Wie viele Level hat dein Leben? - Werner Färber - E-Book

Wie viele Level hat dein Leben? E-Book

Werner Färber

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Beschreibung

Christopher liebt das Online-PC-Spiel "Isle of Magic". In der virtuellen Welt vergisst er alles um sich herum, vor allem den Stress mit seinen Eltern und Lehrern. Doch die Zeit vorm PC nimmt überhand, das reale Leben spielt nur noch eine Nebenrolle - sogar für seine Freundin Katharina hat Christopher kaum mehr Zeit. Als seine Leistungen in der Schule abrutschen und ihn seine Freundin vor die Wahl stellt, muss Christopher sich entscheiden ...

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Seitenzahl: 66

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2015Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2011 Ravensburger Verlag GmbHUmschlaggestaltung: dieBeamten.de/Anja Langenbacher und Reinhard Raich unter Verwendung eines Fotos von plainpicture/Stephen Webster Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN978-3-473-47698-5www.ravensburger.de

Im Rahmen meiner Recherche möchte ich mich bei den Mitarbeiter/innen der Sucht- und Drogenberatungsstelle Wedel, einer Einrichtung von therapiehilfe e.v., für die mir entgegengebrachte Geduld und fachliche Unterstützung bedanken!

Christopher verstärkt den Beinschlag. Noch fünf Bahnen, dann hat er die vierzig voll. Das ist sein Morgenpensum vor der Schule. Dreimal pro Woche. Obwohl die Muskeln längst brennen, zieht er die Arme noch immer sauber unter seinem Körper durch. Stilistisch hat er sich verbessert. Vor allem beim Kraulen. Neulich hat ihn sein Trainer, Herr Strasser, vorschwimmen lassen, um den anderen einen Bewegungsablauf zu erläutern. Das war das erste Mal, dass er Christopher ins Wasser geschickt hat, damit die Kollegen vom Beckenrand aus zuschauen können. Beim nächsten Atemzug dreht Christopher den Kopf etwas weiter als nötig und wirft einen Blick auf die Wanduhr. Eigentlich müsste er längst in der Umkleidekabine sein. Trotzdem. Weiter. Atemzug unter dem angewinkelten linken Arm, kräftiger Zug unterm Brustkorb durch, abtauchen, Rolle vorwärts, abstoßen, Delfinbewegungen während der Tauchphase, auftauchen, atmen unterm linken Arm, Beinschlag, Armzug.

Bevor er die 2000 Meter nicht voll hat, wird er das Becken nicht verlassen. Sonst gibt’s Zoff. Noch vier Bahnen. Was die Einhaltung des Pensums angeht, versteht Herr Strasser keinen Spaß. In Sachen Pünktlichkeit ist der Coach noch schlimmer. Und diese Woche hat es Christopher gleich zweimal geschafft, eine Viertelstunde zu spät zu kommen. Nur weil sein Paps es nicht gebacken bekommt, den Wecker zu stellen. Seine Ma musste für ein paar Tage zu seinen Großeltern, um den alten Leutchen ein bisschen zu helfen. Christopher bleibt im Wasser, bis er die 2000 Meter voll hat. Stress mit Strasser ist einfach übel. Da ist es klüger, man haut ordentlich rein, um ihn positiv zu stimmen. Vor Beginn der ersten Stunde noch schnell die Hausaufgaben abzuschreiben, wird heute kaum noch möglich sein. Aber was ist wichtiger: die Meisterschaft oder die Hausaufgaben? Da muss Christopher nicht lange überlegen. Dieses Jahr will er aufs Podest. Koste es, was es wolle. Noch drei Wenden. Atemzug unter dem angewinkelten linken Arm, kräftiger Zug unterm Brustkorb durch, abtauchen, Rolle vorwärts, abstoßen, Delfinbewegungen während der Tauchphase, auftauchen, atmen unterm linken Arm, Beinschlag, Armzug. Endspurt. Wenn schon, dann richtig. Ordentlich powern. Nach der letzten Bahn schießt Christopher aus dem Wasser wie ein Seehund, schnappt sich sein Handtuch von der Wärmebank und braust sich unter der Dusche kurz das Chlorwasser vom Leib. Schon wenige Minuten später schwingt er sich aufs Fahrrad und kachelt die Treppen hinunter. Wozu hat er ein Mountainbike? Um den Serpentinenweg für Kinderwagen und Rollifahrer zu benutzen? Auch nach 2000 Metern Kraul tritt er noch kraftvoll in die Pedale. Triathlon wäre auch noch was für ihn. Irgendwann auf Hawaii am Ironman teilnehmen. Aus der Ferne sieht er Katharina in der Schule verschwinden. Auch sie ist ganz schön spät dran. Dabei hat sie ihm gestern versprochen, früher zu kommen, damit er von ihr noch Mathe abschreiben kann. Er schließt sein Rad an und startet Triathlon-Disziplin Nummer drei: Laufen.

„Hey, Katharina!“, ruft er und fängt sie vor der Tür des Klassenzimmers ab.

„Sorry, hab verschlafen“, sagt sie.

„Schon okay“, antwortet er großzügig. „Ich doch auch. Hast du Mathe?“

„Ich nicht“, antwortet sie lachend. „Aber du.“

Dieser Blick! Diese Augen! Wasserblau. Und strahlend. Und so klar. Am liebsten würde er darin eintauchen und 2000 Meter schwimmen. Wenn’s sein muss, auch 2000 Bahnen. Strahlt Katharina alle so an? Oder nur ihn? Christopher weiß es nicht. Er sollte mal genauer darauf achten, wie sie andere ansieht. Das hat er sich schon oft vorgenommen. Aber irgendwie ist er in ihrer Anwesenheit immer abgelenkt. So wie jetzt. Deshalb kapiert er auch nicht, was sie gerade gemeint haben könnte.

„Hä?“

„Wenn hier jemand Mathe hasst, bist das wohl du.“ Sie öffnet lachend ihre Tasche.

„Autsch!“, kommentiert er ihr Brechstangen-Wortspiel. Manchmal übertreibt sie es mit ihren Spitzfindigkeiten. Solange sie ihn jedoch weiterhin so anstrahlt wie in diesem Augenblick, kann Christopher ihr locker verzeihen. Er greift nach ihren Arbeitsblättern. Sie hält sie fest.

„Mach mal wieder selber was“, sagt sie mahnend. „Sonst kapierst du wirklich bald gar nichts mehr.“

Christopher blickt theatralisch zur Decke. „Ja, Mutti.“ Reicht es nicht, dass ihm seine Eltern die momentane Abwärtskurve seiner Schulnoten ständig unter die Nase reiben?

„Echt jetzt, Christopher. Letztes Schuljahr hab ich noch von dir abgeschrieben.“

„Nicht in Mathe.“

„Weil du Mathe hasst.“

„Das kannst du so nicht sagen“, widerspricht Christopher.

„Ach?“

„Eigentlich liegt es viel mehr am Henker und nicht am Fach.“ Christopher ist sich sicher, dass der Mathelehrer, der in Wirklichkeit Henkel heißt, nicht nur ihm allen Bock auf Mathe nimmt.

„Wenn es nur Mathe wäre“, sagt Katharina zögernd und blickt ihm noch tiefer in die Augen. Sie ist ungefähr einen Kopf kleiner als er. Wenn sie ihn so von unten herauf ansieht, könnte Christopher wahnsinnig werden. Und die Arbeitsblätter lässt sie noch immer nicht los. „Dieses Jahr hängst du fast in allen Fächern durch. Gibt’s einen Grund?“

Christopher weicht ihrem Blick aus und starrt auf die kahle Betonwand des Schulflurs. Weiß sie nicht, wann sie mit ihrer Fragerei aufhören muss?

„Bin eben platt. Vom Training. Du weißt doch, wie das ist.“

Katharina nickt. Obwohl sie eines der größten Talente des Mädchenteams gewesen ist, hat sie vor etwa einem halben Jahr das Schwimmtraining geschmissen.

„Deshalb hab ich doch aufgehört. War mir einfach zu viel.“

„Mir aber nicht. Ich will aufs Podest“, sagt Christopher. „Was ist jetzt mit Mathe? Gibst du’s mir oder nicht?“, versucht er es versöhnlicher und schaut sie wieder an. Ihre Augen wirken gar nicht mehr so wasserblau. „Komm schon, sonst schaff ich es nicht mehr, bis der Henker kommt.“

„Wie heißt das Zauberwort mit fünf Buchstaben?“

Christopher grinst. „Flott?“

Katharina schüttelt den Kopf, ihr Strahlen kehrt zurück.

„Dalli?“, fragt er. Sein Blick ist fest mit ihrem verschweißt. Seine Magengrube glüht. Sie zieht die Arbeitsblätter zurück, rollt sie zu einer Röhre zusammen, gibt ihm einen Klaps auf den Kopf und hält sie ihm hin.

Er schnappt sich die Blätter. „Danke, Mutti.“

„Hör auf mit Mutti“, antwortet sie. „Was ich gesagt habe, meine ich wirklich ernst.“

Er haucht noch ein fast tonloses „Sorry“.

Sie gehen ins Klassenzimmer und er setzt sich an seinen Platz, um die Aufgaben abzuschreiben. Christopher hat Glück: Henker lässt ihm genügend Zeit. Er kommt nämlich ebenfalls zu spät.

Zwei Tage darauf ist Christophers Mutter zurück und er kommt wieder pünktlich aus den Federn.

„Geht doch“, wird er von Herrn Strasser knurrig begrüßt. Gute Laune ist für ihn ein Fremdwort.

Heute ist Sprinttraining angesagt. Volles Tempo über 50 Meter. Raus aus dem Wasser, kurze Erholungsphase auf dem Rückweg zum Start und erneut volles Tempo auf der nächsten Bahn. Am Ende ist Christopher so platt wie schon lange nicht mehr. Aber dafür hat er heute genügend Zeit, um in Ruhe zu duschen. Nach Katharinas Mahnung hat er gestern tatsächlich alle Hausaufgaben selbst erledigt. Das heißt nicht, dass er vorhätte, zum Streber zu mutieren. Er will lediglich Katharina ein wenig beeindrucken. Weil er nicht einmal Mathe abschreiben muss, kann er sich zur Abwechslung den Luxus leisten, einen Föhn zu benutzen. Ist auch besser so. Es ist nämlich noch mal saukalt geworden. Nach dem Kälteeinbruch der vergangenen Nacht mussten die Autofahrer sogar Eis von den Scheiben kratzen. Da sollte man die Schwimmhalle lieber mit trockenen Haaren verlassen. Das Letzte, was Christopher während der Aufbauphase braucht, ist eine Erkältung.

„Du hast wohl noch nicht mitbekommen, dass Iro total out ist“, lästert ein Schwimmkollege, als er sieht, wie sich Christopher vor dem Spiegel abmüht, aus seinen Stoppelhaaren eine halbwegs vernünftige Frisur zu modellieren. „Sieht doch voll scheiße aus, Mann.“

„Halt dich geschlossen, ja!“, giftet Christopher.