Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen - Markus Krall - E-Book

Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen E-Book

Markus Krall

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Beschreibung

Risikovermeidung scheint aktuell das Patentrezept für die Lösung all unserer Probleme zu sein. Zentralbanken ertränken die Gefahren unseres Wirtschafts- und Bankensystems mit Unmengen an Geld, und auch die Politik versucht, gesellschaftliche Missstände mit großzügigen Geschenken unter den Teppich zu kehren. Der Wunsch nach einem "Weiter so" scheint allumgreifend. Keine Veränderung, kein Risiko, keine Volatilität bitte. Doch ohne Risiko gibt es keinen Fortschritt, kein Lernen, keine Erkenntnis. Markus Krall, Bestsellerautor von "Der Draghi-Crash" und einer der profundesten Kenner der Risikolandschaft, zeigt, wo die sich entladenden Verwerfungen in Wirtschaft und Politik, die rasende technologische Entwicklung und die geostrategischen Fehlentwicklungen zu potenziellen Katastrophen führen können. Er zeigt auch, wo wir eingreifen können, um unsere Gesellschaft auf eine neue – bessere – Grundlage zu stellen. Ein packender Parforceritt durch eine Welt, die schon morgen nicht mehr dieselbe sein wird.

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Seitenzahl: 431

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Markus Krall

WENN SCHWARZE SCHWÄNE JUNGE KRIEGEN

Warum wir unsere Gesellschaft neu organisieren müssen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

5. Auflage 2020

© 2019 by Finanzbuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Die im Buch veröffentlichten Ratschläge wurden von Verfasser und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann jedoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung des Verfassers beziehungsweise des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Redaktion: Dr. Annalisa Viviani

Korrektorat: Dr. Manuela Kahle

Umschlaggestaltung: Laura Osswald

Umschlagabbildung: Shutterstock.com/Stephen Rees; iStock.com/Denisfilm

Abbildung Seite 154: Karte designed by Freepik

Satz: Carsten Klein, Torgau

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-95972-151-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-274-2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-275-9

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

»In diesem Buch wagt Markus Krall den Schritt vom Kritiker des Finanzsystems zum Futurologen. Dieser Schritt ist gelungen. Die Stimme von Markus Krall ist angesichts der vielen Jubelperspektiven, die wir sonst zur ›schönen neuen Welt‹ hören, ein dringend notwendiges Korrektiv. Faszinierende Einblicke in die Welt von morgen – und den riskanten Weg dorthin.«

PROF. DR. MAX OTTE

»Läuft doch. Wirtschaft ist derzeit kein Thema in Deutschland – läuft doch. Markus Krall zeigt, warum es gerade ausläuft. Eine klare, verständliche und weitsichtige Analyse.«

ROLAND TICHY

»Dass alles nur noch schlimmer wird, wenn man offensichtliche Herausforderungen nicht aktiv löst, ist eine Binsenweisheit. Markus Krall überträgt diese Erkenntnis in eine neue Dimension, indem er einen äußerst kritischen, aber fairen und ausgewogenen Blick auf Politik, Gesellschaft und Unternehmen wirft. Er zeigt auf, wie das Ignorieren von immer größer werdenden Veränderungen die Existenz einer bislang anerkanntermaßen erfolgreichen Volkswirtschaft auf’s Spiel setzen kann. Dabei ist Markus Krall in seinem neuen Werk reifer geworden, vielschichtiger und perspektivreicher. Und: kritisch, aber im Ergebnis optimistisch!«

PROF. DR. PETER RUSSO

»Nach seinem Bestseller ›Der Draghi-Crash‹ lokalisiert Dr. Markus Krall weitere Gefahrenquellen für die freiheitliche Gesellschaftsordnung. Seine Befürchtungen können Niemanden kalt lassen. Ein dringender Weckruf fünf Minuten vor zwölf«.

ANDREAS MARQUART, VORSTAND DES LUDWIG VON MISES INSTITUTS

»Da wir uns in Deutschland seit Jahrzehnten auf der ›schiefen Ebene‹ befinden und man manchmal den Eindruck hat, dass ›sechs Panzer‹ genügen, allem ein Ende zu bereiten, fällt die Kaskade von Urteilen ungemein harsch aus. Aber darin liegt schon ein Großteil des Wertes. So liest es sich kurz vor dem großen Knall, vor allem, wenn man sich in jeder Hinsicht übernommen hatte.«

WILLY WIMMER

»Und wieder einmal spießt Markus Krall mit spitzer Feder Fehlentwicklungen in unserer selbstzufriedenen und reformunwilligen Gesellschaft und unserem hartnäckig Fakten leugnenden politischen System auf! Krall ist nicht nur ein Meister seines Fachs, sondern auch ein Meister des Worts. Die Lektüre seines neuen Buches wäre die köstlichste Unterhaltung, wenn der Inhalt nicht so alarmierend wäre.«

KLAUS-PETER WILLSCH, MITGLIED DES DEUTSCHEN BUNDESTAGES

Für meine Kinder und Enkel

Damit auch sie eine Zukunft in Freiheit erleben.

Und für meine Frau, damit ich auch noch eine Zukunft habe.

Inhalt

Vorwort: Mein Leben als Spielverderber

Prolog

Einführung

Kapitel 1: Der Währungskollaps

Kapitel 2: Die Zukunft des Unternehmens I – Technogeddon oder: das Quantencomputer-Dilemma

Der private Schlüssel

Der private und der öffentliche Schlüssel

Hash-Verschlüsselung

Der Quantencomputer

Kapitel 3: Das Ende der Parteiendemokratie

Die feindliche Übernahme der Parteien durch minderbegabte Karrieristen und Rentenjäger

Die Vergiftung der Gesellschaft durch das Erbe der 68er-Revolte, die Frankfurter Schule und der Verlust von kultureller Identität und Orientierung

Die persönliche Autonomie

Eigentumsrechte und die Freiheit zu handeln

Der Untergang der traditionellen Familie

Die Politik der Zerstörung unserer Identität

Die Revolution der menschlichen Fähigkeiten und die Rigidität der Arbeitsmärkte

Die Entkoppelung der Entscheidungen von der Kontrolle des Souveräns in der EU

Der Tod der freien Presse und der freien Medien

Die Einrichtung des Überwachungsstaates

Das Versagen der politisch inspirierten Investitionsprogramme

Der Kontrollverlust bei Grenzen und Immigration

Wirtschaftspolitik als Wissenschaft der Töpfe

Die Revolution der gebrochenen Versprechen und das Ende der Parteiendemokratie

Kapitel 4: Die Zukunft des Unternehmens II – die neue kreative Zerstörung und das Ende der Firma, wie wir sie kennen

Der unternehmerische Antrieb versus die Treiber der korporativen Sklerose

Die schädliche Wirkung der Regulierung

Die Auswirkungen von Diskontinuität und Nichtlinearität

Die Bestimmungsgrößen der Integration von Wertschöpfungsketten

Kapitel 5: Das geostrategische Vakuum

Die westliche Denkweise in der internationalen Politik

Die geopolitische Weltkarte

Die Verstrickung der Türkei im syrischen Krieg

Die organisierte Migration nach Europa

Eine Simulation zur Fortschreibung der Bevölkerungsstruktur

Das geopolitische Design des neoosmanischen Reichs und der Muslimbruderschaft

Kapitel 6: Die Ordnung der Freiheit oder der Tod der Zivilisation

Kapitel 7: Rückblick im Jahr 2035 – zwei Szenarien

Wie könnte alles ganz anders kommen?

Eine Republik der Freiheit

Epilog: Die Hambacher Rede – ein Aufruf zur Verteidigung der Freiheit

Dank

Glossar

Anmerkungen

»Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.«

SHAKESPEARE, HAMLET, 1. AKT, 5. SZENE, HAMLET ZU HORATIO

Vorwort:Mein Leben als Spielverderber

Seit dem Erscheinen des Buches Der Draghi-Crash klaffte zwischen der Berufsbezeichnung auf meiner Visitenkarte und dem ersten Satz meiner Gastgeber, die mich bei Vorträgen vorstellen, eine Lücke. Bis zum 12. Juni 2017 gab es den »Berater von Banken«, ein Titel so unauffällig wie die grauen Anzüge, die meinen Kleiderschrank füllen und sich dort mit den Outfits meiner Frau und meiner Töchter um Platz streiten. Seit dem 13. Juni 2017 gibt es wahlweise den »EZB-Kritiker«, den »Crash-Propheten« und, wenn es mich aufbauen soll, den »Bestsellerautor«. Meine Interviewpartner fragen mich mit erfrischender Regelmäßigkeit: »Herr Krall, warum sind Sie so ein Pessimist?« Meine Leser fragen lieber nach Ratschlägen, wie sie ihr Vermögen vor dem Staatsraub in Sicherheit bringen sollen. Aber die Diagnose ist die gleiche: »Der Herr Krall kommt gleich nach den Zeugen Jehovas, was seine Weltuntergangsprosa angeht.« Tja, das habe ich jetzt davon.

Dabei wissen die, die mich schon eine Weile länger kennen, dass ich ein im Grunde extrem optimistischer Mensch bin. Was Katastrophen angeht, so halte ich es eigentlich wahlweise mit Hildegard Knef (»Wenn ich eines über das Leben gelernt habe, dann dass es weitergeht«) und John Wayne (»Du musst immer nur einmal öfters aufstehen, als du vom Pferd fällst«).

Aber auch John Wayne hätte sich nicht absichtlich vom Pferd gestürzt (dafür gab es wohl auch damals schon den Stuntman). Und genau darum geht es. Ich werbe dafür, dass sich unsere Gesellschaft nicht wider besseres Wissen irgendwo herunterstürzt, obwohl klar ist, dass die Fallhöhe zu hoch ist. Stellen Sie sich folgende Szene vor: Der Amateurbergsteiger hat sich verstiegen. Zwei Meter über dem Boden wird ihm schwindlig, und er schafft es nicht, den Sprung zu wagen aus Angst um die Frisur. Seine Lösung besteht darin, die Wand noch einen Meter hochzuklettern. So muss er nicht nach unten sehen. Bei drei Metern dreht er sich mal kurz um, stellt aber dann fest, dass drei Meter mehr sind als zwei und es nicht besser geworden ist. Jetzt machte er sich schon Sorgen um Klamotten, Nase und die Sprunggelenke. Langsam runterklettern? Sind Sie wahnsinnig? Wollen Sie, dass ich zum Arzt muss? Also weiter rauf. Bei vier Metern dreht er sich wieder um und schaut, und auch bei acht und zehn Metern.

Er schaut nach oben, und er kann das Ende der Wand nicht erkennen, aber er denkt, wenn er jetzt einfach immer weiter klettert, dann kommt eine Kante, und er kann sich auf ein Hochplateau ziehen und durchatmen. Er ahnt es wohl, aber er verdrängt es, dass vor dem Hochplateau in 400 Metern Höhe ein Überhang kommt, den er mit seinen Kletterkünsten nicht überwinden kann. Unten stehen die neoliberalen Professoren und breiten ein Sprungtuch aus, weil er sich jetzt schon 20 Meter nach oben gekämpft hat. Er redet sich Mut zu: »Die Aussicht von hier oben ist doch fantastisch. Ich bin fantastisch. Ich hänge zwar 20 Meter über dem Boden wie einst Harold Lloyd am Zeiger der Turmuhr, aber ich weiß es besser, als die blöden Heinis da unten.«

Ihm ist auch klar, dass es mit Springen selbst mit Sprungtuch ein Vabanquespiel wird. Die gerichteten Zähne kann er jedenfalls schon mal abschreiben. Der Zahnarztbesuch wird lang und nicht sehr schön und überhaupt erst machbar, wenn die dicken Lippen wieder abgeschwollen sein werden. Das weiß er alles und klettert weiter, weil mittlerweile der Zahnarzt unten steht und ihm erklärt, dass er jetzt aufhören muss, wenn der Kiefer drinbleiben soll. »Sie verdammter Pessimist«, keucht er den Zahnarzt an. »Nein«, antwortet dieser. »Ich bin nur der Zahnarzt. Und wenn Sie jetzt endlich herunterkommen würden, dann bin ich voller Optimismus. Wir bekommen das wieder hin.«

So geht’s mir auch.

Prolog

»Im Glauben zu handeln, dass wir über das Wissen verfügen, welches uns in die Lage versetzt, die gesellschaftlichen Prozesse nach unserem Gutdünken zu formen, Wissen, das wir in Wahrheit nicht besitzen, lässt uns wahrscheinlich viel Schaden anrichten.«

FRIEDRICH AUGUST VON HAYEK

Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. Was wie ein Oxymoron klingt, ist die Folge einer mentalen Dissonanz. Die Zukunft von gestern ist heute. Und weil wir gestern schon nicht sehr gut in der Lage waren, ihr Aussehen vorherzusagen, muss das Heute von den damaligen Prognosen abweichen. Entwicklungen, die niemand erwartet hatte, sind über uns hinweggerollt. Entwicklungen, die erwartet wurden, sind nicht eingetreten. Ein von Enttäuschung geprägter Satz, der neulich viral gegangen ist (übrigens ein Begriff, der noch vor 20 Jahren in keiner Prognose der Zukunft vorkam) war: »Sie haben uns fliegende Autos versprochen und alles, was wir bekommen haben, war ein iPhone.« Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass fliegende Autos quasi gerade um die Ecke kommen. Wir nennen sie nur nicht Autos, sondern Personendrohnen.

Wenn wir jetzt die Zukunft prognostizieren wollen, ist unser Ausgangspunkt natürlich ein anderer als 1970. Aber während wir glauben, wir könnten jetzt weiter und klarer sehen, weil wir auf einem höheren Hügel stehen als 1970, tun wir es einfach nicht. Wir geben uns nur der Illusion hin, dass wir das könnten.

Wenn Sie heute eine Zeitung aufschlagen, scheint es völlig klar zu sein, wohin die Reise geht: Der Klimawandel ist eine Realität, aber unsere Eliten managen das mit Windturbinen und Solarzellen. Die Banken sind in einem furchtbaren Zustand, aber unsere Eliten haben sie in ruhigere Gewässer reguliert. Die Digitalisierung wird viel ändern, aber unsere Politiker stellen sicher, dass das alles glatt abläuft, am besten mit einem bedingungslosen Grundeinkommen für jedermann. Wir finanzieren das mit einer Maschinensteuer. Quantencomputer sind etwas Esoterisches, aber sie werden die Maschine, die unsere elektronischen Spielzeuge jedes Jahr verbessert, noch für eine Weile am Laufen halten. Roboter werden bald allgegenwärtig sein, aber einige von ihnen werden sexy sein und versprechen Heilung für all die vereinsamten Menschen, die an ihren elektronischen Schnullern festgewachsen sind, wo sie die Realität gegen die Virtualität sozialer Medien eingetauscht haben. Macht euch also keine Sorgen.

Der Terror breitet sich aus, aber wir haben die globale Überwachung, um ihn unter Kontrolle zu halten, so wie wir das mit der Cyberkriminalität auch machen. Eine echte militärische Bedrohung kommt nur noch aus Nordkorea, aber wir halten ihnen den Revolver unserer nuklearen Abschreckung an die Schläfe. Die Einwanderung ist nicht außer Kontrolle, weil wir uns entschlossen haben, sie zu adoptieren. Alles wird gut.

Träumen Sie weiter!

Unsere Wahrnehmung ist komplett in einer Illusion linearer Trends ersoffen, die uns nicht die Macht der exponentiellen Verläufe der wichtigsten Entwicklungen, insbesondere der technologischen Entwicklung, erkennen lässt. Auch verfügen wir nicht über die Vorstellungskraft, die Folgen der gegenseitigen Beeinflussung von Trends zu verstehen. Uns fehlt außerdem offensichtlich jedes Sensorium für Ungleichgewichte, die unter der Wasseroberfläche lauern wie ein Krokodil in einem sumpfigen Tümpel.

Weil unsere politischen Eliten es hassen, wenn sich die Bürger um etwas Sorgen machen (per Definition lässt es sie dumm und unfähig aussehen), versuchen sie, alles zu glätten, was nach Unbequemlichkeit oder Volatilität aussieht. Keine hässlichen Bilder, bitte! Der Wohlfahrtsstaat kümmert sich um eure Sorgen von der Wiege bis zur Bahre und auch noch bis ins Grab hinein! So wird den Menschen eine generelle Abneigung gegen Risiken antrainiert. Risiko wird als etwas Archaisches wahrgenommen, ein Relikt aus einer dunklen Zeit, als die Menschen noch Opfer von Hunger, Krieg, Krankheiten und Plagen wurden.

In unseren zivilisierten technologiebeherrschten Gesellschaften sind die individuellen Risiken in der Tat viel kleiner, als sie es je gewesen sind, weil unser Wohlstandsniveau und die uns verfügbaren Ressourcen im Vergleich mit jeder anderen Generation der Menschheitsgeschichte unvergleichlich größer sind. Risiko und Volatilität finden ihren Ausdruck eher in der Frage, ob das Wirtschaftswachstum 1 Prozent oder 2 Prozent betragen wird und ob wir uns daher den 70-Zoll QLED-Monitor schon im Oktober kaufen können oder ob wir bis Weihnachten warten müssen.

Trotzdem hassen die Politiker jede Art von Volatilität und versuchen, sie mit Geld zu überkleistern, üblicherweise mit geliehenem Geld oder – wenn das nicht verfügbar ist – mit frisch gedrucktem Geld. Volatilität kann man aber nicht mit Geldausgeben abschaffen, man kann sie höchstens unter den Teppich kehren. Man kann sie in ein Behältnis sperren, aus dem sie irgendwann entkommt, so wie einst die schleimigen Geister in dem Kinofilm Ghost Busters.

In der Geschichte gibt es zahllose Beispiele für die Versuche, Volatilität zu unterdrücken, die nur zu ihrer Ansammlung und späteren geballten Entladung geführt haben. Das größte Experiment dieser Art war die Sowjetunion. Sie protzte mit ihrer vermeintlichen Stärke, die sie in der Überlegenheit der Planwirtschaft sah, weil diese keine Konjunkturzyklen erzeugte, keine Finanzkrisen, nur das gleichmäßige Wachstum. Angetrieben wurde sie im Maschinenraum von Gosplan’s Fünfjahresplänen, die den Wohlstand der Genossen von einem großen Sprung zum nächsten beförderten.

Wir alle wissen, wie das endete. Die innerhalb von 70 Jahren angesammelte Volatilität hatte Ungleichgewichte erzeugt, die so groß waren, dass eines der größten, nuklear bewaffneten und scheinbar unbesiegbaren Imperien innerhalb von Monaten im Mülleimer der Geschichte endete, nachdem der aufgestaute Druck sich seinen Weg nach draußen gesucht hatte und entwichen war. Dabei gibt es Lehrbeispiele ganz praktischer Art, an denen man das hätte studieren können.

In der großen Wildnis Nordamerikas waren Buschfeuer ein normaler Vorgang für Tausende, ja wahrscheinlich Millionen von Jahren. Sie kamen regelmäßig vor, jedes Jahr. Sie wurden ausgelöst durch Blitzeinschläge, heißes Wetter und Dürre. Das war ein normaler Vorgang, und die Natur konnte offensichtlich damit klarkommen. Irgendwann vor nicht allzu langer Zeit hat sich die Natur dieses Phänomens aber verändert. Buschfeuer wurden groß, sehr groß. Sie wurden sogar so groß, dass man sie aus dem Weltraum ohne optische Instrumente sehen konnte. Warum? In den 1930er-Jahren führten die zunehmende Besiedlung und die mit ihr verbundene teure Infrastruktur zu der Meinung, dass Buschfeuer keine gute Sache seien, sondern ein unerwünschter Vorgang, den man verhindern sollte.

Mit der Einführung von Flugzeugen, die in der Lage waren, Brände früh zu entdecken und zu löschen, war es möglich geworden, sie zu unterdrücken, während sie noch klein waren. Die Volatilität war gesteuert und unterworfen worden, beherrscht mit den Mitteln genialer menschlicher Technik. So jedenfalls sah es aus.

Im Lauf der Jahre sammelten sich dann totes Holz und Reisig an, die normalerweise bei den regelmäßigen Buschbränden verbrannt wären. Die Akkumulationsrate lag dabei über der Rate der natürlichen Verrottung, weil das Klima sehr trocken ist. Diese Ansammlung von trockenem, leicht entzündlichem Holz war das Ungleichgewicht, das sich unterhalb der Wahrnehmung aufstaute. Irgendwann erreichte die Menge eine kritische Masse, und es bedurfte nur noch eines Blitzeinschlags oder einer weggeworfenen Flasche, die als Brennglas fungierte, um ein Buschfeuer von ungeheurer Größe und Gewalt zu entfachen, das sich durch Wälder, Dörfer und Felder fraß, Flüsse und Straßen übersprang und auf seinem Weg alles in Asche verwandelte. Die angesammelte Volatilität war gewaltsam entfesselt worden.

Unsere Gesellschaft hat zahllose Mittel und Wege gefunden, die Volatilität in dem falschen Glauben zu unterdrücken, dass man das straflos tun könnte, und dass sie dann geht, ohne Rache zu nehmen. Wir setzen keynesianische, schuldenfinanzierte Ausgabenpolitik ein, um den Konjunkturzyklus zu glätten und um Pleiten und Arbeitslosigkeit zu vermeiden, wir öffnen den Geldhahn der allmächtigen Zentralbanken, um die Finanzmärkte zu stabilisieren und um Crashs und das Platzen von spekulativen Blasen zu verhindern, wir hindern Unternehmen daran, im Lauf des Konjunkturzyklus Leute wieder zu entlassen, die sie zuvor eingestellt haben, und schützen so ihre Angestellten vor den Folgen des Strukturwandels. Wir haben sogar die freie Rede und politische Ideen reguliert in dem Irrglauben, etwas zu verbieten, das wir als Hassrede oder Falschnachrichten einstufen, und provozieren so erst den Hass, den wir vorgeblich zähmen wollten.

Alle diese Maßnahmen funktionieren für eine Weile. Das Ungleichgewicht wächst. Es erreicht einen kritischen Punkt und kritischen Druck. Dann bricht plötzlich das Gefäß, und die Volatilität wird freigesetzt wie die Energie in einer Explosion. Die Auswirkungen auf das Wohlergehen der Menschen sind dann weitreichender und schlimmer als der erhaltene Nutzen durch die Risikounterdrückung, der über die Zeit verteilt gewonnen wurde. Die Explosion, die Diskontinuität, wird dann durch zwei Effekte verstärkt: Sie erzeugt eine enorme Orientierungslosigkeit, da es für die Menschen viel schwieriger ist, sich auf plötzliche extreme Veränderungen einzustellen. Menschen, die nicht mehr darin geübt sind, mit den Auswirkungen von Volatilität umzugehen, weil man diese jahrelang von ihnen ferngehalten hat, sind psychologisch und in Bezug auf ihr Können und Wissen nicht mehr darauf vorbereitet.

Und es gibt noch eine weitere Gefahr: Weil wir so viele unterschiedliche Arten der Volatilität über so viele Jahrzehnte unterdrückt haben, entsteht das Risiko der Korrelation, also die Möglichkeit, dass mehrere große Ungleichgewichte ihren Bruchpunkt gleichzeitig erreichen. Dies kann zufällig geschehen oder durch gegenseitige kausale Verstärkung. Eine große Diskontinuität löst die nächste aus. Eine Kettenreaktion kommt in Gang, mit der die Gesellschaft nicht mehr umgehen kann. Ihre erprobten und bewährten Instrumente versagen, ihre inneren Funktionsprozesse kommen knirschend zum Stillstand.

An diesem Punkt wird eine revolutionäre Veränderung mit Händen greifbar.

Im Risikomanagement kann man Risikoarten nach ihrem Verhalten in Kategorien einteilen. Eine der dabei möglichen Dimensionen ist die Skala zwischen glatten oder granularen und verklumpten Risiken. Glatte Risiken haben eine messbare tägliche Volatilität, aus der wir eine Verteilung ihrer Ergebnisse ableiten und die wir mit klassischen Methoden der Risikomessung und Risikosteuerung bewältigen können. Beispiele für dieses Verhalten finden wir vor allem in sehr effizienten Finanzmärkten. Das bedeutet nicht, dass die Verteilungen, die ihr Verhalten beschreiben, keine extremen Ränder haben und somit keine extremen Ereignisse möglich wären, wenngleich diese unwahrscheinlich sind. Aber es bedeutet, dass die Marktteilnehmer im Großen und Ganzen die Risiken verstehen, die sie eingehen. Daraus abgeleitet können sie ermitteln, wie viel Pufferkapital sie brauchen, um zu überleben, wenn sich Extremereignisse mit kleiner Wahrscheinlichkeit materialisieren.

Die Arten glatter Volatilität haben ihre Ursache sehr oft im evolutionären Prinzip, mit dem die Natur Lernprozesse organisiert. Sie regiert Ökosysteme, Märkte oder ganz allgemein Systeme mit Agenten oder Teilnehmern, die ihre Fähigkeiten für ihr Überleben im Lauf der Zeit verbessern müssen. Das tun sie in einem evolutionären Prozess mit der heuristischen Methode von Versuch und Irrtum. Diese Lernmethode, die auf der Basis von Erfolg und Misserfolg beruht, bringt die Agenten zeitweilig auf den falschen Weg. In der Natur ist das dann eine evolutionäre Sackgasse, und sie führt zum Aussterben einer Art. Es ist dies die Folge ihrer Unfähigkeit, das zu leisten, was Darwin als »Überleben des Stärksten« beschrieben hat, was aber in der Realität ein Überleben des am besten an seine Umwelt Angepassten bedeutet. Im wirtschaftlichen Kontext bedeutet Irrtum, dass falsche Pläne durch den Wettbewerb im Markt aussortiert werden. Am besten angepasst bedeutet, dass die kosteneffizientesten, fähigsten Unternehmen, die Dinge produzieren, die die Kunden wollen und für die sie zu zahlen bereit sind, sich durchsetzen und überleben. Man nennt das wirtschaftlichen Erfolg.

Die Tatsache, dass ineffiziente, unproduktive Unternehmen, die nicht das herstellen, was die Kunden wollen, pleitegehen, ist die Quelle vieler Arten von Volatilität, die wir im Wirtschaftsleben beobachten können. Der Bankrott selbst erzeugt enorme Volatilität für die Einkommen der Geschäftsinhaber und ihrer Angestellten, die davon betroffen sind. Unterschiedliche Grade wirtschaftlichen Erfolgs oder auch nur die Wahrnehmung von Varianzen führen zur Volatilität von Aktienkursen. Falsche Wahrnehmung von Wachstum, Marktnachfrage und Trends können zu Überinvestitionen führen, die Wellen von Pleiten, Zahlungsausfällen und Konjunkturzyklen auslösen. Überinvestitionen sind eine spezielle Art von falschem Plan, der vom evolutionären Wettbewerb aussortiert wird.

Zugleich sind Versuch und Irrtum aber die einzige Methode für die Marktteilnehmer, die Agenten des Ökosystems – und damit für die ganze Gesellschaft – zu lernen. Lernen bedeutet Fortschritt, insbesondere technischen Fortschritt, und führt damit zu Wachstum und künftigem Wohlstand. Der gleiche Mechanismus, der die biologische Evolution, die Menschheit und die Gesellschaft vorantreibt, erzeugt die Volatilität, die wir als glatte Form des Risikos beobachten.

Klumpige Risiken auf der anderen Seite sind sehr schwer zu verstehen und zu messen. In der Natur sehen wir sie in Form von Erdbeben und Vulkanausbrüchen, jedenfalls wenn man sie auf einem individuellen Niveau betrachtet. Sieht man sich viele Vulkane und Erdbebengebiete an, so können wir aber eine geglättete Verteilung dieser Ereignisse ableiten und Aussagen über die Wahrscheinlichkeiten innerhalb eines definierten Zeitraums machen. Das macht zum Beispiel die Rückversicherungsindustrie mit allen Arten von Katastrophenrisiken.

Zwischen glatten und verklumpten Risiken gibt es eine gleitende Skala von Zwischenzuständen. Umso effizienter ein Markt, umso häufiger ein Naturereignis, desto mehr Daten können wir im Lauf der Zeit sammeln, desto glatter wird unsere Risikoverteilung und desto besser also unsere Fähigkeit, das Risiko zu messen. Ein Vulkan, der jeden Tag ausbricht, wie das zum Beispiel der Stromboli auf der gleichnamigen Insel nördlich von Sizilien tut, stellt in der Regel keine wirkliche Gefahr dar, weil er seine Energie kontinuierlich auf geringem Niveau abgibt. Alles, was wir vermeiden sollten, um damit klarzukommen, ist, einen 3 x 3 x 3 Kilometer großen Betonblock darauf zu pflanzen, weil wir keine täglichen Vulkanausbrüche mögen.

Um das Argument vom Kopf auf die Füße zu stellen bedeutet dies, dass wir Risiken klumpiger machen können, indem wir die Markteffizienz, die Frequenz der Transaktionen und die Messung der daraus folgenden Daten vermindern. Und das ist genau das, was wir andauernd machen. Das erzeugt gewaltige Ungleichgewichte, die nach Entladung drängen. Und diese Entladung bekommen wir dann in Form der Diskontinuität. Wir können daher Diskontinuität gleichsetzen mit dem Ereignis des Eintretens eines sehr großen verklumpten Risikos.

Nicht alle Diskontinuitätsrisiken sind menschengemacht in diesem Sinne, wie wir in Kapitel 2 dieses Buches feststellen werden. Dies betrifft das Beispiel der Diskontinuität durch Quantencomputer. Obwohl sie natürlich eine menschliche Erfindung sind, entsteht die Diskontinuität nicht primär durch die Unterdrückung von Volatilität. Sie ist ein verklumptes Risiko aufgrund der besonderen Natur dieser Technologie. Die Rechenleistung von Quantencomputern verhält sich zur Rechenleistung klassischer Mikrochip-Transistor-betriebener Rechner wie die Nuklearenergie zur chemischen Energie. Um Ihnen eine Vorstellung davon zu vermitteln: Die Masse an Materie, die bei einer 20-Kilotonnen-Nuklearexplosion in Energie umgewandelt wird, beträgt gerade mal 2 Gramm. 20 000 Tonnen chemischer Sprengstoff sind 20 Milliarden Gramm. Das Energieverhältnis beträgt also 1 zu 10 Milliarden. Aber bei Quantenrechnern ist das Verhältnis noch viel extremer, und wir haben keine Ahnung, wo das aufhört.

Betrachten wir den Umstand, dass glatte und verklumpte Risiken miteinander verbunden sind, und berücksichtigen wir, dass die Unterdrückung von Volatilität glatte in verklumpte Risiken transformiert und – indem das passiert – existenzielle Bedrohungen heraufbeschworen werden, so müssen wir uns fragen, ob wir Risiken als Gesellschaft richtig managen. Die Antwort darauf ist Nein.

Gesellschaft und Politik müssen eine andere Herangehensweise dafür finden, wie wir Risiken verstehen und mit ihnen umgehen. Risikomanagement für unsere heutige Politikergeneration ist Volatilitäts-Mikromanagement, idealerweise seine Unterdrückung. Das muss sich in Zukunft grundlegend ändern, wenn wir eine Gesellschaft errichten wollen, die in den kommenden Umwälzungen überleben und gedeihen soll. Hört auf, Risiken zu verklumpten Risiken zu machen, tut eher das Gegenteil! Und lernt, große, sehr große Diskontinuitätsrisiken zu identifizieren und wie man intelligent mit ihnen umgeht!

Dieses Buch will eine intellektuelle Brücke bauen zwischen dem Status quo der Unterdrückung glatter, granularer Risiken und dem, was wir für die Zukunft brauchen, wenn wir katastrophale Diskontinuitäten vermeiden wollen. Dabei werden wir mehrere Diskontinuitätsrisiken aus den Bereichen Wirtschaft, Technologie, Politik und Geostrategie näher beleuchten.

Ich werde versuchen, aus einigen Beispielen allgemeine Einsichten abzuleiten, die die gemeinsamen Mechanismen beschreiben, denen diese Diskontinuitäten unterliegen. Dies umfasst den gemeinsamen Mechanismus von Versuch und Irrtum als Quelle der Volatilität, seine Übersetzung in wahrgenommenes Risiko, die Art und Weise, wie die Gesellschaft dieses Risiko steuert oder fehlsteuert, die Instrumente und Mittel der Volatilitätsunterdrückung und wie diese Unterdrückung in die Akkumulation großer Ungleichgewichte mündet. Schließlich frage ich nach dem Auslöser, der das Ungleichgewicht zur Entladung bringt.

Alle sozialen Systeme – Wirtschaft, Technologie, Ökologie, Unternehmen, die Systeme innerer und äußerer Sicherheit – sind kybernetische Systeme, die von der Evolution regiert werden. Sie sind zugleich Subsysteme eines größeren globalen Ökosystems. Alle diese Systeme einschließlich der begrenzten Subsysteme entwickeln sich im Lauf der Zeit mithilfe von Versuch und Irrtum. Der künstliche Stillstand, den wir unseren eigenen sozioökonomischen Teilsystemen aufzwingen, führt dazu, dass wir kollektiv hinter die globale Lernkurve zurückfallen.

Stillstand bedeutet deshalb Rückschritt, weil alle anderen sich nach vorne bewegen. Die daraus entstehende Spannung erzeugt die Ungleichgewichte, die nach Entladung und Neujustierung verlangen. Die Größe der damit einhergehenden Krise hängt von der Größe und der Dauer der vorangegangenen Intervention zur Risikounterdrückung ab, weil diese den Verlust an evolutionärer Entwicklung unserer sozioökonomischen Systeme verursacht hat.

Am Ende jedes Beispielkapitels werden drei Perspektiven aufgezeigt: Was bedeutet dieses konkrete Problem für die Verantwortlichen in der Politik und den Regierungen, was für die Unternehmen und was für die Bürger in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer, Steuerzahler, Konsumenten, Sparer und Investoren?

Die Handlungsoptionen zum Umgang mit den disruptiven Entwicklungen, die wir in der Phase der Anpassung an das globale Lernniveau des größeren Ökosystems zur Verfügung haben, variieren für diese einzelnen Stakeholder in unterschiedlicher Weise. Während Konsumenten und Unternehmen sich über die mikroökonomischen Wirkungen auf ihr Vermögen, ihre Wettbewerbsfähigkeit und ihr Überleben im Markt in einer Zukunft nach der Krise Gedanken machen müssen, gelten für Regierungen und Politik ganz andere Lehren: a) Wie managen wir die Krise? und b) Wie ändern wir künftig unsere Politik, um die künstliche Ansammlung von Ungleichgewichten zu vermeiden?

Das zweite Element ist in der Tat von überragender Bedeutung, weil es dabei im Kern darum geht, wie wir unsere Gesellschaft organisieren sollten. Wie sollte unser Wirtschaftssystem aussehen? Wie sollte unser demokratischer Willensbildungsprozess aussehen?

Wir werden feststellen, dass es um die wirklich fundamentalen Annahmen unserer verfassungsmäßigen Ordnung geht. Und diese Annahmen stehen jetzt infrage.

Einführung

»Unser Schicksal liegt nicht in den Sternen, sondern in uns selbst.«

WILLIAM SHAKESPEARE, HAMLET, 3. AKT., 1. SZENE

»Wir leben in einem Zeitalter disruptiver Veränderung.« Das ist ein Allgemeinplatz, der schon seit Jahrhunderten wahr ist, beginnend mit der Renaissance, die die Menschen aus dem intellektuellen, hermetisch abgeriegelten Raum des Mittelalters befreit hat, weiterführend mit dem Zeitalter der Entdeckungen, der ersten wissenschaftlichen Revolution, die der industriellen Revolution, der Mechanisierung, vorausging und die uns durch mehrere Kondratieff-Zyklen begleitet hat: Dampf, Chemie, Elektrizität, Mobilität, Luft- und Raumfahrt, Telekommunikation und jetzt Digitalisierung, Gentechnik und die kommerzielle Eroberung des Weltraums. Die Beobachtung disruptiver Veränderung kann man daher getrost als »No-Brainer« bezeichnen.

Aber dieses Buch soll sich nicht mit der neuen industriellen Revolution auseinandersetzen. Das tun schon gefühlte zig Millionen Bücher mit unterschiedlichem Qualitätsniveau. Die technologischen Veränderungen unserer Zeit leisten aber einen Beitrag zu einer neuen Art von Veränderung, vor der wir stehen. Die Wirkung der Technologie wird populärwissenschaftlich beschrieben als »Zeitalter der Disruption«, »Zeitalter der Innovation« oder die Ankunft der »Singularität«, der technischen Konversion von Mensch und Maschine.

Diese Veränderungen passieren, aber wir übersehen wichtige Puzzlesteine des Gesamtbildes, wenn wir glauben, wir müssten nur ihren Trendlinien folgen, um zu verstehen, wohin für uns als Gesellschaft, Land, Zivilisation und – in der Tat – Menschheit die Reise geht. In diesem Bild trägt Technologie zur Veränderung bei, aber sie ist nur einer von mehreren Faktoren.

Womit wir uns wirklich auseinandersetzen müssen, ist das Zusammenspiel technologischer, sozialer, infrastruktureller, psychologischer, kultureller und politischer Kräfte, die aufgrund ihrer Wechselwirkungen plötzliche Sprünge und Veränderungen kataklysmischen Ausmaßes verursachen.

Entwicklungen brechen aus ihren Trendlinien aus, Ereignisse verhalten sich wie Quantensprünge, verändern ihren Aggregatzustand in extrem kurzer Zeit, scheinbar unvorhersehbar, chaotisch. Verborgene Strömungen unter der Oberfläche bahnen sich ihren Weg nach oben und erzeugen Momente der Krise und der totalen Desorientierung für die Entscheidungsträger-»Eliten«: Manager, Akademiker, politische Führer, aber auch die Bürger.

Denken Sie nicht, dass die globale Finanzkrise und die Eurokrise dafür die perfekten Beispiele gewesen wären. Auf uns kommen noch massivere, unvorhergesehene Veränderungen zu. Wir stehen vor einem völlig neuen Biest, das uns den Teppich unter den Füßen wegziehen wird. Wir stehen vor der Diskontinuität, vor einem schwarzen Schwan, einem Ereignis ganz neuer Art: einem Vogel, der aus dem Genlabor fehlgeleiteter Politik entkommen ist und den wir daher selbst herangezüchtet haben.

Diskontinuität wird unsere Schulweisheit infrage stellen. Sie passt nicht in unsere etablierten Erklärungsmuster. Sie schaltet unsere Fähigkeit aus, die Probleme und Situationen mit der Kraft unseres Intellekts in den Griff zu bekommen, weil wir kein Modell haben, das es uns erlaubt, dem Ganzen einen Sinn zu verleihen, während es passiert. Mit dem Eintreten einer Diskontinuität endet das Gleichgewicht des Status quo, und in der Regel sind dann mehrere neue Gleichgewichtsergebnisse denkbar. Es hängt dann von unseren Handlungen oder auch von purem Glück ab, welches neue Gleichgewicht sich einstellen wird. Die Realität verhält sich wie eine Kugel, die auf der Spitze eines Berges balanciert, der von mehreren Tälern umgeben ist. Wir wissen, dass die Kugel einen seiner Abhänge hinunterrollen wird in eines der umgebenden Täler, aber wir können nicht voraussehen, welches Tal das sein wird.

Ein Beispiel hierfür wird in Kapitel 1 dargelegt: Die aktuelle Geldpolitik wird entweder zu Deflation, zu Hyperinflation oder zu beiden in unterschiedlicher Reihenfolge führen. Wir wissen, dass dies der mathematische und logische Lösungsraum ist, wenn die angesammelten Ungleichgewichte einmal freigesetzt werden. Aber wir können nicht mit Sicherheit sagen, welches Szenario eintreten wird, weil dies von politischen Aktionen und Reaktionen anderer Teilnehmer am System, wie zum Beispiel Politik, Bürger und Unternehmen, abhängt. Aber beide Informationen, das Ergebnis und die Reihenfolge der Ereignisse, sind kritisch für das individuelle wie auch für das gesellschaftliche ökonomische Überleben.

Die Diskontinuität beendet daher unsere Fähigkeit zur Durchdringung und wirft uns auf das Prinzip von Versuch und Irrtum in einer brutalen, keine Fehler verzeihenden Art zurück. Das macht sie mit dem Einzelnen und mit der Gesellschaft als Ganzem.

Diskontinuität kombiniert eine Situation der maximalen Fehlerrate mit der Situation, dass Fehler maximale Kosten nach sich ziehen.

Wir finden Beispiele von Diskontinuitäten in der Geschichte, sie sind nicht grundsätzlich neu. Das reicht vom Beginn des Ersten Weltkriegs (wie in Christopher Clarks Buch so treffend beschrieben als der Marsch von Schlafwandlern in die Katastrophe1), über die plötzlichen wirtschaftlichen Abstürze 1929 und 2007, die Ölkrisen von 1973 und 1979 mit ihren ausgelösten Stagflationen bis zum Kollaps der Sowjetunion. Diesen Ereignissen war gemeinsam, dass sie sich wie ein überdehntes Gummiband verhielten, das über einen längeren Zeitraum langsam bis an sein strukturelles Limit gedehnt wurde. Dann, ganz plötzlich, reißt das Gummiband in einer Millisekunde und schnalzt zurück.

Der Unterschied zwischen den oben genannten Beispielen und der heutigen Situation ist die Dichte der Diskontinuitäten, die sich aus den akkumulierten Ungleichgewichten ergeben. Diese wurzeln in der Koinzidenz technologischer und sozialer Veränderungen mit unserer, Governance-bedingt fehlenden Fähigkeit, diese Ungleichgewichte rechtzeitig zu adressieren.

Die Ungleichgewichte sind auf zwei Hauptursachen zurückzuführen: langfristige technologische und soziale Trends und Phänomene wie zum Beispiel Moores Gesetz, demografischer Niedergang und ökonomisches Missmanagement. Da sie in Wechselwirkung stehen, wird ihre kombinierte Wirkung kataklysmisch sein.

Teilweise resultiert das Missmanagement aus der Verschlechterung der Governance, die wir uns als Gesellschaft gegeben haben. Das reicht von unserem politischen System über unser entgleisendes Rechtssystem bis zu unserem wirtschaftlichen Regelwerk. Es betrifft auch die Tatsache, dass unser Erziehungssystem immer mehr verfällt und die nachfolgende Generation nicht mehr die Chance hat, die Fähigkeiten zu erwerben, die sie braucht, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.

Wir sind gerade jetzt, wo diese vermehrt auftreten werden, nicht gut darin, mit Ereignissen nach dem Muster »schwarzer Schwäne« umzugehen. Die Seltenheit des schwarzen Schwans wird abgelöst von seiner Allgegenwart. Der schwarze Schwan bekommt Junge.

Wichtige Lektionen, die frühere Generationen bereits aus historischen Ereignissen gelernt hatten, scheinen wieder vergessen worden zu sein, weil die Erinnerung an vergangene Fehlschläge und die Folgen schlechter Governance verblasst sind. Gleichzeitig erreichen aber sehr viele Entwicklungen den Punkt ihrer maximalen Instabilität.

Werden wir also wieder zu hilflosen Opfern von Kräften außerhalb unserer Kontrolle, ja sogar unseres Verständnisses? Wirft uns die bevorstehende Phase der Diskontinuität zurück in die Zeit, als die Menschen das »Schicksal«, die »Hand Gottes« oder einfach die unmessbare Unsicherheit hinnehmen mussten?

Ich glaube, dass die Antwort darauf Nein lautet. Wir müssen uns aber mit einem sehr viel systematischeren Rüstzeug bewaffnen, um Diskontinuitäten zu entdecken, zu identifizieren, zu analysieren und zu verstehen. Wir müssen zivilisatorische Techniken neu erlernen, die es uns erlauben, Ungleichgewichte regelmäßiger auszugleichen, anstatt sie aufzusparen für den großen Knall. Und wir müssen verstehen, dass kollektive Anstrengungen, diese Diskontinuitäten zu steuern, auch kollektive Instrumente erfordern, die auf der Interaktion der Individuen beruhen. Automatische und sich selbst stabilisierende kybernetische Feedbackschleifen, die auf der Weisheit vieler beruhen, werden uns weiterführen. Wir sollten uns nicht auf die Weisheit selbst ernannter Genies verlassen.

Es herrscht kein Mangel an Leuten, die solche Genialität für sich beanspruchen. Politische »Führer« unterschiedlicher Couleur, Vertreter der Planwirtschaft und Anhänger der bürokratischen Weisheit sind die falschen Propheten eines angeblich überlegenen Wissens. Sie bitten die Menschen um ein Mandat, das sie niemals werden ausfüllen können. Sie werden die Dinge nur schlimmer machen, nicht besser. Sie sind es in der Tat, deren Einfluss gerade erst die Ungleichgewichte geschaffen hat, die uns demnächst mit erstklassigen Beispielen von Diskontinuitäten versorgen werden.

Das bedeutet: Wir brauchen Stabilität durch Märkte, regelbasierte Governance und die Bereitschaft, zentrale Planung in praktisch allen Angelegenheiten über Bord zu werfen. Das ist das Rezept für eine Zukunft, in der wir unsere Fähigkeit zurückerobern werden, die Herren unseres Schicksals zu sein.

Auf den folgenden Seiten werde ich die Leser anhand mehrerer Beispiele mit dem Konzept der Diskontinuität vertraut machen. Dabei wird herauszuarbeiten sein, warum dezentrale Entscheidungsprozesse eine vielversprechendere und erfolgreichere Strategie für unser Überleben darstellen als die zentrale Planung, die Bürokratie und die angenommene Weisheit von Politikern. Ich werde auch versuchen, die Wirkung dieser Diskontinuitäten auf die politischen und wirtschaftlichen Eliten in Perspektive zu setzen. Diese Diskontinuitäten werden die Entscheidungsgrundlagen der Bürger, Unternehmen und Regierungen verändern.

In diesem Buch werden wir mehrere Beispiele von Diskontinuitäten betrachten, um uns ein Bild ihrer vielfältigen Erscheinungsformen, ihrer gegenseitigen Beeinflussung, ihrer Schnittmengen und ihrer Entfaltung zu machen. Das wird es uns erlauben, einige Hypothesen aufzustellen, um die folgenden Fragen zu beantworten:

Wie sollten wir unsere Gesellschaft organisieren, um Resilienz zu gewinnen? Die Antwort darauf ist: durch Märkte.

Sind Diskontinuitäten das Ergebnis von Entwicklungen, die wir nicht vermeiden können und die die Gesellschaft wie ein Fluch treffen? Die Antwort darauf ist Nein.

Können wir einige der Diskontinuitäten vermeiden, die sich bereits am Horizont abzeichnen? Die Antwort ist »unwahrscheinlich«, aber wir können uns vorbereiten, um besser zu überleben.

Als Beispiele habe ich einige potenzielle Diskontinuitäten ausgewählt, von denen ich glaube, dass sie in absehbarer Zeit eintreten werden. Diese Liste hat nicht den Anspruch »MECE«,2 also vollständig und schnittmengenfrei zu sein. Sie ist in ihrer Zusammensetzung eher bestimmt durch die persönliche Perspektive einer interdisziplinär betrachteten Welt mit einem Fokus auf Wirtschaft, Politik und Technologie sowie deren wechselseitige Beeinflussung. Auf den folgenden Seiten werden wir uns mit den Diskontinuitäten befassen, die uns wahrscheinlich bald unmittelbar betreffen:

die bevorstehende Zerstörung der Währungsordnung, die durch den Kollaps des Euro ausgelöst wird;

der Kollaps der Privatsphäre und Geheimhaltung, einschließlich der Privatsphäre von Regierungen, ausgelöst durch die Ankunft des Quantencomputers;

das Ende der parlamentarischen Parteiendemokratie aufgrund eines durchgängigen Elitenversagens;

das Ende des Unternehmens, wie wir es bisher kannten, das sich aus der beschleunigten Wirkung der technologischen Revolution auf die Umwelt ergibt. Dies definiert ein neues »Unternehmen der Zukunft«.

Der umfassende bewaffnete und potenziell nukleare Konflikt zwischen Europa und dem Islam, der von einer wiedererstarkten Türkei angeführt werden wird, die im Tandem mit der internationalen Muslimbruderschaft agiert.

Auf Grundlage dieser Beispiele wird verdeutlicht, wie die künftige Arbeitsteilung zwischen dezentralen Entscheidungsmechanismen (Märkten) und zentralen Entscheidungsmechanismen (Staat, Regierung) aussehen muss. Dies wird uns zu alten und bewährten Konzepten über die Definition der Arbeitsteilung von Markt und Staat zurückführen. Für die Anhänger der Österreichischen Schule wird das Ergebnis aber keine Überraschung sein.

Wir werden also zunächst die anstehende Währungsdiskontinuität untersuchen. Ein Versagen der Governance und der verantwortlichen Eliten in Form einer fehlgeleiteten Geldpolitik wird eine wirtschaftliche Störung und eine Veränderung des monetären Regimes auslösen, wie wir sie seit 1929 nicht erlebt haben (Kapitel 1, »Der Währungskollaps«). Neue Technologien in Form der Blockchain und der Kryptowährungen werden dann möglicherweise das Vakuum füllen, aber die wirklich revolutionäre Entwicklung wird sein, dass die Politik die Illusion aufgeben muss, sie könnte die Gelddruckmaschine für politische Zwecke auf ewige Zeiten anwerfen. Wenn das eintritt, werden wir einen Paradigmenwechsel hinsichtlich der Frage erleben, was eine Währung überhaupt ist.

Die nächste Perspektive wird sich auf eine spezielle Technologie konzentrieren (Kapitel 2, »Die Zukunft des Unternehmens I – Technogeddon oder: das Quantencomputer-Dilemma«). Wir werden uns ansehen, was es bedeutet, wenn die Technologie des Quantencomputers die Verdoppelungszeit der Rechenleistung nach Moores Gesetz verkürzt – erst auf Monate, dann auf Tage, dann auf Stunden – und uns so mit einem Niveau an Rechenleistung versorgt, das Verschlüsselung und IT-Sicherheit wirkungslos für unsere gesamte konventionelle globale IT-Infrastruktur macht – jedenfalls für eine gewisse Zeitdauer.

Während dieser Übergangsphase wird es das Privileg des Vorreiters der Quantencomputertechnologie sein, Zugriff und Kontrolle über alle mit dem Netz verbundenen IT-Systeme der Welt zu erlangen. Dies könnte zur größten Umverteilung von Geld und Macht in der Geschichte der Menschheit führen. Es wird auch unser Verständnis von künstlicher Intelligenz neu definieren.

In Kapitel 3 (»Das Ende der Parteiendemokratie«) werden wir die Diskontinuität des parlamentarischen Parteiensystems untersuchen, die durch das umfassende Versagen unserer politischen und juristischen Eliten ausgelöst werden wird. Sie wird unser in Europa dominierendes und scheinbar unverwundbares politisches System aus den Angeln heben. Wir werden herausfinden, dass dieses System eben nicht das Ende der Geschichte ist, noch viel weniger, dass es alternativlos ist und dass es Alternativen gibt, deren Anspruch auf Legitimität mindestens so groß ist wie der unseres gegenwärtigen Systems. Mehrere Szenarien evolutionärer und revolutionärer Entwicklung werden vorgestellt, die sich mit der Frage auseinandersetzen, was dieses System ersetzen wird: eine neue, wiedererstarkte Ordnung der Freiheit oder ein Abgleiten in ein autoritäres System oder eine paradoxe Mischung aus beiden?

Kapitel 4 (»Die Zukunft des Unternehmens II – die neue kreative Zerstörung und das Ende der Firma, wie wir sie kennen«) handelt von der sozialen Diskontinuität, die – wie die Geschichte gezeigt hat – die unausweichliche Begleiterin industrieller Revolutionen ist. Eine Kernfrage ist dabei die Geschwindigkeit der Veränderung, weil die »unternehmerische Diskontinuität« das unausweichliche Ergebnis der parallel verlaufenden und sie antreibenden technischen Revolution ist. Es wird die schiere Geschwindigkeit der Umweltveränderungen sein, die aus ihrer Gleichzeitigkeit entsteht und die die Unternehmen in ihren aktuellen Strukturen überfordert.

Es wird sich dann die Frage stellen, wie die einzelnen Diskontinuitäten und Nichtlinearitäten die Bühne für die Zukunft einer ganz neuen Art von Unternehmen bereiten. Manager sollen dadurch eine Vorstellung davon bekommen, wie die Kräfte der Veränderung neue Bedingungen dafür definieren, wie Unternehmen arbeiten, aussehen und Chancen erzeugen, die den Wohlstand der Menschen während und nach der Umwälzung bereitstellen werden. Es wird in der Tat TEOTFAWKI3 sein: das Ende des Unternehmens, wie wir es kennen.

Kapitel 5 (»Das geostrategische Vakuum«) wird sich mit den Folgen des Machtvakuums befassen, das sich aus Europas geopolitischem und militärischem Versagen ergibt. Es wird auch die Kräfte beleuchten, die das Vakuum füllen werden. In dieser Diskontinuität können wir die Folgen der demografischen Divergenz zwischen Europa und seiner Peripherie betrachten. Hinzu kommen das Versagen der Elite bei der Erkennung von Risiken, beim Lesen der Absichten der geopolitischen Gegner und der Verlust der Zielvorstellungen einer ganzen Zivilisation. Wir werden sehen, dass unsere Neigung, Konflikte zu »managen«, statt den Versuch der Lösung zu unternehmen und ihre zugrunde liegenden Ursachen anzugehen, ein klassisches Beispiel unterdrückter Volatilität darstellt. Sie führt zu einer Diskontinuität mit dem Namen Krieg.

In Kapitel 6 (»Die Ordnung der Freiheit oder der Tod der Zivilisation«) werden wir darüber diskutieren, was auf die Aushöhlung der Werte unserer westlichen Gesellschaften folgt und die Frage aufwerfen, ob eine Gesellschaft, deren Werte nicht mehr in der christlich-jüdisch inspirierten Aufklärung verwurzelt sind, in einer Welt zunehmender Komplexität und Diskontinuität überleben kann. Es ist meine Hypothese, dass der Mangel an Glauben an diese Werte, der die westliche Gesellschaft befallen hat, nicht ohne Folgen bleiben kann. Er unterminiert die Grundlagen einer stabilen Zivilisation und vermindert unsere Widerstandsfähigkeit gegen die Widrigkeiten und Herausforderungen des Lebens. Diese Herausforderungen sind Manifestationen der Volatilität, die sich aus Versuch und Irrtum ergeben, also aus der lebenslang notwendigen Lernerfahrung sowohl für das Individuum als auch für die Gesellschaft. Die Abkehr von den Werten ist einer der Haupttreiber unserer Bereitschaft, kurzfristige Schmerzen der Volatilität abzuschaffen und dafür die Gefährdung der langfristigen Stabilität durch massive Diskontinuitäten in Kauf zu nehmen.

Meine Argumentation wird darauf hinauslaufen, dass eine Ordnung der Freiheit, wurzelnd in einem spirituellen Wertegerüst, die Gesellschaft besser in die Lage versetzt, mit den anstehenden revolutionären Veränderungen zurechtzukommen. Wir müssen uns entscheiden zwischen einer Ordnung der wertegebundenen Freiheit und dem Ende der westlichen Zivilisation.

In Kapitel 7 (»Rückblick im Jahr 2035 – zwei Szenarien«) werde ich einen Blick in die Zukunft wagen: Kann man etwas formulieren, von dem klar ist, dass man es eigentlich nicht wissen kann, wenn man sich über die ungeheure Komplexität im Klaren ist? Kein Individuum und keine Bürokratie kann sie erfassen. Es geht dabei um einen Blick in die Zukunft und ihre Beschreibung, als würden wir von dort aus zurückschauen.

Aber obwohl wir wissen, dass das unmöglich ist, ist es wohl möglich, zwei Szenarien einer möglichen, denkbaren Zukunft zu skizzieren, deren Eintreten im Wesentlichen von einer großen Entscheidung abhängt, die wir als Gesellschaft treffen müssen: Wollen wir darauf vertrauen, dass die dezentrale Organisation des Marktes das beste kollektive Entscheidungssystem ist, das die Menschheit bisher als Ergebnis eines evolutionären Prozesses entwickelt hat? Oder denken wir, dass bürokratische Institutionen, betrieben von einer kleinen Zahl von Menschen die besseren Entscheidungen für die Allokation der Ressourcen treffen können?

Erforschen wir mithilfe des Marktes das unbekannte Land, das sich bisher immer als der beste Ort für den Menschen erwiesen hat? Oder gehen wir in die Dystopie der bürokratischen Tyrannei, die uns Utopia verspricht, aber ohne Ausnahme in der Geschichte die Hölle auf Erden geliefert hat?

KAPITEL 1

Der Währungskollaps

»Das also war des Pudels Kern.«

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE, FAUST I, VERS 1323

Viel wurde geschrieben und diskutiert über die Probleme, die sich aus dem geldpolitischen Dilemma ergeben, in dem die Zentralbanken global wie zwischen Skylla und Charybdis seit zehn Jahren gefangen sind. Nach der US-Hypothekenkrise und dem nachfolgenden Kollaps von Lehman Brothers im Jahr 2008 haben die Zentralbanken in allen großen Wirtschaftsblöcken, den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union, Japan und China die gleiche Politik verfolgt: Zuerst wurden die Zinsen gesenkt, und billige Liquidität wurde für die Banken bereitgestellt. Mit »Forward Guidance« wurde den Investoren signalisiert, dass sie auf lange Zeit keine steigenden Zinsen zu erwarten hatten. Damit formte man die Erwartungen, die normalerweise von den Märkten geformt werden. Als die Eurokrise begann, kippte diese Politik in eine massive monetäre Expansion um, die gekennzeichnet war von negativen Zinsen und dem sogenannten Quantitative Easing insbesondere durch die Europäische Zentralbank (EZB). Im Zuge dessen hat die EZB eine Bilanz von über 4000 Milliarden Euro aufgetürmt. Mehr als 2,4 Billionen Euro davon bestanden aus dem Ankauf von Anleihen der Mitgliedstaaten der Eurozone, ihrer Banken, Unternehmen und Verbriefungen.

Der offizielle Grund für die Maßnahmen war die Abwehr angeblich drohender deflationärer Gefahr, die ihren Ausdruck in einer vorübergehenden negativen Entwicklung der Konsumgüterpreise fand. Die Inflationsrate war für wenige Tage unter 0 Prozent gefallen, wobei die Kerninflationsrate unbeirrt bei 1 Prozent verharrte.

Der wahre Grund hatte natürlich damit ganz offensichtlich gar nichts zu tun.

Es war bekannt, dass die negative Veränderung des Konsumgüterpreisindex das Ergebnis fallender Ölpreise war, die sich aber im Rahmen der üblichen Volatilität dieses Rohstoffs bewegten. Diese kurzfristigen Entwicklungen sind häufig, und aus gutem Grund haben sie in der Vergangenheit nicht als gute Wegweiser für die Geldpolitik gedient. Das galt jedenfalls für die Zentralbanken, die stabiles Geld, stabile Preise und eine langfristige wirtschaftliche Perspektive in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen gestellt haben.

Worum es wirklich ging, war die schlichte Umverteilung des Gelds von Europas Sparern an Europas überschuldete Regierungen. Konkret ging es dabei um Griechenland, Zypern, Italien, Frankreich, Spanien, Portugal und Belgien. Sie waren es, die der Präsident der EZB und die Mehrheit des Zentralbankrats im Sinn hatten. Das sollte auch keine Überraschung sein. Der Umstand, dass die Governance des EZB-Rats der Regel »Ein Land – eine Stimme« folgt, stellt sowohl die demokratische Kontrolle als auch die Unabhängigkeit der Geldpolitik auf den Kopf. Die eine Stimme, die beispielsweise Zypern repräsentiert, das nur etwas über 1 120 000 Einwohner hat, hat das gleiche Gewicht wie die Stimme, die Deutschland mit über 82 Millionen Bürgern vertritt.

Auf diese Weise wurde die Geldpolitik skrupellos und illegal für die Umverteilung von etwa einer Billion Euro zum Vorteil der verschwendungssüchtigen und korrupten Regierungen missbraucht in der Hoffnung, dass diese entgegen jeder vernünftigen Erwartung dieses Geschenk als Anreiz verstehen würden, ihre Ausgaben zu drosseln und ihre verschwenderische Politik zu beenden. Natürlich passierte nichts dergleichen. Die Defizite wurden weiterhin angehäuft, und nach 10 Jahren ultralockerer Geldpolitik ist der Sumpf der Schulden tiefer als je zuvor.

Die Architekten dieser Politik in der Europäischen Zentralbank beschäftigen Hunderte von Menschen mit einem Universitätsabschluss in Wirtschaftswissenschaften. Sie folgen der führenden Schule ihrer Disziplin, dem Keynesianismus, in seinen unterschiedlichen Geschmäckern, Varianten und changierenden Farben. Der Keynesianismus und sein makroökonomisches Rahmenwerk stellen das ideologische Gerüst für all die Politiker zur Verfügung, die auf der Suche nach Argumenten das Ausgeben von mehr Geld befürworten, weil sie damit Stimmen kaufen können. Er betrachtet die Wirtschaft, indem er ihre Teilnehmer in stark aggregierte Gruppen einteilt, als da wären »der Staat«, »die Konsumenten«, »der Unternehmenssektor« usw. Er benutzt ein System von Kreislaufdarstellungen, bei denen Güter und Geld zwischen diesen Aggregaten hin und her fließen und so das Gesamtverhalten des Systems determinieren. Daher der Begriff »Makroökonomie«, die sich mit Aggregaten befasst, im Gegensatz zur »Mikroökonomie«, die sich mit dem Verhalten der einzelnen ökonomischen Agenten und den Anreizen, denen sie unterliegen, befasst.

Dieser Ansatz kreiert wirtschaftliche Modelle die, was keine Überraschung ist, den Anspruch erheben, das Verhalten der aggregierten Einheiten erklären zu können. Das Problem dabei ist aber, dass diese Modelle überhaupt nichts erklären. Die wahren Antriebe wirtschaftlichen Verhaltens sind Millionen Individuen, die riesige Mengen an Informationen sammeln und verarbeiten und die Bedürfnisse und Neigungen entwickeln. Nutzenfunktionen und aus ihnen resultierende Handlungsweisen können aus dem keynesianischen Ansatz nicht abgeleitet werden.

Die wirtschaftswissenschaftliche Akademikerindustrie ist damit beschäftigt, die Beobachtungen der Vergangenheit mit frischen, neuen Ideen und Erklärungsansätzen für das Verhalten dieser Aggregate erklären zu wollen. Und das Ganze nur, um beim nächsten Zyklus der Ereignisse festzustellen, dass die ex-post, also im Nachhinein gemachten Beobachtungen das ganze schöne Modell wieder über den Haufen werfen. Diese Modelle versagen komplett, wenn sie künftige Ereignisse, Verhaltensmuster oder Entwicklungen erklären sollen.

Der ultimative Test eines wissenschaftlichen Erklärungsmodells ist seine Fähigkeit zur Reproduktion von Ergebnissen. Das passiert in der modernen Wirtschaftswissenschaft nur zufallsbedingt. Der Kreislauf der Güter und der entgegengesetzt fließende Kreislauf des Geldes in den keynesianischen Modellen hat mit den realen Bedingungen unserer Wirtschaft etwa so viel zu tun, wie eine Uhr mit der Zeit: Sie können es messen und beschreiben, aber sie sind niemals in der Lage, das Phänomen zu erklären.

Diese Niederlage hält aber die Verkünder dieses Aberglaubens nicht davon ab, für sich die eine und einzige Wahrheit in der Wirtschaftswissenschaft zu beanspruchen. Mit dem Fortschreiten der Jahre (und der Vergrößerung der Datenozeane) werden unzählige Komplikationen in ihre Modelle eingebaut. Ermöglicht wird das durch die immer weiter steigende Rechenleistung unserer Computer, die es erlauben, ein scheinbar unbegrenztes Maß an Komplexität zu handhaben. Damit versucht man, die Abweichungen der Realität vom Modell weg zu erklären. Die Wirtschaftswissenschaft unserer Tage verhält sich wie die offizielle Astronomie der frühen Renaissance, als die Machthaber nicht in der Lage waren, das heliozentrische Modell der Welt zu akzeptieren. Stattdessen erfand man immer neue Komplikationen, die man Epizyklen nannte, um zu beweisen, dass die Erde im Mittelpunkt des Universums stand und dass die Sonne um sie kreiste, wie auch alle anderen Himmelskörper das tun sollten.

Die keynesianische Schule der Wirtschaftswissenschaft ist mit der Macht auf die gleiche Weise verheiratet, wie das geozentrische Modell des Universums dies vor 400 Jahren gewesen ist. Beide dienen bzw. dienten als Instrument des Machterhalts. Im 17. Jahrhundert formte die Religion die Basis, heute dient diese Erklärung der Welt den Regierungen und Bürokraten als Rechtfertigung, unser Leben zu managen, und zwar in einer Weise, die die Volatilität abschafft.

Der Grund dafür ist einfach der, dass die Leute das Risiko hassen. Sie wissen und sie akzeptieren es nicht, dass Volatilität das notwendige Nebenprodukt der Veränderung ist, die man Fortschritt nennt. Fortschritt ist die Ansammlung von Information und Wissen, auch Lernen genannt. Fortschritt erfolgt durch Versuch und Irrtum. Irrtum bedeutet Verluste. Verluste sind unangenehm, und sie sind schlecht für die Wiederwahl in unserer heutigen Parteiendemokratie.

Der Keynesianismus wurde mit der erklärten Absicht in die Welt gesetzt, die Volatilität der Konjunkturzyklen zu glätten, indem man beanspruchte, den Heiligen Gral für ihre Erklärung gefunden zu haben. Dieser Heilige Gral ist die Nachfrage. In Wahrheit ist die Nachfrage aber nicht der Heilige Gral, sondern bestenfalls eine Heilige Kuh. Nachfrageschwankungen sind nicht die Ursache, sondern die Wirkung der ihnen zugrunde liegenden mikroökonomischen Verhaltensänderungen und individuellen Entscheidungen, die ihre Wurzeln in der besten Maschine zur Beherrschung der Komplexität auf dem Planeten haben. Das ist der Markt.

In der Nachfrage hat der Keynesianismus die Erklärung für so ziemlich alles gefunden. Und in der Wirtschaftswissenschaft gilt, was für die meisten anderen Aspekte der Realität überhaupt gilt: dass jede komplizierte Frage eine einfache Antwort hat, die … falsch ist.

Jedes Problem in der Wirtschaft wird einer abwärts gerichteten Fluktuation der Nachfrage zugeordnet. Die Industrie investiert nicht genug: Die Investitionsnachfrage geht zurück. Die Konsumenten haben kein Vertrauen: Die Konsumnachfrage lässt nach. Der Staat möchte seine Finanzen in Ordnung bringen (Scherz!): Die öffentliche Nachfrage sinkt. Da Industrie und Konsumenten nicht zur Nachfrage gezwungen werden können (solange man nicht zu einer kompletten Planwirtschaft übergeht, bei der die Nachfrage niemals knapp ist, das Angebot aber dafür umso knapper), übernimmt der Staat die Rolle als ewiger Nachfragepuffer. Jedes Mal, wenn die Nachfrage außerhalb des staatlichen Sektors sinkt, wird sich ein »Spezialist« finden, der nach »Maßnahmen« ruft. Die Regierung häuft Schulden an, um mit neuen Ausgabenprogrammen Nachfrage zu erzeugen. Üblicherweise werden dabei die lautesten Stimmen im Nest der Lobbyisten am meisten bedacht.

Wenn die vorübergehende »Nachfrageschwäche« bei Investitionen oder Konsum wieder nachlässt, bleibt uns das von der Bürokratie angelegte Ausgabenprogramm natürlich erhalten. Im Lauf der Zeit wächst so der Anteil des Staates an der Wirtschaft, und es wächst die öffentliche Schuldenquote. Die Industrie genießt natürlich die zusätzliche Nachfrage des Staates, spült es ihr doch Gewinne in die Kassen, für die sie keine strukturellen Veränderungen durchlaufen musste. Schlechte Investitionen, die nicht auf die wirkliche Nachfragestruktur der Wirtschaft ausgerichtet sind, sammeln sich an und erzeugen ein Ungleichgewicht, das die keynesianischen Supermodelle natürlich nicht entdecken können, weil sie mit Informationen über relative Knappheiten, wie sie von den Preisen in den Märkten signalisiert werden, nichts anfangen können.