Widerwortmeldungen - Michael Müller - E-Book

Widerwortmeldungen E-Book

Michael Muller

0,0

Beschreibung

Müllers drittes Alter Ego, Ypsilon, muss sich in drei Milieus zurechtfinden, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: Das der Großeltern, einfachen Oberschlesiern, die es nach Laim verschlagen hatte. Das einer Pasinger Künstlerenklave und das des Internats in Landsberg am Lech, das von einem inbrünstig prügelnden Geistlichen geleitet wurde. Eine Kindheit, die bewältigt werden will. Dabei kann Schlimmeres herauskommen als ein Schelmenroman. Es war Zeit, dass mal wieder einer geschrieben wurde.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 254

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Der Autor hat

Uschi Lanzinger,

Dieter Wallentin,

und einer „in Treue festen“ Anonyma

sehr zu danken. Sie wissen, wofür.

Von allen Geistern, die verneinen, ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.

Johann Wolfgang Goethe

Ypsilon war schon als Kind unangenehm aufgefallen. Anstatt den Anordnungen der Erwachsenen Folge zu leisten, unverzüglich, wie sich das von jeher gehörte, stellte er Fragen. Damals, kurz nach dem 1000jährigen Reich, mussten sie neuerdings hingenommen werden, schließlich hatte man jetzt Demokratie. Kamen sie jedoch von Rotzbengeln wie ihm, gab es als Antwort meist ein unwirsches: „Das ist/macht man/gehört sich nun mal so.“

Wer dann, wie Ypsilon, ein dreistes „Warum?“ anfügte, galt abhängig vom Wortschatz des Befragten als ungezogen oder renitent und wurde je nach dessen Temperament oder Verfassung mehr oder weniger scharf verwarnt. So unbefriedigend und bedrohlich diese Wortwechsel für Ypsilon waren, so begann er sie doch auch zu genießen. Natürlich heimlich. Sie hatten den Schelm in ihm geweckt, der sich amüsierte, wenn die Großen in Verlegenheit gerieten.

Konnte man ihm zunächst noch weismachen, er sei zu jung und zu dumm, um etwas zu verstehen, kam er schließlich zu der Überzeugung, dass viele Erwachsene deshalb so schnell hochgingen, weil sie die Antwort nicht wussten. Sie schienen ihrerseits dumm zu sein. Und offensichtlich noch dümmer als er, da sie sich kein bisschen dafür interessierten, warum etwas so war, wie es war, warum man es so und nicht anders machte und warum sich etwas gehörte oder nicht.

Später erzählte man ihm, dass dieses Verhalten auf Konventionen basiere, die unabdingbar für das Funktionieren einer Gesellschaft seien. Da letztere von Erwachsenen beherrscht wird, die in ihrer Mehrheit dumm, denkfaul und an allem desinteressiert sind, was sie nicht reicher macht, verwandeln sich Konventionen in Gewohnheiten, die den Status Quo zementieren, von dem vor allem die profitieren, die ihn geschaffen haben, weshalb vieles solange beim Alten bleibt, bis es zu spät ist.

Ypsilon litt von Kindesbeinen an unter der Herrschaft der Betonschädel, die sich selbst als konservativ bezeichneten und durchweg stolz darauf waren, DEUTSCHER zu sein. Also deutschER als deutsch und bedrohlich nahe an den deutschesten Deutschen, deren bekanntester verblüffenderweise Österreicher war, eigentlich Schicklgruber hieß, aus inzestuösen Verhältnissen stammte und dessen „Ariernachweis“ dunkle Flecken aufwies. Was jedoch keinen aufrechten Deutschen anficht – Beton kennt keine Zweifel, läßt sich, wenn überhaupt nur durch Bomben erschüttern.

Ypsilon trug zwar, nach seiner Nationalität gefragt, immer brav deutsch ein, bezog das aber ausschließlich auf die Region, in der er geboren wurde und auf seine Muttersprache. Von einem Vaterland, wollte er nichts wissen. Das, was er aus dem Geschichtsunterricht gelernt hatte (im Gegensatz zu den vielen Jahreszahlen, die er hätte lernen sollen), war, dass sich mit diesem Begriff wunderbar Schindluder treiben und Blutbäder anrichten lassen. Vaterländer konkurrieren ständig miteinander, gehen unheilige Allianzen mit Religionen und Ideologien ein, müssen sich und anderen laufend beweisen, dass sie die Größten sind und haben, nennen das ihre Freiheit und verheizen, wenn sie diese oder sich für gefährdet halten, jederzeit ihre Söhne. Nationalität, Glaube und ideologische Verbohrtheit entpuppten sich für Ypsilon als die schlimmsten Seuchen der Menschheit; unausrottbar, weil von Politikern, die als Machtmenschen bewundert statt geächtet werden, immer aufs Neue befeuert. Er hingegen sah sich, dafür selbst von Freunden mitleidig als weltfremd belächelt, als Weltbürger, einen vaterlandslosen. Das geht offenbar nicht, sich einfach auszuklinken aus der Schicksalsgemeinschaft der Deutschtümler. Wer im Lande der Richter und Henker aufwachsen darf, der kann nicht mir nichts, euch nichts seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Und als es Ypsilon doch versuchte, wurde ihm, als Vaterlandsverräter, gleich ein neuer Strick gedreht. Und nahe-gelegt: Wenn‘s dir hier nicht passt, dann geh‘ doch nach drüben!

Dank Gorbi verlangte das seit 30 Jahren niemand mehr von ihm. Dank Gorbi, NICHT dank Kohl, der diesen sogar während er Glasnost und Perestroika umsetzte (und damit bewies, kein Betonschädel zu sein), als Goebbels der KPdSU beschimpfte und so offenbarte, dass Deutschland einen Kanzler hatte, der noch dümmer war als Beton.

In seiner zweiten Lebenshälfte wurde Ypsilon, wenn er sich staats- oder systemkritisch äußerte, nicht mehr nach drüben (zu seinen vorgeblichen Brüdern und Schwestern) geschickt. Warum? Hielt man es jetzt für unzumutbar? Weil dort mittlerweile noch deutschere Deutsche wohnten? Weil es die Heimat von Angela Merkel war? Sah man es nun als Privileg? Auf die Idee, ihn nach China oder Nordkorea zu schicken, kam keiner. Man hätte Ypsilon zwar Hänge- oder Schlupflider nachsagen können, jedoch keine Schlitzaugen.

Beim Stichwort Schlitzaugen fiel ihm regelmäßig der Scholz Olaf ein. Ihn hielt er, Straußens Warnung vor der Gelben Gefahr nach wie vor im Ohr, schon seit langem für einen Replikanten made in China. Gebaut, wie man sich dort eine Langnase vorstellt (ja, auch der Chinese kann Rassismus!) und nach Deutschland geschickt, unsere ohnehin wackelige Demokratie weiter zu destabilisieren. Olafs leidenschaftsloses und stures Verhalten entsprach dem eines Saugroboters. Sein Dauergrinsen, sein wider besseres Wissen starres Festhalten an einem Kurs, der die SPD unter Merkel, genauer gesagt, in ihrem Schwitzkasten, strucks?, äh, nein stracks in die politische Bedeutungslosigkeit geführt hatte, wäre von einem Wesen aus Fleisch und Blut kaum durchzuhalten. Dass Ypsilons Überlegungen so abwegig nicht waren, bewies ein Beitrag in SPON am 14.9.2021, also kurz bevor Olaf zur Verblüffung aller zur neuen Merkel gewählt wurde:

Bekanntlich ist der Chinese bei der Herstellung von Androiden deutlich weiter als andere – mangels ethischer Bedenken der Staatspartei. Dreist zu lügen gehört jedoch auch hierzulande zur Amtsführung. Man denke nur an Merkel und ihre Behauptungen: Gorleben ist sicher (das als Endlager für Atommüll nicht mal von der Deutschen Atomkomission vorgeschlagen wurde). Oder: Tempolimits auf Autobahnen führten zu mehr Stau. Oder: Alles zu tun, damit sich SO ETWAS (gemeint waren die NSU-Morde von 2012) nicht wiederholt. Was sie als Schande für unser Land bezeichnete, war eine der Politiker (die den Rechtsextremismus bis dahin fleißig kleingeredet hatten) und eine der Ermittlungsbehörden (in denen sich braunes Gedankengut lange Zeit frei bewegen durfte). Und, fragte sich Ypsilon (rhetorisch), was tat sie ALLES? Sie saß ES – wie sie das von ihrem Ziehvater gelernt hatte – aus. Und durfte bis zu ihrem Abgang noch so manchen Skandal bei Polizei, Bundeswehr und SEK miterleben. Für eine Gynoi-Alles, was man vom EU-Gipfel im Juli 2020 noch weiß: Merkel hat sich für das Tragen einer Maske entschieden.de (= weiblicher Androide) hielt sie niemand, allein wegen ihres Watschelgangs, ihrer heruntergeleierten Reden und ihrer aufgesetzten Mimik. Kein Robotroniker wäre damit an die Öffentlichkeit gegangen.

Merkel hielt es wie ihr Ziehvater für unnötig, sich einem Stimm- und Sprechtraining zu unterziehen oder in Vortragstechnik schulen zu lassen. Sie erlebte ständig, dass der Durchschnittsdeutsche angesichts eines Staatsamtsinhabers reflexartig in eine Demutstarre fällt und zum Bückluder mutiert.

Als Ypsilon mitanhören musste, wie sie in den Nachrichten für ihren Atomausstieg gelobt wurde, kam ihm ob dieser dreisten Geschichtsklitterung wieder die Galle hoch. Untertänigst unterschlug man, dass Merkel, kaum, dass es ihr dank der FDP 2010 endlich möglich war, einen von der grünstichigen Schröderregierung 2002 mit der Energiewirtschaft fertig ausgehandelten Atomausstieg, eilfertig zurückgenommen hatte. Als Wissenschaftlerin (wie sie in der SZ laufend tituliert wurde), wusste sie, dass a. ein Supergau wie in Tschernobyl bei Reaktoren westlicher Bauart unmöglich war und b. ohne eine Verlängerung der Laufzeiten in Deutschland bald das Licht ausgehen würde. Ein Jahr später, nach Fukushima, wusste sie es besser, leitete den Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg ein und spülte damit den Energiekonzernen für ihre selbstlose Bereitstellung von sauberem Strom eine zusätzliche Abfindung von rd. 2.500.000.000 Euro in die ohnehin prallen Kassen. Was die SZ nicht davon abhielt, Merkel auch weiterhin voller Ehrehrehrehrerbietung als promovierte Physikerin, und kühle Analytikerin zu bezeichnen (Nico Fried bekam dafür von ihr im Regierungsflieger den einen oder anderen Kuchen serviert, was er zu den Höhepunkten seiner Laufbahn – der eines eingebetteten Journalisten – zählt), natürlich zu Recht, denn sie hatte Mitte der 80er Jahre in der SBZ (für Spätergeborene: Sowjetisch besetzte Zone, eine alternative Bezeichnung für die DDR) ihren Doktor in Physik gemacht. Allein der Titel der Arbeit (Untersuchung des Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenchemischer und statistischer Methoden) läßt bei jedem Nichtwissenschaftler die Testikel auf Reiskorngröße zusammenschrumpfen. Was, so ging es Ypsilon durch die Birne, mochte wohl dem DüKaZ*, Kohl, durch die seine gegangen sein, als er hörte, womit „sein Mädle“ promoviert hatte. Ypsilon, ein leidenschaftlicher Leser, warf einen zufälligen Blick in das rund 150-seitige Werk:

Das kam ihm knallhart und eindeutig formuliert vor, so gar nicht wie das, was er sonst von dieser Kanzlerin zu hören bekommen hatte. Auch ein gewisser Wolfgang Domcke, Prof. für Theoretische Chemie an der TU fand das lt. SZ vom 28.11.2008 „substanziell, sorgfältig bearbeitet und fehlerfrei“, wenngleich „keine wissenschaftliche Revolution“. Das war auch nicht zu erwarten, hatte sie oder wer auch immer doch nur knapp 8 Jahre daran gesessen. Ypsilon, der so leicht nicht aufgab, unternahm noch einen zweiten Versuch:

Wer derlei zu Papier bringt, fand Ypsilon, sollte sich eigentlich auch über die spezifischen Auswirkungen von Geschwindigkeit im Straßenverkehr im Klaren sein. Während jede Frau mit durchschnittlicher Intelligenz und Bildung ahnt, dass die Schwere von Unfällen mit dem Tempo der beteiligten Verkehrsteilnehmer zusammenhängt (was autophile Männer unabhängig von Intelligenz und Bildungsgrad verbissen leugnen), hat die Wissenschaftlerin Merkel das entweder nicht gewusst oder bewusst ignoriert, als sie, kaum Umweltministerin geworden, bekannt gab, dass es unter ihr (anders als im beschränkten Rest der Welt) keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen geben werde, wohlwissend, dass man es in D ohne den Segen der Autoindustrie in der Politik nicht weit bringt (alle Kanzler waren Autokanzler und zwängten sich auf Messen vor begeisterten Massen in die immer schneller/schwerer/fetter werdenden Karren). Dass an denen, die‘s weit bringen, das Blut verheerender Crashs klebt (der Führerschein als Lizenz für Amokfahrten), ist ein Opfer, das man als Berufspolitiker auf sich nehmen muss. Aus der FREIEN FAHRT wurde flugs ein FREIES RASEN für freie Bürger. Eine Entwicklung, die der Physikerin Merkel entgangen war. Entsprechend entlarvend ihre Begründung: Tempolimits führten zu noch mehr Staus! Jeder Freizeitphysiker wüsste sofort, dass das Gegenteil der Fall ist. Leider gab es hierzulande keine, dafür umso mehr Freizeitrennfahrer, die immer wieder ausprobieren mussten, ob ihr BMW bei 250 auch wirklich abriegelte. Das hatten die Premiumhersteller per Gentlemens Agreement anfang der 80er Jahre freiwillig eingeführt, um der Diskussion um ein Tempolimit den Wind aus den Segeln zu nehmen und sich als verantwortungsvoll zu gerieren. Porsche machte natürlich nicht mit, die anderen nur vorüberrasend. Gegen einen Aufpreis (ab 1.500 Euro) löschte man herstellerseits flugs die elektronische Sperre.

Vergnügt las Ypsilon, das Umweltbundesamt (das bei Regierungsentscheidungen grundsätzlich außen vor bleibt) habe 2020 nachgewiesen, dass man mit Tempo 130 auf Autobahnen 1,9 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr einsparen könnte. Merkel hat das 30 Jahre lang aktiv verhindert – ihre Hinterlassenschaft an verpesteter Atmosphäre, darauf hoffte Ypsilon, werden künftige Generationen angemessen zu würdigen wissen. Wenn diese Kanzlerin eine Physikerin war, dann eine ohne physikalisches Grundwissen, eine Wissenschaftlerin, die auf wissenschaftliche Kriterien und Erkenntnisse schiss.

Als Kind wollte Ypsilon Narr von Beruf werden, was er aber für sich behielt. Danach gefragt, sagte er Apotheker, um seiner Oma eine Freude zu machen, die das für vernünftiger hielt als Feuerwehrmann oder Pilot (ihr Sohn war samt einer Ju 87 fürs Vaterland „gefallen“). Die wenigen seiner Erzieher, die Humor hatten, bescheinigten ihm ein ums andere Mal, dass ihm der Schalk im Nacken säße. Das gefiel ihm und erschien ihm noch ausbaufähig. Ein Narr drückte sich bei Hofe rum, hatte eine Sonderstellung zwischen Herrscher und Untertanen, ein buntes Gewand an und durfte öfter als andere laut sagen, was er dachte. Ein Traumjob!

Verbittert stellte er später fest, dass mit der Entmachtung der Könige auch der Bedarf an Narren verschwunden war. Die übrig gebliebenen konstitutionellen Monarchien durften nur noch gute Miene zum Spiel der gewählten Politiker machen, unter denen wiederum sich ständig eine erkleckliche Anzahl ungewollt zum Narren machte, weshalb man einen professionellen für überflüssig hielt.

Als Ypsilon sich als Narr zu Füßen von Elizabeth II vorstellte, erntete er einen derart befremdeten Gesichtsausdruck (von wegen amused), dass er unverzüglich abbrach. Vom berühmten Humor der Engländer gebeutelt war diese Queen nie. Die Frau schien ihm aus der Zeit gefallen zu sein wie sein Briefmarkenalbum, das seit langem im Keller herumlag, nur weil sich niemand dazu durchringen konnte, es wegzuwerfen. Einmal, 1944, durfte sie so etwas ähnliches wie arbeiten, bekam angeblich eine Ausbildung zum LKW-Fahrer und Mechaniker, wurde aber vorsichtshalber schon nach fünf Monaten zum Junior Commander ehrenhalber gemacht. Seitdem, also ein schlappes 3/4 Jahrhundert steht oder sitzt sie einfach nur rum bzw. wird durch die Gegend gefahren und löst bei Menschen, die sich Royalisten nennen, eine Art Pawlowschen Reflex aus. Nur dass sie statt zu sabbern in Begeisterung ausbrechen und sich an ein längst vor den Hund gegangenes Empire erinnern. Das soll sie vergessen machen, dass sie derzeit von einem semmelblonden Lümmel mit Sturmfrisur regiert werden, dem krassen Gegenstück zu ihrer Queen.

Zwei ganz ganz Große (man beachte den nur scheinbaren Widerspruch dieser Beschreibung, Stichwort: Polysemie), die sich Kraft ihrer Prominenz die Welt zur Bühne machten (er nur fünf, sie 100 Jahre lang), beim traulichen Gespräch, dessen Inhalt nur die Pissoirpresse und deren Junkies interessiert haben dürfte. Was hingegen Ypsilon gern gewusst hätte: Did he grab her by the pussy?

Wer hingegen Humor „besitzt“, ist unsere Kanzlerin. Das erfuhr Ypsilon aus der SZ von einem, der ihr nahekam wie wahrscheinlich sonst bestenfalls Herr Sauer, ebenjener Nico Fried, dem Leiter der SZ-Parlamentsredaktion in Berlin, in einem ausführlichen Beitrag, betitelt mit:

Fragen, die so essentiell und tiefgründig sind, dass sie sonst nur in Frau mit Herz gestellt werden, die aber keiner besser beantworten könnte als Fried, der als einer ihrer Intimi im Flieger oft neben der Kanzlerin „Platz“ machen durfte:

Aber flugs zum Humor:

Da muss die Wissenschaftlerin mehr als lachen: ein krummes U-Boot! Möglicherweise war es jedoch etwas anderes, das bei ihr die Tränen auslöste: die Erinnerung an ihre erste Banane, die sie nach dem Fall der Mauer im Westen erwarb (als man ihr bekanntlich eine Gurke andrehte). Das aber konnte Herr Fried nicht wissen, da er sicher nicht Titanic liest. Was sollte er auch mit der Hauspostille eines Ozeandampfers anfangen, der vor über 100 Jahren gesunken ist?

Was für ein Unterschied zur Queen! Japsen und weinen vor lachen? Ausgeschlossen! An Merkels Stelle hätte sie kurz überlegt, dann 007 in jenes Abnehmerland (Türkei? Griechenland?) geschickt und wäre zur Tagesordnung übergegangen, also zum Rumsitzen, -stehen oder -fahren, und zwar mit der ihr eigenen royalen Souveränität. Das von einer Vorpommerin zu verlangen, die im Sozialismus aufgewachsen war und lt. Helmut Kohl bei den Staatsessen herumlungerte, wäre unfair, zumal sie so manches mit ihrer Gewitztheit wettzumachen wusste. Z.B. als sie den Kritikern nach dem 20-jährigen Afghanistan-Desaster mit der überraschenden Erkenntnis die vorlauten Mäuler stopfte:

Hinterher, im Nachhinein alles genau zu wissen und exakt vorherzusehen, das ist relativ mühelos.

Wäre der ihrer Vorgänger, den sein schneidigster Oberleutnant, H. Schmidt, hinterher Adolf Nazi nannte (vorher natürlich mein Führer), so gewitzt gewesen wie Mutti Merkel, er hätte sich nicht die Kugel geben müssen. Genau gewusst und exakt vorhergesehen wie sein Russlandfeldzug ausgehen würde, hätte er ihn definitiv unterlassen. Deutsches Wesen am Ural zu verbreiten, war auch nicht verrückter/arroganter als unsere Freiheit am Hindukusch zu verteidigen. Ypsilon hoffte auf die Vernunft der Taliban, desgleichen nicht in den Alpen zu versuchen (die Burschen kennen sich aus im Gebirge!). Wenn doch, dürfte man, um das Überleben der hiesigen Jäger und Förster zu sichern, keinesfalls die Amis um Unterstützung bitten. Die hatten nämlich in Afghanistan alles bekämpft, was Bart+Gewehr trug (das genügte ihnen, um Terroristen zu identifizieren und sie als „legitimes Tötungsziel“ einzustufen). Dass sie sich damit, weil dort auf dem Lande jeder so rumrennt, kaum Freunde machen konnten, obwohl sie sich dieses militärische Abenteuer 2.450 tote US-Soldaten und 200.000 Millionen Dollar* kosten ließen, wundert nur die Amerikaner. Ypsilon empfand es als Scheitern des Schicksals, dass der SPD-Verteidigungsminister, der Antje wie aus dem Gesicht geschnitten war, auch gern so los prustete, wenn auch meist beleidigt, weil er nichts von ihrer Gutmütigkeit hatte, den Ausgang des von ihm mitangezettelten Freiheitskampfes nicht mehr miterleben konnte. Man sollte ihm nachträglich 59 Kerben in den Sarg hacken.

Je unvorstellbarer eine Summe, das hatte Ypsilon immer wieder erlebt, desto leichtfertiger gingen unsere Berufspolitiker (deren Vorstellungsvermögen sich auf die eigene Laufbahn beschränkt) damit um. Die meisten halten die 59 Milliarden Euro, die Deutschland ausgab, um in Afghanistan ein paar Brunnen zu bauen und vorübergehend Mädchen den Schulbesuch zu ermöglichen, auch im Nachhinein für gerechtfertigt. Was, wenn man 1 Neunundfünfzigstel dieses Betrags, also 1.000 Millionen Euro, dazu verwendet hätte, den 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten im erwerbsfähigen Alter (im Land der Dichter und Denker!) zügiges Lesen und Schreiben beizubringen und den riesigen Rest dazu, das weltweit aufkommende Trinkwasserproblem anzugehen?

Hinterher, im Nachhinein alles genau zu wissen...

Das war der Aufschrei einer gequälten Kreatur. Merkel, in der selbstgenähten Zwangsjacke einer unerbittlichen Realpolitik steckend, zerrissen vom ständigen Für und Wider ihres angeblich analytischen Denkens, zudem gelähmt von einem ihr angedichteten Pragmatismus, hat dabei, und den Vorwurf muss sie sich gefallen lassen, einen der Kernsätze ihres Großen Lehrmeisters und Aussitzers aus den Augen verloren:

Entscheidend ist, was hinten rauskommt.

(Kohl 1984)

Der auch zum Weitblick des Berufspolitikers das Wesentliche gesagt hat:

Eine gute Politik sieht über den Tellerrand des morgigen Abends.

(Kohl 1976)

Jedoch niemals weiter als bis zur nächsten Wahl. Was man als die Wehen einer Demokratie betrachten könnte, entpuppte sich in Ypsilons Augen immer wieder als Wahlkrampf. 2005 hatte er zum letzten Mal eine der eingesessenen Parteien, die SPD gewählt. Allen voran wetterte damals der knorrige Münte mit dem Slogan Merkelsteuer, das wird teuer gegen die von ihr geplante Mehrwertsteuererhöhung um 2% und versprach, eine Große Koalition (man ahnte, was bei ihr hinten rauskäme) würde es mit ihm nicht geben. Dann bekam die CDU/CSU die Mehrheit, Schröder – stockbesoffen – für lange Zeit seinen letzten großen Auftritt und die Großsprecher der Sozen: Scholz, Steinbrück, Gabriel, Steinmeier und Münte in Merkels Kabinett so fette Posten (letzterer den des Vizekanzlers), dass sie sogar eine Anhebung der Mwst. um 3% gut fanden.

Rot wurde von den angeblich Roten deshalb keiner, Scham halten Berufspolitiker für eine Kinderkrankheit. Im Gegenteil: Münte, auf die Diskrepanz zwischen Worten und Taten angesprochen, fand sich unfair behandelt, es sei schließlich Wahlkampf gewesen. Er, ein tiefgläubiger Katholik, hatte sich nichts vorzuwerfen. Wusste er doch, dass es ein Gebot, das da lautet: Du sollst nicht lügen! NICHT gibt.

Ypsilon fiel dieser gerade 100 gewordene Zweizeiler ein, von dem die SPD behauptet, er hafte ihr zu Unrecht an: Wer hat uns verraten - Sozialdemokraten. Wie konnten diese postengeilen Politkarrieristen glauben, man würde sie künftig noch beim Wort nehmen? Egal, ob vor während oder nach einem Wahlkampf? Ihre Begründung: die Situation erfordere das und sie täten es dem Land zuliebe. Zu Ypsilons Fassungslosigkeit war für sie damit alles in bester Ordnung. Er hatte vorgehabt, das kleinere Übel zu wählen und musste feststellen, es gab keins. Er war vom Rest der Schröder-Bande reingelegt und um diese Wahl betrogen worden. Hatte er bis dahin immer wieder Anflüge von Politikverdrossenheit an sich festgestellt, überkam ihn fortan angesichts des Großteils der Merkel-Riege ein regelrechter Politikekel. Und immer, wenn von politischer Kultur gelabert oder political correctness eingefordert wurde, drängten sich Abscheu und Häme in seine Gesichtszüge. Immerhin blieb er damit nicht ganz allein. An der darauf folgenden Bundestagswahl (also 2009) nahmen so wenige Menschen wie noch nie (nach Adolf) teil, die Union „errang“ ihr schlechtestes Ergebnis seit 49 (Merkel konnte es offensichtlich noch nicht!) und die SPD schrumpfte um noch nie dagewesene 11 auf 23% (also zur KaumnochVolkspartei). Zwei der Lügenbeutel, die das zu verantworten hatten (und dafür mit Ministerämtern belohnt wurden), tummelten sich rotzfrech auch 2021 noch an den Trögen der Politik. Steinmeier als bundespräsidia-ler Moralist und Betroffenheitsdarsteller (mahnt in einer Dauerschleife). Und Scholz als aufpolierte Lichtgestalt und letzter Hoffnungsträger der SPD, der es gegen den lachenden Loser Laschet dann sogar zum Kanzler brachte.

Ein Philosoph, so fand Ypsilon, hat in den Schlagzeilen der gemeinen Presse (also in den Niederungen des Geisteslebens) nichts zu suchen. Umso ließ ihn eine Meldung aufmerken, die über einen Infoscreen in der U-Bahn lief. Zum einjährigen Corona-Tohuwabohu brach Richard David Precht eine Lanze für die verantwortlichen Politiker: ...das sind keine Idioten, die da regieren. Donnerwetter, dachte sich Ypsilon, da weiß einer mehr, widerspricht der Meinung vieler besorgter Bürger und tut sie als ...eine kindliche Sicht der Dinge... ab. Anstatt auszuführen, warum für ihn Politiker keine Deppen (sic!) seien, bekennt er lediglich, in deren: ...Haut möchte man nicht stecken... ...man könne so viel falsch machen aktuell. Im Gegensatz zum Philosophen und Menschen Precht hatte Ypsilon den Eindruck, und den nicht nur aktuell, dass die meisten Politiker offensichtlich gern in ihrer Haut steckten und nur seltenst befürchteten, sie könnten etwas falsch machen, schon gar nicht viel. Und wenn doch, wäre es unerheblich, also zu vernachlässigen. Sie bewiesen es sich und uns (auch Herrn Precht) fortlaufend mit den Untersuchungsausschüssen des Deutschen Bundestages (insgesamt mittlerweile rund 50). Eingeleitet, wann immer böswillige Oppositionelle einen Skandal vermuteten. Ypsilon, aber offensichtlich nicht der Herr Precht, erinnerte sich nur an die jüngsten:

HRE/NSU/CUM-EX-Geschäfte/Abgasskandal/Berateraffäre/PKW-Maut/Wirecard.

Sie endeten wie auch alle 40 vorangegangenen: wie das Hornberger Scheißen:

keiner hat Schuld an irgendwas:

alle hatten alles richtig gemacht:

immer nach bestem Wissen und Gewissen,

in jedem Fall: NICHTS falsch.

Das gab Ypsilon schon lange zu denken, was allerdings nichts nützte, denn er war nur ein Schelm, kein Philosoph. Ihm kam das Maßnahmenchaos bei der Pandemiebekämpfung leider doch irgendwie und insgesamt,... äh, natürlich dem Föderalismus geschuldet, ein bisschen idiotisch vor. Wieso sollte, was für Köche und Brei gilt, für Politiker/Virologen und Verordnungen anders sein?

Ypsilon hätte gern gewusst, WIE Precht einen Idioten definiert? Und WER in ihm, wo sich nach eigenem Bekenntnis ja viele tummeln? War es der Richard, der David, der Bürger, der TV-Moderator oder gar der Philosoph, der sich zu der Behauptung hatte hinreißen lassen, Politiker seien keine Idioten? War ihm nicht aufgefallen, dass es sich dabei um eine unzulässige Verallgemeinerung handelt? Sollte das Parlament im Idealfall nicht einen Querschnitt der Bevölkerung abbilden (in der es reichlich Idioten gibt)? Und was ist mit dem OberidiotenTrump? Schon vergessen?

Hätte der Schüler Precht einst bei der Mengenlehre besser aufgepasst, wäre ihm eingefallen, dass sowohl Politiker als auch Idioten (echte) Teilmengen der Gesamtbevölkerung sind, die ihrerseits Schnittmengen bilden. Was, grafisch dargestellt, so ausgesehen und seine Behauptung ad absurdum geführt hätte:

Die Aussage Politiker sind keine Idioten steht, was ihre Unzulässigkeit und ihre gedankliche Höhe betrifft, ihrer Umkehrung in Politiker sind Idioten in Nichts nach. Precht begab sich demzufolge auf das Niveau eines Wutbürgers, jedenfalls in Ypsilons Augen (aus denen der Schalk nur so blitzte). Was ihm noch auffiel, war, dass der Philosoph die derzeit öffentlich angesagte geschlechtergerechte Sprache vermieden hatte. Korrekt hätte der Satz lauten müssen PolitikerInnen sind keine IdiotInnen. Er meinte also dezidiert die Männer, die im letzten Bundestag der Merkelregierung auf rd. 70% kamen (5% mehr als in dem davor). 70% alte weiße Männer! Und kein Idiot darunter? Wollte Precht, der auch schon scharf auf die 60 zugeht, dem derzeit grassierenden AWM-Bashing entgegentreten? Also ganz explizit? Den Generationenkonflikt entschärfen? So ehrenwert die Absicht – so peinlich und unzureichend (für eine Geistesgröße wie ihn) die Ausführung!

Zu Recht weist der Volksmund darauf hin:

Wer viel denkt, der geht viel irr.

Sicher hatte Precht, als er eine Lanze für unsere Politiker brach, Höheres im Sinn als niedere Mathematik. Vielleicht eine Aussöhnung oder zumindest eine Annäherung zwischen denen da oben und dem hundsgemeinen Volke? Wollte er eine Brücke schlagen von den Regierenden zu den Regierten? Um den Verdacht zu erhärten, es handele sich dabei um einen besonders schweren Fall von Lobhudelei, sollte Prechts Bemühung unverzüglich mit einem Verdienstorden der gehobenen Sorte geahndet werden. Ypsilon dachte an das Großkreuz in besonderer Ausführung, das bis dato nur Adenauer und Kohl tragen durften und aktuell brach- bzw. rumlag. Das wäre doch mal was Angemessenes für unsere Denker.

Kaum, dass er das gedacht hatte, stieg dem Schelm in ihm (oder war‘s der Schalk?), ein Zungenbrecher aus seiner

Kindheit wieder zu Kopfe:

Denke nie, du denkst!

Denn wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nicht,

du denkst nur, dass du denkst.

Drum denke nie!

und ließ ihn kichern, wie es nur Kinder und Einfaltspinsel tun. Wusste er doch mittlerweile, dass es nicht möglich war – nicht zu denken. Sobald er mal an nichts dachte, dachte e s in ihm einfach weiter, sozusagen autonom. Was im Straßenverkehr noch nicht klappte, in seinem Kopf lief es wie geschmiert. Er hörte diesen unverlangt einschießenden Gedanken gern zu, weil sie ihm neu und interessant vorkamen und er sich nie erinnern konnte, sie schon mal gedacht zu haben. Es war wie Brainstorming ohne Regeln. Und ungehemmt von Betonschädeln und Bedenkenträgern. Vielleicht spielte sich derlei auch im Kopf von Philosophen ab? Allerdings mit einem alles entscheidenden Unterschied:

Philosophen kichern nicht.

Ein kichernder Wittgenstein? Un-denk-bar! Auch nur ein Glucksen von ihm – öffentlich geworden – hätte ihn aus jedem akademischen und intellektuellen Zirkel ausgeschlossen und im Abgrund der Namenlosen verschwinden lassen. Vielleicht auch in der Klapse. Anstatt sich therapeuthisch behandeln zu lassen, als er allen Ernstes glaubte, mit seinem Tractatus sämtliche philosophischen Probleme gelöst zu haben, traktierte er Volksschüler. Weil unverbildete Kinder grobem geistigen Unfug mehr Widerstand entgegensetzen als Großdenker, wurde er zusehends handgreiflich, sodass man ihn, obwohl zu seiner Zeit der Rohrstock als probates Erziehungsmittel galt, laufend versetzen musste, um die Schäden unter dem Nachwuchs zu minimieren. Als er schließlich einen Schüler bei einem Wissensvermittlungsversuch bewusstlos geschlagen hatte, floh er in ein Kloster, aus dem man ihn jedoch bald wieder hinauskomplimentierte. Zum Glück ließ man ihn drei Jahre später an der philosophischen Fakultät in Cambridge zur Promotion zu, wo er seine Prüfer nach der Mündlichen damit tröstete, er wisse, dass sie das niemals verstehen würden. Ein Kichern seinerseits hätte ihn als Wirrkopf enttarnt. Er blieb ernst und zählt heute in einschlägigen Kreisen zu den bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Das in Ypsilons Augen zu den Jahrhunderten zählte, über die man besser ein Ei schlagen sollte, allein schon der zwei Weltkriege wegen. Wittgenstein kannte Kants kantegorischen Imperativ (manche Tippfehler sind zu schön, um unwahr zu sein), zog dennoch mit Feuereifer in den ersten und behielt seine weiße Leutnantsuniform nach dessen Beendigung weiter an. Mit dem Einfluss der Philosophie auf die Philosophen (siehe auch Heidegger) scheint es nicht weit her zu sein. Befragt, was denn das Ziel der seinen sei, antwortete Wittgenstein:

Der Fliege den Weg aus dem Fliegenglas zeigen.

Diese mittlerweile in den Gips der höchsten Denkungsart gemeißelte Maxime löste bei Ypsilon Stirnrunzeln aus und einen Anfall von Nachdenklichkeit. Wo, so fragte er sich, landet denn die Fliege, wenn sie sich ihr kurzes Leben lang durch Wittgensteins unverständliches Gedankenlabyrinth gekämpft hat? Gerademal dort, wo sie vorher war! In ihrem ursprünglichen Lebensraum – auch nur einer Art von Fliegenglas, nur größer – und dann so gut wie unentrinnbar im Magen von Vogel, Frosch, Spinne oder Fisch.

Ypsilon mühte sich nach Kräften, dieser berühmten Metapher mehr, wenn möglich alles abzugewinnen und musste zugeben: Der einzelnen Fliege ist zwar kurzzeitig geholfen, sie kann, falls sie lernfähig sein sollte, diesen künstlich geschaffenen Fallen künftig entkommen, sie bleibt jedoch, was sie immer war: eine (ihren natürlichen Todesarten ausgelieferte) Fliege. Allerdings: Gemessen an der Gesamtzahl aller Fliegen machen diejenigen, die Probleme mit einem Fliegenglas bekommen, weniger als ein trillionstel Prozent aus. Insekten philosophieren nicht. Und scheinen zu wissen, warum.

Zum Glück fiel Ypsilon rechtzeitig ein, dass mit der Fliege ja doch der Mensch gemeint ist. Der erweist sich zwar als lernfähig, jedoch nur als Kind, in der Schule und an der Uni, später nicht mehr, dann vergisst er nur noch. Dazuzulernen liegt ihm nicht und aus etwas zu lernen, z.B. aus der Geschichte schon gar nicht. Trotzdem hält er sich für weit über der Fliege stehend und es für überflüssig, sich von einem durchgeknallten Philosophen belehren und in ein Fliegenglas stecken zu lassen.

Angesichts dieses Menschheitsdilemmas vollzog Ypsilon eine Kehrtwende und behauptete jetzt seinerseits nassfrosch (manche Buchstabendreher müssen einfach stehenbleiben):

Philosophen sind keine Idioten.

Wobei er, um sich nicht auf das Prechtsche Behauptungsniveau herabzulassen, nachschob: Sollte sich der eine oder andere doch als solcher erweisen, ist er gewiss kein Philosoph (sondern hat sich nur unter sie gemogelt).

Während es zum Allgemeinwissen gehört, dass Genie und Wahnsinn eng beieinander liegen, glaubte das Ypsilon auch von Sinn und Unsinn. Manchmal sogar so hautnah, dass sie eins werden. Was zu einer Sprachverwirrung bis hin zum Begriffsverlust führt, ganz wie bei einer analogen Kopulation, wenn sich, was angeblich gern der Fall ist, Gegensätze angezogen haben. Zu untersuchen, wer – auf der geistigen Ebene – wen bumst, wie oft und was dabei herauskommt, schien ihm eine lohnende Aufgabe für einen Sprachphilosophen zu sein.

Kurz darauf, oder sogar (wie man sich in Kreisen ausdrückt, die den Puls am Ohr der Zeit haben) zeitnah gab Ypsilon eine Überschrift in SPON zu denken:

Zu denken auch deshalb, weil es undenkbar war, dass sich ein deutscher Kanzler oder gar eine deutsche Kanzlerin je gezwungen sähe, vor einem deutschen Gericht zu erscheinen. Und was noch undenkbarer war, dass sich deutsche RichterInnen gegenüber hochgestellten Personen irgendetwas erlauben würden. Ypsilon beneidete die Ösis. Es waren Piefkes, die den berühmtesten aller Braunauer möglich gemacht hatten und gewähren ließen, allen voran deren Justiz, der seit jeher der Buckelreflex in den Knochen sitzt. Die österreichische schien aktuell von ihm nicht befallen zu sein (und kuschte nicht vor dem Baby-Hitler*).

Allerdings stellte sich Ypsilon die Frage: Kann jemand, der kein Vollidiot ist, dennoch ein Idiot sein? Was gleich die nächste implizierte: Wie lassen sich die beiden Begriffe voneinander abgrenzen? Ein Blick in die Weltliteratur erwies sich als wenig hilfreich:

Die bekannteste als (Der) Idiot bezeichnete Figur ist Dostojewskis Fürst Myschkin, ein naiver, vertrauensseliger und hilfsbereiter Mensch, der aus einem Schweizer Sanatorium in ein von Kommerz und Korruption durchseuchtes St. Petersburg zurückkehrt, in dem er, weil hoffnungslos weltfremd, nur scheitern kann. Idiotisch verhält sich eher die Gesellschaft um ihn herum.

In Die Vollidioten, gut hundert Jahre später erschienen, taumelt Anfang der 1970er Jahre ein schräger Haufen mehr oder weniger intellektueller Gestalten durch Frankfurt-Nordend. Der gute Eckhard Henscheid läßt neben seinen Spezln von der Neuen Frankfurter Schule u.a. namentlich Daniel Cohn-Bendit und Alfred Edel auftreten, aber, und das ließ Ypsilon aufmerken, auch den greisen Philosophen der alten Frankfurter Schule, Max Horkheimer. Und zwar in der Gaststätte Mentz, wo er an einem »gold&silber«-Geldautomaten stattliche Gewinne erzielt, indem er oben Bier hineinschüttet, schließlich dabei vom Wirt erwischt, übel beschimpft und des Lokals verwiesen wird. Ein Mann mit solchen Fähigkeiten konnte unmöglich unter die titelgebende Personengruppe fallen, die, man erinnere sich, Die Vollidioten hieß.