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„Wenn ich mal Mutter bin, mache ich alles anders!“ – „So wie mein eigener Vater will ich als Papa nie sein!“ – Viele Eltern haben Sorge, dass sie als Mutter oder Vater nicht so sein können, wie sie es sich wünschen. Was, wenn die Erziehungshaltung der eigenen Eltern oder die dort erlebten Rollenmuster und Verhaltensweisen sich ungewollt einschleichen? Wie kann man sich davon freimachen und einen eigenen Erziehungsstil finden? Wie erkennt man seine Trigger und befreit sich von Schutzstrategien und hemmenden Glaubenssätzen? In ihrem neuen Ratgeber zeigt Ulla Nedebock den Weg zu einer authentischen Erziehungshaltung, die auch durch schwierige Phasen hilft und Basis für eine tragfähige Eltern-Kind-Beziehung ist.
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Seitenzahl: 249
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Ein Buch für Mütter, Väter, Großeltern, Erzieher*innen und Betreuer*innen
Dieses Buch hat eine lange Geschichte
Elternsein ist eine Herausforderung – und ein Geschenk
Blick zurück
Starke Gefühle heute und früher
Eltern, ein Beruf ohne Ausbildung
Deine Kinder erinnern dich an deine Kindheit
Du willst es besser machen
Die Schatten der Vergangenheit
Schuldgefühle bringen dich nicht weiter
Du kannst nur gewinnen, sei mutig
Bau jetzt ein Fundament für eure Familie
Du machst es viel besser, als du denkst
In der Perfektionismusfalle
Bewerten ist vergeudete Lebenszeit
Sich vergleichen frisst Energie
Glaubenssätze aufspüren
Selbstschutzstrategien durchschauen
Den Blick auf das Positive richten
Du kannst deine Muster ändern
Was sind gute Eltern?
Behalte das Gute, probiere Neues aus
Eltern, zwei Menschen mit Vergangenheit
Familienrituale pflegen
Sich selbst reflektieren
Als Mutter und Vater souverän sein
Erziehung, Beziehung und Regeln gestalten
Deine Kinder fordern dein inneres Kind heraus
Du kannst entscheiden
Die 5 Bausteine für mehr Vertrauen und weniger Streit
BAUSTEIN 1: Hab Vertrauen in dein Kind
Selbstschutz: Ich muss alles im Griff haben
So stellst du dich deiner Angst
Klammern ist nicht gleich beschützen
Die Balance zwischen Loslassen und Führen
So unterstützt du dein Kind und wächst mit
Gemeinsam eine Lösung finden
An das Gute glauben
Das Selbstbewusstsein stärken
Aus Folgen lernen lassen
Wiedergutmachung statt Strafe
BAUSTEIN 2: Sei da, sei zuverlässig, sei echt
Selbstschutz: Ich bleibe Teenager
Eine gute Beziehung geht nicht mit Abstand
Nähe zulassen und genießen
Die Erwartungen der anderen stressen
Du kannst frei sein und zuverlässig
Wachsam sein, ohne zu kontrollieren
So kannst du eure Beziehung reparieren
Der Mittelweg zwischen echt und ehrlich
Verletzlichkeit und Frust sind okay
Niemand kann immer glücklich sein
BAUSTEIN 3: Nimm dein Kind als einen besonderen Menschen an
Das Kind als Projekt
Selbstschutz: Ich genüge nicht
Kein schlechtes Gewissen machen
Schubladen schaden der Persönlichkeit
So wertschätzt du dein Kind
Es gibt Gefühle, die du nicht willst
Das Herz rast, die Brust wird eng
Mitfühlen, aber nicht mitleiden
So begleitest du dein Kind, wenn es traurig ist
Es gibt keine falschen Gefühle
BAUSTEIN 4: Setze Grenzen und löse Konflikte gut
Trotzphase und Pubertät sind stressige Zeiten
Selbstschutz: Ich sorge für gute Stimmung
Alle Gefühle sind okay und wichtig
So begleitest du dein Kind durch einen Wutanfall
Streit ist nicht angenehm, aber wichtig
Widerstand einkalkulieren
Deine Kinder haben erwachsene Eltern verdient
Nicht „nicht schimpfen“ reicht nicht
Glaubenssatz: Ich bin nicht wichtig
So setzt du klare Grenzen
BAUSTEIN 5: Bleibe flexibel und wachse mit
Selbstschutz: Ich muss die Kontrolle behalten
Kinder stellen deine Werte in Frage
Rechthaberei ist kein guter Weg
Eltern-Weisheiten machen unflexibel
Aus der Streit-Schleife aussteigen
Offen miteinander redden
Ein Netzwerk für die Erziehung
Konfliktthema Unordnung
Kontrollstreben ist ein Schutz
So vermeidest du Drohungen und Strafen
Deine Familie heute und morgen
Positive Glaubenssätze
Wir sind hier, um zu lernen
Was andere Eltern sagen
Wie willst du später leben?
Wenn die Kinder erst mal aus dem Haus sind, dann …
Die Loslösung
Rollentausch mit den eigenen Eltern
Die Reise geht weiter
Hinfallen, aufstehen, Krönchen richten, weitergehen …
… und wachsen
Ein Dank an meine Reisebegleiter
Bücher und Webseiten zum Weiterlesen
Die meisten Ratgeber für Eltern werden von Müttern gekauft, zumindest gilt das für Deutschland. Doch selbstverständlich richtet sich dieses Buch genauso an Väter sowie Großeltern und andere Menschen, die Kinder betreuen. Jede und jeder wird davon profitieren, wenn sie oder er sich Gedanken darüber macht, wie eine gute und beständige Beziehung zu Kindern gelingen kann. Bedauerlicherweise leidet die Lesbarkeit, wenn man korrekt gendert, und ich bitte um Verständnis dafür, dass ich der leichteren Lesbarkeit wegen nicht durchgehend gendere. Bitte fühl dich einfach mit angesprochen.
Ich versuche, sie kurz zu machen, versprochen. Als ich das erste Mal Mutter wurde, habe ich mir wenig Gedanken darüber gemacht, was das bedeutet. Ich habe mich darauf gefreut, dass mit unserem Baby etwas schönes Neues beginnen würde für meinen Mann und mich. Dass dies zeitweise herausfordernd werden würde, gehörte einfach zum Paket dazu. Und ja, es wurde herausfordernd, und ja, es wurde schön.
Inzwischen ist dieses erste Kind über 20 Jahre alt, und ihre zwei Schwestern sind auch schon ziemlich groß. Über die Jahre habe ich gemerkt, dass „Mutter sein“ mich verändert hat. Immer wieder bin ich mitgewachsen mit meinen Kindern. Das hatte ich so nicht erwartet. Kinder entwickeln sich, das weiß man ja, aber dass ich auch wachsen musste, wenn unsere Beziehung stabil und innig bleiben sollte, das war mir nicht klar.
Heute weiß ich, dass es genau so sein muss. Kinder wachsen, und wir als Eltern auch. Das ist eine Herausforderung und gleichzeitig ein Geschenk. Das Lernen hört nie auf.
Ich wünsche dir viel Freude beim Lesen!
Warum benehme ich mich so und nicht anders im Familienleben? Und wie könnte es besser gehen? Warum regen mich manche Sachen bei meinen Kindern maßlos auf? Merke ich überhaupt, was da gerade abläuft? Welche Rolle spielen meine eigene Erziehung und mein Elternhaus dabei? Warum will ich manches unbedingt „besser“ machen? Um all das geht es in diesem Buch und ich hoffe, du hast eine Menge Aha-Erlebnisse und findest Antworten auf Fragen, die dich beschäftigen.
Bestimmt gibt es Situationen, in denen du wie ein wildgewordenes Kaninchen reagierst. Dann erkennst du dich selbst kaum wieder in dem, was du sagst und was du tust. Hinterher tut es dir leid, du ärgerst dich über dich selbst und hast ein schlechtes Gewissen. Meistens passiert es, wenn man nicht weiterweiß. Beobachte dich das nächste Mal, wenn du nicht mehr normal redest, sondern laut wirst. Sagst du Sachen, die du nie sagen wolltest? Reagierst du heftiger, als du es eigentlich möchtest? Oder machst du es wie deine Mutter oder dein Vater? Tatsächlich ist es so: Wenn wir uns in die Enge getrieben fühlen, fallen wir – unbewusst – in Verhaltensmuster zurück. Das sind oft sehr alte Muster. In ruhigen Momenten sind wir uns klar darüber, dass sie nicht gut sind, aber reflexartig flüchten wir uns hinein, weil uns in stressigen Moment keine Alternativen zur Verfügung stehen. Wir sind in der Situation gefangen und können irgendwie nicht anders. Doch du wirst sehen: Es geht anders und du kannst das schaffen.
In welchen Situationen jemand mit einem Muster reagiert, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Vielleicht kommt dir eine der folgenden Situationen bekannt vor? Dein Sohn kommt nach Hause, schmeißt im Flur die Jacke auf den Boden und verzieht sich in sein Zimmer. Du hörst das und brüllst ihm etwas nach, so wie fast jeden Tag. Oder deine Tochter traut sich schon wieder nicht, das Eis selbst zu bestellen. Oder dein Partner zieht die Augenbrauen hoch, genau wie dein Vater, wenn du etwas erzählst.
Wenn so etwas passiert, löst das ein Gefühl aus. Das passiert einfach so, darüber denkst du in diesem Moment nicht nach. Dieses Gefühl ist stark und negativ, du willst es nicht haben. Deshalb fällt deine Reaktion heftig aus, viel heftiger, als der Anlass es verdient hat.
Das klingt jetzt vielleicht so, als wollte ich dir deswegen einen Vorwurf machen. Das will ich sicher nicht. Erstens machen wir das alle, und zweitens geht es in diesem Buch nicht darum, dir ein schlechtes Gewissen zu machen. Im Gegenteil, ich hoffe, das Buch macht dir das Leben leichter. Denn ich stelle dir verschiedene Strategien vor, wie du es schaffst, Verhaltensmuster zu bemerken und abzulegen. Du wirst nach und nach erkennen, was solche Reaktionen auslöst, und du wirst herausfinden, wie du anders, angemessener, reagieren kannst. Du wirst sehen, dass es bessere Wege gibt mit kleinen und großen Problemen in der Familie umzugehen als manche, die du bisher gegangen bist. Gleichzeitig wirst du feststellen, dass du vieles sehr gut meisterst. Das alles hat viel damit zu tun, wo du herkommst und das hast du dir nicht ausgesucht. Aber du kannst wählen, wo es in Zukunft hingehen soll. Egal, wie deine Kindheit und Jugend verlaufen ist, du kannst jeden Tag neu entscheiden, wie du Familie leben möchtest.
Damit sind wir schon mitten im Thema: Die meisten unserer Verhaltensmuster stammen aus unserer eigenen Kindheit. Darum schauen wir in diesem Buch auch zurück Wie war das bei dir früher? Wie bist du erzogen worden? In welchem Umfeld bist du aufgewachsen? Wer hat dich früher getröstet, wenn du traurig warst? Was fandest du immer unmöglich? Mit wem konntest du immer so viel lachen? Was war wichtig in deinem Elternhaus? Und schließlich: Wie kannst du mit all diesem Wissen zu dem Vater, zu der Mutter werden, die du sein möchtest?
Du findest in diesem Buch Geschichten von Vätern und Müttern, die es, so wie du, gut machen wollen mit ihren Kindern, und die, so wie du, manchmal merken, dass es gerade nicht rund läuft. Die Beispiele drehen sich um kleine und große Kinder und du wirst dich beim Lesen hier und da wiedererkennen. Es sind Geschichten aus dem ganz normalen Familienalltag, der gelegentlich große Herausforderungen an uns alle stellt. Ich möchte dir zeigen, dass du nicht allein bist und dass es machbare und sinnvolle Wege gibt, sich als Elternteil souverän zu verhalten, die Beziehungen in der Familie zu stärken und gemeinsam als Familie zu wachsen.
In allen Kapiteln gibt es Checklisten und Kästen, die zur Orientierung dienen, in denen ich etwas kurz zusammenfasse und zu denen du bei Bedarf mal schnell vor- oder zurückblättern kannst. Außerdem gibt es Kästen mit Fragen, und ich hoffe, du hast Spaß daran, dich dabei noch besser kennenzulernen.
DIESES BUCH PASST ZU DIR, WENN …
• du dich nicht mehr so oft über dich selbst ärgern willst
• du nicht mehr mit schlechtem Gewissen von der Kita wegfahren willst
• du nicht mehr so häufig schreien und drohen willst, wenn es Streit gibt
• du dich besser auf deine verschiedenartigen Kinder einstellen willst
• du möchtest, dass deine Kinder zu eigenständigen Persönlichkeiten heranwachsen
• du besser mit den Gefühlen deiner Kinder umgehen willst
• du wissen willst, wie du Beziehungen reparieren kannst
• du besser mit deinen eigenen Gefühlen umgehen willst, die in bestimmten Erziehungssituationen aufploppen
• du eine tiefe Verbindung mit deinem Kind aufbauen willst
Kurz: Dieses Buch passt zu dir, wenn du etwas daran ändern willst, wie du mit deinen Kindern umgehst und wie sie mit dir umgehen.
Wir wissen es eigentlich, aber wir machen uns nicht so oft Gedanken darum: Die ersten Jahre unseres Lebens sind prägend. So entstehen in der Kindheit Glaubenssätze, also Überzeugungen, die wir von wichtigen Bezugspersonen, hauptsächlich den Eltern, aber auch von Lehrern, Geschwistern oder anderen für uns wichtigen Menschen übernehmen. Solche Glaubenssätze beeinflussen unser Denken, Fühlen und Verhalten. Sie sind in großem Maße dafür verantwortlich, wie sehr wir mit uns und unserem Leben zufrieden sind und was uns wichtig ist. Sie sind dafür verantwortlich, wie wir uns und andere Leute bewerten und auf Ereignisse reagieren. Mit Glaubenssätzen sind oft starke Emotionen verbunden, die zu bestimmten Verhaltensmustern führen. Diese Verhaltensmuster sind, kurz gesagt, Strategien, um mit Gefühlen klarzukommen. Und wir brauchen solche Strategien, denn wir fühlen andauernd etwas, wenn wir mit anderen Menschen zu tun haben und etwas erleben.
All das, was wir aus unserer Kindheit und Jugend mitgenommen haben, all diese Prägungen und Überzeugungen werden in der Psychologie als das innere Kind bezeichnet. Wir haben es immer dabei, wir sind uns dessen nur nicht bewusst.
Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich glaube, dass es uns weiterbringt, sich mit den Prägungen aus der Kindheit zu beschäftigen. Einfach deswegen, weil wir uns dabei weiterentwickeln, Ballast abwerfen und das Leben noch mehr genießen können.
Wenn wir dann selbst Eltern werden, ist das innere Kind immer noch dabei. Nur weil wir jetzt „Papa“ oder „Mama“ heißen, bedeutet das ja nicht, dass wir das innere Kind irgendwo zwischen schwanger werden und Geburtstermin abgelegt hätten. Und dann – das hast du sicher auch bemerkt – werden auch die Erziehungsmethoden der eigenen Eltern interessant. Denn häufig übernehmen wir diese, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Oder wir lehnen bestimmte Methoden ab und versuchen bewusst, das Gegenteil zu machen.
Du siehst, da gibt es eine Menge zu entdecken. Es lohnt sich, dein inneres Kind kennenzulernen und mehr über dich zu erfahren. Wenn dir das zu „psychomäßig“ klingt, ist das vollkommen okay. Dann lies einfach mal weiter und schau, ob dir hin und wieder jemand begegnet, den du wiedererkennst.
Von außen betrachtet reagierst du in schwierigen Momenten auf das Verhalten deines Kindes, deines Partners oder eines anderen Menschen. Aber oft ist nicht das, was sich vor dir abspielt, für deine Reaktion verantwortlich, sondern das Geschehen löst bestimmte Gefühle in dir aus, die vielleicht gar nicht so recht dazu passen. Doch sie bringen dich dazu, auf eine bestimmte Weise zu reagieren. Es gibt also einen Auslöser, einen Reiz, der dich in ein starkes Gefühl hineinkatapultiert. Diesen Auslöser nennt man auch Trigger – bestimmte Themen und Situationen triggern eine Reaktion. Im Folgenden findest du einige Beispiele dafür, wie wir auf eine alltägliche Situation unangemessen reagieren, weil sie uns antriggert.
• Dein Kind weint, du findest das übertrieben und sagst: „Stell dich nicht so an!“
• Beim gemeinsamen Abendessen gibt es Streit. Du sagst gar nichts mehr, du fühlst dich hilflos und klein.
• Im Supermarkt zischst du dein Kind wütend an: „Du legst das jetzt sofort zurück, sonst knallt’s!“
• Eure Tochter will sich für das Familienfest nicht „anständig“ anziehen. Deine Partnerin kann sich gar nicht beruhigen und schreit durchs Treppenhaus.
• Dein Kind will nicht teilen und du schimpfst: „Mit dir muss man sich ja schämen.“
• Das Zeugnis deines Kindes ist nicht ganz so gut wie im letzten Jahr und du kommentierst: „Von dir hätte ich mehr erwartet!“
• Eure Kinder werfen sich beim Abendessen unappetitliche Schimpfworte an den Kopf. Dein Partner steht wortlos auf und isst in der Küche weiter.
• Das Fußballtraining macht deinem Kind keinen Spaß mehr. Du sagst: „Tu es für mich!“ oder: „Du enttäuscht mich!“
• Dein großes Kind wird laut. Du erschrickst und entschuldigst dich.
• Dein Kind hat gezockt, anstatt Hausaufgaben zu machen, und du schimpfst: „Du raubst mir den letzten Nerv. Für die nächsten zwei Wochen hast du Computerverbot!“
Ich sage es noch mal: Es geht nicht darum, dass du dich jetzt schlecht fühlst, weil du dich vielleicht hier und da wiedererkennst. Es geht darum, in Zukunft anders, nämlich wertschätzend und angemessen zu reagieren. Denn aus solchen Situationen entstehen oft unschöne – und unnötige – Konflikte, die eure Beziehungen mit dem Partner und mit den Kindern belasten. Das veranschaulicht die folgende Episode aus dem Familienalltag. Ein kurzer Wortwechsel zwischen Eltern löst eine Kettenreaktion aus. Von jetzt auf gleich ist die Ausflugsstimmung gekippt und alle haben schlechte Laune.
DU HÖRST DICH AN WIE DEINE MUTTER
Beim Einsteigen ins Auto sagt Tom zu seiner Frau mit einem Grinsen im Gesicht: „Du hörst dich an wie deine Mutter.“ „So ein Schwachsinn“, protestiert Nina vehement, „du siehst doch, dass Lukas sich nicht anschnallen lassen will. Da werde ich doch wohl mal was sagen dürfen.“ „Schon, aber du musst ja nicht gleich damit drohen, dass es sonst heute kein Eis im Park gibt“, meint Tom. „Sicher, du kannst das natürlich alles besser“, schnauzt Nina ihn an, „dann mach du doch.“
Seltsamerweise kenne ich niemanden, der bei der Bemerkung „Du hörst dich an wie deine Mutter“ erfreut aufsieht und sagt: „Oh, das ist schön!“ Stattdessen gehen die meisten Frauen in die Luft. Diese Bemerkung triggert etwas. Das liegt natürlich daran, dass dieser Satz eigentlich immer benutzt wird, um jemanden zu kritisieren. Er ist das, was man gemeinhin ein Totschlagargument nennt. Trotzdem spielt da noch etwas anderes eine Rolle: Die meisten Mütter, die ich kenne (egal, ob sie ein gutes oder ein schlechtes Verhältnis zu ihren eigenen Müttern haben), fühlen sich dadurch mit ihrer Mutter in eine Schublade gesteckt. Und zwar in die Schublade mit all den Verhaltensweisen, die sie an ihrer Mutter nicht mochten oder mögen. Der Spruch ist zwar unfair, aber er zeigt uns auch etwas. Wir wollen uns von den negativen Erfahrungen aus unserer Kindheit abgrenzen, wollen es „besser“ machen oder zumindest anders.
Wenn Tom und Nina aus dem Beispiel verstanden haben, was beim anderen abläuft, könnten beide sich das nächste Mal anders verhalten. Tom könnte den provozierenden Seitenhieb auf die Schwiegermutter unterlassen und stattdessen gleich sagen, dass er die Drohung mit dem Eisverbot nicht sinnvoll findet. Nina könnte sich Gedanken darüber machen, warum der Satz „Du hörst dich an wie deine Mutter“ sie so wütend macht. Für sie ist es demnach wichtig, sich zu überlegen, wie es ihr gelingt, Lukas vor dem Losfahren anzuschnallen und gleichzeitig ruhig und souverän zu bleiben. Denn offensichtlich fühlt sie sich in diesem Moment in ihrer Rolle als Mutter angegriffen, von ihrem Sohn und von ihrem Mann.
Du hast dieses Buch gekauft, weil du nicht so ganz zufrieden bist mit deiner „Performance“ als Mutter oder Vater, das nehme ich jetzt mal so an. Okay, du machst also manchmal Sachen, die du nie machen wolltest, und sagst Sätze, die du nie sagen wolltest. Das macht dich sympathisch. Eltern sind auch nur Menschen. Aber wahrscheinlich fändest du es gut, diese Dinge würden dir seltener passieren. Damit du zu der Mutter oder dem Vater werden kannst, wie du es dir wünschst, hilft es, zu durchschauen, wie deine Kindheit dich geprägt hat. Keine Sorge, ich habe nicht vor, deine Kindheit mit dir „aufzuarbeiten“. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass man gute und schlechte Sachen aus der Kinder- und Jugendzeit mit sich herumträgt. In der Psychologie spricht man, wie vorhin erklärt, von Prägungen.
In der Tabelle findest du eine Reihe von Aussagen. Lies sie durch und entscheide ganz spontan, ob du der jeweiligen Aussage zustimmst oder ob du sie ablehnst. Kreuze dementsprechend Ja oder Nein an. Manchmal weißt du möglicherweise nicht gleich, was du ankreuzen sollst. Dann schau mal, ob du schneller atmest oder ob du ein Engegefühl hast, vielleicht auch ein Druckgefühl im Bauch. Wichtig ist, dass du schnell und sozusagen aus dem Bauch heraus entscheidest, ob du eher bei Ja oder bei Nein bist.
Prägungen aus der Kindheit
JA
NEIN
Ich mag keinen Streit.
Familie muss zusammenhalten.
Mir hat auch keiner geholfen.
Wenn ich es nicht mache, macht es keiner.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.
Du bist deines Glückes Schmied.
Wir sind füreinander da.
Ich fühle mich verantwortlich.
Ich mach mir Sorgen, wie das Kind zurechtkommen soll.
Mutig aufzustehen ist wichtig.
Es ist okay, anders zu sein.
Immer muss man erst schimpfen.
Alle trampeln auf mir rum.
Streiten kann man lernen.
Familie zu haben ist wunderbar.
Man kann schließlich nicht alles haben.
Ich verstehe nicht, von wem das Kind das hat.
Ohne mich geht hier alles den Bach runter.
Ich schaff das schon.
Alles hat einen Sinn.
Immer dieses Genöle, das nervt.
Jeder Mensch ist einzigartig.
Wir haben alle unsere Macken.
Bei uns zu Hause gab’s sowas nicht.
Ich bin stolz auf mein Kind.
Lachen und Weinen, beides ist wichtig.
Ich habe kein Recht, mich zu beklagen.
Reden hilft.
Lies dir in Ruhe durch, bei welchen Sätzen du spontan Ja angekreuzt hast. Überrascht dich das an der einen oder anderen Stelle? Oder gehören einige davon zu deinem Alltag?
Sich der eigenen Prägungen bewusst zu werden ist der erste Schritt, um nur das Gute zu behalten. So kannst du dich von nicht so guten Erziehungspraktiken deiner Eltern verabschieden, die in der Beziehung zu deinen eigenen Kindern nichts zu suchen haben. Du kannst deine Verhaltensmuster ändern, die auf alten Glaubenssätzen beruhen. In diesem Buch schlage ich dir dafür verschiedene Strategien und Lösungen vor.
Elternsein hat viel mit Learning by Doing zu tun. Aber wir schauen uns natürlich vieles ab und machen es nach. Es ist sinnvoll, die vielen guten Sachen, die du als Baby, Kind und Jugendliche in deinem Elternhaus erleben durftest, weiterzugeben. Genauso sinnvoll ist es, sich mit den nicht so guten Sachen zu beschäftigen und darauf zu achten, sie nicht weiterzugeben.
Wenn wir uns nicht mit unserer Vergangenheit beschäftigen, kann uns das im Alltag im Weg stehen. Mir ist wichtig, klarzumachen, dass es hier nicht um eine therapeutische Aufarbeitung von schweren Kindheitstraumata geht, dafür gibt es hervorragende Psychotherapeuten und Psychologen. Ich gehe bei meinem Buch davon aus, dass du eine „normale“ Kindheit hattest, aus der du gute und schlechte Erfahrungen mitgenommen hast, aber keine traumatischen. Falls doch, dann freue ich mich natürlich, wenn du dieses Buch liest und es dich weiterbringt, aber betrachte es nicht als Ersatz für eine Therapie, sondern suche dir bitte professionelle Hilfe.
Wenn du selbst Mutter oder Vater wirst, kommst du in kritischen Momenten der Kindererziehung mit einem Teil von dir in Kontakt, den du sorgsam weggesperrt hast. Denn wir haben gelernt, uns vor bestimmten Gefühlen zu schützen – Angst, Eifersucht, Bedürftigkeit, Verzweiflung, Einsamkeit, Wut. In manchen Situationen bedroht das Verhalten unseres Kindes unseren Schutzpanzer gegen diese Emotionen. Ja, wir legen uns tatsächlich alle einen Schutzpanzer zu. Manche von uns verstecken sich dahinter und wünschen sich, dass alles schnell vorübergeht. Andere halten ihn kampfbereit vor sich und gehen zum Angriff über. Warum machen wir das? Weil wir fürchten, unangenehme Gefühle wieder zu spüren, die wir als Kind hatten. Deswegen wollen wir uns lieber nicht in die Gefühle unseres inneren Kindes einfühlen und greifen auf ein Muster zurück. So ein Muster ist eine Flucht vor Emotionen, die uns aus dem Gleichgewicht werfen könnten.
Vernunft ist da eine bewährte Möglichkeit. Wir haben schlichtweg kein Verständnis für das Verhalten der anderen, lehnen damit natürlich auch ab, uns in deren Gefühlswelt hineinzuspüren. Fühlen wir uns sogar sehr bedroht, reagieren wir stärker: mit Wut, Enttäuschung oder Hysterie. Sich darüber klar zu werden, ist gut für uns und für die Beziehung zu unseren Kindern. Denn die Strategien, die wir uns zurechtgelegt haben – im Folgenden nenne ich sie der Psychotherapeutin Stefanie Stahl folgend Schutzstrategien – sind zwar vordergründig nützlich, lassen jedoch oft keine echte Beziehung zu.
DAS INNERE KIND
Das innere Kind steht für alle Erfahrungen und Prägungen aus unserer Kindheit und Jugend, die wir in uns tragen und die Teil unserer Persönlichkeit sind. Wie auf einer Speicherplatte sind sie abgelegt, die guten wie auch die schlechten Erfahrungen.
Auch wenn wir längst erwachsen sind, übernimmt das innere Kind in manchen Situationen das Steuer. Dann fühlen, denken und handeln wir nicht wie ein erwachsener Mensch, sondern wie das Kind, das wir einmal waren.
Warum benehme ich mich so und nicht anders im Familienleben? Und wie könnte es besser gehen? Was bringt das für das Familienleben? Warum regen mich manche Sachen bei meinen Kindern maßlos auf? Warum verletzt mich manches so tief? Merke ich überhaupt, was da gerade abläuft? Warum geht mir etwas Bestimmtes, wie er/sie mit unseren Kindern umgeht, bei meinem Partner derart auf die Nerven? Welche Rolle spielen meine eigene Erziehung und mein Elternhaus dabei? Warum will ich manches unbedingt „besser“ machen? Und warum reagiert mein Partner manchmal wie ein kleines Kind?
Um all das geht es immer wieder, wenn du weiterliest. Ich hoffe, du findest persönliche Antworten auf Fragen, die dich schon länger beschäftigen. Vermutlich erkennst du in dem einen oder anderen Beispiel, das ich aufführe, dich oder deinen Partner wieder. Nimm das als Chance, nicht als Vorwurf. Es gibt fünf Gründe, warum ich das für wichtig halte:
1. Sich den unangenehmen Erinnerungen aus der Kindheit zu stellen ermöglicht dir, mit ihnen abzuschließen. Deine Persönlichkeit wird daran wachsen, du wirst im besten Sinne erwachsen.
2. Du ermöglichst es damit deinem Kind, eine eigenständige, runde Persönlichkeit zu werden, weil du deine Prägungen nicht unbewusst weitergibst.
3. Die Beziehung zwischen deinem Kind und dir wird stabiler, denn vor euch liegen noch viele gemeinsame Jahre, die euch immer wieder auf die Probe stellen. Wenn du weißt, wie du die Beziehung zu deinem Kind stärken und auch reparieren kannst, werdet ihr gut miteinander weiterwachsen.
4. Erziehungspartnerschaft wird einfacher, wenn man mehr darüber weiß, wodurch der oder die andere geprägt wurde. Das Verständnis füreinander wächst und man kann sich gegenseitig im persönlichen Wachstum unterstützen.
5. Der Austausch darüber, was euch als Eltern wichtig ist, wird euch weniger über Erziehungsthemen streiten lassen.
Vieles von dem, wie du mit deinem Kind oder deinen Kindern umgehst, hast du unbewusst aus deinem Elternhaus übernommen und kannst es nicht so recht abschütteln. Mir ging es genauso, doch ich habe gelernt, dass es anders geht. Als Mutter oder Vater kann ich mich ändern, kann ich manches besser hinkriegen und souveräner sein im Familienalltag. Ich habe gelernt, dass mein inneres Kind mir gelegentlich Streiche spielt und mich Sachen machen und Dinge sagen lässt, die ich bei genauem Betrachten gar nicht so gut finde. Und ich habe verstanden, dass das innere Kind zu meiner Persönlichkeit gehört, aber dass ich heute erwachsen bin, im besten Sinne, und auch so sein und handeln kann.
Glaub mir, es lohnt sich, die eigene Kindheit und Jugendzeit genauer anzuschauen. Auch wenn die Zeit phasenweise schwierig war. Trotzdem kann man seine Eltern lieben und wertschätzen für das, was sie einem Gutes getan haben. Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern um mehr Klarheit, darum, nicht festzustecken in Abwehr oder in Idealisierung. Denn das blockiert, und es ist gut, sich davon zu lösen. Wir werden später im Buch noch sehen, welch positive Auswirkungen es hat, ein realistisches Bild der eigenen Kindheit zu entwickeln und somit die eigene Persönlichkeit zu stärken.
In der Psychologie spricht man im Zusammenhang mit dem inneren Kind auch von Schatten und meint damit Persönlichkeitsaspekte, die uns nur teilweise oder gar nicht bewusst sind. Vielleicht kannst du mit dem Begriff „wunder Punkt“ mehr anfangen. Man erkennt seine Schatten häufig daran, dass man bei bestimmten Themen besonders emotional reagiert. Das können zum Beispiel Wut und Ärger sein oder innerer Rückzug. Auf jeden Fall geht es schnell und wir reagieren quasi automatisch so, „wir können nicht aus unserer Haut“. Du kannst solche Schatten aus dem Dunkel hervorholen, anschauen, sie anerkennen und „trösten“. Auf diese Weise gewinnst du die Kontrolle zurück und kannst erwachsen handeln.
Woher kommen die Schatten? Sie entstehen, wenn man sich durch etwas komplett überfordert gefühlt hat. Das, was einem passiert ist, konnte nicht richtig verarbeitet werden und wird verdrängt. Das kann die Trennung der Eltern sein, Mobbing, Einsamkeit oder ein anderer Schicksalsschlag. Die Gründe sind vielfältig, aber entscheidend ist, dass die durchlebten Gefühle, wie Angst, Wut oder Hilflosigkeit weggeschoben werden, weil sie zu schmerzhaft sind. Jedoch sind sie damit nicht weg, sondern sie lungern herum und warten nur auf den richtigen Moment, um wieder aufzutauchen und die Herrschaft zu übernehmen. Das sind dann die bereits beschriebenen Trigger.
Niemand kann Geschehenes ungeschehen machen. Du kannst es nicht ändern, wenn du dein Kind in letzter Zeit öfter mal angeschrien hast oder womöglich fester angepackt als nötig, dass du deinen Sohn heute morgen vor der Kita ungeduldig angemeckert hast. Das kannst du nicht rückgängig machen. Was passiert ist, ist passiert. Wahrscheinlich fühlst du dich deswegen schlecht und denkst, du wärst keine gute Mutter, zumindest manchmal. Wie schon gesagt: Schuldgefühle bringen nichts, nur ein neues Selbst-Bewusstsein bringt Veränderung. Also fühl dich nicht schlecht, weil manches bisher nicht gut gelaufen ist. Vergib dir selbst! Schau nach vorn, such neue Wege!
Dieses Buch will dir nicht noch mehr schlechtes Gewissen machen. Im Gegenteil, es will erleichtern, Schuldgefühle wegnehmen, positive Gefühle mitgeben. Es geht um viel mehr als um Selbstoptimierung, sondern darum, wie du Familienalltag leben willst. Was bisher nicht gut gelaufen oder total schiefgelaufen ist, kannst du heute nicht mehr ändern. Aber du kannst in Zukunft anders reagieren, handeln und die Beziehung zu deinen Kindern gestalten. Es bringt nichts, sich für Vergangenes schlecht zu fühlen, nur daraus zu lernen bringt dich voran.
SETZ DIR EIN STOPPZEICHEN
Wenn du das nächste Mal Panik oder Wut spürst, weil dein Kind dies gesagt oder jenes gemacht hat, dann halte dir in Gedanken ein Stoppschild vors Gesicht. Bevor du irgendwie reagierst, frage dich kurz:
• Was hat das Kind gesagt oder gemacht?
• Passt mein Gefühl dazu?
• Was könnte ich tun, anstatt wütend oder panisch zu reagieren?
Manchmal muss man dazu kurz aus der Situation rausgehen, aber jüngere Kinder sollte man nicht lange allein lassen.
Im täglichen Trott und dem stressigen Hamsterrad bleibt wenig Raum für Überlegungen, warum man etwas tut, weshalb eine Situation eskaliert und warum die Kommunikation wenig wertschätzend ist. Dennoch: Du bist nicht zufrieden, wie es bei euch als Familie läuft. Das merkst du nicht nur in Konfliktsituationen, sondern auch abends, wenn du auf den Tag zurückblickst. Da verstärkt sich dein Eindruck, dass du und dein 15-jähriger Sohn sich zurzeit nicht gut verstehen und ihr immer weniger miteinander redet. Es kann auch sein, dass deine häufig quengelnde vierjährige Tochter dir tierisch auf die Nerven geht und du dich schwertust, ihr mit Liebe und Offenheit zu begegnen. Vielleicht zweifelst du auch an dir, weil du und dein achtjähriger Sohn sich fast jeden Nachmittag bei den Hausaufgaben schrecklich in die Haare kriegen. Oder deine Jüngste trödelt jeden Morgen so lange herum, bis du irgendwann nur noch rummeckerst oder schreist und dich anhörst wie deine Mutter. Vielleicht bist du dir auch mit deinem Partner nicht einig über bestimmte Grenzen im Familienleben und das zehrt an euren Nerven. In jedem Fall spürst du, wie sehr es nötig ist, die Verbindung zwischen dir und deinen Kindern auf ein tragfähiges und beständigeres Fundament zu stellen. Dazu möchte ich dir gratulieren. Ich finde es bewundernswert, wenn man trotz Alltagstrott und überfordernden Situationen an Beziehungen arbeitet, einfach, weil man spürt, dass es wichtig ist. Ich freue mich, dass du hier bist und weiterliest.
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