Wenn Wunder wahr werden - Bianca Birkorth - E-Book

Wenn Wunder wahr werden E-Book

Bianca Birkorth

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Beschreibung

Sandy und Mandy, zwei junge Mädchen, lernen sich im Internat in Bremen kennen, in dem sie ihr Abitur machen sollen. Sie verstehen sich blendend - so gut, dass ihre Schulkameraden schon munkeln, sie müssten lesbisch sein. Zufällig treffen sie sich wieder, als sie ihr Biologiestudium beginnen. Ein Unglück enthüllt ein großes Familiengeheimnis, das ihr bisheriges Leben bis in die Grundmauern erschüttert. Sie können es nicht fassen. Eine Serie von dramatischen Wendungen führt die beiden nach Kroatien und Mallorca. Es beginnt ein Kampf mit Eifersucht, Betrug und Misstrauen und schließlich finden sie ihre große Liebe.

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Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Impressum:

© Verlag Kern GmbH, Ilmenau

© Inhaltliche Rechte beim Autor

1. Auflage, Juli 2020

Autorin: Bianca Birkorth

Layout/Satz: Brigitte Winkler, www.winkler-layout.de

Lektorat: Ulrike Rücker

Sprache: deutsch

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

ISBN: 978-3-95716-330-1

ISBN E-Book: 978-3-95716-310-3

www.verlag-kern.de

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Übersetzung, Entnahme von Abbildungen, Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, Speicherung in DV-Systemen oder auf elektronischen Datenträgern sowie die Bereitstellung der Inhalte im Internet oder anderen Kommunikationsträgern ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags auch bei nur auszugsweiser Verwendung strafbar.

Bianca Birkorth

Wenn Wunder wahr werden

Kapitel 1

Der Sommer neigte sich seinem Ende zu. Es stimmte mich immer ein wenig traurig, wenn er begann, sich zu verabschieden. Frühling und Sommer – das waren nun einmal die Jahreszeiten, die ich liebte. Der Frühling brachte das Erwachen der Natur, alles grünte und blühte, und ganz ehrlich, ich fühlte mich dann jedes Mal wie ein Bär, der aus dem Winterschlaf erwacht. Am Sommer liebte ich die Wärme und die lauen Lüfte. Unser Badesee war nicht weit entfernt und ich konnte, wenn ich Lust hatte, schon am frühen Morgen dort eine Runde schwimmen. Um diese Zeit war kaum mal jemand am See. Einfach traumhaft. Und so traute ich mich auch schon mal nackt hinein – es ist einfach so ein wunderbares Gefühl, wenn das Wasser sanft über den Körper streichelt.

Schön waren auch die Abende, die ich so gern mit Freunden beim Grillen und bei einem Glas Wein oder auch mal einem Bier in vollen Zügen genoss. Sicher haben für viele Menschen auch der Herbst und der Winter seinen Reiz, doch ich gehörte definitiv nicht dazu.

Gerade ließ ich die letzten Wochen in Gedanken noch einmal Revue passieren und freute mich daran, wie schön sie gewesen waren. Sandy, meine Freundin, die ich in Bremen im Internat kennengelernt hatte, hatte mir drei wunderschöne Wochen auf ihrer Insel geschenkt. Natürlich war es nicht wirklich ihre Insel, aber sie sagte es immer so. Sie lebte auf Helgoland und zeigte mir in diesen gemeinsamen Wochen alles, was die Insel zu bieten hatte. Ein kleines Paradies in der Nordsee, dachte ich sofort. Und das war es wirklich. Ein absoluter Traum. Die Wildheit des Meeres, die ganze Atmosphäre und die Menschen, aber auch die Hummerbuden, das Museum, die lange Anna – ich konnte mich kaum sattsehen. Und dann der alte Luftschutzbunker – Gänsehaut pur. Besonders faszinierte mich auch die Biologische Anstalt … eigentlich fand ich alles wahnsinnig interessant und spannend.

Wir erkundeten die ganze Insel. Sandys Verwandte, bei denen ich wohnen konnte, hatten ein Haus im Oberland und lebten schon ewig hier. Von dort starteten wir unsere Abenteuer. Es war so idyllisch, auch wenn in den Sommermonaten jeden Tag die Schiffe aus Hamburg oder Cuxhaven kamen und mit ihnen viele Touristen. Am Abend kehrte dann meist wieder Ruhe ein, da viele nur für einen Tag auf die Insel kamen, um Bernstein oder zollfreie Ware zu kaufen oder einfach die Strände und Schönheiten der Natur zu genießen. Die Einwohner hier hatten sich schon lange daran gewöhnt, viele verdienten auch an den Touristen, und in den kälteren Monaten war es dann ja auch wieder ruhiger.

An einem Tag zeigte mir Sandy die Robben, die sich am Strand die Sonne auf den Bauch scheinen ließen. »Schau mal«, sagte sie, »da am Strand! Kannst du die Jungtiere sehen?«

Sie hatte ein Fernglas mitgenommen, da wir nicht so nah an die Jungen herangehen wollten. Das reichte sie mir nun und ich konnte die Tiere genau beobachten.

»Wann kommen denn die jungen Robben auf die Welt?«, fragte ich Sandy interessiert und konnte meinen Blick nicht abwenden.

»Von Mai bis Juni, manchmal auch erst im Juli. Sie gebären sie auf den Sandbänken draußen in der Nordsee. Nach einigen Wochen kommen sie dann mit ihnen an den Strand zurück. Schau mal, wie flink sie schon sind.«

Das war mir auch schon aufgefallen. Und niedlich sahen sie aus, die Kleinen.

Oft gingen wir schwimmen. Wir hatten so unglaubliches Glück mit dem Wetter. Sonne pur und das wochenlang, einfach herrlich. An einem Tag war es recht kühl und stürmisch – und da bei Sturm besonders viele Bernsteine angespült wurden, wollte Sandy mit mir unbedingt welche sammeln gehen. Natürlich musste man schon früh aufstehen, denn die Bernsteinsucher, die hier auf der Insel lebten oder Urlaub machten, waren immer schon zeitig unterwegs. Sobald es hell war, machten wir uns also auf zum Strand. Und das Glück war mir tatsächlich hold – ich fand so an die zwanzig Bernsteine. Sie waren nicht besonders groß, aber ich freute mich über jeden einzelnen. »Ein Wunder der Natur«, sagte ich, während ich einen der Steine zwischen meinen Fingern ins Licht hielt. Sandy lachte. »Da hast du wohl recht. Wenn man bedenkt, wie alt sie sind – über 35 Millionen Jahre.«

»Wahnsinn!«, brachte ich heraus.

»Lass dir doch aus einem Stein einen Anhänger machen«, sagte Sandy da und zeigte mir ihre Kette, die ihr die Verwandten zum Geburtstag haben anfertigen lassen. Ein wirklich wunderschönes Stück. Der Stein war nicht viel größer als die, die ich gefunden hatte, hatte kleine Einschlüsse wie meine und war in eine wunderschöne Fassung eingepasst worden. Ich nahm mir vor, etwas Ähnliches als Andenken an die wunderschöne Zeit hier herstellen zu lassen und suchte meine Steine nach einem geeigneten durch. Schließlich hatte ich einen etwas größeren Bernstein in der Hand, dessen Einschluss mich an einen kleinen Krebs erinnerte. Zu Hause besahen wir ihn uns unter Sandys Lupe genauer und kamen schnell überein, dass es wirklich wie ein winzig kleiner Krebs aussah. Wunderschön war der Stein. Sandy erkannte, dass er fast die Form eines Herzens hatte, und ich musste ihr recht geben. Sobald ich zurück in Bonn war, würde ich ihn zu einem mir bekannten Juwelier bringen.

Mein Urlaub neigte sich bald dem Ende, noch drei Tage, dann musste ich mich von meiner Freundin Sandy verabschieden. Es fiel mir nicht leicht, aber was sein muss, muss sein. Das sagte mein Vater immer und ich musste schmunzeln, wenn ich an seine Sprüche dachte. Sandy und ich wussten nicht, wann wir uns wiedersehen, was es noch schwerer machte. Wir waren uns so nah. Oft dachte ich etwas, und kurz danach sprach sie es aus. Es herrschte einfach eine sehr starke Verbundenheit zwischen uns. Und dafür war ich dankbar. Wir hatten uns zwar nicht gesucht, aber durch viele glückliche Umstände gefunden. Die letzten Tage waren so auch etwas wehmütiger. Sandy gestand mir: »Wenn du nicht da bist, kommt es mir vor, als sei ein Teil von mir nicht mehr hier.«

»Wie ein Hund ohne Schwanz«, lachte ich. Wir sahen uns an und prusteten beide los.

Doch mir war auch klar, dass wir einander vermissen würden. Und ich fragte mich: War das noch normal, oder liebte ich Sandy auf ein andere Art und Weise? Nein, ich hatte sie einfach nur gern, das war alles, beruhigte ich mich schnell wieder. Doch dann fragte ich Sandy, wie ihre Gefühle mir gegenüber aussahen. Sie lachte nur. »Glaub bloß nicht, dass ich dich als Frau begehre! Nein, ich hab dich lieb wie eine Schwester.«

Ich war erleichtert, doch irgendwie wollten sich meine Gedanken gar nicht recht beruhigen. Sandy sah es mir an und fragte: »Du denkst immer mal daran, was die anderen in der Schule über uns gesagt haben, stimmt‘s?«

Ich sah zu Sandy auf und nickte.

»Mach dich doch nicht verrückt. Wir wissen, dass es nicht so ist, wie manche behaupteten.«

»Du hast ja recht«, antwortete ich. »Warum sich über etwas Gedanken machen, das nicht ist?«

Und Sandy hatte es ja auch ganz richtig formuliert. Auch ich empfand wie für eine Schwester. Jedenfalls habe ich mir immer vorgestellt, dass es so sein müsste.

Ich dachte an unsere Schulzeit zurück, an die Jahre im Internat. Und so schlimm, wie ich anfangs befürchtet hatte, war es dann gar nicht. Klar, ich wäre auch lieber bei meinen Eltern gewesen, doch das war damals nicht möglich.

Wir waren beide am gleichen Tag in das Internat nach Bremen gekommen. Sandys Verwandte hatten sich dazu entschieden, weil ihre Eltern einfach keine Zeit für sie hatten und sie ihr eine gute Schulbildung bieten wollten. Auch ich musste wegen der beruflichen Situation meiner Eltern in einem Internat die Schule beenden. Sie arbeiteten beide auf einem Kreuzfahrtschiff. Mein Vater war dort Chefkoch und meine Mutter als Restaurant-Steward tätig. Ich hab mich immer gefragt, warum sie nicht an Land arbeiten konnten, mein Vater erklärte mir aber, dass es von Kindheit an sein großer Traum gewesen war, auf einem Schiff als Koch zu arbeiten. Das konnte ich ja nachvollziehen, aber warum nicht wenigstens meine Mutter bei mir bleiben konnte, wollte mir nicht in den Kopf. Natürlich, sie wollte nicht ständig von ihrem Mann getrennt sein, und als er mir erzählte, wie sie sich kennen- und lieben gelernt hatten, verstand ich das auch. Doch war es schwer zu akzeptieren, dass damit für mich kaum Zeit blieb. Oft fühlte ich mich abgeschoben.

Als ich dann im Internat Sandy kennenlernte, war das ein großer Trost für mich. Wir waren dann schnell ein Traumgespann: Sandy und Mandy – wir mussten uns wahrscheinlich einfach finden.

Als der Abschied nun näher rückte, versprach ich Sandy deshalb auch, dass dies nicht mein letzter Besuch gewesen sein sollte. Und ich freute mich riesig, als auch ihre Verwandten versprachen, dass sie mich jeder Zeit gern wieder auf der Insel begrüßen würden. Das war so lieb von ihnen, und gerne hätte ich mich finanziell an den Unkosten beteiligt, wenigstens das Essen wollte ich bezahlen. Doch sie lehnten alles freundlich ab, wollten einfach kein Geld von mir nehmen. Also beschloss ich, für Sandys Tante wenigstens ein kleines Geschenk zu besorgen, damit ich mich nicht ganz so schlecht fühlte. Die Kette, die ich schließlich fand, gefiel ihr so gut, dass sie gar nicht mehr aufhören wollte, sich zu bedanken. Dabei hatte doch ich zu danken. Alle hier hatten mir so schöne Wochen bereitet, was nicht selbstverständlich ist, wenn man sich so gar nicht kennt. Erst später sollte ich erfahren, dass wir uns so fremd gar nicht waren …

Sandy wollte mich an Land begleiten, doch ich konnte es ihr ausreden. Der Abschied würde so nicht leichter und sie hätte einen der Fischer fragen müssen, ob er sie an Land bringen und wieder mit zurück nehmen würde. Das war alles viel zu umständlich und zu teuer. Also beschlossen wir, uns auf Helgoland zu verabschieden.

»Ich muss aufpassen, dass ich nicht anfange, zu weinen«, sagte ich zu Sandy. Sie nickte nur und ihre Stimme klang belegt, als sie antwortete: »Mir gehts genauso, ich könnte losheulen.«

Wir umarmten uns und ich bestieg mein Schiff nach Cuxhaven. Dort hatte ich mein Auto bei einer Freundin untergestellt. Gloria ist mit uns zur Schule gegangen, war dann aber nach Cuxhaven gezogen, um in der Nähe ihrer Eltern zu sein. Sie waren beide Ärzte und auch Gloria wollte nun Medizin studieren. Ihre Eltern hatten ihr eine Eigentumswohnung gekauft, zwar nicht besonders groß, aber für sie reichte es allemal. Gloria und ich hatten verabredet, dass ich nach meinem Urlaub noch einen Tag bei ihr bleibe und ich sie zum Essen einlade, als kleines Dankeschön dafür, dass ich mein Auto bei ihr stehen lassen durfte.

Am nächsten Tag machte ich mich auf den Heimweg. Ich wäre gerne noch länger bei Sandy geblieben, aber ich hatte mir vorgenommen, mich für das kommende Semester an der Uni in meiner Heimatstadt einzuschreiben. Lange hatte ich überlegt, was ich studieren sollte, vieles interessierte mich, doch durch meinen Besuch auf Helgoland, bei dem ich wieder einmal gemerkt hatte, wie sehr ich mich der Tier- und Pflanzenwelt und überhaupt der ganzen Natur verbunden fühlte, entschied ich mich nun, mich näher zu einem Biologiestudium zu informieren. Wäre das doch nicht so mein Fall, könnte ich ja immer noch etwas anderes studieren.

So viel ging mir während der Fahrt nach Hause durch den Kopf. Und immer wieder schweiften meine Gedanken ab zu der schönen Zeit mit Sandy. Ich trauerte den fantastischen Wochen, die viel zu schnell vergangen waren, nach und dabei fiel es mir schwer, mich auf den Verkehr zu konzentrieren. Ich musste mich mächtig zusammenreißen. Zum Glück war die Autobahn nicht so voll. Ich stellte das Radio an, um mich ein bisschen abzulenken, und erreichte schließlich die Autobahnausfahrt.

Genau vor meiner Haustür fand ich einen Parkplatz und fuhr in die Lücke. Ich stellte den Motor ab, ließ aber das Radio noch laufen und nahm erst einmal einen kräftigen Schluck aus meiner Wasserflasche, die neben mir auf dem Sitz lag. Zum Aussteigen konnte ich mich nicht bewegen. Schließlich würde ich in eine leere Wohnung zurückkehren, was mir gerade sehr zu schaffen machte nach den letzten geselligen Wochen. Nun würde ich wieder alleine sein den ganzen Tag, was mir immer weniger gefiel. Aber was sollte ich machen? Ich hatte nicht einmal Geschwister, zu denen ich mich jetzt flüchten könnte, was ich immer schon bedauert hatte. Aber was nicht ist, ist nicht.

Durch meine Klimaanlage war es angenehm kühl im Auto. So blieb ich einfach sitzen und kehrte in Gedanken noch einmal zurück auf die Insel. Schön hatte es meine Freundin dort, doch auch ihr war es immer mal wieder langweilig und sie fühlte sich allein, trotz der Verwandten. Natürlich hatte sie auch Freunde auf der Insel, aber die hatten auch nicht immer Zeit. Als wir zusammen waren, hat sie mir einiges aus ihrem Leben erzählt, das ich vorher nicht gewusst hatte. Sandys Verwandte haben sie schon als kleines Kind aufgenommen, da ihre Eltern ständig beruflich in der ganzen Welt unterwegs waren. Sie waren Archäologen und reisten von einer Ausgrabung zur nächsten. »So spannend der Beruf auch ist, für mich wäre das nichts«, hatte sie gemeint. »Ich brauche was Bodenständiges.«

Mir ging es ganz genauso, und deshalb freute ich mich auch auf den neuen Lebensabschnitt und das Studium. Wir waren eben erwachsen geworden. Allerdings fragte ich mich manchmal, ob unsere Eltern das überhaupt mitbekommen hatten.

Ich sah auf meine Uhr und erschrak. Ich hatte tatsächlich über eine Stunde im Auto gesessen und geträumt. Und es genossen. Nun zog ich seufzend den Schlüssel ab, stieg aus, holte mein Gepäck aus dem Kofferraum und ging in die Wohnung.

Mich empfing abgestandene Luft und so öffnete ich erst einmal alle Fenster. Dann wurde mir schlagartig bewusst, dass ich nun wieder allein war und wie sehr mir Sandy fehlte. Der Gedanke, dass ich doch lesbisch sein könnte, beschlich mich sofort wieder. Quatsch, dachte ich im nächsten Augenblick, ich vermisse sie ja nicht sexuell. Ihre unbeschwerte Art, ihr fröhliches Wesen, das liebte ich an ihr. Ich war da schon etwas schwerfälliger.

Da fiel mir ein, dass ich sie anrufen wollte, sobald ich angekommen war. Schnell nahm ich mein Handy zur Hand und sah, dass der Akku fast leer war. Ich hängte es an den Strom und rief vom Festnetz aus an.

Sandy war sofort dran. »Mensch, Mandy, ich habe mir schon Sorgen gemacht. Du wolltest doch gleich anrufen.«

»Es tut mir leid«, begann ich und erzählte ihr dann von meiner Heimfahrt und der Stunde im Auto.

»Ach, Mandy, ich vermisse dich jetzt schon«, sagte Sandy da.

»Mir geht es nicht anders. Es war so schön mit dir.«

Einen Augenblick schwiegen wir beide, dann erzählte Sandy, dass ihre Eltern sich gemeldet haben und sie in der nächsten Woche besuchen würden.

»Schön, das freut mich für dich.«

»Und wann siehst du deine Eltern wieder?«, fragte sie dann.

»Gute Frage, nächste Frage«, entgegnete ich nur und fügte nach einem tiefen Seufzer hinzu: »Ich weiß es nicht. Sie wollten sich melden, wenn ich wieder zu Hause bin. Das Datum hatte ich ihnen geschrieben. Ich warte mal ab.«

Wir unterhielten uns noch einen Moment, verabschiedeten uns dann und kaum hatten wir aufgelegt, musste ich an meine Eltern denken. Bei meiner Mutter hatte ich immer das Gefühl, ihr lästig zu sein. Warum eigentlich? Dieser Gedanke ließ mich einfach nicht los. Sie war mir nie eine richtige Mutter gewesen. Ich hatte sogar immer das Gefühl, dass sie mich nur widerwillig in den Arm nahm. Abgesehen davon, dass sie sich nicht wirklich um mich kümmerten, war meine Mutter auch eher distanziert und kühl. Bei meinem Vater spürte ich schon eher Liebe zu mir, aber auch er hatte mich ja abgeschoben. Und ich selbst? Ja sicher, ich liebte meine Eltern, doch hatte ich sie kaum um mich herum. Als ich geboren wurde, war meine Mutter natürlich an Land geblieben, aber arbeitete eben auch den ganzen Tag. Versorgt haben mich andere. Mein Vater erklärte mal, dass die Bezahlung an Land eben nicht so gut war, und da sie sich eine Eigentumswohnung für ihren Ruhestand gekauft hatten, die noch abbezahlt werden musste, waren sie auf den guten Verdienst auf dem Schiff angewiesen. Das konnte ich natürlich gut verstehen. Auch, dass sie ihrem einzigen Kind irgendwann mal etwas hinterlassen wollten. Doch das hatte mich als Kind nicht interessiert und heute auch nicht. Ich wollte immer nur bei ihnen sein.

So aber musste ich schon früh selbstständig sein, meine Mutter war schließlich nie zu Hause, wenn ich aus der Schule kam. Immer kam ich in eine leere Wohnung, und schön fand ich das schon damals nicht. Ich war sogar immer ein bisschen neidisch, wenn mir jemand erzählte, dass seine Mutter immer schon mit dem Essen auf ihn wartete, wenn er nach Hause kam. So etwas kannte ich gar nicht. Mein Essen war vorgekocht, das musste ich dann nur in der Mikrowelle erwärmen. Danach habe ich meine Hausaufgaben gemacht und mich dann um die Aufgaben gekümmert, die mir meine Mutter auf einen Zettel geschrieben hatte. Wenn ich Glück hatte, war sie am Abend mal pünktlich zu Hause, um mir noch »Gute Nacht« zu sagen, was aber selten genug vorkam. Oft sah ich sie nur am Morgen. Wenn ich sie darauf ansprach, sagte sie immer, sie müsse Überstunden machen, wir bräuchten das Geld. Im Grunde aber war sie lieber außer Haus, das spürte ich und ich fragte mich natürlich, warum man überhaupt Kinder in die Welt setzt, wenn man sich dann nicht um sie kümmern will.

Ich würde es einmal ganz anders machen, das hatte ich mir schon als Kind vorgenommen. Aber noch war es ja nicht so weit, ich hatte ja nicht mal einen festen Freund. Ich lernte natürlich immer mal wieder jemanden kennen, aber bisher war keiner für etwas Festes infrage gekommen. Die meisten waren mir viel zu unreif. Außerdem vermisste ich auch nichts – bis auf meine Eltern und Sandy.

Wir hatten übrigens nicht nur einen ähnlichen Vornamen, fast gemeinsam Geburtstag – sie am 28. Februar und ich am ersten März –, sondern wir hießen auch noch beide Schneider. Gut, das war natürlich ein weitverbreiteter Name, aber mir hatte dieser Zufall damals schon gut gefallen. Irgendwie fühlte ich mich ihr dadurch noch näher. Als sie mir dann erzählte, dass ihre Eltern ständig in der ganzen Welt unterwegs waren und im »Dreck buddelten«, wie sie das ausdrückte, spürte ich noch mehr, wie ähnlich wir uns waren. Irgendwann erfuhr sie, dass ihre Eltern eigentlich niemals Kinder haben wollten, sie also ein »Unfall« war. Unglaublich traurig fand ich das. Umso schöner war es, dass wir uns gefunden hatten. Wir freundeten uns sehr schnell an, machten bald alles gemeinsam. Im Unterricht saßen wir nebeneinander und wir teilten auch ein Zimmer. Das war allerdings ein Zufall. Das Mädchen, das eigentlich auf meinem Zimmer war, wurde plötzlich nach Hause geholt, da ein Elternteil tödlich verunglückt war.

Sandy und ich jedenfalls waren wie Pech und Schwefel, wir schlossen den Rest einfach aus, was vielen ein Dorn im Auge war. Wir waren natürlich auch mit anderen befreundet, aber nicht so eng wie miteinander. Eigentlich verbrachten wir jede freie Minute zusammen. Schnell haben damals alle vermutet, wir wären Lesben. Ein Schulkamerad sagte mir auf den Kopf zu: »Mit euch stimmt doch was nicht, da läuft doch was. Ihr seid bestimmt zusammen.« Ich verneinte natürlich und erklärte, dass wir nur Freundinnen sind, aber er wandte sich mit einem »Wer es glaubt!« ab. Und er stand nicht allein mit seinem Verdacht, auch andere Klassenkameraden dachten, dass wir lesbisch sind. Sandy sagte nur: »Ach, lass sie doch einfach reden. Es bringt nichts, sich darüber aufzuregen. Umso mehr du es bestreitest, umso mehr glauben sie, dass sie recht haben.«

Irgendwann hörte ich dann einfach nicht mehr hin und sagte mir, sollten sie doch alle glauben, was sie wollten, sollten sie sich doch den Kopf darüber zerbrechen, es juckte mich nicht mehr.

Seit der Internatszeit jedenfalls war ich nicht mehr so allein, und Sandy empfand es genauso. Schließlich waren wir beide Einzelkinder und ohne wirkliche elterliche Fürsorge. Sie sagte mal zu mir, dass sie später auf jeden Fall zwei Kinder haben wollte und wieder einmal waren wir der gleichen Meinung. Ich hatte noch gelacht und gesagt: »Es können auch mehr werden«, doch dann dachte ich daran, was meine Mutter mal gesagt hatte. »Heutzutage ist es nicht ganz einfach mit einem Kind!« Mein Vater aber schien nichts gegen ein zweites Kind zu haben. Jedenfalls klang es so, wenn er darüber sprach. Gewundert hat mich das schon, meine Mutter sagte aber nur, ich sei nun mal eben ein »verwöhntes Einzelkind«.

Bald aber war ich kein Kind mehr, nur hatten das meine Eltern noch nicht bemerkt. Das letzte Schuljahr war wie im Flug vergangen und ich stand vor der Entscheidung, was ich studieren sollte. Mein Notendurchschnitt ließ mir alle Möglichkeiten offen. Nach meinem Besuch bei Sandy war ich mir nun endlich sicher, dass ich Biologie studieren wollte. Und keiner würde mir reinreden. Meinen Eltern war es wie mir schien schon immer egal, was ich tat, sie überließen also auch diese Entscheidung ganz mir. Etwas wehmütig dachte ich nun daran, vor allem, weil meine Mutter ständig sagte, sie hätten mich verwöhnt, ich hätte immer alles bekommen, was ich wollte. War das so?, fragte ich mich selbst. Klar, an materiellen Dingen bekam ich wirklich alles, was ich mir wünschte, aber mir war auch klar, dass meine Eltern damit nur ausgleichen wollten, dass sie nie bei mir waren. Als würden sie sich damit freikaufen wollen. Ich vermisste meine Eltern sehr, doch das sagte ich ihnen nicht, denn es hätte nichts geändert, darüber war ich mir schon als Kind im Klaren. Noch nicht einmal zu meinem achtzehnten Geburtstag hatten sie sich freigenommen, um mit mir zu feiern. Sie hatten es wohl vorgehabt, schrieben sie mir, aber mein Vater hatte keine Vertretung gefunden. Es tat ihm sehr leid, das wusste ich, aber warum dann meine Mutter nicht wenigstens auftauchte, verstand ich nicht. Sie hätte nämlich freibekommen, aber es sei alles zu umständlich und ich solle nicht böse sein, schrieb sie. Ich bekam nur einen kurzen Brief mit Glückwünschen und einer höheren Geldsumme. Wie jedes Jahr. Ich war enttäuscht und traurig zugleich. Auch wenn ich mich freute, nun den Führerschein machen und mir ein kleines eigenes Auto kaufen zu können. Zum Feiern hatte ich dennoch absolut keine Lust. Nicht einmal Sandy konnte kommen, da sie ja auch Geburtstag hatte und mit ihren Eltern feiern wollten, die dann allerdings auch nicht kamen, und so ging ich am Abend allein in eine Pizzeria, aß etwas Leckeres und trank ein Glas Rotwein dazu.

Die nächsten Tage verbrachte ich mit Recherchen zu meinem Studiengang. Meine Eltern waren mit meiner Wahl einverstanden. Papa sagte nur: »Wenn du das gerne möchtest, dann mach es auch«, und fand die Idee gut. Schließlich wusste er, wie sehr ich Tiere liebte. Als Kind hätte ich gern einen Hund gehabt, aber da meine Mutter eine Allergie hatte, war auch das nicht möglich. Mit meiner Studienwahl konnte aber auch sie gut leben. Auch wenn sie zu meiner Enttäuschung nur verlauten ließ: »Mandy, das ist ganz alleine deine Entscheidung, du musst wissen, was du willst.«

Und so machte ich mich also auf, um mich für mein gewähltes Fach an der Uni einzuschreiben. Kaum war ich auf dem Campus angekommen und versuchte noch, mich zu orientierten, glaubte ich meinen Augen kaum. Vor mir stand Sandy. Schnell lief ich auf sie zu, wir umarmten uns und ich fragte ungläubig: »Was machst du denn hier?«

»Ich hab mich entschieden, nun doch hier zu studieren und wollte mich einschreiben.«

»Wie toll!«, freute ich mich. »Und für welches Fach hast du dich entschieden?«

»Biologie. Ich habe mich erkundigt, und es hieß, dass es noch einige Plätze gibt.«