Wie die Soziale Arbeit Schulkinder bei der Traumabewältigung unterstützen kann. Welche Kompetenzen und Ressourcen braucht die Pädagogik? - Björn Kleinwächter - E-Book

Wie die Soziale Arbeit Schulkinder bei der Traumabewältigung unterstützen kann. Welche Kompetenzen und Ressourcen braucht die Pädagogik? E-Book

Björn Kleinwächter

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Beschreibung

Die Gesellschaft assoziiert Kindheit häufig mit Unbeschwertheit und Sorglosigkeit. Kinder sind auf die Fürsorge und Unterstützung ihrer Umgebung angewiesen, welche ihnen Schutz und die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse gewährt. Wenn diese Umgebung nicht oder nur in einer einschränkenden oder gar destruktiven Natur vorhanden ist, kann es zu schweren pathologischen Folgen kommen. Welche Faktoren lösen Traumata bei Kindern aus? Wie sollten Pädagog/innen mit traumatisierten Kindern umgehen? Welche Rahmenbedingungen müssen bei der Arbeit mit Betroffenen gegeben sein? Welche Kompetenzen brauchen Pädagog/innen, um den Kindern eine bestmögliche Betreuung zu bieten? Björn Kleinwächter untersucht, wie die Soziale Arbeit traumatisierte Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren begleiten und unterstützen kann. Er beschreibt die Methodenkompetenzen, Arbeitsweisen und Ressourcen, die nötig sind, damit diese Kinder ihr Leben selbstbestimmt fortführen können. Aus dem Inhalt: - Sozialpädagogik; - Bindungsverhalten; - Elternarbeit; - Netzwerkarbeit; - Resilienz; - Dissoziation; - Selbstbild

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Inhalt

Abbildungsverzeichnis

1Einleitung

2Trauma

2.1 Definition und Entstehung

2.2 Traumafolgestörungen

2.2.1 Verlauf einer traumatischen Reaktion (nach Fischer u. Riedesser 2009)

2.2.2 Posttraumatische Belastungsstörung

2.2.3 Komplexe posttraumatische Belastungsstörung

3Traumatisierung im Kindesalter

3.1 Risikofaktoren für Traumatisierung im Kindesalter

3.1.1 Die Vernachlässigung

3.1.2 Die seelische Misshandlung

3.1.3 Die körperliche Misshandlung

3.1.4 Die häusliche Gewalt

3.1.5 Die traumatische Sexualisierung

3.1.6 Die traumatische Trennung

3.1.7 Kinder psychisch kranker Eltern

3.1.8 Kriegs- und Fluchterfahrungen

3.2 Symptomatische Folgen und Auswirkungen von Traumatisierung auf Kinder

3.2.1 Gestörtes Bindungsverhalten

3.2.2 Negatives Selbstbild und Schuldgefühle

3.2.3 Traumaspezifische Verhaltensmuster

3.2.4 Dissoziation

3.3 Zwischenfazit zu kindlicher Traumatisierung und Einordnung in das aktuelle Verständnis von Traumata

4Soziale Arbeit und Trauma: Pädagogischer Umgang und Behandlungsmöglichkeiten am Beispiel der stationären Kinder- und Jugendhilfe

4.1 Trauma: Ein Thema der Sozialen Arbeit

4.2 Die Trennung aus der traumatisierenden Umgebung

4.3 Resilienz und Ressourcen bei traumatisierten Kindern

4.3.1 Resilienz: Die Definition

4.3.2 Soziale und personale Ressourcen als Schutzfaktoren

4.3.3 Resilienzförderung und Ressourcenorientierung in der pädagogischen Arbeit

4.4 Lebensweltorientierung in der Arbeit mit traumatisierten Kindern

4.5 Entwicklungsaufgaben der Kinder (nach Havighurst)

4.6 Geschlechtsspezifische Unterschiede und Besonderheiten

4.7 Praktische Arbeit mit traumatisierten Kindern in stationären Einrichtungen

4.7.1 Praktische Arbeit im Gruppenalltag

4.7.2 Eltern- und Familienarbeit

4.7.3 Teamarbeit als Kompetenz und Ressource

4.7.4 Netzwerkarbeit

5Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 (erstellt basierend auf Grossmann 2012, S. 15-20)

Abbildung 2 ( Scheithauer o. J.)

Abbildung 3 (Malter/Nabert 2007)

1 Einleitung

„Nichts ist so entsetzlich wie der Zusammenstoß zwischen roher Gewalt und kindlicher Hilflosigkeit.“

(Rita Bockelmann, o. J.)

Die Kindheit wird in der Gesellschaft häufig mit Unbeschwertheit und Sorglosigkeit assoziiert. „Es gibt kein Gut, es gibt kein Böse. Es gibt kein Schwarz, es gibt kein Weiß. Es gibt Zahnlücken; statt zu unterdrücken, gibt’s Erdbeereis auf Lebenszeit“. Herbert Grönemeyer beschreibt in seinem Lied „Kinder an die Macht“ dieses unbekümmerte Wesen, welches in der Öffentlichkeit häufig als charakteristisch für das kindliche Gemüt verstanden wird.

Damit die Kindheit so wie beschrieben stattfinden kann, müssen die großen Sorgen des Lebens von ihnen ferngehalten werden. Kinder haben ihre eigenen Entwicklungsaufgaben zu bestehen und sollten diesen in Sicherheit und Geborgenheit nachgehen können. Dabei sind sie in ihrer Hilf- und Wehrlosigkeit auf die Fürsorge und Unterstützung ihrer Umgebung angewiesen, welche ihnen Schutz sowie die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse gewährt. Wenn diese Umgebung nicht oder nur in einer einschränkenden oder gar destruktiven Natur vorhanden ist, kann es zu schweren pathologischen Folgen kommen.

Viele Kinder, die unter unzureichenden Bedingungen aufwachsen, können ihren Entwicklungsaufgaben nicht vollständig nachgehen und erleiden möglicherweise eine Traumatisierung. Sie benötigen intensive Betreuung und Unterstützung, um die Möglichkeit zu bekommen, die Erlebnisse aufzuarbeiten und ihre Versäumnisse nachholen zu können. Die Aufgabe der Pädagogik ist es, sie dabei zu unterstützen.

2 Trauma

Um die unterschiedlichen Auswirkungen von traumatischen Erlebnissen auf Kinder - sowie den entsprechenden Umgang mit ihnen - angemessen untersuchen zu können, beschäftigt sich diese Arbeit zunächst mit der Thematik „Trauma“ im Allgemeinen. Im Zuge dessen wird der Begriff definiert und die Entstehung sowie die Folgen der Erkrankung genauer betrachtet. Die so gewonnenen Erkenntnisse bezüglich des Störungsbilds werden es ermöglichen, dessen Auswirkungen und Besonderheiten in Bezug auf Kinder der o.g. Altersgruppe verstehen zu können.

2.1 Definition und Entstehung

Das Wort „Trauma“ leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet „Verletzung“ oder „Wunde“ (vgl. Hüllemann 2019, S. 11). In der Medizin wird der Begriff „Traumatologie“ schon sehr lange im Zusammenhang mit abrupten körperlichen Verletzungen verwendet und steht dort für die Unfallheilkunde. Als Bezeichnung für besonders einschneidende Erlebnisse und starke psychische Belastungen wurde der Begriff erst deutlich später etabliert. In den 1880er Jahren verwendete der deutschsprachige Arzt Hermann Oppenheim bei seinen Untersuchungen zu den psychischen Folgen von lebensbedrohlichen Unfällen erstmals den Begriff „Trauma“ in Zusammenhang mit der menschlichen Psyche. Daraufhin setzte sich der Trauma-Begriff für die Bezeichnung der Folgen psychischer Bedrohungserlebnisse nach und nach gegen andere Formulierungen und Vorstellungen durch[1] (vgl. Maercker 2017, S. 11).

Die Erkenntnisse über psychische Traumata entwickelten sich kontinuierlich weiter und so auch das Verständnis, wie dieses Störungsbild zu definieren sei. Anfang des 20. Jh. beschreibt Sigmund Freud das Trauma als „ein Erlebnis, welches dem Seelenleben innerhalb kurzer Zeit einen so starken Reizzuwachs bringt, dass die Erledigung oder Aufarbeitung derselben in normal-gewohnter Weise missglückt, woraus dauernde Störungen im Energiebetrieb resultieren müssen“ (Freud 1917, zit. n. Weiß 2016, S.25). Ein Trauma wurde dort also als das Ergebnis eines kurzzeitigen belastenden Ereignisses verstanden, das die gewohnten Verarbeitungsmechanismen des menschlichen Körpers überfordert.

Um die Hintergründe der Entstehung von Traumata genauer erfassen zu können, ist dementsprechend eine Betrachtung der Systeme notwendig, mit welchen sich der Mensch in sehr stressigen, bedrohlichen oder belastenden Situationen zu helfen versucht. Hierzu folgt ein kurzer aufgrund des Schwerpunkts dieser Arbeit einfach gehaltener Blick auf die neurobiologischen Abläufe in entsprechenden Umständen.

In einer für den Menschen bedrohlich wirkenden Situation wird zunächst das Kampf-Flucht-System (eng. flight or fight) aktiviert, das den Körper unmittelbar in Handlungsbereitschaft versetzt. Hier sind hauptsächlich der Hirnstamm, der die lebensnotwendigen Systeme des menschlichen Körpers steuert, sowie das limbische System, welches u. a. für die Bewertung von Situationen und Einschätzungen von Gefahren zuständig ist, beteiligt. In einer als gefährlich eingestuften Situation werden die Überlebensinstinkte des Menschen aktiviert und es kommt zu automatischen Reaktionen, in die das Bewusstsein nur bedingt eingreifen kann. Ein bewusstes Nachdenken über die entsprechende Handlung würde die Reaktionszeit deutlich verlangsamen und so eine potenziell lebensrettende Tat unter Umständen nicht rechtzeitig geschehen lassen. Das Kampf-Flucht-System macht den Menschen aufmerksam und versetzt ihn in die Lage, blitzschnell zu reagieren, um ggf. zu kämpfen oder zu fliehen.

Ist weder Kampf noch Flucht möglich oder kann die entsprechende Situation durch keine der beiden Optionen bewältigt werden, setzt das Bindungssystem ein. Die eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit werden erkannt und gegenüber dem Umfeld deutlich gemacht. Durch eine demütige Haltung, z. B. Flehen oder Zittern, sollen bei Feinden Mitgefühl und Hemmungen und bei Freunden Hilfsbereitschaft ausgelöst werden. Aktiviert wird das Bindungssystem durch die Ausschüttung des Hormons Oxytocin, welches die Aktivität der Amygdala und somit das Kampf-Flucht-Verhalten mindert.

Wird dem Menschen keine Hilfe zuteil und können auch die Gegner durch das Einsetzen des Bindungssystems nicht abgeschreckt werden, setzt im dritten Schritt die Erstarrung(Todesreflex) ein. Es handelt sich hierbei um eine sehr alte unbewusste Schutzreaktion und konnte früher z. B. vor Raubtierangriffen schützen, da ein als tot geglaubter Gegner nicht weiter angegriffen wurde. Des Weiteren wird nicht nur der Körper, sondern auch der Verstand und die Psyche des Menschen geschützt. Häufig setzt hier Dissoziation[2] ein und die äußeren Reize und Wahrnehmungen werden überwiegend abgeschirmt. Da der Mensch im Kampf-Flucht-System nicht die Möglichkeit hatte, körperlich zu fliehen, erfolgt hier eine alternative geistige Flucht in das Innere. Hier spielt das limbische System eine entscheidende Rolle, indem es das vegetative Nervensystem herunterfährt und die psychobiologischen Aktivitäten stark einschränkt. Zusätzlich werden körpereigene Opiate ausgeschüttet, welche schmerzlindernd und betäubend wirken.

Nach dem vorstehend Beschriebenen handelt es sich um ein traumatisches Erlebnis, wenn in einer Situation das Erstarrungssystem ausgelöst wurde (vgl. Baierl 2015a, S. 27-29).

Diese neurobiologischen Abläufe lassen sich sehr gut mit der Definition von Freud in Verbindung bringen und zeigen, wie bedrohliche einmalige Situationen das Verarbeitungssystem des Menschen überfordern und zu einer ernstzunehmenden Störung führen können. Allerdings hat sich durch die stetige Forschung der letzten Jahrzehnte das Verständnis von Traumata deutlich weiterentwickelt, sodass in den neueren Veröffentlichungen Definitionen formuliert werden, welche über das o. g. Verständnis hinausgehen. Brigitte Hüllemann definiert Trauma als Folge einer Situation oder einer Serie schrecklicher Ereignisse, welche für Betroffene bedrohlich und überwältigend wirken (vgl. Hüllemann 2019, S. 11). Andreas Maercker nennt die Unterscheidung zwischen zwei Typen von Traumata: Das Typ-I Trauma wird als Ergebnis eines eingegrenzten einmaligen Erlebnisses der Todesbedrohung oder sexuellen Gewalterfahrung definiert. Das Typ-II Trauma beschreibt das Trauma als Folge eines Ereignisses über einen längeren Zeitraum oder mehrerer wiederkehrender Erlebnisse (vgl. Maercker 2017, S. 12). Bei Martin Baierl wird zusätzlich zu der klassischen Trauma-Definition auch die neuere Definition eines Bindungstraumas, welches sich aus längeren, wiederholten, erfolglosen Bindungsversuchen ergeben kann, beschrieben (vgl. Baierl 2015a, S. 28). All diese Ausführungen haben gemein, dass sie zusätzlich zu einer einmaligen belastenden Situation auch ein wiederkehrendes Ereignis oder einen länger anhaltenden Prozess als mögliche Trauma-Ursache mit einbeziehen. Diese Erkenntnis ist für die Betrachtung kindlicher Traumata elementar, da Erfahrungen über einen längeren Zeitraum, wie z. B. körperlicher Missbrauch, häusliche Gewalt oder Vernachlässigung, zu den häufigsten Ursachen im Kindesalter zählen[3].

Die Betrachtung der Entwicklung des Trauma-Verständnisses der letzten Jahrzehnte zeigt, welche enormen Fortschritte hier gemacht wurden, sodass die beeinträchtigenden Auswirkungen psychischer Traumata heute nicht mehr in Frage gestellt werden (vgl. Weiß 2016, S. 25).

2.2 Traumafolgestörungen

Traumatische Erlebnisse bringen für die Betroffenen Folgen mit sich. Wie diese Folgen aussehen und wie sehr sie das zukünftige Leben der Menschen bestimmen können, hängt von vielen verschiedenen individuellen Faktoren ab, welche im Verlauf dieser Arbeit noch ausführlich dargestellt werden. Im Folgenden wird ein Modell eines natürlichen Trauma-Verlaufs sowie die Störungsbilder der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)[4] und der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörungen erläutert. Dies ist hilfreich, um die Grundsätze der traumatischen Folgeschäden zu verstehen und darauf basierend die Besonderheiten und Unterschiede der kindlichen Traumatisierung sowie die daraus resultierenden speziellen Merkmale im Umgang mit ihnen nachvollziehen zu können. Allerdings zieht ein traumatisches Ereignis nicht immer eine PTBS oder komplexe PTBS nach sich und es ist nur eine Minderheit von Menschen nach einer Traumatisierung von ihnen betroffen (vgl. Maercker 2017, S. 20; Hüllemann 2019, S. 11). Bei diesen Phänomenen handelt es sich aber um die häufigsten Folgeschädigungen von Traumata, welche dementsprechend auch in der Literatur am präsentesten sind. Auf die Betrachtung anderer möglicher Traumafolgeschäden wird aufgrund des verhältnismäßig selteneren Vorkommens sowie der geringeren Relevanz für den Schwerpunkt der Arbeit verzichtet.

2.2.1 Verlauf einer traumatischen Reaktion (nach Fischer u. Riedesser 2009)

Gottfried Fischer und Peter Riedesser (2009) sprechen von einem Trauma-Verlauf in drei Phasen, welchen die Ärztin und Traumatherapeutin Brigitte Hüllemann als Modell eines „natürlichen Trauma-Verlaufes“ aufgreift:

Schockphase (Dauer: eine Stunde bis zu einer Woche)

Die Betroffenen können das Geschehene oft noch nicht realisieren und verleugnen häufig die Ereignisse sowie die negativen Gefühle der Bedrohung oder der Angst. Charakteristisch für diese Phase sind ein Gefühl von Unbeweglichkeit und Veränderungen des Zeiterlebens. Betroffene erleben Geschehnisse in Zeitlupe oder im Zeitraffer und blenden möglicherweise viele Aspekte in ihrer Wahrnehmung aus, sodass ein Tunnelblick entsteht. Menschen in dieser Phase sind oft verwirrt, haben ein getrübtes Erinnerungsvermögen und eventuell Orientierungsschwierigkeiten. Kennzeichen des Schockzustandes sind in der Regel eine bleiche Hautfarbe, schneller Atem oder ein benommener Blick.

Einwirkungsphase (Dauer: bis zu zwei Wochen)