Wie ein bunter Traum: Kinderträume - Juliane Seidel - E-Book

Wie ein bunter Traum: Kinderträume E-Book

Juliane Seidel

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Beschreibung

Ein Biss in ein Törtchen, der alles verändert. Eine Reise durchs Weltall, die dich zu dir selbst führt. Ein goldener Ritter, der nicht das ist, was er zu sein scheint. Unausgesprochene Worte, die sich in bunte Mäuse verwandeln … Traust du dich, dich auf diese und viele weitere fantastische Abenteuer einzulassen? In diesem Buch gibt es keine Grenzen – weder für deine Träume noch dafür, wer du bist oder wen du liebst. Entdecke neun kunterbunte Geschichten, in denen Kinder in die Vergangenheit reisen, gegen Monster kämpfen und sich ihren Ängsten stellen, um zu zeigen, wer sie sind. Eine verträumte Anthologie für Leseratten ab 10 mit Geschichten jenseits aller Schubladen von Dima von Seelenburg, Ria Winter, Lydia Junker, Katharina Gerlach, Susanne Eisele, Lena M. Brand, Judith Vogt, Hanna Nolden und Juliane Seidel. Der Erlös aus den Verkäufen geht an den Verein „Queer Lexikon“, eine Online-Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die Fragen zu romantischer, sexueller und geschlechtlicher Vielfalt haben.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Benefizanthologie

 

Herausgeberin: Juliane Seidel

 

Table of Contents

Title Page

Impressum

Vorwort

Auf dem Mars gibt es keine Regenbögen - Dima von Seelenburg

Sieben Mäuse für Hanna - Ria Winter

Im Universum sind wir einzigartig - Lydia Junker

Träume, so bunt wie das Leben - Katharina Gerlach

Ich schaff das - Susanne Eisele

Abenteuer auf der Regenbogeninsel - Lena M. Brand

Enthüllungskuchen - Judith Vogt

Eins, zwei oder drei - Hanna Nolden

Der goldene Ritter - Juliane Seidel

Vorstellungen

Autor*innen

Designerin / Illustratorinnen

Setzerin

Queer Lexikon

Wie ein bunter Traum - Teenieträume

Like a (bad) Dream

Like a Dream

Weitere Informationen

 

Impressum:

1. Auflage 2022

Herausgeberin: Juliane Seidel

 

© Juliane Seidel, 2022

Zietenring 12

65195 Wiesbaden

www.juliane-seidel.de

www.like-a-dream.de

[email protected]

 

Cover, Layout: Mo Kast

Innenillustrationen: Mo Kast, Tanja Meurer

Lektorat: Juliane Seidel, Katharina Gerlach, Tanja Meurer

Korrektur: Juliane Seidel, Katharina Gerlach, Susanne Eisele

Satz: Jana Walther

 

Sämtliche Personen dieser Geschichten sind frei erfunden und Ähnlichkeiten daher nur zufällig.

 

Ebooks sind nicht übertragbar und dürfen weder kopiert noch weiterverkauft werden. In jedem Buch steckt jahrelange Arbeit, bitte respektiert das. Die Autor*innen freuen sich sehr über Rückmeldungen, z.B. bei Facebook, per Mail oder als Rezension.

 

 

 

 

 

 

Vorwort

 

Mit »Like a Dream« und »Like a (bad) Dream« erschienen unter meiner Herausgeberschaft innerhalb der letzten sechs Jahre zwei queere Benefizanthologien um den 15. und 18. Geburtstag meines Blogs »Like a Dream« (www.like-a-dream.de) zu feiern. Mit diesen beiden Projekten unterstützten die Autor*innen und ich gemeinnützige queere Vereine, denn sämtliche Einnahmen kamen der »Bar jeder Sicht« in Mainz und dem Verein »vielbunt« in Darmstadt zugute. Nach Erscheinen von »Like a (bad) Dream« war ich fest entschlossen, keine weitere Anthologie herauszugeben, jedoch ließ mich eine Idee nicht los: eine Anthologie mit queeren Geschichten für Kinder ab 10. In diesem Bereich gibt es erschreckend wenige Bücher auf dem deutschen Markt, insbesondere Themen wie Transgender, Nonbinärität, Inter- und Asexualität kommen in den meisten Geschichten kaum zur Sprache.

 

Ich bin froh tolle, talentierte Autor*innen für dieses Herzprojekt gewonnen zu haben und mit ihnen eine traumhaft bunte Mischung an queeren Geschichten vorstellen zu dürfen. Einige Autor*innen waren bereits in den ersten beiden Anthologien vertreten und ich freue mich, sie auch für dieses Projekt gewonnen zu haben. Jeder einzelne Beitrag ist etwas Besonderes und eine Bereicherung für die Anthologie oder besser gesagt die Anthologien, denn letztendlich sprengten die eingereichten Beiträge den Rahmen. Daher mussten wir uns letztendlich für eine Splittung und zwei Anthologien entscheiden:

 

Wie ein bunter Traum: Kinderträume (ab 10 Jahren)

Wie ein bunter Traum: Teenie-Träume (ab 12 Jahren)

 

Mo Kast und Tanja Meurer, die als Autorinnen mit ihren Kurzgeschichten in der Anthologie »Teenie-Träume« vertreten sind, zeigen sich auch für die passenden Zeichnungen verantwortlich, die die Geschichten begleiten – Tanja Meurer entwarf die Illustrationen der Kapiteldeckblätter, Mo Kast die Zeichnungen und Vignetten, die das Design der Seiten und das Cover schmücken. Auch ist Mo für die Umschlaggestaltung der beiden Anthologien und die Gestaltung des Seitenlayouts verantwortlich. An dieser Stelle bedanke ich mich herzlich für die grafische Unterstützung – ohne euch wäre die Anthologie nicht das, was sie jetzt ist.

Auch will ich die Gelegenheit nutzen mich bei Annette Juretzki und Jana Walther zu bedanken, die bei der Erstellung des Buchsatzes und des eBooks geholfen haben. Ohne ihre Unterstützung und Beratung wären Taschenbuch und eBook nicht so schön, wie sie sind.

 

Wie bei einer Benefizanthologie üblich verzichten sämtliche Beteiligten auf ihr Honorar und spenden die Einnahmen des Projektes an den Verein »Queer Lexikon«, eine Online-Anlaufstelle für lesbische, schwule, bi+sexuelle, a_sexuelle, a_romantische, trans, nicht-binäre, inter*, polyamouröse und queere Jugendliche und Kinder aus Regenbogenfamilien.

 

Zu guter Letzt bedanke mich bei allen Autor*innen, Illustrator*innen und Unterstützer*innen – ohne euch gäbe es diese beiden Anthologien nicht. Vielen Dank für die Unterstützung, gemeinsam haben wir etwas Besonderes erschaffen. Ich hoffe, dass die Anthologien viele Kinder und Jugendliche erreichen und die Geschichten unterhalten, zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen und Entdecken. Vergesst das Träumen nicht!

 

Juliane Seidel, Januar 2022

 

 

 

 

 

Auf dem Mars gibt es

keine Regenbögen

Dima von Seelenburg

 

 

Persönliches Mars-Logbuch von Tok. Erster Eintrag.

 

 

Hallo Yuri,

 

Kapitän Rex hat uns heute in seiner morgendlichen Ansprache ermahnt. Wir sollen an die Einträge in unserem persönlichen Logbuch denken. Ein Logbuch ist eine Art Tagebuch. Er hat bestimmt im Bordcomputer gesehen, dass ich keines angelegt habe. Denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er mich dabei besonders streng ansah. Dabei sind wir noch nicht einmal auf dem Mars, sondern erst auf dem Weg dorthin. Seit drei Tagen, um genau zu sein. Drei Tage auf engstem Raum mit 36 anderen Menschen. Zwei davon sind meine Mutter Vonn und mein Vater Puck. Papa ist der Co-Pilot dieser Mars-Fähre. Und immer wenn Kapitän Rex keinen Dienst hat, weil er Pause macht oder schläft, ist Papa der Chef. Dann schleiche ich mich manchmal ins Cockpit und nehme auf dem Kapitänssitz Platz. Dabei komme ich mir richtig wichtig vor. Captain Tok – verantwortlich für die sechste Mars-Mission.

Mama ist Botanikerin. Das bedeutet, dass sie sich super mit Pflanzen auskennt. Sie hat viele Samen und Setzlinge dabei, die dann später in den Gewächshäusern auf dem Mars wachsen sollen. Hauptsächlich handelt es sich um Nutzpflanzen, die für unsere Nahrungsversorgung bestimmt sind. Am wichtigsten sind jedoch die Oxideen. Das sind echt hässliche Gewächse mit sehr langen Wurzeln. Oxi bedeutet Sauerstoff und den produzieren sie in riesigen Mengen. Auf dem Mars gibt es viel zu wenig davon. Zu wenig, um atmen zu können. Es gibt zwar auch Sauerstoff in Gasflaschen und -tanks, aber der ist nur für Notfälle gedacht, falls die Oxideen eingehen. Dann müssten wir vorzeitig auf die Erde zurück, sonst würden wir ersticken.

Im Gegensatz zu mir haben meine Eltern also sehr wichtige Aufgaben zu erfüllen. Papa hat mir erklärt, dass wir alle wichtig sind, jeder einzelne Mensch dieser sechsten Mars-Mission. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, welche Rolle ich dabei spielen soll. Ich bin doch noch ein Kind.

Vor der Mission waren wir für ein Jahr in einem Vorbereitungs-Camp. Dort bekamen wir eine Ausbildung. Ich kann nun Brände löschen, Schleusen öffnen und schließen, kleine Löcher in der Außenhaut abdichten und Befehle in den Bordcomputer eingeben. Dazu musste ich die binäre Computersprache lernen, mit der man programmieren kann. Das war ganz schön kompliziert. In dieser Sprache muss man alles in Einsen und Nullen ausdrücken, damit es der Computer versteht. Das bedeutet binär nämlich: Etwas besteht aus nur zwei Einheiten. Ich habe wirklich viel gelernt, aber das haben wir alle. Warum soll also ausgerechnet ich ein wichtiges Crewmitglied sein?

Einträge ins Logbuch zu schreiben, haben wir allerdings nicht geübt. Ich habe auch keine große Lust darauf. Wozu soll das gut sein? Schon auf der Erde habe ich kein Tagebuch geführt, warum jetzt?

Mama hat mir erklärt, dass es von der Mars-Behörde gewünscht wird. Und dass es Situationen geben kann, in denen es hilft, seine eigenen Einträge noch einmal anzuhören oder zu lesen.

»Was soll ich da denn eintragen?«, habe ich sie gefragt.

»Tu einfach so, als ob du jemandem eine Nachricht diktierst oder aufschreibst. Erzähle, was du erlebst, was neu ist, was du gelernt hast, was dir gefällt oder weniger gefällt. Formuliere deine Fragen. Und wenn du sie hast, auch deine Antworten darauf. Du wirst schon sehen, nach den ersten Einträgen geht es dir ganz leicht von der Hand.«

Also habe ich mir überlegt, dass ich einfach so tue, als ob ich dir eine Nachricht schicke, Yuri. Du warst mein bester Freund, bevor sich meine Eltern für die Mars-Mission beworben haben. Plötzlich ging alles so schnell. Nach der vierten Klasse musste ich meine alte Schule verlassen und die Mars-Behörde hat uns ins Camp nach Nord-Kanada geschickt. Es blieb wenig Zeit, um mich von allen so zu verabschieden, wie ich es gern getan hätte. Vor allem von dir.

Natürlich ist mein Leben seither aufregend. Trotzdem vermisse ich einen Freund wie dich. Da du zwei Mütter hast, durftest du dir genauso dämliche Kommentare anhören und Fragen stellen lassen wie ich. Das hat uns verbunden. Wir mussten uns oft nur ansehen und verstanden uns, ohne miteinander zu sprechen. So jemanden könnte ich hier gut gebrauchen. Und später auf dem Mars bestimmt erst recht.

Heute sind wir den dritten Tag unterwegs. Trotz der langen Vorbereitung ist alles ungewohnt und neu. Mich nervt die Schwerelosigkeit. Wenn man ihr Tag und Nacht ausgesetzt ist, ist es so, als käme der Körper nie zur Ruhe. Weil man immer schwebt. Noch müssen wir nicht in die Gravitationsschleudern. Was das ist, erkläre ich dir ein andermal. Sonst wird das heute zu viel.

Seit gestern habe ich vormittags wieder Unterricht. Wir müssen uns durch verschiedene Lernprogramme klicken. Unsere Lehrerin Frau Lavendel gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Sie ist wunderschön, aber nur ein Computerprogramm. Sie besteht also nur aus Einsen und Nullen, wie ich nun weiß. Wenn sie mit dem Unterricht beginnt, vergesse ich das nach ein paar Minuten. So echt wirkt sie! Ein kleines bisschen sieht sie meiner Mutter ähnlich. Das liegt bestimmt daran, dass sie von meinem Vater programmiert wurde. Sie macht niemals Fehler. Noch nie hat Frau Lavendel er oder sie, Junge oder Mädchen zu mir gesagt, wenn sie über mich gesprochen hat. Das ist super. Du kannst dich bestimmt erinnern, wie mich das immer geärgert hat. Dir ging es ganz ähnlich, wenn jemand »Yuri, besprich das mit deinem Vater« zu dir gesagt hat. Ich glaube, deshalb waren wir uns so nah.

So, jetzt ist mein erster Logbuch-Eintrag doch sehr lang geworden. Das sollte fürs erste Mal genügen. Wenn mich Kapitän Rex morgen anspricht, kann ich ihm sagen, dass ich schon über 800 Wörter eingetragen habe. Ach was, sicher weiß er das schon. Er ist ein Mann, der immer den Überblick hat. So, wie es sich für jemanden in seiner Position gehört.

 

 

Persönliches Mars-Logbuch von Tok. Zweiter Eintrag.

 

 

Lieber Yuri,

 

mittlerweile sind wir seit drei Monaten unterwegs. Kapitän Rex hat wieder mit mir geschimpft, weil meine Logbuch-Datei so klein ist. Ich soll öfters und regelmäßig meine Einträge machen. Also bitteschön.

Die Erde ist nur noch als kleiner Himmelskörper zu sehen. Bald kommt der Tag, an dem der Mars größer erscheint als unsere Heimat. Noch sind beide Planeten nur leuchtende Punkte zwischen unendlich vielen anderen. Heute Morgen habe ich mich plötzlich verloren gefühlt, weil wir alles zurückgelassen haben. Oma, meinen Kater Don Camillo, der jetzt bei unserer früheren Nachbarin lebt, und alle meine Freundinnen und Freunde.

In den ersten Wochen gab es ständig Neues zu erleben, nach und nach stellt sich das Gefühl von Gewohnheit ein.

Die Gravitationsschleudern hatte ich bereits erwähnt. Mittlerweile müssen wir jeden Tag eine Stunde darin verbringen. Stell sie dir wie ein schmales Bett vor, auf dem man festgeschnallt wird. Dann beginnt es sich zu drehen, richtig schnell. Dadurch wird der Körper nach außen gedrückt und es fühlt sich ein bisschen so an, als ob es eine Schwerkraft gäbe. Kennst du diese drehenden Fahrgeschäfte vom Rummel? Daran erinnert mich das Ganze und macht mir richtig Spaß. Wir müssen die Gravitationsschleudern regelmäßig benutzen, damit unsere Knochen nicht brüchig werden. In der Schwerelosigkeit baut der Körper Calcium ab. Das ist ein wichtiger Knochenbaustein. Meine Mutter hasst die Schleudern. Ihr wird immer übel darin und danach hat sie eine Weile Kopfschmerzen. Dann muss ich sie in Ruhe lassen, hat Papa gesagt.

Wie läuft es in der Schule? Ach so, du kannst mir ja nicht antworten, weil ich die Einträge gar nicht abschicke. An diese komische Situation muss ich mich erst noch gewöhnen.

Auf der Fähre sind wir drei Kinder. Wir kennen uns schon aus dem Camp. In den nächsten zwei Jahren werden sie die einzigen Menschen meines Alters sein, mit denen ich Zeit verbringen kann. Sie sind ganz okay. Stell dir vor, sie heißen Tommy und Annika, so wie die Geschwister, mit denen Pipi Langstrumpf befreundet war. Aus dem Buch hat unsere Lehrerin in der ersten Klasse vorgelesen. Erinnerst du dich? Ist das nicht der Knaller mit den Namen? Die beiden finden es gar nicht komisch. Du fändest es bestimmt lustig und wir würden uns gemeinsam totlachen. Natürlich nur, wenn uns Tommy und Annika nicht hören können. Es ist so schade, dass du nicht hier bist. Wir hätten viel Spaß.

Frau Lavendel mag ich richtig gern. Ich denke kaum noch daran, dass sie nur ein Computerprogramm ist. Ich kann sie alles fragen, sie hat immer eine Antwort. Auch zu Themen, die nichts mit dem Unterricht zu tun haben.

Kennst du die Bilder vom Redbow? Natürlich kennst du sie, sie werden ständig im Fernsehen gezeigt. Redbow heißt roter Bogen und er ist längst zum Wahrzeichen des Mars geworden. Im großen Speiseraum hier auf der Fähre hängt ein faszinierendes Plakat davon. Es zeigt eine riesige, von Sandstürmen glatt geschliffene senkrechte Felswand. An deren oberem Ende verläuft ein Bogen in den unterschiedlichsten Rottönen. Von der Form her sieht er aus wie ein Regenbogen. Nur, dass er nicht bunt ist.

Weißt du Yuri, auf dem Mars gibt es keine Regenbögen. Die Sonne scheint ständig, außer nachts natürlich. Aber Regen gibt es nicht. Die Luft ist immer trocken, staubtrocken. So können keine Regenbögen entstehen. Umso schöner, dass der rote Bogen über der riesigen Felswand entdeckt wurde.

»Er ist fremdartig und trotzdem wie ein Stückchen Heimat«, hat Mama geschwärmt, als wir zum ersten Mal vor dem Plakat standen und den Redbow bewunderten. Ich kann gar nicht abwarten, ihn in Wirklichkeit zu sehen.

Gestern war ich mit meinem Vater im Transportraum für die technische Ausrüstung, die wir mit auf den Mars bringen. Du hast vielleicht davon gehört, dass eine zweite Siedlung gebaut werden soll. Direkt vor dieser Felswand am Olympus Mons. Das ist der höchste Berg auf dem Mars. Papa hat mir die Drohnen gezeigt, die bald damit beginnen werden, die Namen aller Menschen, die jemals auf dem Mars waren, unter den Redbow in die Felswand zu ritzen. Irgendwann werden dort in einer ewig langen Tabelle Millionen Namen stehen, einer davon wird meiner sein. Sogar recht weit oben – für alle Ewigkeit. Ist das nicht toll?

 

 

Persönliches Mars-Logbuch von Tok. Dritter Eintrag.

 

 

Hey Yuri,

 

heute habe ich mich sehr geärgert. Alles begann bei der morgendlichen Ansprache von Kapitän Rex. Es ging um die Reihenfolge, in der wir auf dem Mars die Fähre verlassen. Das klingt erst einmal wenig aufregend, schon klar. Aber du weißt von den bisherigen Mars-Missionen sicher, welch großes Spektakel die Ankunft sein wird. Eine richtige Show. Und schließlich entscheidet die Reihenfolge über den neuen Namen. Es wird errechnet, der wievielte Mann oder die wievielte Frau auf dem Mars man ist. Meine Familie wird zum Schluss aussteigen, erst ich, dann meine Eltern. Das liegt daran, dass Mama die Oxideen möglichst kurz unbeaufsichtigt lassen will.

»Nicht, dass den Pflanzen nach der langen Reise auf den letzten Metern noch etwas zustößt«, hat sie gesagt.

Papa wird der 103. Mann, Mama die 82. Frau auf dem Mars sein. Er wird dann Puck-103, Mama Vonn-82 heißen. Damit werden wir offiziell zu Marsmenschen.

Dann sagte mir Kapitän Rex, dass ich bis morgen Abend Zeit habe, mich zu entscheiden, wie mein Mars-Name lauten soll.

»Bei den Frauen würdest du es noch unter die ersten 100 schaffen«, hat er gesagt und dabei gegrinst.

Es hat eine Weile gedauert, bis ich begriffen habe, was er meinte. So schnell es ging, bin ich aus dem Besprechungsraum gerannt. Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich so etwas hasse.

Ich habe mich im Klassenraum versteckt. Dort habe ich Frau Lavendel aktiviert und ihr erzählt, was Kapitän Rex zu mir gesagt hat. Und was er da von mir verlangt.

»Warum kannst du diese Entscheidung nicht treffen?«, hat sie mich gefragt.

»Weil ich kein Junge und kein Mädchen bin.«

Da hat sie mit ihrem schönen Mund gelächelt und gesagt, dass ich das genauso Kapitän Rex erklären muss.

Abends habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und vor den Gravitationsschleudern auf ihn gewartet. Der Kapitän war nicht überrascht, dass ich mit ihm sprechen wollte. Er hat sich meine Erklärung angehört und genickt. »Wir werden einen Namen für dich finden, Tok. Vor allem muss geklärt werden, in welcher Tabellenspalte du später auf dem Olympus Mons unter dem Redbow stehen wirst. Bei den Männern oder bei den Frauen. Ich werde mit der Mars-Behörde Kontakt aufnehmen, um eine Lösung für das Problem zu finden.«

Ich habe mich bedankt und bin zurück in unser Quartier.

Yuri, ich bin doch kein Problem! Ich möchte kein Problem sein. Ich habe es so satt.

 

 

Persönliches Mars-Logbuch von Tok. Vierter Eintrag.

 

 

Lieber Yuri,

 

morgen ist es so weit. Wir landen auf dem Mars. Endlich. Alle sind aufgeregt, sogar Kapitän Rex. Ich freue mich schon sehr darauf, mehr Platz zu haben. Auf der Fähre leben wir so beengt. Mama, Papa und ich teilen uns zu dritt ein winziges Quartier. Auf dem Mars werden wir eine eigene Wohnkuppel beziehen. Sie liegt an der Südspitze der ersten Mars-Siedlung Alpha-Ludmilla. Benannt nach der Kapitänin der ersten Mission, Ludmilla-1. Sie war die erste Frau, aber auch der erste Mensch auf dem Mars. Ihr folgte der damalige Co-Pilot Igor-1. Er ist mittlerweile der Chef der Mars-Behörde auf der Erde.

Die Wohnkuppeln werden Habitate genannt. Am Anfang müssen wir sie noch mit Mitgliedern der fünften Mars-Mission teilen. Eine Woche nach unserer Ankunft fliegen sie mit der Fähre zurück zur Erde. Ihre Zeit auf dem roten Planeten ist dann vorüber. Wir lösen sie ab.

Somit habe ich also sieben Tage Zeit, um Vanessa-50 kennenzulernen, bevor sie abreist. Ich habe fast jede Übertragung auf ihrem Kanal gesehen. Durch ihre Video-Podcasts vom Mars ist sie weltweit bekannt geworden. Bestimmt kannst du dich daran erinnern, wie sie nach der Landung der fünften Mars-Mission als erste aus der Fähre steigen durfte. Als erstes Kind auf dem Mars und wie ich war sie elf Jahre alt. Jetzt ist sie vierzehn. Unter dem Redbow wird ihr Name auf der Frauen-Seite auf Platz 50 für immer verewigt werden.

Bisher hat noch niemand mit mir darüber gesprochen, wo meiner dort einen Platz finden kann. Und ich habe große Angst davor, dass sie meinen Namen einfach weglassen.

 

 

Persönliches Mars-Logbuch von Tok-184. Fünfter Eintrag

 

 

Hallo Yuri,

 

hast du die Live-Übertragung unserer Ankunft gesehen? Es war so aufregend! Kapitän Rex musste den ersten Versuch, die Fähre in die Mars-Atmosphäre eintreten zu lassen, abbrechen. Wir befanden uns alle festgeschnallt auf unseren zugewiesenen Plätzen und überall ertönten Alarmsignale. Ich hatte große Angst. Mama hat meine Hand genommen und sie nicht mehr losgelassen. Bestimmt hatte sie auch Angst.

So wie es vorgeschrieben ist, muss der Co-Pilot den zweiten Versuch einleiten, wenn der erste nicht gelingt. Papa hat es richtig gut hinbekommen, ich war total stolz. Es gab nur drei Landestöße, das ist wenig. Bei Vanessa-50, also der letzten Mission, waren es acht. Bei jedem Stoß muss man am ganzen Körper die Muskeln anspannen, vor allem die Bauchmuskeln. Das schützt die inneren Organe. Wir haben es so oft geübt, dass es fast wie von alleine ging.

Noch nie habe ich so lange den Raumanzug getragen. Besser, ich gewöhne mich schnell daran, denn auf dem Mars müssen wir immer einen anziehen, wenn wir die Habitate verlassen.

Beim Aussteigen hatte ich richtig Lampenfieber. Milliarden Menschen sehen sich die Show im Fernsehen an. War die Musik nicht toll? Mission to Mars Six - also Mars-Mission Sechs heißt der Song. Und niemand Geringeres als Melody Star hat ihn komponiert und gesungen. Ein richtiger Weltstar. Seit ich denken kann, folge ich ihr begeistert.

Am meisten gefreut habe ich mich darüber, wie meine Ankunft angekündigt wurde. »Willkommen auf dem Mars, Tok-184«, ertönte es aus den Lautsprechern, als ich vor meinen Eltern den Kopf aus der Schleuse gestreckt habe. Ich bin der 184. Marsmensch, ist das nicht klasse? Das hörte und fühlte sich absolut richtig an.

Ich habe den Schriftzug schon vor meinem inneren Auge gesehen. Eingraviert unter dem Redbow. Dann fiel mir ein, dass ich noch immer nicht weiß, wo. Mama wird als Vonn-82 in der Spalte der Frauen, Papa als Puck-103 in der der Männer erscheinen. Erinnerst du dich, was ich dir über die binäre Computersprache gesagt hatte? Da gibt es nur Einsen und Nullen. Unter dem Redbow soll es nur Männer und Frauen geben. Aber wir Menschen passen in kein binäres System, ich passe da nicht rein. Ich bräuchte eine dritte, eine eigene Spalte. In der Liste der Frauen wäre ich genauso fehl am Platz, wie in der der Männer. Wir Menschen sind nicht binär, nicht wie diese Computersprache, die nur aus zwei Zahlen besteht. Ich bin non-binär.

 

 

Persönliches Mars-Logbuch von Tok-184. Sechster Eintrag.

 

 

Hey Yuri,

 

es gibt so viel zu erzählen. Heute komme ich dazu und habe Zeit. Wir müssen gerade den zweiten Tag in Folge in den unterirdischen Schutzräumen verbringen. Einer der schwersten Sonnenstürme seit der Besiedelung des Mars ist über den Planeten hereingebrochen. Auf der Erde kriegt ihr kaum etwas mit, wenn die Sonne ihre gefährlichen Strahlen in großen Mengen ausstößt. Das Magnetfeld schützt euch dort. Hier treffen diese sogenannten Sonnen-Eruptionen ungehindert auf alles, was sich auf der Oberfläche befindet. Zum Glück gibt es ein Warnsystem. So blieb uns reichlich Zeit, das Nötigste zu packen und uns nach unten in Sicherheit zu begeben. Heute Morgen kamen die ersten Berichte herein. Es hat heftige Schäden gegeben. Vor allem an der Elektronik. So fallen zum Beispiel die Drohnen, die unsere Namen in die Felswand unter den Redbow gravieren sollen, für längere Zeit aus. Ich darf es natürlich niemandem außer dir verraten, aber darüber freue ich mich richtig. Denn noch immer weiß ich nicht, wo mein Name unter dem roten Bogen stehen soll. Kurz vor dem Sonnensturm habe ich der Mars-Behörde geschrieben und vorgeschlagen, dass es drei Spalten geben könnte. Eine für die Frauen, eine für die Männer und eine für Menschen wie mich.

Blöderweise wurde auch die Mars-Fähre stark beschädigt. Eigentlich hätte Vanessa-50 mit ihrer Crew heute zu ihrer Rückreise aufbrechen müssen. Daraus wird erst einmal nichts. Mein Vater und sein Technik-Team werden sich um die Reparaturen kümmern.

Persönlich freut mich, dass Vanessa-50 noch eine Weile hierbleibt. Sie wohnt mit ihren Eltern bei uns im Habitat. Obwohl sie drei Jahre älter als ich ist, habe ich mich mit ihr angefreundet. Ich mag sie viel lieber als Tommy-98 und Annika-77. Letzte Nacht habe ich ihr von meiner Angst erzählt, dass mein Aufenthalt auf dem Mars vergessen werden könnte, wenn mein Name nicht unter dem Redbow steht. Vanessa-50 hat mich sofort verstanden. »Zwei nach Geschlechtern getrennte Listen sind totaler Blödsinn. Eine für alle, das wäre gerecht!«

Ich habe zu bedenken gegeben, dass sie dann aber nicht mehr Vanessa-50, sondern Vanessa-104 heißen würde.

Da hat sie gelacht und gesagt: »Und stell dir vor, der oberste Chef der Mars-Behörde wäre keine Nummer Eins mehr. Igor-1 ist damals nach Ludmilla-1 aus der Fähre gestiegen. Er müsste sich also in Igor-2 umbenennen.« Dann hat sie mir ganz fest in die Augen gesehen und hinzugefügt: »Was bedeutet schon eine Zahl? Wir sind wichtig.«

Ich mag sie wirklich gern.

 

 

Persönliches Mars-Logbuch von Tok-184. Siebter Eintrag.

 

 

Hallo Yuri,

 

zuerst verlinke ich die Antwort, die ich heute vom Chef der Mars-Behörde bekommen habe.

 

Sehr geehrte*r Tok-184,

seit Ludmilla-1 und ich, Igor-1, vor siebzehn Jahren als erste Menschen den Mars betreten haben, erhalten alle nachfolgenden in fortlaufender Zählung ihre neuen Mars-Namen. Getrennt nach Geschlechtern. Das war immer so und soll so bleiben.

Wir sind glücklich und stolz, die beeindruckende Felswand unter dem Redbow am Olympus Mons entdeckt zu haben. Es wird uns alle mit Stolz erfüllen, dort als Marsmenschen aufgeführt zu werden. Mit unseren Missionen schreiben wir Geschichte. Die Felswand am Olympus Mons mit der einmaligen Gesteinsformation gilt schon jetzt als Symbol der erfolgreichen Besiedelung des roten Planeten.

In einigen Jahrzehnten wird das menschliche Leben auf dem Mars etwas Selbstverständliches sein. Dann werden unsere Namen unter dem Redbow den kommenden Generationen aufzeigen, welch erfolgreiche Vorarbeit wir dazu beigetragen haben.

Wir hatten dir über Kapitän Rex das Angebot gemacht, dass du wählen kannst, ob dein Name in der Spalte der Frauen oder in der der Männer erscheinen soll. Den Namenszusatz 184 darfst du behalten. Wir werden die Zahl nicht erneut vergeben. Das ist alles, was wir für dich in dieser Situation tun können.

Ich hoffe, die Drohnen können bald repariert werden und mit der Arbeit beginnen. Bis dahin hast du Zeit, über unser Angebot nachzudenken. Natürlich kannst du auch entscheiden, auf eine Erwähnung unter dem Redbow ganz zu verzichten.

 

Mit interplanetaren Grüßen

Igor-1 / Mars-Behörde

 

Ist das nicht gemein? Was ist das denn für eine Wahl? Entweder ich stehe da als jemand, der ich gar nicht bin. Oder ich werde einfach weggelassen und vergessen. Das macht mich so traurig.

Im Klassenzimmer hat Vanessa-50 gleich bemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmt. Frau Lavendel hat uns erlaubt, dass wir uns den Rest des Tages freinehmen.

Weil Vanessa-50 über 14 Jahre alt ist, darf sie schon einen Mars-Rover steuern. Ohne um Erlaubnis zu bitten, sind wir damit bis zum Olympus Mons gefahren. Es ist nicht nur der höchste Berg dieses Planeten, sondern der größte unseres gesamten Sonnensystems. Der Vulkankrater liegt auf 22 Kilometern Höhe. Damit ist der Olympus Mons fast drei Mal so hoch wie der höchste Berg der Erde, der Mount Everest.

Obwohl man von seinen Ausläufern nicht den Gipfel sehen kann, wirkt der Olympus Mons gewaltig. Vor einer stufigen Steigung hat Vanessa den Rover geparkt. Wir sind gut vorangekommen bei unserer Kletterpartie. Irgendwann war das Fahrzeug unter uns so klein wie ein Spielzeugauto.

Auf der Erde würde ich mit meinem Raumanzug über 60 Kilogramm wiegen und selbst in flachem Gelände keine zehn Meter weit kommen. Auf dem Mars bin ich in kompletter Montur noch ein Leichtgewicht von nur 21 Kilogramm. Das ist der Vorteil der geringen Anziehungskraft. Du kannst dir bestimmt vorstellen, wie leicht einem hier alles fällt. Natürlich nur, solange man genug Luft zum Atmen hat.

Als wir schon recht weit oben am Hang standen und über die roten Geröllfelder unter uns blicken konnten, hat mich Vanessa-50 an die Hand genommen und gesagt: »Ist das nicht einfach unglaublich beeindruckend hier? Wir stehen am Fuß des höchsten Berges, den die Menschheit kennt. Die Entfernung zur Erde beträgt zur Zeit 64 Millionen Kilometer. Um hierherzukommen, sind wir monatelang durchs All gereist. Wir trotzen lebensgefährlichen Sonnenstürmen und lassen uns nicht von einschlagenden Meteoriten vertreiben. Und dann gibt es eine popelige Mars-Behörde auf der Erde, die dir den Platz verweigert, den du verdienst. Das ist so lächerlich.« Dann versprach sie mir, dass sie sich dafür einsetzen wird, dass sich etwas ändert. Und plötzlich hatte sie die zündende Idee: »Wir machen den nächsten Video-Podcast auf meinem Kanal gemeinsam.«

Yuri, du kannst dir bestimmt vorstellen, wie aufgeregt ich jetzt bin. Dem Kanal von Vanessa-50 folgen auf der ganzen Welt über 100 Millionen Menschen. Das sind mehr, als es in ganz Deutschland gibt.

Dann habe ich ihr von dir erzählt. Davon, dass ich meine Logbucheinträge an dich adressiere. Sie dich aber niemals erreichen werden.

»Hast du schon einmal drüber nachgedacht, deine Nachrichten doch noch an Yuri abzuschicken?«, hat mich Vanessa-50 auf der Rückfahrt gefragt.

»Schon öfters, aber ich traue mich nicht.«

Sie hat vom Fahrersitz aus erstaunt zu mir rübergesehen.

»Ich traue mich nicht, weil Yuri mein bester Freund ist. Und er weiß gar nichts davon. Vielleicht hat er mich schon vergessen. Vielleicht würde er sich darüber ärgern, dass ich ihn einfach so benutze, weil ich sonst meine Logbuch-Einträge nicht hinbekomme.«

»Es gibt noch eine andere Möglichkeit: Es könnte ihm gefallen«, erwiderte Vanessa-50.

Dieses Gespräch geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

 

 

Persönliches Mars-Logbuch von Tok-184. Achter Eintrag.

 

 

Yuri,

 

die Gravur-Drohnen sind nicht mehr zu retten.

---ENDE DER LESEPROBE---