Wie kommt das Schwein mit Boot ins Kosovo? - Hawe Preters - E-Book

Wie kommt das Schwein mit Boot ins Kosovo? E-Book

Hawe Preters

0,0

Beschreibung

Ein irres Gesicht, ein gesunkenes Boot, der Tanz mit einem Schwein, ein verschwundener Bauer und blutgefüllte Teiche: Kurze verdichtete Kriminalfälle mit Augenzwinkern, eingebettet in Landschaft und in gesellschaftliche Realität - in Hamburg, Schleswig-Holstein, Ostfriesland und dem Kosovo. Macht nachdenklich, macht Spaß.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 99

Veröffentlichungsjahr: 2016

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hawe Preters

Wie kommt das Schwein mit Boot ins Kosovo?

Sechs Texte: Kurzkrimis und mehr

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Wie kommt das Schwein mit Boot ins Kosovo?

„Mörder! Mörder!“

Schwein gehabt

Steilküste bei Weseby

Wiedersehen

Der späte Tod des Bauern Strunz

Der jüngste Tag

Impressum neobooks

Wie kommt das Schwein mit Boot ins Kosovo?

Texte:

„Mörder! Mörder!“

Schwein gehabt

Steilküste bei Weseby

Wiedersehen

Der späte Tod des Bauern Strunz

Der jüngste Tag

Die Figuren in den Texten dürfen nicht mit realen lebenden oder verstorbenen Menschen verwechselt werden, da sie eigene Charaktere haben und durch eigene Beziehungen, Verhaltensweisen und Entwicklungen gekennzeichnet sind. Sie sind fiktiv.

„Mörder! Mörder!“

Ein irres Gesicht, weit aufgerissene Augen, rote, wie geschwollene Haut, die hochgestülpte Oberlippe verbirgt kaum den fast zahnlosen Oberkiefer. Die Hand des Mannes prankt noch auf dem verklebten, zerzausten Haar der Frau. Soeben hat er den Kopf dieser Frau an ihren Haaren hochgerissen, hoch von seinem linken Oberschenkel, in dem in einer blutenden Wunde Zähne stecken, ihre Zahnbrücke. Ohrenbetäubende Schreie: Auf Schwein folgt Mörder folgt Wutgeheul, das keinen Platz für Schmerzen lässt. Das Wutgeheul geht abrupt in ein gurgelndes Röcheln über, als der tiefe Schnitt die Kehle erreicht. Warm rinnt das Blut den Hals hinab und färbt das Hemd tiefrot. Er stößt sie von sich zu Boden. Jetzt liegt sie neben dem Swimmingpool, in dem das gechlorte Wasser die Sonne spiegelt. Ihr Blut quillt weiter, erst in die Fugen, dann über die graublaue Fliese. Ihr Gesichtsausdruck entspannt sich etwas, die feuchten Augen können die Tränen nicht mehr halten. Wie in rasantem Zeitraffer fliegen Erinnerungen vorbei, manche so klar und deutlich und detailliert, als sei es gestern geschehen, manche verschwommen und lückenhaft und über Jahre springend.

*

Brandgeruch, Hanna wird wach, Brandgeruch. Nein, es ist die übliche Zeit, gleich klingelt der Wecker, es ist kurz vor sieben. Brennt es? Der erste Weg führt nicht zum Klo, sondern zum Wohnzimmerfenster, auf die Straße sehen, gegenüber die hohe Mauer der Brauerei. Was ist das? Oh Gott, ein verbrannter, ein verkohlter Mensch, auf einer Liege, nein, einer Wanne, zwei Männer schieben die Wanne soeben in ein Auto, einen Leichenwagen. Nur kurz zu sehen, aber einprägend: Angewinkelte Beine, nach oben erhobene Arme, starr, wie eingefroren, alles schwarz, irritierend klein, geschrumpft, seltsam gekrümmter, zusammen mit Hals und Kopf gebogener Oberkörper. Was ist das? An der Ecke ein Polizeiwagen, Menschen stehen herum, im einzigen Fenster der Brauerei-Mauer drängen Männer, zwängen ihre Oberkörper durch die Fensteröffnung, gieren runter auf die Straße, wieder hoch Richtung Nachbarhaus, vor dem der Bürgersteig voll Nässe glänzt, gieren zu ihr. Nackt. Ihre Nacktheit zieht jetzt die Blicke der Männer auf sie. Sie huscht zurück.

Das übliche Morgenritual erledigt Hanna schnell. Runter, raus. Der Bürgersteig ist gesperrt, gegenüber an die Brauerei-Mauer. Wasser rinnt an der Front des Nachbarhauses hinab, Stümpfe schwarzer Dachbalken dort, wo sonst Ziegel schützten. „Dachstuhlbrand“, so die kurze Antwort, „ein Toter“. Sie hat nichts gehört, keine Sirenen, keinen Lärm. Schrecklich, beides schrecklich.

In der Mittagspause kommt sie zurück, der Weg von der Arbeitsstelle ist kurz, gleich auf der anderen Seite der Brauerei befindet sich das Institut, in dem sie arbeitet. Der Polizeiwagen an der Ecke schräg gegenüber dem Brandhaus ist weg, auf dem dortigen Bürgersteig hält jetzt eine größere Limousine, neben der zwei Männer stehen. Mantel, Anzug, Krawatte. Sie betrachten das Haus, unterhalten sich. Im Vorbeizwängen hört Hanna „Versicherungsschaden“ oder so ähnlich. Einer der Männer kommt ihr bekannt vor. Versicherungsschaden. Es gibt einen Toten! Ein Toter ist kein Versicherungsschaden! Aus der Haustür werden Möbel geschleppt, einige lagern schon am Rand des Bürgersteiges. Abends ist dort ein Möbelberg entstanden, Sperrmüll, unbrauchbar, schmutzig, nass. Davor im schwachen Schein der Straßenlaterne ein einzelnes Sofa, auf dem ein Knabe aus der Nachbarschaft lümmelt und vorbeifahrende Autos wie die Queen grüßt.

Am nächsten Morgen macht Hanna den kurzen Umweg zum Kiosk. Sowohl im ‚Hamburger Abendblatt‘ als auch in der ‚Morgenpost‘ wird vom Brand berichtet. Das Haus sei wohl in großen Teilen unbewohnbar, so die ersten Hinweise. Es könne Brandstiftung gewesen sein. Auf dem Dachboden habe die Feuerwehr einen unkenntlich verbrannten Toten entdeckt, dessen Identität ungeklärt sei. Der Eigentümer sei ein namentlich bekannter Kosovo-Albaner aus einem Familienclan, über den bereits vielfältig im Zusammenhang mit allerlei kriminellen Aktivitäten berichtet wurde, es sei jedoch nie zu einer Verurteilung gekommen. In der ‚Morgenpost‘ ist auch ein Foto abgedruckt: Einer der Männer, die gestern neben der Limousine standen, der Mann, der ihr bekannt vorkam, Skender Gashi.

*

Die Mutter von Willi und Hanna war von einem „Heini“ angerufen worden, so nannte der Mann sich, wollte aber den Nachnamen nicht nennen. Ob sie die Mutter von Willi sei, wollte der Anrufer wissen. Willi würde bei ihm im Hause wohnen, sei aber schon seit Wochen nicht mehr aufgetaucht. Ob sie etwas wisse und was er denn mit Willis Sachen machen solle. Natürlich wusste auch die Mutter nichts, woher auch, ihr Sohn war ihr entfremdet, seitdem er diese spinnerten Ideen hatte, sich tätowieren ließ und schlamperte Klamotten trug, sich fast nie bei ihr meldete geschweige denn sie besuchte. Sie wusste nichts mehr von ihm, nicht, wo er wohnte, nicht, was er tat, wie und von was er lebte. Aber nun konnte sie von diesem Heini jedenfalls herauskitzeln, dass ihr Sohn in der Hafenstraße in Hamburg lebte und dass man sich dort ernsthafte Gedanken machte über seinen derzeitigen Aufenthaltsort. Warum man sich ernsthafte Gedanken machte, wollte der Heini nicht sagen, nur, dass Willi nun schon seit Wochen nicht mehr aufgetaucht war. Das hatte er ja schon zu Anfang gesagt, alles war etwas mysteriös für die Mutter, es gab irgendeine Heimlichtuerei von dem Heini, so ihr Eindruck, nicht mal die Hausnummer wollte er sagen. Sie könne ja in die VoKü kommen, in die Volksküche, „Volx mit x“, wie er sagte, in die Hafenstraße 116 und nach ihm fragen.

Dieses Telefonat ließ ihr keine Ruhe, sie erkundigte sich bei ihrer Tochter Hanna, ob sie in letzter Zeit Kontakt mit Willi gehabt habe. Hatte sie nicht. Schließlich entschieden sich Mutter und Tochter, Willi bei der Polizei als vermisst zu melden. Die aufnehmende, uniformierte Polizeibeamtin machte ihr aber spontan keinerlei Hoffnung, deswegen würden sie nicht in die besetzten Hafenstraßenhäuser eindringen, die Randale mit den dortigen Punks und Linksautonomen wollten sie sich und könnten sie sich auch politisch nicht erlauben. Aber einige Tage später kam dann nach telefonischer Voranmeldung ein Kriminalbeamter in Zivil vorbei: Sie seien am Ball, müssten jetzt aber noch einen DNA-Abgleich machen, um einen Familienbezug zu verifizieren, ob sie bereit sei, sich eine DNA-Probe abnehmen zu lassen. Sie verstand nur Bahnhof und war perplex und gab sich zufrieden mit der Antwort, er oder ein Kollege würden sich in Kürze wieder bei ihr melden.

Und tatsächlich kam er, wiederum einige Tage später, zusammen mit einer Polizeibeamtin in Uniform vorbei. Sie müssten leider eine gesicherte, traurige Mitteilung machen: „Ihr Sohn ist tot. Er ist bei einem Dachstuhlbrand vor drei Monaten gestorben.“ Die weiteren Erklärungen der Beamten nahm sie nicht wirklich wahr, wie durch dicke Watte drangen sie in ihr Ohr: Es bestünde der Verdacht, dass ihr Sohn den Brand selbst gelegt habe. Den Leichnam habe man in der Gerichtsmedizin untersucht, einen hohen Alkoholgehalt noch im Blut nachweisen können, eine DNA-Probe genommen, mangels Identitätsfeststellung anonym auf dem Ohlsdorfer Friedhof beisetzen lassen. Erst durch die Vermissten-Meldung habe man einen Anhaltspunkt gehabt und habe eine Person, die sich in der Hafenstraßen-Szene aufhalte, um Beibringung von Material aus dem Zimmer ihres Sohnes beauftragt und damit einen DNA-Vergleich durchführen können. Da sei man sich bereits sicher gewesen, dass der Bewohner des Zimmers und der Tote ein und dieselbe Person war, und da auch der Familienbezug ein eindeutiges Ergebnis brachte, stünde jetzt die traurige Gewissheit fest: „Ihr Sohn ist tot. Er ist bei einem Dachstuhlbrand vor drei Monaten gestorben.“

*

„Willi, Hanna, Essen kommen!“ Mutters Ruf schallt über den Strand. Ihr kleiner Bruder liegt bäuchlings neben ihr am Rand der Sandburg, den blondgelockten Kopf kurz über dem wehrhaft geschaufelten Wall, beobachtend. Der Kleine freut sich riesig, immer dann, wenn wieder ein Erwachsener in die Falle tritt, in das knapp mit Sand bedeckte Loch gleich vor den auslaufenden Wellen der Ostsee, das sie gegraben und mit Quallen gefüllt haben. Diebisches, aber stilles Lachen, wenn ein „Iiih“ oder ein „Oooh“ das erschreckte Zurückzucken begleitet. „Komm“, nimmt sie ihn bei der Hand, „Mama ruft“. „Willi ist tot“, weint Mama durchs Telefon, „dein Bruder ist tot“.

*

Eckkneipe ‚Onkel Otto‘, die Balduintreppe hinab zur Hafenstraße, Kneipe ‚Ahoi‘, vorbei an mindestens einem Dutzend dunkelhäutiger junger Männer, die dort in Zweier- oder Dreiertrupps jeweils im Abstand von wenigen Metern herumlungern, wie Spalier am Rande des Bürgersteigs oder mittig, zur Straße geschützt durch einen chaotischen Grünstreifen, Bäume, Sträucher, kaputte Fahrräder, zischend so etwas wie „Need something“ fragen, worauf Hanna sich leicht eingeschüchtert kopfschüttelnd – die Frage scheinbar verneinend – eilig durchschlängelt, an den bunten und mit Parolen bemalten Hauswänden vorbei bis zum dritten oder vierten Haus mit der auffälligen dunklen zweiflügeligen Tür, neben der auf einem Holzbrett in krakeliger Schrift in die „Volxküche“ gebeten wird. Hanna überwindet sich erneut und traut sich rein, die fünf Stufen hoch, den schweren linken Türflügel öffnen. Neugierige, abschätzende Blicke auf sie, „du warst wohl noch nie in der HafenVokü?“, etwa 35 Jahre alt, die Bartstoppeln verbergen kaum die kleine Hasenscharte, Heini spricht sie an, langer, weiter Pullover, selbstgestrickt? „Schwester? Aja. Willi ist nicht da, hab ich deiner Mutter schon erzählt.“ „Mein Bruder ist tot.“ Keine weiteren Erklärungen, keine Fragen. Heinis tiefer, entrückter Blick starrt sie an aus dunkel geränderten Augen, beide starren sich an, wortlos, prüfend. „Willi war mit Franzi zusammen, die ist vielleicht oben.“

„Oben“ ist nebenan im zweiten Stock, die Treppen hoch, auf der etliche Dinge liegen, die womöglich dem einzigen Zweck dienen, das Treppensteigen zu erschweren. Fast stolpert Hanna, um dann doch verwundert die geöffneten Wohnungstüren zu bemerken, als gebe es hier kein Privatleben. Auch die Zimmertüren in der Wohnung stehen offen. In einem Zimmer mit Blick auf die Elbe und das Dock 10 von Blohm und Voß krümmt sich auf einer am Boden liegenden Matratze auf zerwühltem Bettzeug eine junge Frau, Franzi, halbseitig rasierter Kopf, halblange glatte grünblaue Haare, bekifft. „Was weißt du? Warum war mein Bruder dort? Rede mit mir! Wieso auf dem Dachboden meines Nachbarhauses? Warum war er nicht zu mir gekommen?“ Da ist kein Weinen bei Franzi, nur Lethargie. „Rede mit mir!“ und packt sie an der Schulter, „was hat er da gemacht?“ Schreit sie an, schüttelt sie. Willi sei ständig unterwegs gewesen, sprudelt es plötzlich aus Franzi, und wenn er dann mal da war, habe er zuletzt fast nur gelesen in geklauten Zeitungen und Zeitschriften und Artikel rausgeschnitten und in einen Ordner geklebt. Er sei an einer großen Sache dran, habe er dann immer gesagt, das wollte er sowieso immer, was Großes. Der dicke Ordner da auf dem Tisch, alles voll mit Kosovo, mit Albaner, mit Gashi, du weißt doch, über den manchmal berichtet wird, der mit den Brüdern, die alle Dreck am Stecken haben, nein, warum soll er denn den Brand gelegt haben, kann er doch gar kein Interesse gehabt haben, selbst wenn das Haus dem Gashi gehört und dort Schweinereien passieren, kannst ja den Ordner mitnehmen oder was du willst, tut mir leid, war schön mit Willi.

*