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Welt der Renaissance: Neapel E-Book

Tobias Roth

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Beschreibung

Neapel – zur Zeit der Renaissance eine der größten und bedeutendsten Städte der Welt. Erstmals erschließt Renaissance-Kenner Tobias Roth die reichen literarischen Schätze der Stadt am Vesuv, vom Liebesgedicht bis zum Herrscherlob, von der Novelle zur Schweinigelei, vom Gassenreport zum Bericht über Vulkanausbrüche.  Hochturbulent und bunt ging es zu im Neapel der Renaissance. In der von französischen und spanischen Königen regierten Weltstadt sammelten sich Talente wie Boccaccio, Pontano, Masuccio, Sannazaro und Dichterinnen wie Laura Terracina. Gedichte, Novellen, Satiren entstanden, wurden geliebt, gelobt und mit Gold aufgewogen – oder verdammt und verboten. Schnell konnte man in der Gunst der Herrscher steigen – und schnell tief fallen: Giovanni Antonio Petrucci schrieb seine letzten, herzzerreißenden Gedichte im Kerker, kurz bevor er, sein Bruder und sein Vater hingerichtet wurden.  Chroniken erzählen über Nöte und Wunder in den engen Gassen der Stadt, über Teppiche von Fischleibern nach einer Flut, über Mönche, die Kranke gesundlecken, über Pracht und Zerstörung in rascher Folge. Berichte über vulkanische Ausbrüche auf den phlegräischen Feldern zeugen vom Staunen über Naturgewalten und von tollkühner Neugier. Zahlreiche Abbildungen aus der grandiosen Buchkunst der Zeit machen auch das Buch selbst zum Sterben schön.

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Welt der Renaissance: Neapel

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Über Tobias Roth

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Inhaltsverzeichnis

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Über Tobias Roth

Tobias Roth, geb. 1985, ist freier Autor, Mitbegründer des Verlags »Das Kulturelle Gedächtnis«, Lyriker, Herausgeber und Übersetzer (u.a. von Erasmus, Voltaire, Gaspard Koenig und Stephen Greenblatt) und wurde mit einer Studie zur italienischen Renaissance promoviert. 2020 erschien sein aufsehenerregender Foliant Welt der Renaissance (»ein Gesamtkunstwerk«; Die Zeit).

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Über dieses Buch

Neapel – zur Zeit der Renaissance eine der größten und bedeutendsten Städte der Welt. Erstmals erschließt Renaissance-Kenner Tobias Roth die reichen literarischen Schätze der Stadt am Vesuv, vom Liebesgedicht bis zum Herrscherlob, von der Novelle zur Schweinigelei, vom Gassenreport zum Bericht über Vulkanausbrüche.

Hochturbulent und bunt ging es zu im Neapel der Renaissance. In der von französischen und spanischen Königen regierten Weltstadt sammelten sich Talente wie Boccaccio, Pontano, Masuccio, Sannazaro und Dichterinnen wie Laura Terracina. Gedichte, Novellen, Satiren entstanden, wurden geliebt, gelobt und mit Gold aufgewogen – oder verdammt und verboten. Schnell konnte man in der Gunst der Herrscher steigen – und schnell tief fallen: Giovanni Antonio Petrucci schrieb seine letzten, herzzerreißenden Gedichte im Kerker, kurz bevor er, sein Bruder und sein Vater hingerichtet wurden.

Chroniken erzählen über Nöte und Wunder in den engen Gassen der Stadt, über Teppiche von Fischleibern nach einer Flut, über Mönche, die Kranke gesundlecken, über Pracht und Zerstörung in rascher Folge. Berichte über vulkanische Ausbrüche auf den phlegräischen Feldern zeugen vom Staunen über Naturgewalten und von tollkühner Neugier.

Zahlreiche Abbildungen aus der grandiosen Buchkunst der Zeit machen auch das Buch selbst zum Sterben schön.

Inhaltsverzeichnis

Von der Antike in den Vorfrühling

Giovanni Boccaccio

Der neapolitanische Brief an Francesco de’ Bardi

König Alfonso d’Aragona und seine Humanisten

Antonio Beccadelli

Aussprüche und Taten des Königs Alfonso (Auszüge)

An Cornutus

An Leon Battista Alberti. Über Ursas Ausschweifung

An einen lieben Freund. Bitte um einen Gefallen in Pistoia

König Ferrante d’Aragona und die Augenzeugen der Fortuna

Tristano Caracciolo

Über die Wandelbarkeit der Fortuna (Auszug)

Giovanni Antonio Petrucci

Die Natur hat kein grausameres Tier erschaffen als den Menschen

An den Graf von Carinola, meinen lieben Bruder

Die Fortuna hat mir meinen Besitz genommen, aber nicht meine Bildung

Wie die Zeit nichts beständig sein lässt

Das Ende der aragonesischen Könige

Giuliano Passero/Giacomo della Morte/Melchionne Ferraiolo

Aus den Chroniken

Eine Renaissance in Person

Giovanni Pontano

Hymnus an die Nacht

Hochzeitslied

Erstes Schlaflied

Klage über den Tod des Sohnes Lucio, mit der Enkelin Tranquilla

Klage über den Tod des Sohnes Lucio, vor den Rosen

An Batilla, über die Pflege des Majorans

An Alfonso, den Herzog von Kalabrien

Über die Geschenke Albinos

An Marino Tomacelli

Über die Bestialität (Auszüge)

Die zwölf Inschriften an der Cappella Pontano

An Stella

Novellen über Mönche und andere Verbrecher

Masuccio Salernitano

Die Unterhose des heiligen Griffone

Ein gerechtes Urteil

Girolamo Morlini

Über die Kloakenreiniger, die in der Scheiße Schiffbruch erlitten

Wie sich ein Edelmann als Jesus Christus verkleidete, um eine Dame hereinzulegen

Über die Gesandten eines Dorfes, die ein lebendiges Kruzifix kaufen wollten

Ein Dichter unter Schäfern und Ruinen

Jacopo Sannazaro

Arcadia (Kapitel VII)

Zum Fest des heiligen Nazarius, dem Geburtstag des Dichters

An die Ruinen der uralten Stadt Cumae

Granatäpfel

An Nina

Über die herrliche Stadt Venedig

Die rebellische Erfolgsautorin

Laura Terracina

An die Feinde der Frauen

An die hervorragende Dame Veronica Gambara

Der Ausbruch der phlegräischen Felder

Francesco del Nero

Ein Brief mit neuen Nachrichten über Pozzuoli und die Feuerschlünde, die sich jüngst unweit Neapels geöffnet haben, und über die Vorbedeutung dessen, und über alles, was bis zum 16. Oktober 1538 vorgefallen ist.

Anhang

Verzeichnis der Medaillen

Quellen

Dank

Verzeichnis der Abbildungen

Förderhinweis

Als Alfonso d’Aragona, genannt il Magnanimo, der Großmütige, 1442 Neapel erobert, ist die Hauptstadt des größten Flächenstaates auf dem italienischen Subkontinent schwer mitgenommen, ausgezehrt, halb zerstört. Alfonso, 1396 geboren und bereits seit jungen Jahren als König von Aragón und von Sizilien im Amt, setzt sich gegen das französische Haus Anjou durch. Es ist ein Etappensieg in einem bereits seit Jahrhunderten andauernden und noch lange nicht beendeten Kampf zwischen den Häusern Anjou und Aragón, die von Frankreich und Spanien aus um die Vorherrschaft im Mittelmeer streiten, und das heißt um Neapel, die Metropole in der Mitte des Mittelmeers. Alfonso d’Aragona und seine Nachkommen bleiben nur ein halbes Jahrhundert an der Macht, aber das genügt, um Renaissance in Gang und zur Blüte zu bringen. Die Renaissance in Neapel spielt sich hauptsächlich in der Literatur ab, Maler und Bildhauer sprießen hier nicht in solcher Unzahl und Ausnahmequalität wie in Mittelitalien. Die starke Konzentration auf die Bildenden Künste, die unser Bild der Epoche prägen, mag also ein Grund dafür sein, warum Neapel nicht sofort als Renaissancestadt in den Sinn kommt. Auch Jacob Burckhardt gab sich in seiner wichtigen und einflussreichen Cultur der Renaissance in Italien von 1860 nicht als besonderer Freund der Aragonesen, er bescheinigte vielmehr dem »Marranenhaus einen augenscheinlichen Mangel an Rasse«, eine »scheußliche Seele« und gönnte ihm den raschen Untergang. Aber die älteren Medici in Florenz, die Sforza in Mailand oder die Montefeltro in Urbino halten sich auch nicht länger. Verglichen mit Epochen davor oder danach kann die Renaissance etwas sehr Schnelles sein.

Die Wiederentdeckung des klassischen Altertums, die Begeisterung für die Werke der Alten Antike vor Ortund die Lust an den Werken der Neuen finden in Neapel nicht nur die richtigen Förderer im richtigen Moment, sondern auch das Altertum selbst. Neapel mochte 1442 schwer beschädigt sein, aber die Stadt ist nie völlig zerstört worden, nicht von den zahllosen Eroberern und auch nicht von den Vulkanen, von denen sie umringt ist, dem Vesuv im Osten, den Phlegräischen Feldern im Westen. Neapel ist eine uralte Metropole. Nimmt man die Nachbarorte am Golf dazu, ist es älter als Rom. Neapolis, die neue Stadt, wird im 5. Jahrhundert v.u.Z. von Griechen gegründet, in Nachbarschaft von Cumae, der ersten griechischen Kolonie in Italien, die im 8. Jahrhundert v.u.Z. entsteht. Den CumaeApollontempel von Cumae hat, nach Vergils Aeneis, kein anderer als Daedalus selbst erbaut, und als Aeneas, der mythische Stadtgründer Roms, hier das italienische Festland betritt, steht dort bereits ein riesiger Felsentempel mit »hundert Türen«. Aeneas geht weiter nach Latium, und auch als Rom beginnt, sein Eroberungsleben in wachsenden Ringen über die Welt zu ziehen, bleibt Neapel, das im 3. Jahrhundert v.u.Z. an Rom fällt, vergleichsweise selbstständig. Noch der Historiker Tacitus spricht zu Beginn des 2. Jahrhunderts (nun n.u.Z.) schlichtweg von der »griechischen Stadt«. Als solche ist sie, gegenüber Rom, die Stadt der höheren Kultur; bezeichnenderweise findet Vergil, der wichtigste Dichter der alten Welt, hier seine Wahlheimat und sein Grab, das früh zu einem säkularen Pilgerort wird. Mit Vergils an griechischer Kunst geschulten Versen, die Kampanien verherrlichen, lernen Europäer jahrtausendelang Lesen und Schreiben. Rom und AthenRom und Athen sind, geographisch und als Denkfigur, die beiden Zentren der Antike, aber Neapel ist immer schon beides. (Zumindest formal ist für lange Zeit auch das dritte große Zentrum, Jerusalem, irgendwie anwesend: Vom 13. bis ins 19. Jahrhundert beansprucht der König von Neapel, auch der König von Jerusalem zu sein.)

Aber Neapels Pracht und Reichtum sind bei Weitem nicht nur poetisch und imaginär. Die Qualität der Böden und der Witterungsverhältnisse steht außer Zweifel. Zudem ist Pozzuoli am Golf von Neapel der wichtigste Hafen Roms. Über Pozzuoli läuft der Handel und damit auch der Kulturtransfer nach Osten. Was über die Seidenstraße kam und nach Rom soll, wird Hafenhier ausgeladen. Die ersten Exemplare von seither allgegenwärtigen Geschöpfen wie Rosen, Kirschen oder Christen gehen hier an Land. Neapel wird zum Ort der Genüsse und Vergnügungen, der Thermalbäder, der prunkvollen Villen und der verfeinerten Lebensart; ein Ruf, den die Stadt bis in die Neuzeit behält. Es ist schwer zu sagen, was ein römischer Großbürger oder gar Kaiser auf der Höhe des Imperiums für Sorgen haben soll, aber an den Golf von Neapel kommen sie alle, um sich von den »Sorgen« der Welthauptstadt zu erholen, um zu feiern und heiß zu baden und die besten Austern des Reiches zu schlürfen. Noch die Überreste dieses Reichtums, die heute die Museen zieren und, dem Vesuv sei Dank, vergleichsweise zahlreich sind, sind nicht weniger als märchenhaft.

BaiaeIn Ovids Ars amatoria empfiehlt der Lehrmeister der Liebe nur eine Stadt, in der es sich so gut leben und lieben lässt wie in Rom: Baiae am Golf von Neapel. Martial nennt den Badeort, den er ausdrücklich nicht genug loben kann, »das bezaubernde Geschenk einer stolzen Natur«. Wie locker es am Golf selbst für römische Verhältnisse zugeht und wie begehrt die Gegend ist, zeigen besonders Spott über Investoren und Klage über Sittenverfall: Jemand, der die Gegend im Vorbeigehen lobt und zerstreut eine Villa aus dem Boden stampft, ohne zur Ruhe zu kommen und einzutauchen, ist bei Horaz der Inbegriff des idiotischen Neureichen; auch Cicero, der eine Villa am Golf besaß, berichtet ironisch von »vielerlei Freuden und schnellem Geld«. Nicht nur der elegische Properz, der zu Schwermut und Eifersucht neigt, sondern auch der gar nicht zimperliche Martial fürchtet die sittenverderberische Kraft des lauwarmen Wassers. Strenge Philosophen wie Seneca schließlich beklagen vollends die »Wohnstatt aller Laster«, wo Luxus dem Menschen den Verstand raubt. Solche Klagen vonseiten der Sitte lassen sich immer auch als Hinweis auf eine gewisse liberale Stimmung lesen, wie sie die Hafenstadt als Begegnungs- und Vermischungsort verschiedenster Mittelmeeranrainer besessen hat. Zugegebenermaßen aber ist es zu Senecas Zeit wirklich verrückt; Caligula etwa lässt im Jahr 39 zwischen Pozzuoli und Baiae Schiffe zu einer Brücke verbinden, lässt diese wie die Via Appia pflastern und reitet fröhlich über das Meer – um einem Astrologen die Vorhersage zu verderben (so Sueton).

Bei aller Pracht und Vergnügung ist diese thermale Landschaft gefährlich, von Düsternis durchsetzt. Auf den phlegräischen, also brennenden Feldern kämpften Götter und Giganten. UnterweltBei Cumae befindet sich nicht nur das Orakel der Sybille in einer dunklen Höhle, sondern auch der Eingang zur Unterwelt. Vögel, die über den Averner See fliegen, fallen tot vom Himmel (Lukrez), und der Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 zählt bis heute zu den berühmtesten Naturkatastrophen überhaupt. Diese wunderbare, kultivierte Landschaft, die jede andere auf der Welt überstrahlt (Horaz), könnte jeden Moment explodieren. An dieses genusskulturelle Erbe, durch das Zerstörung und Unterwelt flackern, werden die Humanisten des 15. Jahrhunderts anschließen, der Akzent erhält sich.

Leider endet die Geschichte Europas nicht in den Thermalbädern von Baiae, die Antike muss erst sterben, bevor sie wiedergeboren werden kann. Rom geht nicht an einem Tag unter, aber Spätantikedafür gründlich. Das Reich zerfällt in einen westlichen und einen östlichen Teil, ersterer wird im Laufe des 5. Jahrhunderts von Barbaren (ohne Anführungszeichen) aus dem Norden übernommen, der letzte Marionettenkaiser wird 476 abgesetzt. Neapel, in dessen unmittelbarer Nähe die Ostgoten entscheidend von Ostrom geschlagen werden, kommt unter die Herrschaft von Byzanz. Von Norden her breiten sich Langobarden, von Süden her Araber aus und vermischen sich hier. Das Emirat Sizilien und das inzwischen von Byzanz gelöste Herzogtum Neapel werden von Normannen erobert und durch Roger II. 1139 zu einem Reich vereint. Über eine Tochter Rogers II. bekommt nun auch der deutsche Adel eine Episode in Neapel: Der Staufer Heinrich VI. macht kriegerisch Friedrich II.seinen Anspruch auf Sizilien geltend, von dort aus regiert sein Sohn Friedrich II. das Heilige Römische Reich; an seinem Hof wird das Sonett erfunden. In Neapel, wo in dieser Zeit sieben lebendige Sprachen durcheinandergehen, gründet Friedrich II. 1224 die erste staatliche, also nicht kirchliche Universität Europas, die vor allem die Ausbildung von Verwaltungsjuristen zum Zweck hat, die das Reich zusammenhalten sollen; auch Theologie wird unterrichtet, unter anderem durch Thomas von Aquin. Aber schon Friedrichs Enkel Konradin wird 1268 in Neapel enthauptet. Eine weitere europäische Großmacht, die französische Königsfamilie Anjou, ist auf den Plan getreten, denn der Papst (der sich wiederum als oberster Lehnsherr von Neapel versteht) hat ihnen die Krone angeboten. Ansprüche auf das Erbe der Staufer sind währenddessen per Heirat auch nach Spanien gekommen und Pedro III. de Aragón will sie in Sizilien durchsetzen. Nach einer Volkserhebung gegen die Anjou, der berühmten »sizilianischen Vesper« 1282, erobert er die Insel und die beiden Sizilien fallen wieder auseinander. Neapel löst nun Palermo als Hauptstadt des Reiches ab.

Aragón gegen AnjouDer unversöhnliche Gegensatz von Aragón und Anjou wird die kommenden Jahrhunderte prägen. Immer wieder wird versucht, einen vorübergehenden Frieden mit einer Hochzeit von Aragón und Anjou zu befestigen, aber zumeist ist das Ergebnis, dass so nur die Ansprüche beider Familien auf ein und dasselbe Gebiet zementiert werden. Dass Blutsbande gegen Blutvergießen helfen, ist ein Gerücht. Wenn eine der beiden Familien für einige Zeit unfähig ist, ihrem Besitzanspruch mit Waffengewalt Nachdruck zu verleihen, dann finden Seitenzweige innerhalb einer Familie zielsicher einen Anlass, um weiter Krieg zu führen. Es etablieren sich gleichsam Refrains in der Geschichte Neapels: Wenn Eroberer aus dem Norden bzw. Westen Erfolg haben, belehnen sie hinterher ihre Gefolgsleute mit Titeln und Besitzungen und provozieren so die Ablehnung des bereits ansässigen Adels; kommt Bedrohung von außen, muss der jeweilige König von Neapel die Gefolgschaft seines Adels mit Zugeständnissen kaufen. Der ständige allseitige Krieg, nicht nur gegen die Erzfeinde, sondern auch gegen den Papst oder die Sarazenen, verschlingt so viele Ressourcen, dass eine Stärkung des Königs gegen die Barone systematisch zu kurz kommt. Wenn es gar nicht mehr geht, wird jemand von der Gegenseite adoptiert. Nachhaltige Probleme entstehen auch, wenn ein König zu viele Kinder hat wie Charles II. d’Anjou, der noch Ungarn in das komplizierte Anspruchsgeflecht um Neapel Anjou gegen Anjoueinführt: »Ungarische« Anjou werden gegen »Neapolitaner« Anjou kämpfen, und auch die Aragón, sobald sie wieder in Neapel sitzen, verschwägern sich aktiv mit Ungarn. Der ständige innere und äußere Kampf, den die Anjou das 14. Jahrhundert hindurch führen, verschwendet die Kräfte des Reiches, laugt sie aus und behindert seine Entwicklung. Das mittelalterliche Lehenssystem beispielsweise hält sich in Neapel länger als im Rest Italiens.

Robert der WeiseAllerdings kommt es mit Robert d’Anjou zu einem gewissen kulturellen Vorfrühling. Der 1278 geborene dritte Sohn von Charles II. d’Anjou und Maria von Ungarn wächst im Widerspruch von Anjou und Aragón auf: Sein Vater war 1284 in einer Seeschlacht vor Neapel von Pedro III. de Aragón gefangen genommen worden, 1288 werden Robert und zwei seiner Brüder gegen den König eingetauscht. Er verbringt seine Jugend bis 1295 als Geisel, heiratet aber 1297 in erster Ehe Yolanda von Aragón, die Tochter Pedros III. Yolanda stirbt bereits 1302, bevor Robert einen Thron besteigen kann; 1304 heiratet er Sancha d’Aragona, die Tochter des Königs von Mallorca. 1309 wird Robert König, im selben Jahr wird der Hof des Papstes für fast siebzig Jahre nach Avignon verlegt, was für ein Machtvakuum in Mittelitalien sorgt und die Geographie der Einflussnahme erheblich verschiebt.

Als König stellt sich Robert d’Anjou auf die Seite des Papstes gegen den Kaiser und führt, ganz in der Familientradition, einen langen, harten und ergebnislosen Krieg gegen das Haus Aragón um Sizilien. Aber er gewinnt auch Einfluss in ganz Italien und übernimmt zeitweise die signoria, also die politische Leitung großer Städte wie Genua und Florenz. Was Robert auszeichnet, ist seine Belesenheit und die Förderung, die er den Künsten und Wissenschaften zukommen lässt. Von 1328 an arbeitet etwa Giotto, der wichtigste Maler seiner Zeit, fünf Jahre lang in Neapel und wird vom König in hohen Ehren gehalten. Von Giottos Werken dieser Zeit hat sich kaum etwas erhalten, aber der Beiname il Saggio, der Weise, ist Robert für seine Kultur und Kulturpolitik geblieben.

Das schönste Kompliment für seine Bildung und zugleich ein Beleg für deren europäischen Ruf stammt von einem Einsiedler aus der Provence, der seine Zeit und seine Zeitgenossen eigentlich derart gründlich ablehnt, dass er dafür eigens das »dunkle Mittelalter« erfindet, Francesco Petrarca. Der Dichter und Gelehrte, der 1304 in Arezzo geboren wird, aber bereits in jungen Jahren seinem Vater, der im Dienst des Papstes steht, nach Avignon folgt, provoziert einen Bruch in der Geistesgeschichte. Mit einer bis dato einmaligen Vehemenz behauptet er die Überlegenheit der antiken über die zeitgenössische Kultur, in allen Bereichen außer der Religion. Die alte Literatur, Philosophie und politische Größe Roms werden für ihn das neue Ziel, das Licht, auf das er voll energetischer Ungeduld wartet. Mit diesem Ungenügen, das in ehrfürchtige Konkurrenz zu einer überlebensgroßen Antike tritt, wird er mittelbar und unmittelbar ganz Europa anstecken.

Wie Petrarca in seinem autobiographischen Brief an die Nachwelt berichtet, erhält er im Spätsommer 1340 am selben Tag Post aus Paris und aus Rom: Beide Städte möchten ihn zum Dichter krönen und damit einen für viele Jahrhunderte ausgesetzten antiken Brauch wiederbeleben. Petrarca entscheidet sich für Rom, ist aber selbstkritisch genug, die Auszeichnung nicht einfach so anzunehmen. Sein Werk, vor allem sein Hauptwerk, das lateinische, an Vergil anknüpfende Versepos Africa, ist erst ein Fragment (und wird es auch bleiben). Wie kann also festgestellt werden, ob der Dichter der höchsten Dichterwürde würdig Petrarca in Neapelist? Petrarca begibt sich nach Neapel, um sich und die Africa über mehrere Tage hinweg durch Robert d’Anjou prüfen zu lassen. Nur Robert, »dessen Herrschaft durch Bildung glänzte und der als einziger König des Zeitalters ein Freund der Wissenschaften und Tugend war« (Petrarca), kann das beurteilen. Im April 1341 wird der Dichter in Rom mit dem Lorbeer gekrönt; die Tradition hat seither keine Aussetzer mehr. Petrarca verpasst in Neapel knapp, um kaum ein Jahr, einen zukünftigen Freund und bedeutenden Kollegen, Giovanni Boccaccio. Der nach Dante und Petrarca jüngste der tre corone fiorentine, der vorbildlichsten Dichter der Florentiner Volkssprache, verbringt seine gesamte Jugend in Neapel; 1340 muss er die Stadt verlassen und wird sofort brieflich aktiv, um wieder zurückkehren zu können.

 

Giovanni Boccaccio wird 1313 in Florenz oder im nahe gelegenen Certaldo geboren. Er ist ein uneheliches Kind, aber sein Vater, Boccaccino di Chellino, lässt ihn legitimieren und gut erziehen. Der Kaufmann hat ein glückliches Händchen, seine Handelsgeschäfte reichen bis Boccaccio in Neapelnach Paris, und als er 1327 im Auftrag des Florentiner Bankhauses der Familie Bardi nach Neapel übersiedelt, nimmt er seinen Sohn mit. In der Groß- und Hafenstadt, die in dieser Zeit über 60000 Einwohner zählt, lernt der junge Giovanni das Geschäft seines Vaters, studiert Jura, nicht zuletzt bei Cino da Pistoia, einem wichtigen Dichter und Juristen, und er findet Zugang zum Hof des weisen Robert. Boccaccios literarisches Talent spielt zu seinen Gunsten, und in späteren Schriften wird er sich rühmen, als einfacher Bürger Umgang mit den jungen Leuten von Adel gepflogen zu haben. Er hat teil an zwei Welten, der höheren und der niederen, und genau diese Mischung, vermittelt durch Bildung und die virtuose Beherrschung verschiedener Sprachregister, wird seine Hauptwerke im volgare, der Volkssprache, prägen. Und Boccaccio macht sich früh daran, Hauptwerke zu verfassen. Bis Mitte der 30er-Jahre entstehen die um das Thema der Liebe kreisenden Verserzählungen Caccia di Diana und Filostrato sowie Gedichte und gefeilte Briefe in italienischer und lateinischer Sprache. Erster Prosaroman EuropasUm das Jahr 1336 herum schreibt Boccaccio mit dem Filocolo den ersten Prosaroman Europas in einer Volkssprache, eine hochemotionale und voltenreiche Liebesgeschichte, voller Neapolitaner Reminiszenzen und, das ist noch Avantgarde, voller Anspielungen auf die Antike. Im Filocolo verbindet sich Boccaccios frühhumanistische Bildung mit seiner Lust an höfischen Stoffen, amourösen Verwicklungen und Geschichten in der Geschichte. Die Form des Prosaromans weist zudem auf eine neue, nicht mehr notwendigerweise adlige oder klerikale Leserschaft, die alphabetisierten, wohlhabenden Laien, die ihr Leseleben auch ohne Latein führen und nun Schritt für Schritt mehr und mehr zu den Trägern der Kultur werden; die Neuzeit wird nicht nur ihren Triumph sehen, sondern auch den ihrer literarischen Form, des Prosaromans. Auch Boccaccios Teseida, die höchstwahrscheinlich noch in Neapel entsteht, weist in die Zukunft des Erzählens: Heroische Gegenstände in der Nachfolge Vergils werden in Stanzen, achtzeiligen und kunstvoll gereimten Strophen, erzählt. Damit ist der Grundstein für die Ritterepen der Renaissance, etwa Ariosts Orlando furioso, gelegt.

Die Jahre in Neapel enden abrupt. 1340 muss Boccaccino di Chellino zurück nach Florenz, wo soeben eine Finanzkrise einige Banken in den Abgrund zu reißen droht, und wiederum nimmt er seinen Sohn mit. Boccaccio geht zunächst auf der Suche nach literarischer Anstellung nach Ravenna und Forlì, bevor er sich 1347, ein Jahr vor der allesverheerenden Boccaccio in FlorenzPest, endgültig in Florenz niederlässt. Er wird sich dort ganz dem (lateinischen) Humanismus verschreiben, vollendet zuvor jedoch in relativ kurzer Zeit sein Decamerone, die Sammlung der hundert Novellen, die seinen Weltruhm begründet. Mehrere Novellen spielen im Königreich Neapel und seiner Hauptstadt und zeigen, wie die Novelle II,5 um den Pferdehändler Andreuccio da Perugia, detaillierte Ortskenntnisse, die sich auf dem Stadtplan nachverfolgen lassen.

Das Decamerone wird spätestens Mitte der 50er-Jahre fertig, seine Vollendung markiert in gewisser Weise auch das Ende von Boccaccios volkssprachigem Erzählwerk in Prosa und Versen, das mit Neapel in Zusammenhang steht. Zwar kehrt Boccaccio immer wieder in die von ihm geliebte Stadt zurück (1355, 1362/63 und 1370/71), aber sein Spätwerk, das unter dem Einfluss seiner Freundschaft mit Petrarca steht, zeigt ein typisch frühhumanistisches Profil: Er ist als Diplomat für Florenz tätig, organisiert und fördert die Bildungseinrichtungen in der Stadt (auf sein Betreiben etwa wird 1360 der erste Griechischlehrstuhl Westeuropas eingerichtet, der Humanismus wird dreisprachig) und festigt als Kommentator und Biograph Dantes und Petrarcas den für die Renaissance typischen Spagat zwischen antiken und zeitgenössischen Dichtern, die gleichermaßen zu Klassikern und Vorbildern erhoben werden. ÜberblickNicht zuletzt schreibt er Überblickswerke und Blütenlesen von teils enzyklopädischem Ausmaß, um das Wissen der Antike weiterzutransportieren, aufzubereiten und auszudeuten, zu ordnen und für die künstlerische Weiterverarbeitung verfügbar zu machen. Seine Nachschlagewerke über berühmte Männer, berühmte Frauen, berühmte Landschaften, berühmte Berge und schließlich auch die Götter der Antike werden für viele Generationen von Literaten und bildenden Künstlern unverzichtbar. Es entsteht eine erste gründliche Orientierung in den Fetzen der Überlieferung, die die Bücherjäger und Philologen der kommenden Jahrzehnte instruiert und motiviert. Giovanni Boccaccio stirbt 13751375.

Ein Beispiel für Boccaccios Spiel mit verschiedenen Sprachregistern ist sein sogenannter Brief in neapolitanischer Sprache. Es ist ein Scherz und ein Experiment, in dem sich auf engstem Raum verschiedenste doppelte Böden öffnen. Die erste Fassung des Textes lässt sich auf 1339 datieren, sehr wahrscheinlich aber hat Boccaccio den Text noch einmal gründlich überarbeitet, vermutlich um 1360. Der Brief ist in nicht weniger als einundvierzig Handschriften des 15. Jahrhunderts überliefert, vor allem in Briefsammlungen oder in Verbindung mit Boccaccios Rime.

Perle ältester ProsaBoccaccios Brief ist der älteste erhaltene Beleg einer Prosa im Neapolitaner Dialekt. Boccaccio war Florentiner und berühmter als sein Brief in neapolitanischer Sprache sind die Momente des Decamerone, in denen er auf das Maul von Florenz geschaut hat, aber der Brief ist ein Beleg dafür, wie sehr Boccaccio von Neapel sprachlich geprägt wurde. »Dialekt« war früher eine härtere Kategorie als heute, deutlich näher an der Fremdsprache; aus der Florentiner Gemeinde in Neapel ist ein Brief von Zanobi da Strada aus dem Jahr 1354 überliefert, in dem konstatiert wird, dass die Mutter ihre in Neapel aufgewachsene Tochter wohl nicht mehr verstehen würde. Auch ist Boccaccios Umgang mit dem Dialekt keine Karikatur: Es ist ein vergnüglicher Text, aber ein seriöses literarisches Experiment.

Der Brief ist an einen sonst nicht näher bekannten Spross der Bankiersfamilie Bardi gerichtet, der offenbar längere Zeit und mit Boccaccio befreundet in Neapel gelebt hat. Erzählt wird die komplikationslose Geburt und rauschende Tauffeier eines Kindes; die Mutter namens Machinti ist eine gemeinsame Bekanntschaft. Erst mit dem letzten Satz wird klar, dass es Francesco de’ Bardi selbst ist, der da in Abwesenheit Vater wurde. Im Gewebe des Textes vermischen sich reale Personen und literarische Überformungen oder Erfindungen: Giovanni Barrili etwa war ein hoher Funktionär und Berater des Königs Robert d’Anjou, Pietro del Canigiano ein Freund Boccaccios, der auch im Decamerone (Novelle VIII,10) einen Auftritt hat; wer aber Scacciuopolo von Sorrent sein soll, daran beißt sich die Forschung die Zähne Wortspieleaus, der Scherz scheint privat. Auffällig sind einige sprechende Namen bei den genannten Damen, etwa Marella Cacciapulice, die »Flohjägerin«, oder Zita Cubitosa, die »Beischläfrige«, oder die Hauptfigur Machinti selbst: Ihr Name ist ein fast genaues Anagramm auf den derben süditalienischen Latinismus minchia, Schwanz (und zwar genau der Francesco de’ Bardis, im letzten Satz des Briefes). Zu dieser verschleierten, aber derben Ebene gehört auch die angerufene »Madonna di Piedigrotta«. Die Marienkapelle im Westen Neapels, unweit des Grabes des Vergil, wurde an der Stelle eines antiken Priapustempels errichtet, der von Neapolitaner Frühchristen zerstört wurde; dass genau dieser Tempel ein Schauplatz in einem der wichtigsten Romane der Antike, dem Satyricon des Petron, ist, kann Boccaccio allerdings noch nicht wissen, der Text wird erst von dem überaus erfolgreichen Bücherjäger Poggio Bracciolini, 1380 geboren, entdeckt.

Zugleich wird im Brief das Spiel einer irritierenden Persönlichkeitsspaltung inszeniert: Einerseits unterzeichnet Boccaccio scherzhaft mit »Gianetto von Paris«, und es gab wirklich Vermutungen, er sei in der Hauptstadt des scholastischen Akademismus geboren worden; Paradoxandererseits spricht er im Brief von einem »Abt Gio’ Boccaccio«. Zwei Seelen in einer Brust? Die eine feiert und vergnügt sich, die andere kann das Schreiben und Studieren nicht lassen, und die beiden geraten deswegen aneinander. Zu dieser Spaltung passt auch, dass der neapolitanische Brief oft zusammen mit einem Vorspann in hohem, ja höchstem Florentinisch überliefert ist, in dem sehr gravitätisch der Gemeinplatz ausgebreitet wird, auch der Gelehrte und Philosoph habe hin und wieder Entspannung und Scherz nötig. Der Abt und der Pariser bleiben als offener Widerspruch stehen – die Lust an solchen Gegensätzen und Paradoxien durchzieht die ganze Renaissance. Eine der beliebtesten Formeln und zugleich treffend für Boccaccios Brief ist serio ludere, ernstes Spielen. Bildung und Kunst erscheinen als Spiel in einer Welt, in der Politik und Krieg synonym sind, aber ein ernstes Spiel, bei dem es um alles geht.

Giovanni Boccaccio

Der neapolitanische Brief an Francesco de’ Bardi

SO lasse ich dich also wissen, mein lieber Bruder, dass Machinti am ersten Tag dieses Dezembers niedergekommen ist und ein schönes Söhnchen bekommen hat; möge Gott ihn beschützen und ihm ein langes Leben mit vielen schönen Jahren geben! Nach allem, was die Hebamme sagt, die ihn aus dem Mutterleib gehoben hat, gleicht er seinem Vater aufs Haar. Das möchte ich, bei Gott, gerne glauben, und auch der Herr Pfarrer, der Machinti kennt, sagt, dass sie wirklich eine ehrenwerte Person ist. Oh wahrhafter Gott! Wenn unsere Frau Königin einen solchen Sohn gehabt hätte, was für ein Fest hätten wir für sie veranstaltet! Wenn du auch da gewesen wärst, dann hättest du vielleicht ebenso viel Vergnügen gehabt wie wir. Als Machinti niedergekommen war, brachten die Gevattern ihr sofort den schönsten Oktopus, den man je gesehen hat, und sie hat ihn vollständig aufgegessen; wenn man ihr nur einen kleinen gebracht hätte, dann hätte sie, mit Verlaub, die Krätze bekommen können. Nach einigen Tagen ließ man das Kind taufen und brachte es zur Hebamme; dabei war der Kleine in Machintis mit grauem Pelz gefütterten Samtüberwurf gewickelt, ich weiß nicht, ob du dich erinnerst, was ich damit meine. Ja’ Squarcione trug die große brennende Kerze voran, die über und über mit Münzen bedeckt war. Als Gevattern waren Jannello Borsaro, Cola Scrignaro, Tuccillo Parcetani, Franzillo Schiocciaprete und sogar Martucello Borcano dabei, und ich weiß nicht, wie viele noch von den feinsten Bürgern Neapels. Sie wurden begleitet von Marella Cacciapulice, Catella Saccoti, Zita Cubitosa, Judettola von der Porta Nuova und allen anderen Mädchen aus unserem Viertel. Man gab dem Kind den Namen Antonello, zu Ehren des heiligen Antonius, der ihn beschützen möge. Wenn du gesehen hättest, wie viele schöne Damen aus Nido, sogar aus Capuana und aus anderen Vierteln der Stadt kamen, um die Wöchnerin zu besuchen, dann hättest du ganz gewiss ebenso gestaunt wie ich. Es müssen, glaube ich, mehr als hundert gewesen sein, mit plissierten Hauben und Hüten, die mit Perlen oder sogar mit Gold verziert waren. Wie schön sie waren, Lob sei dem Gott, der sie erschaffen hat! Unser Viertel schien an diesem Tag ein wahrhaftes Paradies zu sein. Machinti ihrerseits geht es gut und sie freut sich sehr über ihren Sohn; allerdings liegt sie, als Wöchnerin, noch immer im Bett.

Wenn du erlaubst, dann hätte ich dir noch etwas zu sagen. Unter den Gästen war auch der Abt Gio’ Boccaccio, der, wie du weißt, den ganzen Tag und die ganze Nacht nichts anderes tut als schreiben. Ich habe ihn schon mehrmals darauf angesprochen und dabei auch eine rechte Wut auf ihn bekommen. Er aber lacht nur und sagt mir: »Mein Sohn, zieh du nur los und spiel Kreisel mit den anderen Kindern, denn ich hier tue das aus Wissbegierde.« Der Richter Giovanni Barrili meinte zu mir, dass jener schon so viel weiß wie der Teufel und jedenfalls mehr als Scacciuopolo von Sorrent. Ich weiß nicht, warum er das tut, aber um der Madonna di Piedigrotta willen missfällt es mir. Mehr vermag ich nicht zu tun, aber ich kann auch nicht gut damit umgehen. Nun könnte mir jemand sagen: »Was mischst du dich auch in diese Angelegenheit ein?« Ich sage dir, warum: Ich liebe ihn wie ein Vater und ich möchte nicht, dass ihm etwas zustößt, das ihm schadet oder mir schadet. Schreib du ihm das, wenn du magst. Und empfehle ihm dabei bitte auch gleich unseren Gevatter Pietro del Canigiano; wir können ihn jederzeit besuchen.

Ich möchte mich entschuldigen, dass ich dir nicht eher geschrieben habe, weil ich noch in jenes Geschäft verstrickt war, von dem du weißt. Nun, wenn dir dieser Brief ein wenig Freude gemacht hat, schreib es mir. Vielleicht sehen wir dich hier im Viertel noch einmal als verheirateten Mann! Auch Zita Burnacchia ist hier, sie ist ganz traurig über deine Abwesenheit. Pass auf dich auf!

Ich wollte ein wenig mit dir scherzen, das macht dir gewiss nichts aus; hoffentlich geht es auch deinem Schwanz gut, der in Machinti eingedrungen ist und dem wir das schöne Söhnchen verdanken.

Neapel, am Tag des heiligen Agnellus, den 14. Dezember 1339,

Gianetto von Paris

Giovanni Boccaccio: Il Filocolo. Neapel, gedruckt von Sixtus Riessinger, 8.3.1478. (GW04466) Fol. 1 r, Prolog.

Die erste illustrierte Ausgabe des ersten Prosaromans Europas, gedruckt vom ersten Drucker in Neapel. Riessinger, vermutlich aus Sulz am Neckar, kommt 1471 nach Neapel, nachdem er bereits einige Jahre in Rom gedruckt hat.

Robert d’Anjou überlebt seinen Sohn, der 1328 stirbt. Er bestimmt seine Enkelin Giovanna d’Anjou zur Erbin, wogegen sich Widerstand bei der ungarischen Linie der Anjou regt. Giovanna I.Giovanna, siebenjährig, wird deshalb mit dem ungarischen Prinzen András, sechsjährig, verheiratet; als Giovanna 1343 das Erbe Roberts antritt und gegen ihren Willen auch András gekrönt werden soll, wird er ermordet. Sein Bruder Lajos erscheint bald darauf zu einem Rachefeldzug in Süditalien; der Konflikt mit Ungarn wird schließlich gegen Bargeld beigelegt. Überhaupt sind Giovannas ärgste Feinde ihre nächsten Verwandten. Auch die Anjou-Linien von Tarent und von Durazzo setzen ihr zu, erstere Bedrängung wird durch eine Heirat gemildert, Luigi di Taranto, ihr zweiter Ehemann, stirbt 1362; Jakob von Mallorca, ihr dritter Mann, stirbt 1375; ihr vierter Mann, der Söldnerführer Otto, ein Welfe, überlebt sie. In der Zwischenzeit wird Sizilien den Aragonesen abgerungen, dann wieder an sie verloren. Noch weiter destabilisiert sich die Lage, als es 1378 zum abendländischen Schisma kommt und es plötzlich zwei Päpste gibt: Es verdoppelt sich gleichsam die Menge Anjou-Durazzofeilgebotener Legitimität. Carlo d’Anjou-Durazzo lässt entsprechend seinen Anspruch auf Neapel legalisieren, besiegt Giovannas Heer und zieht in Neapel ein. Der von der kinderlosen Giovanna noch geschwind adoptierte Bruder des Königs von Frankreich, Louis I. d’Anjou, kommt zu spät: Sie wird von Carlo d’Anjou-Durazzo 1382 gefangen genommen und erdrosselt. Dass sie sich in diesem Chaos fast vierzig Jahre auf dem Thron hält, macht ihr keiner nach.

Carlo d’Anjou-Durazzo herrscht nicht lang, auch er wird ermordet, 1386, als er nach der ungarischen Krone greift. Sein Sohn Ladislao d’Anjou-Durazzo kommt neunjährig auf den Thron, was sofort, die Geschichte wiederholt sich, von der französischen, adoptierten Anjou-Linie angefeindet wird: erneut ein zehnjähriger Krieg, den Ladislao für sich entscheiden kann. Louis II. d’Anjou zieht sich 1400 in die Provence zurück, und im zweiten großen Zusammenstoß der beiden, der sich um 1411 im Zuge von Ladislaos Expansion nach Mittelitalien ergibt, unterliegt er letztendlich.

Die gerufenen Geister nicht mehr loszuwerden, ist der militärische Dauerbefund der alten Welt, ihr Normalzustand ist Krise und Krieg. Zwar sind die Schlachten des 14. und 15. Jahrhunderts noch nicht die monumentalen Gemetzel der Italienischen Kriege des 16. Jahrhunderts, aber mit der Zeit laugen sie doch aus. Während im Norden, in Florenz etwa, Textilhandel und -veredelung florieren und Banken bereits satte Mengen Geld aus Geld machen, herrscht im Königreich Neapel noch Naturalwirtschaft vor. Der dritte Stand entsteht erst spät. Von den Lehen, in die das Land noch organisiert ist, besitzt der König selbst deutlich weniger als der hohe Adel, die Kasse ist notorisch knapp. Da wiederum die Kriege hauptsächlich mit Söldnern geführt werden, übersetzt sich Geld und sein Fehlen direkt auf das Schlachtfeld. So können auch deutlich kleinere Stadtstaaten, wie etwa Florenz, zu einem Problem für das große Königreich werden.

Giovanna II.Auch Ladislao bleibt kinderlos und nach seinem frühen Tod 1414 kommt seine Schwester als Giovanna II. d’Anjou-Durazzo auf den Thron von Neapel. Sie hadert im Inneren mit den Baronen, will Einfluss in Rom gewinnen und erbt die Konkurrenz zu einem weiteren Louis d’Anjou, dem dritten seines Namens. Alle Motive werden noch einmal enggeführt: Papst Martin V. spricht Louis III. d’Anjou die Krone Neapels zu, bei der Durchsetzung soll auch ein einstiger Vertrauter Giovannas, der Söldnerführer Muzio Attendolo Sforza, helfen. Um sich gegen dieses Bündnis zur Wehr zu setzen, adoptiert Giovanna Alfonso di Trastámara, den König von Aragón, genannt il Magnanimo. Alfonso Alfonso d’Aragonageht 1423 als Sieger aus diesem Krieg hervor und lässt bei dieser Gelegenheit auch Giovanni Caracciolo, den Favoriten der Königin Giovanna, festsetzen. Daraufhin widerruft sie seine Adoption, adoptiert stattdessen Louis III. und ruft Sforza zur Hilfe. Alles wieder rückwärts, Alfonso muss sich zurückziehen, gibt aber seinen Anspruch auf Neapel nicht im Geringsten auf. Es ist erstaunlich, dass der europäische Adel es über Jahrhunderte geschafft hat, sich als Stabilitätsgarant zu verkaufen.

Louis III. stirbt im November 1434, Giovanna II. d’Anjou-Durazzo im Februar 1435, beider Erbe ist René d’Anjou, zu dieser Zeit Gefangener des Herzogs von Burgund. Alfonso ergreift die Gelegenheit zum nächsten Versuch, wird aber von Mailand und Genua, die auf der Seite Renés und seiner Gattin Isabella stehen, zur See geschlagen und gefangen genommen; er kommt bald und, ohne Lösegeld zu zahlen, wieder frei. René seinerseits hat ein durchaus saftiges Lösegeld aufzubringen, erst 1438 kann er seiner Gattin nach Neapel folgen. Nicht zuletzt dieser Geldmangel ist ein Grund dafür, dass René dem Druck Alfonsos weichen muss, 1442der 1442 Neapel erobert. 1443 vereint Alfonso wieder beide Sizilien unter seiner Herrschaft, wird vom Papst bestätigt und feiert einen Triumphzug durch die Stadt. Sobald der nächste Schritt im Erbgang ansteht, wird es sich René d’Anjou natürlich nicht nehmen lassen, erneut eine Armee zu schicken.

Dass Alfonso per Triumphzug in Neapel einzieht und die ganze Inszenierung in antikischem, imperialem Kostüm gehalten ist, ist kein Zufall. Für den goldenen Triumphwagen wird eigens ein Stück Stadtmauer niedergelegt und als Erinnerung an diesen Moment wird in den Triumphkommenden Jahren am Eingang des Castel Nuovo, der wehrhaften Residenzburg am Hafen, ein Triumphbogen aus weißem Marmor angebracht. Das Bogenmotiv und das zentrale Relief Francesco Lauranas ahmen sorgfältig römische Vorbilder nach, nur die Proportion des Bogens ist »untypisch« und der Einfügung in den