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Welt der Renaissance: Florenz E-Book

Tobias Roth

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Beschreibung

Keine Stadt ist so verbunden mit der Blütezeit der Renaissance wie Florenz: die Medici, dramatische Machtkämpfe, staunenswerte Kunst, gefährlich anmutende Bildungsprogramme auch für Frauen, grandiose Literatur und grundlegende Philosophie. Tobias Roth lässt ihre Vertreter in dieser Anthologie zu Wort kommen und porträtiert eine Stadt voller Grandezza und Gewalt, Chaos und Schönheit. Florenz ist sagenhaft reich geworden durch Textilhandel und Kreditgeschäfte. Die Stadt am Arno beherbergt prachtvolle Bibliotheken, ist geprägt von berühmten Künstlern und exotisch anmutenden literarischen Zirkeln – selbst die Herrscher dichten, Kunst und Wissenschaft florieren und sogar das höchste Staatsamt in Florenz ist von 1375 bis 1458 fast durchgängig mit exzellenten Literaten besetzt. Michelangelo, Botticelli, Ficino, Poggio Bracciolini, Leonardo da Vinci, Pico della Mirandola, Donatello, Alberti, Machiavelli – alle waren sie Teil dieses Mikrokosmos einer ganzen Hochkultur.  Tobias Roth führt höchst kenntnisreich und humorvoll durch die Zeit und ihre enormen Turbulenzen. Das Tagebuch des Gewürzhändlers Luca Landucci, ein einmaliger Livebericht von der Straße, bietet Einblicke in den Alltag der Stadt. Es gibt Aufstände, Mordkomplotte und Unruhen – vor allem aber gibt es Gedichte von zeitloser Schönheit, Ideen, die die Welt veränderten, Kunst zum Staunen, grandiose Architektur, Schamlosigkeiten von erschütternder Direktheit, Menschliches-Allzumenschliches in Hülle und Fülle, kurz: eine Blüte des (Geistes-)lebens, die ihresgleichen sucht. 

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Tobias Roth

Welt der Renaissance: Florenz

Kurzübersicht

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Über Tobias Roth

Über dieses Buch

Inhaltsverzeichnis

Impressum

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Über Tobias Roth

Tobias Roth, geb. 1985, ist freier Autor, Mitbegründer des Verlags »Das Kulturelle Gedächtnis«, Lyriker und Übersetzer. Roth wurde mit einer Studie zur Lyrik und Philosophie der italienischen Renaissance promoviert. 2020 erschien sein aufsehenerregender Foliant »Welt der Renaissance«. 2023 folgte mit »Welt der Renaissance: Neapel« der erste Band der anschließenden Städtereihe.

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Über dieses Buch

Keine Stadt ist so verbunden mit der Blütezeit der Renaissance wie Florenz: die Medici, dramatische Machtkämpfe, staunenswerte Kunst, gefährlich anmutende Bildungsprogramme auch für Frauen, grandiose Literatur und grundlegende Philosophie. Tobias Roth lässt ihre Vertreter in dieser Anthologie zu Wort kommen und porträtiert eine Stadt voller Grandezza und Gewalt, Chaos und Schönheit.

Florenz ist sagenhaft reich geworden durch Textilhandel und Kreditgeschäfte. Die Stadt am Arno beherbergt prachtvolle Bibliotheken, ist geprägt von berühmten Künstlern und exotisch anmutenden literarischen Zirkeln – selbst die Herrscher dichten, Kunst und Wissenschaft florieren und sogar das höchste Staatsamt in Florenz ist von 1375 bis 1458 fast durchgängig mit exzellenten Literaten besetzt. Michelangelo, Botticelli, Ficino, Poggio Bracciolini, Leonardo da Vinci, Pico della Mirandola, Donatello, Alberti, Machiavelli – alle waren sie Teil dieses Mikrokosmos einer ganzen Hochkultur. 

Tobias Roth führt höchst kenntnisreich und humorvoll durch die Zeit und ihre enormen Turbulenzen. Das Tagebuch des Gewürzhändlers Luca Landucci, ein einmaliger Livebericht von der Straße, bietet Einblicke in den Alltag der Stadt. Es gibt Aufstände, Mordkomplotte und Unruhen – vor allem aber gibt es Gedichte von zeitloser Schönheit, Ideen, die die Welt veränderten, Kunst zum Staunen, grandiose Architektur, Schamlosigkeiten von erschütternder Direktheit, Menschliches-Allzumenschliches in Hülle und Fülle, kurz: eine Blüte des (Geistes-)lebens, die ihresgleichen sucht. 

Inhaltsverzeichnis

Aufstieg einer Stadt

Leon Battista Alberti

Über die Malerei. Widmung an Filippo Brunelleschi

Aufstieg einer Familie

Leonardo Bruni

Über das Studium und die Literatur. An Battista Malatesta

Festigung der Gegenwart und der Antike

Cristoforo Landino

Herausragend beredte Florentiner (Proöm zum Dante-Kommentar IV)

Über das fast zerstörte Rom

Er befragt seine innere Unruhe

Grabinschrift für Paolo

Der angenehme Tyrann

Luca Landucci

Tagebuch Oktober 1450 bis März 1516 (Auszüge)

Karneval in Florenz

Lorenzo de’ Medici

Gesang des Bacchus

Gesang der Propfer

Niccolò Machiavelli

Gesang der Schlangenbeschwörer

Guglielmo il Giuggiola

Gesang der Agrestverkäuferinnen

Jacopo del Polta

Gesang der Käserinnen

Bildung, Poesie und Propaganda

Angelo Poliziano

Mai ist jetzt bereit

Über Nachahmung und Stil. An Paolo Cortesi

Kleiner Bericht über die Verschwörung der Familie Pazzi

An Lorenzo de’ Medici

Über seine ständige Verliebtheit

Gegen Mabilio da Novate

Argus

Über ein kleines Landgut

An Dinobra

Auf den Tod Lorenzo de’ Medicis

Zusammenbruch und Gottesstaat

Paolo Somenzi

Savonarolas Karneval. Ein Brief nach Mailand

Bartolomeo Cerretani

Das Gastmahl der Compagnacci

Paolo Somenzi

Savonarolas Hinrichtung. Ein Brief nach Mailand

Die Republik und die Staatstheoretiker

Niccolò Machiavelli

Gutachten zur Behandlung der aufständischen Ortschaften im Valdichiana

Exilalltag in Albergaccio. An Francesco Vettori.

Francesco Guicciardini

Merksätze

Das letzte Gefecht der Republik

Lorenzino de’ Medici

Apologie (Auszug)

Anhang

Verzeichnis der Medaillen

Quellen

Dank

Verzeichnis der Abbildungen

Das Baptisterium San Giovanni von Florenz, ein achteckiger Bau gegenüber des Domes, gibt Rätsel auf: Die Gelehrten des späten Mittelalters und der Renaissance wissen nicht mehr, wann es gebaut worden ist. Das ist schwer zu verkraften, bietet aber auch eine Chance: In ihre Antwort auf das Rätsel legen die Literaten, Philosophen und Künstler der Stadt ihre ganze kulturelle Sehnsucht – sie datieren den Bau in die Antike. Die Entstehung dieser Vermutung im 14. Jahrhundert berührt gleich mehrere Florentiner Leitmotive. Im Anfang war ein gelehrter Kommentar zu Dantes Göttlicher Komödie. Eine Bemerkung des Chronisten Giovanni Villani, es habe einen achteckigen Tempel des Stadtgottes Mars gegeben, und ein Vers aus dem Inferno, der die Ablösung des Mars durch Johannes den Täufer als Beschützer von Florenz beschreibt, werden im Dante-Kommentar Giovanni Boccaccios verschmolzen:Erfindung einer Antike Das Baptisterium vor dem Dom ist der Marstempel. Damit ist eine mächtige Kontinuität geschaffen, das Prestige der Stadt gesteigert. Zugleich wird der im Exil in Ravenna verstorbene Dichter Dante wieder ein Stück zurück nach Florenz geholt.

Die kühne Gleichsetzung von Marstempel und Baptisterium hält sich für Jahrhunderte. Der rastlose Bücherjäger und apostolische Sekretär Poggio Bracciolini vertritt sie in seinem Spätwerk, der Historia Florentina aus den 1450ern, der Dichter und Gelehrte Cristoforo Landino bestätigt sie in seinem gewaltigen Dante-Kommentar von 1481, und Giorgio Vasari malt sie auf seiner Darstellung der Stadtgründung, einem Teil der 1565 vollendeten prunkvollen Decke des Salone dei Cinquecento im Palazzo della Signoria. Sich dem antiken Rom anzunähern, bedeutet auch, mit dem zeitgenössischen Rom in Wettstreit zu treten: Die Autorität des schieren Alters wiegt schwer. Auch die Feineinstellung des Ursprungs sagt viel über die politische Absicht der Geschichtsschreiber. Leonardo Bruni, Humanist und Kanzler der Republik Florenz, und Angelo Poliziano, Humanist und Hofdichter im Haus Medici,Politik einer Erfindung gehen beide von der Umnutzung des Marstempels als Taufkirche aus, aber während Ersterer die Gründung der Stadt in die Zeit der römischen Republik legt, legt sie Letzterer in die Zeit des kunst- wie machtliebenden Kaisers Augustus. In den Annalen des Tacitus aus dem 2. Jahrhundert jedenfalls erscheint Florenz, an der Via Cassia Richtung Genua gelegen, bereits als nicht unbedeutende Siedlung. Aber von einer aemulatio, einem nacheifernden Kräftemessen mit Rom, wie Bruni sie im Bau des prachtvollen Marstempels bereits im Altertum gegeben sieht, ist in den alten Quellen keine Rede.

Die Ursprünge des Baptisteriums von Florenz sind auch heute noch nicht völlig geklärt, aber man kann ziemlich sicher sagen, dass die Datierung in der Tradition Villanis und Boccaccios ein gutes Jahrtausend danebenliegt. Dass die Humanisten der Renaissance die Antike neu entdecken, bedeutet auch, dass ihnen diese Antike ziemlich fremd ist. Heute geht man davon aus, dass das Baptisterium im 11. und 12. Jahrhundert entstanden ist, danach laufend erweitert und ausgestaltet wurde. Es steht also schon, als Florenz noch keine dominierende Stadt in der Toskana, in Italien, in Europa ist. Als Mathilde von Canossa, die starke Frau in Oberitalien,Anfänge 1115 stirbt, sagt sich Florenz vom Heiligen Römischen Reich los und tritt verschärft in Konkurrenz mit anderen toskanischen Städten, auch mit kriegerischen Mitteln. Zu europäischer Geltung und erheblichem Reichtum kommt die Stadt vor allem im Jahrhundert zwischen etwa 1240 und 1340. Florenz zieht im Handel, im Bankwesen und in der Textilindustrie mit Städten wie Venedig, Genua, Pisa oder Siena gleich und überflügelt sie bald. Mit dem Florin schlägt die Stadt eine Goldmünze, die das Stadtwappen der Lilie durch ganz Europa trägt. Die Bevölkerung der Stadt und ihres Umlandes, des contado, wachsen extrem schnell und erreichen um 1300 einen Höchststand von zusammen etwa 400000 Menschen; das ist ungefähr so viel wie die Stadt ohne contado heute. AlleinGroßbaustellen zwischen 1220 und 1252 werden drei neue Brücken über den Arno gebaut, 1284 beginnen die Arbeiten am gigantischen dritten Mauerring der Stadt. Gigantische Ausmaße nehmen auch die Kompanien der Bardi, Mozzi, Pazzi oder Peruzzi an, die man als Großbanken mit angeschlossenem Import-Export-Geschäft bezeichnen kann und die europaweit agieren. Riesenhaft ist nicht zuletzt der neue Dom Santa Maria del Fiore, dessen Grundstein 1296 gelegt wird. Das Bauwerk wird 140 Jahre lang wachsen und zählt noch heute zu den größten Kirchen überhaupt; eine ähnlich große Dombaustelle vorzuweisen hat in dieser Zeit nur das mächtige Mailand, bis zum Tod Gian Galeazzo Viscontis 1402 der Angstgegner von Florenz.

Überhaupt scheint Florenz in den Jahrzehnten um 1300 eine einzige Baustelle zu sein. Santa Maria Novella, Santa Croce und Orsanmichele werden gebaut, ebenso die Zentren der weltlichen Macht, der Palazzo della Signoria und der Bargello, Burgen der Verwaltung. Das Geld dafür kommt nicht nur aus dem Bankwesen, sondern vor allem aus der Textilproduktion und -veredelung. Der wichtigste Geschäftszweig der Stadt schreibt Rekordzahlen, manWolle und Kredite schätzt, dass gut ein Sechstel der arbeitsfähigen Florentinerinnen und Florentiner in der Wollindustrie beschäftigt sind. Die Arte della Lana, die Zunft derer, die in Wolle machen, betreut und finanziert etwa die gesamte Dombaustelle. Mit dem 1265 geborenen Dante Alighieri und dem zwei Jahre jüngeren Giotto di Bondone, der den Kirchturm des neuen Doms entwirft, betritt Florenz die Bühne künstlerischer Weltgeltung. Zwar wird die Stadt von den bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen kaisertreuen Ghibellinen und papsttreuen Guelfen erschüttert, im Zuge derer zahlreiche alte Familien dezimiert, exiliert und ruiniert werden, aber der grundsätzliche Aufschwung wird davon nicht gebremst. Neue Familien treten jetzt auf, darunter viele, nach denen die berühmten Palazzi der Stadt noch heute heißen, Rucellai, Strozzi oder Medici.

Aber die wirtschaftliche Blüte von Florenz mündet nicht reibungslos in die kulturelle Blüte der Renaissance, zunächst geht es noch einmal richtig bergab. Ende der 1330er-Jahre ist Florenz in einen Krieg gegen den Herrn von Verona um die Stadt Lucca verstrickt; 1341 wird der Konflikt beigelegt, indem Florenz Lucca schlichtweg kauft, und das in einer Zeit allseits sinkender Ernteerträge und Steuereinnahmen. Auch Kriege in Nordeuropa haben Konsequenzen in Florenz. Die beiden großen Banken der Bardi und Peruzzi finanzieren die Könige von Frankreich und Neapel, vor allem aber den König von England; als Schmiermittel für die Kreditvergabe dienen sehr vorteilhafte Konditionen beim Einkauf englischer Wolle. Wolle kann man nie genug haben, die Kredite steigen immer weiter, auch als der Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich ausbricht. Zwischen 1338 und 1340 leihen die Bardi und Peruzzi gemeinsam dem König von England 840000 Florin, das entspricht fast drei Tonnen Gold; die Stadt Lucca kostete 250000. Seine Schulden will Edward III. nach Kriegserfolg tilgen, aber dieser will nicht kommen, und so stellt Edward seine Zahlungen einfach ein, ebenso der König von Frankreich, als er von der UnterstützungBankenkrise seines Gegners durch die Florentiner erfährt. Das Gebäude beginnt zu wackeln, erste kleine Banken gehen pleite, ab 1341 nimmt auch der Papst die Dienste der Bardi und Peruzzi nicht mehr in Anspruch. Mehr und mehr Einleger wollen ihr Geld abheben, aber das geht nicht mehr, es kommt zur Bankenkrise. In Florenz wird auswärtiges Führungspersonal für die unschöne Schadensbegrenzung und Steuererhöhung angeheuert und scheitert; die Verwaltung versucht über einige Jahre das Loch mit Anleihentricks zu stopfen, scheitert aber ebenfalls. Die miteinander verflochtenen Firmen- und Staatsschulden werden ihrerseits Spekulationsgüter, manche Investoren werden reich, viele Gläubiger und Anleger aber erleiden herbe Verluste, als die Großbanken 1345 zusammenbrechen.

Mitten in diese Banken- und Wirtschaftskrise fährt der Schwarze Tod. Ausgehend von Caffa, einer Handelsniederlassung der Genuesen auf der Krim, breitet sich die Pest ab Herbst 1347Pest per Schiff entlang der Handelsroute aus: Konstantinopel, Sizilien, Genua, Marseille. Im Frühjahr 1348 kommt die Seuche in Mittelitalien an, ein Massensterben von endzeitlichem Ausmaß folgt. Von den 400000 Florentinern in Stadt und contado überlebt kaum die Hälfte, wiederkehrende Pestwellen bleiben in den kommenden Jahrzehnten nicht aus, die Bevölkerung erholt sich nicht mehr. 1427 ist die Stadt Florenz auf ein Drittel ihrer alten Größe geschrumpft; 1470 leben im contado 125000, 1745 (!) 282000 Menschen. Auch wenn die politischen Institutionen von Florenz die große Pest weitgehend unbeschadet überstehen, kann man an solchen Zahlen doch ermessen, welchen Vorteil es etwa für Mailand bedeutet, wunderlicherweise von der Pest verschont zu bleiben.

Der Chronist Baldassarre Bonaiuti vergleicht das schichtweise Befüllen der Massengräber mit der Zubereitung einer Lasagne. Weniger makaber, aber ebenso drastisch beschreibt Giovanni Boccaccio in seinem Decamerone denselben Vorgang, er spricht davon, dass die Leichen eng wie Ladung in einem Schiff gestapelt werden. Boccaccios Novellensammlung nutzt die große Pest als Rahmenhandlung: Ein Zirkel von zehn jungen Leuten verlässt die Stadt, isoliert sich auf dem Land und erzählt sich einhundert Geschichten – die es in vieler Hinsicht in sich haben. Boccaccios Decamerone liefert nicht nur die berühmteste literarische Darstellung der großen Pest und nimmt kaum zu überschätzenden Einfluss auf die eNeustart mit Boccacciouropäische Erzählliteratur, sein Autor gibt darüber hinaus dem Geistesleben in Florenz nach der Pandemie neuen Schwung. Boccaccio hat seine Jugend in Neapel verbracht, wo sein Vater für die Bardi arbeitet, und er hat bereits erste Meisterwerke vorgelegt, darunter mit dem Filocolo den ersten volkssprachigen Roman Europas. Als die Bank der Bardi zusammenzubrechen beginnt, muss er Neapel verlassen und seinem Vater nach Florenz folgen. Um 1350 schreibt er sein Decamerone und lernt Francesco Petrarca kennen, der ihn mit seiner glühenden Begeisterung für alles Antike ansteckt. Boccaccio bringt die neue alte Literatur der Antike auf verschiedenen Wegen in Umlauf: Er etabliert im Augustinerkloster Santo Spirito einen gelehrten Lese- und Diskussionskreis, schart Schüler um sich und bringt Gleichgesinnte zusammen, er hält öffentliche Vorträge, auch und vor allem über Dante, dessen erste Biographie, Initialzündung für den Dante-Kult der kommenden Jahrhunderte, er schreibt, er korrespondiert, er reist als Diplomat der Signoria von Florenz, wirbt Gelehrte an und erreicht, dass 1360 für Leontius Pilatus der erstealte Sprachen Griechischlehrstuhl Westeuropas eingerichtet wird. Mit dieser Ausweitung des altsprachlichen Spektrums beginnt eine neue Phase für die Erschließung und damit Wiedergeburt der Antike. Wie bereits sein Freund und Vorgänger Petrarca verfasst er zudem Nachschlagewerke, die teils enzyklopädische Ausmaße annehmen. Seine Schriften über berühmte Männer, berühmte Frauen, berühmte Berge, Flüsse, Wälder und Seen und besonders über die Götter der Antike werden für Generationen unverzichtbar sein.

Boccaccios Fragment gebliebener Dante-Kommentar, die Esposizioni sopra la Comedia, in dem er die Gleichsetzung des Baptisteriums San Giovanni mit dem antiken Marstempel prägt, zählen zu seinen spätesten Schriften, bevor er 1375 stirbt. Auch einer der gelehrtesten Florentiner seiner Zeit weiß also keine dreihundert Jahre nach dem Bau der wichtigsten Taufkirche der Stadt nichts mehr über deren Ursprung. Das ist erstaunlich und sagt viel über die Fragilität des Wissens in handschriftlicher und papierloser Zeit; es erhellt aber auch, wie Petrarca, Boccaccio und ihre Kollegen darauf kommen, das Zeitalter zwischen dem Untergang des Römischen Reiches und ihrer eigenen Gegenwart als so grässlich dunkel zu bezeichnen.

Für die Neugestaltung des zweiten der drei Portale des Baptisteriums wird 1401 ein Wettbewerb ausgeschrieben – eine Urszene der modernen Bildhauerei. Größe und Format derBronzeportale Bronzereliefs sind vorgegeben und orientieren sich am Südportal, das Andrea Pisano bereits vor der großen Pest geschaffen hat; Thema ist die alttestamentarische Geschichte von der Opferung Isaaks. Insgesamt sieben Künstler nehmen am Wettbewerb teil, zumindest zwei der Entwürfe sind bis heute erhalten, die der beiden jungen Bildhauer und Goldschmiede Lorenzo Ghiberti und Filippo Brunelleschi, 1378 und 1377 geboren. Beide Versionen des Isaaksopfers zeigen bereits deutlich den Einfluss der Antike. Ghibertis schlussendlich siegreicher Entwurf wirkt geschlossener, monumentaler, der von BrunelleschiBrunelleschi hingegen unruhiger, bewegter, brutaler. Abraham packt seinen Sohn am Hals, das Messer kaum einen Hauch von der Kehle entfernt. Besonders bemerkenswert aber ist, was gar nicht zum Thema gehört: Brunelleschi zitiert in einer am unteren Rand sitzenden Figur eine antike Bronzestatue, den Dornauszieher, sozusagen wörtlich; der römische Dornauszieher ist eines der wenigen Werke des Altertums, die immer über der Erde standen. In die vorgegebene (wie man heute sagen würde) gotische Form des Vierpasses setzt Brunelleschi eine getreue Nachahmung antiker Kunst, um mit einer alttestamentarischen Szene eine als antiker Tempel geltende katholische Kirche zu zieren: In solchen Verknotungen ist die Renaissance am schönsten. Und aus solchen Verknotungen der Nachahmung (imitatio) geht nicht selten der direkte Wettstreit (aemulatio) mit der Antike hervor. Während Ghibertis Arbeit die für das Baptisterium zuständige Zunft der Tuchhändler, die Arte della Calimala, so sehr überzeugt, dass er auch mit dem dritten Portal, der 1452 vollendeten und später sogenannten Porta del Paradiso, beauftragt wird, liegt Brunelleschis zukünftige Wirkungsstätte, die Dombaustelle, gerade gegenüber.

Über der Vierung von Santa Maria del Fiore klafft ein Loch, weil niemand weiß, wie man eine derart riesige Kuppel planen, berechnen und bauen soll. 1418 wird wiederum einDomkuppel Wettbewerb ausgelobt und die Bauleitung fällt 1420 zunächst einem Duo zu, nämlich Ghiberti und Brunelleschi, bevor sich diesmal Letzterer durchsetzt. Die Kühnheit und Genialität Brunelleschis beim Bau der Kuppel ist schlichtweg extrem: Nicht nur übertrifft erstmals ein Bauwerk die Dimensionen der Antike, etwa die Hagia Sophia, die Caracallathermen oder das Pantheon, es bleibt als gemauerte Kuppel auch in Zukunft unübertroffen. (Die Kuppel des neuen Petersdoms in Rom, die der Florentiner Michelangelo plant, ist nicht ganz so breit, dafür ein Stück höher – aber auch über einhundertfünfzig Jahre jünger.) Brunelleschi ersinnt eine Methode, die Kuppel aus zwei gemauerten Schalen und ohne inneres Stützgerüst zu bauen, und dafür müssen ausreichend große Maschinen, etwa Kräne, erfunden werden: Das Loch über der Vierung hat einen Durchmesser von 45 Metern, in 54 Metern Höhe beginnt die Baustelle überhaupt erst. Die Kuppel wächst aber nicht nur in ungeheuerlichem Ausmaß, sondern auch schnell. Als Santa Maria del Fiore 1436 von Papst Eugen IV. geweiht wird, ist die Kuppel vollendet, über 90 Meter hoch, und nur die bekrönende Laterne fehlt noch. Ghibertis Bronzeportal für das Baptisterium nimmt deutlich mehr Zeit in Anspruch.

Ein besonderes Denkmal hat dieser Kuppel, die »allen Einwohnern der Toskana Schatten zu spenden« vermag, der eine knappe Generation jüngere Leon Battista Alberti gesetzt. ErAlberti entstammt einer alten und mächtigen Florentiner Familie, wird aber 1404 in Genua geboren, da sein Vater in die Verbannung geschickt wurde. Auch Alberti wirkt als Architekt und entwirft Bauwerke, die stilbildend werden, etwa den Palazzo Rucellai in Florenz oder die Kirche Sant’Andrea in Mantua. Erstaunlich an ihm aber ist nicht nur die Intensität, sondern vor allem die Breite seines Könnens – die mythische Figur des »universalen« Renaissancemenschen trägt unverkennbare Züge Leon Battista Albertis. Er ist nicht nur Architekt, sondern auch wegweisender Vermessungstechniker und Kartograph, er arbeitet zur Verschlüsselung von Texten, zur Pferde- und Hundezucht, er ist Organist im Florentiner Dom. Überaus produktiv ist er als Autor in zwei Sprachen; manche seiner Texte legt er in einer lateinischen und einer volkssprachlichen Fassung vor. Neben Abhandlungen zur Führung einer Familie und eines Haushalts, zur Bewirtschaftung eines Landguts und zur für die Seele gesunden Lebensführung schreibt er mit dem Momus auch einen rasanten und umwerfend komischen Roman, mit den Intercenales funkelnd abgründige, teils rätselhafte Kurzprosa. Rätselhafte, verführerische Kürze prägt auch das Motto, das er sich gibt und in einer antikischen Portraitmedaille mit dem Bildsymbol des geflügelten Auges kombiniert: Quid tum. In diesen zwei Wörtchen liegt eine eigentümliche Mischung aus Neugier, Rast- und Ratlosigkeit, aus Universalität und Pragmatismus. Die Bedeutung schwingt zwischen Was nun? und Was dann? oder Na und? bis Was soll’s? und Was als Nächstes?. Das Minimum an Wörtern (verba) orientiert sich auf die Zukunft, das Maximum an Dingen (res); mehr mit weniger lässt sich nicht sagen.

Alberti begleitet als Sekretär der päpstlichen Kanzlei seinen Dienstherrn Eugen IV. 1434 nach Florenz. Der durch das Konzil in Basel geschwächte Papst muss Rom fluchtartig verlassen und versucht im Florentiner Exil, die Bindung zur Ostkirche zu stärken. Die hochrangige byzantinische Delegation, die er so in die Stadt zieht, wird Florenz einen weiteren wichtigen Bildungsschub geben. Leon Battista Alberti aber muss zunächst nicht mehr in die Ferne schweifen. Er freundet sich mit den Bildhauern, Architekten und MalernKünstlerdichte an, die in Florenz und am Dom Meisterwerk nach Meisterwerk schaffen: die gut zwanzig Jahre älteren Brunelleschi, Ghiberti und Donatello sowie der gleichaltrige Luca della Robbia, der vor allem mit charakteristisch glasierter Keramik erfolgreich ist und ein Familienunternehmen begründet, dessen Stil bis heute im Souvenirhandel dominiert, sowie der Maler Masaccio; Letzterer hat wenige Jahre zuvor mit einem Dreifaltigkeitsfresko in Santa Maria Novella einen Meilenstein der Zentralperspektive gemalt.

Diese fünf werden auch in dem Widmungsschreiben genannt, das Alberti seinem Werk Über die Malerei voranstellt, das in etwa gleichzeitig mit der Kuppel fertig wird. Es ist an Filippo Brunelleschi im Besonderen gerichtet, aber der Zirkel, die schiere Menge der Künstler vor Ort, ist mitgemeint. Albertis Abhandlung, die er erst in der Volkssprache und dann auch in einer lateinischen Fassung veröffentlicht, ist die Theorie zur zeitgleichen Praxis. DiePerspektive zentralperspektivische Konstruktion eines Bildraumes wird hier erstmals hergeleitet und für den künstlerischen Gebrauch aufbereitet, hinzu kommen Überlegungen zur Komposition eines Bildes und natürlich zu seinen Inhalten. Beim Auffinden dieser Gesetzmäßigkeiten der Natur wie der Kunst war der Widmungsträger maßgeblich beteiligt. Brunelleschis Biograph Antonio Manetti berichtet von einem Experiment, mit dem er die Perspektive erforschte und an seine Zeitgenossen vermittelte: Brunelleschi malt das exakt konstruierte Baptisterium San Giovanni auf eine Holztafel, fasst es in einen guckkastenartigen Apparat mit Spiegel und positioniert dann den Betrachter mit dem Rücken zur Taufkirche im Hauptportal des Domes genau so, dass das gemalte Baptisterium und das Spiegelbild der Wirklichkeit hinter dem wirklichen Baptisterium nahtlos ineinandergehen. Bezeichnenderweise lässt Manetti ausdrücklich offen, ob Brunelleschi mit dem Bild des (vermeintlichen) Marstempels die Perspektivität der antiken Malerei wiederentdeckt oder sie grundsätzlich neu erfindet.

Wiederentdecken und Neuerfinden geraten auch in zwei weiteren Abhandlungen in Verwicklung, die Leon Battista Alberti in den kommenden Jahren schreiben wird, eine über Bildhauerei und eine über Architektur. Letztere, ganz antikisch als De re aedificatoria betitelt, übersetzt das einzige aus der Antike erhaltene Architekturtraktat, das Werk des Vitruv aus dem 1. Jahrhundert v.u.Z., in die Gegenwart. Ein Manuskript des extrem seltenen Vitruv hat Poggio Bracciolini 1416 im Kloster St. Gallen gefunden und in seine Heimatstadt Florenz gebracht, bevor er dort 1453 das Amt des Kanzlers antritt. Albertis De re aedificatoria lässt das antike Werk gleichsam neu austreiben: Er folgt dem Vorbild Vitruv mit aller Sorgfalt und Treue, aber bezieht ihn auf zeitgenössische Bauaufgaben und zeitgenössische Ingenieurskunst. Als Autor, Theoretiker und Praktiker stiftet Alberti eine Komplizenschaft unter den verschiedenen Künsten und Wissenschaften, die im Zeichen der genauen Nachahmung und, wenn möglich, Überbietung der Antike steht. Auch wenn diese Antike, siehe Baptisterium, fremder und ferner ist als vermutet.

Leon Battista Alberti

Über die Malerei. Widmung an Filippo Brunelleschi

ICH staunte und trauerte einst zugleich, dass viele hervorragende und göttliche Künste und Wissenschaften, die es nach den erhaltenen Werken und Beschreibungen in jenem über alles vorzüglichen und vergangenen Altertum in Fülle gegeben haben muss, jetzt so lückenhaft und fast völlig verloren sind. Maler, Bildhauer, Architekten, Musiker, Mathematiker, Rhetoren, Auguren und ähnlich edle und staunenswerte Köpfe sind heute entweder sehr selten oder wenig lobenswert. Es gab daher die von mehreren Leuten geäußerte Vermutung, dass nunmehr die Natur selbst, die Herrin aller Dinge, alt und erschöpft ist und keine Giganten hervorbringt und keine Talente mehr, wie sie es in ihrer Jugend und Blüte getan hat. Als ich aber aus dem langen Exil, in dem die Familie Alberti alt geworden ist, in meine unter anderen Ländern hervorragende Heimat zurückkehrte, da begriff ich zuerst im Umgang mit dir, Filippo, aber auch im Umgang mit vielen anderen, wie unserem guten Freund, dem Bildhauer Donatello, oder mit Ghiberti, Luca della Robbia und Masaccio, dass es in jeder lobenswerten Kunst auch heute jemanden gibt, der den Vergleich mit den berühmten Künstlern des Altertums nicht scheuen muss.

So erkannte ich in unserem Fleiß und unserer Sorgfalt ebenso wie in den Gaben der Natur und der Zeit die Möglichkeit, sich in jedweder Disziplin und Tugend Lob erwerben zu können. Ich gebe dir zu, dass es für die Alten, die in der Fülle dessen lebten, was es zu lernen und nachzueifern gibt, weniger Schwierigkeiten bedeutete, im Verständnis dieser erhabenen Künste Stufe um Stufe zu nehmen, während es uns heute so schwerfällt. Aber nur umso heller wird unser Name erstrahlen, wenn wir ohne Lehrer und Leitbilder solche Künste und Wissenschaften hervorbringen, wie sie noch niemand gehört oder gesehen hat. Wer könnte so verhärtet und neidzerfressen sein, nicht den Architekten Filippo zu loben, wenn er diese riesenhafte Struktur erblickt, steil in den Himmel ragend, groß genug, um allen Einwohnern der Toskana Schatten zu spenden, und noch dazu ausgeführt ohne Stützkonstruktionen und Unmengen von Holz: ein Bauwerk also, das, wenn ich mich nicht irre, in seiner Zeit für unmachbar gehalten wurde und vielleicht sogar im Altertum unbekannt und undenkbar gewesen ist.

Aber um dein Lob zu singen, das Lob der Tatkraft unseres Donatello und überhaupt das all derer, die mir durch ihre Sitten so lieb sind, werde ich an anderer Stelle Gelegenheit haben. Du aber halte daran fest, wie du es Tag für Tag tust, Dinge zu erfinden, durch die dein erstaunlicher Geist sich ewigen Ruhm und Namen erwerben wird. Wenn du doch einmal etwas Muße hast, dann würde es mich freuen, wenn du dir dieses mein Werkchen Über die Malerei ansiehst, dessen toskanische Fassung ich dir widme. Das Buch hat drei Teile. Der erste ist ganz mathematisch und zeigt die Entwicklung dieser lieblichen und edlen Kunst ganz aus ihren Wurzeln in der Natur heraus. Der zweite legt diese Kunst in die Hände des Künstlers, gibt ihre Gliederung und beschreibt alles. Der dritte lehrt den Künstler, auf welche Art und Weise er sich diese Kunst vollkommen zu eigen machen und eine umfassende Kenntnis von der Malerei erwerben kann. Erfreue dich also an einer sorgfältigen Lektüre, und wenn dir etwas fehlerhaft erscheint, dann berichtige mich. Kein Schriftsteller war je so gelehrt, dass ihm gebildete Freunde nicht ausgesprochen hilfreich waren; und ich lasse mich lieber von dir zurechtweisen, als von den Verleumdern zerbissen zu werden.

Leon Battista Alberti: De re aedificatoria. Herausgegeben von Bernardo Alberti. Florenz, gedruckt von Niccolò Tedesco, 29.XII.1485. (GW 00579) Textbeginn.

Albertis wegweisende Abhandlung über die Baukunst übersetzt das einzige erhaltene Werk der Antike zu diesem Thema, das des Vitruv, in die Gegenwart. Die bei Niccolò Tedesco erschienene Ausgabe eröffnet mit einem Widmungsbrief von Angelo Poliziano an Lorenzo de’ Medici.

Gleichzeitig mit Brunelleschis 1436 vollendeter Domkuppel wächst und etabliert sich noch etwas anderes, das aus der Gestalt und Geschichte von Florenz nicht wegzudenken ist: die Familie Medici. Ihr Aufstieg von bürgerlichen Bankiers zu hochadligen Großherzögen nimmt gut hundert Jahre in Anspruch und ist ein Schaustück für die Zusammenballung von Macht, die Wirksamkeit von Propaganda, die Bedeutung der Klugheit, für die Verschränkung von Wirtschaft und Politik überhaupt. Entsprechend oft ist diese Geschichte, wie viele Florentiner Geschichten, schon erzählt worden, entsprechend lohnt es sich immer wieder.

Zum Ende des 14. Jahrhunderts hätte wohl niemand auf die Medici gewettet. Verglichen mit den alten Eliten waren sie noch jung, zu jung. Vor allem aber hat sich die Familie im Rahmen einer kurzen Revolution unmöglich gemacht. Etwa eine Generation nach der großen Pest nämlich kommt es zu einer Umwälzung, die ebenso modern anmutet wie die Bankenkrise:Aufstand der Ciompi Die Arbeiterinnen und Arbeiter der Textilindustrie erheben sich. Die Ciompi, die die niedrigste Arbeit verrichten und die Wolle kämmen und bearbeiten, bevor sie gesponnen werden kann, fordern nicht nur mehr vom Gewinn, der oben in der Gesellschaft abgeschöpft wird, sondern auch (Selbst-)Organisation. Die untere Schicht (der popolo minuto) will sich in Zünften zusammenschließen, wie es bisher nur einer mittleren Schicht (dem popolo grasso) und der oberen Schicht der Patrizier (der primi) gestattet ist. Über die Zünfte wird die politische Teilhabe organisiert: Die Stadtregierung, die Signoria, wird zu drei Vierteln aus Mitgliedern der sieben großen Zünfte, zu einem Viertel aus Mitgliedern der vierzehn kleinen Zünfte besetzt. Am 18. Juni 1378 ruft Benedetto degli Alberti vom Balkon des Palazzo della Signoria herab Viva il popolo!, und der popolo minuto kommt, bewaffnet, stürzt gewaltsam die Regierung und setzt den Arbeiter Michele di Lando als gonfaloniere, also Oberhaupt der Signoria, ein. Eine neu gebildete Regierung macht sich ans Werk und begründet drei neue Zünfte für eine breite Bevölkerungsmasse. Aber auch die hohen Herren aus der Arte della Lana reagieren so schnell wie modern, nämlich mitArbeitskampf Aussperrung. Ende Juli ist die Hauptindustrie der Stadt fast völlig stillgelegt, Steuereinnahmen und Brot werden knapp. Neuwahlen werden angesetzt, die Gewaltbereitschaft nimmt zu, Interessenkonflikte im Kreis der Aufständischen treten hervor, und schon am 31. August findet der Umsturz in offener Straßenschlacht ein Ende – Michele di Lando steht da schon gegen die Ciompi. Auch die kleinen Zünfte, die die Ciompi zunächst unterstützt hatten, haben sich recht schnell wieder von ihnen abgewandt, verbünden sich mit den großen Zünften und grenzen sich von nun an nur umso schärfer vom popolo minuto ab. Die neuen Zünfte werden wieder geschlossen. Einer der wichtigen Akteure dieses kurzen, aber fulminanten Aufstandes war der Bankier Salvestro de’ Medici, geboren um 1331, der allerdings, wie Vertreter der Alberti und der Strozzi, zunächst auf der Seite des revoltierenden Pöbels steht. Salvestro ist zwar auch an der Zerschlagung des Aufstandes beteiligt, aber nach der erneuten Festigung der Ordnung haben er und seine Familie sich für Führungsaufgaben disqualifiziert: 1382, als die Restauration im Nachgang des Aufstandes abgeschlossen ist, wird er aus der Stadt verbannt.

Ein guter Startpunkt für die Aufstiegsgeschichte. Der dynamische Faktor ist Geld, und das kommt aus einem anderen Zweig der großen Familie Medici, der bisher nicht bedeutend genug war, um von etwaigen Stürmen zerzaust zu werden. Giovanni di BicciGiovanni di Bicci de’ Medici (der Zusatz »di« bezeichnet üblicherweise den Namen des Vaters, hier Bicci) steigt in die römische Filiale des Familienbankhauses ein, das Vieri de’ Medici bis zu seinem Tod 1395 führt. In einer chaotischen, von Kirchenspaltungen und Gegenpäpsten geprägten Zeit setzt Giovanni auf das richtige Pferd bzw. den richtigen Kleriker. Baldassare Costa wird zwar als Johannes XXIII. 1410 selbst nur ein Gegenpapst, aber er betraut seinen alten Freund mit der Führung der vatikanischen Konten, und dieser Auftrag bleibt auch unter seinen vollgültigen Amtsnachfolgern bestehen. Die Medici gewähren dem Papst nicht nur Kredite, sie erheben zudem Servicegebühren auf alle Buchungen der katholischen Kirche: Es sprudelt ein schier unerschöpflicher Geldstrom. Die Bank verfügt bald über Zweigstellen in ganz Europa, von Venedig bis Genf, Brügge, London, besetzt mit Familienmitgliedern oder überaus verdienstvollen Freunden. Aber die römische Filiale begründet und bewahrt den Reichtum der Zentrale in Florenz.

Giovanni di Bicci de’ Medici, unter anderem ein Juror beim Wettbewerb um die Baptisteriumsportale 1401, verheiratet zudem seinen ältesten Sohn Cosimo, 1389 geboren,Cosimo il Vecchio mit einer Tochter aus der immer noch großen Bankfamilie Bardi. Ab 1420 führt Cosimo mit seinem Bruder Lorenzo die Geschäfte des Familienbetriebs, 1429 stirbt Giovanni di Bicci. Um das Weiterbestehen der Firma zu gewährleisten und Planungssicherheit zu schaffen, ist politische Einflussnahme unabdingbar. Es braucht also neben dem großen Reichtum auch größere Klugheit und größte Geduld, um einen Staatsstreich ins Werk zu setzen, der als solcher gar nicht auffällt. Alle diese drei Dinge besitzt Cosimo de’ Medici, genannt il Vecchio, der Alte, der nach 1429 unangefochtener Chef des Hauses ist.

Die politische Ordnung von Florenz besitzt extreme Schutzmechanismen gegen das Erstarken einer Familie oder gar einer Person. Die Einzelherrschaft (Signorie), wie sie von den Visconti in Mailand mit größtem Erfolg praktiziert wird, ist der Republik Florenz offiziell ein Gräuel. Ideal wäre eine Staatsordnung wie in Venedig, wo die Politikfähigkeit ähnlich wie in Florenz Oberschichtensache, aber diese Oberschicht zudem fest fixiert ist: Die betreffende Liste an Familien erlebt 1297 ihren Redaktionsschluss. In Florenz hingegen ist der Bestand an führenden Familien groß und dynamisch – durch Bankenkrisen, Seuchen undStadtstaat Exilierungswellen umso mehr. Die politische Teilhabe in der Stadtregierung und ihren Entscheidungsgremien fällt einer Oberschicht von mehr oder weniger dreihundert Familien zu. Diese primi konkurrieren miteinander um Ämter und Einfluss, agieren einzeln oder verbünden sich zu Lagern, und so etablieren sich gewissermaßen archaische, ungeordnete checks and balances. Politikfähigkeit setzt Stand und Barvermögen voraus: Wer Schulden hat oder Steuerzahlungen nicht leisten kann, darf keine Ämter bekleiden. Nicht weniger wichtig ist eine zumindest glaubhaft vorgetragene republikanische Gesinnung. Der Zugang zu Ämtern kann für ganze Sippen blockiert werden, wenn zu viel Unfrieden gesät oder zu ausgeprägte Herrschaftslust gewittert wird; diese gesperrten Familien sind sogenannte Magnaten. Und dann ist da noch Dame Fortuna. Die Stadtregierung besteht aus neun Prioren mit dem gonfaloniere an ihrer Spitze sowie deren Beratungskollegien; diese wiederum berufen die sogenannten pratiche, Entscheidungsgremien, in denen die eigentliche Politik gemacht wird. Die Signoria und die genannten Kollegien werden unter den Aktivbürgern der Oberschicht Losverfahrenausgelost. Darüber hinaus ist die Amtszeit sehr kurz, um Machtansammlung zu unterbinden: Die Ämter werden alle acht Wochen neu ausgelost.

Der Weg zu einer Macht, die sowohl von Konkurrenten als auch vom Zufall nichts mehr zu fürchten hat, führt über die Manipulation der Lose im schicksalsträchtigen Lederbeutel, und das in zweifacher Hinsicht: einerseits buchstäblich, über Einfluss auf die Entscheidungsfindung, welche und wie viele Bürger loswürdig sind – aber das lässt sich nur bedingt weit treiben, ohne zum Magnaten gestempelt zu werden –; und andererseits indirekt über Einfluss auf diejenigen, die wählbar sind. Es geht um Verbindlichkeiten, Gefolgschaft und soziales Kapital. Genau hier setzt Cosimo de’ Medici sein ökonomisches KapitalCosimos Geld ein. Mithilfe eines Geldgeschenks kann beispielsweise jemand, der wegen Schulden ausgeschieden war, politisch reaktiviert und zu Dank verpflichtet werden. Aber Cosimo de’ Medici denkt deutlich über die (wichtige) Kategorie Schmiergeld hinaus. Er lässt sein Geld durch den gesamten Staat sickern und macht sich unentbehrlich.

1429 etwa bricht einmal mehr ein Krieg gegen Lucca aus. Ein Vertreter der Familie Albizzi, die Hauptkonkurrenten der Medici, sucht den Ruhm, findet aber nur den Schlamm des Feldlagers. Cosimo de’ Medici hingegen bezahlt den Krieg. Mit großem Abstand zu den anderen Clans macht er sich zum Gläubiger des Staates und versäumt es dabei nicht, sich als republikanischer Patriot in Szene zu setzen. Zugleich plant Cosimo schon eine Defensive und sozusagen eine Außenpolitik. Er weiß, dass jederzeit Exil und Enteignung drohen können, wie es von seinen Gegnern schon lange gefordert wird, und so versteckt er etwas Kapital in Klöstern, verschiebt aber den Großteil außer Landes, nach Rom und vor allem Venedig. 1433 ist es dann so weit, das Los fällt deutlich zugunsten einer breiten, aber nicht wirklich kompakten Allianz ältester Familien, die gegen den Emporkömmling Cosimo stehen. Diedas erste Exil Medici werden aus allen Ämtern ausgeschlossen, acht Häupter der Familie ins Exil geschickt, heftige Strafzahlungen verhängt. Cosimo fügt sich demonstrativ demütig, zahlt und geht ins Exil nach Padua und Venedig – wo bereits sein Geld, ein Teil seiner Familie und eine überaus gewogene Regierung auf ihn warten. Auch andere Stadtstaaten auf dem Weg von Florenz nach Venedig sind gute Freunde Cosimos geworden, er zieht geradezu triumphal ins Exil. Und dann wartet er auf die richtige Gelegenheit. Mit der Vertreibung der Medici hat Florenz sozusagen Sanktionen über sich selbst verhängt; dass für die stets nötigen Militäraktionen jetzt die Steuern angehoben werden müssen, lässt den abwesenden Cosimo in der Gunst des Volkes steigen. Zwar hält seine Pechsträhne bei der Ämterlosung an, aber er wartet, bis sich im September 1434 das BlattAbwarten wendet. Eine Signoria ist ausgelost worden, die das Exil gewiss aufheben wird, aber Cosimo wartet weiter, bis die Sache rechtskräftig verbrieft ist, erst dann kehrt er zurück. Er gibt ostentativ den gesetzestreuen, bescheidenen Bürger, und das wirkt. Zum Abschied gewährt er den Venezianern einen sehr großen und vorteilhaften Kredit und kann darauf rechnen, dass die Serenissima Repubblica di San Marco ihm fürderhin den Rücken freihalten wird. Zudem residiert seit Mai 1434 der aus Rom exilierte Papst in Florenz – nicht nur ein dankbarer Kunde der Medici-Bank, sondern auch ein gebürtiger Venezianer.

Das Netzwerk Cosimo de’ Medicis hat also keine nennenswerten Lücken mehr, als er nach Florenz zurückkehrt. Für Ende September wird ein parlamento einberufen, eine Volksvollversammlung; das ist immer ein guter Grund, unverfänglich Soldaten mitten in der Stadt zu postieren, um die Versammlung zu schützen. Cosimo ist, obwohl der Ausgang des parlamento wenig zweifelhaft erscheint, nicht zimperlich, und sorgt dafür, dass robuste 6000Staatsstreich Bewaffnete hinter ihm stehen, Gefolgsleute aus dem Mugello, der Ursprungsregion der Medici nördlich der Stadt, ebenso wie Söldner, die Venedig spendiert. Das parlamento beschließt eine Sonderkommission für neu zu verhängende Verbannungen, die auffallend mitgliederstark, also vermeintlich neutral aufgestellt wird, aber natürlich Anhänger der Medici aus allen Schichten der Gesellschaft zusammenbringt. Wieder wartet Cosimo. Die wichtigsten Erzfeinde aus den Familien Albizzi und Peruzzi werden sofort ins Exil geschickt, aber die volle Liste der Verbannten wird lange zurückgehalten, um exakt abzuwägen, auszuforschen und das bisherige Stimmverhalten der Kandidaten in den Akten nachzuschlagen; und um dem von selbst einsetzenden Zerfall der gegnerischen Netzwerke Raum zu geben. Als die Liste im November veröffentlicht wird, ist sie schockierend lang, mehr als neunzig Männer aus 58 Familien werden verbannt, das ist für die Zeit gewaltig. Die Mehrheit dieser Familien darf schließlich nach einigen Jahren wieder zurückkehren, gegen Loyalität, versteht sich. Damit ist erstmal Ruhe im Karton – soweit das in der Renaissance eben möglich ist – und Cosimo hat eine Position als Drahtzieher der Republik errungen, die die Medici bis auf Weiteres nicht mehr aus der Hand geben werden. Völlig ohne Blutvergießen.

Neben seiner klugen Geduld, seiner Konzentration auf eine fraglos dem Clanchef untergeordnete Kernfamilie, seiner makellos republikanischen, gesetzestreuen Fassade und etwas Glück gehört es auch zu Cosimos Erfolgsrezept, dass er sein Geld zwar mit legendärer Großzügigkeit ausgibt, aber es nicht aus dem Fenster wirft (wie es für spätere Medici buchstäblich überliefert ist). Er schmiert und finanziert nicht nur, er gibt vor allem Dinge in Auftrag – nebenbei sichert er sich so Rückhalt in den mittleren und unteren Schichten. Zum Aufstieg Cosimos gehört sein Engagement für die Künste und die Bildung. In der Auftragsvergabe beweist er die gleiche Mischung aus Sach-, Menschen- und Selbstkenntnis, die er als Bankier bei der Vergabe von Krediten und als Politiker bei der Bindung vonhimmlische Investitionen