schnelligkeit zu erstellen.3

Die hier angeführte »Einheit der Aufklärung« zog sich wie ein roter Faden durch die Konzepte und Diskussionen zur Rolle der Organisation Gehlen als künftigem Bundesnachrichtendienst (BND) – inklusive ihrer technischen Einrichtungen. Hepp verstand darüber hinaus unter dem Einsatz einer Funkaufklärung nicht eine vorbereitende Tätigkeit für erfolgreiches Agieren im Krieg, sondern beschrieb die Betätigung auf diesem Feld als aktives Handeln unter kriegsmäßigen Bedingungen, das auch im Frieden erfolge. So war der Wellenkrieg nicht an den heißen Krieg gebunden – und damit auch nicht an Kriegsvorbereitungen. Er folgte eigenen Regeln und Gesetzmäßigkeiten und begleitete Militär und Nachrichtendienste im tiefsten Frieden.4

Hepp kann für das Thema als durchaus kompetent erachtet werden. Im Februar 1944 war er Oberst und Stabschef beim Chef des Heeresnachrichtenwesens. Dort hatte er im Oberkommando des Heeres in Zossen mehrfach Kontakt zu Reinhard Gehlen. Nach Hepps Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft traf sich Gehlen im April 1948 mit ihm in München und bot ihm an, »als Leiter der Abteilung Nachrichtenwesen in seine Organisation, einen unter Betreuung der Streitkräfte der Vereinigten Staaten stehenden deutschen geheimen Nachrichtendienst, einzutreten«.5 Hierunter verstand Gehlen die Führung aller Bereiche der eigenen, internen Kommunikation wie auch die Kommunikation mit den eingesetzten Agenten, also den Führungsfunk und den Agentenfunk. Die Aufgabe umfasste auch die Erfassung und Auswertung von Funkkommunikation, die Funkaufklärung. Hepp übernahm diese Funktion und verblieb auf dem Posten bis 1956. Dann wechselte er in die neu gegründeten Streitkräfte und wurde dort der erste Inspizient der Fernmeldetruppe des Heeres. Als Drei-Sterne-General und Kommandeur des II. Korps in Ulm schied er 1967 aus der Bundeswehr aus und übernahm erneut die mittlerweile auf 1500 Planstellen angewachsene Abteilung Technik im Bundesnachrichtendienst.6 Er ist damit ein typisches Beispiel für eine Karriere in der Organisation Gehlen und im BND, ebenso wie für die Nähe und Verflechtung der Abteilung Technik mit den Streitkräften.

In der Analyse des Wellenkrieges wird – Hepp folgend – davon ausgegangen, dass beinahe alle militärischen und viele zivile Prozesse Spuren im elektromagnetischen Spektrum hinterlassen. Dies galt (und gilt) für Sprechfunk und Morseverbindungen genauso wie für Radar von Seeschiffen und Flugzeugen bis hin zur Steuerung oder Nutzung von Satelliten und Raketen zu unterschiedlichen Zwecken. Von der Ausrichtung Olympischer Spiele über Invasionen anderer Staaten bis hin zur Landung auf dem Mond war keine Form von höherer Organisation im 20. Jahrhundert ohne die Nutzung des elektromagnetischen Spektrums denkbar. Unter dieser Betrachtungsweise war die technische Aufklärung weit mehr als das Abhören von Funk. Sie war ein permanentes Ringen darum, das eigene Frequenzspektrum zu nutzen und zu schützen, das gegnerische zu kennen und auszuwerten und letztlich dessen Nutzung durch den Gegner zu hemmen oder zu verhindern.7 Die Arbeit der Abteilung Technik war nach diesem Verständnis deutlich mehr als eine Hilfswissenschaft im Wettstreit der Nachrichtendienste. Der Wellenkrieg war vielmehr ein eigener Schauplatz des Kalten Krieges, gekennzeichnet neben hohem Mittelansatz durch die intensive Verflechtung von zivilen, militärischen und nachrichtendienstlichen Strukturen weit über organisatorische Grenzen hinaus.

Fragestellung

Die Arbeit der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968 (UHK) bietet erstmals die Möglichkeit, die technischen Elemente eines modernen Nachrichtendienstes auf Aktenbasis zu studieren. Gerade die Arbeit der Funkaufklärung, aber auch die des Agentenfunks sind normalerweise mit sehr hohen Geheimhaltungsstufen versehen. Diese Praxis wurde in der westlichen Welt besonders durch die USA und Großbritannien getrieben – hier war man nach dem Zweiten Weltkrieg der Überzeugung, große Erfolge im Bereich der Funkaufklärung aufgrund der hohen eigenen Geheimhaltung sowie des schlampigen Umgangs mit ebendieser Geheimhaltung auf der deutschen Seite errungen zu haben.8 Nicht zuletzt deshalb ist eine Erforschung der technischen Dienste bislang nur unzureichend gelungen. Für die Organisation Gehlen und den Bundesnachrichtendienst kann dies nun für den Zeitraum von 1945 bis 1968 geleistet werden. Die Abteilung Technik, die den Agentenfunk und die Funkaufklärung unter sich vereint, ist ein großer und in sich relativ geschlossener Bereich des Nachrichtendienstes. Personelle Wechsel zwischen der Technik und anderen Bereichen der Behörde sind im Untersuchungszeitraum die Ausnahme. Das Betreiben eigener Standorte, eigener Ausbildungsstrukturen und eine eigene Legende – die Bundesstelle für Fernmeldestatistik9 – isolierten den Bereich zusätzlich. Dennoch bleibt die Abteilung Technik eingebunden in eine Gesamtorganisation, aber auch in intensive Wechselbeziehungen zu Streitkräften, ausländischen Partnerdiensten und dem politischen Umfeld. Im Rahmen dieser Untersuchung sollen nicht nur Aufbau, Struktur und Arbeitsweise der Abteilung Technik beleuchtet werden. Es soll auch exemplarisch die sich verändernde Natur der Gesamtorganisation analysiert werden. Hierbei wird der Frage nachgegangen, ob »der Dienst«,10 also die Organisation Gehlen bzw. der Bundesnachrichtendienst, sich zu einem vollwertigen Auslandsnachrichtendienst ziviler Prägung entwickeln konnte oder inwieweit er ein militärischer Lagedienst in der Tradition der Generalstabsabteilung der Wehrmacht Fremde Heere Ost11 blieb.

Diese Frage wird sich am Beispiel der Abteilung Technik nicht erschöpfend beantworten lassen, dennoch können hier Grundtendenzen aufgezeigt werden, die als charakteristisch für den gesamten Dienst erachtet werden. So kann die Abteilung Technik zumindest gewissen Aufschluss darüber geben, welcher Natur der Nachrichtendienst war, den die Bundesrepublik mit einer äußerst sensiblen Position in einer jungen Demokratie betraut hat.

Forschungsstand

Die vorliegende Arbeit setzt sich umfassend mit der Entstehung der technischen Komponenten des Bundesnachrichtendienstes im Spannungsfeld zwischen seinen militärischen Wurzeln und den Anforderungen eines zivilen modernen Nachrichtendienstes auseinander. Die Studie ist Teil einer Publikationsreihe über den Bundesnachrichtendienst, die der Aufarbeitung der Vergangenheit dieser Behörde dienen soll.12 Sie fügt sich in eine Reihe amtlicher Auftragsforschungen ein, die mit ähnlicher Motivation in Auftrag gegeben wurden. Die Basis dieser Arbeit bilden, wie bei bisher veröffentlichten Studien, alle der Unabhängigen Historikerkommission zugänglich gemachten relevanten Akten.13 Vor der Freigabe für diese Veröffentlichungen waren die Archive des Bundesnachrichtendienstes weitgehend verschlossen, erst kleine Teilbestände wurden bislang an das Bundesarchiv abgegeben und nur in geringem Umfang ausgewertet.14 Um diesen Mangel auszugleichen, mussten sich frühere Studien auf US-amerikanische Unterlagen stützen, die unter anderem im Zuge des Freedom of Information Act, besonders des Nazi War Crime Disclosure Act von 1998 freigegeben worden waren, teilweise auch auf Memoiren, Zeitzeugenberichte und Publikationen aus dem ehemaligen Ostblock. So legten beispielsweise Christopher Simpson, Mary Ellen Reese oder zuletzt Jens Wegener Untersuchungen vor, die sich überwiegend auf dieses Material stützten.15 Neben den aktenbasierten Arbeiten war schon früh das Interesse westdeutscher Publizisten am jungen deutschen Geheimdienst geweckt. So legten die Spiegel-Redakteure Hermann Zolling und Heinz Höhne bereits 1971 eine vorgeblich unabhängige Studie zur Arbeit des Bundesnachrichtendienstes vor, die allerdings in intensiver Zusammenarbeit mit dem Dienst entstanden war.16 Etwa zeitgleich entstand in der DDR die Arbeit von Albrecht Charisius und Julius Mader über die Pullacher Konkurrenten. Sie wurde in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit entwickelt und enthielt, jenseits ihres propagandistischen Grundtones, eine Reihe valider Informationen.17

Eine wichtige Quellengattung bilden die Memoiren ehemals handelnder Personen. Sie bieten zwar persönliche Einblicke und damit den Anschein von Authentizität, doch ist stets der Kontext der Abfassung in die Analyse einzubeziehen. So war es beim Schreiben von Der Dienst sicherlich nicht das Bestreben von Reinhard Gehlen, ein möglichst objektives Bild des Bundesnachrichtendienstes zu hinterlassen, sondern vielmehr sich selbst ein Denkmal zu setzen. Auch die Erinnerungen des wohl bedeutendsten enttarnten Verräters in den Reihen des BND, Heinz Felfe, die dieser nach seinem Austausch verfasste, müssen klar vor ihrem zeithistorischen Hintergrund bewertet werden. Erhellender sind die Erinnerungen von James Critchfield, der im CIA für die Organisation Gehlen zuständig war und detaillierte Informationen zur Frühphase des Dienstes lieferte.18 Nach dem Ende des Kalten Krieges erschienen in Deutschland Bücher, die teilweise auf Insiderkenntnissen beruhten, jedoch den Wissenstand über den Bundesnachrichtendienst nicht wesentlich erweiterten.19 Auch in anderen Ländern stieg seit den 1990er-Jahren die Zahl von Übersichtsdarstellungen über nationale Geheimdienste, die grundsätzlich an einer ähnlichen Quellenproblematik krankten wie ihre deutschen Pendants.20 Auch versuchten ehemalige Mitarbeiter des Dienstes die Öffentlichkeit an ihrer früheren Tätigkeit teilhaben zu lassen. Gerade diese Publikationen sind kritisch zu prüfen, bewegen sie sich doch oft zwischen Abrechnungsschrift und Anekdotensammlung.21 Auf der Basis vieler Einzelforschungen wurden Einzelaspekte der Geheimdienstarbeit beleuchtet und in Aufsatzsammlungen oder Handbüchern publiziert. Besonders sei das 2003 von Helmut Roewer, Stefan Schäfer und Matthias Uhl verfasste Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert hervorgehoben.22 Der erste Versuch eines umfassenden Vergleichs zwischen dem Bundesnachrichtendienst und dem Ministerium für Staatssicherheit, herausgegeben von den ehemaligen MfS-Offizieren Gotthold Schramm und Klaus Eichener, scheiterte ebenfalls an der dürftigen Quellenbasis und zeigt eine starke ideologische Einfärbung.23 Zielführender war der Versuch von Georg Bailey, den früheren CIA-Chef von Berlin David Murphy und seinen KGB-Gegenspieler Sergej A. Kondraschow zu einer gemeinsamen Publikation zu bewegen.24 Zudem erfuhr man aus den nun offengelegten Beständen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR vieles über Technik und Methoden eines Nachrichtendienstes, von denen manches Allgemeingültigkeit haben dürfte.25 Dies gilt auch für die fernmeldeelektronische Aufklärung der Nationalen Volksarmee (NVA) und des MfS.26 In den letzten Jahren erschienen zudem mehrere Arbeiten zur Frage, wie nachrichtendienstliche Mittel, demokratische Kontrolle und der Schutz der Bürgerrechte zu vereinbaren seien.27 Josef Foschepoth nahm die Post- und Telefonüberwachung in den Blick und diskutiert erstmals diese Grundfragen auch für die geheimdienstliche Nachrichtenbeschaffung mit technischen Mitteln.28

War die Quellenlage für die Nachrichtendienst-Geschichte schon dünn, so entzog sich der technische Nachrichtendienst durch hohe Geheimhaltung und eine komplexe eingesetzte Technik dem Zugriff noch mehr. Hier konnte zunächst nur auf den Forschungsstand über den Zweiten Weltkrieg zurückgegriffen werden, da nur sehr wenige neuere Quellen verfügbar waren.29 Mit der Wiederbewaffnung eröffnete sich neben der Funkaufklärung des Bundesnachrichtendienstes auch das Feld der sogenannten Elektronischen Kampfführung der Bundeswehr, die Elemente einer eigenen Funkaufklärung einschließt. Durch die weniger restriktive Geheimhaltung war es möglich, von diesem Bereich des Wellenkrieges ein lückenhaftes, aber detailliertes Bild zu gewinnen. Besonders Oberst a. D. Rudolf Grabau, der viele Jahre auf diesem Gebiet tätig war, hat umfangreiches Material zur Elektronischen Kampfführung veröffentlicht, das umfassenden Einblick in eingesetzte Technologien und Verfahren gibt.30 An eine Übersicht über die Funkaufklärung in Deutschland nach 1945 wagte sich 2005 erstmals Günther Weiße, diese trägt jedoch trotz vieler akribisch zusammengetragener Details nur wenig zum Einblick in die Funkaufklärung und Funkinfrastruktur des Bundesnachrichtendienstes bei.31 Zu an die Fernmeldeaufklärung und an das Funkwesen angrenzenden Verfahren wie Kryptologie ist der Forschungsstand aufgrund der schwierigen Quellenlage noch dürftiger. Bislang wurden nur Grundlagen und einzelne Verfahren beleuchtet.32 Mehr noch gilt dies für den Agentenfunk. Hier beschränkt sich der Wissensstand bislang auf die eingesetzte Technik. Aufbau, Struktur und Einsatzprinzipien liegen zum größten Teil im Dunkeln.33

Quellen und Methode

Mit der Öffnung des BND-Archivs sowie entsprechender Bestände der VS-Registratur des Bundeskanzleramts, zunächst nur für die Forschungen der Unabhängigen Historikerkommission,34 hat sich die Aktenlage zur Geschichte des BND und seiner Vorläuferorganisation bis 1968 trotz zahlreicher Lücken wesentlich verbessert.35 Für die vorliegende Arbeit konnte zudem auf relevante Bestände des Bundesarchiv-Militärarchivs (BA-MA) zurückgegriffen werden. Wie erwartet hat sich der Bestand der VS-Registratur des Bundeskanzleramtes und des BA-MA gut erschlossen und leicht verwertbar gezeigt. Im Gegensatz hierzu sind im Archiv des Bundesnachrichtendienstes die relevanten Aktenbestände nur in Teilen erschlossen. Viele Akten befinden sich in dem Zustand, wie sie die Fachabteilungen ursprünglich abgegeben haben. Es mangelt an einer inneren Ordnung, Zusammenhänge müssen mühsam über zahlreiche Aktenstücke rekonstruiert werden, wesentliche Bestandteile scheinen manchmal zu fehlen. Zudem ist der Aspekt, dass Akten immer im vollen Bewusstsein ihrer späteren Aussagekraft verfasst wurden, gerade im geheimdienstlichen Umfeld nicht zu vernachlässigen. So sind Sachverhalte bewusst vage dargestellt, um sie nach außen oder innen zu verschleiern. Auch sind Aussagen, Bewertungen oder Kritik nicht immer sachlich gehalten, sondern möglicherweise ein Vehikel für dahinterstehende Forderungen nach finanziellen oder personellen Ressourcen. Letztlich sahen die Verfasser Akten oft als durchgehendes Arbeitsmaterial an und nutzten sie nicht zur vollständigen Dokumentation des eigenen Handelns. Man ging schlicht nicht davon aus, dass irgendjemand bestimmte Vorgänge nach deren Abschluss noch einmal zu Gesicht bekommen würde.

Eine Hilfe stellten für einzelne Dienststellen oder Abteilungen ex post erstellte Chroniken dar, die sich ebenfalls im Bestand des BND-Archivs finden lassen. Auch wenn diese an manchen Stellen nur ein faktisches Gerüst bieten, sind ihre mit langem zeitlichen Abstand getroffenen Bewertungen mit Vorsicht zu genießen. Gerade an diesen Chroniken zeigt sich, dass die Verfasser mit den gleichen Problemen bezüglich der dienstinternen Aktenlage zu kämpfen hatten – schon mit geringerem zeitlichen Abstand als dem heutigen ließen sich einzelne Vorgänge nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren. Grundsätzlich ist festzustellen, dass sich die Qualität der Akten zum Ende des Untersuchungszeitraums verbesserte. Große Lücken in der Frühzeit der Organisation Gehlen ließen sich durch die vom historischen Büro der CIA herausgegebene Quellen-edition zur Geschichte der amerikanisch-deutschen Geheimdienstbeziehungen zwischen 1945 und 1956 füllen.36 Sie illustrieren umfassend US-amerikanische Diskussionen und Bewertungen und enthalten zahlreiche Details zur Funkaufklärung und zum Agentenfunk.

Der umfassende Aktenzugang für die UHK bot die Möglichkeit, die Entwicklung von Agentenfunk und Funkaufklärung in der Organisation Gehlen und dem Bundesnachrichtendienst mit den Methoden einer konventionellen zeitgeschichtlichen Herangehensweise zu untersuchen. So sind Planungen, Konzepte und Strategien, die sich im Aktenbestand nachweisen lassen, oftmals als Reaktion auf Veränderungen des politischen – besonders des außenpolitischen – Umfeldes aufzufassen. Gerade die Organisation Gehlen und später der Bundesnachrichtendienst befanden sich in einer hochkomplexen Gemengelage zwischen der eigenen Rolle als geheimem Meldedienst, den Anforderungen vonseiten der deutschen, aber auch der US-amerikanischen Bedarfsträger und dem stark durch ostdeutsches oder sowjetisches Handeln bestimmten Tätigkeitsfeld. So ist es ein Bestreben dieser Arbeit, den Aufbau und das Wirken der Abteilung Technik in diesem Spannungsfeld zu verorten. Ermöglicht wird dies nicht nur durch die Analyse der sich verändernden Strukturen und der den Veränderungen zugrunde liegenden Konzepte. Auch das Verhältnis zu konkurrierenden Einheiten wie den westdeutschen Streitkräften oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz kann herangezogen werden, um die sich verändernde Rolle in einen Gesamtzusammenhang zu setzen. Umfassende Schriftwechsel, Stellungnahmen oder externe Bewertungen zum Beispiel durch das Bundeskanzleramt ermöglichen es, diese Beziehungen darzustellen. Die Wechselbeziehungen von technischer Innovation und Kontinuitäten zur Zeit vor 1945 in Personal, Arbeitsweise und Selbstverständnis stellen einen Aspekt dar, dem besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird.37

Dem militärischen Umfeld und den fließenden Übergängen in die Streitkräfte geschuldet, ist die Analyse der Abteilung Technik auch eine Militärgeschichte. Es bestanden nicht nur sehr wirkmächtige personelle Kontinuitäten zur Wehrmacht und nach der Wiederbewaffnung auch intensive Beziehungen zur Bundeswehr. Die Technik spielte eine wesentliche Rolle bei den Verteidigungsplanungen des Dienstes, von der Evakuierung bis zum Aufstellen der sogenannten Rücklasskräfte. Hier ist nach Strukturen, Funktionsmechanismen und Organisationen zu fragen, die im Bundesnachrichtendienst aufwuchsen. Diese können aus Dienststellenakten, Stellenplänen, Inspektionsberichten, aber auch privater und dienstlicher Korrespondenz abgeleitet werden. Neben den Strukturen sollen Mentalitäten und daraus entstehende Wirkungszusammenhänge in den Blick genommen werden – und letztlich der Frage nachgegangen werden, wie wirkmächtig sich der militärische Charakter der Organisation Gehlen und des Bundesnachrichtendienstes im Untersuchungszeitraum darstellte. Die Mischung aus Verflechtung und Konkurrenzsituation zur jungen Bundeswehr machte zudem die Einbeziehung von Militärakten aus dem BA-MA unabdingbar. So können über institutionelle Grenzen hinweg Gesamtzusammenhänge erschöpfend dargestellt werden. Eine vollständige Darstellung des Wellenkrieges für die Streitkräfte ist allerdings nicht der Anspruch der vorliegenden Arbeit. In deren Rahmen werden Aspekte der Bundeswehr nur in dem Maß beleuchtet, wie sie für diesen Teil der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes relevant sind.

Das Wirken der Abteilung Technik ist grundlegend von den technischen Möglichkeiten bestimmt. Die Weiterentwicklung eigener wie auch gegnerischer Technologien dominiert deren Einsatz und hat großen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg. Die Arbeit darf also nicht isoliert von der technischen Entwicklung betrachtet werden. So ist eine historische Betrachtung der Abteilung Technik immer auch eine Technikgeschichte. Die vorliegende Untersuchung befindet sich im daraus resultierenden klassischen Spannungsfeld:38 Erstens ist ein ingenieurwissenschaftlich geprägter Ansatz von Technikgeschichtsschreibung zu verfolgen, um Grundlagen, Wirkungsweise und Entwicklungen zu erfassen. Da hier erstmals auf Aktenbasis ein tiefer Blick in bislang nur wenig beschriebene Technologien genommen werden kann, ist es unerlässlich, den technischen Rahmen zu analysieren. Dies kann auf der Basis umfassender Konzepte, technischer Unterlagen, Ausbildungsunterlagen und Erfahrungsberichte erfolgen. Für das Gesamtverständnis ist es jedoch unabdingbar, zunächst technische, besonders fernmeldetechnische Grundlagen zu erläutern. Erst das Verständnis der physikalischen Rahmenbedingungen, des jeweiligen Standes von Forschung und Entwicklung sowie der praktischen technischen Umsetzung ermöglicht eine sinnvolle Einordnung der Vorgänge. Zweitens ist eine sozialwissenschaftlich interessierte Technikgeschichte gefragt. Dieser liegt ein erweiterter Technikbegriff zugrunde, der Technik als Wissenschaft, als Arbeitsmittel und als Umweltgestaltung des Menschen auffasst.39 Gerade im Bereich des Agentenfunks werden Leben und Handeln des eingesetzten Personals sehr stark durch Technik bestimmt. Die Folgen dieser Verknüpfung können anhand biografischer Einzelzugriffe genau betrachtet werden. Auf der Basis erhaltener Operativ-Akten des Dienstes konnte ein Fallbeispiel rekonstruiert werden.

Begriffe

Da sich die technische Terminologie im Untersuchungszeitraum stetig wandelte und auch die Verwendung in der Literatur nicht einheitlich ist, werden zunächst die verwendeten Begriffe definiert. Wesentliche Säulen jedes Nachrichtendienstes sind die Beschaffung durch menschliche Quellen, im Englischen human intelligence (HUMINT), und die Beschaffung aus offenen Quellen wie Presse und Publizistik, also open source intelligence (OSINT). Hiervon sind die folgenden Arbeitsfelder abzugrenzen:

Die Funkaufklärung bedeutet die Erfassung elektromagnetischer Ausstrahlungen gleich welcher Verwendung, also unabhängig davon, ob sie der Kommunikation dienen oder für Ortungs-, Steuerungs- oder andere Zwecke eingesetzt werden. Sie beschränkt sich jedoch auf Funkwellen. Wellen, die über Draht oder Lichtwellenleiter laufen, fallen nicht in dieses Gebiet. Dies unterscheidet die Funkaufklärung vom englischen Oberbegriff signal intelligence (SIGINT), der die Erfassung von Wellen in allen Übertragungsmedien einschließt. Für die Funkaufklärung ist generell die Zuordnung eines Standortes von Bedeutung. Dies geschieht, in Unterscheidung vom Horchdienst zur Erfassung der Signale, durch den sogenannten Peildienst. Im Englischen wird dieser Begriff mit DF (direction finding) abgekürzt. Er ermöglicht durch die Kombination mehrerer Richtungsangaben die Lokalisierung eines Emitters.

Die Fernmeldeaufklärung beschäftigt sich mit der Erfassung von elektromagnetischen Ausstrahlungen, die der Kommunikation dienen. Sie ist identisch mit dem englischen Begriff communication intelligence (COMINT). Auch hier erfolgt die Erfassung unabhängig vom Medium, das heißt, auch das Abhören drahtgebundener Kommunikation fällt unter diesen Begriff. In der Organisation Gehlen und dem BND spielte das Abhören von Telefonen im untersuchten Zeitraum allerdings keine Rolle, da erst im August 1968 im Zuge der G10-Gesetzgebung dem BND Kompetenzen in diesem Aufklärungsfeld zufielen.40 Folglich ist in dieser Arbeit Fernmeldeaufklärung als ein Unterbegriff von Funkaufklärung zu verstehen. Die Fernmeldeaufklärung befasst sich in diesem Kontext also mit der Erfassung von elektromagnetischen Abstrahlungen, die der Kommunikation dienen. Was ebenfalls nicht unter diesen Begriff fällt, ist das Abhören von Örtlichkeiten mittels sogenannter Wanzen oder durch Richtmikrofone. Hier wird keine elektromagnetische Ausstrahlung erfasst, sondern Akustik.

Die elektronische Aufklärung erfasst Signale, die nicht der Kommunikation dienen, also Emissionen technischer Anlagen oder Steuerungssignale für Flugkörper oder Satelliten. Im Englischen wird hierfür der Begriff electronic intelligence (ELINT) verwendet. Die elektronische Aufklärung hat ihren Ursprung in der Erfassung der stärksten Emitter in diesem Bereich, der sogenannten Funkortung und Funkabstandsmessung (radio detection and ranging, RADAR). Daher rührt auch der noch im Zweiten Weltkrieg gebrauchte Begriff Funkmessbeobachtung für die Elektronische Aufklärung.

In den deutschen Streitkräften sind nach dem Zweiten Weltkrieg alle Maßnahmen zur Aufklärung, Unterstützung, Gegenmaßnahmen sowie Schutzmaßnahmen im gesamten elektromagnetischen Spektrum unabhängig von der Kommunikationsbeziehung unter dem Oberbegriff Elektronische Kampfführung (EloKa) gebündelt. Am ehesten lässt sich dieser Begriff mit electronic warfare (EW) übersetzen. Unter diesen Begriff fallen auch die elektronischen Gegenmaßnahmen, electronic counter measures (ECM), die elektronischen Schutzmaßnahmen, electronic support measures (ESM), und die Gegen-Gegenmaßnahmen, electronic counter counter measures (ECCM).

Zum Umgang mit den verwendeten BND-Akten ist Folgendes anzumerken: In der Organisation Gehlen und im Bundesnachrichtendienst waren die Abteilungen und Dienststellen mit einem komplexen Nummernsystem bezeichnet. Dieses folgte keiner inneren Logik und wechselte in unregelmäßigen Abständen. Soweit es sich für den jeweiligen Zeitpunkt nachvollziehen ließ, wurden in den Fußnoten Zuordnungen zu den Abteilungen vorgenommen. Zur besseren Zuordenbarkeit der einzelnen Dokumente wurden, wenn vorhanden, das Aktenzeichen des Vorganges und die Tagebuchnummer verzeichnet. Soweit die verwendeten Akten paginiert waren, findet sich die Blattnummer des Dokuments.

Des Weiteren waren Mitarbeiter der Organisation Gehlen und des BND oft mit einem sogenannten Dienstnamen, also Decknamen versehen. Die Dienstnamen wurden, soweit es für die Einordnung der Ergebnisse in den Zusammenhang nötig war, aufgelöst, ebenso wenn die Decknamen bereits aus anderen Quellen bekannt waren.

Nach Fertigstellung hat das Manuskript eine Überprüfung durch den Bundesnachrichtendienst auf heute noch relevante Sicherheitsbelange durchlaufen. Diese hatte keinerlei Einfluss auf die veröffentlichten historischen Sachverhalte und Schlussfolgerungen. Stellen, an denen einzelne Informationen durch den Bundesnachrichtendienst nicht freigegeben wurden, sind durch Schwärzungen kenntlich gemacht.

Dank

Die vorliegende Untersuchung entstand im Rahmen der Arbeit der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968. Ich danke Prof. Dr. Jost Dülffer, Prof. Dr. Klaus-Dietmar Henke, Prof. Dr. Rolf-Dieter Müller und meinem Doktorvater Prof. Dr. Wolfgang Krieger für die Möglichkeit, an diesem außergewöhnlichen Projekt mitzuwirken. Von den Projektbeteiligten danke ich besonders Dr. Agilolf Keßelring und Dr. Sabrina Nowack für ihre kenntnisreichen Anregungen und Impulse sowie Thomas Wolf für seine tatkräftige Hilfe. Stellvertretend für alle Unterstützer außerhalb des Projektes danke ich Fregattenkapitän Dr. Rüdiger Schiel für seine maritime Expertise.

Meinem Forschungsgegenstand liegt eine sehr komplexe Technologie zugrunde, herausgehobener Dank gilt daher den beteiligten Mitarbeitern der Technischen Aufklärung des BND, die bei der Durchdringung dieser Materie eine wertvolle Unterstützung waren und die Arbeit durch ihre Fachkenntnis enorm bereichert haben. Ebenso bin ich der »Dame mit der Wollmütze« zu großem Dank verpflichtet; ohne ihren besonderen Einsatz wäre das Buch in dieser Form nur schwer zu realisieren gewesen. Zuletzt gilt mein persönlicher Dank »meinem Bruder« für die Kameradschaft im Pullacher Wellenkrieg und darüber hinaus.

1 Leo Hepp, Deckname »Höbel«, Jahrgang 1907, ab 1925 Soldat der Fernmeldetruppe, im Krieg als Generalstabsoffizier an der Ostfront, zuletzt Chef des Stabes im Heeresnachrichtenwesen, letzter Dienstgrad Oberst i. G., nach dem Krieg als Zeuge bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen; Eintritt in die Organisation Gehlen 1948.

2 Hepp bezog sich auf eine zuvor in der Zeitschrift Wehrkunde erschienene Studie »Gedanken zur Gliederung einer modernen Wehrmacht« von General Staedke, in der dieser postuliert, dass es neben Landkriegsführung, strategischer Luft- und Fernwaffenkriegsführung, der Seekriegsführung und der Heimatverteidigung einen fünften Führungsbereich gebe, in dem der »Wellenkrieg in der vierten Dimension, dem Äther«, geführt werde. Vgl. Leo Hepp: Die Funkaufklärung, ein Teilgebiet des Wellenkrieges, Wehrwissenschaftliche Rundschau 3 (1956) 6, S. 285–298.

3 Ebd., S. 287.

4 Vgl. hierzu die Überlegungen zum »Krieg im Äther« bei Alexander I. Pali: Technik und Methoden des funkelektronischen Krieges, Berlin (DDR) 1968; siehe auch Konrad Guthardt und Heinz Dörnenburg: Elektronischer Kampf. Historische Entwicklung mit Beispielen aus acht Jahrzehnten, Ulm 1986, hier: Begriffsbestimmungen und Erläuterungen für die Elektronische Kampfführung.

5 Leo Hepp, Die Abteilung Nachrichtendienst in der Organisation Gehlen, 13. 1. 1983, BND-Archiv N 14, Bd. 6.

6 Vgl. Armin Müller: Die technische Nachrichtenbeschaffung der Organisation Gehlen; in: Achtung Spione! Geheimdienste in Deutschland 1945 bis 1956. Essays, hg. von Magnus Pahl, Gorch Pieken und Matthias Rogg, Dresden 2016, S. 225–235.

7 Vgl. hierzu grundsätzlich Department of the Army, Headquarters, Field Manual No. 3-36 Electronic Warfare, Washington 2012; Joint Chiefs of Staff, Joint Publication 3-13.1 Electronic Warfare, Washington 2007; U. S. Army Combined Arms Center (CAC), Field Manual No. 3-36 Electronic Warfare In Operations. Safeguarding Soldiers Through Technology, Fort Leavenworth 2009; Josef Olischer: Elektronische Kampfführung I, Wien 2003 (Truppendienst-Taschenbuch; 17A. Reihe Wehrtechnik).

8 Zu diesen Überlegungen vgl. Erich Hüttenhain: Erfolge und Mißerfolge der deutschen Chiffrierdienste im Zweiten Weltkrieg; in: Die Funkaufklärung und ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg, hg. von Jürgen Rohwer und Eberhard Jäckel, Stuttgart 1979, S. 100–116; sowie Reginald Jones: Möglichkeiten, Grenzen und Gefahren der im Zweiten Weltkrieg angewandten Verfahren elektronischer Kampfführung; in: ebd., S. 228–254; vgl. grundsätzlich auch Arthur O. Bauer: Funkpeilung als alliierte Waffe gegen deutsche U-Boote 1939–1945. Wie Schwächen und Versäumnisse bei der Funkführung der U-Boote zum Ausgang der »Schlacht im Atlantik« beigetragen haben, Diemen 1997; David Kahn: Seizing the Enigma – The Race to Break the German U-Boat Codes, 1939–1943, Annapolis 2012; Heinz Ulbricht: Die Chiffriermaschine Enigma – trügerische Sicherheit. Ein Beitrag zur Geschichte der Nachrichtendienste, Braunschweig 2005; Francis Harry Hinsley, Alan Stripp: Codebreakers – The inside story of Bletchley Park, Reading 1993.

9 Die Bundesstelle für Fernmeldestatistik wird offiziell als eine Bundesbehörde mit Sitz in Stockdorf, Gemeinde Gauting bei München, geführt, vgl. Kleine Anfrage des Abgeordneten Lars Harms, 10. 8. 2000, Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 15/311. Im Zuge der Transparenzoffensive wurden im Jahr 2014 die Legenden für eine Reihe von Einrichtungen der Fernmeldeaufklärung aufgehoben, so von Bad Aibling, Gablingen, Stockdorf und Söcking in Bayern, Rheinhausen in Baden-Württemberg und Schöningen in Niedersachsen. Am Tor der Liegenschaft in Stockdorf sind nun die Behördenschilder Bundesnachrichtendienst und Bundesstelle für Fernmeldestatistik deutlich sichtbar übereinander angebracht.

10 In dieser Arbeit wird aufgrund ihrer unterschiedlichen Rechtsform und weiterer Faktoren zwischen der Organisation Gehlen und dem Bundesnachrichtendienst unterschieden. Wo es geboten scheint, wird die im entsprechenden Zeitraum zutreffende Bemerkung verwendet. Der Begriff »der Dienst« wird in Anlehnung an Reinhard Gehlen benutzt, wenn die Organisation Gehlen und der Bundesnachrichtendienst als durchgehende organisatorische Einheit gemeint sind. Vgl. Reinhard Gehlen: Der Dienst. Erinnerungen 1942–1971, Mainz, Wiesbaden 1971. Auch der Begriff Organisation Gehlen ist problematisch, da er eine Selbstzuschreibung darstellt und unterschiedlichen Bezeichnungen unter US-amerikanischer Ägide nicht Rechnung trägt. Da aber auch seine Verwendung nicht stringent ist, wird für die Organisation als Ganzes bis zur Übernahme in den Bundesnachrichtendienst durchgehend der Begriff Organisation Gehlen benutzt.

11 Gemeint ist die 12. Abteilung des Generalstabs im Oberkommando des Heeres, die Reinhard Gehlen zuletzt als Generalmajor führte und die als eine Keimzelle des späteren Bundesnachrichtendienstes angesehen werden kann. Vgl. hierzu Magnus Pahl: Fremde Heere Ost. Hitlers militärische Feindaufklärung, Berlin 2012; David Kahn: Hitler’s Spies. German Military Intelligence in World War II, London, Sydney, Auckland, Toronto 1978.

12 Zur Auftragsforschung vgl. die grundsätzlichen Überlegungen von Wolfgang Krieger: »Official history« in Deutschland: Der Bundesnachrichtendienst und seine Geschichte; in: Licence to detect. Festschrift für Siegfried Beer zum 65. Geburtstag, hg. von Alfred Ableitinger und Martin Moll, Graz 2013, S. 561–577, hier S. 567–577. Weitere Projekte etwa zum Auswärtigen Amt vgl. Eckart Conze, Norbert Frey, Peter Hayes, Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010; zum Bundeskriminalamt: Imanuel Baumann, Herbert Reinke, Andrej Stephan, Patrick Wagner: Schatten der Vergangenheit. Das BKA und seine Gründungsgeneration in der frühen Bundesrepublik, Köln 2011; zum Bundesamt für Verfassungsschutz: Constantin Goschler und Michael Wala: »Keine neue Gestapo«. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit, Hamburg 2015.

13 Christoph Rass: Das Sozialprofil des Bundesnachrichtendienstes. Von den Anfängen bis 1968, Berlin 2016; Ronny Heidenreich, Daniela Münkel und Elke Stadelmann-Wenz: Geheimdienstkrieg in Deutschland. Die Konfrontation von DDR-Staatssicherheit und Organisation Gehlen 1953, Berlin 2016; Gerhard Sälter: Phantome des Kalten Krieges. Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbildes »Rote Kapelle«, Berlin 2016; Sabrina Nowack: Sicherheitsrisiko NS-Belastung. Personalüberprüfungen im Bundesnachrichtendienst in den 1960er-Jahren, Berlin 2016; Ronny Heidenreich: Die Organisation Gehlen und der Volksaufstand am 17. Juni 1953, Marburg 22013; Jost Dülffer, Klaus-Dietmar Henke, Wolfgang Krieger, Rolf-Dieter Müller (Hg.): Die Geschichte der Organisation Gehlen und des BND 1945–1968. Umrisse und Einblicke. Dokumentation der Tagung am 2. 12. 2013, Marburg 2014; Agilolf Keßelring: Die Organisation Gehlen und die Verteidigung Westdeutschlands. Alte Elitedivisionen und neue Militärstrukturen, 1949–1953, Marburg 2014; Andreas Hilger und Armin Müller: »Das ist kein Gerücht, sondern echt«. Der BND und der »Prager Frühling« 1968, Marburg 2014; Jost Dülffer: Pullach intern. Innenpolitischer Umbruch, Geschichtspolitik des BND und »Der Spiegel«, 1969–1972, Marburg 2015.

14 Als eine der ersten Publikationen sei genannt: Armin Wagner und Matthias Uhl: BND contra Sowjetarmee. Westdeutsche Militärspionage in der DDR, Berlin 2007.

15 Christopher Simpson: Der amerikanische Bumerang. NS-Kriegsverbrecher im Sold der USA, Wien 1988; Mary Ellen Reese: Organisation Gehlen. Der Kalte Krieg und der Aufbau des deutschen Geheimdienstes, Berlin 1992; Jens Wegener: Die Organisation Gehlen und die USA. Deutsch-amerikanische Geheimdienstbeziehungen 1945–1949, Berlin 2008.

16 Hermann Zolling und Heinz Höhne: Pullach intern. General Gehlen und die Geschichte des Bundesnachrichtendienstes, Hamburg 1971. Zur Entstehung der Studie vgl. Dülffer, Pullach intern.

17 Albrecht Charisius und Julius Mader: Nicht länger geheim. Entwicklung, System und Arbeitsweise des imperialistischen deutschen Geheimdienstes, Berlin (DDR) 1969.

18 Gehlen, Der Dienst; Heinz Felfe: Im Dienst des Gegners, Hamburg 1986; ähnlich auch Hans-Joachim Geyer: Am Anfang stand das Ende … Spionage-Roman, Berlin (DDR) 1954; James H. Critchfield: Auftrag Pullach. Die Organisation Gehlen 1948–1956, Hamburg 2005.

19 Erich Schmidt-Eenboom: Schnüffler ohne Nase. Der BND – Die unheimliche Macht im Staate, Düsseldorf 1993; Udo Ulfkotte: Verschlußsache BND, München, Berlin 1997; Peter F. Müller und Michael Mueller: Gegen Freund und Feind. Die Geschichte des BND, Reinbek 2002.

20 Exemplarisch seien genannt: Manfred Fuchs: Der österreichische Geheimdienst. Das zweitälteste Gewerbe der Welt, Wien 1997; Oleg Gordiewski und Christopher Andrew: KGB. Die Geschichte seiner Auslandsoperationen von Lenin bis Gorbatschow, München 1990; Christopher Andrew: MI 5. Die wahre Geschichte des britischen Geheimdienstes, Berlin 2011; Stephen Dorril: MI 6 – Inside the Covert World of her Majesty’s Secret Intelligence Service, New York 2000.

21 Beispiele sind: Waldemar Markwardt: Erlebter BND. Kritisches Plädoyer eines Insiders, Böblingen 1996; Norbert Juretzko: Bedingt dienstbereit. Im Herzen des BND – die Abrechnung eines Aussteigers, Berlin 2004; Helmut Erhardt: Für den BND in Afrika. Episoden 1958 bis 2009, Norderstedt 2012.

22 Helmut Roewer, Stefan Schäfer und Matthias Uhl: Lexikon der Geheimdienste im 20. Jahrhundert, München 2003; vergleichbar Leo D. Carl: CIA Insider’s Dictionary of US and Foreign Intelligence, Counterintelligence & Tradecraft, Washington1996. Zur neueren Geheimdienstforschung in Deutschland vgl. auch Wolfgang Krieger und Jürgen Weber (Hg.): Spionage für den Frieden? Nachrichtendienste in Deutschland während des Kalten Krieges, München 1997; Wolfgang Krieger (Hg.): Geheimdienste in der Weltgeschichte. Spionage und verdeckte Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart, München 2003; Wolfgang Krieger: Geschichte der Geheimdienste von den Pharaonen bis zur CIA, München 2009; Ableitinger/Moll, Licence to detect; Carlos Collado Seidel (Hg.): Geheimdienste, Diplomatie und Krieg. Das Räderwerk der internationalen Beziehungen. Festschrift zum 65. Geburtstag von Wolfgang Krieger, Berlin 2013 (Studies in Intelligence History; 3); zuletzt Magnus Pahl, Gorch Pieken und Matthias Rogg (Hg.): Achtung Spione! Geheimdienste in Deutschland 1945–1956. Essays, Dresden 2016; bemerkenswert zu den Biografien führender Geheimdienstmitarbeiter: Dieter Krüger und Armin Wagner: Konspiration als Beruf. Deutsche Geheimdienste im Kalten Krieg, Berlin 2003.

23 Klaus Eichner und Gotthold Schramm: Angriff und Abwehr. Die deutschen Geheimdienste nach 1945, Berlin 2007.

24 George Bailey, Sergej A. Kondraschow und David E. Murphy: Die unsichtbare Front. Der Krieg der Geheimdienste im geteilten Berlin, Berlin 1997.

25 Kristie Macrakis: Die Stasi-Geheimnisse. Methoden und Technik der DDR-Spionage, München 2009; auch David Gill und Ulrich Schröter: Das Ministerium für Staatssicherheit. Anatomie des Milke-Imperiums, Berlin 1991.

26 Andreas Schmidt: Hauptabteilung III: Funkaufklärung und Funkabwehr, Berlin 2010; Peter Blümer (Hg.): Die Militäraufklärung der NVA. Die Funk- und funktechnische Aufklärung (FuAR-2/ZFD) – ehemalige Aufklärer berichten, Berlin 2013.

27 Zu grundsätzlichen Überlegungen vgl. Stefanie Waske: Mehr Liaison als Kontrolle. Die Kontrolle des BND durch Parlament und Regierung, 1955–1978, Wiesbaden 2009; Dominic Hörauf: Die demokratische Kontrolle des Bundesnachrichtendienstes. Ein Rechtsvergleich vor und nach 9/11, Hamburg 2011; Erik Hansalek: Die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung im Bereich der Nachrichtendienste, Frankfurt am Main 2006; Michael Brenner: Bundesnachrichtendienst im Rechtsstaat. Zwischen geheimdienstlicher Effizienz und rechtsstaatlicher Kontrolle, Baden-Baden 1990.

28 Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, Göttingen 2012.

29 Jürgen Rohwer und Eberhard Jäckel (Hg.): Die Funkaufklärung und ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart 1979; Fritz Trenkle: Die deutschen Funkpeil- und -Horch-Verfahren bis 1945, Ulm 1981; Guthardt/Dörnenburg, Elektronischer Kampf; Günther K. Weiße: Geheime Nachrichtendienste und Funkaufklärung im Zweiten Weltkrieg. Deutsche und alliierte Agentenfunkdienste in Europa 1939–1945, Graz 2009. Zum Forschungsamt der Luftwaffe, das auch in diesen Kontext einbezogen werden kann, vgl. Günther W. Gellermann: … und lauschten für Hitler. Geheime Reichssache: Die Abhörzentralen des Dritten Reiches, Bonn 1991.

30 Rudolf Grabau: Funküberwachung und Elektronische Kampfführung. Grundlagen, Technik und Verfahren, Stuttgart 1986; Rudolf Grabau: Die Fernmeldetruppe EloKa des Heeres 1956 bis 1990. Band 1: Die Fernmeldetruppe EloKa des Heeres in den Jahren 1957 bis 1990, Bonn 1995; Band 2: Der materielle Aufbau der Fernmeldetruppe EloKa des Heeres in den Jahren 1956 bis 1975, Bonn 1994; Band 3: Die materielle Ausstattung der Fernmeldetruppe EloKa des Heeres in den Jahren 1976 bis 1990, Bonn 1995; Band 4: Fernmeldeelektronische Aufklärung, elektronische Gegenmaßnahmen und elektronischer Kampf im Heer in den Jahren 1957 bis 1990, Bonn 1995; Rudolf Grabau: Ideen und Planungen für eine militärische Funkaufklärung in Westdeutschland nach Ende des 2. Weltkrieges, Much 1999; Rudolf Grabau: Der Neubeginn der FmEloAufkl und der EloKa der Luftwaffe ab 1956 und das dem Neuaufbau zugrundeliegende Konzept, Much 2000; Rudolf Grabau: Lageaufklärung Ost. Elektronische Kampfführung – SIGINT – des Heeres der Bundeswehr im Kalten Krieg, Berlin 2014.

31 Günther K. Weiße: Geheime Funkaufklärung in Deutschland, Stuttgart 2005.

32 Friedrich L. Bauer: Entzifferte Geheimnisse. Methoden und Maximen der Kryptologie, 3., überarb. und erw. Aufl., Berlin 2000; Michael Pröse: Chiffriermaschinen und Entzifferungsgeräte im Zweiten Weltkrieg. Technikgeschichte und informatikhistorische Aspekte, München 2006. Das Standardwerk zum Thema: David Kahn: The Codebreakers. The Story of Secret Writing, New York 1967.

33 Daran hat die Abgabe kleinerer Aktenbestände an das Bundesarchiv nichts Grundlegendes geändert. Als relevante Diskussion der Quellenlage mit Bezug auf die Bestände im Bundesarchiv vgl. Matthias Uhl und Armin Wagner: Die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen nachrichtendienstlicher Aufklärung. Bundesnachrichtendienst und Mauerbau, Juli–September 1961, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 55 (2007) 4, S. 681–725.

34 Zur Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes, seiner Vorläuferorganisationen sowie seines Personal- und Wirkungsprofils von 1945 bis 1968 und des Umgangs mit dieser Vergangenheit, so der ausführliche Titel, vgl. die Überlegungen von Wolfgang Krieger, Official history, hier S. 567–577; Vortrag Klaus-Dietmar Henke auf dem 3. Rosenburg-Symposium, Berlin, 8. 5. 2013, unter www.uhk-bnd.de/wp-content/uploads/2013/05/Klaus-Dietmar-Henke-3.Rosenburg-Symposium-8.5.2013.pdf (Zugriff: 24. 1. 2017).

35 Die Überlieferung im BND-Archiv ist aufgrund der Entstehungsgeschichte des Archivs (seit den 1980er-Jahren) sowie angesichts spezifischer Arbeitsweisen im Dienst keineswegs komplett, die vorhandenen Bestände sind noch nicht vollständig erschlossen. Vgl. Uhl/Wagner: Die Möglichkeiten, S. 689–690; Elke-Ursel Hammer: »Archivwesen« im Bundesnachrichtendienst und Bestand B 206 im Bundesarchiv. Vom Quellen-/Methodenschutz und dem historischen Interesse, Mitteilungen aus dem Bundesarchiv 12 (2004) 1, S. 42–44; Krieger: Official history, S. 574–575.

36 Kevin C. Ruffner: Forging an Intelligence Partnership: The CIA and the Origins of BND, Teil 1: 1945–49, Washington 1999 (CIA History Staff, declassified 2002); Kevin C. Ruffner: Forging an Intelligence Partnership: The CIA and the Origins of BND, Teil 2: 1949–56, Washington 2006 (CIA, National Clandestine Service, declassified 2007). Zu den zahlreichen Coverfirmen und Dienststellen siehe Memorandum of record MX-7106, subj., Catide Cover Firms, 2. 11. 1965, CIA reading room, special collection NWCDA/140 Karl Ihm.

37 Besonders für die Ära Adenauer vgl. Axel Schildt und Arnold Sywottek (Hg.): Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1993.

38 Helmuth Albrecht: Technik als gesellschaftliches Phänomen; in: Technik und Gesellschaft, hg. von Helmuth Albrecht und Charlotte Schönbeck, Düsseldorf 1993 (Technik und Kultur; 10), S. 1–31.

39 Ebd., S. 24.

40 Auch organisatorisch ist das Abhören drahtgebundener Kommunikation nicht in der Abteilung Technik angesiedelt. Deshalb bleibt das Abhören von Telefonen in dieser Arbeit unberücksichtigt, soll aber im Rahmen der Aufarbeitung durch die Unabhängige Historikerkommission an anderer Stelle thematisiert werden.

I. Wellenkrieg

Am Anfang war das Heer. Es hatte die deutsche Geschichte geprägt, bestimmt und vor sich hergetrieben, bis die einstmals größte Landstreitkraft Mitteleuropas in der Stunde null aufhörte zu existieren. Dies galt zumindest für die meisten Soldaten des Zweiten Weltkriegs – doch nicht alle kehrten nach Hause in ihr ziviles Leben zurück. Für manche setzte sich die Konfrontation in veränderter Art und Weise fort. Für manche von ihnen blieb es weiterhin ein unsichtbarer Konflikt, ausgetragen im elektromagnetischen Spektrum. Leise, unbemerkt, ohne Kampfhandlungen – doch mit Verlusten.

1. Von Zossen nach Pullach

Stunde null

Für Oberstleutnant Hermann Baun, einen der exponiertesten Vertreter der frühen Organisation Gehlen, endete der Zweite Weltkrieg am 29. Juli 1945. An diesem Tag wurde er vom 80th MIS Detachement in Hinterberg bei Sonthofen verhaftet und nach Freising ins 3rd Army Interrogation Center, den sogenannten Freising Cage überstellt.1 Im Krieg hatte Baun die Leitstelle I für Frontaufklärung Ost (»Walli I«) unterstanden, zu der Generalmajor Reinhard Gehlen als Leiter der 12. Abteilung im Generalstab des Heeres Fremde Heere Ost (FHO) in der Spätphase des Krieges enge Verbindungen aufgebaut hatte. Baun hatte Gehlen damit das geliefert, was dessen Abteilung fehlte: eigene Aufklärungskräfte an und hinter der Ostfront.2 Hierzu wurde Baun im August und September 1945 von den US-Amerikanern intensiv befragt:

His preliminary interrogation took place on 17 August at the 3rd Army Interrogation Center, where it was noted that he was knowledgable on the subjects of the organization and personnel of the Leitstelle I Ost down to FAK [Frontaufklärungskommando] level and in this connection drew up charts to show the overall organization of the German Intelligence services and their relationship to the FHO, the German High Command and the Nazi Party during the period from June 1941 to March 1945. He also furnished information and sketches to show the movement and ultimate location of FAK units which had been under his command and of the final Bavarian resting place of Leitstelle I Ost sections and files.3

Dies passte zu den Informationen, die man von Reinhard Gehlen erhalten hatte – Baun wurde auf Anordnung des Military Intelligence Service Center (MISC)4 nach Oberursel verlegt. Am 19. September traf Baun dort auf Gerhard Wessel, der nach der Abreise der Gehlen-Gruppe in die Vereinigten Staaten von Wiesbaden dorthin verlegt worden war.5 Von den amerikanischen Stellen war zunächst geplant, Baun und seine Kontakte nur für die Gegenspionage einzusetzen. Es gelang nach eigener Darstellung jedoch Wessel und Baun, die amerikanische Seite von einer Ausweitung der Arbeit auf die Beschaffung mit dem Ziel einer Aufklärung der sowjetischen Streitkräfte zu überzeugen. Diese begann Anfang April 1946.6 Zur selben Zeit wurde ein wichtiger Mitarbeiter Bauns aus der US-amerikanischen Kriegsgefangenschaft entlassen. Ferdinand Bödigheimer7 – ursprünglich Lehrer – war schon vor dem Krieg bei der Abwehr-Funkstelle »Eiserne Hand«8 tätig gewesen. Im Krieg hatte er unter Baun die Position des Agentenfunkleiters Ost inne, er war also zuständig für die Funkkommunikation mit Bauns Quellen hinter den feindlichen Linien. Wie viele andere Funker, die von der Abwehr kriegsverpflichtet worden waren, war er leidenschaftlicher Amateurfunker – er galt als ausgewiesener Experte seines Faches und hatte bereits mehrere Standardwerke zur Amateurfunktechnik verfasst.9 Im Mai 1946 begann er unter dem persönlichen Decknamen »Banner« in Oberursel unter der Abdeckung HQ-Eucom Meterological Survey Unit APO 575 US-Army mit dem Aufbau einer Kurzwellenerfassung und einer Funkbetriebsgruppe für den eigenen Führungs- und Agentenfunk.10 Intern trug dieses Unternehmen die Bezeichnung Signal Section. Man rekrutierte zunächst erfahrenes Funkpersonal der Wehrmacht, um die schon vorhandenen drei Horchfunker zu verstärken. Schon früh war die Ausrichtung klar: »[…] broadcast stations located in Soviet occupied areas and transmitting in Russian, Ukrainian, Polish and German«.11

Die im Juni gestartete Einstellungsoffensive war anscheinend erfolgreich, im Juli 1946 wurden Gliederung und Stärke der Berndt-Group – nach Bauns Decknamen »Berndt«, künftig Information Group – wie folgt angegeben:

(1) Berndt, in Charge of Information Group

(2) Staff Members [handschriftlich:] (6)

(3) Agents

(4) Radio Monitors [handschriftlich:] (15)

[…]12

Aus anderen Unterlagen lässt sich die Stärke von 15 Mann nicht belegen. Sicher ist, dass im Juni und August 1946 die Gruppe um zwei Fernmelder, Decknamen »Wolfert« und »Schneider«, erweitert wurde.13 Ebenso ist nicht ersichtlich, was diese 15 radio monitors im Einzelnen machten, man kann aber davon ausgehen, dass nur ein Teil von ihnen tatsächlich mit Kopfhörern vor Kurzwellen-Empfängern saß. Zur Nachrichtenaufklärung gehörten auch die Betriebs- und Verkehrsauswertung der erfassten Funkverkehre, die Meldung der zusammengefassten Erfassungsergebnisse – und auch um die technische Infrastruktur musste sich jemand kümmern. Sicher wurde aber mit dem Aufbau einer Kurzwellenerfassung und einer Funkbetriebsgruppe für den eigenen Führungs- und Agentenfunk begonnen. Neben sowjetischen Radiosendungen stieß man in der Kurzwellenerfassung auf Sprechfunkverkehre der sowjetischen Luftwaffe, die von da an gezielt aufgeklärt wurden.14 Die Arbeitsbedingungen scheinen provisorisch gewesen zu sein. Ein Mitarbeiter der Funkaufklärung erinnert sich folgendermaßen:

Erster Sitz der Org.: Oberursel, innerhalb des amerikanischen Compounds, getarnt als amerikanische Dienststelle. Die Gesamtstärke der dort tätigen MA [Mitarbeiter] betrug im Herbst 1946 ca. 30–40 Personen. Arbeit daselbst in primitivsten Verhältnissen, unter erschwerten Bedingungen. Der Arbeitsund gleichzeitige Schlafraum der ersten drei MA unseres Bereiches befand sich in einem Dachraum oberhalb der Garage.15

Dies liest sich kleiner, als es tatsächlich war: Die erste Erfassungsstelle war vermutlich der Dachboden eines freistehenden Garagengebäudes auf dem Grundstück der als »Blue House« bezeichneten Opel-Villa,16 das deutlich größer als eine herkömmliche Garage ausfiel. Die Villa bildete zusammen mit den benachbarten drei Villen den »Basket« genannten Compound17 und diente zur Unterbringung der vor Ort bereits versammelten und der sich Anfang Juli auf dem Rückweg aus den USA befindlichen Angehörigen der Abteilung Fremde Heere Ost. Nachdem Letztere, auch einige Familienangehörige, Ende Juli in Basket eingetroffen waren, waren alle vier Häuser gut gefüllt.18 Unter welchen Bedingungen die Zusammenziehung erfolgte, beschrieb Joachim von Seydlitz-Kurzbach,19 Reinhard Gehlens Schwager, der im gleichen Zeitraum zur Keimzelle der Organisation stieß:

Als ich vom damaligen US-Capt. Waldmann aus dem Camp King bei Oberursel, in dem man mich eingesperrt hatte, abgeholt wurde, war ich zunächst sehr skeptisch, was meine Zukunft betraf. Aber der freundliche Captain, der in einem Opel Admiral angefahren war, zerstreute meine Bedenken. Daß ich an Stelle von Seydlitz nun Seibold heißen sollte, irritierte mich natürlich. Aber ich hatte keine Zeit für Überlegungen, denn nach kurzer Zeit bog der Wagen in ein umzäuntes Areal mit drei Villen ein.20

Infolge des Platzmangels zog Bauns »Information Collection Organisation« im August 1946 in das Opel-Jagdhaus im Weihersgrund um, allerdings ohne die Signal Section. Für das fernmeldetechnische Personal beschlagnahmten die US-Amerikaner das Hotel Wenzel in Schmitten im Taunus.21 Hier begannen auch die ersten Funklehrgänge mit Geräten aus Wehrmachtsbeständen.22Doch diese Zwischenstation währte nicht lange, schon im April 1947 hieß es erneut umziehen. Die US-Army hatte der Organisation Gehlen eine weitere Liegenschaft im Taunus zur Verfügung gestellt: Schloss Kransberg.23 Hier begann nun mit dem Aufbau der ersten Horchstelle der Organisation Gehlen die eigentliche Arbeit auf dem Sektor der Funkaufklärung. Mit Wirkung vom 23. April 1947 wurde die Gruppe – vermutlich auch wegen ihrer zentralen Bedeutung für die interne Kommunikation der expandierenden Organisation Gehlen – aus dem Bereich Baun herausgenommen und Reinhard Gehlen direkt zugeordnet. Gleichzeitig wurden die den Außenstellen zugeteilten Funksachbearbeiter fachlich der Signal Section unterstellt.

Bödigheimer rekrutierte den Funkabwehrspezialisten Albert Heine,24 der ihm aus dem Krieg bekannt war. Der ehemalige Marineoffizier trat im April 1947 seinen Dienst auf Schloss Kransberg an und beschreibt mit prägnanten Worten das Leben in der frühen Organisation Gehlen rückblickend wie in einem Militärlager:

Ich wurde etwas an meine Bordzeit erinnert, nur hatte es da ja keine weiblichen Wesen gegeben. Die Zigaretten, die es als Teil des Entgeltes gab, konnte man rauchen oder mitnehmen. Meine Frau belebte damit den Frankfurter Schwarzmarkt. Bald entdeckte ich, daß die Funker aus dem vielen AmiZucker fast reinen Alkohol destillierten, der durch geeignete Zutaten in Eierlikör, Pfefferminzlikör oder Kosakenkaffee umgewandelt wurde. So gab es manchen lustigen Abend, dessen aufgelockerte Unterhaltungen dazu beitrugen, mein Bild von der Organisation Gehlen, den anderen MA’s [Mitarbeiter] und ihrem Tun zu ergänzen. Alle waren glücklich, dem Untergang entgangen zu sein und eine sinnvolle Aufgabe gefunden zu haben.25

So wuchs die Signal Section weiter auf. Im April 1948 wurde, wie einleitend erwähnt, General Hepp aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und übernahm auf Wunsch Gehlens die Leitung der Abteilung Nachrichtenwesen, die nun unter der neuen Bezeichnung Organisation 56 firmierte.26 Hier hatte er gleich mit der prekären Finanzlage zu kämpfen. Hepp wies im Herbst 1948 auf die Schwierigkeiten hin, die aufgrund der teilweise unkonventionellen Finanzierungsmethoden der Organisation Gehlen entstanden waren:

[Es] liegt diesem Geldeinsatz der jetzige Dollar-D-Mark- bzw. Dollar-Schilling-Schwarzkurs zu Grunde, der sich täglich bei einer zu erwartenden Stützung der Inlandswährung durch den Marshall-Plan zu unseren Ungunsten verändern kann – was letzten Endes die Lahmlegung fast der gesamten Aufklärungsarbeit bedeuten würde.27

Hepp führte die Abteilung von Pullach aus, Bödigheimer zog im Herbst 1948 mit der Funkbetriebsgruppe nach Butzbach in eine von den Amerikanern beschlagnahmte Villa mit dem Decknamen »Papermill« um. So konnte der Funkbetrieb die Arbeit der Funkaufklärung nicht beeinträchtigen, die weiterhin auf Schloss Kransberg tätig war.28 Die Organisation 56 wurde in 56 und 57 aufgespalten, wobei 56 für den Agenten- und Führungsfunk zuständig blieb und 57 nun für die Funkaufklärung verantwortlich zeichnete. Hierfür rekrutierte die Organisation Friedrich Bötzel,29 der im Krieg zuletzt als General der Nachrichtenaufklärung eingesetzt war. Beide Stellen unterstanden fortan Leo Hepp, der in dieser Zeit die Bezeichnung 34N führte. Damit zog in die anfangs stark durch die Frontaufklärung Walli I und deren Amateurfunkspezialisten geprägte Funkaufklärung nun in Teilen die frühere Spitze der Nachrichtentruppe des Heeres ein.30 Leo Hepp blieb bis 1956 Leiter der Abteilung, die 1954 in 400 umbenannt worden war. Nach seinem Wechsel in die Bundeswehr übernahm General a. D. Albert Praun31 die ab 1957 unter der Bezeichnung 147 firmierende Abteilung. Auf ihn folgte General a. D. August Winter,32 die Bezeichnung wechselte auf 432. Dann leitete Oberst a. D. Johannes Crome33 die Abteilung.

Bis ins Jahr 1955 hatte die technische Abteilung der Organisation Gehlen lediglich eine Personalstärke von etwa 120 Mitarbeitern erreicht, bis zum Jahr 1968 wuchs die Funkaufklärung allerdings auf über 900 Mitarbeiter an. Der gesamte Bereich Technik überschritt im Jahr 1965 die 1300 und nahm damit ein Viertel der Planstellen des Dienstes ein.34 Aufgrund des Bedeutungszuwachses, den die Abteilung Technik in der Folge des »Prager Frühlings« 1968 genoss, wuchs die Zahl der Dienstposten in den folgenden Jahren auf 1900 Planstellen an.35 Leiter war nun wieder Leo Hepp, der 1968 aus den Streitkräften zurückkehrte und nun unter dem Titel Abteilung II mit Joachim von Seydlitz-Kurzbach als Leiter des Abteilungsstabes die Führung übernahm.

Personalprofil

Aus diesen Karrieren könnte man den Eindruck gewinnen, dass sich anfangs das Gros der Mitarbeiter aus der Fernmeldetruppe des Heeres rekrutierte. Das Personalprofil, das von Christoph Rass auf Basis einer Stichprobe von 3650 Personalakten der Organisation Gehlen und des Bundesnachrichtendienstes aus dem Zeitraum 1945 bis 1968 erstellt wurde, erlaubt es, diesen Eindruck zu überprüfen.36

Rass weist grundsätzlich nach, wie stark ehemalige Soldaten den Dienst dominierten: Über den Untersuchungszeitraum wies beinahe ein Drittel des Personals, also immerhin 1100 Personen, Verbindungen zur deutschen Wehrmacht auf. Hierbei waren Offiziere, und unter diesen die Generalstabsoffiziere, jeweils deutlich überrepräsentiert.37 Blickt man jedoch nur auf die früheren Jahre bis 1956, so verdoppelt sich dieser Anteil beinahe. Hier ist aber auch das weibliche Personal eingeschlossen, bei welchem der Anteil von Personen mit Verbindungen zur Wehrmacht, zum Beispiel als Stabshelferin, Luftwaffenhelferin oder Dolmetscherin, geringer ausfiel als in der männlichen Mitarbeiterschaft. Nur auf die Männer bezogen, lag der Anteil von Wehrmachtszugehörigkeit von 1946 bis 1954 im Mittel bei 83 Prozent, mit 93 Prozent erreichte er in den Jahren 1954/55 den Höchststand.38 Rass folgert: »Nahezu jeder Mann im entsprechenden Altersintervall, der in diesen Jahren für den Geheimdienst arbeitete, hatte also eine militärische Vorprägung.«39

Daran änderte der personelle Aufwuchs der Organisation zunächst wenig: Im Zeitraum zwischen 1950 und 1959 waren die Hälfte bis drei Viertel der Neurekrutierungen ehemaliges Wehrmachtspersonal. Das immer höhere Eintrittsalter dieser Gruppe wie auch die Gründung der Bundeswehr ließen den Zustrom dann langsam abflauen.40 Sie wurden teilweise durch Mitarbeiter mit soldatischer Vorbildung ersetzt, die aus dem Bundesgrenzschutz und ab 1956 aus der Bundeswehr in den Bundesnachrichtendienst überwechselten. War ihr Anteil an den Neuzugängen der 1960er-Jahre zunächst gering, stellten sie später weit über die Hälfte des neu rekrutierten Personals. Hierbei handelte es sich nur anfangs um früheres Wehrmachtspersonal, das über den Umweg Bundeswehr in den BND gekommen war. Vermehrt spielten auch Zuversetzungen aus der Bundeswehr eine wichtige Rolle.41 Erweitert man die militärische Vorerfahrung in der Wehrmacht um die Gruppe junger Bundeswehrsoldaten, so bleibt der Anteil des männlichen militärisch vorgebildeten Personals bis Ende der 1960er-Jahre stabil bei 80 Prozent.42 Rass stellt hierzu fest: »Auch Ende der 1960er-Jahre behielt der BND, insbesondere unter dem männlichen Personal, seine überstarke Prägung durch militärische Vorerfahrungen. Für dieses Profilelement wurde allerdings der Personalzufluss aus der Bundeswehr immer wichtiger.«43

Was bedeuteten die dargestellten massiven Wurzeln im Personalbestand der ehemaligen Wehrmacht für die Abteilung Technik? Das Sozialprofil erlaubt eine Differenzierung nach Truppenverbänden und Aufgabenfeldern.44 So lässt sich in zahlreichen Akten eine technische Qualifikation von Wehrmachtsangehörigen finden. Es handelt sich hierbei meist um Angehörige von Nachrichtenverbänden und um Luftwaffen- oder Marinepersonal mit Funkausbildung oder Spezialisten im Horch- und Peilfunk. Unter ehemaligen Wehrmachtsangehörigen wies immerhin jeder Sechste eine derartige Qualifikation auf. Bemerkenswert ist hierbei, dass der Anteil der Offiziere deutlich niedriger lag und diese aus den unteren Rangklassen stammten. Hier hatte man offensichtlich weniger Spitzenpersonal, sondern eine gut qualifizierte Arbeitsebene rekrutiert, die überwiegend auf den Horch- und Peilstellen zum Einsatz kam.45 Erst Ende der 1960er-Jahre schrumpfte diese Gruppe deutlich – was eventuell nicht nur ein Hinweis auf einen Generationswechsel, sondern auch auf den Einfluss des technischen Fortschritts ist.46 Hier kann die These aufgestellt werden, dass in den 1960er-Jahren eine Professionalisierung der Abteilung Technik einsetzte. Junge, universitär ausgebildete Ingenieure begannen zunehmend, altgediente Kriegsfunker zu verdrängen und karrieretechnisch zu überholen.

Auch Personal der Bundeswehr ersetzte das ehemalige Wehrmachtspersonal. Insgesamt lag der Anteil von Bundeswehrsoldaten auf den Dienststellen der Technik Ende der 1960er-Jahre zwischen 40 und 50 Prozent. Dies galt besonders für neuere Aufgabengebiete wie die elektronische Aufklärung.47 Im Zuge der Modernisierung gelang es übrigens auch Frauen vermehrt Fuß zu fassen. So lag der Anteil von Frauen im Führungsbereich der Technik und im Bereich der elektronischen Aufklärung in den 1960er-Jahren bei rund einem Drittel, während einige der klassischen Funk- oder Horchstellen fast ausschließlich männlich besetzt blieben.48

Um der These von der Dominanz der Fernmeldetruppe des Heeres in der frühen Funkaufklärung nachzugehen, lohnt sich die Ausdifferenzierung nach Teilstreitkräften. Hier zeigt sich, dass das Personal des Heeres nur etwas mehr als die Hälfte des technisch vorgebildeten Personals stellte. Jeder Dritte kam aus der Luftwaffe und immerhin noch jeder Sechste aus der Marine. Die Luftwaffe war also deutlich überrepräsentiert.49 Vor diesem Hintergrund könnte man vermuten, in die Organisation sei in großen Mengen technisches Personal des früheren Forschungsamtes der Luftwaffe eingesickert, das unter dem Aspekt einer NS-Belastung gesondert zu betrachten wäre.50 Nach ersten Ergebnissen finden sich in der Stichprobe aber nur 18 frühere Angehörige des Reichsluftfahrtministeriums, von denen nur sieben direkt oder indirekt dem Forschungsamt der Luftwaffe zugeordnet werden können. Hiervon bleiben drei Personen, die im Führungsbereich der Technik Dienst taten und immerhin sechs Prozent des Personals ausmachten. Vom Einsickern geschlossener Gruppen kann man jedoch nicht sprechen: »Die Verteilung des Zugangs der sieben dem ›Forschungsamt‹ zugerechneten Personen über den Betrachtungszeitraum lässt dabei keine Häufungen erkennen, die auf ein punktuell netzwerkgestütztes Einrücken in den Nachrichtendienst schließen ließen.«51

Das Sozialprofil ermöglicht auch eine Aussage über die NS-Belastung der Mitarbeiter in der Abteilung Technik. Für den Führungsbereich der Technik liegen die Zahlen der Mitgliedschaft in der NSDAP und im NS-Sicherheitsapparat deutlich unter dem Durchschnitt der Gesamtorganisation, teilweise unter vier bzw. zwei Prozent. Dies heißt nicht, dass es nicht deutlich höhere Werte auf einzelnen Dienststellen gab.52 Von NS-Seilschaften zu sprechen, würde aber sicherlich zu weit führen, zugfähiger scheinen die Rekrutierungsnetzwerke der Streitkräfte gewesen zu sein. Rass fasst die Ergebnisse des Sozialprofils wie folgt zusammen:

Will man den Bundesnachrichtendienst als geprägt durch bestimmte Institutionen des NS-Staates sehen, so muss man ihn in seiner Gründungsphase als eng mit der Wehrmacht verbunden auffassen. Der Anteil der Exsoldaten am ND-Personal von den späten 1940ern bis zum Ende der 1950er-Jahre, der hohe Anteil an Offizieren und die Positionierung von Wehrmachtsveteranen im Nachrichtendienst können tatsächlich als wichtigstes Charakteristikum der ersten Jahre aufgefasst werden.

Dieses Merkmal relativierte sich […] Je höher aber Stellung und Dienstgrad, desto länger hielt sich die ursprüngliche Prägung. Denn Personen aus der Gründergeneration stiegen als Erste in die Leitungsebene auf und blieben dort teilweise bis in die 1970er- und 1980er-Jahre.53

2. Vom Kriege

Übergangsmilieu

Die Prägung durch die Wehrmacht hatte – nicht nur für die ehemaligen Soldaten der Nachrichtentruppe – eine Fülle von Implikationen. Selbstverständlich waren es alles individuelle Charaktere; Prägungen und Hang zum Militärischen sind sicherlich unterschiedlich groß gewesen. Die Organisation Gehlen war letztlich ein »Gemischtwarenladen«, in den über die Zeit unterschiedlichste Personen und Gruppen mit jeweils verschiedenen Motiven eintraten.54 Doch lassen sich Gemeinsamkeiten herausfiltern, die die Organisation in eine bestimmte Richtung prägten. So waren die Männer, die zur Gründungsgeneration der Organisation gehörten, fast ausnahmslos vom Kriegseinsatz über die Kriegsgefangenschaft in den Dienst der amerikanischen Streitkräfte getreten – wo sie mehr oder weniger die gleichen oder ähnliche Tätigkeiten ausführten wie während des Krieges. Diese militärischen Tätigkeiten, das Umfeld der US-Army, das Leben in bewachten Compounds, die militärisch organisierten Hierarchien und letztlich die immerwährend angenommene Bedrohungslage durch den von ihnen bekämpften Gegner Sowjetunion hinderten die Männer lange daran, im Frieden und im Zivilleben anzukommen. Rolf-Dieter Müller hat dies etwas ironisch, aber durchaus zutreffend »Pullach als Fortsetzung der Wolfsschanze mit anderen Mitteln« genannt.55 So entstand ein Übergangsmilieu zwischen dem Militärischen und dem Zivilen, in dem sich die frühe Organisation Gehlen bewegte. Im Jahr 1947 beschrieb dies Joachim von Seydlitz-Kurzbach in einem persönlichen Brief an Reinhard Gehlen:

Die ganze Organisation ist ja quasimilitärisch gegliedert, der Leiter befiehlt und die Befehle werden ausgeführt. Dies geschieht auf Grund freiwilliger Unterordnung. Der Leiter selbst ist in gewisser Weise den Amerikanern, im übrigen nur seinem Gewissen gegenüber verantwortlich. Die Verantwortung gegenüber einer deutschen staatlichen Autorität besteht nicht.56

Es entstand also auch eine Übergangsmentalität, die Leben und Arbeiten auch unter zivilen Vorzeichen noch lange militärisch prägte und in der die Mitarbeiter vermutlich auch den Zustand des Friedens einzig als Übergangsphase zur nächsten bewaffneten Auseinandersetzung empfanden. Es stellte sich diesen Leuten nicht die Frage, ob der nächste Krieg mit der Sowjetunion ausbrechen würde – die Frage war nur, wann.

Doch dies galt nicht nur für die Männer und teilweise ihre Familien in Pullach oder in den Horch- und Peilstellen der Organisation. Das Übergangsmilieu zog sich quer durch die westdeutsche Nachkriegsgesellschaft. Agilolf Keßelring hat mit seiner Untersuchung über das von der Organisation Gehlen unterstützte »Unternehmen Versicherung« eine Ausprägungsform dieses Milieus beschrieben.57 Hier hatten Angehörige ehemaliger Elite-Panzerdivisionen zumindest papiermäßig ihre alten Formationen in gekaderte Einheiten hinübergerettet, die im Verteidigungsfall von den Westalliierten mit Ausrüstung und Waffen versehen und für die Verteidigung Westdeutschlands eingesetzt werden sollten. Die Reaktion in der Presse auf Agilolf Keßelrings Veröffentlichung 2014 (»Adenauers Geheimarmee«)58 zeigt jedoch genauso wie neuere sozialhistorische Forschungen zu den Soldatenverbänden59 die Schieflage in der Wahrnehmung dieses Milieus. Hier wurden weder zentral durch die Bundesregierung via Organisation Gehlen klandestine Geheimverbände aus dem Boden gestampft, noch frönten die ehemaligen Wehrmachtssoldaten einer rückwärtsgewandten Soldatenfolklore. Um diese Aktivitäten zu verstehen, muss man einen Blick auf das Personal werfen, das die treibende Kraft war. Zwar handelte es sich bei der Wehrmacht als Ganzes gesehen um eine »heterogene Struktur von über 17 Millionen Soldaten aus vier Generationen«.60 Christian Hartmann zeigt jedoch bei einer Analyse von fünf exemplarischen Divisionen des Ostheeres, dass der Altersdurchschnitt gerade der Kampfverbände besonders niedrig war.61

Auch die Rekrutierungspraxis der Wehrmacht, militärische Großverbände aus zusammenhängenden geografischen Regionen zu rekrutieren, trug zur Identifikation und Bindung innerhalb dieser Einheiten bei.62 So fanden sich bei Veranstaltungen wie dem »Unternehmen Versicherung« junge Männer, die mehr als fünfeinhalb Jahre Kriegserfahrungen gesammelt hatten, die in Elitedenken und Korpsgeist sozialisiert wurden und sich nun in einem Land ohne Armee einer sich abzeichnenden Konfrontation zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion gegenübersahen. Die Blockade von West-Berlin und der Koreakrieg mögen ihr Übriges getan haben, die Überlegungen zu forcieren, wie man eine Verteidigung Westdeutschlands organisieren könne. So würde es letztlich verwundern, wenn derartige Planungen vor 1956 kein Thema gewesen wären.

Die eingangs angerissenen Übergangsmilieus in der Gesellschaft fanden über alte Bekanntschaften oder persönliche Verbindungen Kontakt mit dem isolierten Übergangsmilieu der Organisation Gehlen, wo ein Teil der früheren militärischen Führung versammelt war. Auch innerhalb der Fernmeldetruppe waren diese Netzwerke sehr stark. Die quantitative Untersuchung einer Wehrmachtsdivision durch Christoph Rass zeigt auf, dass die gemeinsame Stehzeit von Fernmeldesoldaten in Kampfeinheiten weit höher war als die einfacher Landser. Statt durchschnittlich neun Monate, die ein einfacher Soldat in einer Einheit verblieb, bevor er versetzt, verwundet oder getötet wurde, blieben die Fernmeldesoldaten im Durchschnitt drei Jahre in der Einheit.63 Dass die Fernmelder also oft den halben Krieg gemeinsam erlebt und durchlitten hatten, brachte sehr viel stärkere Bindungen mit sich. Diese gingen nach dem Krieg in die schon erwähnten Rekrutierungsnetzwerke der Organisation ein.64