Wild Cards. Die erste Generation 02 - Der Schwarm - George R.R. Martin - E-Book

Wild Cards. Die erste Generation 02 - Der Schwarm E-Book

George R.R. Martin

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Beschreibung

Das Wild-Cards-Virus hat die Welt verändert: Die Joker, die durch das Virus körperlich verändert wurden, werden verachtet. Die Asse hingegen, die nun mit unfassbaren Fähigkeiten ausgestattet sind, werden gefürchtet oder bewundert. Doch nur wenn Joker, Asse und Normalsterbliche zusammenarbeiten, können sie die Erde vor der Vernichtung bewahren. Denn die Schwarmmutter ist auf unseren Planeten aufmerksam geworden – und keine bekannte Macht des Universums konnte sie jemals aufhalten.

Die vorliegende Anthologie ist bereits in zwei Bänden im Heyne Verlag erschienen unter den Titeln „Wild Cards – Asse Hoch“ und „Wild Cards – Schlechte Karten“.

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Buch

Das Wild-Cards-Virus hat die Welt verändert: Die Joker, die durch das Virus körperlich verändert wurden, werden verachtet. Die Asse hingegen, die nun mit unfassbaren Fähigkeiten ausgestattet sind, werden gefürchtet oder bewundert. Doch nur wenn Joker, Asse und Normal­sterbliche zusammenarbeiten, können sie die Erde vor der Vernichtung bewahren. Denn die Schwarmmutter ist auf unseren Planeten aufmerksam geworden – und keine bekannte Macht des Universums konnte sie jemals aufhalten.

Autor

George Raymond Richard Martin wurde 1948 in New Jersey geboren. Sein Bestseller-Epos Das Lied von Eis und Feuer wurde als die vielfach ausgezeichnete Fernsehserie Game of Thrones verfilmt. George R. R. Martin wurde u. a. sechsmal der Hugo Award, zweimal der Nebula Award, dreimal der World Fantasy Award (u. a. für sein Lebenswerk und besondere Verdienste um die Fantasy) und dreimal der Locus Poll Award verliehen. 2013 errang er den ersten Platz beim Deutschen Phantastik Preis für den Besten Internationalen Roman. Er lebt heute mit seiner Frau in New Mexico.

Wild Cards – Die erste Generation bei Penhaligon:1. Vier Asse2. Der SchwarmWeitere Bände in Vorbereitung

Wild Cards (die zweite Generation) bei Penhaligon:1. Das Spiel der Spiele2. Der Sieg der Verlierer3. Der höchste EinsatzWeitere Bände in Vorbereitung

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präsentiert

DER SCHWARM

Wild Cards – Die erste Generation 2

Geschrieben vonGeorge R. R. Martin, Lewis Shiner, Walter Jon Williams, Roger Zelazny, Walter Simons, Melinda M. Snodgrass, Victor Milán, Pat Cadigan und John J. MillerDeutsch von Christian Jentzsch

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Wild Cards – Aces High« bei Bantam Books, New York.Die vorliegende Anthologie ist bereits in zwei Bänden im Heyne Verlag erschienen unter den Titeln »Wild Cards – Asse Hoch« und »Wild Cards – Schlechte Karten«. 1. Auflage

Copyright © 1987 by George R. R. Martin and the Wild Cards Trust

Published by agreement with the authors and the authors’ agent, The Lotts Agency, Ltd.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung und -illustration: Isabelle Hirtz, Inkcraft

Redaktion: Catherine Beck

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-19299-0V001www.penhaligon.de

Inhalt

1979 Pennys aus der Hölle Lewis Shiner

1985 Jube: Eins George R. R. Martin

Bis in die sechste Generation Prolog Walter Jon Williams

Jube: Zwei George R. R. Martin

Asche zu Asche Roger Zelazny

Bis in die sechste Generation Teil eins Walter Jon Williams

Bis in die sechste Generation Teil zwei Walter Jon Williams

Jube: Drei George R. R. Martin

1986 Wenn Blicke töten könnten Walter Simons

Jube: Vier George R. R. Martin

Bis in die sechste Generation Epilog Walter Jon Williams

Winterkälte George R. R. Martin

Jube: Fünf George R. R. Martin

Verwandtschaftsprobleme Melinda M. Snodgrass

Mit ein wenig Hilfe von seinen Freunden Victor Milán

Jube: Sechs George R. R. Martin

Auf vergessenen Wegen Pat Cadigan

Mr. Koyamas Komet Walter Jon Williams

Toter als tot John J. Miller

Jube: Sieben George R. R. Martin

Für Chip Wideman, Jim Moore, Gail Gerstner-Miller und Parris,die geheimen Asse,ohne die die Wild Cards vielleichtnie ausgespielt worden wären.

1979 Pennys aus der Hölle Lewis Shiner

Sie waren vielleicht ein Dutzend. Fortunato bekam es nicht richtig mit, weil sie ständig in Bewegung blieben und ihn einzukreisen versuchten. Zwei oder drei hatten Messer, die übrigen abgesägte Billardqueues, Autoantennen oder sonst was, das sich als Waffe nehmen ließ. Sie waren schwer auseinanderzuhalten. Jeans, schwarze Lederjacke, langes, mit Gel zurückgekämmtes Haar. Auf mindestens drei von ­ihnen passte die vage Beschreibung, die Chrysalis ihm gegeben hatte.

»Ich suche jemanden namens Gizmo«, sagte Fortunato. Sie wollten ihn von der Brücke wegtreiben, ihn aber noch nicht mit Gewalt drängen. Der gepflasterte Weg links von ihm führte bergauf zu den Kreuzgängen. Der ganze Park war verlassen, war jetzt seit zwei Wochen verlassen, seitdem sich die Gangs dort breitgemacht hatten.

»Hey, Gizmo«, sagte einer. »Was hältst du von dem Mann?«

Also war es derjenige mit den dünnen Lippen und den blutunterlaufenen Augen. Fortunato stellte Blickkontakt zu dem Jungen her, der ihm am nächsten war. »Zisch ab«, sagte Fortunato. Verunsichert wich der Junge zurück. Fortunato sah den Nächsten an. »Du auch. Verschwinde.« Dieser war schwächer. Er drehte sich um und lief.

Mehr Zeit blieb ihm nicht. Ein Billardqueue sauste wie ein Schwert auf seinen Kopf zu. Fortunato verlangsamte den Ablauf der Zeit, nahm das Queue und benutzte es, um das nächste Messer wegzuschlagen. Er atmete ein, und der Zeitablauf war wieder normal.

Jetzt wurden alle nervös. »Geht«, sagte er, und drei weitere flohen, darunter auch Gizmo. Er lief bergab, dem Ausgang an der 193rd Street entgegen. Fortunato warf das Billardqueue weg und rannte ihm nach.

Sie liefen bergab. Fortunato spürte, dass er müde wurde, und setzte einen Energiestoß frei, der ihn abheben und durch die Luft fliegen ließ. Der Bursche unter ihm fiel hin und überschlug sich. Im Rückgrat des Jungen brach etwas, und seine Beine zuckten noch einmal. Dann war er tot.

»Jesus«, hauchte Fortunato, während er sich welkes Oktoberlaub von der Kleidung klopfte. Die Bullen hatten die Streifen in der Umgebung des Parks verdoppelt, obwohl sie sich scheuten, den Park selbst zu betreten. Sie hatten es einmal versucht, und es hatte sie zwei Männer gekostet, die Kids aus dem Park zu verjagen. Am nächsten Tag waren die Kids zurückgekehrt. Aber die Bullen beobachteten den Park, und bei einem derartigen Vorfall würden sie kommen und die Leiche abtransportieren.

Er durchsuchte die Taschen des Jungen, und dort war sie – eine Kupfermünze von der Größe eines Fünfzig-Cent-Stücks, so rot wie getrocknetes Blut. Seit zehn Jahren ließ er Chrysalis und ein paar andere danach Ausschau halten, und letzte Nacht hatte sie den Jungen im Crystal Palace mit einer solchen Münze herumspielen sehen.

Er fand weder eine Brieftasche noch sonst etwas von Bedeutung. Fortunato nahm die Münze und lief zum Eingang der U-Bahn-Station.

»Ja, ich erinnere mich daran«, sagte Hiram, als er die Münze mit einer Ecke seiner Serviette aufhob. »Es ist eine Weile her.«

»Es war 1969«, sagte Fortunato. »Vor zehn Jahren.«

Hiram nickte und räusperte sich. Fortunato brauchte keine Magie, um zu wissen, dass sich der fette Mann unbehaglich fühlte. Fortunatos offenes schwarzes Hemd und die ebenso schwarze Lederjacke entsprachen nicht unbedingt der hier geltenden Kleidervorschrift. Das Aces High thronte über der Stadt auf der Aussichtsplattform des Empire State Building, und die Preise waren ebenso gigantisch wie die Aussicht.

Er hatte seine Neuerwerbung mitgebracht, eine Dunkelblonde namens Caroline, die fünfhundert pro Nacht kostete. Sie war klein, fast zierlich, hatte ein kindliches Gesicht und einen Körper, der zu Vermutungen anregte. Sie trug hautenge Jeans und eine pinkfarbene Seidenbluse, an der einige Knöpfe geöffnet waren. Wenn sie sich bewegte, dann bewegte sich auch Hiram. Es schien ihr Spaß zu machen, ihn schwitzen zu sehen.

»Allerdings ist dies nicht die Münze, die ich Ihnen vor zehn Jahren gezeigt habe. Es ist eine andere.«

»Bemerkenswert. Es ist kaum zu glauben, dass Sie auf zwei davon gestoßen sind, die sich in einem derart guten Zustand befinden.«

»Das ist noch milde ausgedrückt. Diese Münze stammt von einem Burschen, der zu einer der Gangs gehörte, die sich in den Kreuzgängen herumtreiben. Er trug sie lose in der Tasche. Die erste gehörte einem Typ, der sich dem Okkul­ten verschrieben hatte.«

Es fiel ihm immer noch schwer, darüber zu reden. Der Bursche hatte drei von Fortunatos Geishas ermordet, sie aus irgendwelchen verqueren Gründen in einem Pentagramm aufgeschlitzt. Fortunato hatte sein bisheriges Leben fortgesetzt, seine Frauen ausgebildet und mehr über die tantrischen Kräfte in Erfahrung gebracht, die ihm das Wild-Card-Virus verliehen hatte, sich aber ansonsten bedeckt gehalten.

Wenn es ihm in den Sinn kam, verbrachte er ein, zwei Tage oder gar eine Woche damit, einem der Hinweise nachzugehen, die der Mörder hinterlassen hatte. Die Münze. Das letzte Wort, das er von sich gegeben hatte: »TIAMAT«. Die Energierückstände von etwas anderem, das sich in der Dachkammer des toten Mörders befunden hatte, eine Präsenz, der Fortunato nicht auf die Spur gekommen war.

»Sie wollen damit sagen, dass sie irgendetwas Übernatürliches an sich haben«, sagte Hiram. Seine Augen huschten zu Caroline, die sich träge auf ihrem Stuhl reckte.

»Ich möchte nur, dass Sie noch einen Blick darauf werfen.«

»Tja«, meinte Hiram.

Um sie herum verursachten die Mittagsgäste des Restaurants leise Geräusche mit ihren Bestecken und Gläsern und unterhielten sich dabei so leise, dass es wie das Murmeln eines entfernten Bachs klang. »Wie ich Ihnen bereits sagte, scheint es sich um einen prägefrischen amerikanischen Penny aus dem Jahr 1794 zu handeln. Die Prägestöcke sind offensichtlich von Hand graviert. Die Münzen könnten aus einem Museum oder einer Münzhandlung gestohlen worden sein, vielleicht auch aus einer privaten Sammlung …« Seine Stimme verlor sich. »Mmmmm. Sehen Sie sich das an.«

Er hielt ihm die Münze hin und zeigte mit einem seiner fleischigen kleinen Finger auf eine Stelle. »Sehen Sie den unteren Rand dieses Lorbeerkranzes hier? Es sollte ein Bogen sein. Aber stattdessen ist er irgendwie formlos und sieht schrecklich aus.«

Fortunato starrte die Münze an, und für einen Augenblick hatte er das Gefühl zu fallen. Die Blätter des Lorbeerkranzes verwandelten sich in Tentakel, die Enden des Kranzes öffneten sich wie ein Schnabel, aus den Schlaufen des Bogens wurde gestaltloses Fleisch mit zu vielen Augen. Fortunato hatte dieses Bild schon einmal gesehen, und zwar in einem Buch über sumerische Mythologie. Die Bildunterschrift hatte ›TIAMAT‹ gelautet.

»Geht es dir nicht gut?«, fragte Caroline.

»Doch, doch.« Er wandte sich Hiram zu. »Fahren Sie fort.«

»Mein Instinkt sagt mir, dass es sich um Fälschungen handelt. Aber wer würde einen Penny fälschen? Und warum hat man sich nicht die Mühe gemacht, sie älter wirken zu lassen? Sie sehen aus, als wären sie erst gestern geprägt worden.«

»Wurden sie aber nicht, falls das eine Rolle spielt. Die Aura beider Münzen weist darauf hin, dass sie ausgiebig benutzt wurden. Ich würde sagen, sie sind mindestens hundert Jahre alt, wahrscheinlich eher zweihundert.«

Hiram legte die Fingerspitzen zusammen. »Ich kann Sie zu jemandem schicken, der Ihnen vielleicht eine größere Hilfe ist. Sie heißt Eileen Carter und leitet ein kleines Museum auf Long Island. Wir … äh … korrespondieren miteinander. Über Numismatik, wissen Sie. Sie hat ein paar Bücher über okkulte Geschichte geschrieben, lokales Zeug.« Er schrieb eine Adresse in ein kleines Notizbuch und riss die Seite heraus.

Fortunato nahm sie und erhob sich. »Ich bin Ihnen sehr verbunden.«

»Hören Sie, glauben Sie …« Er leckte sich die Lippen. »Glauben Sie, dass es für eine ganz normale Person ungefährlich wäre, eine dieser Münzen zu besitzen?«

»Wie zum Beispiel einen Sammler?«, fragte Caroline.

Hiram sah zu Boden. »Wenn Sie die Münzen nicht mehr benötigen, bin ich bereit, dafür zu bezahlen.«

»Wenn das vorbei ist«, sagte Fortunato, »und wir dann alle noch leben, überlasse ich sie Ihnen gern.«

Eileen Carter war Ende dreißig und hatte graue Strähnen in ihrem brünetten Haar. Sie betrachtete Fortunato durch die Gläser einer eckigen Brille und musterte dann Caroline. Sie lächelte.

Fortunato verbrachte einen Großteil seiner Zeit mit Frauen. So schön Caroline auch sein mochte, sie war un­sicher, eifersüchtig und sehr empfänglich für unvernünftige Ernährung und Schminke. Eileen war ganz anders. Carolines Aussehen schien sie höchstens zu amüsieren. Und was Fortunato anging – ein in Leder gekleideter Schwarzer, der zur Hälfte japanischer Abstammung war und dessen geschwollene Stirn von einer näheren Bekanntschaft mit dem Wild-Card-Virus zeugte –, so schien sie an ihm überhaupt nichts Ungewöhnliches zu finden.

»Haben Sie die Münze dabei?«, fragte sie und sah ihm dabei direkt in die Augen. Er war Frauen überdrüssig, die aussahen wie Models. Diese Frau hier hatte eine Hakennase, Sommersprossen und zehn, fünfzehn Pfund zu viel. Am meisten gefielen ihm ihre Augen. Sie waren leuchtend grün, und er sah Lachfältchen in den Augenwinkeln.

Er legte die Münze auf den Tisch, mit der Zahl nach oben.

Sie beugte sich vor, um sie zu betrachten, wobei sie mit einem Finger den Bügel ihrer Brille berührte. Sie trug ein grünes Flanellhemd. Die Sommersprossen reichten so weit hinab, wie Fortunato sehen konnte. Ihr Haar roch sauber und angenehm.

»Darf ich fragen, woher Sie die haben?«

»Das ist eine lange Geschichte«, erwiderte Fortunato. »Ich bin ein Freund von Hiram Worchester. Er wird für mich bürgen, falls das eine Hilfe ist.«

»Es reicht. Was wollen Sie wissen?«

»Hiram sagte, die Münze sei vielleicht eine Fälschung.«

»Eine Sekunde.« Sie nahm ein Buch aus dem Regal hinter ihr. Sie schien sich in jähen Energieausbrüchen zu bewegen und dem, was sie gerade tat, vollkommen hinzugeben. Sie legte das Buch auf den Tisch und blätterte darin herum. »Hier«, sagte sie. Ein paar Sekunden lang musterte sie die Rückseite der Münze angestrengt, wobei sie auf ihrer Unter­lippe herumnagte. Ihre Lippen waren klein, kräftig und beweglich. Plötzlich stellte er fest, dass er sich fragte, wie es wohl wäre, sie zu küssen.

»Da haben wir sie«, sagte sie. »Ja, es ist eine Fälschung. Die Münze wird Balsam-Penny genannt. Benannt nach ›Black John‹ Balsam, heißt es hier. Er hat sie um 1800 oben in den Catskills geprägt.« Sie sah zu Fortunato auf. »Bei dem Namen klingelt was bei mir, aber ich kann nicht sagen, warum.«

»›Black John?‹«

Sie zuckte die Achseln und lächelte wieder. »Ich könnte mich ein paar Tage dahinterklemmen. Vielleicht finde ich ­etwas für Sie heraus.«

»In Ordnung.« Von hier aus konnte Fortunato das Rauschen des Ozeans hören, und das ließ die ganze Sache nicht mehr ganz so trübe aussehen. Er gab ihr seine Visitenkarte, und zwar diejenige, auf der nur sein Name und seine Telefonnummer standen. Als sie gingen, lächelte sie und winkte Caroline zu, doch Caroline tat so, als würde sie es nicht ­sehen.

Im Zug zurück in die Stadt sagte Caroline: »Du willst sie ficken, oder?«

Fortunato lächelte und antwortete nicht.

»Ich fass es nicht«, sagte sie.

Fortunato konnte wieder Houston aus ihrer Stimme he­raus­hören. Zum ersten Mal seit Wochen.

»Eine übergewichtige, abgetakelte alte Schulmeisterin.«

Er war nicht so dumm, etwas zu entgegnen. Natürlich war es eine Überreaktion seinerseits, das war ihm klar. Zum Teil lag es wahrscheinlich nur an den Pheromonen, an irgendeiner sexuellen Chemie, die er längst verstanden hatte, bevor er sich die wissenschaftliche Grundlage dafür angeeignet hatte. Aber er hatte sich auch in ihrer Gegenwart wohlgefühlt, was nicht sehr oft vorkam, seit ihn das Wild-­Card-­Virus verändert hatte. Sie schien keine Befangenheit zu kennen.

Hör auf damit, dachte er. Du benimmst dich wie ein Teenager.

Caroline, die sich wieder unter Kontrolle hatte, legte ihm eine Hand auf den Oberschenkel. »Wenn wir wieder zu Hause sind«, sagte sie, »werde ich sie dir aus dem Kopf ­ficken.«

»Fortunato?«

Er nahm den Telefonhörer in die linke Hand und sah auf die Uhr. Neun Uhr früh. »Ja?«

»Hier spricht Eileen Carter. Sie haben mir letzte Woche eine Münze dagelassen.«

Plötzlich hellwach, richtete er sich auf. Caroline drehte sich um und vergrub den Kopf unter dem Kissen. »Ich habe es nicht vergessen. Wie geht es Ihnen?«

»Ich bin vielleicht auf etwas gestoßen. Was halten Sie von einem Ausflug aufs Land?«

Eileen holte ihn mit ihrem VW Golf ab. Sie fuhren nach Shandaken, einem kleinen Ort in den Catskills. Er hatte sich möglichst schlicht angezogen, Levi’s, ein dunkles Hemd und eine alte Sportjacke. Aber er konnte weder seine Vorfahren noch das Mal verbergen, das das Virus an ihm hinterlassen hatte.

Sie stellten den Wagen auf einem Parkplatz vor einer weißen Holzkirche ab. Kaum waren sie ausgestiegen, als sich die Kirchentür öffnete und eine alte Frau herauskam. Sie trug einen billigen, doppelt gestrickten marineblauen Hosenanzug und ein Tuch um den Kopf. Eine Zeit lang musterte sie Fortunato von oben bis unten, aber schließlich streckte sie die Hand aus. »Amy Fairborn. Sie müssen die Leute aus der Stadt sein.«

Eileen stellte sich und Fortunato vor, und die alte Frau nickte. »Das Grab ist dort drüben«, sagte sie.

Das Grabmal war ein schlichtes Rechteck aus Marmor und lag außerhalb des weißen Lattenzauns, der den Friedhof umgab, ein ganzes Stück von den anderen Gräbern entfernt. Die Inschrift lautete: »John Joseph Balsam. Gestorben 1809. Möge er in der Hölle schmoren.«

Der Wind ließ Fortunatos Jacke flattern und wehte ihm einen Hauch von Eileens Parfum zu. »Es ist eine ziemlich haarsträubende Geschichte«, sagte Amy Fairborn. »Niemand weiß mehr, wie viel davon wahr ist. Balsam soll angeblich ein Hexenmeister gewesen sein und hat oben in den Bergen gelebt. Das erste Mal hat man wohl um 1790 von ihm gehört. Man wusste nur, dass er aus Europa gekommen war. Sie kennen das ja. Ein Fremder, der abgeschieden lebt und für alles verantwortlich gemacht wird. Wenn die Kühe saure Milch geben oder jemand eine Missgeburt hat, ist es gleich seine Schuld.«

Fortunato nickte. Im Augenblick kam er sich selbst wie ein Fremder vor. Wohin er auch blickte, er konnte nichts außer Bäumen und Bergen sehen, wenn man einmal von der Kirche absah, die wie eine Festung auf dem Gipfel eines kleinen Hügels stand. Er fühlte sich ungeschützt, verletzlich. Natur war etwas, das von einer Stadt umgeben sein sollte.

»Eines Tages wurde die Tochter des Sheriffs von Kingston vermisst«, sagte Fairborn. »Das muss Anfang August 1809 gewesen sein. Da brachen alle Dämme. Sie drangen in Balsams Haus ein und fanden das Mädchen nackt ausgestreckt auf einem Altar vor.« Die Frau zeigte ihre Zähne. »So heißt es jedenfalls in der Geschichte. Balsam wurde in ziemlich seltsamer Aufmachung mit einer Maske angetroffen. Er hatte ein Messer von der Größe Ihres Arms. Offenbar wollte er sie zur Ader lassen.«

»Was war das für eine seltsame Aufmachung?«, fragte Fortunato.

»Er trug eine Mönchskutte und eine Hundemaske, heißt es. Tja, den Rest können Sie sich denken. Sie knüpften ihn auf, verbrannten das Haus, machten den Boden mit Salz unfruchtbar und versperrten den dorthin führenden Weg mit Baumstämmen.«

Fortunato holte einen der Pennys aus seiner Jackentasche. Den anderen hatte Eileen. »Diese Münze hier wird Balsam-Penny genannt. Sagt Ihnen das irgendwas?«

»Ich habe drei oder vier ähnliche im Haus. Hin und wieder werden welche aus seinem Grab an die Oberfläche getragen. ›Was hinabgeht, muss auch wieder heraufkommen‹, pflegte mein Mann immer zu sagen. Er hat eine ganze Menge von den Leuten hier unter die Erde gebracht.«

»Man hat ihm die Pennys ins Grab gelegt?«, fragte Fortunato.

»Alle, die man finden konnte. Als die Leute das Haus verbrannt haben, fanden sie im Keller eine ganze Truhe davon. Sie sehen ja, wie rot er aussieht. Das wird angeblich durch den hohen Kupferanteil oder irgendwas anderes bewirkt. Damals haben die Leute gesagt, er hätte Menschenblut unter das Kupfer gemischt. Jedenfalls sind dann die Münzen aus dem Sheriffbüro verschwunden. Die meisten Leute dachten, Balsams Frau und sein Kind hätten sich damit aus dem Staub gemacht.«

»Er hatte eine Familie?«, fragte Eileen.

»Die Leute haben sie nicht oft zu Gesicht bekommen, aber ja, er hatte eine Frau und einen kleinen Sohn. Soweit die Leute wissen, haben sie sich in die große Stadt abgesetzt, nachdem Balsam gehängt worden war.«

Auf der Rückfahrt durch die Catskills konnte er Eileen dazu bewegen, ein wenig von sich zu erzählen. Sie war in Manhattan geboren, hatte Ende der Sechzigerjahre an der Columbia-Universität ihren Abschluss gemacht, sich dann in politischem Aktivismus und Sozialarbeit versucht und war mit den üblichen Beschwerden daraus hervorgegangen. »Das System konnte sich einfach nie schnell genug für mich ändern. Ich bin dann irgendwie auf Geschichte ausgewichen. Sie wissen ja. Wenn man Geschichte studiert, kann man erkennen, wie sich alles entwickelt.«

»Warum okkulte Geschichte?«

»Ich glaube nicht daran, falls Sie das meinen. Sie lachen! Warum lachen Sie über mich?«

»Gleich. Erzählen Sie weiter.«

»Es ist eine Herausforderung, das ist alles. Gewöhnlich nehmen Historiker dieses Gebiet nicht ernst. Das Thema ist kaum bearbeitet, und es gibt haufenweise faszinierendes Zeug, das noch nie richtig dokumentiert worden ist. Die Hashishin, die Kabbala, David Home, Crowley.« Sie sah ihn an. »Und jetzt raus damit. Ich will mitlachen.«

»Sie haben mir nie eine persönliche Frage gestellt. Das ist sehr freundlich, aber Sie werden wissen, dass ich mit dem Virus infiziert bin. Dem Wild-Card-Virus.«

»Ja.«

»Dadurch habe ich ziemlich viel Macht. Astrale Projektion, Telepathie, gesteigerte Wahrnehmung. Aber die einzige Möglichkeit, diese Kräfte auf ein Ziel zu richten, sie zu aktivieren, ist tantrische Magie. Es hat etwas mit der Energetisierung des Rückgrats zu tun …«

»Kundalini.«

»Ja.«

»Sie reden jetzt von echter tantrischer Magie. Intromission. Menstruelles Blut. Die ganze Palette.«

»Genau. Das ist der Teil, der das Wild-Card-Virus betrifft.«

»Da ist noch mehr?«

»Da ist noch das, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Ich bin ein Kuppler. Ein Zuhälter. Ich führe einen Ring von Callgirls, die bis zu tausend Dollar pro Nacht kosten. Habe ich Sie schon nervös gemacht?«

»Nein. Vielleicht ein wenig.« Sie bedachte ihn mit einem Seitenblick. »Wahrscheinlich ist das jetzt ziemlich dumm. Aber Sie entsprechen ganz und gar nicht meiner Vorstellung von einem Zuhälter.«

»Die Bezeichnung gefällt mir nicht besonders. Aber ich drücke mich auch nicht vor ihr. Meine Mädchen sind nicht einfach nur Huren. Meine Mutter stammt aus Japan und bildet sie zu Geishas aus. Ein Großteil von ihnen hat einen akademischen Grad. Keine von ihnen hängt an der Nadel, und wenn sie dieses Leben satthaben, wechseln sie in einen anderen Bereich der Organisation.«

»Aus Ihrem Munde klingt das alles sehr moralisch.«

Die Missbilligung war ihr deutlich anzusehen, aber Fortunato konnte jetzt keinen Rückzieher mehr machen. »Nein«, sagte er. »Sie haben die Werke von Crowley gelesen. Er konnte mit gewöhnlichen Moralvorstellungen nichts anfangen, und das gilt auch für mich. ›Tu, was du willst, soll das einzige Gesetz sein.‹ Je mehr ich erfahre, desto klarer wird mir, dass alles in diesem einen Satz gipfelt. Er ist ebenso sehr Drohung wie Versprechen.«

»Warum erzählen Sie mir das?«

»Weil ich Sie mag und anziehend finde, und das ist nicht unbedingt gut für Sie. Ich will nicht, dass Sie in irgendeiner Weise Schaden nehmen.«

Sie legte beide Hände auf das Lenkrad und sah starr auf die Straße. »Ich kann auf mich selbst aufpassen«, sagte sie.

Du hättest den Mund halten sollen, sagte er sich, aber er wusste, dass das nicht stimmte. Besser, sie jetzt zu verschrecken, bevor er sich auf mehr einließ.

Ein paar Minuten später brach sie das Schweigen. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das sagen soll oder nicht. Ich habe diese Münze an einigen Orten vorgezeigt. In okkulten Buchläden, Geschäften für Zauberartikel und so weiter. Nur um zu sehen, was sich daraus ergibt. Im Miskatonic-Buchladen habe ich einen Burschen namens Clarke getroffen. Er schien sehr interessiert zu sein.«

»Was haben Sie ihm erzählt?«

»Ich sagte, die Münze gehöre meinem Vater. Und dass ich neugierig deswegen wäre. Er fing an, mir Fragen zu stellen, ob ich Interesse an okkulten Dingen hätte oder je paranormale Erfahrungen gemacht hätte, solches Zeug. Es war ziemlich leicht, die Antworten zu geben, die er hören wollte.«

»Und?«

»Er will, dass ich ein paar Leute kennenlerne.« Ein paar Sekunden später sagte sie: »Sie strafen mich schon wieder mit Schweigen.«

»Ich glaube nicht, dass Sie hingehen sollten. Die Sache ist gefährlich. Vielleicht glauben Sie nicht an okkulte Dinge, aber Tatsache ist, dass das Wild-Card-Virus alles geändert hat. Die Fantasien und Vorstellungen der Leute können jetzt Wirklichkeit werden. Und sie können Ihnen wehtun – oder Sie sogar umbringen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Es ist immer dasselbe. Aber nie gibt es irgendeinen Beweis. Sie können den ganzen Weg zurück nach New York auf mich einreden, aber überzeugen werden Sie mich nicht. Wenn ich es nicht mit eigenen Augen sehe, kann ich es einfach nicht ernst nehmen.«

»Machen Sie, was Sie wollen«, sagte Fortunato. Er ließ seinen Astralkörper frei und eilte dem Wagen voraus. Dann blieb er stehen und machte sich sichtbar, als der Wagen dicht vor ihm war. Durch die Windschutzscheibe konnte er erkennen, wie sich Eileens Augen weiteten. Neben ihr saß sein Körper und starrte blicklos ins Leere. Eileen schrie auf, und die Bremsen quietschten. Er fuhr wieder in seinen Körper zurück. Sie schleuderten auf die Bäume zu, und Fortunato griff ins Lenkrad, um sie vor einem Unfall zu bewahren. Der Motor des Wagens wurde abgewürgt, und sie rollten langsam auf den Seitenstreifen.

»Was … was …«

»Es tut mir leid«, sagte er. Das Bedauern klang nicht sehr aufrichtig.

»Das waren Sie dort auf der Straße!« Ihre Hände umklammerten immer noch das Lenkrad, und ihre Arme zitterten.

»Es war nur … eine Demonstration.«

»Eine Demonstration? Sie haben mich zu Tode erschreckt!«

»Es war nichts. Verstehen Sie? Nichts. Wir reden hier über einen Kult, der ein paar hundert Jahre alt ist und Menschenopfer darbringt. Es könnte schlimmer sein, verdammt viel schlimmer. Ich kann es einfach nicht verantworten, dass Sie in die Sache verwickelt werden.«

Sie ließ den Wagen wieder an und fuhr auf die Straße zurück. Eine Viertelstunde war vergangen, und sie fuhren bereits wieder auf der I-87, als sie sagte: »Sie sind nicht mehr richtig menschlich, nicht wahr? Sonst hätten Sie mich nicht so erschrecken können. Obwohl Sie gesagt haben, Sie seien an mir interessiert. Davor wollen Sie mich warnen.«

»Ja«, sagte er. Ihre Stimme klang jetzt anders, distanzierter, unvoreingenommener. Er wartete darauf, dass sie noch etwas sagte, aber sie nickte nur und legte eine Mozart-Kassette ein.

Er dachte, das sei es gewesen. Stattdessen rief sie ihn eine Woche später an und fragte ihn, ob er sich mit ihr gegen Mittag im Aces High treffen wolle.

Er saß bereits am Tisch, als sie hereinkam. Sie würde nie wie ein Model oder eine seiner Geishas aussehen, aber es gefiel ihm, wie sie das Beste aus sich machte: glatter grauer Flanellrock, weiße Baumwollbluse, marineblaue Strickjacke, bernsteinfarbene Perlen und einen breiten Schildpattreif im Haar. Kein sichtbares Make-up, abgesehen von Mascara und farblosem Lippenstift.

Fortunato stand auf, um ihren Stuhl zurechtzurücken, und wäre dabei fast mit Hiram zusammengestoßen. Eine peinliche Stille trat ein. Schließlich streckte sie die Hand aus, und Hiram neigte sich vor, verweilte einen Augenblick zu lange und verabschiedete sich dann mit einer angedeuteten Verbeugung. Fortunato starrte ihm ein oder zwei Sekunden nach. Er wollte, dass Eileen etwas über Hiram sagte, doch sie verstand die stumme Aufforderung nicht. »Schön, Sie zu sehen«, sagte er.

»Ich freue mich auch, Sie zu sehen.«

»Trotz … allem, was letztes Mal vorgefallen ist?«

»Wie, ist das etwa eine Entschuldigung?« Sie lächelte wieder.

»Nein«, sagte er. »Obwohl es mir wirklich leidtut. Es tut mir leid, Sie überhaupt in diese Sache hineingezogen zu haben. Es tut mir leid, dass ich Sie nicht bei einer anderen Gelegenheit kennengelernt habe. Es tut mir leid, dass jedes Mal, wenn wir uns sehen, diese hässliche Geschichte zwischen uns steht.«

»Mir auch.«

»Und ich habe Angst um Sie. Ich bin auf etwas gestoßen, das mir nie zuvor begegnet ist. Da ist diese … Sache, diese Verschwörung, dieser Kult, was auch immer. Und ich kann nichts darüber in Erfahrung bringen.« Ein Kellner brachte die Speisekarten und Wasser in Kristallkaraffen. Fortunato verscheuchte ihn mit einem Nicken.

»Ich habe Clarke aufgesucht«, fuhr er fort. »Ich habe ihm ein paar Fragen gestellt und dabei auch TIAMAT erwähnt, aber seine Reaktion bestand aus verständnislosen Blicken. Er hat mir nichts vorgemacht. Ich habe einen Blick in seinen Verstand geworfen.« Er holte tief Luft. »Er konnte sich nicht an Sie erinnern.«

»Das ist unmöglich«, sagte Eileen. Sie schüttelte den Kopf. »Es ist so merkwürdig, dass Sie hier vor mir sitzen und davon reden, seine Gedanken gelesen zu haben. Da muss irgend­ein Irrtum vorliegen, das ist alles. Sind Sie sicher?«

Fortunato konnte ihre Aura ganz klar sehen. Sie sagte die Wahrheit. »Ich bin sicher«, sagte er.

»Ich habe mich letzte Nacht mit Clarke getroffen und kann Ihnen versichern, dass er sich an mich erinnert hat. Er hat mich mit ein paar Leuten bekannt gemacht. Es waren Mitglieder des Kults oder der Gesellschaft oder was immer es sein mag. Die Münzen sind ein Erkennungszeichen.«

»Haben Sie ihre Namen oder Adressen oder irgendetwas in der Art herausgefunden?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich würde sie wiedererkennen. Einer von ihnen wurde Roman genannt. Sehr gut aussehend, fast zu gut, wenn Sie wissen, was ich meine. Der andere war ziemlich normal. Er heißt Harry, wenn ich mich nicht täusche.«

»Hat diese Gruppe einen Namen?«

»Sie haben keinen erwähnt.« Als der Kellner zurückkam, warf sie einen Blick auf die Speisekarte. »Die Kalbsmedaillons, würde ich sagen. Und ein Glas Chablis.«

Fortunato bestellte Insalata composta und ein Beck’s.

»Aber ich habe ein paar andere Dinge erfahren«, sagte sie. »Ich habe versucht, die Spuren von Balsams Frau und seinem Sohn zu verfolgen. Ich meine, die Geschichte hat ein paar lose Enden. Zuerst habe ich es mit der üblichen Detektivroutine versucht: Geburts-, Sterbe- und Heiratsurkunden. Nichts. Dann habe ich nach okkulten Verbindungen gesucht. Kennen Sie die Abramelin Review?«

»Nein.«

»Das ist ein Führer durch die Flut der okkulten Veröffentlichungen. Und dort tauchte die Balsam-Familie auf. Es gibt einen Marc Balsam, der in den letzten Jahren mindestens ein Dutzend Artikel veröffentlicht hat, die meisten davon in ­einem Magazin namens Nectanebus. Klingelt da was bei ­Ihnen?«

Fortunato schüttelte den Kopf. »Ein Dämon oder so was? Es klingt, als müsste ich es kennen, aber ich komme nicht darauf.«

»Ich wette, er hat mit derselben Gesellschaft zu tun wie Clarke.«

»Wegen der Münzen?«

»Genau.«

»Was ist mit diesen Jugendbanden, die sich in den Kreuzgängen herumtreiben? Ich habe einem von diesen Burschen die Münze abgenommen. Können Sie eine Verbindung erkennen?«

»Noch nicht. Die Artikel helfen vielleicht, aber das Magazin ist ziemlich obskur. Ich habe noch kein einziges Exemplar davon auftreiben können.«

Der Kellner kam mit ihren Gerichten. Beim Essen erwähnte sie schließlich Hiram. »Vor fünfzehn Jahren war er attraktiver, als Sie sich vielleicht vorstellen können. Ein ­wenig stämmig, aber äußerst charmant. Er wusste sich zu kleiden und konnte sich unterhalten. Und natürlich kannte er immer fantastische Restaurants.«

»Was ist passiert? Oder geht mich das nichts an?«

»Ich weiß nicht. Was passiert mit zwei Leuten? Ich glaube, es lag vor allem daran, dass er zu befangen wegen seines Gewichts war. Jetzt bin ich die Befangene.«

»Dazu besteht überhaupt kein Grund. Sie sehen großartig aus. Sie können jeden Mann bekommen, den Sie wollen.«

»Sie brauchen nicht mit mir zu flirten. Ich meine, Sie haben sexuelle Macht und Charisma, aber mir gefällt die Vorstellung nicht, dass Sie mir damit auf den Leib rücken. Mich damit manipulieren.«

»Ich versuche gar nicht, Sie zu manipulieren«, sagte Fortunato. »Wenn es so aussieht, als sei ich an Ihnen interessiert, dann liegt das daran, dass ich an Ihnen interessiert bin.«

»Sind Sie immer so leidenschaftlich?«

»Ja. Ich glaube schon. Ich sehe Sie an, und Sie lächeln die ganze Zeit. Das macht mich wahnsinnig.«

»Ich versuche damit aufzuhören.«

»Bitte nicht.«

Ihm wurde klar, dass er sie zu sehr bedrängt hatte. Sie legte ihr Silberbesteck auf den Teller und die Serviette daneben. Fortunato schob den Rest seines Salats weg. Plötzlich fiel ihm etwas ein.

»Wie, sagten Sie, hieß dieses Magazin? In dem Balsam seine Artikel veröffentlicht hat?«

Sie zog ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus ihrer Handtasche. »Nectanebus. Warum?«

Fortunato bedeutete dem Kellner, dass er zahlen wollte. »Hören Sie, können Sie mit in meine Wohnung kommen? Ohne Hintergedanken. Die Sache ist wichtig.«

»Ich denke schon.«

Der Kellner verbeugte sich und wandte sich an Eileen. »Mr. Worchester ist leider … verhindert. Aber er hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass Ihr Menü selbstverständlich auf Kosten des Hauses geht.«

»Richten Sie ihm meinen Dank aus«, sagte Eileen. »Und sagen Sie ihm … sagen Sie einfach nur danke.«

Caroline hatte noch geschlafen, als sie in seiner Wohnung ankamen. Sie ließ absichtlich die Schlafzimmertür offen, während sie nackt ins Badezimmer ging. Dann setzte sie sich auf die Bettkante und zog sich langsam an, wobei sie mit Strümpfen und Strumpfgürtel begann.

Fortunato ignorierte sie und ging die Bücherstapel durch, die mittlerweile so zahlreich waren, dass sie eine ganze Wand im vorderen Zimmer einnahmen. Entweder sie lernte, ihre Eifersucht zu zügeln, oder sie würde sich eine andere Beschäftigung suchen müssen.

Eileen lächelte sie an, als sie auf ihren zehn Zentimeter hohen Pfennigabsätzen herausstakste. »Sie ist wunderschön«, sagte sie.

»Das sind Sie auch.«

»Fangen Sie nicht wieder an.«

»Sie haben damit angefangen.« Er gab ihr Budges Ägyptische Magie. »Da ist es. Nectanebus.«

»›… berühmt als Magier und Weiser, und er war äußerst bewandert in den überlieferten Weisheiten der Ägypter.‹«

»Langsam fügt sich alles zusammen. Erinnern Sie sich noch an Black Johns Hundemaske? Ich frage mich, ob es sich bei Balsams Kult nicht um die Ägyptischen Freimaurer handelt.«

»O mein Gott. Denken Sie an das Gleiche wie ich?«

»Ich glaube, der Name Balsam könnte eine Amerikanisierung von Balsamo sein.«

»Wie in Giuseppe Balsamo aus Palermo«, warf Eileen ein. Sie ließ sich auf das Sofa sinken.

»Der Welt besser bekannt«, sagte Fortunato, »als Graf ­Cagliostro.«

Fortunato zog einen Stuhl heran und setzte sich ihr gegenüber, die Ellbogen auf die Knie gestützt. »Wann hat ihn die Inquisition eingesperrt?«

»Irgendwann um 1790, oder nicht? Sie haben ihn in ein Verlies gesteckt. Aber seine Leiche wurde nie gefunden.«

»Er soll Verbindung zu den Illuminaten gehabt haben. Angenommen, sie haben ihn befreit und nach Amerika geschmuggelt.«

»Wo er als Black John Balsam, der zurückgezogene Spinner, auftaucht. Aber was hatte er vor? Warum die Münzen? Und das Menschenopfer? Cagliostro war ein Schwindler und Betrüger. Er wollte immer nur ein angenehmes Leben führen. Mord war nicht sein Stil.«

Fortunato gab ihr Darauls Hexen und Zauberer. »Lassen Sie es uns herausfinden. Wenn Sie nichts Besseres vorhaben?«

»England im Jahr 1777«, sagte Eileen. »Am 12. April ist er in Soho in die Bruderschaft der Freimaurer eingeführt worden. Danach bestimmt die Freimaurerei sein Leben. Er gründet die Ägyptischen Freimaurer als eine Art höheren Orden, fängt an, Geld zu verschenken und jeden von Rang und Namen als Freimaurer anzuwerben, der willens und bereit ist mitzumachen.«

»Was hat ihn dazu gebracht?«

»Angeblich hat er eine Rundreise durch England gemacht und war danach – Zitat – wie verwandelt – Zitatende. Seine magischen Kräfte hatten zugenommen. Er wurde von einem Abenteurer zu einem echten Mystiker.«

»Okay«, sagte Fortunato. »Jetzt hören Sie sich das an. Tolstoi über die Freimaurerei: ›Das erste und oberste Ziel unseres Ordens … ist die Bewahrung und Weitergabe eines wichtigen Geheimnisses an die Nachwelt … eines Geheimnisses, von dem vielleicht das Schicksal der Menschheit abhängt.‹«

»Langsam ängstigt mich diese Angelegenheit wirklich«, sagte Eileen.

»Da ist noch etwas. Das Ding auf der Rückseite des Balsam-Pennys ist eine sumerische Gottheit namens TIAMAT. Daraus hat Lovecraft Cthulu abgeleitet. Ein riesiges gestaltloses Ungeheuer aus dem All jenseits der Sterne. Lovecraft hat seine Mythologie angeblich aus den geheimen Unterlagen seines Vaters. Lovecrafts Vater war Freimaurer.«

»Also glauben Sie, dass sich alles darum dreht. Um diese TIAMAT-Sache.«

»Überlegen Sie selbst«, sagte Fortunato. »Angenommen, das Geheimnis der Freimaurer hat etwas damit zu tun, ­TIAMAT zu kontrollieren. Cagliostro erfährt das Geheimnis. Die anderen Freimaurer wollen ihr Wissen nicht für üble Zwecke einsetzen, also gründet Cagliostro seinen eigenen Orden, um seine Ziele zu verfolgen.«

»Um dieses Ding zur Erde zu bringen.«

»Ja«, sagte Fortunato. »Um dieses Ding zur Erde zu bringen.«

Eileen hatte mittlerweile doch aufgehört zu lächeln.

Im Laufe ihres Gesprächs war es dunkel geworden. Die Nacht war kalt und klar, und Fortunato konnte Sterne durch die Oberlichter im vorderen Zimmer sehen. Er wünschte, er könnte sie aussperren.

»Es ist spät geworden«, sagte Eileen. »Ich muss gehen.«

Auf den Gedanken, dass sie gehen könnte, war er gar nicht gekommen. Die Nachforschungen hatten ihn mit nervöser Energie aufgeladen, der Aufregung der Jagd. Ihr Verstand erregte ihn, und er wollte, dass sie sich ihm öffnete – mit ihren Geheimnissen, ihren Gefühlen und ihrem Körper. »Bleib«, sagte er, sorgfältig darauf bedacht, seine Kräfte nicht zu benutzen und einen Befehl daraus zu machen. »Bitte.« Er hatte ein kaltes Gefühl in der Magengegend.

Sie stand auf und zog den Pullover an, den sie über die Sofa­lehne gelegt hatte. »Ich muss das … erst einmal alles verdauen«, sagte sie. »Es passiert einfach viel zu viel auf einmal. Es tut mir leid.« Sie sah ihn nicht an. »Ich brauche mehr Zeit.«

»Ich bringe dich zur 8th Avenue«, sagte er. »Dort bekommst du ein Taxi.«

Die Sterne schienen Kälte auszustrahlen. Er zog die Schultern ein und schob die Hände tief in die Taschen. Ein paar Sekunden später spürte er Eileens Arm um seine Hüfte, und er hielt sie unterwegs fest.

Sie blieben an der Ecke 8th Avenue und 19th Street stehen, und gleich darauf hielt ein Taxi. »Sag es nicht«, sagte Eileen. »Ich werde vorsichtig sein.«

Fortunatos Kehle war so zusammengeschnürt, dass er selbst dann nichts hätte sagen können, wenn er gewollt hätte. Er legte eine Hand auf ihren Nacken und küsste sie. Ihre Lippen waren so zart, dass er sich schon halb abgewandt hatte, bevor ihm klar wurde, wie gut sie sich anfühlten. Er drehte sich wieder um, und sie stand immer noch da. Er küsste sie noch einmal, fester diesmal, und sie lehnte sich für einen Augenblick an ihn, bevor sie sich von ihm löste.

»Ich ruf dich an«, sagte sie.

Er sah dem Taxi nach, bis es um die Ecke bog und verschwand.

Die Polizei weckte ihn am nächsten Morgen um sieben Uhr.

»Wir haben einen toten Jungen im Leichenschauhaus«, sagte der erste Bulle. »Jemand hat ihm vor einer Woche in den Kreuzgängen das Genick gebrochen. Wissen Sie irgendwas darüber?«

Fortunato schüttelte den Kopf. Er stand in der Tür und hielt seinen Bademantel mit einer Hand geschlossen. Wenn sie hereinkamen, würden sie das auf den Holzfußboden gezeichnete Pentagramm, den Totenschädel im Bücherregal und die Joints auf dem Kaffeetisch sehen.

»Ein paar von seinen Freunden sagen, sie hätten Sie dort gesehen«, sagte der zweite Bulle.

Fortunato sah ihm in die Augen. »Ich war nicht da«, sagte er. »Das glauben Sie ganz fest.«

Der zweite Bulle nickte, und der erste machte Anstalten, nach seiner Kanone zu greifen. »Nein«, sagte Fortunato. Diesmal gelang es dem ersten Bullen nicht, rechtzeitig wegzusehen. »Sie glauben es auch. Ich war nicht da. Ich bin sauber.«

»Sauber«, sagte der erste Bulle.

»Und jetzt gehen Sie«, sagte Fortunato, und sie gingen.

Er setzte sich aufs Sofa und stellte fest, dass seine Hände zitterten. Sie würden zurückkommen. Oder sie würden, was wahrscheinlicher war, jemanden vom Jokertown-Revier schicken, der immun gegen seine Kräfte war.

Er würde sich nicht wieder hinlegen. Er hatte ohnehin nicht gut geschlafen. Tentakelbewehrte Wesen hatten seine Träume bevölkert, Wesen, die so groß wie der Mond waren, den Himmel verdeckten und die Stadt verschlangen.

Plötzlich ging ihm auf, dass die Wohnung leer war. Er konnte sich nicht erinnern, wann er die Nacht zum letzten Mal allein verbracht hatte. Beinahe wäre er zum Telefon gegangen, um Caroline anzurufen. Es war nur ein Reflex, und er wehrte ihn ab. Eigentlich wollte er mit Eileen zusammen sein.

Zwei Tage später rief sie wieder an. In diesen beiden Tagen war er zweimal in seiner Astralgestalt in ihrem Museum gewesen. Unsichtbar für sie war er durch den Raum geschwebt und hatte sie beobachtet. Er wäre öfter gegangen und länger geblieben, aber es bereitete ihm zu viel Vergnügen.

»Hier ist Eileen«, sagte sie. »Sie wollen mich initiieren.«

Es war halb vier Uhr nachmittags. Caroline war an der Berlitz-Schule und lernte Japanisch. Sie war in den letzten Tagen nicht oft in seiner Wohnung gewesen.

»Du bist zurückgegangen«, sagte er.

»Ich musste. Wir haben das alles doch schon durchgesprochen.«

»Wann soll es stattfinden?«

»Heute Nacht. Ich soll um elf Uhr da sein. In dieser alten Kirche in Jokertown.«

»Kann ich dich sehen?«

»Ich denke schon. Ich könnte vorbeikommen, wenn du willst.«

»Bitte. So schnell du kannst.«

Er saß am Fenster und sah hinaus, bis ihr Wagen vorfuhr. Er drückte auf den Türöffner und erwartete sie am Treppenabsatz. Sie ging vor ihm in die Wohnung und drehte sich um. Er wusste nicht, was er von ihr erwarten sollte. Er schloss die Tür, und sie streckte die Hände aus. Er legte die Arme um sie, und sie hob ihm ihr Gesicht entgegen. Er küsste sie, dann küsste er sie noch einmal. Ihre Arme legten sich um seinen Hals und hielten ihn fest.

»Ich will dich«, sagte er.

»Ich will dich auch.«

»Komm ins Bett.«

»Ich möchte schon. Aber ich kann nicht. Es ist … es ist einfach eine lausige Idee. Es ist ziemlich lange her bei mir. Ich kann nicht einfach mit dir ins Bett steigen und alle mög­lichen verdrehten tantrischen Sexkunststückchen vorführen. Das will ich auch gar nicht. Du kannst nicht mal kommen, um Himmels willen!«

Er strich ihr mit den Fingern durch das Haar. »Schon gut.« Er hielt sie noch eine Weile in den Armen, dann ließ er sie los. »Willst du irgendwas? Einen Drink?«

»Einen Kaffee, wenn du welchen hast.«

Er setzte Wasser auf und mahlte eine Handvoll Bohnen, wobei er Eileen ständig ansah. »Ich verstehe nicht«, sagte er, »warum ich den Gedanken dieser Leute nichts entnehmen kann.«

»Du glaubst doch nicht etwa, dass ich das alles erfinde?«

»Ich weiß, dass du das nicht tust«, sagte Fortunato. »Ich wüsste sofort, wenn du mir etwas vormachen würdest.«

Sie schüttelte den Kopf. »Du bist ziemlich gewöhnungsbedürftig.«

»Manche Dinge sind wichtiger als gesellschaftliche Umgangsformen.« Das Wasser kochte. Fortunato machte zwei Tassen und nahm sie mit zum Sofa.

»Wenn sie so bedeutend sind, wie du glaubst«, sagte ­Eileen, »werden vermutlich auch Asse für sie arbeiten. Jemand, der Gedankenblöcke errichten könnte, Gedanken­blöcke gegen andere Leute mit mentalen Kräften.«

»Wahrscheinlich.«

Sie trank einen Schluck Kaffee. »Heute Nachmittag habe ich Balsam kennengelernt. Wir haben uns alle in dem Buchladen getroffen.«

»Wie ist er?«

»Glatt. Er sieht aus wie ein Bankdirektor oder so. Dreiteiliger Anzug, Brille. Aber ziemlich sonnengebräunt, so als würde er am Wochenende häufig Tennis spielen.«

»Was hat er gesagt?«

»Sie haben endlich das Wort ›Freimaurerei‹ erwähnt. Als sei es ein letzter Test, um festzustellen, ob es mich aus der Fassung bringt. Dann hat mir Balsam Geschichtsunterricht gegeben. Dass die Schottischen und Yorker Freimaurer nur Ableger der Spekulativen Freimaurer seien und ihre ­Geschichte nur bis ins achtzehnte Jahrhundert zurückreiche.«

Fortunato nickte. »Das stimmt alles.«

»Dann hat er von Salomon angefangen und gesagt, dass der Architekt des Tempels in Wirklichkeit ein Ägypter gewesen sei. Dass die Freimaurerei mit Salomon begonnen habe und den anderen Ablegern der ursprüngliche Sinn verloren gegangen sei. Nur sie hätten ihn bewahrt. Genauso, wie du es dir gedacht hast.«

»Ich muss heute Nacht mit dir gehen.«

»Du kommst unmöglich herein. Nicht einmal, wenn du dich verkleidest. Sie würden dich erkennen.«

»Ich könnte meinen Astralleib schicken. Dann könnte ich alles sehen und hören.«

»Wenn jemand in seiner Astralgestalt in dieses Zimmer käme, könntest du ihn dann sehen?«

»Natürlich.«

»Da siehst du es! Es wäre ein ziemliches Risiko, oder?«

»Schon gut, okay.«

»Ich muss einfach allein gehen. Es gibt keine andere Möglichkeit.«

»Es sei denn …«

»Es sei denn, was?«

»Es sei denn, ich wäre in dir.«

»Wovon redest du?«

»Die Kraft liegt in meinem Sperma. Wenn du etwas davon in dir …«

»Ach, hör doch auf«, sagte sie. »Von allen lahmen Vorwänden, jemanden ins Bett zu kriegen …« Sie starrte ihn an. »Das ist kein Witz, oder?«

»Du kannst nicht allein dorthin gehen. Nicht nur wegen der Gefahr, sondern weil du auf dich allein gestellt nicht viel machen kannst. Du kannst ihre Gedanken nicht lesen. Ich schon.«

»Selbst wenn du nur – mitfährst?«

Fortunato nickte.

»O Gott«, sagte sie. »Das ist … Es gibt so viele Gründe, die dagegen sprechen – zum einen habe ich gerade meine Tage.«

»Umso besser.«

Sie umklammerte ihre linke Hand mit der rechten und hielt sie sich vor die Brust. »Ich habe mir fest vorgenommen, dass es romantisch sein muss, falls ich je wieder mit einem Mann ins Bett gehe – und ich sagte falls. Mit Kerzen und Blumen und allem. Und nun sieh mich an.«

Fortunato kniete sich vor sie und schob sanft ihre Hände weg. »Eileen«, sagte er. »Ich liebe dich.«

»Du hast leicht reden. Ich bin sicher, du meinst es aufrichtig und alles, aber ich bin genauso sicher, dass du das ständig sagst. Es gibt nur zwei Männer in meinem Leben, zu ­denen ich das je gesagt habe, und einer von ihnen war mein Vater.«

»Ich rede nicht davon, wie du empfindest. Ich rede nicht von der Ewigkeit. Ich rede von mir in diesem Augenblick. Und ich liebe dich.« Er hob sie auf und trug sie ins Schlafzimmer.

Es war ungeheizt, und ihre Zähne fingen an zu klappern. Fortunato zündete den Gasofen an und setzte sich neben sie auf das Bett. Sie umschloss seine Rechte mit beiden Händen und führte sie an ihren Mund. Er küsste sie und spürte, wie sie darauf reagierte, fast gegen ihren Willen. Er zog sich aus, deckte sie beide zu und knöpfte ihre Bluse auf. Ihre Brüste waren groß und weich, und die Brustwarzen verhärteten sich unter seiner Zunge, als er sie küsste.

»Warte«, sagte sie. »Ich muss … ich muss ins Badezimmer.«

Als sie zurückkam, hatte sie ihre übrige Kleidung ausgezogen. Sie hielt ein Handtuch vor sich. »Um dein Laken zu schonen«, sagte sie. Auf der Innenseite eines ihrer Schenkel sah er einen kleinen Blutfleck.

Er nahm ihr das Handtuch weg. »Mach dir keine Sorgen um das Laken.« Sie stand nackt vor ihm. Sie sah aus, als hätte sie Angst, dass er sie fortschicken würde, aber er legte den Kopf zwischen ihre Brüste und zog sie an sich.

Sie kroch wieder unter das Laken und küsste ihn, und ihre Zunge zuckte in seinem Mund. Er küsste ihre Schultern, ihre Brüste, die Unterseite ihres Kinns. Dann wälzte er sich auf sie und stützte sich auf Hände und Knie.

»Nein«, flüsterte sie. »Ich bin noch nicht so weit …«

Er hielt den Penis in der Hand und drückte die Eichel gegen ihre Schamlippen, sacht und behutsam. Augenblicklich spürte er, wie sie warm und feucht wurde. Sie hatte die ­Augen geschlossen und biss sich auf die Unterlippe. Langsam glitt er in sie hinein, und die Reibung schickte Wellen der Lust sein Rückgrat hinauf.

Er küsste sie wieder. Er spürte, wie sich ihre Lippen unter seinen bewegten und unhörbare Worte formten. Seine Hände strichen über ihre Seiten, schlossen sich hinter ihrem Rücken. Er dachte daran, dass er daran gewöhnt war, eine Frau stundenlang zu lieben, und der Gedanke erstaunte ihn. Es war alles zu intensiv. Er war voller Hitze und Licht. Er konnte nicht alles zurückhalten.

»Musst du dabei nicht irgendwas sagen?«, flüsterte Eileen abgehackt, da sie nur noch stoßweise atmete. »Irgendeinen Zauberspruch oder so?«

Fortunato küsste sie wieder, und seine Lippen kribbelten, als wären sie eingeschlafen und erwachten gerade wieder zum Leben. »Ich liebe dich«, sagte er.

»O Gott«, sagte sie und fing an zu weinen. Tränen liefen in ihre Haare, und gleichzeitig stießen ihre Hüften immer schneller gegen seine. Ihre Leiber waren heiß und gerötet, und Fortunato lief der Schweiß über die Brust. Eileen versteifte sich. Eine Sekunde später blitzte es in Fortunatos Verstand weiß auf, und er warf zehn Jahre Übung ab und ließ es einfach geschehen, ließ die Macht aus sich heraus und in die Frau spritzen, und einen Moment lang war er beide zugleich, hermaphroditisch und allumfassend, und er spürte, wie er sich in einer gewaltigen Atomexplosion bis an die Grenzen des Universums ausdehnte.

Und dann lag er wieder mit Eileen im Bett und spürte, wie sich ihre Brüste unter ihm hoben und senkten, während sie schluchzte.

Die einzige Lichtquelle war die Flamme des Gasofens. Er musste eingeschlafen sein. Das Kopfkissen fühlte sich an seiner Wange wie Schmirgelpapier an, und er musste seine ganze Kraft aufwenden, um sich auf den Rücken zu wälzen.

Eileen zog gerade ihre Schuhe an. »Es wird Zeit«, sagte sie.

»Wie fühlst du dich?«

»Unglaublich. Stark. Mächtig.« Sie lachte. »So habe ich mich noch nie gefühlt.«

Er schloss die Augen und glitt in ihren Geist. Er konnte sich auf dem Bett liegen sehen, skelettartig, seine dunkle goldene Haut im Schatten verschwunden, seine Stirn eingesunken, sodass sie glatt in seinen haarlosen Schädel überging.

»Und du«, sagte sie. Er spürte, wie die Stimme ihr in der Brust nachhallte. »Wie fühlst du dich?«

Er glitt wieder in seinen Körper zurück. »Schwach«, sagte er. »Aber es geht schon.«

»Soll ich … jemanden für dich anrufen?«

Er wusste, was sie ihm anbot, wusste, dass er zustimmen sollte. Caroline oder eine der anderen würde der schnellste Weg sein, seine Kräfte zurückzubekommen. Aber es würde auch seine Verbindung zu Eileen schwächen. »Nein«, sagte er.

Sie hatte sich fertig angezogen und beugte sich über ihn, um ihn lange zu küssen. »Danke«, sagte sie.

»Nicht«, sagte er. »Bedank dich nicht bei mir.«

»Ich gehe jetzt besser.« Ihre Ungeduld, ihre Stärke und Vita­lität waren eine physikalische Kraft in dem Zimmer, und er war zu weit entfernt, um sie ihr zu neiden. Dann war sie verschwunden, und er schlief wieder ein.

Er sah durch Eileens Augen mit an, wie sie vor dem Eingang des Buchladens stand und darauf wartete, dass Clarke abschloss. Er hätte ganz in ihren Geist gleiten können, aber das hätte das Wenige an Kraft aufgezehrt, das er mittlerweile wiedererlangt hatte. Außerdem war es dort, wo er war, warm und gemütlich.

Bis ihn die Hände packten und wachrüttelten und er in zwei goldene Schilde sah. »Ziehen Sie sich an«, sagte eine Stimme. »Sie sind verhaftet.«

Er bekam eine Zelle für sich allein, mit grauem Kachelboden und grau gestrichenen Zementwänden. Er hockte sich in die Ecke und zitterte, da er zu schwach war, um aufrecht zu stehen. Auf die Wand neben ihm hatte jemand ein Strichmännchen mit einem riesigen tropfenden Schwanz und ­Eiern gezeichnet.

Eine ganze Stunde lang war er nicht in der Lage gewesen, sich lange genug zu konzentrieren, um Kontakt mit ­Eileen aufzunehmen. Er war sicher, dass Balsams Freimaurer sie umgebracht hatten.

Er schloss die Augen. Am Ende des Gangs knallte eine Zellentür zu und riss ihn zurück. Konzentriere dich, gottverdammt noch mal, dachte er.

Er befand sich in einem länglichen Raum mit hoher ­Decke. Gelbes Licht von zahlreichen Kerzen flackerte an den entfernten Wänden. Der Flur war mit schwarzen und weißen Fliesen schachbrettartig gekachelt. An der Vorderseite des Raums standen zwei dorische Säulen, eine auf jeder Seite, die fast bis zur Decke reichten. Sie standen für Salomons Tempel und trugen die Namen Boaz und Joachim, die ersten beiden Freimaurer-Worte.

Er wollte nicht die Kontrolle über Eileens Körper übernehmen, wenngleich er es konnte, falls es erforderlich werden sollte. Nach allem, was er feststellen konnte, ging es ihr gut. Er konnte ihre Aufregung spüren, aber sie hatte weder Schmerzen noch große Angst.

Ein Mann, der Eileens Beschreibung von Balsam entsprach, stand an der Vorderseite auf dem Podest, das für den Ehrwürdigen Meister des Tempels reserviert war. Über seinem dunklen Anzug trug er eine weiße Freimaurerschürze mit roten Verzierungen. Um den Hals lag ein Leibchen wie ein übergroßer Latz. Es war ebenfalls weiß, hatte jedoch ein rot umrandetes Kreuz in der Mitte. Ein Ankh.

»Wer spricht für diese Frau?«, fragte Balsam.

Es waren ein Dutzend oder noch mehr Freimaurer beiderlei Geschlechts im Raum, alle in Schürzen und Leibchen. Sie bildeten eine gekrümmte Linie auf der linken Seite. Die meisten von ihnen machten einen völlig normalen Eindruck. Ein Mann hatte hellrote Haut und keine Haare, offensichtlich ein Joker. Ein anderer wirkte furchtbar zerbrechlich mit seinen dicken Brillengläsern und einem benebelten Gesichtsausdruck. Er war der Einzige, der keine Straßenkleidung unter seiner Schürze trug, sondern einen weißen Kapuzenumhang, der ihm ein paar Nummern zu groß war. Die Ärmel verbargen seine Hände.

Clarke trat aus der Reihe und sagte: »Ich spreche für sie.« Balsam gab ihm eine kunstvolle Maske, die vergoldet zu sein schien. Sie stellte einen Falkenkopf dar und bedeckte Clarkes Gesicht völlig.

»Wer erhebt Einspruch?«, fragte Balsam.

Eine junge orientalische Frau, ziemlich schlicht, aber mit einer unerklärlichen sexuellen Ausstrahlung, trat vor. »Ich erhebe Einspruch.« Balsam gab ihr eine Maske mit langen spitzen Ohren und einem scharf geschnittenen Gesicht. Als sie sie aufsetzte, verlieh sie ihr etwas Kaltes, Verächtliches. Fortunato spürte, wie sich Eileens Puls beschleunigte.

»Wer beansprucht sie?«

»Ich beanspruche sie.« Ein weiterer Mann trat vor und bekam eine Maske mit Anubis’ Schakalsgesicht.

Die Luft hinter Balsam kräuselte sich und leuchtete plötzlich auf. Die Kerzen erloschen. Langsam nahm ein goldener Mann Gestalt an und erhellte den Raum. Er reichte bis zur Decke und hatte hundeartige Gesichtszüge und brennende gelbe Augen. Mit verschränkten Armen stand er da und betrachtete Eileen. Ihr Puls beschleunigte sich noch mehr und wurde unregelmäßig, sie grub die Fingernägel in ihre Handflächen. Niemand schien zu bemerken, dass er da war.

Die Frau mit der spitzohrigen Maske trat vor Eileen. »Osiris«, sagte die Frau. »Ich bin Set aus der Gilde Annus, Sohn von Seb und Nut.«

Er spürte, wie Eileen den Mund öffnete, doch bevor sie ein Wort herausbekam, knallte die rechte Hand der Frau in ihr Gesicht. Eileen fiel hintenüber und rutschte einen Meter über die Fliesen. »Sieh«, sagte die Frau. Sie legte die Finger auf Eileens Augen, und als sie sie zurückzog, waren sie nass. »Der befruchtende Regen.«

»Osiris«, sagte der schakalköpfige Mann, indem er vortrat, um den Platz der Frau einzunehmen. »Ich bin Anubis, Sohn des Ra, der Seelengeleiter. Mein ist der Begräbnishügel.« Er trat hinter Eileen und hielt sie am Boden fest.

Jetzt kniete sich Clarke neben sie, während der goldene Mann hinter ihm aufragte. »Osiris«, sagte er. Licht blitzte aus den kleinen Augen der Falkenmaske. »Ich bin Horus, dein Sohn und der Sohn von Isis.« Er drückte zwei Finger auf ­Eileens Lippen und zwang sie, den Mund zu öffnen. »Ich bin gekommen, um dich zu umarmen, ich bin dein Sohn Horus, ich habe deinen Mund geöffnet. Ich bin dein Sohn, ich liebe dich. Dein Mund war geschlossen, aber ich habe deinen Mund und deine Zähne gerichtet. Ich öffne dir deine beiden Augen. Ich habe deinen Mund mit dem Werkzeug des Anubis geöffnet. Horus hat den Mund der Toten geöffnet, wie er vor undenklichen Zeiten deinen Mund geöffnet hat: mit dem Eisen, das aus Set erwachsen ist. Die Toten werden auferstehen und sprechen, und ihr Körper soll sich in der großartigen Versammlung der Götter im Großen Haus des ­Alten in Annu befinden, und dort soll sie die Ureret-Krone von ­Horus, dem Herrn über die Menschheit, erhalten.«

Clarke nahm von Balsam etwas entgegen, das wie eine hölzerne Schlange aussah. Eileen wollte zurückweichen, aber der Griff des schakalköpfigen Mannes war zu fest. Clarke holte mit der Schlange aus und berührte dann viermal Eileens Mund und Augen damit. »O Osiris, ich habe für dich die beiden Kieferknochen in deinem Gesicht erschaffen, und sie sind jetzt getrennt.«

Er trat beiseite. Balsam beugte sich über sie, bis sein Gesicht nur noch ein paar Zentimeter entfernt war, und sagte: »Jetzt nenne ich dir das Hekau, das Wort der Macht. Horus hat dir die Sprache gegeben, und du kannst es jetzt aussprechen. Das Wort lautet TIAMAT.«

»TIAMAT«, flüsterte Eileen.

Fortunato, vor Angst außer sich, drängte sich in Balsams Gedanken.

Der Trick bestand darin, in Bewegung zu bleiben, sich nicht von der Fremdheit überwältigen zu lassen. Wenn er weiterhin Assoziationen auslöste, würde er schließlich in dem Teil von Balsams Gedächtnis landen, den er suchte.

Im Augenblick war Balsam der Ekstase nahe. Fortunato folgte den Bildern und Totems ägyptischer Magie, bis er die frühesten fand, und von dort aus glitt er weiter zu Balsams Vater und durch sieben Generationen zurück zu Black John selbst.

Alles, was Balsam je über seinen Vorfahren gehört, gelesen oder sich vorgestellt hatte, befand sich hier. Sein erster Schwindel, als er den Goldschmied Marano um sechzig Unzen Feingold betrogen hatte. Seine Flucht aus Palermo. Seine Begegnung mit Altotas, dem Griechen, der ihm Alchimie beibrachte. Ägypten, die Türkei, Malta und schließlich, im Alter von sechsundzwanzig Jahren, Rom. Er war attraktiv und klug und hatte Empfehlungsbriefe für die oberen Kreise der Gesellschaft bei sich.

Wo er dann Lorenza kennenlernte. Fortunato sah sie, wie Cagliostro sie gesehen hatte, als sie zum ersten Mal nackt vor ihm stand. Erst vierzehn Jahre alt, aber schwindelerregend schön: schlank, elegant, olivhäutig und mit kohlschwarzen Locken, die sich um sie ausbreiteten, und winzigen, vollkommenen Brüsten, die nach Wildblumen rochen, während ihre kehlige Stimme seinen Namen rief, als sie ihn mit ihren Beinen umschlang.

Sie reisten durch Europa in Kutschen, die mit dunkelgrünem Samt ausgeschlagen waren. Lorenzas Schönheit öffnete ihnen vorbehaltlos die Tür zur besseren Gesellschaft. Sie lebten von dem, was sie in den Salons der Reichen erbettelten, und verteilten den Rest als Almosen.

Und dann schließlich England.

Fortunato sah Cagliostro auf dem Rücken eines Vollblutrappen in den Wald reiten. Er war, nicht ganz zufällig, von Lorenza und dem jungen englischen Lord getrennt worden, der so von ihr eingenommen war. Zweifellos bekam Seine Lordschaft gerade in irgendeinem Graben neben der Straße seinen Willen, und zweifellos hatte Lorenza bereits eine Möglichkeit gefunden, ihren Vorteil daraus zu ziehen.

Dann fiel mitten am Nachmittag der Mond vom Him-mel.

Cagliostro gab dem Hengst die Sporen, der der leuch­ten­den Erscheinung entgegengaloppierte. Sie ging ein paar hundert Meter entfernt in einer Lichtung nieder. Das Pferd wollte nicht näher als bis auf dreißig Meter heran, also band Cagliostro es an einen Strauch und ging zu Fuß weiter. Das Gebilde war verworren und bestand aus Winkeln, die nicht miteinander harmonierten, und als Cagliostro darauf zuging, löste sich ein Teil von ihm …

Und das war alles. Plötzlich fuhr Cagliostro mit Lorenza in einer Kutsche nach London, von einem erhabenen Vorsatz erfüllt, den Fortunato nicht näher bestimmen konnte.

Er durchwühlte Balsams Verstand. Das Wissen musste dort irgendwo sein. Irgendein Fragment von einer Erkenntnis, was dieses Ding im Wald gewesen war, was es gesagt oder getan hatte.

Und da schoss Balsam kerzengerade in die Höhe und sagte: »Die Frau ist in meinem Verstand.«

Er sah wieder durch Eileens Augen, erzürnt über seine Plumpheit. Die Sache war schrecklich schiefgegangen. Er starrte in das Gesicht des kleinen Mannes mit den dicken Brillengläsern und der Kutte.

Und dann war er wieder in seiner Zelle.

Zwei Wächter hatten ihn an den Armen gepackt und schleiften ihn zur Tür. »Nein!«, rief er. »Bitte. Nur noch ein paar Minuten!«

»Ach, dir gefällt’s hier wohl, was?«, fragte einer der Wächter. Er schob Fortunato zur Zellentür. Fortunato glitt auf dem glatten Linoleum aus und fiel. Der Wächter verpasste ihm ­einen Tritt in die Nierengegend, aber nicht so fest, dass er das Bewusstsein verlor.

Dann schleiften sie ihn durch endlose Gänge mit abblätternder grüner Farbe in einen mit dunklem Holz vertäfelten, fensterlosen Raum mit einem langen Holztisch. Ein Mann in einem billigen Anzug, vielleicht dreißig Jahre alt, saß auf der anderen Seite des Tisches. Sein Haar war mittelbraun, das Gesicht wenig bemerkenswert. An seiner Jackentasche war eine Anstecknadel befestigt, die einen goldenen Schild darstellte. Neben ihm saß ein Mann in Polohemd und teurem Sportsakko. Er war der arische Typ und sah gut aus, lockiges blondes Haar, eisblaue Augen. Fortunato fiel der Freimaurer ein, den Eileen beschrieben hatte – Roman.

»Sergeant Matthias?«, fragte der zweite Wächter.

Der Mann im billigen Anzug nickte. »Das ist er.«

Matthias lehnte sich zurück und schloss die Augen. Fortunato spürte, wie etwas seinen Geist streifte.

»Und?«, fragte Roman.

»Nicht viel«, antwortete Matthias. »Ein wenig Telepathie, etwas Telekinese, aber alles sehr schwach. Ich bezweifle, dass er auch nur ein Schloss knacken könnte.«

»Also, was meinen Sie? Muss sich der Boss seinetwegen Sorgen machen?«

»Ich sehe keinen Grund. Sie könnten ihn eine Weile für den Mord an dem Jungen hierbehalten und sehen, was passiert.«

»Was würde das nützen?«, fragte Roman. »Er würde auf Notwehr plädieren, und der Richter würde ihm wahrscheinlich einen Orden verleihen. An diesen kleinen Bastarden liegt sowieso niemandem was.«

»Schön«, sagte Matthias. Er wandte sich an die Wächter. »Lasst ihn laufen. Wir sind fertig mit ihm.«

Es dauerte eine weitere Stunde, bis er draußen auf der Straße stand, und natürlich bot man ihm keine Heimfahrt an. Aber das war schon in Ordnung. In Jokertown war er ohnehin richtig.

Er setzte sich auf die Eingangsstufen des Reviers und tastete forschend nach Eileens Verstand.

Plötzlich starrte er auf die Ziegelmauer einer Gasse. Er dachte und fühlte nichts. Während er sich mühte, die Wolken in ihrem Verstand zu durchstoßen, spürte er, wie sich ihre Blase entleerte und sich der warme Urin in einer Pfütze unter ihr ausbreitete, um dort rasch abzukühlen.

»Hey, Kumpel, nicht einschlafen auf der Treppe!«

Fortunato ging auf die Straße und hielt ein Taxi an. Er schob einen Zwanziger durch den kleinen Metallschlitz und sagte: »Nach Süden. Und beeilen Sie sich.«