Wenn nur dein Lächeln bleibt - Hera Lind - E-Book
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Wenn nur dein Lächeln bleibt E-Book

Hera Lind

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Beschreibung

Eine Mutter kämpft für ein menschenwürdiges Leben ihrer Tochter

Als die Diplom-Betriebswirtin Angela Hädecke Ende der Siebzigerjahre mit fünfundzwanzig ein Kind erwartet, sind sie und ihr Mann Bernd überglücklich. Doch sie spürt sehr bald, dass die Schwangerschaft nicht normal verläuft. Unter entsetzlichen Schmerzen bringt Angela die kleine Anja als lebloses Bündel zur Welt. Die Diagnose ist erschütternd: Durch Sauerstoffmangel ist Anja spastisch gelähmt, sie wird geistig und körperlich behindert bleiben. Angela nimmt ihr Schicksal an und kämpft für ein menschenwürdiges Leben ihrer Tochter, die im Rollstuhl sitzt, gewickelt werden muss und nicht sprechen kann. Immer wieder muss sie erfahren, dass Ärzte schwerstbehinderte Kinder vernachlässigen und jede Förderung purer Luxus ist. Doch die Liebe zu Anja schweißt Angela und ihren Mann zusammen. Sie wollen nur eins: Ihre Tochter soll leben.

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Seitenzahl: 314

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Hera Lind im Gespräch

Angela Hädicke bringt eine behinderte Tochter zur Welt und liebt sie von der ersten Sekunde an. Warum haben Sie gerade dieses besondere Familienschicksal ausgewählt?

Als Mutter von vier gesunden Kindern bin ich demütig und dankbar, nachdem ich die Geschichte von Frau Hädicke erfahren habe. Jede Mutter sollte dieses Buch lesen, das wirkt Wunder gegen jede noch so winzige Verstimmung in der Familie und jeder Konflikt scheint lächerlich und ist vor allem lösbar! Ich ziehe meinen Hut vor allen Müttern von behinderten Kindern – ihre Kraft und Ausdauer hätte ich nicht. Man flippt ja schon aus, wenn ein nasses Handtuch am Boden liegt, oder Schokolade auf dem weißen Sofa klebt …

Frau Hädicke und ihr Mann leben bis zum Mauerfall in der ehemaligen DDR, wo sie nicht viel Unterstützung bekommen. Die Diskriminierung von Behinderten ist doch aber sicher überall zu finden, oder?

Ich denke, die Brisanz dieser Geschichte wird sicher dadurch immens verstärkt, dass Angela und Bernd Hädicke in der damaligen DDR lebten und als Nicht-Parteimitglieder definitiv schon benachteiligt wurden, als die kleine Anja zur Welt kam. Die Schikanen und Demütigungen des damaligen politischen Systems sind für uns heute kaum mehr vorstellbar. Ein Ersatzteil für einen Rollstuhl: schier unmöglich! Dennoch, selbst im toleranten, aufgeklärten und sozialen Deutschland von heute werden Behinderte und ihre Angehörigen nach wie vor benachteiligt. Nach der Lektüre dieses Buches werden wir einem behinderten Kind viel liebevoller und seinen Eltern viel respektvoller begegnen – hoffentlich!

Warum, glauben Sie, fällt es uns oft so schwer glücklich zu sein?

Wie heißt es so schön: »Nichts ist schlimmer zu ertragen, als eine Reihe von schönen Tagen.« – Die Tatsachenromane zeigen uns, wie gut es uns doch eigentlich geht. Und wie stark, hoffnungsvoll und positiv wir doch oft schon in weniger schwierigen Situationen sein könnten. Unsere Heldinnen und Helden des Alltags machen es uns vor.

Hera Lind

Wenn nur dein Lächeln bleibt

Roman nach der wahren Geschichte einer Mutter, die niemals aufgab

Vorbemerkung

Dieses Buch erhebt keinen Faktizitätsanspruch. Es basiert zwar zum Teil auf wahren Begebenheiten und behandelt typisierte Personen, die es so oder so ähnlich gegeben haben könnte. Diese Urbilder wurden jedoch durch künstlerische Gestaltung des Stoffs und dessen Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus dieses Kunstwerks gegenüber den im Text beschriebenen Abbildern so stark verselbstständigt, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der Figuren objektiviert ist.

Für alle Leser erkennbar erschöpft sich der Text nicht in einer reportagehaften Schilderung von realen Personen und Ereignissen, sondern besitzt eine zweite Ebene hinter der realistischen Ebene. Es findet ein Spiel der Autorin mit der Verschränkung von Wahrheit und Fiktion statt. Sie lässt bewusst Grenzen verschwimmen.

Originalausgabe 12/2011

Copyright © 2011 by Diana Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung | t.mutzenbach design, München unter Verwendung eines Fotos von © Carlos Goldin/Corbis

Satz | Leingärtner, Nabburg

ePub-ISBN: 978-3-641-06515-7

www.diana-verlag.de

Für Anja, Sabine und Elias

1

»Nebenan ist kein Platz mehr. Sie müssen schon mit diesem Zimmer hier vorliebnehmen. Meine Damen, hier kommt noch jemand, also zusammenrücken, wir stellen eine weitere Liege rein.«

Die Schwester in dieser Geburtsklinik in Halle an der Saale hatte einen dermaßen militärischen Ton drauf, dass ich unwillkürlich die Hacken zusammenschlug.

Die zwei Hochschwangeren, die in dieser winzigen Kemenate bereits der Geburt harrten, starrten mich feindselig an. Es war ein dunkles, grün gekacheltes Kämmerchen mit einem vergitterten Fenster, hinter dem ein dürrer Baum mit kahlen Ästen vor sich hin zitterte.

»Nun machen Sie schon, rutschen Sie gefälligst zusammen, wir sind schließlich nicht zum Vergnügen hier!«, schnarrte die Schwester.

Widerwillig kletterte die eine von ihrer Pritsche herunter. Ich half ihr, das sperrige Ding an die Heizung zu schieben.

»Na, du hast uns gerade noch gefehlt!«

»Tut mir echt leid, aber das Kind ist schon vierzehn Tage überfällig, und da wollen sie mich heute hierbehalten.«

»Zwei Wochen drüber? Und? Tut sich nüscht?« Die andere Schwangere saß behäbig wie ein Buddha auf ihrer schmalen Liege und ließ die geschwollenen Beine baumeln. Es roch ziemlich unerträglich in diesem winzigen Verlies. Nach Mäusepipi oder Schlimmerem.

»Nein, aber morgen hängen sie mich an den Wehentropf.«

»Na denn viel Spaß!«

»Ich heiße Angela.« So freundlich wie möglich reichte ich den beiden feindselig gestimmten Walrössern die Hand. Wir waren einander jetzt auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Also, warum nicht gleich friedlich und freundlich sein. So hatte ich es immer gehalten, im Studium und auch im Beruf. Rumgezicke bringt einen schließlich auch nicht weiter. Wir wurden in unserer Deutschen Demokratischen Republik schon genug drangsaliert.

»Elke.«

»Jutta.«

Beide schienen es mir nach wie vor übel zu nehmen, dass ich diese schäbige Krankenhauszelle mit ihnen teilte. Vielleicht mochten sie auch meine blonden Locken nicht. Von einer guten Figur konnte man in Anbetracht meines hochschwangeren Körpers derzeit nicht sprechen. Aber dass ich früher mal Leistungssportlerin gewesen war, sah man mir durchaus noch an. Als ich den Inhalt meines ordentlich gepackten Klinikköfferchens in das mir zugeteilte Fach des einzigen Spindes räumte, beäugten mich die dauergewellten Landpomeranzen kritisch.

»Ah, die Umstandshose ham wir auch«, ätzte schließlich Jutta, die mit der dunkelbraunen Mähne. »Alles Plaste und Elaste, wa?«

»Feinstes Elastan, fadenziehend bis zum allerletzten Tag! Haste die jetzt auch ohne Unterbrechung angehabt?«, schaltete sich Elke ein.

»Na klar«, sagte ich grinsend. »Was anderes ist modisch ja nicht im Sortiment.«

»Im Westen haben sie so schicke Umstandsmode!«, meinte Elke seufzend. »Meine Cousine hat mir total süße Klamotten rübergeschickt! Aber das Paket ist beschlagnahmt worden. Typisch!«

»Vielleicht sind wir sie morgen schon los.«

»Das will ich doch hoffen! Dass sich eine Schwangerschaft dermaßen in die Länge zieht … Darf ich meine Zahnbürste hier an den Rand des Waschbeckens legen?«

»Von mir aus. Das Klo ist übrigens auf dem Gang. Das dürfen wir uns mit zwanzig anderen Schwangeren teilen.«

»Ach du liebe Scheiße!«

»Ja, und das kannste wörtlich nehmen: Die Wöchnerinnen gehen nämlich auch noch drauf. Mit ihren Dammrissen und Kamillespülungen. Na, prost Mahlzeit!«

»Jutta! Also echt!«

»Stimmt doch! Da kann unsere hübsche Neue ihr feines Näschen rümpfen, so viel sie will!«

»Wir sind hier eben nicht im Westen!« Elke versuchte die Beine anzuziehen, weil ich mein leeres Köfferchen unter ihre Pritsche schob. »Da soll es ja sogar verschiedene Klassen geben! Erste Klasse kriegt sogar ’n Einzelzimmer! MITBAD! Hat meine Cousine gesagt.«

»Ach, den Preis zahlen wir doch alle gern für die Aussicht, schon bald unser Baby in den Armen halten zu dürfen!« Ich lächelte tapfer in den kaputten kleinen Spiegel, der über dem maroden Waschbecken hing.

»Dein Erstes, wa?«

»Ja! Ein absolutes Wunschkind! Und bei euch?«

»Also ich krieg das dritte und Elke das zweite.«

»Oh. Dann habt ihr also schon Erfahrung …?«

»Ja, aber davon erzählen wir dir lieber nichts, nur so viel: Es geht alles vorüber. Denk einfach an wat Schönet, wenn du glaubst, du musst eine Melone scheißen.«

»Also Jutta, wirklich!«

»Jetzt erzähl mal, Angela. Hast du einen Mann?«

»Ja!«, schwärmte ich. »Er heißt Bernd und arbeitet in einem großen Chemieunternehmen.«

»Nicht, dass dein Kind chemisch verseucht ist!«, spottete der Trampel Jutta.

»Nein, Blödsinn, mach ihr keine Angst! Und? Habt ihr eine Wohnung?«

»Ja! Sogar eine ganz schicke!« Ich erzählte den beiden Mitwöchnerinnen begeistert von der Dreizimmerwohnung, die der Staat uns werdenden Eltern zur Verfügung gestellt hatte. Plattenbau. Mit eigenem Bad! Nur für uns allein! Sogar einen kleinen Balkon hatte unsere Neubauwohnung. Wenn das kein traumhafter Luxus war! Vorher hatten wir als kinderloses Ehepaar bei meiner Mutter gewohnt. Zu zweit, in einem neun Quadratmeter großen Zimmer, das wir als Wohn-, Schlaf- und Arbeitszimmer benutzt hatten. Ohne Bad. Das Klo lag auf halber Treppe und wurde von den anderen Mietern mitbenutzt, auch Kohlen durften wir reichlich schleppen. Unser Baby brachte uns einfach nur Glück!

»Stellt euch vor, Mädels, der Tag, an dem ich erfahren habe, dass ich schwanger bin, war ausgerechnet Bernds einundzwanzigster Geburtstag!«

»Oh wie süüüüß! Dann hast du aber einen ganz jungen Schnuckel!«

»Na ja, ich bin vier Jahre älter …«

»Sieht man dir aber nicht an.«

»Ich habe ihm ein paar Babysöckchen und einen winzigen Strampler auf den Gabentisch gelegt, und da hat er gewusst, dass er Vater wird! Er hat sich dermaßen gefreut, dass er mich durchs ganze Zimmer gewirbelt hat, und dabei ging unsere einzige Blumenvase zu Bruch … Ich habe Rotz und Wasser geheult. Bernd ist meine ganz große Liebe«, schwärmte ich weiter, um mich von der Trostlosigkeit dieses Krankenhauses abzulenken. »Er hat mich bis zum Eingang gebracht. Leider dürfen werdende Väter ja nicht mit rein.«

»Nee, die Kerle können wir hier echt nicht gebrauchen.« Jutta zog die Nase hoch. »Aber am späten Nachmittag ist hier …« – sie malte Gänsefüßchen in die Luft und hob ihre Stimme an wie eine Märchentante – »… Vatistunde!«

»Ja«, freute sich Elke. »Wer weiß, ob du deinem Bernd schon morgen euer Kind in die Arme legen kannst.«

»Das wäre schön … so unvorstellbar schön!« Mir entfuhr ein sehnsüchtiger Seufzer. Ob es ein Junge werden würde? Das würde Bernd so stolz machen! Oder ein Mädchen? Ganz heimlich wünschte ich mir eine kleine Prinzessin! Wir würden sie Anja nennen. Anja klang so sanft, so lieb, so … engelhaft!

Die Tür flog auf, und eine magere Schwester in einem ausgeblichenen Kittel streckte ihren wasserstoffblonden Zottelkopf herein:

»Ist hier die Risikoschwangere?«, bellte sie.

»Ähm, ja … das bin wohl ich.«

Die anderen beiden Pottwale blieben mucksmäuschenstill. Nur das Quietschen der rostigen Bettgestelle war zu hören, als sie sich auf die Seite drehten und taten, als ginge sie das gar nichts an.

Risikoschwangere. Kein schönes Wort.

Die Schwester schaute durch ihr billiges Brillengestell auf ihr Klemmbrett. »Steißlage, Querlage, ja was denn nun?«

»Zuerst war es eine Steißlage, dann Querlage«, gab ich gehorsam Auskunft. »Morgen soll entschieden werden, ob ein Kaiserschnitt gemacht wird. Ich glaube, das wäre das Beste, denn ich bin schließlich schon zwei Wochen über den Termin …«

»Na, das haben SIE ja wohl nicht zu bestimmen«, knurrte die Schwester. »Wenn das hier jede machen wollte! Sie warten schön ab, was die Ärzte sagen!«

»Ja, natürlich …« Das Warten war ich ja nun gewohnt.

»Also, morgen früh sechs Uhr Wehentropf!«

»Jawoll, Schwester«, schnarrte ich zurück, aber da war die Tür hinter dem Drachen schon mit einem lauten Knall zugefallen. Genosse Honecker an der Wand wackelte leicht mit dem Kopf, so als wollte er sagen: Mädel, reih dich mal schön hinten ein. Du bist hier gar nicht wichtig.

2

»Hädicke?«

»Ja? Das bin ich.«

Ich hing am Wehentropf. Durch eine dicke Infusionsnadel strömte eine Flüssigkeit in meine Adern, die meinen Körper in den reinsten Hexenkessel verwandelte. Genauso gut hätte man mich an ein mittelalterliches Foltergerät anschließen können. Mit ungeheurer Wucht nahmen mich die Wehen in Minutenabständen in die Zange. Und jedes Mal krampfte sich mein Bauch schmerzhaft zusammen, so als hätte jemand ein glühendes Messer hineingerammt. Mein Baby lag quer. Wenn es nun durch diese grässlichen Kontraktionen auch solche Qualen erlitt? Ich zwang mich, nicht weiter darüber nachzudenken.

»Wieso geht denn hier nichts voran?« Wieder ein anderes Gesicht, wieder eine andere lieblose, schlecht gelaunte Schwester.

»Das wollte ich gerade Sie fragen!«, stöhnte ich schon völlig entkräftet. Ich hatte riesige Schuldgefühle. Warum schaffte ich es nicht, mein Kind endlich auf die Welt zu bringen? Was machte ich nur falsch?

»Sie haben hier überhaupt keine Fragen zu stellen!«

»Bitte, so war das nicht gemeint! Aber ich liege jetzt schon seit acht Stunden hier … Es ist nicht auszuhalten!«

»Nun stellen Sie sich mal nicht so an! Andere Mütter halten das auch aus!«

»Bitte! Können Sie nicht den Arzt rufen? Ich habe wirklich kein gutes Gefühl!«

»Na, das ist ja mal ganz was Neues! Dass uns hier eine sagt, dass Wehen kein gutes Gefühl sind!« Die Schwester stieß ein schnaubendes Lachen aus. »Der Arzt ist im Kreißsaal und hat mindestens noch vier oder fünf Geburten, die vor Ihnen dran sind. Also schön weiteratmen. Und zwischendurch entspannen. So wie Sie das in der Schwangerschaftsgymnastik gelernt haben.«

Sie tätschelte im Davoneilen meinen Arm, an dem der Schlauch hing, durch den mit unendlicher Langsamkeit diese Wehenflüssigkeit tropfte.

Ich halte das nicht länger aus!, hämmerte es in meinem Kopf.

Man hatte mir gesagt, dass Wehen schmerzhaft sind und auch, dass der Wehentropf eine verschärfte Variante darstellt, Folterstufe drei sozusagen. Aber kein Mensch steht das acht Stunden lang ohne Pause durch. Ich war so allein! Wenn wenigstens Bernd hier gewesen wäre! Doch der war »auf Arbeit«, denn so etwas Profanes wie die Geburt des ersten Kindes war noch lange kein Grund, sich freizunehmen. Wo kämen wir denn da hin. Wenn das jeder machen wollte.

Die nächste Wehe überrollte mich wie eine Dampfwalze. Sie fuhr mir in die Flanken, bohrte sich in meine Gedärme. Atmen!, beschwor ich mich. Atmen. Tapfer bleiben. Du warst Leistungssportlerin. Du bist oft an deine Grenzen gestoßen. Du hast immer durchgehalten. Du schaffst das. Du bist keine Memme.

Bernd!, dachte ich nur. Bernd, wenn du jetzt hier wärst! Ein- und ausatmen. Im Westen, das hatte mir Elke noch erzählt, durften die Väter dabei sein. Sie hielten ihren Frauen die Hand, tupften ihnen den Schweiß von der Stirn und sprachen ihnen Mut zu. Ich kniff die Augen zusammen und hielt den Atem an, als mich die nächste Wehe aus dem Tropf schier in Stücke reißen wollte. Lenk dich ab! Denk an was Schönes!

Bernd. Mein geliebter, wunderbarer, fürsorglicher Bernd. Allein wie er das Kinderzimmer eingerichtet hatte! Die entzückende Teddybär-Tapete, die er auf unerklärliche Weise irgendwo erstanden hatte. Die hübschen orangefarbenen Gardinen, die ich genäht hatte. Wie verheißungsvoll die sich im Frühlingswind gebauscht hatten! Die Kommode, die Bernd selbst gezimmert hatte. Die bezaubernde rustikale Holzwiege, ebenfalls Marke Eigenbau. Die Stoffwindeln, die Mutti aus der Kiste unter ihrem Bett hervorgeholt hatte! Jede einzelne davon hatte ich gewaschen und gebügelt, sorgfältig in die Schublade geräumt, zusammen mit den winzigen selbst gestrickten Schühchen, den Stramplern und dem Holzpferdchen, das einmal Bernd gehört hatte. Nur einen Teppich hatten wir nicht bekommen. In der ganzen DDR hatte es keinen Teppich zu kaufen gegeben. Noch nicht mal einen winzigen Bettvorleeeeee …

Aah! Bitte! Nein! Aufhören! Wieder spürte ich das Messer in meinen Eingeweiden. Warum kam denn keiner? Warum ließen sie mich hier ganz allein? Aus den Augenwinkeln starrte ich auf die Wanduhr, die unbarmherzig langsam tickte. So musste es in der Folterkammer sein. Im Stasi-Gefängnis. Genau so. So machten sie einen weich. Ich wäre zu jeder Falschaussage bereit gewesen. Der große Uhrzeiger maßregelte mich. Er lehrte mich Demut und Geduld, er zwang mich in die Knie. Tick. Zwanzig Minuten nach fünf. Tick. Einundzwanzig Minuten nach fünf.

»Hädicke?«

Nur noch verschwommen nahm ich die Gestalt im Schwesternkittel wahr, die nun in der Tür stand.

»Ja!«, stöhnte ich, »bitte tun Sie was!«

»Na, was tun müssen Sie schon selbst! Wir übernehmen hier nicht das Kinderkriegen!«

»Können Sie mir bitte, bitte ein Schmerzmittel geben?«

»Ich denke gar nicht daran, einfach so mit Volkseigentum um mich zu werfen! Was glauben Sie, welchen Ärger ich da kriege! Bisschen was aushalten müssen Sie schon!«

Die Gestalt näherte sich unwillig. Ihre Plastiklatschen schmatzten über den Linoleum-Fußboden. Eine Hand packte meinen Arm, kalte Augen fixierten erst den Wehentropf, dann die Uhr.

»Machen Sie mal die Beine breit!«

Die kalten Augen bohrten sich zwischen meine Beine, dann wurde mit einem Stahlrohr in meinem Unterleib herumgestochert. Ich brüllte vor Schmerz.

»Die Maßnahme wird für heute abgebrochen.«

Alles in mir weinte vor Dankbarkeit. Sie würde mich jetzt losbinden. Die Folterung würde für heute eingestellt werden.

»Der Muttermund öffnet sich heute nicht mehr. Wir machen morgen weiter.«

»Ja, ja, danke, danke …« Mir liefen die Tränen der Erschöpfung, der Demütigung, der körperlichen und seelischen Qualen über die Wangen und versickerten im groben Stoff des Kopfkissens, in das ich die ganze Zeit gebissen hatte, um nicht laut schreien zu müssen.

»Ich habe hier jetzt Feierabend. Aber Sie bleiben noch so lange am Wehentropf, bis die Flasche durchgelaufen ist.«

»Bitte machen Sie sie ab!«, flehte ich, »ich halte das nicht länger aus!«

»Ich habe gesagt, Sie bleiben so lange dran, bis sie durchgelaufen ist! Was glauben Sie, welchen Ärger ich bekomme, wenn ich ne angebrochene Flasche in den Müll werfe! Das ist Verschwendung von Volkseigentum!«

»Bernd«, wimmerte ich. »Hilf mir!«

»Ihr Bernd war eben da. Zur Vatistunde. Der konnte gleich wieder gehen. Sie haben es ja nicht hingekriegt. Ich habe ihm gesagt, er soll sich Zeit lassen und erst morgen wiederkommen.«

Die Plastiklatschen bewegten sich wieder schmatzend Richtung Tür.

»Hädicke? Morgen früh um sechs. Gleiche Stelle, gleiche Welle.«

Sie lachte, so als wäre ihr ein köstlicher Witz gelungen. »Schönen Abend noch!« Tick. Fünfundzwanzig Minuten nach fünf.

3

Wie auf rohen Eiern wankte ich wieder in die Dreierzelle, aus der mir sehr menschliche Gerüche entgegenströmten. Nach Schweiß, Blut, Neugeborenenstuhl. Elke hatte ihren Säugling im Arm und säuselte ihm verliebt zu: »René! Ja sag mal Hallo, René! So ein Dicker, sag mal! Neun Pfund, da freut sich der Papa! Du kleiner Goldschatz, du … Und die Oma freut sich auch.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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