Wicked Mind - Bianca Mov - E-Book

Wicked Mind E-Book

Bianca Mov

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Beschreibung

Moralische Grauzonen, verbotene Fantasien und unanständig viel Spice: Die neue Romance-Trilogie von SPIEGEL-Bestsellerautorin Bianca Mov bricht alle Tabus!

Die 23-jährige Sienna hat ein Geheimnis: Um Geld zu verdienen, schreibt sie spicy Romane. Ihre Inspiration: Der mysteriöse Milliardär und Alkohol-Mogul Nikolai Hale. Er ist 20 Jahre älter als sie – und der beste Freund ihres Vaters. Auf einer unfreiwilligen gemeinsamen Reise kommen sich die beiden plötzlich auch im wahren Leben näher. Heimliche Blicke, flüchtige Berührungen … Unter dem Sternenhimmel von Barcelona drohen sie alle Tabus zu vergessen. Doch der Altersunterschied ist nicht ihr größtes Problem: Auch Nikolai verbirgt etwas vor Sienna. Und diese Wahrheit könnte alles zerstören …

Der Auftakt der sexy Tabu-Romance-Reihe »Wicked Love«! Grumpy x Sunshine trifft auf Age Gap!

Books that make you – blush.
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Enthaltene Tropes: Morally grey
Spice-Level: 3 von 5

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Seitenzahl: 555

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Playlist

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Nikolai

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Nikolai

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Nikolai

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Nikolai

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Nikolai

Kapitel 21

Nikolai

Kapitel 22

Nikolai

Kapitel 23

Nikolai

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Nikolai

Kapitel 27

Nikolai

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Nikolai

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Nikolai

Kapitel 36

Zwei Wochen später

Kapitel 37

September

Oktober

Kapitel 38

Kapitel 39

Nikolai

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Einige Tage später

Nikolai

Kapitel 43

Nikolai

Sienna

Kapitel 44

Nikolai

Sienna

Nikolai

Kapitel 45

Nikolai

Kapitel 46

Nikolai

Sienna

Kapitel 47

Nikolai

Sienna

Kapitel 48

Nikolai

Kapitel 49

Kapitel 50

Nikolai

Kapitel 51

Nikolai

Kapitel 52

Nikolai

Kapitel 53

Epilog

Der nächste Sommer

Danksagung

Haben Sie Lust gleich weiterzulesen? Dann lassen Sie sich von unseren Lesetipps inspirieren.

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Seitenliste

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Buch

Die 23-jährige Sienna hat ein Geheimnis: Um Geld zu verdienen, schreibt sie spicy Romane. Ihre Inspiration: der mysteriöse Milliardär und Alkoholmogul Nikolai Hale. Er ist zwanzig Jahre älter als sie – und der beste Freund ihres Vaters. Auf einer unfreiwilligen gemeinsamen Reise kommen sich die beiden plötzlich auch im wahren Leben näher. Heimliche Blicke, flüchtige Berührungen … Unter dem Sternenhimmel von Barcelona drohen sie alle Tabus zu vergessen. Doch der Altersunterschied ist nicht ihr größtes Problem: Auch Nikolai verbirgt etwas vor Sienna. Und diese Wahrheit könnte alles zerstören …

Autorin

Was als Selfpublishing-Schreibprojekt begann, wurde für die Österreicherin Bianca Mov innerhalb kürzester Zeit zum erfolgreichen Vollzeitjob – denn gleich ihr erster Roman landete auf der SPIEGEL-Bestsellerliste! Wenn die studierte Übersetzerin nicht gerade romantische und unverschämt spicy Geschichten voller Tabus und morally grey Figuren zu Papier bringt, bloggt sie und tauscht sich auf TikTok mit ihren zahlreichen Follower*innen aus.

Weitere Informationen unter: www.bianca-movileanu.com/

Instagram: @biancamov_author

TikTok: @biancamov_author

Bianca Mov

Wicked Mind

Roman

Die englische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »Wicked Mind«.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2023 by Bianca Mov

Copyright deutsche Erstausgabe © 2025 by blush. Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Redaktion: Daniela Bühl

Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de

Vignetten: © Adobe Stock (PurMoon, Armine, mirifadapt)

JS · Herstellung: DiMo

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-33306-5V004

LIEBE*R LESER*IN,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findest du am Ende des Buchs

[siehe hier] eine Triggerwarnung.

Achtung:

Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch.

Wir wünschen allen das bestmögliche Leseerlebnis.

Bianca Mov und der Blush Verlag

Für alle ungeliebten Töchter

Playlist

Wildest Dreams – Taylor Swift

Cruel Summer – Taylor Swift

Dirty Thoughts – Chloe Adams

older – Isabel LaRosa

i’m yours – Isabel LaRosa

trouble – Camylio

I Feel Like I’m Drowning – Two Feet

Taste of the Divine – Shaker

Closer – Isabel LaRosa

Always Been You – Chris Grey

Say Yes To Heaven – Lana Del Rey

Summertime Sadness – Lana Del Rey

Till Forever Falls Apart – Ashe, FINNEAS

Leave a Light On – Tom Walker

Daylight – David Kushner

I Found – Amber Run

Someone You Loved – Lewis Capaldi

I miss you, I’m sorry – Gracie Abrams

People Watching – Conan Gray

Memories – Conan Gray

Power – Isak Danielson

In The Stars – Benson Boone

Kapitel 1

»Bist du sicher, dass du noch eines deiner schmutzigen kleinen Bücher veröffentlichen willst?« Ich schaute über die Schulter zu meinen beiden besten Freundinnen, die auf dem frisch bezogenen Bett saßen und sich die Nägel lackierten.

Die brennende Julisonne erhellte das stickige Zimmer und brachte Ramonas dunkelrotes Haar und ihre olivfarbene Haut zum Leuchten. Wie zur Bestätigung drückte ich auf Senden und reichte damit offiziell das Manuskript bei meiner Lektorin ein.

Kaum war ich einen Tag wieder in England, zogen sie mich auf, als ob ich nie weg gewesen wäre, die Euphorie und die Tränen von heute Morgen über meine späte Rückkehr schon längst vergessen.

»Es ist für einen guten Zweck«, antwortete ich achselzuckend und stand vom Schreibtisch auf, um das Notizbuch und die Stifte wegzulegen. Ich konnte nicht klar denken, wenn es um mich herum unordentlich war, und im Moment brauchte ich einen kühlen Kopf, denn ich hatte bei meinem letzten Gespräch mit meinem Vater herausgehört, dass wir einen ganz besonderen Gast erwarten würden.

Nikolai Hale. Ja, der Nikolai Hale. Der Mann, der meine Gedanken seit Jahren heimsuchte. Er war Dads bester Freund und der heimliche Star in meiner letzten Buchreihe. Als mein Vater Nikolai zum ersten Mal erwähnt hatte, war ich sofort fasziniert gewesen. Alleine die Art, wie er von ihrer gemeinsamen Jugend, Nikolais Intelligenz und von seinen Ambitionen als Geschäftsmann geschwärmt hatte, ließ ein Bild in meinem Kopf entstehen, das mich seitdem verfolgte. Wie eine Verrückte hatte ich unzählige Nächte damit verbracht, Pressefotos von Nikolai anzuglotzen und nach Interviews zu recherchieren. Es gab auch hier und da vereinzelt Artikel, die immer wieder seine frühere, kurzlebige Beziehung zu einem New Yorker Model durchkauten, aber die meisten Publikationen handelten von seinem äußerst erfolgreichen Business. Es war die Art, wie er sich gab, wie er sprach – selbstbewusst, kontrolliert. Ein Mann, der wusste, was er wollte, und es sich nahm. Ich stellte mir vor, wie er wohl in echt sein würde. Sicherlich ein Gentleman, charmant und witzig, wobei seine Milliarden nicht von seiner außergewöhnlichen Schönheit ablenken würden. Tiefschwarzes Haar, die Augen goldbraun wie Whiskey und ein Körperbau, der von Stunden im Gym zeugte. Es war offiziell um mich geschehen gewesen. Sein Vermögen hatte er durch sein Alkoholimperium, das stetig expandierte, angehäuft. Ziemlich beeindruckend, auch wenn ich mir ethischere Wege vorstellen konnte, sich einen Namen zu machen.

Nicht dass wir arm gewesen wären – im Gegenteil –, aber Nikolai Hale hatte das Wort Geld auf ein neues Level gebracht. Natürlich hatte er keinen blassen Schimmer von meinem geheimen Beruf oder davon, dass er in einigen meiner Romane die Hauptrolle spielte; niemand außer meinen Freundinnen wusste davon. Ich war Autorin, und meine Werke waren nichts für schwache Nerven.

Allzu gut erinnerte ich mich noch an den fassungslosen Gesichtsausdruck von Blair, die sonst nie zu schocken war, als sie von meinem Geheimnis erfuhr. Sie war die Analytische, die Zynische von uns. Durch und durch hochbegabt und trotz ihrer erst 23 Jahre hatte sie zwei Masterstudienabschlüsse in Software-Engineering und Forensischer Informatik in der Tasche.

»Ausgerechnet du – die süße, nette Sienna, die nicht mal flucht – hast so eine dreckige Geschichte geschrieben? Ich bin beeindruckt«, hatte meine Freundin gescherzt, während sie sich durch ihr tiefschwarzes Haar fuhr. Das stimmte, und in ein paar Wochen würde ein neuer Band herauskommen.

Und mit ihm das unausweichliche Gefühl, dass irgendwann jemand herausfinden würde, dass es nicht nur irgendeine unbedeutende Geschichte war, die ich mir für den guten Zweck ausdachte – sondern eine, die auf einem sehr realen Mann basierte. Einem Mann, der so tabu war, dass ich meine Fantasien höchstens als anonyme Autorin ausleben konnte. Ich wusste, zwischen Nikolai und mir würde niemals etwas passieren, aber träumen durfte man ja, oder? Ich war wirklich nicht prüde, ich hatte schon ein paar Erfahrungen mit Männern sammeln können, die aber nie zu etwas Ernstem geführt hatten. Aber ich war im echten Leben definitiv nicht so verrückt wie auf dem elektronischen Papier, wie in meiner Fantasie. Vor allem nicht, wenn es um den besten Freund meines Vaters ging.

Die Holzdielen gaben ein leises Knarren von sich, als ich durch mein Schlafzimmer ging, und der Duft von Orangenblüten und frisch gemähtem Gras erfüllte die Luft. Ich atmete tief ein und ließ den Blick durch den Raum schweifen.

Die Wände waren in einem sanften, cremigen Weiß gehalten, das im Sonnenlicht wie Perlen schimmerte. Mein Bett, ein flauschiges Wölkchen mit gestärkten weißen Laken und einem blassgelben Überwurf, stand auf einer Seite neben einem Bücherregal mit den schönsten Ausgaben, die diese Welt je gesehen hatte.

Meine selbst geschriebenen Bücher waren so unauffällig wie möglich dahinter versteckt. Ich wollte meine Lieblinge bei mir haben, konnte sie aber nicht so offen zur Schau stellen, wie ich es gerne getan hätte.

Gegenüber vom Bett gab ein geöffnetes großes Fenster einen Panoramablick auf die Hügel in der Ferne frei, umrahmt von Gardinen, die in der sanften Brise tanzten. Mein kleiner Schreibtisch, mein Arbeitsort, stand in der Ecke des Zimmers. Dort hatte ich, umgeben von Souvenirs meiner Reisen und Krimskrams von Nachbarn, schon unzählige Stunden damit verbracht, mein Herz und meine Seele auf die elektronischen Seiten zu packen.

Über dem Schreibtisch hingen einige Bilder von Ramona, Blair und mir. Auf einem kuschelten wir uns an einem windigen Tag am Strand aneinander. Unsere Haare flogen wild umher, und ich erinnerte mich daran, wie unser Lachen über das weite Meer gehallt war. Auf einem anderen Foto standen wir, kaum Teenies, breit grinsend und mit verschränkten Armen vor dem Eiffelturm. Blairs Vater hatte uns an diesem Tag zu jeder großen Sehenswürdigkeit geschleppt, ich konnte mich noch allzu gut an die Blasen an meinen Fersen erinnern.

Wir drei sind schon von klein auf befreundet, damals hatte ich England noch viel öfter besucht, doch auch während meiner längeren Abwesenheiten hatten uns FaceTime und jede Menge Gossip weiter wie Schwestern zusammengeschweißt.

Mit großen Schritten durchquerte ich das Zimmer und versteckte die neuesten Manuskriptnotizen in der hintersten Ecke meines Schranks. Mein Vater würde dort kaum herumwühlen. Nicht dass es ihn interessierte, was ich in meiner Freizeit tat. Oder überhaupt.

»Nikolai wird ziemlich sauer sein«, witzelte Ramona.

»Gut, dass er es nie erfahren wird. Außerdem kann die Hauptfigur jeder beliebige Mann sein«, antwortete ich mit meinem süßesten Lächeln. Lügen und Geheimnisse waren noch nie mein Ding gewesen, und Ramona sagte immer, dass mir jede Intrige sofort ins Gesicht geschrieben stand, aber sobald Nikolai unsere Türschwelle überqueren würde, musste sich das ändern.

»Du hast dir nicht einmal die Mühe gemacht, seine Muttermale zu verändern, Si.« Ramona presste die Lippen zusammen, und ihre haselnussbraunen Augen leuchteten. Sie unterdrückte ein Lachen. Sie hatte recht – leider. Es gab kaum Ausgangsmaterial von Nikolais Körper. Nur ein einziges Foto, um genau zu sein, das ein Paparazzo am Strand aufgenommen hatte. Nikolai lag auf einer Sonnenliege und starrte in sein Handy. Trotzdem hatte ich es verschlungen wie meine Henkersmahlzeit und meine ganze Kreativität auf dieses eine Bild mit freiem Oberkörper gestützt. Aber Gott, war dieses Bild gut.

Ich setzte mich zu meinen Freundinnen, und das Bett quietschte unter unserem gemeinsamen Gewicht.

»Können wir das Thema Nikolai Hale für eine Minute beiseitelegen und uns darauf konzentrieren, wofür ihr überhaupt hier seid?« Blair rollte mit den Augen und tippte sich mit einem ihrer langen, schwarz lackierten Fingernägel aufs Kinn. »Der Sommer hat begonnen, und wir müssen endlich die Reise nach Frankreich planen. Das Festival ist in ein paar Wochen.«

Wir wollten ein Mädelswochenende an der Côte d’Azur machen, da eine unserer Lieblingsbands dort auftreten würde. Das konnte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, denn die Band war so gut wie nie in Europa, und wir mussten diese Gelegenheit unbedingt nutzen.

Ramona, die Jüngste von uns, hatte gerade die Highschool beendet, nachdem sie das letzte Jahr hatte wiederholen müssen, und wollte noch etwas erleben, bevor sie ihr Modedesignstudium antrat. Zu lange hatte sie unter dem Pantoffel ihres Abschaums von Vater gelitten, und wir waren mehr als erleichtert, dass sie endlich von zu Hause wegkommen würde. Dafür hatte sie ein Sponsorship von Blairs Dad bekommen, ein wohlhabender Mann und die einzige männliche Bezugsperson, die Ramona jemals gehabt hatte. Na ja, bis dieser seine eigene Familie im Stich gelassen hatte und mit einer jungen Tennisspielerin durchgebrannt war. Blair hatte seitdem kaum noch mit ihm gesprochen, und ich ahnte, dass seine nette Geste ihrer Freundin gegenüber auch damit zu tun hatte, dass er den Schmerz, den er seiner Tochter durch seine Abwesenheit zugefügt hatte, ein Stück weit gutmachen wollte.

Nicht dass es viel genützt hatte. Blair führte ihr eigenes Leben, war gern für sich. Für sie gab es nur die Arbeit im IT-Bereich, von der sie uns auch nicht viel berichtete. Meine Freundin hatte ihr Leben im Griff, und ihre Mutter wirkte zufrieden damit, ihre Tochter auf Abstand zu halten.

Noch etwas, das wir gemeinsam hatten. Nur, dass es bei mir mein Vater war, der nichts von mir wissen wollte.

Kapitel 2

Es war immer wieder merkwürdig, hierhin zurückzukehren. Das Haus wirkte jedes Mal kühler. Selbst die Küche, in der ich jetzt stand, hatte nichts Einladendes an sich, obwohl ich es eigentlich liebte, mir die Hände schmutzig zu machen und neue Rezepte auszuprobieren.

Mit meiner Großmutter hatte ich das immer gemacht, hatte in England als Kind die meiste Zeit bei ihr verbracht, aber nach ihrem Tod war Belgien zu meiner neuen Heimat geworden.

England bot mir einfach nicht mehr das gleiche Gefühl, nach Hause zu kommen, egal wie sehr ich meine Freundinnen hier schätzte.

Die Wärme des Ofens strömte gegen meine Schienbeine, und das sanfte Ticken des Küchentimers war das einzige Geräusch, das die Stille durchbrach.

Durch die großen Fenster flutete das Sonnenlicht herein, tauchte alles in ein sanftes, warmes Gold, und die Blumen auf der Fensterbank tanzten im Wind, ihre Farben im starken Kontrast zu den matten weißen Wänden.

Durch die Küche konnte ich ins Wohnzimmer blicken, das modern gestaltet und in kühlen Grautönen gehalten war, die sich mit der Wärme der Küche bissen. Die Couch war aus dunklem, weichem Samt – die Art, in die man versank und die man nicht mehr verlassen mochte. Ein paar Kissen lagen verstreut herum, jedes einzelne von einer Inneneinrichterin sorgfältig ausgewählt, um den Raum zu vervollständigen. Es war, als würde man in ein Modernes-Wohnen-Magazin eintauchen, was mich einfach nur krank machte. Es war gar nicht mein Stil. Nicht dass mich jemals jemand fragte. Ich stand eher auf das Bodenständige, das Einladende. Auch wenn mein Vater durch seine Cyber-Security-Firma nicht gerade wenig Geld verdiente, so war Luxus gar nichts für mich. Klar, es erleichterte einem einiges, aber ich wollte lieber auf eigenen Beinen stehen, brauchte keine Almosen. Vor allem nicht von einem abwesenden Vater. Ich würde mich schämen, ihn jemals nach Geld zu fragen, auch wenn er es hatte.

Mein Blick glitt weiter zu den nackten Wänden. Es hingen nirgendwo Familienbilder wie bei normalen Familien. Einer der Hauptgründe dafür war, dass ich nie wirklich hier war, sondern immer von einem europäischen Internat zum anderen geschoben worden war. Aber daran hatte ich mich schon gewöhnt, es war okay. Und auch wenn es das nicht gewesen wäre, so hätte ich doch nichts sagen können. Ich hatte keine große Klappe. Nicht, wenn es darauf ankam. Mein ganzes Leben lang hatte ich gelernt, mich zu verbiegen, um meinem Vater zu gefallen, und mittlerweile fragte ich mich, wie meine Ausgangsform wohl gewesen sein mochte. Ob ich überhaupt so was hatte.

Klar, ich liebte meinen Vater, weil er nun mal mein Vater war und ich nicht anders konnte, aber tief verborgen unter meiner Haut brodelte trotzdem die Wut über ihn und seine kalte Schulter, die er mir mein Leben lang zeigte.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Schritte aus dem Flur erklangen. Sicherlich mein Vater. Wie zur Bestätigung betrat er beinahe lautlos die Küche.

Wir hatten uns seit Monaten nicht mehr gesehen, und jedes neue Aufeinandertreffen lief ähnlich ab. Seine Anwesenheit erfüllte den Raum um mich herum, als ob er einfach überall und nirgendwo war. Er hatte dieses Talent, wenn man es so nennen konnte, und als ich spürte, dass er hinter mir vorbeiging, spannte sich mein ganzer Körper an.

»Hey, Dad«, sagte ich, bevor ich mich umdrehte und mein strahlendstes Lächeln aufsetzte, das wahrscheinlich nicht meine Augen erreichte. Es war, als ob ich mit einem Fremden zusammenwohnte, einem Mann, der mich bedingungslos lieben sollte, es aber nicht konnte. Nicht wirklich. In seiner Gegenwart fühlte ich mich immer unbehaglich, auch wenn ich ihm gefallen wollte. Die besten Schulnoten, das bravste Verhalten, tadellose Manieren, ja lieb sein und nie die Stimme erheben. Das hatte ich mir selbst über die Jahre eingetrichtert.

Manchmal fragte ich mich, wieso ich mir überhaupt die Mühe machte, bis ich daran dachte, dass Dad mein letzter lebender Verwandter war. Ich glaubte, ein Teil von mir, egal wie weit ich mich entfernen würde, würde sich immer nach seiner Zuneigung sehnen, auch wenn das irrational war. Wahrscheinlich war das einfach in jeden von uns einprogrammiert.

Mein Vater erwiderte den Gruß, wich meinem Blick aus und holte sich ein Glas Wasser. Mit ihm war es immer so, als ob er nicht wusste, wie er mit einer Tochter umgehen sollte, als ob er sich in meiner Nähe selbst unwohl fühlte, aber schlecht verbergen konnte. Ich kam mir vor wie ein Eindringling in seinem Leben, ein unwillkommener Gast, den er nicht ganz loswerden konnte. Klar, ich war das schon gewohnt, und Großmutter hatte mir einen Einblick in Dads Kopf gewährt, aber seine Kälte tat trotzdem jedes Mal aufs Neue weh.

Halt die Klappe, Sienna, ermahnte mich die Pazifistin in mir zähneknirschend. Ich war egoistisch, weil ich nur an meine eigenen Gefühle dachte, aber sein Verhalten verletzte mich trotzdem. Auch wenn er nicht anders konnte.

Mein Vater roch nach frischem Rasierwasser und Weichspüler. Sein Haar, bereits an einigen Stellen grau, war zerzaust, seine Haut blass und mit dunklen Ringen unter den Augen. Er war hochgewachsen und gut gebaut, mit einem sorgfältig gestutzten Bart, der die feinen Fältchen in seinem Gesicht nur noch mehr betonte.

Ich versuchte, das Gefühl der Enttäuschung zu verdrängen, das sich immer in meiner Brust breitmachte, wenn ich ihn so distanziert sah.

Als chronischer People-Pleaser konnte ich nicht anders, als ihm zeigen zu wollen, dass er hierhergehörte, hier zu mir, seiner einzigen Tochter, die ihm noch fremder war als sein Versicherungsberater. Aber ich wusste es besser, als ihn in ein Gespräch zu verwickeln, ihn zu fragen, wie sein Tag gewesen war. Stattdessen drehte ich mich um und textete den Mädels im Gruppenchat, dass es zwischen meinem Vater und mir mal wieder nicht so prickelnd lief. Sie hatten immer ein offenes Ohr für mich. Vor allem Ramona konnte meinen Zwiespalt nachvollziehen, doch wo mein Vater zu passiv war, hatte ihrer ein Aggressionsproblem und es konstant auf sie abgesehen. Unsere Gemeinsamkeit war, dass wir beide unsere Väter nicht loslassen konnten, egal wie sehr sie uns verletzten. Wir hielten immer noch an diesem Fünkchen Hoffnung fest, sie würden sich doch noch bessern.

»Wie war dein Flug?«, fragte er plötzlich und ließ mich hochfahren. Die Frage war einfach, aber sie trug das Gewicht unserer zerbrochenen Beziehung in sich.

»Anstrengend«, antwortete ich und blickte über die Schulter in seine Richtung, aber er hatte mir den Rücken zugewandt und starrte in den Garten. »Das Kind neben mir hat die ganze Zeit geweint.« Ein amüsiertes Schnauben kam über seine Lippen.

»Tja, Kinder neigen dazu.« Habe ich viel geweint als Kind?, wollte ich fragen, wollte ihn aber nicht in eine peinliche Lage bringen. Er wusste nicht, ob ich geweint hatte. Er war nie da gewesen. Oder besser gesagt ich, weil er mich selten willkommen geheißen hatte.

Meine Eltern waren Teenager gewesen, als sie mich bekommen hatten, mittellos und ohne jegliche Unterstützung. Aber sie hatten beschlossen, mich zu behalten, mich zu lieben, auch wenn die Welt sich gegen sie gestellt hatte. Einfach weil sie sich gegenseitig angebetet hatten. Und doch war es nicht genug gewesen.

Meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben – zu viele Komplikationen. Ich hatte sie getötet. Und mein Vater hatte mir nicht verziehen. Selbst jetzt noch nicht, nach all der Zeit. Es war, als ob das Licht in seinen Augen erloschen war, und er konnte es nicht ertragen, mich länger als ein paar Augenblicke lang anzuschauen. Denn jedes Mal, wenn er in mein Gesicht blickte, sah er meine Mutter, er sah, was ihm genommen worden war. Ich war praktisch ihr Ebenbild: blondes, gewelltes Haar, hellblaue Augen, herzförmiges Gesicht. Sogar unser Lächeln war das gleiche. Vielleicht waren es auch unsere Persönlichkeiten. Aber das wusste ich nicht. Er sprach nie über sie. Ich kannte nur ihre Hülle.

Über Jahre hinweg hatte er sich in die Arbeit gestürzt, hatte seine eigene sehr erfolgreiche Cyber-Security-Firma aufgebaut, und anstatt mich auf die Grundschule zu schicken, war ich auf ein Internat in Belgien verfrachtet worden. Man hatte mir gesagt, es sei nur zu meinem Besten, aber ich kannte die Wahrheit. Mein Vater konnte es nicht ertragen, in meiner Nähe zu sein.

Später hatte ich einige Jahre in der Schweiz verbracht, war aber für mein Studium nach Belgien zurückgekehrt. Es war ein Stück Heimat für mich, und ich liebte es vielleicht sogar ein bisschen mehr als England.

Jetzt blieben mir nur noch wenige Monate bis zum Beginn meines Masterstudiums in Oxford. Die Universität bot ein spezielles Mentoring-Programm für aufstrebende Autorinnen und Autoren an, das es nur bei ihnen gab, also hatte ich Belgien schweren Herzens den Rücken kehren müssen. Eine gute Sache hatte mein Umzug: Meine Kindheitsfreundinnen waren hier. Ramona, Blair und ich hatten jeden Sommer zusammen verbracht. Das waren die einzigen Male gewesen, in denen mein Vater mich dazu ermutigt hatte, nach Hause zu kommen. Nun, manchmal kam ich auch zu Weihnachten heim, und an jedem Weltfrauentag hatte er mir eine Karte geschickt.

Ich wusste, dass er mich liebte … irgendwie. Zumindest auf seine eigene, gebrochene Art. Vielleicht konnte er mir einfach nicht mehr geben, denn seine Liebe reichte nur bis an die Grenzen eines gewissen Rahmens, und dieser Rahmen war zu klein, der Tod meiner Mutter hatte ihn schrumpfen lassen. Aber wenn das alles war, was er hatte, wie konnte ich dann undankbar sein? Wie konnte ich mehr verlangen?

Ich schaute hinter mich, aber mein Vater war längst weg.

Kapitel 3

Ich schnallte mich an und startete das Auto meines Vaters. Der Motor heulte auf, und als ich auf die Hauptstraße hinausfuhr, veränderte sich die Welt um mich herum. Die engen Straßen und Häuserzeilen wichen weitläufigen Feldern, während die Sonne die grüne Weite in strahlendes Gelb tauchte. Die milde Wärme sickerte durch die offenen Fenster, und eine Brise trug den Duft von frisch gemähtem Gras mit sich.

Als ich durch einen kleinen Vorort fuhr, passierte ich reihenweise identische Häuser mit ordentlich gestutzten Rasenflächen, Hecken und Blumenbeeten und hier und da am Straßenrand geparkten Autos. Kids fuhren Fahrrad, während Mütter Kinderwagen vor sich herschoben. Menschen gingen mit ihren Hunden spazieren, Nachbarn unterhielten sich über die Zäune hinweg, und die Luft war erfüllt von Lachen. In dieser idyllischen Gegend schien die Welt friedlich zu sein, als könnten die Sorgen und der Stress der Außenwelt nicht in diese Blase der Zufriedenheit eindringen.

Aus dem Radio ertönten sanfte, vertraute Klänge, die sich perfekt in die friedvolle Kulisse außerhalb meines Autos einfügten. Ich fuhr das Fenster noch weiter herunter und ließ mir die warme Brise um die Nase wehen. Es roch nach Blumen und Sommer, warm und frisch zugleich.

Die Straße erstreckte sich vor mir und führte mich an den Ort, an dem ich am meisten gebraucht wurde – das Tierheim, in dem ich im Sommer immer als Freiwillige arbeitete.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als das schrille Läuten meines Handys ertönte. Mit einem Blick auf das Display seufzte ich. Es war bestimmt kein Notfall, aber ich ging trotzdem ran und stellte den Hörer auf laut. »Hallo, Mrs. Martinez«, sagte ich. »Was gibt’s denn?«

»Nun, hallo, Sienna, Liebes. Der Enkel meiner Nachbarin hat dich gestern gesehen, und ich war ganz außer mir, dass du wieder da bist. Es tut mir leid, dass ich dich störe, aber mein WLAN ist schon wieder kaputt. Du bist die Einzige, die weiß, wie man es repariert.« Mrs. Martinez’ Stimme war brüchig und piepsig, und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Sie rief mich immer an, um ihr WLAN zu reparieren, obwohl ich ihr schon unzählige Male gezeigt hatte, wie es ging. Ich hatte ihr sogar eine narrensichere Schritt-für-Schritt-Anleitung geschrieben.

Ein leises Kichern kam über meine Lippen. »Ich komme gerne nach meiner Schicht vorbei. Wenn wir schon dabei sind: Brauchen Sie noch etwas aus dem Supermarkt? Ich kann dort vorbeischauen.« Sie war ziemlich alt und hatte keine nahen Verwandten, die sich um sie kümmern konnten. Es konnte nicht schaden, ihr ein wenig unter die Arme zu greifen, auch wenn ich gerade selbst viel um die Ohren hatte. Keine zwei Tage zu Hause und schon braucht man mich, dachte ich und seufzte laut.

»Oh, du bist so ein Schatz, Sienna. Jetzt, wo du es sagst, könnte ich wirklich ein paar Dinge gebrauchen. Lass mich meine Liste holen.« Ich hörte ein Poltern im Hintergrund, und schließlich ratterte Mrs. Martinez eine ellenlange Liste mit Lebensmitteln herunter. Wie ich mich kannte, würde ich die Hälfte schon wieder vergessen haben, bevor sie auflegen konnte, und ich müsste sie später noch mal anrufen. Es sah ganz danach aus, als würde ich ihren Wocheneinkauf erledigen, anstatt ein bisschen Toilettenpapier und Brot zu besorgen.

»Okay, wir sehen uns in ein paar Stunden, und dann bringen wir das lästige WLAN ein für alle Mal in Ordnung«, antwortete ich.

»Danke, meine Liebe. Du bist ein Geschenk des Himmels. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich tun würde«, erwiderte sie und verabschiedete sich. Den Enkel der Nachbarin nerven, dachte ich, lächelte schief und schüttelte den Kopf.

Anderen zu helfen, war eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, und die Gewissheit, dass ich Mrs. Martinez den Tag wenigstens ein bisschen erleichtern konnte, brachte ein wohliges Gefühl in mein Herz.

Das Tierheim kam in Sicht, und ich bog links ab. Der Anblick ließ mein Herz sinken: Die einst lebhafte Farbe an der Fassade war verblasst und blätterte ab, sodass das rohe Mauerwerk darunter zum Vorschein kam. Risse zogen sich wie Falten an den Wänden entlang und erzählten Geschichten von Verwahrlosung und dem grausamen Lauf der Zeit. War wirklich nur ein Jahr vergangen, seitdem ich das letzte Mal hier gewesen war? Oder war ich in einer Parallelwelt gelandet? Es konnte ja nicht sein, dass es in dieser Zeit so sehr bergab gegangen war … Die Lage war schlimmer, als ich gedacht hatte.

Mit schwerem Herzen stellte ich den Motor ab und stieg aus. Verdammt, hier gehörte viel mehr gemacht als anfangs vermutet. Kopfschüttelnd zupfte ich mein weißes T-Shirt und meine helle Jeans zurecht, während der bereits starke Wind unbarmherzig durch mein Haar peitschte.

Mit zusammengepressten Lippen nahm ich den Eingangsbereich in Augenschein. Das Gras auf beiden Seiten war lang und ungepflegt, ein scharfer Kontrast zu den knalligen, gestutzten Blumenbeeten, die ich noch von früher kannte.

Ich stieß die Tür auf und sah zwei Freiwillige, die zielstrebig umherwuselten. Am Ende des Ganges erhaschte ich einen Golden Retriever, der bei meinem Anblick eifrig mit dem Schwanz wedelte, als sei er dankbar für das kleinste bisschen Aufmerksamkeit, das ihm sonst keiner hier schenkte.

Ich machte mich auf den Weg zum Mitarbeiterraum, während mich meine Turnschuhe auf dem beigen Linoleum quietschend ankündigten. Irgendwie hatte sich nichts verändert, und doch schien alles anders, schlimmer.

Nur wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür erneut, und eine kleine Frau mit gebräunter Haut und grauem Haar kam mit grimmiger Miene herein. Doch ihr Blick erwärmte sich, sobald er auf mich fiel. Clara, die Mitarbeiterin, die schon am längsten hier arbeitete, nahm mein Kinn zwischen ihre Finger und begutachtete mein Gesicht, wie sie es jeden Sommer tat, bevor sie mich in eine kurze Umarmung schloss. Das war das Höchste der Gefühle. »Ich bin nicht für solche Gefühlsduseleien geschaffen«, meinte sie immer wieder, also hatte ich es mit der Zeit aufgegeben, eine richtige, innige Umarmung aus ihr herauszuholen.

Clara brach das Schweigen: »Es ist so schön, dass du wieder da bist, Sienna. Wir haben dich hier vermisst.«

»Oh, ich habe euch auch vermisst, wirklich«, antwortete ich, konnte aber die Traurigkeit in meiner Stimme nicht verbergen.

Wir stellten beide unsere Taschen in die Schließfächer, und ich konnte nicht umhin, die Bilder von Kindern und deren adoptierten Tieren an der Wand neben mir zu betrachten. Alles kam mir wie eine ferne Erinnerung vor.

»Ich wünschte allerdings, es wäre unter besseren Umständen«, seufzte Clara und deutete durch den Raum. »Wir kämpfen darum, das Heim geöffnet zu halten. Die Spenden sind knapp geworden, und wir können es uns kaum noch leisten, das Licht anzulassen. Du hast ja gesehen, wie es von außen aussieht. Wenn in den nächsten Wochen kein Wunder geschieht, können wir nichts mehr tun.«

Ich spürte, wie sich mein Herz zusammenzog, als mir klar wurde, wie ernst die Lage war. »Ich hatte keine Ahnung, dass es so schlimm ist. Was kann ich tun, um zu helfen?«, fragte ich, meine Stimme höher als sonst, was verriet, wie verzweifelt ich war.

Ein kleines Strahlen legte sich auf Claras Gesicht. »Jede nette Geste ist eine große Hilfe. Es wäre schon ein guter Anfang, wenn du die Menschen auf uns aufmerksam machst und sie dazu bringst, hier zu adoptieren. Wir brauchen jede Unterstützung, die wir bekommen können, wenn wir das Tierheim über Wasser halten wollen.«

Ich hatte bereits alle meine Einnahmen aus den Büchern gespendet, um Futter und Medikamente zu kaufen, aber das hatte anscheinend nicht ausgereicht. Ein paar Pennys von einer kleinen, unbekannten Autorin würden das Heim nicht retten, das wurde mir klar. Ich wollte es allein schaffen, wollte meinen Vater nicht nach Geld fragen. Unsere Beziehung war zerrüttet, und mein Stolz verbot es mir zu betteln. Das hatte ich nie getan, weder um seine Zuneigung noch um materielle Dinge. Ich hatte mich mit wenig zufriedengegeben, aber hier ging es nicht mehr um mich allein. Bis jetzt hatten meine Spenden immer guten Einsatz erfahren, aber anscheinend hatte Clara mir am Telefon nicht das ganze Ausmaß der Zustände des Tierheims erzählt. Ich wusste, sie wollte mich nicht belasten, aber das hier … Es war schlimmer als vermutet, und nun fühlte ich mich schuldig, nicht mehr getan zu haben.

»Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, werde noch härter arbeiten.« Ich schenkte meiner Kollegin ein aufmunterndes Lächeln, und sie atmete erleichtert aus.

Und wenn alles nichts nützen würde, musste ich als letzten Ausweg wohl oder übel den Kopf einziehen, auf meinen Vater zugehen, meinen Stolz herunterschlucken und ausnahmsweise nach Geld fragen. Das wäre wirklich das erste Mal in meinem Leben, sonst hatte er mir immer unaufgefordert ein nettes Sümmchen Taschengeld überwiesen, aber ich hatte nie um mehr gebeten. Luxus war nie mein Ding gewesen. Auch wenn ich schöne Sachen bewundern konnte, so konnte ich doch ohne sie leben.

»Ich wusste, dass wir auf dich zählen können. Du warst uns immer eine so große Hilfe, Sienna. Das bedeutet mir sehr viel.«

Ich drückte ihre Schulter und wandte mich ab, um meinen Spind zu schließen. Härter arbeiten, das würde ich schaffen. Einfach schneller schreiben, richtig? Wenn es nur so einfach wäre. Aber ich hatte keine andere Wahl. Diese Menschen, und vor allem die Tiere, waren auf mich angewiesen.

Mit steifen Beinen und schwerem Herzen verließ ich den Raum und machte mich auf den Weg zu den Zwingern, wenn man sie überhaupt so nennen konnte.

Hier gab es einen Hund, der einfach kein Zuhause finden konnte. Immer wieder wurde er adoptiert und nach ein paar Wochen wieder zurückgebracht. Inzwischen war er so alt, dass seine Chancen, eine neue Familie zu finden, gering waren.

Die Menschen zogen es vor, einen süßen kleinen Welpen zu haben, anstatt Energie und Zeit in einen Hund zu investieren, der offensichtlich schon viel durchgemacht hatte.

Cooper war einer unserer Stammgäste, wie wir die Tiere nannten, die immer wieder zurückkamen. Als ich um die Ecke bog und er mich erkannte, richtete sich der Deutsche Schäferhund zu seiner vollen Größe auf, wedelte mit dem Schwanz und ließ die Zunge heraushängen.

»Hast du mich vermisst, Cooper?«, fragte ich mit einer schrägen Babystimme und schlüpfte in den Zwinger, wo ich ihm ein paar Leckerlis hinhielt. Wie zur Bestätigung schmiegte er seinen Kopf an meinen Oberschenkel.

»Er wurde erst letzte Woche zurückgebracht«, murmelte jemand außerhalb meines Blickfelds, und ich biss mir auf die Unterlippe. Von Zurückweisung hatte ich definitiv eine Ahnung …

»Sie haben dich nicht verdient«, erwiderte ich schließlich, und er heulte so laut auf, dass mir fast das Herz stehen blieb.

»Kannst du dich nicht nützlich machen, anstatt die Tiere aufzuregen, Blondie?«, fragte ein anderer Freiwilliger genervt. Er war neu hier. Zumindest hatte ich ihn noch nie gesehen. »Wenn du nur hier bist, um die Hunde anzuglotzen, schenke ich dir gerne ein Magazin.« Ich ballte meine Hände zu Fäusten, irritiert über seinen barschen Ton.

»Halt die Klappe, Steven, oder ich kastriere dich wie den Rottweiler vorhin«, ertönte eine andere Stimme in der Ferne, wahrscheinlich Susies. Ich liebte ihre derbe Art, es war richtig erfrischend. Sie sprach Sachen aus, die ich mir nur denken konnte.

Steven brummte irgendwas vor sich hin und verließ den Bereich, um wahrscheinlich woanders anzupacken.

Mein Blick wanderte zurück zu Cooper, und ich atmete langsam aus, setzte mein süßestes Lächeln auf und trat aus dem Zwinger.

»Bin gleich da«, rief ich, zwang einen fröhlichen Ton in meine Stimme und ließ unseren Stammgast zurück.

Meine Schicht ging langsam dem Ende zu, meine Beine waren schwer vom langen Stehen. Doch bevor ich meine Tasche packen und Feierabend machen konnte, schlug unsere Eingangstür so laut zu, dass ich zusammenzuckte.

Ein Mann stürmte den Gang entlang auf uns zu, während sein lautes Fluchen von den Wänden hallte.

»Was zum Teufel ist mit diesem Hund los?«, schrie er und zerrte an der Leine des armen Labradors.

Mein Herz raste, und ich spürte, wie die Angst in mir aufstieg. Clara trat vor und versuchte, die Situation zu entschärfen. »Sir, bitte sprechen Sie leiser. Was ist das Problem?« Er schnaubte verächtlich.

»Das Problem? Das Problem ist, dass ich einen tollwütigen Hund bekommen habe. Das Ding hat mir fast die Hand abgebissen«, schrie er und hielt uns seine bandagierten Finger vor die Nase.

Ich versuchte einzuschreiten. Gott, wie ich diese Konflikte hasste. Ramona konnte vielleicht den lieben langen Tag diskutieren, aber ich hasste Konfrontationen. »Sir, es tut uns leid, das zu hören. Können Sie uns sagen, was passiert ist?«

»Ich sage euch ganz genau, was passiert ist! Dieser Hund ist eine Gefahr für die Gesellschaft. Er ist völlig unerziehbar«, spuckte er uns entgegen.

Clara versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen. »Aggressionen bei Hunden sind oft die Folge falschen Trainings und schlechten Umgangs. Vielleicht können wir einige Trainingsmöglichkeiten besprechen, die Ihnen und Ihrem Hund helfen?«

Aber der Mann wollte nichts davon wissen. Er schrie und beleidigte uns, und ich konnte den verängstigten Blick des Hundes praktisch auf mir spüren.

»Ich habe alles richtig gemacht, aber ihr habt mir eine Bestie gegeben. Es ist alles eure verdammte Schuld«, fuhr der Mann fort und trat gefährlich nahe heran.

Mir schmerzte das Herz für den Labrador, der offensichtlich von seinem aggressiven Herrchen traumatisiert war, und ich konnte seine Paralyse so gut nachvollziehen.

»Okay, Sie haben recht, es ist meine Schuld. Ich habe einen Fehler gemacht, aber bitte, Sir, können Sie sich beruhigen? Sie erschrecken den Hund«, mischte ich mich ein. Wenn es hieß, dem Tier würde es besser gehen, dann nahm ich nun mal die Schuld auf mich. Clara warf mir einen ungläubigen Blick zu. »Ich übernehme die volle Verantwortung für das, was passiert ist. Geben Sie mir nur die Leine.«

Es spielte keine Rolle, dass ich vor ein paar Tagen noch nicht einmal in England gewesen war.

»Schön, nimm mir das verfluchte Ding vom Hals und sei froh, dass ich dich nicht verklage«, knurrte er.

Clara rümpfte die Nase, bereit, die Fäuste fliegen zu lassen, aber ich hielt sie in letzter Sekunde auf, bevor sie etwas Dummes tun konnte. Eine Schlägerei wäre mehr als unangemessen, auch wenn dieser Typ dringend einen Reality-Check brauchte.

»Das ist sehr großzügig von Ihnen. Vielen Dank! So ein Fehler wird mir nicht noch einmal passieren.«

Er sah zwischen uns hin und her und überlegte, ob er noch etwas sagen sollte, ließ schließlich die Leine fallen und stürmte aus dem Gebäude, ohne zu fragen, ob er sein Geld zurückbekäme. Erst als er längst weg und der Labrador gut versorgt war, konnte ich wieder aufatmen.

Solche Situationen waren einfach so unangenehm intensiv.

»Zeig Rückgrat, Mädchen«, murmelte Clara missbilligend.

Ich zuckte mit den Schultern. »Er musste Dampf ablassen.«

Sie schnaubte und schüttelte den Kopf. »Und du warst sein Boxsack?«

»Jeder hat mal einen schlechten Tag«, antwortete ich, während ich meine Sachen zusammenpackte.

»Du bist zu nett, Sienna. Du hast das Recht, dich aufzuregen. Man kann es nicht jedem recht machen. Gott, denk doch einmal an deine Gefühle.«

Ich verdrehte die Augen, verstand den Sinn ihres Monologs nicht. »Ich denke an meine Gefühle, und ich fühle mich am besten, wenn ich freundlich bin. Easy.« Und wenn ich so wenig Raum wie möglich einnehme, fügte ich stumm hinzu. Clara zog nur mürrisch die Nase kraus.

Wir verließen gemeinsam das Tierheim, der Horizont war bereits in Rot- und Orangetöne getaucht. Ich atmete tief ein und wappnete mich für eine erneute Belehrung.

»Diese übertriebene Freundlichkeit wird dich noch umbringen.« Mit diesen Worten stieg sie in ihr kleines, rostiges Auto und winkte mir ein letztes Mal zu. Ich atmete langsam aus und presste die Lippen aufeinander.

Aber diese Freundlichkeit ist alles, was ich habe. Manchmal dachte ich, dass mich nichts außer dieser Freundlichkeit definierte, dass ich ohne sie nichts war. Man mochte mich nur, wenn ich nett war – etwas anderes hatte ich nicht zu bieten.

Dumme, unnütze Gedanken, das wusste ich. Diese Ängste waren natürlich irrational, aber trotzdem …

Kurz nachdem ich fix und fertig ins Auto gestiegen war, vibrierte mein Handy. Ich zückte es und sah eine Nachricht von Blair im Gruppenchat.

Blair: Ratet mal, wer in London gesichtet wurde. Tipp: Es ist Nikolai Hale.

Ramona:Unser zukünftiger Schwager ist hier?

Blair leitete uns den Link zum Artikel eines Klatschmagazins weiter, und ich las eifrig die Überschrift, bevor ich mich anschnallte.

Heißester Junggeselle am Londoner Flughafen gesichtet. Wird er diesen Sommer endlich seine bessere Hälfte finden? Wir halten euch auf dem Laufenden.

Nikolai Hale schon jetzt in London? Ich hatte damit gerechnet, dass er erst später anreisen würde. Zumindest hatte mein Vater das so angedeutet. Hätte ich gewusst, dass alles so schnell gehen würde, hätte ich mich mental darauf vorbereitet. Immerhin schwärmte ich schon monatelang, nein jahrelang für diesen Mann. Ihn jetzt in echt zu sehen, war ein ganz neues Level an Aufregung, das ich so nicht von mir kannte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er bei uns auftauchen würde. Dutzende Fragen schossen mir durch den Kopf: Würde ich ihm gefallen? Wie sollte ich mich verhalten? Würde es peinlich werden? Würden wir miteinander klarkommen?

Meine Gedanken wurden durch eine neue Nachricht unterbrochen.

Blair:Es ist wohl endlich an der Zeit, etwas von deinem angestauten Dampf abzulassen, Si.

Sienna:Ich bin nicht SO verzweifelt.

Ramona:Doch, das bist du. Ich wette, du hast ein Bild von ihm unter deinem Kissen und machst schmutzige Dinge damit, bevor du einschläfst.

Bevor ich antworten konnte, schickte Ramona direkt die nächste Nachricht, diesmal ein Bild:

Ramona:-Bild-

Diese Hexe hatte ein Foto von Nikolai und seiner vermeintlichen Ex-Freundin bearbeitet, mein Gesicht aus einem anderen Foto ausgeschnitten und auf ihres gephotoshoppt. Ich sah lächerlich aus, mein Kopf war viel zu groß für ihren Körper. Mein Haar verschwand in einem strengen Dutt, sodass mein Gesicht wie ein herumschwebendes Ei aussah. Ich saß auf dem Foto zwar neben Nikolai in einer Bar, was mir gefiel, aber meine Proportionen waren mehr als beleidigend.

Sienna:Sooo lustig, Leute.

Ich rollte mit den Augen und steckte mein Handy wieder ein. Meine Freundinnen ließen wirklich keine Gelegenheit aus, mich aufzuziehen. Ein verzweifelter Seufzer kam über meine Lippen. So groß meine Neugier auf Nikolai Hale war, so sehr bereitete sein bevorstehender Besuch mir auch Angst. Gleichzeitig war da ein klitzekleiner Teil in mir, der diesen Thrill genoss.

Dabei hätte es mir lieber sein sollen, wenn er so weit wie möglich von mir, von meinem Laptop fernbleiben würde. Nikolai war der beste Freund meines Vaters, und wenn er jemals von den verkorksten Geschichten erfuhr, die ich ohne sein Wissen über ihn geschrieben und sogar veröffentlicht hatte, würde ich ihm nie wieder unter die Augen treten können.

Ich stand in der Küche, trug meinen Lieblingspyjama aus rosa Satin und konzentrierte mich auf die bevorstehende Arbeit. Kerzen zu machen, war neben dem Backen das Einzige, das mich immer beruhigte, selbst an den hektischsten Tagen.

Der Mond am wolkenlosen Himmel warf einen schaurigen Schein durch das Küchenfenster, während ich die ätherischen Öle zusammenmischte. Ich fügte einen Hauch von Lavendel hinzu in der Hoffnung, dass es meinem Vater beim Einschlafen helfen würde. Damit hatte er Probleme seit … nun, seit einer Ewigkeit.

Nicht dass er meine Kerzen benutzen würde. Das tat er nie. Ich hatte sie mal in einem Karton verstaut auf dem Dachboden entdeckt. Trotzdem versuchte ich es weiter, immer in der Hoffnung, dass er mir eines Tages danken, mich schätzen würde.

Während ich das geschmolzene Wachs in ein Glas goss, konnte ich nicht anders, als mich zu fragen, ob er überhaupt wusste, wie sehr ich mich um ihn sorgte, wie sehr ich ihn liebte. Trotz allem. Ich liebte ihn auf irrationale Weise und hatte trotzdem das Gefühl, dass er immer neue Wege fand, mich wegzustoßen.

In meinen dunkelsten Momenten hasste ich meine Mutter dafür, dass sie gestorben war, weil sie gleichzeitig meinen Vater mitgenommen hatte. Nur sein Körper war geblieben und wanderte auf Erden; seine Seele war bei ihr, wo auch immer sie sein mochte.

Ich war eine Waise.

Kapitel 4

Nikolai

Genervt knallte ich die Fahrertür zu, nachdem ich ausgestiegen war. Ich hatte den schlimmsten Jetlag meines Lebens und hätte auf dem Weg hierher beinahe eine Gruppe Teenager überfahren. Fuck my life. Ich hatte die Straßen Englands wirklich nicht vermisst. Um ehrlich zu sein, gab es vieles, das ich nicht vermisst hatte – vor allem nicht das Vorstadtleben.

Aber als Christopher sich gemeldet und mich um den größten Gefallen meines Lebens gebeten hatte, konnte ich nicht Nein sagen. Er war der Bruder, den ich nie hatte, mein ältester Freund. Es brach mir das Herz, dass ich sein Schicksal einfach so akzeptieren sollte. Aber er wollte mich diesen Sommer sehen. Ich war gekommen, weil er mich mehr denn je brauchte.

Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, warum ich hier war, öffnete sich die Haustür, und ich trat näher. Christopher stand im Eingang. Er hatte sich nicht verändert, vielleicht hatte sein Bart ein paar weiße Härchen mehr, aber das war alles.

»Na, endlich. Wo warst du so lange?«, fragte er und spielte den Verärgerten. Ich stieg die wenigen Stufen der Veranda hinauf, zog ihn an mich und drückte ihn so fest an meine Brust, dass es fast wehtat. Ich war eigentlich nicht der Typ für Umarmungen, Gefühlsausbrüche und all den Scheiß. Ganz im Gegenteil. Ich hasste es. Emotionen bedeuteten Schwäche, und es gab in meinen Augen nichts Erbärmlicheres. Aber in diesem Moment war mir das ausnahmsweise egal.

»Ich hasse dich, du Bastard«, presste ich heraus. »Warum tust du mir das an?« Ich spürte, wie seine Brust vor Lachen vibrierte, und er löste unsere Umarmung.

»Du bist immer noch das egozentrische Arschloch von damals. Der einzige Unterschied ist, dass du jetzt diese viel zu teuren Anzüge trägst.« Ich schnaubte.

»Ja. Aber du hast dich verändert, du bist nicht mehr dieser miese Versager, der sich ins Schwimmbad schleichen musste, weil er kein Geld für den Eintritt hatte.« Ich stieß einen Pfiff aus, als ich den Vorgarten eingehender betrachtete. Ich war schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr in England gewesen, hatte sein neues Haus noch nie gesehen. Früher, als wir noch Teenager gewesen waren, hatte er in ganz anderen Verhältnissen gewohnt. Nun hatte er es zu etwas gebracht, und ich konnte seinen Erfolg von Nahem bewundern.

Unsere Freundschaft bedurfte keiner ständigen Besuche, wir hatten ohne viele Treffen Kontakt gehalten, waren über die vielen Jahre beste Freunde geblieben. Die Verbindung ging tief, wir waren wie Brüder. Unsere Leben hatten sich drastisch weiterentwickelt, doch wir waren stets die Konstante im Leben des jeweils anderen gewesen.

Christopher und Jade waren in ihrer Jugend mehr als knapp bei Kasse gewesen, sie hatten im Keller ihrer Mutter gewohnt und sich nur von Dosenfutter ernährt. Unsere Freundesgruppe hatte Jade immer damit aufgezogen, dass Christopher sie mit irgendeiner Art Liebeszauber belegt haben musste. Das war sicherlich der Grund gewesen, warum sie es mit ihm ausgehalten hatte. Aber insgeheim wusste jeder, dass die beiden füreinander geschaffen waren.

Verrückt wie die Zeit verflogen war, wie aus armen Schluckern erfolgreiche Geschäftsmänner geworden waren. Wir waren von Anfang an ein ziemlich gutes Team gewesen. Während ich mich der Alkoholindustrie zugewandt hatte, war Chris ins Cyber-Security-Business eingestiegen. Und das nutzten wir gemeinsam: Er hackte sich für mich in die Datenbanken meiner Konkurrenten, fand belastendes Material, das zu Unternehmensschließungen führte – und wenn er keines fand, inszenierten wir welches. Er hatte ein Auge auf deren Expansionspläne und Stock-Market-Überlegungen. Es war ein leichtes Spiel, der Konkurrenz immer einen Schritt voraus zu sein, und es machte verdammt großen Spaß, alle nacheinander fallen zu sehen. Dank Chris hatte ich mehr Erpressungsmaterial, als ich jemals brauchen konnte. Als Zeichen meiner Dankbarkeit überschüttete ich ihn mit Kohle, und so waren wir gemeinsam die Karriereleiter hochgestiegen. Work smart.

Wir betraten das Haus, gingen durch den Flur, in dem ein ekelhafter Lavendelgeruch in der Luft lag, der mir Kopfschmerzen bereitete. Die Wände des Wohnzimmers waren hoch, das Design minimalistisch. Es sah beinahe zu kalt für ein Familienhaus aus, aber was wusste ich schon davon? Ich hatte weder Frau noch Kind. Mein Unternehmen stand an erster Stelle.

»Willst du einen Kaffee?«, fragte Chris und schaltete den Fernseher ein, wie er es in unserer Jugend immer getan hatte. Angeblich fühlte er sich dann weniger allein, zumindest hatte er das mal gesagt.

Ich nickte, und er ging in die Küche. Die Müdigkeit hatte mich fest im Griff, aber ich konnte nicht anders, als mein Handy aus der Tasche zu nehmen und darauf meine E-Mails zu checken. Ich hatte nicht das geringste Vertrauen in meine Angestellten und lebte nach dem Motto: Wenn du willst, dass es richtig gemacht wird, mach es selbst. Dutzende von ungelesenen Nachrichten erschienen auf dem Display. Ich rieb mir die Schläfen. Die Interviewanfragen löschte ich wie üblich, ohne weiter darüber nachzudenken. Alle wollten wissen, was hinter dem Erfolgskonzept »Nikolai Hale« steckte, wie er privat drauf war. Nicht dass ich ihnen irgendetwas anvertrauen würde. In meinem Business – und vor allem in Anbetracht meiner Praktiken – sollte man, sollte ich, besser die Klappe halten. Anfangs hatten sie meine Distanziertheit respektiert, aber als ich vor einigen Jahren mit einer Frau zusammengekommen war, die in der Öffentlichkeit stand, hatte die Presse endgültig ihre Glaubwürdigkeit verloren. Wie Hyänen hatten sie sich auf mich gestürzt, und als ihnen klar geworden war, dass es bei mir nichts zu holen gab, hatten sie eben Dinge erfunden. Eine gute Sache hatte es gehabt – auch die Frauen sind durch den Medienrummel verrückt nach meinem Alkohol geworden, das Geschäft wurde angekurbelt.

Andere Mails konnte ich nicht so einfach ignorieren.

Ich zog mir die Jacke aus und legte sie fein säuberlich über das Kopfteil der Couch. Dann setzte ich mich und bearbeitete meinen Posteingang. Gerade als ich eine weitere E-Mail abschicken wollte, riss mich die Stimme meines Freundes aus den Gedanken: »Du bist im Urlaub. Kann das nicht warten?«

Ich verdrehte die Augen. »Ich bin nie im Urlaub, das weißt du.«

Chris schnaubte und stellte den Kaffee auf dem Glastisch vor uns ab. »Es läuft doch ganz gut für dich. Ist ja nicht so, als ob du dir nicht mal eine kleine Auszeit gönnen könntest.«

Ich erwiderte sein Lächeln nicht, dachte nur an die verdammt riesige Menge an Arbeit, die zu Hause in New York auf mich warten würde.

Arbeit war nicht nur Arbeit für mich, sie war mein Leben. Ich war der Begründer des Hale-Imperiums und besaß die derzeit meistverkaufte Alkoholmarke in ganz Nordamerika. Mit dem Geld, das ich verdiente, erwarb ich Immobilien und Clubs, Bars und Pubs. Oft kaufte ich mich auch in bestehende Etablissements ein. Und zwar im großen Stil. War meine Marke exklusiv in den Lokalen vertreten, bot ich den Besitzern viel bessere Konditionen an. Nicht dass ich mich besonders für Prostitution interessierte, damit wollte ich nichts zu tun haben und überließ die Drecksarbeit ausschließlich anderen. Aber es war unbestreitbar, dass gerade Männer – vor allem in Stripclubs – spendabler waren. So polierten sie ihr kleines Ego. Alle profitierten. Prestige hatte seinen Preis, und jämmerliche Männer mit kleinen Schwänzen taten alles, um nicht arm zu wirken.

»Jetzt hör auf mit dem Bullshit und sag mir, warum ich hier bin. Du weißt, dass ich dir nicht geben kann, was du brauchst. Ich hätte es getan, gerne sogar, du weißt, dass ich fast alles für dich tun würde, aber es geht nicht.«

Chris seufzte. »Ja, ich weiß. Es ist nur … Ich will jemanden an meiner Seite haben, verstehst du?«

Ich verzog das Gesicht. Dieser Mistkerl. Er wollte ernsthaft …

Meine Gedanken wurden durch das Klingeln seines Handys unterbrochen, und ich wandte den Blick ab – unfähig, ihm in die Augen zu sehen.

Christopher entschuldigte sich, und seine Schritte hallten im Raum wider, bevor er schließlich hinter einer Tür verschwand, um das Gespräch anzunehmen. Ich musste raus, musste hier weg. Aber zu was für einem Arschloch würde mich das machen, wenn mein bester Freund mich gerade doch am meisten brauchte? Ich konnte mich nicht einfach so aus dem Staub machen.

Mit einem genervten Stöhnen stand ich auf, um ins Bad zu gehen. Kaltes Wasser würde fürs Erste genügen. Ich kannte die Räumlichkeiten nicht, aber meine Beine führten mich wie von selbst in den ersten Stock. Irgendwo musste dort ein Badezimmer sein.

Es frustrierte mich, dass die Leute um mich herum ihren Mist ständig bei mir abluden, und ich verstand nicht, warum sie nicht selbst mit ihren Problemen fertigwurden. Ich war nicht für diesen Gefühlszirkus geschaffen, aber manche Menschen – meine Mutter, Dates, Geschäftspartner und flüchtige Bekannte – versuchten es trotzdem immer wieder, und dann waren sie am Ende enttäuscht darüber, dass ich nicht die Person war, die sie brauchten.

Auf der obersten Treppenstufe angekommen, wollte ich zunächst nach links abbiegen, doch da fiel mir eine leicht geöffnete Tür ins Auge. Ich trat näher und entdeckte durch den offenen Türspalt ein Regal voller Bücher, deren Einbände so bunt waren, dass mir der Kopf schwirrte. Ich öffnete die Tür zur Gänze, trat ein und nahm sofort den femininen Duft in der Luft wahr. Jasmin, ein bisschen Orange und Moschus. Eine perfekte Mischung.

Ich schritt durch den Raum und blickte mich um. Im Gegensatz zu den anderen Räumen, die ich bisher gesehen hatte, wirkte es so, als würde hier wirklich jemand leben. Ich bewegte mich zum großen Regal, das mir schon vom Treppenabsatz aus ins Auge gesprungen war, und fuhr mit dem Finger über einen Buchrücken. Meine Lippen formten sich zu einem kleinen Schmunzeln. Die Wörter dominiert und Aliens sollten definitiv nicht in einem Satz verwendet werden und schon gar nicht auf einem Buchcover. Kopfschüttelnd nahm ich es aus dem Regal und blätterte gedankenverloren darin. Ich hatte noch nie in meinem Leben das Wort »Alienschwanz« gelesen. Heute war anscheinend mein Glückstag.

Doch schnell verlor ich das Interesse. Als ich es gerade wieder an seinen Platz schieben wollte, entdeckte ich ein anderes Buch dahinter. Es wirkte, als hätte es jemand versteckt. Meine Neugier war geweckt.

Ich nahm es heraus, und mein Mundwinkel zuckte, als ich den Titel las. Dieses Cover sah zum Glück nicht ganz so hässlich aus wie die anderen. Getrocknete rote Rosen auf schwarzem, rauchigem Hintergrund mit silbernen Elementen hier und da. Eigentlich ganz hübsch, elegant. Keine Aliens.

Ich las mir den kurzen Klappentext durch und hob eine Augenbraue. Der beste Freund des Vaters? Beinahe hätte ich laut gelacht. Was für ein Bullshit war das denn? Wer kaufte sich so was?

Amüsiert schlug ich das Buch auf und las die ersten paar Seiten, während ich ruhelos im Zimmer auf und ab ging.

Kreativ, das musste ich der Autorin lassen. Und verrucht.

Aus dem Augenwinkel fielen mir einige Fotos ins Auge, und ich blieb abrupt stehen, musste noch einmal hinschauen, weil ich dachte, einen Geist gesehen zu haben. Jade … Nein, nicht Jade, es musste ihre Tochter sein. Sie sah genauso aus wie ihre Mutter – volle rosige Lippen, blaue Augen, deren Farbe so hell war, dass sie fast unnatürlich wirkte, langes blondes Haar und ein Lächeln, das einen Mann in die Knie zwingen konnte. Es gab nur eine Sache, in der sich Mutter und Tochter unterschieden: Während man bei Jade sofort das Feuer in den Augen gesehen hatte – ihr Blick war immer gnadenlos sarkastisch gewesen –, hatte die Frau vor mir eine Weichheit an sich, die ich bei Jade nie für möglich gehalten hatte. Ihre Aura zog mich praktisch an, sie hatte mich fest im Griff. Je eindringlicher ich das Bild betrachtete, desto mehr erkannte ich eine Traurigkeit, die sich hinter den strahlenden Augen verbarg. Und ich verstand sie, auch wenn sie nicht meine war.

Ich hatte Sienna noch nie persönlich gesehen. Christophers Tochter hatte die meiste Zeit ihres Lebens im Ausland verbracht. War sie verkorkst, tief hinter ihrer reinen, unschuldigen Fassade?

Irgendetwas in ihrem Gesichtsausdruck ließ mich nicht los, und ich musste mich zwingen, endlich den Blick von dem Foto abzuwenden.

Erst jetzt erinnerte ich mich an das Buch in meiner Hand. So verdorbene Fantasien … Wenn ihr Vater nur wüsste, was für Bücher sie zu Hause hatte. Meine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, und ohne darüber nachzudenken, steckte ich es in meine Hosentasche und ging wieder nach unten, ohne im Badezimmer gewesen zu sein.