Wer stärker fühlt, hat mehr vom Leben - Kathrin Sohst - E-Book
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Wer stärker fühlt, hat mehr vom Leben E-Book

Kathrin Sohst

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Beschreibung

Vom großen Nutzen feiner Antennen Was verbinden wir mit dem Wort Sensibilität: eher Feingefühl und Einfühlungsvermögen oder Rührseligkeit und Überempfindlichkeit? Tatsächlich gelten sensible Menschen schnell als Mimose, als wenig belastbar und mit einem zu dünnen Nervenkostüm ausgestattet. Viele von ihnen unterdrücken daher ihre Empfindungen und Gefühle, passen sich an oder ziehen sich in einen geschützten Raum zurück. Denn sie nehmen Sinnesreize besonders differenziert wahr, verarbeiten sie besonders tief und reagieren besonders stark darauf. Das gilt für Unangenehmes, wie z. B. laute Geräusche, eine wuselige Umgebung, einen intensiven Duft oder grelles Licht ebenso wie für Angenehmes: bereichernde Erfahrungen in der Natur, Musik oder menschliche Nähe. Kathrin Sohst zeigt, wie wir sensibel, offensiv und selbstbewusst agieren, unsere Emotionen in konstruktive, positive Handlungsenergie verwandeln und so die Sensibilität als wertvolle Ressource nutzen können. Denn die vermeintliche Schwäche ist in Wahrheit eine Stärke. Wenn wir intensiv auf innere und äußere Reize reagieren, kommen wir besser mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit unserem gesamten Lebensraum in Kontakt. Wir merken sehr schnell, wenn irgendwo "dicke Luft" herrscht, wenn unser Gesprächspartner etwas anderes sagt, als er meint, oder die Stimmung am Kippen ist. Wir spüren aber auch sehr zuverlässig, wenn wir Gefahr laufen, uns zu überfordern. Dann können wir gegensteuern, bevor wir Schaden nehmen. So erweist sich Sensibilität als ein kraftvolles Element im Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele, als ein kluger Wegweiser, der uns dann Orientierung gibt, wenn wir mit dem Verstand nicht weiterkommen. Anschaulich legt die Autorin dar, wie sensible Menschen es schaffen können, souverän durchs Leben zu navigieren.

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Seitenzahl: 308

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Über das Buch

Sensibel zu sein ist etwas Wunderbares, denn je differenzierter und einfühlsamer wir auf Sinnesreize reagieren, desto besser kommen wir mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit unserem gesamten Lebensraum in Kontakt. Doch es ist für diejenigen, die zu den Sensibleren zählen, nicht leicht, nur die positiven Seiten zu sehen. Schließlich nehmen sie die Hektik des Alltags, grelles Licht, eine permanente Geräusch kulisse, eine wuselige Umgebung oder Stress häufi g als unangenehm wahr. Unangenehm ist aber noch etwas anderes für sie: zu spüren, dass sie – speziell in ihrem Job – als wenig belastbar gelten, wenn sie offen mit ihren Bedürfnissen umgehen.

Ganz zu Unrecht!, sagt Kathrin Sohst. Sie holt mit ihrem Buch die Sensibilität aus der Empfi ndlichkeitsecke und ermuntert sensible Menschen, ihr hohes Maß an Empathie gewinnbringend für sich zu nutzen. Reize verarbeiten zu können, die an weniger Sensiblen vorübergehen, ist nämlich eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit. Gerade der Sinn fürs Subtile ist von großem Nutzen im Hinblick auf Intuition, Kreativität und eine gelingende Kommunikation.

 

 

 

 

Sensibilität ist die Basis menschlichen Seins.

Sie bringt uns in Resonanz mit uns selbst, mit unserenMitmenschen und mit unserem Lebensraum.

 

 

 

 

Für

Lena Sophie und Rebecca Viktoria

Leefke, Linda und Maria,

Jasper, Kalle, Lia und Joseline

Felix, Tim und Jan,

Hermine, Naya, Amelie,

Lena, Anna, Mira, Cedrik und Niklas,

Adele, Frederike und Ronja,

Lea, Finn, Annie, Vincent und Matheo

Maila, Jorin und Ruben,

und alle Menschenkinder,

die das Jetzt gegenwärtig machen

und sich eine lebenswerte Zukunft wünschen.

Erlaube dir zu sein, wer du bist.

In Liebe zu dir selbst und anderen.

In Respekt vor allem Leben.

Und in tiefer Verbindung und

achtsamem Kontakt zur Natur,

die deine Quelle ist.

 

 

 

 

Weich ist stärker als hart,

Wasser stärker als Fels,

Liebe stärker als Gewalt.

Hermann Hesse

VORWORT:SENSIBILITÄT IST MENSCHLICH

Sensibel zu sein ist eigentlich eine schöne Sache. Wenn wir auf Sinnes- und Umgebungsreize differenziert und einfühlsam reagieren und bewusst verarbeiten, was wir erleben, kommen wir mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit dem, was uns umgibt, in eine starke Resonanz. Warum also eigentlich? Weil es in der Hektik des Alltags nicht immer leicht ist, die positiven Seiten der Sensibilität zu erkennen. Die Informationsflut, Leistungsdruck, Stress und eine permanente Geräuschkulisse können zu einer großen Belastung werden. Wer ständig auf Empfang ist, leidet oft regelrecht unter den vielen Eindrücken. Das bedeutet: Die Medaille hat (mindestens) zwei Seiten. Beide kenne ich aus eigener Erfahrung und aus meiner Arbeit nur zu gut. Was aber assoziieren andere mit dem Begriff?

Um zu erfahren, was in meinem Netzwerk unter Sensibilität verstanden wird, stellte ich zwei Fragen in die digitale Runde:

1.Was verbindest du mit dem Wort Sensibilität?

2.Was bedeutet Sensibilität für dich?

Ich weiß heute noch, wie gespannt ich auf die Antworten war, und ich sollte nicht enttäuscht werden. Das Feedback war überwältigend. Was ich zu lesen bekam, inspirierte und beflügelte mich, das Thema Sensibilität ganzheitlicher zu betrachten, als ich das bisher getan hatte. Denn neben den Kommentaren, die deutlich aus der Lebenswelt der Hochsensiblen kamen, gab es auch kritische Stimmen, die mich nachdenklich machten und mir neue Impulse gaben. Fangen wir mit den Aussagen an, in denen die Sensibilität als eine Fähigkeit betrachtet wird, das, was man wahrnimmt, feiner verarbeiten zu können:

Mit dem Wort verbinde ich ganz feine Antennen, mit denen man Dinge erspürt, die anderen verborgen bleiben. – Feinfühligkeit, Wahrnehmung, Gespür. – Eine wunderbar starke Gabe, die vieles zum Positiven bewegen kann, zwischenmenschlich, am Arbeitsplatz, gesellschaftlich, gesundheitlich. (…) Ich glaube, sensible Menschen können Bewusstmacher für so viel Wesentliches, Wichtiges, Gutes sein. – Je höher die Sensibilität ausgeprägt ist, desto eher werden uns Dinge bewusst, die sonst un(ter)bewusst bleiben, und desto intensiver reagieren wir darauf. – Mehr und intensiver zu fühlen als andere. Und Dinge zu sehen, die für andere unsichtbar sind. – Achtsamkeit, Aufmerksamkeit, Interesse, Neugier und gegenseitige Rücksichtnahme. – Feinfühlig, verletzlich, Tiefe, Sehnsucht, Fülle, empfindsam, das Ego überwinden, Heilung, ein Teil meines Ganzen, Hoffnung, Liebe, Emotionen.

Und das ist ein Auszug aus den negativen oder zumindest nicht uneingeschränkt positiven Stimmen:

Ein Klischeebegriff, eine Eigenschaft, worüber heutzutage jede/r zu verfügen glaubt. Am besten abschaffen. Der trägt kaum zur Heilung des Universums bei. – Sensibilität kann zum Problem für all diejenigen werden, die weniger intensiv wahrnehmen, denn der Anspruch von Sensiblen an äußere Bedingungen ist oft so hoch, dass er nur schwer erfüllbar ist. Das kann zu Verletzungen und Überforderungen auf beiden Seiten führen, gerade in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Alle Statements zusammen zeigen, dass wir Sensibilität aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten können. Was der eine lobend hervorhebt, findet der andere störend. Die differenzierten Antworten auf meine Umfrage machten mir klar, dass es gar nicht so einfach ist, konstruktiv mit unserer Sensibilität umzugehen und sie als Inspirationsquelle zu nutzen. Wie das gelingen kann, lesen Sie in diesem Buch. Es lädt Sie ein, von Zeit zu Zeit in Ihre innere Welt abzutauchen, Ihr Herz für sich und andere zu öffnen, sich mit sich selbst und anderen zu verbinden und Ihren Gefühlen ganz bewusst nachzuspüren. Denn all das brauchen wir: Raum für Stille. Raum für Verbundenheit. Raum für Kreativität. Raum für den Kontakt mit der Natur. Raum für Regeneration. Wer sich selbst regelmäßig Raum gibt, macht sich ein großes Geschenk – weil Seele und Körper mehr wissen, als wir mit dem Verstand fassen können. Sie sind richtungsweisend auf unserem Lebensweg. Mithilfe unserer sanften Seiten können wir uns im Alltag orientieren und durchs Leben navigieren. Sensibel und stark.1

Mich selbst hat diese Erkenntnis sehr bereichert und ich bin sicher, dass es Ihnen genauso gehen wird, wenn Sie erfahren …

… was Sensibilität mit Stärke zu tun hat,

… wie Sie mit sich selbst und anderen in Einklang kommen können und

… warum Emotionen so wertvolle Energiequellen sind.

Mit Sensibilität und allem, was damit verbunden ist, beschäftige ich mich schon, seit ich denken kann. Immer wieder rollten meine Gefühle wie eine große Welle über mich hinweg und rissen mich mit, ohne dass ich etwas dagegen hätte tun können. Mir fehlten sowohl die Erfahrung als auch das Handwerkszeug, mit der Intensität meines Seins souverän und entspannt umzugehen. Wie gern hätte ich einen Schalter gehabt, mit dem ich mich hätte regulieren können. Und so machte ich mich zunächst unbewusst und später immer bewusster auf die Suche nach Antworten und Methoden, die es mir ermöglichen würden, in eine angenehme Balance mit mir selbst und meiner Umwelt zu kommen. Auf diesem Weg habe ich Wissen und Erfahrungen gesammelt und vieles in meinem Leben verändert – ein echter Gewinn, für den ich sehr dankbar bin und an dem ich Sie teilhaben lassen möchte. Doch bevor wir in die einzelnen Kapitel eintauchen, möchte ich Ihnen einen kurzen Einblick geben, in welchen Situationen mir meine Sensibilität besonders bewusst wurde. Auch im weiteren Verlauf des Buches werden Sie immer wieder persönliche Geschichten und Einsichten finden. So können Sie mir zwischendurch immer wieder auch persönlich »begegnen«.

Lange Zeit war eine fremde, reizintensive Umgebung eine echte Herausforderung für mich.Je mehr Menschen in meinem Umfeld waren, desto zurückhaltender wurde ich. Es war mir unangenehm, wenn ich im Mittelpunkt stand und etwas zum Besten geben sollte – ganz gleich, ob beim Referat in der Schule oder beim alljährlichen Schülerkonzert meiner Klavierlehrerin. Dennoch spürte ich deutlich: Meine Gefühle finden Worte. Worte werden zu Gedichten, kleinen Reden und Texten. Also begann ich irgendwann, sie öffentlich zu machen und vorzutragen. Aufgeregt war ich jedes Mal wieder, aber davon ließ ich mich nicht abhalten. Ich hatte das Gefühl, das Richtige zu tun. Die Worte wollten hinaus in die Welt, genauso wie die Botschaft, die ich damit transportierte und mit der ich die Menschen um mich herum berühren wollte – meinen Liebsten, wenn ich verliebt war, die Künstlerin auf der Vernissage, meine Eltern zu ihrer Silberhochzeit, die Familie bei der Beerdigung meines Opas, meine langjährige Freundin auf ihrer Hochzeit, und als sich die Basketballmannschaft zerstritten hatte, in Form eines Briefes an die ganze Truppe.

Auch heute noch zieht es mich nicht magisch auf die Bühne, aber ich stelle mich trotzdem drauf. Der Weg dorthin wurde mal von wunderbaren Fügungen geebnet, mal war er auch steinig. Was bleibt, ist die Erkenntnis: Von Zeit zu Zeit die eigenen Grenzen zu sprengen, die Komfortzone zu verlassen und mutige Schritte in unbekanntes Terrain zu setzen ist absolut notwendig, um uns selbst näherzukommen und zu entdecken, was in uns steckt. Genauso wichtig ist es allerdings, dabei immer wieder für einen Ausgleich zu sorgen, damit die Balance gewahrt bleibt. In Zeiten, in denen der Druck wächst, das Beste aus sich herauszuholen, sind Selbstausbeutung und Überreizung nicht weit. Das ist mir sehr vertraut. In der Vergangenheit habe ich mich oft überfordert, weil ich zu viel von mir (und anderen) erwartet habe, und mir immer wieder dicke Beulen holte, wenn ich mit Kopf und Herz gegen meine Grenzen geknallt bin. Irgendwann habe ich erkannt, dass dieser Weg offenbar nicht zu mir passt und ich wohl gut daran täte, auf meine innere Stimme zu hören und ihr zu folgen. Heute gelingt es mir immer besser, auf mich zu achten, mein Leben nachhaltig zu gestalten und meine körperlichen und seelischen Bedürfnisse zu berücksichtigen – auch wenn das in unserer leistungs-, erfolgs- und karriereorientierten Gesellschaft nach wie vor nicht gerade leicht ist.

Früher hatte ich oft das Gefühl, anders zu sein als andere, auch wenn ich gar nicht hätte beschreiben können, worin das Anderssein genau bestand. Dennoch war mir klar, dass ich mich von vielen Menschen in meinem Umfeld unterschied. Schon im Kindergarten habe ich mich bei lauten Geräuschen, wie etwa beim Platzen eines Luftballons, so erschrocken, dass ich anfing zu weinen. Manche Kinder hingegen trampelten auf den Luftballons herum, um sie ganz gezielt platzen zu lassen. Auch in der Schule oder auf großen Festen war mir der Geräuschpegel häufig zu hoch. Nur meinen Freunden zuliebe ging ich mit in die Disco, nie, ohne anschließend ein unangenehmes Dröhnen in den Ohren zu haben. Heute weiß ich nicht nur, dass ich mich in einer ruhigen und harmonischen Umgebung am wohlsten fühle, ich richte mich auch immer öfter danach. Die Natur ist hierbei mein absoluter Favorit.

Aber nicht nur in puncto Lautstärke hatte ich Vorstellungen, die weit weg waren von denen meiner Mitschülerinnen und Mitschüler. Oft fragte ich mich, warum sie sich untereinander oder gegenüber den Lehrkräften so respektlos verhielten. Es hat lange gedauert, bis ich damit umgehen konnte, dass Menschen anders handelten, als ich es von ihnen erwartete. Noch länger hat es gedauert, bis ich verstanden habe, dass es bei ihren Aktionen oft gar nicht um bewusste Angriffe ging, sondern lediglich Menschen mit voneinander abweichenden Temperamenten, Wertvorstellungen und Erfahrungen aufeinandergetroffen waren. Ein und dieselbe Situation wird von unterschiedlichen Persönlichkeiten eben auch anders erlebt.

Als ich diese Entdeckung gemacht hatte, war die Forscherin in mir erwacht. Inzwischen ist mir klar, dass auch ich mit meiner Art andere Menschen vor den Kopf gestoßen und verletzt habe, ohne das zu beabsichtigen. Und das passiert mir auch heute noch. Allerdings merke ich das in den allermeisten Fällen sehr schnell, weil ich mich gut in andere hineinversetzen kann und sehr empathisch bin. Im Miteinander spüre ich, ob es meinem Gegenüber gut geht oder ob sie oder ihn etwas beschäftigt. Auch merke ich sofort, wenn in einem Raum »dicke Luft« herrscht oder wenn mein Gesprächspartner etwas anderes sagt, als sein Gesicht ausdrückt. Und ich weiß, dass subtilste Vorgänge, die mir gar nicht bewusst sind, genügen, um meine Stimmung ganz plötzlich umschlagen zu lassen.

Und noch etwas anderes wurde mir klar: Die Sensibilität scheint in unserer Welt kein besonders hohes Ansehen zu genießen. Vor allem im Berufsleben hat sie ein schlechtes Image. So wird selbst von denen, die im Pflege- und Gesundheitsbereich arbeiten, also dort, wo Sensibilität dringend gebraucht wird, erwartet, dass sie sich dem eng durchgetakteten Alltag unterordnen – notfalls, bis auch ihre Körper streiken.

Fakt ist: In unserer Gesellschaft mangelt es an allen Ecken und Enden an Sensibilität – sei es im Umgang mit uns selbst, mit anderen oder mit der Natur: Wir sind dem Irrtum erlegen, es wäre wirtschaftlicher, die Bedürfnisse Einzelner nicht allzu hoch aufzuhängen. Wir glauben, dass wir es uns nicht leisten können, uns Zeit für uns selbst zu nehmen. Wir haben verlernt, nach innen zu schauen, uns selbst oder unserem Körper zu lauschen und anderen zuzuhören. Stattdessen folgen wir Idealen, die uns vom natürlichen Zyklus des Lebens trennen. Wir sind in den letzten Jahrzehnten so unsensibel dem sogenannten Fortschritt gefolgt, dass unsere Kinder jetzt auf die Straße gehen, weil sie Angst um ihre Zukunft haben – und ein sicheres Gespür für das, was wirklich wichtig ist. Jeder Einzelne von uns sollte es ihnen nachtun. Denn die Reflexion dessen, was wir erleben, wie wir uns selbst, andere und unsere Umwelt wahrnehmen und wie alles zueinander in Beziehung steht, gehört zum Leben wie das Atmen.

Überlegen wir mal: Was würde geschehen, wenn wir anfingen, zu unserer Sensibilität zu stehen? Ich bin überzeugt davon, dass wir auf diese Weise wertvolle, schöne und angenehme Erfahrungen und Begegnungen in unser Leben einladen würden. Denn Sensibilität ist keine Schwäche, sondern eine Eigenschaft, die uns dazu befähigt, in besonderer Weise achtsam zu sein – im Hinblick auf uns selbst, auf andere und auf die Welt, in der wir leben.

In der Diskussion um höher sensible Menschen hat es in den letzten Jahren viele Diskussionen darum gegeben, ob es Fluch oder Segen sei, hochsensibel zu sein. Und ob es etwas Besonderes sei, wenn man fein und tief verarbeitet. Auch ich habe mich in der Vergangenheit durch das Bewusstsein, zu den höher sensiblen Menschen zu zählen, dazu hinreißen lassen, mich als etwas »Besonderes« zu fühlen. Das war in dem Moment wichtig für mich. Bis ich erkannte, dass die hohe Sensibilität lediglich ein Aspekt meiner Persönlichkeit ist, den ich integrieren und wertschätzen kann, ein Wesenszug, der genau wie die anderen Facetten meiner Persönlichkeit zu mir gehört. Ursprünglich hatte mich ein guter Freund darauf aufmerksam gemacht, dass es schwierig sei, sich in hohem Maße über die Ausprägung der Sensibilität zu definieren. Und natürlich habe ich mich erst einmal massiv gegen seinen Hinweis gewehrt und in Frage gestellt gefühlt. Doch nach und nach wurde mir bewusst, dass ich zu neuen Ufern der Selbsterkenntnis aufbrechen und das Thema ganzheitlicher betrachten musste, wenn ich mich durch die Kategorisierung »hochsensibel« nicht selbst begrenzen wollte.

Heute zählt für mich einzig und allein, dass ich annehmen kann, was mich natürlicherweise ausmacht, und dass ich dies für mich und andere mit Gefühl und Verstand einsetzen kann. Seit ich das begriffen und mein Sein zu würdigen gelernt habe, kann ich mit mir selbst, mit anderen und den Herausforderungen des Lebens viel besser umgehen.

Wenn Sie sich jetzt fragen, wie ich dahin gekommen bin, wo ich jetzt stehe, dann halten Sie die Antwort schon in den Händen, denn ich habe in diesem Buch festgehalten, was mir in meiner Entwicklung am meisten geholfen hat.

Doch Sie sollen ja nicht nur meine Geschichte nachlesen, sondern sich auch selbst ausprobieren können. Aus diesem Grund habe ich praktische Übungen zusammengestellt, die Ihnen helfen werden, sich selbst (und andere) besser kennenzulernen. Das ist nämlich die Voraussetzung dafür, einen wohlwollenden Blick auf Ihre zarten Seiten oder die zarten Seiten anderer Menschen werfen zu können und sie wertzuschätzen.

Wenn Sie ehrlich mit sich sind, wissen Sie es bereits: Wer nachhaltige Stärke entwickeln will, muss empfinden, mitfühlen, mit seinen zarten Seiten ins Reine kommen und Schwächen annehmen können. Ich möchte Ihnen in diesem Buch Schlüssel zu den Türen zeigen, die Ihnen Räume für einen neuen Umgang mit Ihrer Sensibilität und Ihren Gefühlen öffnen. Wann und in welchem Tempo Sie die Räume betreten, entscheiden Sie selbst. Lassen Sie sich überraschen. Vielleicht eröffnet sich am Ende ja eine ganz neue Welt für Sie.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude, Neugier, Inspiration und starke Impulse für kraftvolle Veränderungen.

Herzlich – Ihre Kathrin Sohst

1

WAS SENSIBILITÄT MIT STÄRKE ZU TUN HAT

Es ist Winter. Als der Wecker um 6 Uhr geklingelt hatte, war es noch dunkel. Jetzt taucht die Morgendämmerung alles in blaues Licht – Häuser, Straßen, Autos und Busse, den Bahnhof, das alte Postgebäude und auch den Schutthaufen daneben. Und das Wetter scheint gut zu werden. Ich liebe es, wenn die feuchte Kälte zum trockenen Frost wird.

Nachdem ich die Kinder zur Schule gebracht habe, gehe ich zur Bushaltestelle zurück. Der Berufsverkehr rauscht an mir vorbei. Direkt nach den ruhigen, stillen Weihnachtsferien ein intensiver Start in den Alltag.

Der nächste Bus kommt erst in fünfzehn Minuten. Ich habe keine Lust, mich an die laute Straße zu stellen und dem morgendlichen Verkehrswahnsinn zuzuschauen, daher entscheide ich mich, einen Teil der Strecke zu Fuß zurückzulegen. Es ist nicht der schönste Ort, um spazieren zu gehen, aber laufen ist definitiv besser als warten. Ich lasse meinen Atem, meine Gedanken und meine Gefühle fließen. Plötzlich verändert sich das Licht. Die Straßenlaternen sind ausgegangen, das Kunstlicht ist verschwunden und die Helligkeit des kalten, klaren Wintermorgens strahlt mir entgegen. Ein unerwartet magischer Moment. Wie schön! Es wird wieder heller! Jeden Tag ein bisschen. Und dann kommt heute noch die Sonne dazu. Die Wolken haben Pause. Und der Regen auch. In den letzten Wochen hatte mir die Dunkelheit mehr zu schaffen gemacht als sonst, so sehr, dass es auch in mir für meinen Geschmack etwas zu dunkel geworden war.

An der nächsten Bushaltestelle bin ich dem Bus immer noch weit voraus. Also laufe ich weiter, vorbei an einem der vielen Konsumtempel der Stadt, der direkt an der vierspurigen Hauptstraße liegt. Die Motorengeräusche übertönen alles. Nein, nicht alles. Plötzlich dringt der Gesang eines Vogels an mein Ohr und verstärkt sich in mir so, dass der Rest in den Hintergrund tritt. Ich höre keine Autos mehr, sondern nur noch den Gesang des Vogels. Ich lächle. Meine Augen gehen auf die Suche. Wo sitzt der kleine Sänger, der an diesem schönen Morgen gegen den Verkehr ansingt? Da, jetzt habe ich ihn gefunden. Es ist eine Amsel. Der Gesangskünstler sitzt auf dem Vordach der Post und flötet fröhlich seine Töne in die Luft. Ich schicke ihm einen Herzensdank hinüber, während sich in mir ein wohlig-warmes Team aus Gefühlen, Kraft und Gedanken breitmacht: Ja, es wird ein guter Tag, und das ist ein großartiger Start in diesem neuen Jahr.

An diesem Morgen hat mir meine Sensibilität zwei unerwartet schöne Momente geschenkt – das Licht des Wintermorgens und den Gesang des Vogels mitten im Berufsverkehr. Zwei Momente, die mich mit mir selbst und der Welt positiv in Verbindung gebracht und für den Tag und den Start in das neue Jahr stark gemacht haben. Und an die ich mich gerne zurückerinnere – immer mit einem Lächeln im Gesicht.

Solche Erlebnisse sind ein perfektes Beispiel dafür, was Sensibilität mit Stärke zu tun hat. Es ist eine Stärke, die über die körperliche Kraft hinausgeht, weil sie aus der Verbindung von Körper, Geist und Seele entsteht und die verschiedenen Facetten des Menschseins mit einbezieht. Eine Stärke, die ihre Kraft nicht zuletzt daraus bezieht, dass wir von Zeit zu Zeit auf Empfang schalten, innere und äußere Reize reflektieren und dem Herzen lauschen.

Die Welt der Sensibilität

Während Sanftheit und tiefgründige Empfindungen für die einen ein Segen sind, gehen andere schon auf die Barrikaden, wenn Sie das Wort Sensibilität nur hören. Wie kann das sein? Lassen Sie uns auf Spurensuche gehen und uns genauer anschauen, wie das Wort in unserer Sprache genutzt wird:

Seinen Ursprung hat der Begriff »Sensibilität« im Lateinischen – sentire heißt empfinden, fühlen und sensibilis bedeutet übersetzt: verbunden mit Wahrnehmung, Empfindung und Sinnen, fähig zum Empfinden oder auch mit Empfindung begabt.

In welchen Zusammenhängen nutzen wir das Wort »Sensibilität« heute? Als ich den Begriff im Duden nachschlage, erscheinen zusätzlich zu meinem Suchwort auch verwandte Begriffe wie Mimosenhaftigkeit, Feinsinnigkeit, Taktgefühl, Sorgfalt, hochsensibel, Vorsicht, Verständnis, Kritikalität, als Synonyme werden unter anderem Empfindsamkeit, Rührseligkeit und Zartgefühl genannt. Und in den detaillierten Informationen zum Begriff der Sensibilität erfahre ich, dass er bildungssprachlich das Sensibel-Sein, die Empfindlichkeit oder das Gespür für Verletzendes meint.

Im Zusammenhang mit der Fotografie versteht man unter Sensibilität die Lichtempfindlichkeit von Filmen. Die Fotografie und die Empfindsamkeit eines Filmes2 sind übrigens eine schöne Metapher für die menschliche Sensibilität: Ist ein Film nicht sensibel, bleibt das, was der Fotograf festhalten möchte, im Dunkeln. Je lichtempfindlicher das Material ist, desto heller und detaillierter ist auf der Abbildung zu erkennen, was in der Welt zu sehen ist. Bei zu hoher Empfindlichkeit allerdings verschwimmen die Details im Licht. Genauso ist es bei uns Menschen. Ein Mensch, dessen Sensibilität wenig ausgeprägt ist, verarbeitet quasi weniger »hell«. Er »belichtet« die Reize, die er wahrnimmt, nicht so lange. Je sensibler Menschen sind, desto feiner wird die Wahrnehmung. Und bei zu hoher Sensibilität wird ein Mensch von einem Übermaß an Licht geblendet und ist kaum noch in der Lage, alles zu verarbeiten.

Wenn wir etwas als »sensibel« bezeichnen, signalisiert das aber auch, dass etwas besonders viel Sorgfalt oder Umsicht erfordert. Im medizinischen Kontext etwa gilt als sensibel, wer empfindlich gegenüber Schmerzen und Reizen von außen ist. Und von sensibilisieren sprechen wir, wenn wir auf bestimmte Themen, die von hoher Relevanz sind, aber zu wenig Beachtung bekommen, aufmerksam machen wollen. Der Begriff »sensibel« wird also in unserem Sprachgebrauch sehr ambivalent verwendet. Einerseits schwingt in Aufforderungen wie »Sei doch nicht so sensibel!« Kritik mit. Andererseits drücken wir damit aber auch unsere Wertschätzung aus: »Wir müssen sensibler mit unserer Natur umgehen.« Und es geht noch weiter: Wenn wir ein Thema als sensibel bezeichnen, meinen wir oft eines, bei dem man sich leicht in die Nesseln setzen kann – weil es nicht nur komplex und vielschichtig ist, sondern auch unsere Werte und Glaubenssätze betrifft, die wir nur ungern in Frage stellen lassen. Religion ist hierfür ein gutes Beispiel.

Stöbert man in sozialen Netzwerken wie Twitter, Instagram und Pinterest durch die Posts, die mit dem Hashtag #sensibilität versehen sind, zeigt sich ein ähnliches Bild. Auch hier wird mal angemahnt, dass es an Feingefühl mangelt, mal wird Kritik geübt, weil jemand eine allzu dünne Haut offenbart. Und weil wir jetzt schon beim Thema Social Media und somit beim Thema Internet angekommen sind, können wir auch gleich über sensible Datensprechen. Sie gelten als schützenswert, entweder weil es sich um persönliche Daten handelt oder – Wikileaks lässt grüßen – weil sie etwas aufdecken oder Wahrheiten ans Licht bringen, die bisher geheim waren. Alles, was unter Datenschutz fällt, wird als sensibel bezeichnet. Spätestens seit Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung DSGVO hat sich die Menge der sensiblen Daten vervielfacht. Inzwischen müssten theoretisch sogar die Namensschilder an Mietshäusern verschlüsselt werden.

All diese Beispiele zeigen die Vieldeutigkeit des Begriffs »Sensibilität«. Man könnte fast schon von Widersprüchlichkeit sprechen. Auf mich wirkt es jedenfalls so, als hätte sich dieser Widerspruch auch auf unsere Sicht von Feingefühl übertragen. Zum einen ist uns bewusst, dass Sensibilität eine bedeutsame Dimension ist, und zum anderen sind wir auf der Hut vor zu viel Empfindsamkeit. Lassen Sie uns diesen Widerspruch entwirren und Klarheit in Sachen Sensibilität schaffen. Ich bin überzeugt davon, dass uns ein konstruktiver, aufmerksamer Blick die Welt auf eine neue Weise eröffnen kann.

Und was sagt die Forschung dazu?

Sensibel zu sein heißt auf körperlicher Ebene sowohl äußere Reize zum Beispiel über die Haut zu spüren als auch innere Reize und Signale des Körpers zu verarbeiten. Wir brauchen unsere Sensibilität, um mit unserer inneren und äußeren Welt in Resonanz zu gehen und die Impulse, die wir empfangen, auswerten zu können. Psychologen sprechen darüber hinaus auch von Sensibilität, wenn ein Mensch besonders feinfühlig und empathisch ist und über eine hohe Intuition verfügt. Sensible Menschen können sich schnell in eine Situation einfühlen, die Reaktionen anderer Menschen vorausahnen oder sich in die Lage eines anderen hineinversetzen. All das sind Eigenschaften, die in unserer immer komplexer werdenden Welt durchaus von Vorteil sind. Studien zeigen, dass komplexe Entscheidungen, in denen viele Faktoren eine Rolle spielen, das Arbeitsgedächtnis im Cortex – dem Teil des Gehirns, in dem der sogenannte Verstand sitzt – schnell überfordern. Wenn das geschieht, ist es hilfreich, wenn wir einen guten Kontakt zu unserer Intuition und unserem Erfahrungswissen haben, das aus allen Erlebnissen schöpft, die wir im Laufe unseres Lebens gemacht haben.

Was die Fachwelt unter Sensibilität versteht

Für Physiologen und Wahrnehmungspsychologen ist Sensibilität die Summe aller sensorischen Empfindungen, die nicht über die Augen, die Ohren, die Zunge oder die Riechschleimhaut wahrgenommen werden, sondern zum Beispiel über die Haut, Nerven, Eingeweide, Knochen und Muskeln. Da aus den Nervenreizen genauso wie aus den Sinnesreizen Empfindungen resultieren, wird auch der psychologische Aspekt der Sensibilität in das Gesamtgefüge menschlichen Fühlens einbezogen. Zusätzlich dazu gibt es verschiedene Sonderformen von Sensibilität, die als Übersensibilitäten bekannt sind, wie z. B. Nahrungsmittelsensibilität, Elektrosensibilität, Multiple Chemikaliensensibilität oder eine erhöhte Sensibilität auf Medikamente, Alkohol und andere Stoffe.

In den letzten Jahren entwickelte sich aus Strömungen der Entwicklungspsychologie, der positiven Psychologie und der Persönlichkeitspsychologie ein neues Konstrukt zum Thema Sensibilität, in dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich damit auseinandersetzen, wie tief Menschen innere und äußere Reize verarbeiten.3 Die neuesten Ergebnisse sind verblüffend. War man bisher davon ausgegangen, dass 15 bis 20 Prozent der Menschen über eine höhere Sensibilität verfügen als andere, sprechen die Forscher inzwischen von drei Sensibilitätsgruppen und diskutieren eine Normalverteilung – sie gehen also davon aus, dass ca. 29 Prozent der Bevölkerung weniger, 40 Prozent durchschnittlich und 31 Prozent höher sensible Menschen sein könnten.4 Die Intensität der Sensibilität innerhalb der drei Gruppen variiert ebenfalls. Es liegt also nahe anzunehmen, dass es eine hohe Diversität und somit auch Extremfälle gibt – auf beiden Seiten: Menschen, die über eine sehr geringe Sensibilität verfügen oder sogar gefühlsblind sind und daher Reize und Empfindungen nur oberflächlich verarbeiten können. Und Menschen, die aufgrund ihrer sehr hohen Sensibilität schnell mit Überreizung und Überforderung zu kämpfen haben. Letztere weisen vier typische Eigenschaften auf: Sie sind sich umweltbezogener Feinheiten im erhöhten Maße bewusst, verarbeiten Informationen tiefer, verfügen über eine erhöhte emotionale Reaktivität und Empathie und sind schneller überstimuliert als andere. Der umgangssprachliche Begriff, der sich in den letzten Jahren für diese Form der Wahrnehmungsverarbeitung etabliert hat, ist Hochsensibilität. In der Wissenschaft sprechen die Forscher aufgrund der aktuellen Entwicklungen von einer hohen Ausprägung der Umweltsensibilität(Environmental Sensitivity) und finden damit eine übergeordnete Bezeichnung für ein Konstrukt, das bereits aus verschiedenen psychologischen Forschungsrichtungen beleuchtet wurde.

Sensibilität – eine Sache der Gene?

Die WissenschaftlerInnen Elaine N. Aron und Arthur Aron aus den USA sowie Michael Pluess, Professor an der Queen Mary University in London, stufen die Sensibilität eines Menschen als ein wahrscheinlich genetisch bedingtes Merkmal ein, setzen dabei aber unterschiedliche Schwerpunkte. Während bei Elaine und Arthur Aron neben der Verarbeitung äußerer Reize insbesondere innere Reize wie zum Beispiel Emotionen, körperliche Erregung oder die Effekte von Nahrungsmitteln und Medikamenten eine große Rolle spielen, beschreibt Pluess die Sensibilität eines Menschen vor allem als die Fähigkeit, die Umgebung wahrzunehmen und Informationen aus der Umgebung zu verarbeiten. Er misst der Sensibilität eine zentrale Bedeutung zu, weil ohne sie die Anpassung an die Umgebung unmöglich sei. Sandra Konrad hat als erste Forscherin in Deutschland zum Thema Hochsensibilität eine Doktorarbeit geschrieben. Sie weist auf eine neuere Zwillingsstudie hin, in der es ebenfalls um die Erblichkeit von Hochsensibilität sowie die Relevanz des Umfeldes geht. Die Ergebnisse zeigen, dass Sensibilitätsunterschiede etwa zur Hälfte auf genetische, zur Hälfte auf erworbene Faktoren zurückzuführen sein könnten. Ganz gleich, wo die Forschenden sich treffen werden – entscheidend ist, dass sie mit ihren Studien über erhöhte Sensibilität die menschliche Empfindsamkeit insgesamt wieder mehr in den Fokus gerückt haben.

Forschung – Wie man Sensibilität messen kann

Durch die Recherchen für meine früheren Bücher und die Organisation des 1. Kongresses für Hochsensibilität im Jahr 2017 habe ich ein starkes Netzwerk im Bereich Sensibilität aufgebaut und bin in Verbindung mit einigen führenden Wissenschaftlern der Sensibilitätsforschung. So ist es möglich geworden, dass ich dank der Psychologin und Erziehungswissenschaftlerin Teresa Tillmann, die eng mit internationalen Forschern wie Elaine und Arthur Aron oder Michael Pluess zusammenarbeitet, in diesem Buch zwei Fragebögen zur Einschätzung der eigenen Sensibilität veröffentlichen kann – einen für Erwachsene und einen für Jugendliche.

Es handelt sich dabei um validierte Fragebögen, die sich an den Originalfragebögen orientieren. Das bedeutet, dass sie Fragen enthalten, mit denen verschiedene Wissenschaftler bereits längere Zeit zum Thema forschen, Fragen, die schon mehrfach in Studien verwendet und weiterentwickelt wurden und die gute Ergebnisse erzielen. Wichtig zu wissen: Solche Fragebögen haben keine absolute Aussagekraft. Die Ergebnisse sind keine finale Bestätigung für die Zugehörigkeit zu einer Sensibilitätsgruppe und noch viel weniger eine Diagnose, denn Sensibilität ist keine Krankheit, sondern ein Teil der Persönlichkeit. Die Ergebnisse der Fragebögen sind vielmehr Richtwerte, die Ihnen eine Tendenz bezüglich Ihrer eigenen Sensibilität oder der Sensibilität Ihres Kindes bzw. Ihrer Kinder aufzeigen. Sie haben so die Chance, neue Erkenntnisse und Perspektiven zu gewinnen und Ihren Alltag und Lebensweg einfacher, positiver und sensibilitätsgerechter zu gestalten.

Noch ein Tipp: Die Aussagen, denen Sie voll zustimmen, weisen auf eine hohe Sensibilität in diesem Bereich hin. Auch wenn Sie – insgesamt gesehen – nicht zur Gruppe der höher Sensiblen zählen, kann das eine oder andere Einzelergebnis durchaus in diese Richtung deuten.

Bitte beachten Sie auch die weiteren wissenschaftlichen Hinweise zur Auswertung der Fragebögen im Anhang!

Fragebogen für Erwachsene5

Wenn Sie wissen wollen, in welchen Situationen Ihre Sensibilität besonders spürbar ist, können Sie sich mithilfe des folgenden Fragebogens einer Antwort nähern. Sie können einerseits sensible Stärken erkennen und fördern. Andererseits erfahren Sie, wann Sie durch Ihre Sensibilität so sehr herausgefordert werden, dass es sinnvoll wäre, nach geeigneten Techniken und Verhaltensweisen für einen souveränen Umgang mit ihr Ausschau zu halten. Der Fragebogen zur Sensibilität bei Erwachsenen enthält zwölf Aussagen, die Sie auf einer Skala von 1 (trifft gar nicht zu) bis 7 (trifft voll und ganz zu) beantworten können. Wenn Sie sich bei manchen Antworten nicht sicher sind oder keine Antwort wirklich passt, kreuzen Sie einfach an, was am ehesten zutrifft. Bitte beantworten Sie jede Aussage und machen sie nur ein Kreuz pro Aussage. Ganz wichtig: Es gibt kein »richtig« oder »falsch«!

Ich scheine Feinheiten in meiner Umgebung wahrzunehmen.

Ich fühle mich rasch überwältigt von Dingen wie gleißendem Licht, starken Gerüchen, kratzigen Stoffen oder Sirenen in meiner Nähe.

Ich habe ein reichhaltiges, komplexes Innenleben.

Ich fühle mich von Kunst und Musik tief ergriffen.

Es irritiert mich, wenn ich in kurzer Zeit viel schaffen muss.

Es nervt mich, wenn jemand versucht, mich zu viele Dinge auf einmal tun zu lassen.

Ich mache einen Bogen um gewalttätige Filme oder Fernsehsendungen.

Veränderungen im Leben bringen mich durcheinander.

Ich bemerke und genieße zarte oder feine Gerüche, Aromen, Klänge oder Kunstwerke.

Ich finde es unangenehm, viel um die Ohren zu haben.

Ich fühle mich gestört durch intensive Reize wie laute Geräusche oder chaotische Szenen.

Wenn ich mit anderen konkurrieren oder vor anderen etwas machen muss, dann werde ich so nervös und zittrig, dass ich viel schlechter bin, als ich normalerweise sein könnte.

Auswertung

Jetzt vergeben Sie für jedes Kreuz Punkte anhand dieser Skala:

trifft gar nicht zu

(1)

trifft nicht zu

(2)

trifft eher nicht zu

(3)

trifft mal zu, mal nicht

(4)

trifft eher zu

(5)

trifft zu

(6)

trifft voll und ganz zu

(7)

1 Punkt

2 Punkte

3 Punkte

4 unkte

5 Punkte

6 Punkte

7 Punkte

Addieren Sie jetzt alle Punkte und teilen Sie die Summe durch 12. Damit errechnen Sie den Mittelwert, mit dem Sie unten schauen können, auf welche Gruppe Ihr Ergebnis hinweist.

1,00 bis einschließlich 3,71: Das Ergebnis weist darauf hin, dass Sie zur Gruppe der weniger sensiblen Menschen gehören.

3,72 bis einschließlich 4,66: Das Ergebnis weist darauf hin, dass Sie zur Gruppe der durchschnittlich sensiblen Menschen gehören.

4,67 bis einschließlich 7,00: Das Ergebnis weist darauf hin, dass Sie zur Gruppe der höher sensiblen Menschen gehören.

Fragebogen für Jugendliche und Kinder

Wenn Sie wissen wollen, wie sensibel Ihr Kind ist, können Sie mit ihm den folgenden Fragebogen durchgehen. Er wurde von Dr. Teresa Tillmann in Zusammenarbeit mit Katharina El Matany und Prof. Dr. Alexander Bertrams unter anderem für ihre Masterarbeit (2016) entwickelt und bereits in Form einer wissenschaftlichen Publikation6 veröffentlicht. Der Fragebogen ist eine übersetzte, gekürzte und sprachlich an Jugendliche angepasste Version des Originalfragebogens von Elaine und Arthur Aron.7 Dabei steht die 1 dafür, dass die Aussage überhaupt nicht zutrifft, und die 4 dafür, dass sie voll und ganz zutrifft. Am Ende rechnen Sie die Werte zusammen und können in der Auflösung sehen, wo Ihr Kind auf der Sensibilitätsskala liegt. Jugendliche können den Fragebogen selbst ausfüllen. Bei jüngeren Kindern empfehle ich Ihnen, die Fragen zur Selbsteinschätzung gemeinsam mit ihnen zu beantworten und bei unklaren Fragen zu erläutern, was gemeint ist. Oder Sie schätzen Ihr Kind ein, indem Sie sich fragen, was es vermutlich antworten würde. Mithilfe des Fragebogens ist es Ihnen möglich herauszufinden, wie sich die Sensibilität Ihres Kindes äußert. Gemeinsam können Sie einerseits sensible Stärken erkennen und fördern. Andererseits wissen Sie durch das Ergebnis des Fragebogens genauer, wann Ihr Kind durch seine Sensibilität in besonderer Weise herausgefordert ist. So können Sie sich gezielt auf die Suche nach passenden Methoden machen, die Ihrem Kind dabei helfen, mit der eigenen Wahrnehmungsverarbeitung souverän umgehen zu lernen. Der Fragebogen zur Sensibilität bei Jugendlichen enthält zehn Aussagen, die auf einer Skala von »trifft gar nicht zu« bis »trifft voll und ganz zu« beantwortet werden können. Lassen Sie Ihr Kind bei jeder Aussage ankreuzen, wie sehr diese zutrifft, oder füllen Sie selbst den Bogen für Ihr Kind aus. Wenn Ihr Kind sich bei manchen Antworten nicht sicher ist oder keine Antwort wirklich passt, kreuzt es einfach das an, was am ehesten zutrifft. Alle Aussagen müssen beantwortet werden und bei jeder Antwort darf nur ein Kreuz gesetzt werden. Ganz wichtig: Da es um die Wahrnehmungsverarbeitung Ihres Kindes geht, gibt es keine richtigen oder falschen Antworten!

Ich bin einfühlsam.

Ich erlebe meine Gefühle oft sehr intensiv und habe ein reiches Innenleben.

Ich nehme Feinheiten um mich herum wahr.

Kunst, Musik und Filme können mich tief bewegen.

Ich denke oft über sehr tiefgründige Themen nach (z. B. Sinn des Lebens, Tod, Religion)

An stressigen Tagen möchte ich mich zurückziehen und allein sein können.

Manche halten mich für sensibel und schüchtern.

Aufregende Situationen, die mich überfordern, versuche ich zu (ver-)meiden.

Wenn mich jemand bei der Arbeit oder bei einer Aufgabe beobachtet, werde ich nervös.

Ich erziele bessere Leistungen, wenn keine Fremden dabei sind.

Auswertung

Jetzt vergeben Sie für jedes Kreuz Punkte anhand dieser Skala:

trifft gar nicht zu

(1)

trifft eher nicht zu

(2)

trifft eher zu

(3)

trifft voll und ganz zu

(4)

1 Punkt

2 Punkte

3 Punkte

4 Punkte

Addieren Sie jetzt alle Punkte und teilen Sie die Summe durch 10. Damit errechnen Sie den Mittelwert, mit dem Sie unten schauen können, auf welche Gruppe das Ergebnis hinweist.

1,00 bis einschließlich 2,25: Das Ergebnis weist darauf hin, dass Ihr Kind zur Gruppe der weniger sensiblen Menschen gehört.

2,26 bis einschließlich 2,91: Das Ergebnis weist darauf hin, dass Ihr Kind zur Gruppe der durchschnittlich sensiblen Menschen gehört.

2,92 bis einschließlich 4,00: Das Ergebnis weist darauf hin, dass Ihr Kind zur Gruppe der höher sensiblen Menschen gehört.

Vorteile – Vom Nutzen der Sensibilität

Viele Menschen verbinden mit hoher Sensibilität vor allem negative Aspekte wie Verletzlichkeit, eine hohe Reaktivität auf Umgebungsreize,8 schnelle Überreizung, Stressempfindlichkeit oder Anfälligkeit für Depression und Burnout. Dabei bietet sie durchaus auch jede Menge Vorteile,9 denn Menschen mit ausgeprägter Sensibilität erleben gerade positive Erfahrungen als besonders wohltuend: Geborgenheit in der Kindheit, Zuwendung, schöne Erlebnisse, bereichernde Begegnungen, gute Lebensbedingungen, Bildung, stabile Beziehungen, individuelle Förderung, Gesundheit, Wohlbefinden, angenehme Farben, Formen, Gerüche, Geschmäcker, Klänge, Aufenthalte in der Natur und auch die vielen kleinen Glücksmomente des Lebens, in denen uns ein kleines Detail den Tag versüßt – all das wirkt bei ausgeprägter Sensibilität stärkend auf uns und gibt uns Kraft.

Wir können uns also jederzeit entscheiden, den Fokus bewusst auf die positiven Aspekte des Lebens und unserer Sensibilität zu lenken und uns von ihnen inspirieren zu lassen. Ungefähr so, wie ich es an diesem Morgen im Januar erst mit der Morgendämmerung und anschließend mit dem Gesang des Vogels getan habe.

Je sensibler ein Mensch also ist, desto eher kann er von positiven Ereignissen profitieren. Das sollte er sich immer wieder klarmachen, denn leider ist es so, dass unangenehme Erlebnisse evolutionär bedingt immer noch einen stärkeren psychologischen Einfluss auf uns haben als all die schönen Aspekte des Lebens. Die Trauer und die Verzweiflung, die entstehen, wenn wir einen geliebten Menschen verlieren, nehmen wir oft drei- bis viermal intensiver wahr als die Freude, das Leben mit einem geliebten Menschen zu teilen. Die Folge davon ist, dass positive Erfahrungen länger brauchen, bis sie zu Erinnerungen werden, als negative.

Impuls: Dankbarkeitstraining fürs Gehirn

Negative Erlebnisse wandern schneller vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis als positive. Der Neuropsychologe Dr. Rick Hanson fand heraus, dass schöne Lebensereignisse für etwa zehn Sekunden im Bewusstsein gehalten werden müssen, um vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis zu wechseln. Je mehr Sie sich darauf programmieren, positive Erlebnisse in Ihrem Leben voll auszukosten und bewusst zu fühlen, desto stärker sorgen Sie dafür, dass aus glücklichen, schönen und angenehmen Momenten neue, stärkende Gehirnstrukturen werden. Positive Erfahrungen brauchen Zeit, um ins Bewusstsein zu gelangen und Ihnen dauerhaft zur Verfügung zu stehen. Es lohnt sich also, Zeit für bewusste Dankbarkeit  einzuplanen, um unser Gehirn auf das Gute im Leben auszurichten und Dankbarkeit zu trainieren. Erfolge müssen gefeiert werden! – Dieser Spruch kommt also nicht von ungefähr. Es ist immer eine gute Idee, schöne Lebensereignisse und Erfolge ausreichend zu würdigen!