Wenn lange Schatten dich begleiten - Viola Maybach - E-Book

Wenn lange Schatten dich begleiten E-Book

Viola Maybach

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Beschreibung

Diese Serie von der Erfolgsschriftstellerin Viola Maybach knüpft an die bereits erschienenen Dr. Laurin-Romane von Patricia Vandenberg an. Die Familiengeschichte des Klinikchefs Dr. Leon Laurin tritt in eine neue Phase, die in die heutige moderne Lebenswelt passt. Da die vier Kinder der Familie Laurin langsam heranwachsen, möchte Dr. Laurins Frau, Dr. Antonia Laurin, endlich wieder als Kinderärztin arbeiten. Somit wird Antonia in der Privatklinik ihres Mannes eine Praxis als Kinderärztin aufmachen. Damit ist der Boden bereitet für eine große, faszinierende Arztserie, die das Spektrum um den charismatischen Dr. Laurin entscheidend erweitert. »Jonathan macht eindeutig das beste Eis der Stadt!«, schwärmte Carolin Suder. »Schrecklich, dass der Sommer vorbei ist, bald gibt's kein Eis mehr.« Antonia Laurin und ihre Kollegin Maxi Böhler lachten über die Schwärmerei der jungen Studentin, die sich als überaus tüchtige Praxisorganisatorin erwiesen hatte. Sie hatten keine erfahrene Sprechstundenhilfe finden können und waren mehr als glücklich gewesen, als Carolin eingewilligt hatte, bei ihnen zu arbeiten, bis sie mit ihrem Studium fertig war. Derzeit schrieb sie an ihrer Masterarbeit. »Ja, Herr Krämer macht wirklich sehr gutes Eis«, bestätigte Antonia. »Man merkt, dass er das in Italien gelernt hat. Ich bin gespannt auf seinen Kuchen. Im Winter wandelt sich sein Eissalon ja zum Café. Wenn er so gut backt, wie er Eis macht, muss man sich um sein Geschäft sicher keine Sorgen machen.« »Doch, muss man!«, behauptete Carolin. »Haben Sie das denn noch nicht gehört? Er hat doch Konkurrenz bekommen, zwei Straßen weiter – ein Typ, der es im Prinzip so machen will wie er: im Sommer Eissalon, im Winter Café, nur viel billiger. Bei Jonathan ist schon der Umsatz zurückgegangen, weil die Leute einfach blöd sind: Die können ein gutes Eis nicht von einem schlechten unterscheiden.« »Das hatte ich tatsächlich noch nicht gehört«, sagte Antonia. »Das tut mir leid für Herrn Krämer, ich fand, dass sein Eissalon eine richtige Bereicherung für die Gegend hier ist.«

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Leseprobe: Gefühle preiswert abzugeben

Sehr verehrte Leserin, sehr geehrter Leser! Stellen Sie sich vor: Ihnen begegnet sie, die Liebe auf den ersten Blick. Da haben Sie den Salat! Ohne Ankündigung betreten Sie sein oder ihr Haus. Sie merken – hoppla! Da wohnt ja noch jemand? Eine Frau? Ist der Herr gebunden? Und wenn ja: Warum hat er nichts gesagt? Warum gibt er vor, auch in Sie verliebt zu sein? Dabei denke ich, dass er doch wirklich einen guten Eindruck gemacht hat, der Kilian, oder? Seriös, wenigstens. Was ist da los?

Haben Sie auch schon mal davon geträumt – was wäre, wenn … ja, wenn ausgerechnet Sie den Jackpot abräumten? 7,5 Millionen! Was könnte man damit alles machen? Also, ich hätte da die eine oder andere Idee, das können Sie glauben! Was ich überraschend finde, ist, dass Ludwig nur den geringsten Teil der Kohle für sich ausgeben will. Er verteilt ja schon kräftig. Aber wer weiß? Vielleicht macht ihn das glücklicher, als sich selbst ›mein Haus, mein Boot, mein Pferd‹ zu leisten. Ich könnte mir vorstellen, dass Geld so vielleicht doch glücklich machen kann. Du kannst nichts mitnehmen, sagte meine Oma immer. Und ›Das letzte Hemd hat keine Taschen‹. Recht hatte sie.

Am wichtigsten ist allerdings die Frage: Was ist den nun mit unserem Chefarzt? Ist er inzwischen doch wieder gesund geworden? Oder muss er den Beruf an den Nagel hängen? Haben Sie nachgesehen? Steht irgendwas von ›letzte Folge› auf dem Einband? Nicht? Aha! Dann ist es wohl wie bei Ihnen und bei mir. Wie im wahren Leben, eben. Es geht immer irgendwie weiter. Wie meinen Sie? Ja, Sie haben recht. Auch ein Spruch meiner Oma!

So, wo sind wir gerade? Ein schönes Haus, bayrischer Stil. Wir befinden uns mit Frau Fürstenrieder und Herrn Kreuzeder auf dem Flur im Eingangsbereich. Erinnern wir uns: Oben ging gerade das Licht an, und eine Frauenstimme rief nach Kilian …

Enttäuschungen

Der Blick, den Frau Fürstenrieder Kilian zuwarf, kombinierte Entsetzen und Enttäuschung. Sie verharrte in Erstarrung wie weiland Lots Weib, als könnte Sie durch völlige Bewegungslosigkeit die Katastrophe, den Untergang ihrer Träume und Hoffnungen, verhindern.

Wortlos öffnete Kilian eine Tür und griff hinein, um den Lichtschalter zu drücken.

Der neue Dr. Laurin – 8 –

Wenn lange Schatten dich begleiten

Annalen macht ein böses Trauma zu schaffen

Viola Maybach

»Jonathan macht eindeutig das beste Eis der Stadt!«, schwärmte Carolin Suder. »Schrecklich, dass der Sommer vorbei ist, bald gibt’s kein Eis mehr.«

Antonia Laurin und ihre Kollegin Maxi Böhler lachten über die Schwärmerei der jungen Studentin, die sich als überaus tüchtige Praxisorganisatorin erwiesen hatte. Sie hatten keine erfahrene Sprechstundenhilfe finden können und waren mehr als glücklich gewesen, als Carolin eingewilligt hatte, bei ihnen zu arbeiten, bis sie mit ihrem Studium fertig war. Derzeit schrieb sie an ihrer Masterarbeit.

»Ja, Herr Krämer macht wirklich sehr gutes Eis«, bestätigte Antonia. »Man merkt, dass er das in Italien gelernt hat. Ich bin gespannt auf seinen Kuchen. Im Winter wandelt sich sein Eissalon ja zum Café. Wenn er so gut backt, wie er Eis macht, muss man sich um sein Geschäft sicher keine Sorgen machen.«

»Doch, muss man!«, behauptete Carolin. »Haben Sie das denn noch nicht gehört? Er hat doch Konkurrenz bekommen, zwei Straßen weiter – ein Typ, der es im Prinzip so machen will wie er: im Sommer Eissalon, im Winter Café, nur viel billiger. Bei Jonathan ist schon der Umsatz zurückgegangen, weil die Leute einfach blöd sind: Die können ein gutes Eis nicht von einem schlechten unterscheiden.«

»Das hatte ich tatsächlich noch nicht gehört«, sagte Antonia. »Das tut mir leid für Herrn Krämer, ich fand, dass sein Eissalon eine richtige Bereicherung für die Gegend hier ist.«

»Ich hoffe, der andere macht bald Pleite«, erklärte Carolin voller Inbrunst.

»Aber vielleicht macht er gutes Eis, obwohl es günstig ist«, gab Maxi zu bedenken.

»Ich fälle doch kein Urteil, ohne das vorher zu überprüfen, Frau Dr. Böhler«, sagte Carolin aufrichtig empört. »Sie sollten mich besser kennen. Ich habe drei Eissorten bei denen probiert – Geschmacksverstärker und künstliche Aromen jede Menge. Ehrlich, das hat mit Jonathans Eis nichts zu tun.«

Antonia konnte nicht widerstehen, ihre Sprechstundenhilfe ein wenig zu necken. »Sind Sie vielleicht verliebt in Herrn Krämer, Carolin?«

Carolin schaute sie überrascht an. »Ich? Keine Spur!«, behauptete sie. »Er ist nett und sieht auch gut aus, aber er ist nicht mein Typ. Außerdem mache ich mich doch nicht unglücklich, indem ich mich in einen Mann verliebe, der sein Herz längst verloren hat.«

»Was Sie alles wissen! Hat er Ihnen das erzählt?«

»Ich habe Augen im Kopf, das ist alles.« Carolin grinste vergnügt. »Aber wenn Sie einmal seinen ­Gesichtsausdruck gesehen hätten, wenn SIE zur Tür hereinkommt oder auf der Straße vorbeigeht, wüssten Sie auch, in wen er bis über beide Ohren verknallt ist.«

Antonia warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Die Pause ist vorüber, meine Damen. Bereit für die Nachmittagssprechstunde?«

»Na ja, ich hätte gut noch ein Eis essen können«, gestand Maxi, erhob sich jedoch ebenfalls. »Wie seht denn der Terminkalender für heute Nachmittag aus, Carolin?«

»Voll«, lautete die knappe Antwort, und wie ein Echo öffnete sich gleich darauf die Tür, und ein bleich aussehender junger Vater kam mit seinem zweijährigen Sohn herein, der ein hochrotes Gesicht hatte.

»Er hat etwas verschluckt und bekommt keine Luft mehr!«, rief der junge Mann.

Maxi und Antonia warfen sich einen Blick zu und zögerten nicht lange. Sie nahmen dem Mann das Kind ab, Maxi ergriff es bei den Beinen, ließ den Kopf nach unten hängen, während Antonia dem Kleinen kräftig auf den Rücken klopfte. Der Junge begann zu husten und zu würgen – und dann spuckte er in hohem Bogen eine kleine Plastikfigur aus.

Im nächsten Moment drehten Antonia und Maxi ihn auch schon wieder um und übergaben ihn seinem Vater, der noch gar nicht glauben konnte, dass die Gefahr bereits gebannt war. Er hatte Tränen in den Augen, während der Kleine erschöpft Luft in seine Lungen pumpte und sich mit geschlossenen Augen an seinen Vater schmiegte.

»Ich … ich wusste nicht, was ich tun sollte«, stammelte der junge Mann.

»Sie sind hergekommen, das war richtig. Für zukünftige ähnliche Fälle können Sie versuchen, was wir eben getan haben, aber das klappt nicht immer. Dann müssen sie ihn dazu bringen, den Mund zu öffnen, damit Sie ihm in den Rachen greifen können. Das ist allerdings ungleich schwieriger«, erklärte Antonia.

»Ich kann ihn wirklich keine Sekunde mehr aus den Augen lassen, das weiß ich eigentlich, aber dann hat das Telefon geklingelt, gleichzeitig war jemand an der Tür, und er saß ganz ruhig da, so dass ich dachte, so schnell passiert bestimmt nichts. Jetzt weiß ich, dass das ein Fehler war.«

Sie entließen ihn überglücklich und erleichtert. In der Zwischenzeit waren die ersten kleinen Patientinnen und Patienten mit ihren Müttern und Vätern eingetroffen, so dass sich Antonia und Maxi zügig an die Arbeit machten.

Antonia war froh darüber, dass sie so viel zu tun hatte. So blieb ihr keine Zeit zum Grübeln, denn wann immer sie auch nur eine Atempause hatte, sah sie wieder das Gesicht ihres Ältesten, Konstantin, vor sich, als er mit tonloser Stimme gesagt hatte: »Ich will nicht mehr Medizin studieren. Ich will Schauspieler werden.«

Sie spürte den Schock, den ihr diese Worte versetzt hatten, noch immer, und sie wusste, dass Leon ähnlich empfand. Immerhin waren sie so klug gewesen, erst einmal gar nichts zu sagen, jedenfalls keine Bewertung abzugeben. Konstantins Geschwister hatten ähnlich zurückhaltend reagiert, nur Kaja nicht, seine Zwillingsschwester, die ihnen in den vergangenen Monaten oft genug Sorgen bereitet hatte. Kaja war zutiefst verletzt gewesen, dass Konstantin sein Geheimnis auch vor ihr gehütet hatte. Entsprechend war ihre Reaktion ausgefallen.

Sie wusste noch immer nicht, wie sie Konstantins Eröffnung einschätzen sollte. Mussten sie sie ernstnehmen oder waren seine Worte der Laune eines Sechzehnjährigen entsprungen, dessen Pläne sich innerhalb der nächsten Monate schon wieder ändern konnten?

Letzteres hätte sie gern geglaubt, aber ihr Gefühl sagte ihr etwas anderes: dass es Konstantin nämlich ernst war und dass er seine Meinung nicht ändern würde. Er war in den vergangenen Monaten still und in sich gekehrt gewesen, und jetzt endlich wusste sie, warum. Er hatte sich seine Entscheidung also nicht leicht gemacht, sondern hatte lange mit ihr gerungen. Was musste es ihn gekostet haben, sie ihnen mitzuteilen! Kaja und er hatten schon als Kinder gewusst, dass sie Ärzte werden wollten wie ihre Eltern. Ihr Weg war niemals auch nur Gegenstand einer Diskussion gewesen: Sie würden Medizin studieren und anschließend gemeinsam die Leitung der Kayser-Klinik übernehmen, der Klinik, die ihr Vater einst gegründet hatte und der Leon jetzt vorstand.

Bei dem Gedanken an ihren Vater zog sich etwas in ihrem Inneren zusammen. Sie mieden einander, seit es mehrere heftige Streits gegeben hatte: zuerst um Antonias Entscheidung, mit Mitte vierzig wieder in den Beruf einzusteigen, was Prof. Dr. Joachim Kayser unverantwortlich fand angesichts ihrer vier Kinder, die sie in seinen Augen ›im Stich ließ‹; danach über Antonias und Leons Entscheidung, statt einer erfahrenen Haushälterin einen jungen Mann von zweiundzwanzig Jahren ohne entsprechende Ausbildung einzustellen – ihr Sohn Kevin hatte Simon Daume den Titel ›Haushaltsmanager‹ verliehen, was der Wahrheit ziemlich nahe kam. Dass der Haushalt seitdem nahezu reibungslos lief, interessierte ihren Vater nicht, er hatte sein Urteil gefällt und würde davon nicht abrücken. Wenn er jetzt auch noch hörte, dass Konstantin nicht länger daran interessiert war, in die Fußstapfen seines Großvaters und seines Vaters zu treten, war der nächste Streit schon vorprogrammiert. Er würde auch dieses Problem darauf zurückführen, dass sie als Mutter nicht mehr rund um die Uhr für ihre Familie da war. Aber solange sie nicht miteinander redeten, würde er davon natürlich auch nichts erfahren.

»Kaffee?«, fragte Carolin von der Tür her. »Sie sehen müde aus, Frau Dr. Laurin.«

Eher deprimiert als müde, dachte Antonia, laut sagte sie aber: »Kaffee wäre wunderbar, Carolin, vielen Dank.«

»Der Terminplan war sowieso schon voll, aber nun sind noch zwei zusätzliche Patienten zu versorgen«, erwiderte Carolin, als sie ihr den Kaffee brachte. »Ein kleiner Unfall auf dem Spielplatz und ein Kind mit Bauchschmerzen, das Sie vielleicht vorziehen sollten. Die Kleine sieht krank aus.«

Es erwies sich wieder einmal, dass Carolin ein gutes Auge für Probleme hatte: Antonia überwies das Kind umgehend in die Kayser-Klinik, mit Verdacht auf fortgeschrittene Blinddarmentzündung.

Bis zum Ende der Sprechstunde gab es nicht einmal mehr eine kurze Atempause. Unter anderen Umständen hätte Antonia das sicherlich als anstrengend empfunden, aber so, wie die Dinge nun einmal lagen, war sie nur dankbar für die Ablenkung von den Gedanken, die sie quälten.

*

Als Jonathan Krämer die Kasse für den Tag abrechnete, fluchte er leise. Deutlich weniger als an anderen warmen Tagen, und dies war ein warmer Tag gewesen – ein warmer Tag im deutschen Herbst.

Er hatte einen sensationell guten Start gehabt mit seinem neuen Eissalon, der warme Sommer war ihm eine willkommene Hilfe gewesen, die er auch dringend gebraucht hatte. Natürlich war er verschuldet, er hatte ordentlich investieren müssen in sein kleines Unternehmen, aber in den ersten Monaten waren seine vorsichtigen Erwartungen deutlich übertroffen worden. Wenn es so weiterging, hatte er noch vor vier Wochen gedacht, würde er seine Schulden deutlich schneller tilgen können als geplant. Aber es war nicht so weitergegangen.

Nahezu in Sichtweite hatte ein Konkurrenzunternehmen eröffnet, mit dem nicht sehr originellen Namen ›Bella Italia‹, dabei hatte das Eis, das dort verkauft wurde, mit italienischem Eis überhaupt nichts zu tun. Natürlich hatte er es probiert, er hatte ein paar Spione ­hingeschickt, die mehrere Sorten gekauft hatten. Alle waren viel zu süß für seinen Geschmack und schmeckten künstlich.

Er hätte sich geschämt, ein solches Eis anzubieten, aber viele Leute schienen den Unterschied nicht zu schmecken, und in solchen Fällen zählte dann natürlich nur der Preis, und der war im ›Bella Italia‹ deutlich günstiger als bei ihm, also hatte er Kundinnen und Kunden an den Konkurrenten verloren. Silvio Fratelli.

Der Mann hatte einen italienischen Namen, aber sonst hatte er in Jonathans Augen nichts Italienisches an sich. Jonathan liebte Italien: das Essen natürlich, die Kunst, die Mode, die Leichtigkeit des Seins. Er fuhr jedes Jahr mindestens zweimal hin, einmal in den Norden, einmal in den Süden. Und immer versuchte er, etwas zu lernen, das ihm in seinem Unternehmen von Nutzen sein konnte. Silvio Fratelli jedenfalls zog sich in seinen Augen schlecht an, er verstand nichts von gutem Eis, und die Bilder, die er in seinen Räumen aufgehängt hatte, ließen darauf schließen, dass er auch von Kunst nichts verstand. Außerdem hatte er keinen Charme, überhaupt keinen.

Jonathan war gespannt, wie es im Winter laufen würde, denn Fratelli hatte ja auch noch sein Konzept übernommen: Im Winter würde aus seinem Eissalon ein Café mit ›herrlichen selbst gebackenen Kuchen und Torten‹. Wenn die so schmeckten wie sein Eis …

Aber wahrscheinlich bot er das Zeug dann auch billiger an und nahm ihm weitere Kundschaft weg. Noch wusste er nicht, wie er sich wehren sollte, aber der Blick in seine Kasse zeigte ihm, dass er sich etwas einfallen lassen musste – und das möglichst schnell.

Er räumte die Tische, die an schönen Tagen wie diesem noch draußen standen, ab und schickte sich eben an, die Tür seines Eissalons zu schließen, als er Annalena Niemöller mit ihrem kleinen Sohn eilig näherkommen sah. Sie winkte, er winkte zurück, sein Herzschlag hatte sich bereits beschleunigt.

Sie war eine alleinerziehende Mutter, und er hatte schon bei ihrem ersten Besuch hier im Eissalon sein Herz an sie verloren, als sie ihn angelächelt und gesagt hatte: »Ich höre jetzt seit Tagen, dass Ihr Eis unübertroffen ist, jetzt muss ich es endlich selbst ausprobieren.«

»Ich hoffe, du schließt dich dem Urteil, das du gehört hast, an«, hatte er erwidert. Er duzte alle, die jünger als siebzig waren, und sie duzten ihn. Zuerst hatte Annalena ihn ein wenig verdutzt angesehen, ihn aber dann auch geduzt. Bei ihm ging es familiär zu, er mochte das so, und seine Kundinnen und Kunden mochten es offenbar auch.

Seit diesem Tag kam sie regelmäßig, oft allein, manchmal mit Anton. Sie war sehr hübsch, wirkte lebendig und so, als stünde sie mit beiden Beinen auf der Erde. Manchmal, wenn sonst wenig los war, waren sie miteinander ins Gespräch gekommen und hatten festgestellt, dass sie in vielem einer Meinung waren.