Westeros - George R.R. Martin - E-Book

Westeros E-Book

George R.R. Martin

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Beschreibung

Um eine fantastische Welt lebendig erscheinen zu lassen, benötigt sie eine Vergangenheit. Daher erschuf Bestsellerautor George R.R. Martin den fiktiven Kontinent Westeros, auf dem sein Meisterwerk Das Lied von Eis und Feuer / Game of Thrones spielt, in jahrelanger Detailarbeit. Dieser prachtvoll ausgestattete Bildband präsentiert erstmals die Geschichte von Westeros – beginnend in der Zeit, in der die ersten Menschen den Kontinent betraten, über die Ankunft von Aegon dem Eroberer und seinen Drachen bis zu Robert Baratheons Rebellion gegen den wahnsinnigen König Aerys II. Targaryen. Damit ist Westeros – Die Welt von Eis und Feuer der wahre Prolog der erfolgreichsten Fantasyserie unserer Zeit.

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Seitenzahl: 865

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FANTASY FLIGHT GAMES (FFG) IS ONE OF THE WORLD’S LEADING PUBLISHERS OF HOBBY GAMES. KNOWN FOR THE QUALITY OF ITS COMPONENTS AND ITS INNOVATIVE GAMEPLAY, FFG IMMERSES PLAYERS IN THE WORLD OF GEORGE R.R. MARTIN’S A SONG OF ICE AND FIRE WITH SUCH TITLES AS A GAME OF THRONES: THE BOARD GAME SECOND EDITION AND A GAME OF THRONES: THE CARD GAME.

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »A World of Ice and Fire. The Untold History of Westeros and a Game of Thrones« bei Bantam Dell, a division of Random House, a division of Random House LLC, a Penguin Random House Company, New York.

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung März 2015

bei Penhaligon, einem Unternehmen der Verlagsgruppe

Random House GmbH, München.

Copyright © 2014 by George R.R. Martin

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2015

by Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Published in agreement with the author c / o Ralph M. Vicinanza, Ltd.

All rights reserved

Book Design by Rosebud Eustace

Umschlaggestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft nach einer Originalvorlage von Rosebud Eustace

Lektorat: Holger Kappel

Redaktion: Sigrun Zühlke und Thomas Gießl

Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-15514-8V003www.penhaligon.de

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Sturmkap

© Ted Nasmith

Inhalt

Vorwort

Die Geschichte des Altertums

DAS ZEITALTER DER DÄMMERUNG

DIE ANKUNFT DER ERSTEN MENSCHEN

DAS ZEITALTER DER HELDEN

DIE LANGE NACHT

DER AUFSTIEG VALYRIAS

VALYRIAS KINDER

DIE ANKUNFT DER ANDALEN

DIE ZEHNTAUSEND SCHIFFE

DAS VERHÄNGNIS VON VALYRIA

Die Herrschaft der Drachen

Die Könige aus dem Hause Targaryen

AEGON I.

AENYS I.

MAEGOR I.

JAEHAERYS I.

VISERYS I.

AEGON II.

AEGON III.

DAERON I.

BAELOR I.

VISERYS II.

AEGON IV.

DAERON II.

AERYS I.

MAEKAR I.

AEGON V.

JAEHAERYS II.

AERYS II.

Der Sturz der Drachen

DAS JAHR DES FALSCHEN FRÜHLINGS

ROBERTS REBELLION

DAS ENDE

Die Glorreiche Herrschaft

Die Sieben Königslande

DER NORDEN

DIE KÖNIGE DES WINTERS

DIE BERGSTÄMME

DIE STEINERNEN VON SKAGOS

DIE PFAHLBAUMENSCHEN DER ENG

DIE LORDS VON WINTERFELL

WINTERFELL

Die Mauer und die Länder jenseits davon

DIE NACHTWACHE

DIE WILDLINGE

DIE FLUSSLANDE

DAS HAUS TULLY

SCHNELLWASSER

DAS GRÜNE TAL

DAS HAUS ARRYN

HOHENEHR

DIE EISENINSELN

TREIBHOLZKRONEN

DIE EISENKÖNIGE

DAS SCHWARZE BLUT

DIE GRAUFREUDS VON PEIK

DER ROTE KRAKE

DER ALTE UND DER NEUE WEG

PEIK

DIE WESTLANDE

DAS HAUS LENNISTER UNTER DEN DRACHEN

CASTERLYSTEIN

DIE WEITE

GARTH GRÜNHAND

DIE KÖNIGE AUS DEM HAUSE GÄRTNER

DIE ANDALEN IN DER WEITE

ALTSASS

DAS HAUS TYRELL

ROSENGARTEN

DIE STURMLANDE

DIE ANKUNFT DER ERSTEN MENSCHEN

DAS HAUS DURRANDON

DIE ANDALEN IN DEN STURMLANDEN

DAS HAUS BARATHEON

DIE MENSCHEN DER STURMLANDE

STURMKAP

DORNE

DER BRUCH

DIE KÖNIGREICHE DER ERSTEN MENSCHEN

DIE ANDALEN IN DORNE

DIE ANKUNFT DER RHOYNAR

DIE SELTSAMEN SITTEN DES SÜDENS

DORNE GEGEN DIE DRACHEN

SONNSPEER

Jenseits des Königreichs der Abenddämmerung

ANDERE LÄNDER

DIE FREIEN STÄDTE

LORATH

NORVOS

QOHOR

DIE STREITSÜCHTIGEN TÖCHTER: MYR, LYS UND TYROSH

PENTOS

VOLANTIS

BRAAVOS

JENSEITS DER FREIEN STÄDTE

DIE SOMMERINSELN

NAATH

DIE BASILISKENINSELN

SOTHORYOS

DIE GRASLANDE

DAS ZITTERNDE MEER

IB

ÖSTLICH VON IB

DIE KNOCHEN UND DER FERNE OSTEN

YI TI

DIE EBENEN DER JOGOS NHAI

LENG

ASSHAI AM SCHATTEN

Nachwort

Das Haus Targaryen

Das Haus Stark

Das Haus Lennister

Die Herrschaft des Hauses Targaryen

Vorwort

ES HEISST GANZ richtig, dass jedes Gebäude Stein um Stein errichtet wird, und dasselbe kann man über Wissen sagen, das von vielen gelehrten Männern zusammengetragen wird, wobei ein jeder auf der Arbeit seiner Vorgänger aufbaut. Was der eine nicht weiß, ist dem anderen bekannt, und wenig bleibt verborgen, wenn man lange genug sucht. Und hier versuche ich, Maester Yandel, mich als Steinmetz und forme meine Kenntnisse zu einem weiteren Stein in der großen Bastion des Wissens – eine Bastion, die ihre Entstehung unzähligen Händen zu verdanken hat, die mir vorausgingen, und die, ohne Zweifel, mit der Hilfe unzähliger zukünftiger Hände weiter in die Höhe wachsen wird.

Als Findelkind wurde ich im zehnten Jahr der Herrschaft des letzten Targaryen-Königs geboren und an einem Morgen in einem leeren Stand des Schreiberherds ausgesetzt, wo die Akolythen für jene die Kunst des geschriebenen Wortes ausüben, die ihrer bedürfen. Dieser Tag bestimmte den Verlauf meines Lebens, denn der Akolyth, der mich fand, brachte mich zum Seneschall dieses Jahres, zu Erzmaester Edgerran. Edgerran, der Ring und Stab und Maske aus Silber trug, betrachtete mich schreienden Säugling und verkündete, dass ich von Nutzen sein könne. Als man mir dies in jungen Jahren erzählte, ging ich davon aus, dass er mein Schicksal als Maester vorausgesehen hatte; erst viel später sollte ich von Erzmaester Ebros erfahren, dass Edgerran ein Traktat über das Wickeln von Säuglingen verfasste und einige seiner Theorien gerne am lebenden Objekt überprüfen wollte.

Obgleich all das wenig verheißungsvoll anmutet, wurde ich doch der Fürsorge von Dienern übergeben, und man zog mich als Diener in den Hallen und Gemächern und Bibliotheken auf, doch Erzmaester Walgrab unterwies mich in der Kunst des Schreibens. So entwickelte sich meine Liebe zur Zitadelle und zu den Rittern des Geistes, die ihre kostbare Weisheit behüten. Nichts wollte ich mehr, als einer von ihnen werden – und über ferne Orte und die Männer vergangener Zeiten lesen, die Sterne beobachten und die Zyklen des Wetters aufzeichnen.

Und so geschah es. In meinem dreizehnten Jahr schmiedete ich das erste Glied meiner Kette, und andere folgten. Ich vollendete die Kette und legte das Gelübde im neunten Jahr der Herrschaft König Roberts, des Ersten Seines Namens, ab. Gnädigerweise durfte ich in der Zitadelle verweilen, weiterhin den Erzmaestern dienen und sie bei all ihren Werken unterstützen. Das war eine große Ehre, doch mein größter Wunsch war stets, ein eigenes Werk für bescheidene Männer zu verfassen, die der Kunst des Lesens mächtig sind, das sie auch ihren Frauen und Kindern vorlesen können. Ein Buch, aus dem sie von Gutem und Bösem erführen, von Recht und Unrecht, Groß und Klein, und so weiser würden, wie ich auch weiser wurde, der ich inmitten des Wissens der Zitadelle aufwuchs. Also kehrte ich zurück in meine Schmiede und begann erneut mit der Arbeit: Ich fasste die Meisterwerke längst verstorbener Maester zusammen. Und aus diesem meinem Wunsch ging diese Chronik hervor, in der man von Rittern und Schurken lesen kann, von bekannten und fremden Völkern, fernen und nahen Ländern.

Aegon der Eroberer auf Balerion, dem Schwarzen Schrecken.

© Jordi González Escamilla

Der Bau der Mauer.

© Chase Stone

© Michael Gellatly

DASZEITALTER DER DÄMMERUNG

NIEMAND KANN MIT Sicherheit sagen, wann die Welt begann, was jedoch viele Gelehrte nicht davon abhielt, nach der Antwort zu suchen. Manche behaupten, sie sei vierzigtausend Jahre alt, andere setzen ein Alter von fünfhunderttausend an. Vielleicht ist die Welt sogar noch älter? Es steht in keinem Buch, denn im ersten Zeitalter der Welt, dem Zeitalter der Dämmerung, beherrschte niemand die Kunst des Lesens und Schreibens.

Eines steht allerdings fest: Die Welt war ein weitaus primitiverer Ort – barbarische Stämme lebten direkt von den Früchten des Landes und konnten weder Metall verarbeiten noch Tiere zähmen. Das Wenige, das uns von damals bekannt ist, steht in den ältesten uns bekannten Schriften: den Geschichten, die von den Andalen, Valyrern, Ghiscari und dem sagenumwobenen Volk von Asshai niedergeschrieben wurden. Doch wie alt diese schriftkundigen Völker auch sein mögen, selbst sie waren während des Zeitalters der Dämmerung noch nicht einmal Kinder. Wir können in diesen alten Geschichten ebenso schwer die Wahrheit vom Irrtum trennen, wie sich die Spreu vom Weizen trennen lässt.

Was können wir mit Sicherheit über das Zeitalter der Dämmerung sagen? In den Ländern des Ostens wimmelte es von Völkern – es waren viele, doch sie waren unzivilisiert, denn die ganze Welt war damals unzivilisiert. In Westeros hingegen gab es zwischen dem Land des Ewigen Winters und der Küste des Sommermeeres nur zwei Völker: die Kinder des Waldes und die Geschöpfe, die wir als Riesen kennen.

Ein Riese.

© Douglas Wheatley

Über die Riesen lässt sich wenig sagen, denn niemand hat ihre Geschichten, ihre Legenden zusammengetragen und ihre Historie niedergeschrieben. Männern der Wache zufolge erzählen die Wildlinge Geschichten über die Riesen, die unsicher neben den Kindern lebten, gingen, wohin sie wollten, und sich nahmen, was sie begehrten. Allen bekannten Aufzeichnungen zufolge waren sie hünenhaft und kräftig, dabei jedoch einfältig. Berichte der Grenzer der Nachtwache, die als Letzte noch lebende Riesen mit eigenen Augen gesehen haben, sprechen davon, dass sie mit dichtem Fell bedeckt und nicht einfach nur große Menschen waren, wie es in Ammenmärchen heißt.

Umfangreiche Zeugnisse der Begräbnisse der Riesen hat Maester Kennet in Abschied von den Toten dargestellt, einer Untersuchung der Grabhügel, Gräber und Grüfte des Nordens, die er während seines Dienstes in Winterfell zu Zeiten der langen Herrschaft Cregan Starks angefertigt hat. Auf der Grundlage der im Norden gefundenen Knochen schätzen einige Maester ihre Größe auf 4,30 Meter, andere halten 3,60 Meter für wahrscheinlicher. Die Berichte längst verstorbener Grenzer, die von den Maestern der Wache aufgezeichnet wurden, stimmen darin überein, dass die Riesen weder Häuser errichteten noch Kleidung anfertigten und keine besseren Werkzeuge oder Waffen kannten als Äste, die sie von Bäumen rissen.

In den Archiven der Zitadelle findet sich ein Brief von Maester Aemon aus den frühen Jahren der Herrschaft Aegons V. Er schildert den Bericht eines Grenzers namens Redwyn aus den Tagen König Dorren Starks. Bei einer Reise zum Einsamen Kap und der Eisigen Küste haben der Grenzer und seine Gefährten angeblich gegen Riesen gekämpft und mit den Kindern des Waldes Handel getrieben. Aemon behauptet, viele solcher Berichte im Archiv der Schwarzen Festung gefunden zu haben, und hält sie für glaubhaft.

Bei ihnen gab es auch weder Könige noch Lords. Sie schliefen in Höhlen oder unter hohen Bäumen und bearbeiteten weder Metall noch den Erdboden. Sie blieben auf dem Stand des Zeitalters der Dämmerung. Die Menschen nahmen an Zahl zu, die Wälder wurden gezähmt und schwanden. Heute sind die Riesen auch jenseits der Mauer ausgestorben. Die letzten Berichte über sie sind hundert Jahre alt.

Die Kinder des Waldes waren in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenstück der Riesen. Sie waren klein wie Kinder, jedoch dunkel und wunderschön; wir würden ihre Lebensweise heute als schlicht bezeichnen. Sie kannten kein Metall, konnten jedoch Obsidian sehr kunstvoll bearbeiten (im Volksmund heißt er Drachenglas, das valyrische Wort für das Gestein lässt sich als »gefrorenes Feuer« übersetzen) und stellten daraus Werkzeuge und Jagdwaffen her. Sie woben keine Stoffe, fertigten sich jedoch Kleider aus Laub und Rinde an. Aus Wehrholz stellten sie Bögen her, und aus Gras flochten sie Flugschlingen, mit denen beide Geschlechter auf die Jagd gingen.

Ein Kind des Waldes.

© Douglas Wheatley

Ihre Lieder und ihre Musik waren ebenso schön wie sie selbst, heißt es, doch von den Texten sind aus den alten Zeiten nur Fragmente auf uns gekommen. Maester Kinners Die Könige des Winters oder die Legenden und Geschlechter der Starks von Winterfell enthält Zeilen aus einer Ballade, die angeblich aus den Zeiten erzählt, in denen Brandon der Erbauer die Hilfe der Kinder beim Bau der Mauer suchte. Er wurde zu einem geheimen Ort geführt, konnte jedoch zunächst ihre Sprache nicht verstehen, die angeblich klang wie das Lied der Steine in einem Bach oder wie das Rascheln des Windes im Laub oder wie das Plätschern von Regen auf dem Wasser. Wie Brandon lernte, die Sprache der Kinder zu verstehen, ist eine eigene Geschichte, die hier nicht erzählt werden soll. Doch es scheint, als hätte ihre Sprache ihren Ursprung in den Geräuschen, die sie tagtäglich hörten.

Sie verehrten namenlose Götter, die später zu den Göttern der Ersten Menschen werden sollten – die unzähligen Götter der Flüsse und Wälder und Steine. Es waren die Kinder, die Gesichter in die Wehrholzbäume schnitzten, vielleicht, um ihren Göttern Augen zu schenken, damit sie ihre Gläubigen beim Gebet beobachten konnten. Andere behaupten, dass die Grünseher, die Weisen der Kinder, durch die Augen der Gesichter in den Wehrholzbäumen blicken konnten. Als Beweis dafür wird angeführt, dass auch die Ersten Menschen daran glaubten; aus Angst, von den Wehrholzbäumen ausspioniert zu werden, fällten sie viele von ihnen, um die Kinder ihres Vorteils zu berauben. Allerdings verfügten die Ersten Menschen nicht über unsere Kenntnisse und glaubten andere Dinge als ihre Nachfahren heute; man denke an Maester Yorricks Vermählt mit dem Meer. Eine Geschichte Weißwasserhafens seit den Anfängen, wo über Blutopfer berichtet wird, die den Alten Göttern dargebracht wurden. Solche Opfer fanden noch vor fünfhundert Jahren statt, wenn man den Berichten von Maester Yorricks Vorgängern aus Weißwasserhafen glauben darf.

Ein Wehrholzbaum, in den ein Gesicht geschnitzt wurde.

© Arthur Bozonnet (Studio Hive)

Damit ist nicht gesagt, dass die Grünseher nicht auch vergessene Künste beherrschten, die zu den Höheren Mysterien zählen, beispielsweise Ereignisse über eine große Entfernung sehen oder mit jemandem sprechen konnten, der ein halbes Reich entfernt war (was auch die Valyrer beherrschten). Vielleicht jedoch handelt es sich bei manchen Wundertaten der Grünseher nur um Legenden. Sie konnten sich nicht in Tiere verwandeln, wie gelegentlich behauptet wird, doch sie scheinen in der Lage gewesen zu sein, sich mit ihnen auf eine Weise zu verständigen, die wir heute nicht mehr beherrschen; daher rühren die Legenden von »Leibwechslern« und »Tierlingen«.

Obwohl das Werk heute nicht mehr als glaubhaft angesehen wird, hat sich ein Fragment von Septon Barths Unnatürliche Geschichte als Quelle mehrerer Kontroversen in den Hallen der Zitadelle erwiesen. Septon Barth behauptet, unter Bezugnahme auf Texte, die in der Schwarzen Festung aufbewahrt werden, dass die Kinder der Waldes mit Raben sprachen und sie dazu bringen konnten, Worte zu wiederholen. Barth zufolge gaben die Kinder dieses Höhere Mysterium an die Ersten Menschen weiter, damit Raben Nachrichten über große Entfernungen überbringen konnten. Diese Kunst sei in »minderer Form« bis an die heutigen Maester überliefert worden, die nicht mehr wüssten, wie man mit den Vögeln spricht. Es stimmt, dass unser Orden die Sprache der Raben versteht … allerdings nur die Grundzüge dessen, was sie mit ihrem Krächzen mitteilen. Wir verstehen, wann sie Angst haben oder wütend sind, wann sie bereit sind, sich zu paaren, und wir erkennen, wenn sie krank sind.

Raben gehören zu den klügsten Vögeln, sind aber nicht klüger als Kleinkinder und können nicht so sprechen wie Menschen. Einige Maester, die ein Glied aus valyrischem Stahl geschmiedet haben, stimmen Barth zu, doch bisher konnte niemand beweisen, dass Menschen und Raben miteinander sprechen können.

Gewiss gibt es viele Legenden über Leibwechsler, doch den meisten Geschichten zufolge – den Erzählungen der Nachtwache von jenseits der Mauer, die von Septonen und Maestern früherer Jahrhunderte niedergeschrieben wurden – sprachen die Leibwechsler nicht nur mit den Tieren, sondern beherrschten sie, indem sie ihre Seelen mit denen der Tiere vermischten. Sogar die Wildlinge fürchteten diese Leibwechsler. Manche von ihnen sollen sich gar in ihren Tieren verloren haben, und Tiere sollen mit Menschenstimme gesprochen haben, wenn sie von Leibwechslern beherrscht wurden. In einem Punkt stimmen die Geschichten jedoch überein: Die meisten Leibwechsler waren Männer, die Wölfe – sogar Schattenwölfe – kontrollierten, und sie wurden von den Wildlingen Warge genannt.

Andere Legenden behaupten, dass die Grünseher angeblich in die Vergangenheit und weit in die Zukunft blicken konnten. Doch, wie unser Wissen uns lehrt, gilt für all solche Höheren Mysterien, dass Bilder und Gesichte aus kommenden Tagen verworren sind und sich oft als irreführend erweisen – so fällt es leicht, die Leichtgläubigen mit Wahrsagerei zum Narren zu halten. Obgleich die Kinder eigene Künste beherrschten, muss man stets zwischen Wahrheit und Aberglauben unterscheiden. Die Höheren Mysterien, die Künste der Magie, lagen und liegen jenseits der Grenzen, die wir Sterbliche erforschen können.

Die Kinder ließen sich von ihren Grünsehern führen, und ohne Zweifel lebten sie einst überall zwischen dem Land des Ewigen Winters und den Küsten des Sommermeeres. Sie errichteten nur einfache Unterkünfte und kannten keine Festen, Burgen oder Städte. Stattdessen wohnten sie in Wäldern, auf schwimmenden Inseln, im Sumpf und im Moor und auch in Höhlen oder hohlen Hügeln. In den Wäldern sollen sie Hütten aus Laub und Weide in den Bäumen geflochten haben – geheime »Baum-Städte«.

Lange glaubte man, sie hätten dort Schutz vor Raubtieren gesucht, derer sie sich mit ihren einfachen Steinwaffen und selbst ihren gepriesenen Grünsehern nicht erwehren konnten. Andere Quellen bestreiten dies und sehen ihre größten Feinde in den Riesen, wie es die Sagen des Nordens berichten; möglicherweise gelang es Maester Kennet, im Rahmen der Erforschung eines Hügelgrabs am Langen See, dies zu beweisen. Es handelte sich um die letzte Ruhestätte eines Riesen, und zwischen den erhaltenen Rippen fanden sich Pfeilspitzen aus Obsidian. Das erinnert an die Niederschrift eines Wildlingsliedes über die Brüder Gendel und Gorne in Maester Herryks Geschichte der Könige-jenseits-der-Mauer. Sie sollten den Zwist um eine Höhle zwischen einem Stamm der Kinder und einer Familie Riesen schlichten. Gendel und Gorne, so heißt es, schlichteten den Streit durch eine List, indem sie beiden Parteien die Höhle ausredeten, nachdem sie entdeckt hatten, dass sie Teil eines größeren Höhlensystems war, dessen Ausläufer unter der Mauer hindurchführten. Da die Wildlinge allerdings des Lesens und Schreibens nicht mächtig sind, sollte man ihre Überlieferungen mit Vorsicht genießen.

Zusätzlich zu den Tieren des Waldes und den Riesen sahen sich die Kinder später jedoch noch größeren Gefahren gegenüber.

Möglicherweise hat im Zeitalter der Dämmerung eine weitere Rasse in Westeros gelebt. Diese Vermutungen sind jedoch so spekulativ, dass sie rasch abzuhandeln sind.

Bei den Eisenmännern heißt es, die Ersten Menschen, die als Erste auf die Eiseninseln kamen, fanden den berühmten Meersteinstuhl auf Alt Wiek vor, obwohl die Inseln unbewohnt waren. Falls das stimmt, sind Wesen und Herkunft der Stuhlbauer ein Geheimnis. Maester Kirth vermutet in seiner Sammlung von Sagen der Eisenmänner, Lieder, die die Ertrunkenen Männer singen, dass der Stuhl von Besuchern aus dem Meer der Abenddämmerung zurückgelassen wurde, aber dafür gibt es keine Beweise.

DIEANKUNFT DERERSTEN MENSCHEN

LAUT DEN VERLÄSSLICHSTEN Aufzeichnungen, über die die Zitadelle verfügt, überquerte vor acht- bis zwölftausend Jahren ein neues Volk die schmale Landbrücke im Süden der Meerenge und gelangte aus den Ländern des Ostens nach Westeros. Die Ersten Menschen kamen über den damals noch unversehrten Gebrochenen Arm nach Dorne. Warum dieses Volk seine Heimat verließ, entzieht sich unserer Kenntnis, doch sie kamen in großer Zahl. Tausende drängten im Laufe der Jahrzehnte weiter und weiter gen Norden. Die überlieferten Sagen aus jenen Tagen der Wanderung sind kaum verlässlich, denn ihnen zufolge erreichten die Ersten Menschen binnen weniger Jahre die Eng und zogen in den Norden. In Wahrheit dürfte dies Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte gedauert haben.

Eines scheint jedoch zuzutreffen: Die Ersten Menschen führten bald schon Krieg gegen die Kinder des Waldes. Anders als die Kinder bestellten sie das Land und bauten Rundschanzen und Dörfer. Dabei fällten sie die Wehrholzbäume, darunter auch jene, in deren Stämme Gesichter geschnitzt worden waren. Dagegen wehrten sich die Kinder, was zu einem Krieg führte, der Jahrhunderte dauerte. Die Ersten Menschen, die fremde Götter, Pferde, Vieh und Waffen aus Bronze mitgebracht hatten, waren außerdem größer und stärker als die Kinder und wurden für sie zu einer ernst zu nehmenden Bedrohung.

Die Waldtänzer der Kinder, ihre Jäger, wurden zu Kriegern, doch ihr geheimes Wissen über Baum und Laub konnte den Vormarsch der Ersten Menschen lediglich verzögern. In den Erzählungen heißt es, dass die Grünseher mit ihren Künsten die Tiere aus Sumpf, Wald und Luft dazu brachten, auf ihrer Seite zu kämpfen: Schattenwölfe und riesige Schneebären, Höhlenlöwen und Adler, Mammuts und Schlangen und viele mehr. Doch die Ersten Menschen erwiesen sich als stärker. Schließlich, so sagt man, wurden die Kinder zu einem Akt der Verzweiflung getrieben.

Der Legende nach war die große Flut, welche die Landbrücke, den heutigen Gebrochenen Arm, zerstörte und die Eng in einen Sumpf verwandelte, das Werk der Grünseher, die sich dort versammelt hatten, wo heute Maidengraben liegt. Dieser Ansicht wird inzwischen allerdings oft widersprochen. Schließlich hatten die Ersten Menschen zu diesem Zeitpunkt Westeros längst erreicht, und den Zustrom weiterer Menschen einzudämmen hätte den Kindern nur wenig genutzt. Darüber hinaus übersteigt eine solche Tat die Kräfte, die man den Grünsehern traditionell zuschreibt … und selbst diese Behauptungen erscheinen übertrieben. Vermutlich sind die Überschwemmung der Eng und der Bruch des Armes auf ein natürliches Ereignis zurückzuführen, möglicherweise ein Erdbeben oder eine Absenkung des Landes. Es ist allgemein bekannt, was mit Valyria geschah, und auf den Eiseninseln thront die Burg Peik auf Felsformationen, die einst Teil der größeren Insel waren, ehe Stücke davon ins Meer stürzten.

Ungeachtet dessen kämpften die Kinder des Waldes so grimmig wie die Ersten Menschen um ihr Leben. Unerbittlich zog sich der Krieg über Generationen, bis die Kinder zuletzt einsahen, dass sie nicht gewinnen konnten. Vielleicht waren die Ersten Menschen der Kämpfe ebenfalls müde. Die Weisesten der Völker setzten sich durch, und die großen Helden und Herrscher beider Seiten trafen sich auf der Insel im Götterauge, um einen Pakt zu schließen. Die Kinder gaben alles Land in Westeros außer den tiefen Wäldern auf und bekamen dafür von den Ersten Menschen die Zusage, dass keine Wehrholzbäume mehr gefällt würden. Dann schnitzten sie in alle Wehrholzbäume auf der Insel Gesichter, auf dass die Götter den Pakt bezeugten. Danach wurde der Orden der Grünen Männer gegründet, der über die Wehrholzbäume wachte und die Insel beschützte.

Niemand weiß, ob heute noch Grüne Männer auf der Insel leben. Gelegentlich hört man Berichte über tollkühne junge Flusslords, die ein Boot hinübersteuern und einen Blick auf sie erhaschen, ehe der Wind auffrischt oder eine Schar Raben sie vertreibt. In den Ammenmärchen heißt es, die Grünen Männer hätten Hörner und dunkelgrüne Haut, was vermutlich eine Verdrehung der Tatsachen ist, denn wahrscheinlich trugen sie grüne Kleidung und gehörnte Kopfbedeckungen.

Mit dem Pakt ging das Zeitalter der Dämmerung zu Ende und das Zeitalter der Helden begann.

Die Kinder des Waldes und die Ersten Menschen schließen den Pakt.

© Magali Villeneuve

DASZEITALTER DERHELDEN

DAS ZEITALTER DER Helden dauerte Jahrtausende, in denen Königreiche aufstiegen und untergingen, Adelshäuser gegründet wurden und erloschen. Es war eine Zeit großer Taten. Und doch wissen wir über diese Zeit nur wenig mehr als über das Zeitalter der Dämmerung. Die Geschichten über jene Tage wurden zumeist Tausende Jahre später niedergeschrieben, doch anders als die Kinder des Waldes und die Riesen hinterließen die Ersten Menschen Ruinen und alte Burgen, die Teile der Legenden untermauern. In den Hügellanden findet man steinerne Monumente mit Runeninschriften auf den Grabfeldern. Mithilfe solcher Relikte können wir versuchen, die Wahrheit hinter den Legenden zu ergründen.

Ruine einer Ringfeste der Ersten Menschen.

© Jordi González Escamilla

Allgemein ist man sich einig, dass das Zeitalter der Helden mit dem Pakt begann und Jahrtausende dauerte, in denen die Ersten Menschen und die Kinder in Frieden Seite an Seite lebten. Da ihnen so viel Land überlassen worden war, gediehen die Ersten Menschen hervorragend und vermehrten sich prächtig. Vom Land des Ewigen Winters bis zu den Küsten des Sommermeeres herrschten die Ersten Menschen in ihren Rundschanzen. Überall gab es kleine Könige und mächtige Lords, doch mit der Zeit erwiesen sich einige von ihnen als stärker und legten so den Grundstein für die Sieben Königreiche. Die Namen dieser Könige der Vorzeit wurden in Legenden bewahrt, aber bei den Geschichten, die behaupten, dass sie Jahrhunderte herrschten, muss es sich um Hirngespinste handeln, die in späterer Zeit hinzuerfunden wurden.

Wenn wir von diesen legendären Gründern der Reiche sprechen, dürfen wir nicht vergessen, dass es sich dabei meist um Güter – um hohen Sitz wie Casterlystein oder Winterfell – handelt, die sich im Laufe der Zeit mehr Land und Einfluss aneignen konnten. Selbst wenn Garth Grünhand je das sogenannte Königreich der Weite regierte, ist zu bezweifeln, dass sein Wort vierzehn Tagesritte von seinen Hallen entfernt noch etwas galt. Doch aus diesen belanglosen Domänen entstanden schließlich mächtigere Königreiche, die Westeros in den kommenden Jahrhunderten beherrschen sollten.

Namen wie Brandon der Erbauer, Garth Grünhand, Lenn der Listige oder Durran Götterfluch haben einen magischen Klang. Vermutlich enthalten die Geschichten nur wenig Wahrheit und viel Fantasie. Andernorts werde ich versuchen, die Spreu vom Weizen zu trennen, doch hier wollen wir die Legenden zunächst einmal für bare Münze nehmen.

Neben den sagenumwobenen Königen und den Hundert Königreichen, aus denen die Sieben Königreiche hervorgingen, wurden Helden wie Symeon Sternaugen oder Serwyn vom Spiegelschild zum Stoff für Septone und Sänger. Haben solche Helden wirklich gelebt? Vielleicht. Aber wenn die Sänger Serwyn vom Spiegelschild zu einem Ritter der Königsgarde machen – ein Orden, der erst unter Aegon dem Eroberer gegründet wurde –, wird deutlich, weshalb wir nur wenig glauben können. Die Septone, die sie ursprünglich niederschrieben, wählten die Versatzstücke, die ihnen gefielen, und fügten weitere hinzu, und die Sänger schrieben sie um, manchmal bis zur Unkenntlichkeit, um sich einen warmen Platz in der Halle eines Lords zu sichern. So wird irgendein lang verstorbener Erster Mensch zum Ritter, der die Sieben anbetet, und beschützt Jahrtausende nach seinem Tod die Targaryen-Könige. Wie viele Knaben und Jünglinge lernten dank dieser Geschichten nichts als Unfug über die alte Geschichte von Westeros!

DIELANGE NACHT

ALS DIE ERSTEN Menschen nach dem Pakt ihre Königreiche gründeten, beschäftigten sie sich nur mit ihren Fehden und Kriegen, das zumindest berichten die Chroniken. Und aus diesen Chroniken erfahren wir auch von der Langen Nacht, als ein Winter kam, der eine Generation lang dauerte und in dem viele Kinder geboren wurden, die aufwuchsen und starben, ohne je einen Frühling erlebt zu haben. In alten Ammenmärchen heißt es sogar, dass manche nie das Licht des Tages erblickten, so hart sei dieser Winter gewesen. Während man solches wohl dem Reich der Fantasie zurechnen muss, kann als gesichert gelten, dass sich vor vielen tausend Jahren eine schreckliche Katastrophe zutrug. Lomas Langschritt erzählt in Weltwunder aus Menschenhand von einem Treffen mit Nachfahren der Rhoynar in den Ruinen Chroyanes, der Stadt der Feste, die von einer Finsternis berichten, welche die Rhoyne schrumpfen und verschwinden ließ. Bis zur Einmündung der Selhoru soll der große Fluss gefroren gewesen sein. Die Sonne soll erst wieder erschienen sein, als ein Held die vielen Kinder der Mutter Rhoyne – kleine Gottheiten wie den Krebskönig und den Alten Mann vom Fluss – überredete, ihren kleinmütigen Streit beizulegen, sich zusammenzutun und ein geheimes Lied zu singen, das den Tag zurückbrachte.

Auch in den Annalen von Asshai wird eine solche Finsternis erwähnt, dazu ein Held, der mit einem roten Schwert dagegen kämpfte. Seine Taten sollen vor dem Aufstieg Valyrias stattgefunden haben, im Ersten Äon der Welt, als Alt-Ghis sein Imperium errichtete. Diese Legende breitete sich von Asshai nach Westen aus, und die Anhänger R’hllors behaupten, der Name dieses Helden sei Azor Ahai, und prophezeien seine Rückkehr. Im Jadekompendium schildert Colloquo Votar eine eigenartige Legende aus Yi Ti, der zufolge die Sonne ein Menschenalter lang ihr Gesicht von der Erde abwandte und sich verhüllte, weil sie sich wegen etwas schämte, das niemand je ans Licht bringen konnte. Die Katastrophe soll durch eine Frau mit einem Affenschwanz beendet worden sein.

Obwohl man in der Zitadelle lange nach Möglichkeiten geforscht hat, die Länge und Wechsel der Wetterzyklen vorherzusagen, sind bislang alle Versuche gescheitert. Septon Barth argumentiert in Fragmenten eines Traktats allem Anschein nach, dass die Unbeständigkeit der Zyklen magischer Natur und nicht vorhersehbar sei. Maester Nicol scheint von dieser Ansicht in seinem Das Maß der Tage, einem ansonsten nützlichen und löblichen Werk, beeinflusst zu sein. Wenig überzeugend meint Nicol, aufgrund seiner Untersuchung der Bewegung der Sterne am Firmament, die Länge der Zyklen wäre einst gleichmäßig gewesen und dadurch bestimmt, in welchem Winkel der Globus auf seiner himmlischen Reise zur Sonne steht. Der Gedanke erscheint einleuchtend – ein regelmäßigeres Länger- und Kürzerwerden der Tage könnte einst für regelmäßigere Zyklen gesorgt haben –, doch außer in uralten Sagen gibt es keine Hinweise darauf, dass es sich je so verhalten hat.

Falls es einen solchen Winter wirklich gegeben hat, muss er schreckliche Not gebracht haben. In harten Wintern ist es im Norden immer noch Sitte, dass die Alten und Schwachen verkünden, auf die Jagd zu gehen – wohl wissend, dass sie nicht zurückkehren. Doch so haben die Jüngeren und Stärkeren etwas mehr Nahrung zur Verfügung und können hoffen zu überleben. Zweifellos war dies auch während der Langen Nacht Sitte.

Anderen Sagen mag man kaum glauben, obwohl sie in den alten Chroniken eine große Rolle spielen – über Geschöpfe, die als die Anderen bezeichnet werden. Es heißt, sie seien aus dem eisigen Land des Ewigen Winters gekommen, brachten Kälte und Finsternis mit sich und wollten alles Licht und alle Wärme auslöschen. Sie ritten auf gewaltigen Eisspinnen und toten Pferden, die sie wieder zum Leben erweckt hatten. Auch tote Menschen erweckten sie und ließen sie für sich kämpfen.

Die Anderen reiten auf Eisspinnen und toten Pferden, wie die Legenden behaupten.

© Marc Simonetti

Wie die Lange Nacht endete, lässt sich ebenfalls nur den Legenden entnehmen. Im Norden heißt es, ein Letzter Held habe sich aufgemacht, die Kinder des Waldes um Hilfe zu bitten. Seine Gefährten hätten ihn verlassen oder seien einer nach dem anderen gestorben, als sie gegen hungrige Riesen, kalte Diener und die Anderen selbst kämpften. Allein erreichte er schließlich die Kinder, allen Bemühungen der Weißen Wanderer zum Trotz, und dies war der Wendepunkt. Dank der Kinder schlossen sich die ersten Männer der Nachtwache zusammen und schlugen und gewannen die Schlacht um die Dämmerung: die letzte Schlacht, die den endlosen Winter beendete und die Anderen zurück in den eisigen Norden fliehen ließ. Heute, sechstausend Jahre später (oder achttausend nach Die Wahre Geschichte) wird die Mauer, die zur Verteidigung der Reiche der Menschen errichtet wurde, noch immer von den Geschworenen Brüdern der Nachtwache bemannt, und seit vielen Jahrhunderten hat niemand mehr Andere oder Kinder des Waldes gesehen.

Erzmaester Fomas’ Lügen der Altvorderen erfährt heute wegen der falschen Darstellung der Gründung Valyrias sowie einiger Geschlechter in der Weite und den Westlanden nur wenig Beachtung, stellt jedoch die These auf, die Anderen seien nur ein Stamm der Ersten Menschen gewesen, Vorfahren der Wildlinge, die sich weit im Norden niedergelassen hätten. Wegen der Langen Nacht seien diese gezwungen worden, zu Eroberungen gen Süden aufzubrechen. Zu Ungeheuern wurden sie, so Fomas, erst in den Sagen, weil die Nachtwache und die Starks sich als Helden und Retter der Menschheit darstellen wollten statt als Nutznießer eines Streits um die Vorherrschaft.

DERAUFSTIEG VALYRIAS

WÄHREND SICH WESTEROS von der Langen Nacht erholte, erhob sich in Essos eine neue Macht. Der riesige Kontinent, der sich von der Meerenge bis zur sagenumwobenen Jadesee und dem weit entfernten Ulthos erstreckt, scheint die Wiege aller modernen Zivilisationen zu sein. Die erste – lässt man die zweifelhaften Ansprüche Qarths, die Legenden über das Große Imperium der Dämmerung von Yi Ti und die schattenhaften Sagen über das rätselhafte Asshai beiseite – entstand in Alt-Ghis, einer Stadt, die sich auf Sklaverei stützte. Der legendäre Gründer der Stadt, Grazdan der Große, wird heute noch verehrt, und viele Sklavenhändler benennen ihre Söhne nach ihm. Den ältesten Chroniken der Ghiscari zufolge hat er die Legionen gegründet, die mit ihren drei Speeren und dem hohen Schild im Gleichschritt marschierten und als erste Menschen in Formation kämpften. So kolonisierte Alt-Ghis zunächst das Umland und eroberte und unterjochte später auch seine Nachbarn. Es entstand das erste Imperium und herrschte jahrhundertelang unangefochten.

Diejenigen, die das Reich von Alt-Ghis schließlich niederwarfen, stammten von der großen Halbinsel auf der anderen Seite der Sklavenbucht. Im Schutz der großen Vulkane, die als die Vierzehn Flammen bekannt waren, lernten die Valyrer, Drachen zu zähmen, und machten sie zur furchterregendsten Kriegswaffe, die die bekannte Welt je gesehen hat. In ihren Geschichten behaupteten die Valyrer, selbst von Drachen abzustammen und mit jenen Geschöpfen verwandt zu sein, die sie inzwischen beherrschten.

Drachenherren aus Valyria.

© Magali Villeneuve

Die große Schönheit der Valyrer – sie hatten Haar wie helles Silber oder Gold und Augen, die in vielen verschiedenen Violetttönen leuchteten, einmalig unter allen Völkern der Welt – ist weithin bekannt und galt oft als Beweis dafür, dass in valyrischen Adern tatsächlich besonderes Blut geflossen sei, was sie von geringeren Menschen unterschied. Doch manche Maester verweisen darauf, dass man bei Tieren durch gezielte Zuchtwahl erstaunliche Ergebnisse erzielen kann und dass abgeschottete Völker oft bemerkenswerte Abweichungen von dem aufweisen, was als üblich gilt. Auch wenn dieser Gedankengang mehr Licht auf die Herkunft der Valyrer wirft, erklärt er nicht die Affinität zu Drachen, über die jene mit valyrischem Blut ohne Zweifel verfügten.

In den Fragmenten von Barths Unnatürliche Geschichte scheint der Septon verschiedene Legenden über die Herkunft der Drachen und darüber, wie die Valyrer sie zu beherrschen lernten, zu vergleichen. Die Valyrer selbst behaupteten, die Drachen entsprangen als Kinder den Vierzehn Flammen, während es in Qarth heißt, einst habe es einen zweiten Mond am Himmel gegeben. Eines Tages kam dieser Mond der Hitze der Sonne zu nahe und platzte wie ein Ei. Eine Million Drachen strömten heraus. In Asshai soll es viele einander widersprechende Geschichten darüber geben, doch gewisse Texte – allesamt unglaublich alt – behaupten, die Drachen seien aus dem Schatten gekommen, einem Ort, über den uns all unsere Gelehrsamkeit nichts verrät. Diese Chroniken der Asshai’i behaupten, ein so altes Volk, dass es nicht einmal einen Namen habe, habe die ersten Drachen im Schatten gezähmt und sie nach Valyria gebracht, wo es seine Kunst an die Valyrer weitergab, ehe es verschwand.

Doch wenn die Menschen im Schatten als Erste Drachen gezähmt hatten, warum nutzten sie sie dann nicht zur Eroberung? Da erscheint die valyrische Version doch am wahrscheinlichsten. Lange vor der Ankunft der Targaryen gab es Drachen in Westeros, wie wir aus unseren eigenen Legenden und Historien wissen. Falls die Drachen den Vierzehn Flammen entsprangen, müssen sie sich fast überall auf der bekannten Welt ausgebreitet haben, ehe sie gezähmt wurden. Und dafür gibt es sogar Beweise: Drachenknochen wurden im Norden bis nach Ib und sogar in den Urwäldern von Sothoryos gefunden. Doch die Valyrer unterwarfen sie und machten sie sich zu Diensten wie sonst niemand.

Die Valyrer hatten keine Könige, sondern nannten sich stattdessen Freistaat, weil alle Bürger mit Landbesitz an der Herrschaft beteiligt waren. Archonten halfen bei der Leitung des Staates, doch sie wurden für begrenzte Zeit aus den Reihen der Herren Freistaatler gewählt. Selten lag die Macht in Valyria in den Händen einer großen Familie allein, obwohl es vorkam.

Die Fünf Großen Kriege zwischen dem Freistaat und Alt-Ghis in der Jugend der Welt sind Stoff für Legenden – Feuerstürme, die am Ende stets mit dem Sieg der Valyrer über die Ghiscari endeten. Im Fünften Krieg, dem letzten, sorgten die Valyrer dafür, dass es keinen sechsten gab. Die uralte Ziegelmauer von Alt-Ghis, die Grazdan der Große vor undenklichen Zeiten errichtet hatte, wurde geschleift. Die riesigen Pyramiden, Tempel und Häuser fielen dem Drachenfeuer zum Opfer. Die Felder wurden mit Salz, Kalk und Schädeln bestreut. Viele Ghiscari wurden getötet, andere versklavt und gezwungen, für die Eroberer zu schuften bis zum Tod. So wurden die Ghiscari Teil des neuen Valyrischen Imperiums; und mit der Zeit vergaßen sie sogar die Sprache, die Grazdan gesprochen hatte, und sprachen stattdessen Hochvalyrisch. So gehen Weltreiche unter und neue entstehen.

Vom einst stolzen Imperium von Alt-Ghis ist nur wenig geblieben – ein paar armselige Städte, die wie Schwären an der Küste der Sklavenbucht hängen, und eine weitere, die behauptet, das wiedererstandene Alt-Ghis zu sein. Denn nach dem Verhängnis Valyrias konnten die Städte der Sklavenbucht die Fesseln der Valyrer abwerfen und wieder über sich selbst bestimmen. Und was von den Ghiscari geblieben war, nahm bald das Geschäft mit den Sklaven wieder auf. Waren die Sklaven früher im Krieg unterjocht worden, so erwarb man sie nun durch Handel und züchtete sie.

»Aus Ziegel und Blut ist Astapor erbaut, und aus Ziegel und Blut ist auch sein Volk«, lautet ein alter Spruch, der auf die roten Ziegel der Stadtmauer und das Blut Tausender Sklaven anspielt, das beim Bau der Mauern vergossen worden war. Astapor wird von Männern regiert, die sich selbst die Guten Herren nennen, und die Stadt ist vor allem für die Eunuchen-Sklavensoldaten, die Unbefleckten, bekannt – Männer, die von Kindheit an zu furchtlosen Kriegern erzogen wurden, die keinen Schmerz kennen. Die Astapori erklären die Unbefleckten gern zu den wiederauferstandenen Legionen des Alten Imperiums, doch die Legionäre damals waren freie Männer. Die Unbefleckten sind es nicht.

Über Yunkai, die Gelbe Stadt, braucht man nicht viele Worte zu verlieren. Es ist ein übler Ort. Die Herrscher dort nennen sich die Weisen Herren, doch sind sie durch und durch verderbt. Sie handeln mit Bettsklaven, Lustknaben und Schlimmerem.

Die beeindruckendste Stadt an der Sklavenbucht ist das alte Meereen, doch wie die anderen bröckelt auch sie vor sich hin. Die Bevölkerung ist im Vergleich zu den Zeiten des Alten Imperiums auf einen Bruchteil geschrumpft. Die bunten Ziegel umschließen endlose Pein, denn die Großen Herren von Meereen lassen zu ihrem Vergnügen Kampfsklaven in blutgetränkten Arenen gegeneinander antreten und sterben.

Alle drei Städte zahlen lieber Tribut an vorbeiziehende Khalasare, als gegen sie in die Schlacht zu ziehen, doch von den Dothraki stammen ohnehin viele der Sklaven, die die Ghiscari ausbilden und verkaufen. Diese Sklaven stammen aus Eroberungen der Dothraki und werden auf den Fleischmärkten von Meereen, Yunkai und Astapor verkauft.

Die lebendigste Stadt der Ghiscari ist zugleich die kleinste und jüngste und prahlt ebenfalls mit falscher Größe: Neu-Ghis kann auf seiner Insel tun und lassen, was es will. Die dortigen Herren haben Eiserne Legionen nach dem Vorbild der Legionen des Alten Imperiums aufgestellt, doch, anders als die Unbefleckten, sind sie tatsächlich freie Männer, wie jene in früheren Zeiten.

Der Fall von Alt-Ghis.

© Marc Simonetti

VALYRIAS KINDER

DIE VALYRER ÜBERNAHMEN die beklagenswerte Sitte der Sklaverei von den Ghiscari. Die Ghiscari, die sie besiegten, wurden ihre ersten Sklaven. In den brennenden Bergen der Vierzehn Flammen gab es reiche Erzvorkommen, und die Valyrer gierten danach: Kupfer und Zinn ergaben Bronze für ihre Waffen und Denkmäler; später brauchten sie Eisen, um den Stahl für ihre legendären Klingen zu schmieden; und stets Gold und Silber, um für alles zu zahlen.

Die Eigenschaften valyrischen Stahls sind weithin bekannt. Sie beruhen auf dem vielfachen Falten des Eisens beim Schmieden, womit Unreinheiten ausgeglichen und beseitigt werden. Mit Hilfe von Zaubern – oder zumindest uns nicht bekannten Künsten – erhielt der Stahl seine unnatürliche Stärke. Diese Künste sind verloren, nur die Schmiede von Qohor behaupten noch, sie würden die Magie kennen, mit der man valyrischen Stahl neu verarbeiten kann, ohne die Kraft oder die unübertroffene Schärfe zu zerstören. Heute gibt es wohl noch Tausende von Klingen aus valyrischem Stahl, in den Sieben Königslanden zählt man laut Erzmaester Thurguts Bestandsaufnahmen jedoch nur 227, von denen manche im Laufe der Zeit verloren gingen oder aus den Annalen der Geschichte verschwanden.

Niemand weiß, wie viele Opfer die Fronarbeit in den valyrischen Minen forderte, aber es handelt sich um eine unermesslich große Zahl. Valyria wuchs und brauchte immer mehr Erz, was zu weiteren Eroberungen und Sklavenjagden führte. Die Valyrer breiteten sich in alle Richtungen aus, im Osten über die Städte der Ghiscari hinaus und im Westen bis zur Küste von Essos, bis wohin nicht einmal die Ghiscari vorgedrungen waren.

Die Feuer der Vierzehn Flammen strömen durch Valyria und nähren die Magie der Pyromantiker.

© Ted Nasmith

Diese erste Expansionsphase des neuen Imperiums war von größter Bedeutung für Westeros und die zukünftigen Sieben Königreiche. Valyria wollte immer mehr Länder erobern und Völker versklaven, und deshalb flohen viele und wichen vor dem valyrischen Ansturm zurück. An der Küste von Essos gründeten die Valyrer Kolonien, die wir heute als die Freien Städte kennen. Sie entstanden aus unterschiedlichen Gründen.

Qohor und Norvos wurden nach religiösen Spaltungen gegründet. Andere, wie Alt-Volantis und Lys, waren zunächst Handelsniederlassungen, gegründet von Kaufleuten und Adligen, welche sich das Recht, sich selbst zu regieren, vom Freistaat erkauften. Die Herrscher dieser Städte waren unabhängige Bundesgenossen der Valyrer, keine Untertanen; sie wählten ihre Führung selbst und bekamen keine Archonten aus Valyria vorgesetzt (die häufig auf den Rücken ihrer Drachen in den Städten eintrafen, die sie beherrschten). In manchen Chroniken gelten Pentos und Lorath als ein dritter Typus: Städte, die es bereits vor der Ankunft der Valyrer gab und deren Herrscher sich entschlossen, den Drachen zu huldigen, wodurch sie ihre angestammten Herrschaftsrechte behielten. In diese Städte sickerte valyrisches Blut vor allem durch Einwanderer aus dem Freistaat ein oder durch Eheschließungen, die den Bund mit Valyria festigen sollten. Als Quelle dafür geben die Historiker meistens Gessio Haratis’ Vor den Drachen an. Haratis stammte aus Pentos. Zu seiner Zeit drohte Volantis, das Valyrische Imperium neu zu errichten, und daher war eine von Valyria unabhängige Gründungslegende für die Herrscher von Pentos wichtig.

Braavos ist zweifellos einzigartig unter den Freien Städten, denn es wurde nicht vom Freistaat selbst oder einigen seiner Bürger, sondern von Sklaven gegründet. Den Geschichten der Braavosi zufolge wurde eine riesige Sklavenjägerflotte, die menschlichen Tribut in den Ländern des Sommermeeres und der Jadesee eingetrieben hatte, Opfer eines Sklavenaufstands. Der Erfolg des Aufstands hing sicherlich damit zusammen, dass die Valyrer Sklaven auch als Ruderer und sogar Seeleute einsetzten und diese Männer sich der Erhebung anschlossen. Nachdem sie die Flotte erobert hatten, stellten sie fest, dass es in der Nähe keinen Ort gab, an dem sie sich vor dem Freistaat verstecken konnten. Daher suchten sich die Sklaven ein Stück Land weit entfernt von Valyria und seinen Vasallen und gründeten ihre eigene Stadt. Der Legende nach rieten die Mondsänger, dass die Flotte weit nach Norden in eine verlassene Ecke von Essos ziehen sollte. Inmitten von Watt und Brackwasser und Nebel legten die Sklaven den Grundstein zu ihrer Stadt.

Jahrhundertelang verbargen sich die Braavosi in ihrer entlegenen Lagune vor der Welt. Und selbst nachdem sie sich gezeigt hatten, galt Braavos weiterhin als die Verborgene Stadt. Die Braavosi waren kein einheitliches Volk: Sie bestanden aus Dutzenden von Rassen, sprachen Hunderte Sprachen und verehrten Hunderte verschiedener Götter. Geeint wurden sie nur durch das Valyrische, die am weitesten verbreitete Handelssprache in Essos, sowie durch den Umstand, dass sie allesamt ehemalige Sklaven waren, die sich selbst befreit hatten. Die Mondsänger wurden verehrt, aber die weisesten unter den ehemaligen Sklaven entschieden, dass sie, um eine Einheit zu werden, allen Göttern den gleichen Respekt entgegenbringen mussten. Kein Gott durfte über dem eines anderen Braavosi stehen.

Über die Geschichte Valyrias, über die Eroberungen, die Kolonien, die Fehden der Drachenherren und die Götter, die sie verehrten, wurden im Laufe der Jahrhunderte viele Bände verfasst. Man könnte noch weitere Bibliotheken füllen und wäre dennoch längst nicht mit der Arbeit fertig. Galendros Die Feuer des Freistaats gilt allgemein als die maßgebliche Historie, doch der Abschrift der Zitadelle fehlen noch immer siebenundzwanzig Schriftrollen.

Kurz gesagt: Die Namen und Zahl der Völker, die von Valyria erobert wurden, sind uns heute weitgehend unbekannt. Die Aufzeichnungen, die die Valyrer selbst über ihre Eroberungen anfertigten, wurden beim Verhängnis zumeist vernichtet, und auch bei den Völkern selbst überlebten nur wenige Chroniken (sofern sie überhaupt je existierten).

Einige, wie zum Beispiel die Rhoynar, widerstanden dem Ansturm für Jahrhunderte, sogar Jahrtausende. Die Rhoynar, die große Städte entlang der Rhoyne gegründet hatten, gelten als das Volk, das die Kunst der Eisenbearbeitung zuerst erlernte. Auch der Städtebund, der später als das Königreich von Sarnor bekannt wurde, überlebte die valyrische Expansion dank der großen Ebene, die sie trennte. Nur dass aus dieser Ebene das Volk kam, das auch den Sarnori den Untergang brachte: die Pferdeherren der Dothraki.

Völker, die nicht versklavt werden wollten, aber auch nicht über die Stärke verfügten, um der Macht Valyrias zu trotzen, mussten fliehen. Viele scheiterten und fielen der Vergessenheit anheim. Doch einem Volk, hochgewachsen und blond, tapfer und unbeugsam durch seinen Glauben, gelang die Flucht vor den Valyrern. Und dies waren die Andalen.

DIEANKUNFT DERANDALEN

DIE ANDALEN STAMMEN aus den Ländern der Axt, die östlich und nördlich des heutigen Pentos liegen; über viele Jahrhunderte waren sie Nomaden, die es nie lange an einem Ort hielt. Aus dem Herzland der Axt, einer von allen Seiten vom Zitternden Meer umgebenen Landzunge, zogen sie nach Süden und Westen und erkämpften sich Andalos: das alte Reich der Andalen.

Andalos erstreckte sich nach Westen von der Axt bis zum heutigen Küstenland von Braavos und nach Süden bis zum Flachland und den Samthügeln. Die Andalen trugen Eisenwaffen und Rüstungen aus Eisenplatten und waren dadurch den einheimischen Stämmen dieser Länder klar überlegen. Einer dieser Stämme waren die Haarigen Menschen, deren richtiger Name vergessen ist, die aber in manchen Chroniken der Pentoshi erwähnt werden. (In Pentos glaubte man, sie seien mit den Menschen von Ib verwandt, wenngleich manche meinen, die Haarigen Menschen hätten Ib besiedelt, während andere denken, sie stammten von dort.)

Der Umstand, dass die Andalen Eisen bearbeiteten, wurde als Beweis dafür angesehen, dass die Sieben sie in ihrem Tun leiteten. Die Heiligen Texte lehren, der Schmied selbst habe ihnen diese Kunst beigebracht. Doch die Rhoynar waren zu jener Zeit bereits eine hoch entwickelte Zivilisation und kannten Eisen; ein Blick auf die Karte genügt, um zu begreifen, dass die frühen Andalen Kontakt zu den Rhoynar gehabt haben müssen. Der Dunkelwasser und die Noyne liegen im Wanderungsgebiet der Andalen, und in Andalos gibt es Überreste rhoynischer Vorposten, wenn man dem Historiker Doro Golathis aus Norvos glauben darf. Die Andalen wären auch nicht die ersten Menschen, die die Eisenbearbeitung von den Rhoynar gelernt hätten; es heißt, auch die Valyrer wären in dieser Kunst von den Rhoynar unterwiesen worden, obgleich sie am Ende die Rhoynar weit übertrafen.

Einer alten Legende aus Pentos zufolge erschlugen die Andalen die Schwanenjungfrauen, die in den Samthügeln östlich der Freien Stadt Reisende in den Tod lockten. Ein Held, den die Sänger der Pentoshi Hukko nennen, führte die Andalen zu jener Zeit, und es heißt, er habe die sieben Jungfrauen nicht ihrer Verbrechen wegen getötet, sondern seinen Göttern geopfert. Manche Maester deuten an, Hukko könne möglicherweise eine Abwandlung des Namens Hugor sein. Doch die Pentoshi verfolgten wohl eher eigene Interessen, als sie Elemente einer andalischen Geschichte in ihre Legende übernahmen. Den alten Legenden des Ostens darf man noch weniger trauen als jenen aus Westeros. Durch die vielen Reisen zwischen den Ländern haben sich auch die Sagen und Geschichten vermischt.

Jahrtausendelang lebten die Andalen in Andalos, und ihre Zahl wuchs. Im ältesten Heiligen Buch, Der Siebenzackige Stern, heißt es, die Sieben selbst wären in den Hügeln von Andalos unter ihrem Volk gewandelt und hätten Hugor vom Hügel zum König gekrönt und ihm und seinen Nachfahren große Königreiche in fernen Landen versprochen. So erklären Septone und Septas, weshalb die Andalen Essos verließen und nach Westeros aufbrachen, doch die Forschungen der Zitadelle werfen ein anderes Licht darauf.

Einige Jahrhunderte gediehen die Andalen in den Bergen von Andalos und blieben mehr oder weniger sich selbst überlassen. Doch mit dem Fall von Alt-Ghis begannen die großen Eroberungszüge und Siedlungswellen des Freistaates von Valyria, der auf der Suche nach Sklaven seinen Herrschaftsbereich stetig ausweitete. Zunächst bildeten die Rhoyne und die Rhoynar einen natürlichen Puffer zwischen Valyrern und Andalen. Als die Valyrer die Rhoyne erreichten, fiel es ihnen schwer, den großen Fluss in Heeresstärke zu durchqueren. Die Drachenherren selbst hatten keine Schwierigkeiten, doch Fußvolk und Reiterei erschien ein solches Vorhaben angesichts des rhoynischen Widerstands wenig verlockend. Jahrelang herrschte ein Waffenstillstand zwischen Valyrern und Rhoynar, der den Andalen zumindest etwas Schutz bot.

An einer der Mündungen der Rhoyne gründeten die Valyrer ihre erste Kolonie. Volantis, wie die Stadt genannt wurde, wurde von einigen der wohlhabendsten Bürger des Freistaats errichtet, die sich an den Schätzen bereichern wollten, die auf der Rhoyne gen Süden kamen. Und bei Volantis überquerten die valyrischen Eroberer den Fluss in großer Zahl. Zunächst kämpften die Andalen vielleicht gegen sie, womöglich sogar von den Rhoynar unterstützt, doch letztlich war die Flut nicht aufzuhalten. Vermutlich zogen die Andalen daher die Flucht der unausweichlichen Sklaverei vor. Sie zogen sich auf die Axt zurück, das Land, aus dem sie ursprünglich stammten, und als das nicht genügte, wichen sie weiter nach Norden und Westen aus, bis zum Meer. Manche ergaben sich dort wohl ihrem Schicksal, andere kämpften bis zum bitteren Ende, aber viele bauten Schiffe und segelten in großer Zahl über die Meerenge, in die Lande der Ersten Menschen nach Westeros.

Die Valyrer hatten zunichtegemacht, was die Sieben den Andalen in Essos verheißen hatten, aber in Westeros waren sie frei. Krieg und Flucht hatten sie unnachgiebig gemacht, und so schnitten sie sich den siebenzackigen Stern in die Haut und gelobten bei ihrem Blut und den Sieben, nicht eher zu ruhen, bis sie sich in den Ländern der Abenddämmerung ihre Königreiche erobert hätten. Nach ihrem Erfolg erhielt Westeros einen neuen Namen: Rhaesh Andahli – das Land der Andalen –, wie es bei den Dothraki noch immer heißt.

Einigkeit besteht unter Septonen, Sängern und Maestern, dass die Andalen zuerst auf den Fingern im Grünen Tal von Arryn landeten. Überall dort wurde der siebenzackige Stern auf Felsen und Steine gemeißelt, eine Sitte, die im Laufe des Eroberungszuges der Andalen irgendwann aufgegeben wurde.

Abenteurer der Andalen im Grünen Tal. Im Hintergrund die Mondberge.

© Arthur Bozonnet (Studio Hive)

Die Andalen zogen mit Feuer und Schwert durch das Grüne Tal und begannen ihre Eroberung. Ihre Waffen und Rüstungen aus Eisen waren der Bronze der Ersten Menschen weit überlegen, und in diesem Krieg ließen viele der Ersten Menschen ihr Leben. Der Krieg – oder die Abfolge von Kriegen – dauerte vermutlich mehrere Jahrzehnte. Schließlich gaben einige der Ersten Menschen auf. Wie ich bereits anmerkte, führen manche Häuser im Grünen Tal ihre Herkunft noch immer auf die Ersten Menschen zurück, unter ihnen die Rotfests und Roises.

Die Stämme aus den Mondbergen sind eindeutig Nachfahren der Ersten Menschen, die vor den Andalen nicht das Knie beugten und in die Berge vertrieben wurden. Darüber hinaus bestehen Ähnlichkeiten zwischen ihren Sitten und jenen der Wildlinge jenseits der Mauer – unter anderem Brautraub, das starke Beharren jedes Stammes, sich selbst zu regieren, und so weiter. Und die Abstammung der Wildlinge von den Ersten Menschen kann nicht bestritten werden.

Die Sänger erzählen, der Andalenheld Ser Artys Arryn sei auf einem Falken geflogen und habe den Greifenkönig auf der Riesenlanze erschlagen und so das Königsgeschlecht des Hauses Arryn gegründet. Dies ist jedoch dumme Vermengung der wahren Geschichte des Hauses Arryn mit Legenden aus dem Zeitalter der Helden. In Wahrheit lösten die Arryn-Könige die Hochkönige aus dem Hause Rois ab.

Nachdem sie das Grüne Tal gesichert hatten, wandten sich die Andalen dem übrigen Westeros zu und marschierten durch das Bluttor zu neuen Eroberungen. In den folgenden Kriegen schnitt sich so mancher andalische Abenteurer ein kleines Königreich aus den alten Reichen der Ersten Menschen. Und bald schon kämpften die Neuankömmlinge ebenso oft gegeneinander wie gegen ihren gemeinsamen Feind.

Es heißt, dass sich in den Kriegen um den Trident nicht weniger als sieben Andalenkönige gegen den letzten wahren König von Fluss und Hügeln, Tristifer IV., zusammenschlossen. Er gehörte zu den Ersten Menschen und wurde in seiner hundertsten Schlacht erschlagen, sagen die Sänger. Sein Erbe, Tristifer V., erwies sich als unfähig, das Erbe seines Vaters zu verteidigen, und so fiel das Königreich an die Andalen.

In dieser Zeit zog ein Andale, der in der Legende als Erreg der Sippenmörder bezeichnet wird, zum hohen Hügel Hochherz. Unter dem Schutz der Könige der Ersten Menschen hegten und pflegten die Kinder des Waldes dort die mächtigen, mit geschnitzten Gesichtern versehenen Wehrholzbäume (einunddreißig, liest man in Erzmaester Laurents Manuskript Alte Orte am Trident). Es heißt, als Erregs Krieger versuchten, die Bäume zu fällen, kämpften die Ersten Menschen Seite an Seite mit den Kindern, doch die Andalen waren zu stark. Obwohl die Kinder und die Ersten Menschen ihren Heiligen Hain tapfer verteidigten, wurden sie allesamt erschlagen. Die Märchenerzähler behaupten heute noch, dass heute noch die Geister der toten Kinder des Nachts auf dem Hügel spuken. Bis zum heutigen Tag meiden die Flussmenschen diesen Ort.

Der Andalenkrieger Erreg der Sippenmörder lässt die Kinder des Waldes niedermachen.

© Arthur Bozonnet (Studio Hive)

Wie einst die Ersten Menschen erwiesen sich auch die Andalen als erbitterte Feinde der verbliebenen Kinder des Waldes. In ihren Augen verehrten die Kinder seltsame Götter und hatten noch seltsamere Sitten. Und so vertrieben die Andalen die Kinder aus den tiefen Wäldern, die ihnen der Pakt einst zugesprochen hatte. So geschwächt und isoliert, verfügten die Kinder nicht länger über die Vorteile, die ihnen einst gegen die Ersten Menschen geholfen hatten. Und was den Ersten Menschen nie gelungen war, erreichten die Andalen in kurzer Zeit: sie vollständig auszurotten. Einige wenige Kinder sind möglicherweise in die Eng geflohen, wo sie im Sumpf und auf schwimmenden Inseln Sicherheit fanden, aber falls dem so ist, sind von ihnen keine Spuren geblieben. Einige könnten unter dem Schutz der Grünen Männer auf der Insel der Gesichter überlebt haben, die zu vernichten den Andalen niemals gelang. Allerdings fehlt auch hierfür ein Beweis.

Auch die Ersten Menschen verloren einen Krieg nach dem anderen. Königreich um Königreich fiel an die andalischen Eroberer. Die Gefechte und Kriege wollten kein Ende nehmen, bis schließlich alle Königreiche im Süden gefallen waren. Wie im Grünen Tal unterwarfen sich manche Häuser den Andalen und traten sogar zum Glauben der Sieben über. In vielen Fällen nahmen die Andalen die Witwen und Töchter der besiegten Könige zur Frau und stärkten damit ihr Recht auf den Thron. Denn trotz allem waren die Ersten Menschen den Andalen zahlenmäßig überlegen. Die Götterhaine in vielen Burgen des Südens mit den geschnitzten Gesichtern in den Wehrholzbäumen haben nur dank der frühen Andalenkönige überlebt, denen es nicht nur um Eroberung, sondern auch um die Sicherung ihrer Herrschaft ging, und die deshalb jeden religiösen Streit sorgsam vermieden.

Selbst die Eisenmänner, die grimmigen, kriegerischen Seefahrer, die sich zunächst auf ihren Inseln sicher wähnten, fielen der Eroberungswelle der Andalen zum Opfer. Zwar dauerte es tausend Jahre, bis die Andalen den Eiseninseln ihre Aufmerksamkeit zuwandten, dafür dann aber mit erneuertem Eifer. Die Andalen fielen über die Inseln her und löschten das Geschlecht Urron Rothands aus, das seit tausend Jahren mit Axt und Schwert geherrscht hatte.

Haereg schreibt, die neuen Andalenkönige hätten zunächst versucht, die Besiegten zum Glauben an die Sieben zu zwingen, was die Eisenmänner jedoch verweigerten. Daraufhin ließen die Andalen den Kult des Ertrunkenen Gottes neben dem Glauben der Sieben bestehen. Wie auf dem Festland heirateten die Andalen Frauen und Töchter der Eisenmänner und zeugten Kinder mit ihnen. Dennoch konnte der Glauben auf den Inseln nie richtig Fuß fassen und blieb nicht einmal in Familien mit andalischem Blut stark. Nach und nach herrschte der Ertrunkene Gott wieder fast unangefochten über die Eiseninseln, und nur wenige Häuser gedachten der Sieben.

Allein der Norden konnte sich gegen die Andalen behaupten, was den undurchdringlichen Sümpfen der Eng und der uralten Burg Maidengraben zu verdanken ist. Es lässt sich nur schwer sagen, wie viele Heere der Andalen in der Eng untergegangen sind, doch sicher ist, dass sie zahlreich waren. Auf diese Weise gelang es den Königen des Winters, ihre Alleinherrschaft für viele weitere Jahrhunderte zu bewahren.

DIEZEHNTAUSEND SCHIFFE

DIE LETZTE GROSSE Völkerwanderung nach Westeros fand lange nach der Ankunft der Ersten Menschen und der Andalen statt. Nachdem die Kriege gegen die Ghiscari beendet waren, wandten Valyrias Drachenherren den Blick gen Westen, wo die wachsende Macht der Valyrer in einem Konflikt mit den Völkern an der Rhoyne mündete.

Als größter Fluss der Welt verfügt die Rhoyne über ein weites Netz von Nebenflüssen im westlichen Essos. An ihren Ufern entstand eine Kultur, die so alt und sagenumwoben war wie das Alte Imperium von Ghis. Die Früchte ihres Flusses hatten die Rhoynar reich gemacht – Mutter Rhoyne nannten sie ihn.

Fischer, Händler, Lehrer, Gelehrte, Handwerker, die Holz, Stein und Metall bearbeiteten, errichteten elegante Siedlungen und Städte vom Oberlauf der Rhoyne bis hinunter zu ihrer Mündung, und ein Ort war schöner als der andere. In den Samthügeln lag Ghoyan Drohe mit seinen Wäldchen und Wasserfällen; Ny Sar, die Stadt der Brunnen, war von Liedern erfüllt; Ar Noy an der Quoyne hatte Hallen aus grünem Marmor; im hellen Sar Mell blühten Blumen; das von Meer umspülte Sarhoy verfügte über Kanäle und Salzwassergärten; und dann war da Chroyane, die größte von allen, die Stadt der Feste, mit dem großen Palast der Liebe.

Kunst und Musik gediehen in den Städten an der Rhoyne, und es heißt, die Menschen dort hätten eigene Magie besessen – eine Wassermagie, die sich sehr von der aus Blut und Feuer gewirkten Zauberei Valyrias unterschied. Obwohl durch Blut und Kultur und den Fluss, der ihnen das Leben schenkte, vereint, legten die rhoynischen Städte Wert auf ihre Unabhängigkeit. Jede hatte einen eigenen Fürsten … oder eine Fürstin, denn dieses Flussvolk machte keinen Unterschied zwischen Mann und Frau.

Die Rhoynar, eigentlich ein friedliches Volk, konnten einen fürchterlichen Zorn entwickeln, wenn man sie reizte, und das erfuhr so mancher andalische Möchtegerneroberer leidvoll. Die rhoynischen Krieger mit ihrer Schuppenrüstung aus Silber, dem Fischkopfhelm, dem langen Speer und Schild in Gestalt eines Schildkrötenpanzers wurden von allen geachtet und gefürchtet, die gegen sie in die Schlacht zogen. Es heißt, die Mutter Rhoyne selbst warnte flüsternd ihre Kinder, die rhoynischen Fürsten verfügten über unheimliche Kräfte, die rhoynischen Frauen kämpften so grimmig wie ihre Männer, und ihre Städte schützten »Mauern aus Wasser«, die sich auftürmten und jeden Feind ertränkten.

Viele Jahrhunderte lang lebten die Rhoynar in Frieden. Zwar hausten wilde Völker in den Bergen und Wäldern jenseits der Mutter Rhoyne, doch sie waren samt und sonders klug genug, das Flussvolk nicht zu behelligen. Und die Rhoynar selbst hatten wenig Interesse daran, sich über ihr angestammtes Land hinaus auszudehnen: Der Fluss war ihre Heimat, ihre Mutter und ihre Göttin.

Als in den Jahrhunderten nach dem Fall des Imperiums von Ghis erstmals Abenteurer, Verbannte und Händler aus dem Freistaat von Valyria die Lande jenseits der Länder des Langen Sommers zu erkunden begannen, wurden sie zunächst von den rhoynischen Fürsten freudig begrüßt. Ihre Priester verkündeten, die Früchte der Mutter Rhoyne stünden allen Menschen gleichermaßen zu.

Mit den Jahren wuchsen die valyrischen Außenposten zu Dörfern heran, und diese zu großen Städten. Nun bereuten manche Rhoynar die Nachsicht ihrer Väter. Freundschaft verwandelte sich in Feindschaft, besonders am Unterlauf der Rhoyne, wo sich die alte Stadt Sar Mell und die ummauerte valyrische Kolonie Volon Therys auf beiden Seiten des Flusses gegenüberstanden. An der Küste des Sommermeeres wurde die Freie Stadt Volantis bald zum Rivalen des legendenumwobenen Hafens Sarhoy. Jede Stadt beherrschte einen der vier Mündungsarme der Rhoyne.

Immer häufiger kam es zum Streit zwischen den Bürgern der rivalisierenden Städte, was schließlich in einer Reihe kurzer, blutiger Kriege gipfelte. Sar Mell und Volon Therys waren die ersten Städte, zwischen denen es zu offenen Feindseligkeiten kam. Der Legende zufolge begann die Auseinandersetzung, als die Valyrer eine der Riesenschildkröten töteten. Die Tiere wurden von den Rhoynar die Alten Männer vom Fluss genannt und als heilige Gefährten der Mutter Rhoyne verehrt. Der Erste Schildkrötenkrieg dauerte nicht einmal einen Mondwandel. Sar Mell wurde geplündert und niedergebrannt, errang jedoch den Sieg, als die rhoynischen Wasserzauberer die Macht des Flusses anriefen und Volon Therys überschwemmten. Die halbe Stadt wurde fortgespült, wenn man den Geschichten glauben darf.

Weitere Kriege folgten: der Krieg der Drei Fürsten, der Zweite Schildkrötenkrieg, der Krieg des Fischers, der Salzkrieg, der Dritte Schildkrötenkrieg, der Krieg auf dem Dolchsee, der Erste Gewürzkrieg und viele mehr, zu viele, um sie hier aufzuzählen. Große und kleine Städte fielen dem Feuer zum Opfer, wurden geflutet und wieder aufgebaut. Aus den meisten dieser Kriege gingen die Valyrer als Sieger hervor. Die Fürsten der Rhoyne waren so stolz auf ihre Unabhängigkeit, dass sie stets allein kämpften, während sich die valyrischen Kolonien gegenseitig unterstützten und sich in Bedrängnis an den Freistaat selbst wenden konnten. Beldecars Geschichte der Rhoynischen Kriege beschreibt geradezu meisterhaft diese Konflikte, die sich über annähernd zweieinhalb Jahrhunderte erstreckten.