Wie ein Blatt im Wind - Margarete van Marvik - E-Book

Wie ein Blatt im Wind E-Book

Margarete van Marvik

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Beschreibung

Das Leben ist Wie ein Blatt im Wind. Mal voller Farben, dann wiederum verblassen sie und gehen ins Farblose über. Nicht so bei der ehrgeizigen Anwältin Anita. Nachdem sie beim Joggen die Leiche einer jungen Frau entdeckt hat, jagt ein Ereignis das andere. Und es kommt noch schlimmer: Sie soll den Tod jener jungen Frau rächen! Warum ausgerechnet sie?! Anita versteht die Welt nicht mehr, wird von Albträumen geplagt und gerät trotz Polizeiüberwachung in die Hände eines allgegenwärtigen, schattenhaften Monsters, das ihr nach dem Leben trachtet. Und dann ist da noch Paul, der fesche Polizeibeamte, der mit der Aufgabe betraut wurde, Anita zu beschützen, und dem Anita nicht selten gehörig die Meinung sagt.

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Anita liebt es, morgens alleine durch den Wald zu joggen. Den Frühnebel im Herbst mag sie besonders gerne, es gibt ihr das Gefühl, wie durch Watte zu laufen. Es macht sie frei. Außerdem genießt sie das lautlose Aufsteigen des Nebels aus der dampfenden Walderde. Hier in der Stille der Natur kann sie Energie für den kommenden Tag tanken. Die Welt ist in diesen ruhigen Momenten, alleine mit sich, noch heil und friedlich. Stress und Ärger haben keinen Platz.

Es ist sehr frisch so früh am Morgen und der erste Reif des Herbstes liegt noch über allem. Anita fröstelt, sie zieht während des Laufens den Reißverschluss ihrer Joggingjacke zu.

Es fühlt sich gut an, die erste Hälfte der Joggingrunde hinter sich gebracht zu haben. An der einzigen Bank am Ausgang des Waldes legt sie, wie immer, eine kurze Pause ein. Ein kleines buntes Blatt von einem der Bäume ringsum segelt neben ihr zu Boden. Automatisch greift sie danach und steckt es, ohne nachzudenken, in ihre Tasche.

Schwere Schritte ... es raschelt ... das Laub am Boden hinter ihr wirbelt auf. Erschreckt dreht sie sich um und registriert gerade noch, wie ein dunkles Etwas an ihr vorüberhuscht. Starr bleibt sie stehen, ihr ist auf einmal unheimlich zumute, nach diesen Geräuschen so dicht am Waldrand. Als es still um sie herum wird, bewegt sie sich zurück durch den Forst, Richtung des Dorfrandes, Anita stolpert über einen Gegenstand, der unerwartet vor ihren Füßen aufgetaucht ist. Sie schafft es gerade noch, sich abzufangen. Zweifelnd suchen ihre Augen das Hindernis, welches sie fast zu Fall gebracht hat, ab.

Sie hält inne, als sie auf etwas Weiches stößt. Ihre Füße streifen das aufgehäufte Laub. Ohne es zu wollen, verlässt ihre Kehle einen entsetzlichen Schrei, als sie gebrochene Augen einer jungen Frau fast vorwurfsvoll anstarren. Erschüttert springt sie auf. Das Gesicht dieser Frau ist zerschnitten und die Haare sind grob bis auf die Kopfhaut geschoren. An der linken Hand hat sie eine blutige Wunde, da, wo sich vorher der Ringfinger befunden hat. Das Blut in dem Gesicht und an ihrer Hand ist bereits trocken und hat eine bräunliche Farbe angenommen. Bei diesem Anblick zieht sich ihr Magen zusammen und ihre Nackenhaare stellen sich auf. Anita muss sich würgend neben der geschundenen Frau übergeben. Erst nach einigen Minuten kann sie wieder klar denken.

Noch einmal beugt sie sich hinunter und tastet nach dem Puls des leblosen Körpers, obwohl der Verstand ihr sagt, dass dies nichts mehr bringt, nichts mehr bringen kann. Es ist hoffnungslos! Die junge Frau ist tot.

Wieder vernimmt sie ein leises Rascheln hinter sich. Langsam schaut sie über ihre Schulter, so als stehe der Täter direkt hinter ihr. Völlig genervt schüttelt sie ihren Kopf. »Oh Gott, wieso musste diese junge Frau auf solch eine abartige Art sterben?«, flüstert sie mehr zu sich selbst.

Jäh löst sich die Starre, die sie bis dahin gefangen gehalten hat. Wie von Furien gehetzt rennt sie auf dem kürzesten Weg quer durch Büsche und Sträucher. Sie will nur schnellstens die Polizeistation am Ende des Dorfes erreichen. Die Zweige und Blätter, die ihr bei diesem wilden Lauf in Gesicht und Körper peitschen, registriert sie kaum. Ihre Panik treibt sie unerbittlich vorwärts. Nur weg von diesem schrecklichen Anblick, von diesem zerstörten Gesicht, das einst vielleicht schön gewesen war, und diesen unheimlich starrenden Augen!

Mit brennenden Lungen erreicht sie die Polizeistation und stürmt in die Station. Der diensthabende Beamte mit der Kaffeetasse in der Hand sieht sie entgeistert an. Anita liest das Namensschild „Hansemann“ an seiner Brusttasche.

»Was ist Ihnen denn passiert? Sie sehen ja aus, als ob Sie dem Teufel persönlich begegnet wären«, hört sie ihn auch schon fragen.

»Sie sind ja ganz zerkratzt und verkrustet im Gesicht. Und an Ihrer Kleidung ist sogar Blut! Sind Sie verletzt?«

Anita hält seinem durchdringenden Blick stand, es gelingt ihr nur, mit den Armen zu fuchteln und mit dem Kopf zu schütteln. Für Worte ist sie noch zu erregt. Dankbar nimmt sie das angebotene Glas Wasser und trinkt es, ohne abzusetzen, aus.

Ihr Pulsschlag beruhigt sich und es gelingt ihr, stockend zu erzählen. Ihr ganzes Entsetzen über das Schreckliche, das sie da im Wald gesehen hat, entlädt sich. Mit einem heftigen Stoß prustet sie die Luft aus ihrer Lunge, erleichtert darüber, das Gesehene loszuwerden. Anschließend lässt sie sich nach vorn sinken und stützt sich mit den Händen auf das Pult vor dem Beamten. Wortlos starrt sie den Polizisten Hansemann an und schüttelt immer wieder den Kopf; diese grausamen Bilder der Toten wollen einfach nicht weichen. Für Sekunden ist es still in der Wache und Anita hat das Gefühl, dass dieser Mensch ihr nicht glaubt.

Anita zuckt zusammen und weicht einen Schritt zurück, als der Beamte ohne einen Hinweis lospoltert.

»Wie? Da soll eine Leiche unter einer Buche liegen? Haben Sie getrunken, junge Frau?«

Abschätzig und unerhört findet Anita diese Bemerkung. Sie strafft ihre Schultern und stemmt voller Entrüstung ihre Arme in die Hüften, sie will etwas erwidern, doch ihre Lippen bleiben verschlossen.

»Hauchen Sie mich doch mal an! Hier, in unserer verschlafenen kleinen Ortschaft soll eine Tote so einfach im Wald rumliegen? Ach übrigens, was hatten Sie so frühmorgens im Wald zu suchen?«, setzt er noch hinzu.

Es ist offensichtlich, dass er mir nicht glaubt. Vielleicht hält er mich für eine dieser »Damen«, die sich nach Aufmerksamkeit heischend, wilde Geschichten einfallen lassen, schießt es ihr durch den Kopf. Das macht sie zornig.

»Es gibt Menschen, die für ihre Gesundheit Sport treiben, und genau aus dem Grund bin ich durch den Wald gejoggt. Das würde Ihnen übrigens auch nicht schlecht bekommen!«, faucht sie den Verdutzten mit einem kalten Blick an, ihn von oben bis unten musternd. »Und zweitens wäre es vielleicht angebracht, sich erst mal vorstellen, bevor Sie hier so abfällige Äußerungen über eine geschockte Zeugin vom Stapel lassen!«

Mit Genugtuung erkennt sie, wie der Mann regelrecht in sich zusammenschrumpft. Offensichtlich bereitet ihm ihr Vorwurf Unbehagen.

»Wachtmeister Dirk Hansemann ist mein Name.«

Für Anita hat diese Szene beinahe etwas Komisches, wäre da nicht die Tote im Wald.

Dirk Hansemann greift zum Hörer des Telefons auf seinem Schreibtisch. Er versucht krampfhaft, durch zur Schau gestellte Professionalität dieser peinlichen Situation zu entkommen. Als er eine Nummer wählt, beobachtet Anita ihn genau und sieht, wie er sich nervös von einem Bein auf das andere stellt, während er wartet, dass der Kontakt auf der anderen Leitung zustande kommt. Sie, Anita, beachtet er überhaupt nicht mehr. Als sich der Angerufene meldet, vernimmt sie, wie Hansemann in knappen Worten berichtet, was er eben von ihr erfahren hat. Er hört kurz zu und antwortet schließlich: »In Ordnung, den werde ich verständigen und ihn bitten, hier zu warten, bis ihr alle eingetroffen seid.«

Hansemann legt den Hörer zurück auf die Gabel und dreht sich zu ihr um. »So Frau ... wie war noch mal Ihr Name?«

Anita muss sich bremsen, um nicht aus der Haut zu fahren. Sie kann seinen herablassenden Ton ihr gegenüber überhaupt nicht leiden.

»Ich bin Anita Talke, wohne hier am Ende der Straße und arbeite in der Kanzlei Schmidt und Schmitz und ich werde erwartet! Ich bin sowieso schon viel zu spät dran! Wie lange dauert das denn voraussichtlich? Immerhin habe ich einen Job.«

»Setzen Sie sich und warten Sie, bis der Trupp kommt. Waschen können Sie sich hier nebenan«, hört sie ihn brummen, ohne ihre Frage zu beantworten. Hansemann dreht ihr demonstrativ den Rücken zu, während er schon wieder eine Nummer wählt. Anita hält sich noch immer am Empfangstresen fest. Jetzt, wo der Adrenalinschub nachlässt, fühlt sie sich schmutzig und ausgelaugt. Trotzdem lässt sie das Erlebte noch einmal vor ihrem geistigen Auge Revue passieren.

Das Mädchen war doch höchstens zwanzig Jahre alt! Wer kann nur so etwas Grausames getan haben?

Der Anblick der Toten hat sich wie ein Polyp in ihrem Kopf festgesetzt. Selbst die Schmerzen, die dieses Mädchen erlitten haben muss, glaubt sie voll Grauen zu spüren.

»Jetzt werde ich wohl verrückt«, murmelt sie vor sich hin und setzt sich auf die an der Wand des Amtszimmers stehende Holzbank. Ein altes und unbequemes Möbel. Erst jetzt bemerkt sie, dass ihre Knie vor Aufregung zittern.

Wachtmeister Hansemann leidet, wenn er unter Stress steht, an nervösen Zuckungen. Bei jedem zweiten Wort flattern seine Augenlider wie verschreckte Vögel. Auch jetzt spürt er das unangenehme Zucken, als er Anita wie nebenbei mitteilt, dass Hauptkommissar Kruse gleich hier sein werde. Gebieterisch fügt er hinzu: »Und Sie rühren sich ja nicht von der Stelle!«

»Wie bitte?«, fragt sie erbost. »Sie ticken wohl nicht richtig, haben Sie eine Erfolgsneurose? Denken Sie etwa, dass Sie befördert werden, wenn Sie mich hier festhalten und mich so unhöflich behandeln? Immer das Gleiche, da will man helfen und wird selbst wie eine Kriminelle behandelt.« Aufgebracht wischt sie sich die Schweißperlen von der Stirn.

»Ganz ruhig, meine Dame«, beschwichtigt Hansemann sie, »so war es ja nicht gemeint!«

Da war es wieder, dieses Zucken an seinen Augenlidern. Sie wendet den Blick von ihm ab und versucht, mit ihrem Taschentuch das Gesicht zu reinigen. Es schmerzt! Jetzt erst ertastet sie die Striemen in ihrem Gesicht. Die peitschenden Zweige haben deutliche Spuren und einen brennenden Schmerz hinterlassen, der sich nun unangenehm bemerkbar macht.

Wie gerädert lehnt sie sich auf der unbequemen Holzbank zurück. Langsam gewinnt ihr Verstand wieder die Oberhand. Systematisch geht sie Schritt für Schritt das Gesehene in ihrem Kopf noch einmal durch.

Sie schreckt auf, als ein kraftstrotzender Mann mit polternden Schritten das Amtszimmer betritt. So, wie der Mann hier hereingestürmt kommt, kann er nur der erwartete Hauptkommissar Kruse sein. Anita hebt ihren Kopf und mustert ihn mit Neugier.

»Haben Sie die Tote im Wald gefunden?»

Anita springt auf.

»Na endlich, da sind Sie ja. Sind Sie der Ermittler? Wieso hat es so lange gedauert?« Ungeduldig läuft sie wie ein Tiger im Käfig auf und ab. Diese Warterei ist kaum noch zu ertragen.

»Na, Sie haben ja ordentlich Temperament, junge Dame«, vernimmt sie die Stimme von Kruse.

»Darf ich mich vorstellen? Ich bin Hauptkommissar Kruse von der Mordkommission.« Anita nimmt die ihr entgegengehaltene Hand und betrachtet ihn für einen kurzen Augenblick.

Manfred Kruse ist groß, ein wenig dicklich, hat runde Schultern und ist fast vollständig kahlköpfig. Nur einige wenige Stoppeln zieren seine Kopfhaut. Die modische randlose Brille, die er trägt, passt zu ihm. Sie schätzt ihn auf Mitte fünfzig.

»Nun erzählen Sie mal der Reihe nach, was passiert ist«, hört sie ihn sagen.

Anita berichtet ihm, was sie gesehen und gehört hat. Kruse reibt seine Finger, während sie berichtet, nachdenklich an seinem Kinn. Nach einigen Minuten Gedenkpause erklärt er ihr das weitere Vorgehen.