Wilde Talente - Charles Fort - E-Book

Wilde Talente E-Book

Charles Fort

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Beschreibung

Ein inspirierender Blick in eine Welt jenseits des Vorstellbaren

Charles Fort (1874-1932), der unberechenbare Enzyklopädist des Unerklärlichen, war mehr als ein akribischer Archivar obskurer Observationen. Seine Bücher gelten als Meilensteine und Kultlektüre für alle, die sich für die Erforschung des Unfassbaren interessieren.

Wenn das Unmögliche Wirklichkeit wird

In seinem letzten Werk führt uns Charles Fort in die Welt der übernatürlichen Erscheinungen, der Poltergeister, verrückten Erfinder, Massenhysterien, Teleportationen und religiösen Mirakel. Fort berichtet unter anderem von unerklärlichen Bränden, die an mehreren Stellen gleichzeitig ausbrechen. Das Feuer wütet im ganzen Haus und verschont nur ein Zimmer. Ausgerechnet dort wird ein Toter mit Brandverletzungen gefunden. Schrotkugeln und andere Objekte gehen in geschlossenen Räumen nieder, aber es gibt keine Löcher in der Decke und auch keine andere Erklärung für ihre Herkunft. Ein Pferd befindet sich plötzlich in einem Raum mit einer zu kleinen Tür. Man muss die Wand einreißen, um das Tier wieder herauszubekommen.

Zufall oder verborgene Ordnung? Realität oder Illusion?

Ein wildes Talent, schreibt Fort, sei die paranormale Fähigkeit eines Menschen, Hellsehen, Telekinese und Prophetie. Es geht in Wilde Talente um die Frage, ob es übernatürliche Kräfte und Wesen gibt. Wild heißt auch gefährlich. Sobald unsere ungezähmten Talente beherrscht und kontrolliert werden können, sagt Fort voraus, werden sie wie jede neue Technologie dem Krieg und dem Verbrechen dienen.

Ein Denker, der die Wissenschaft mit einem unbändigen Humor und Scharfsinn infrage stellte

In diesem meisterhaft und atemlos erzählten Buch nimmt Fort bereits Erkenntnisse der Psychologie, Parapsychologie und sogar der Chaosforschung vorweg. Der philosophische Possenreißer, der spaßige Priester des Unwahrscheinlichen, ist mit seinem extremen Individualismus auch in Deutschland bereits zum Kultautor geworden.

Mit Wilde Talente, Forts vielleicht schönstem und persönlichstem Buch, komplettiert der Kopp Verlag die Edition seiner Bücher. Damit liegt das wissenschaftliche Lebenswerk des Forschers und des Chronisten unerklärlicher Phänomene endlich wieder vollständig in deutscher Sprache vor.

Jede Menge Stoff zum Staunen!

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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1. Auflage Oktober 2025

Titel der englischen Originalausgabe:Wild Talents

Copyright © 2025 für die deutschsprachige Ausgabe bei

Kopp Verlag, Bertha-Benz-Straße 10, D-72108 Rottenburg

Alle Rechte vorbehalten

Übersetzung aus dem Englischen: Matthias Schulz

Covergestaltung: Nicole Lechner

Satz und Layout: Mohn Media Mohndruck GmbH, Gütersloh

ISBN E-Book 978-3-98992-144-3

eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

Gerne senden wir Ihnen unser Verlagsverzeichnis

Kopp Verlag

Bertha-Benz-Straße 10

D-72108 Rottenburg

E-Mail: [email protected]

Tel.: (07472) 98 06-10

Fax: (07472) 98 06-11

Unser Buchprogramm finden Sie auch im Internet unter:

www.kopp-verlag.de

Charles Fort

Wilde Talente

Kopp Verlag

Kapitel 1

Ich kann natürlich nur Vermutungen anstellen, doch der Fischladen von John Henry Sanders in der Colville Street 75 in Derby, England, kann nur ein kleiner gewesen sein. Seine Frau half nämlich mit, und wenn ich von helfenden Ehefrauen lese, gehe ich davon aus, dass das Unternehmen ihrer Ehemänner nicht besonders gut läuft. Wenn Mrs. Sanders also mit anpackte und dabei die eine oder andere Fischschuppe hinterließ, folgere ich daraus, dass es sich um kein großes Fischgeschäft gehandelt hat.

Am Abend des 4. März 1905 brach bei den Sanders im Zimmer der Hausmagd ein Feuer aus. Niemand war zu Hause, und so musste die Feuerwehr die Tür aufbrechen. Im Schlafzimmer gab es keinen Kamin. Nicht der geringste Hinweis fand sich, der den Vorfall hätte erklären können, und die Feuerwehrmänner meldeten: »Ursache unbekannt.« Sie kehrten auf die Feuerwache zurück, wo sie sofort zum Haus der Sanders zurückgerufen wurden. Es brannte erneut, diesmal in einem anderen Zimmer. Auch hier »Ursache unbekannt«.

Die Sanders, die sich zu diesem Zeitpunkt in ihrem Laden aufhielten, wurden benachrichtigt und eilten nach Hause. Es fehlte Geld. Es fehlten viele Dinge. Emma Piggott, die Magd, wurde verdächtigt. Im Haus ihrer Eltern fand man eine Kiste, in der die Sanders 5 Pfund entdeckten und als die ihren identifizierten; außerdem fanden sie eine reiche Ausbeute an Dingen wie Tranchierbesteck, Zuckerzangen, Tischdecken, mehrere Dutzend Taschentücher, Salzlöffel, Duftfläschchen, Vorhanghaken, eine Haarbürste, türkische Handtücher, Handschuhe, einen Schwamm, zwei Uhren und eine Puderdose.

Das Mädchen wurde verhaftet und vor dem Polizeigericht von Derby der Brandstiftung und des Diebstahls angeklagt. Die Diebstähle räumte sie ein, aber von den Bränden wollte sie nichts wissen. Doch der Zusammenhang zwischen den Diebstählen und den Bränden schien so groß zu sein, dass beide Anklagepunkte erhoben wurden, denn schließlich wären die Diebstähle niemals entdeckt worden, wäre das Haus abgebrannt.

Doch nicht genug, dass Diebstähle stattgefunden hatten, denen Brände folgten: Es waren so viele Dinge gestohlen worden, dass, falls es sich beim Haushalt der Sanders nicht um einen sehr großen Haushalt handelte, einige dieser Dinge vermisst worden wären – falls nicht jemand alles auf einmal gestohlen hatte. Ich habe keinen Grund zu der Annahme, dass die Sanders auf derart großem Fuße lebten, dass sie nicht gemerkt hätten, wenn ihnen von Zeit zu Zeit Wertgegenstände abhandengekommen wären. Also sprach alles für einen einzigen großen Beutezug, den das Mädchen anschließend mit einer Inbrandsetzung des Hauses vertuschen wollte.

Emma Piggotts Anwalt zeigte, dass sie zum Zeitpunkt des ersten Feuers überhaupt nicht in der Nähe des Hauses gewesen war. Als das zweite Feuer ausbrach, kam sie gerade von ihrem freien Abend zurück und befand sich auf der Straße, wo sie die Nachbarn darauf aufmerksam machten, dass aus einem der Fenster Rauch aufstieg. Der Fall erwies sich als zu kompliziert für ein Polizeigericht und wurde auf die Sommersitzung des Schwurgerichts verwiesen.

Derby Mercury, 19. Juli: Das Verfahren wird wieder aufgenommen. Die Staatsanwaltschaft erklärt weiterhin, dass sich die Brände einzig und allein durch Brandstiftung erklären ließen und dass das Motiv des Mädchens auf der Hand liege. Weil sie eine vollständige Zerstörung des Hauses geplant habe, damit niemand mehr würde sagen können, was tatsächlich fehlte, hatte sie im Vorfeld auch derart ungehemmt zugelangt.

Erneut bewies die Verteidigung, dass das Mädchen die Brände nicht gelegt haben konnte. Der Anklagepunkt der Brandstiftung wurde fallen gelassen, und Emma Piggott erhielt 6 Monate Zwangsarbeit für die Diebstähle.

Am 2. Dezember 1919 verschwand Ambrose Small, wohnhaft in Toronto, Kanada. Soweit man wusste, hatte er sich am Abend des 2. Dezember zwischen 17 und 18 Uhr in seinem Büro im Toronto Grand Opera House aufgehalten, das ihm gehörte. Niemand sah ihn sein Büro verlassen. Niemand – zumindest niemand, dessen Aussage hätte akzeptiert werden können – sah ihn an jenem Abend außerhalb des Gebäudes. Es gab Gerede über eine Frau. Auf jeden Fall verschwand Ambrose Small und hinterließ über eine Million Dollar.

Dann verschwand John Doughty, Smalls Sekretär.

Mrs. Small und die Nachlassverwalter öffneten Smalls Tresorfächer und fanden darin Wertpapiere im Wert von 1,125 Millionen Dollar. Man entdeckte eine Bestandsliste, derzufolge die Summe von 105 000 Dollar fehlte. Es gab eine Untersuchung, infolge derer in einem Versteck im Haus von Doughtys Schwester Wertpapiere im Wert von 105 000 Dollar gefunden wurden.

In zahllosen Zeitungen rund um den Globus erschienen Anzeigen, in denen mitgeteilt wurde, dass Ambrose Small verschwunden und für sachdienliche Hinweise eine Belobung ausgeschrieben sei. Eben war er noch in seinem Büro gewesen, im nächsten Moment wie vom Erdboden verschluckt.

Auch Doughty wurde gesucht. Er war nicht einfach verschwunden, sondern hatte sich nach Leibeskräften darum bemüht, unauffindbar zu sein. Doch man konnte seine Spur in eine Stadt in Oregon zurückverfolgen, wo er unter dem Namen Cooper lebte. Man holte ihn nach Toronto zurück und machte ihm dort den Prozess. Die Anklage lautete, er habe die Wertpapiere gestohlen und Small verschleppt, um seine Diebstähle zu vertuschen.

Ambrose Small, wohlhabend, bei guter Gesundheit und, soweit sich das beurteilen ließ, ohne größere Sorgen, habe überhaupt keinen Grund gehabt, zu verschwinden und 1,125 Millionen Dollar zurückzulassen, erklärte die Staatsanwaltschaft. Sein Sekretär hingegen habe Geld unterschlagen und folglich ein Motiv für dessen Entführung gehabt. Die Anklage behauptete nicht, Small sei mucksmäuschenstill und völlig unbeachtet aus seinem Büro verschleppt worden, wo er von Assistenten umgeben war, sondern brachte das Argument vor, er habe, obwohl ihn niemand hatte gehen sehen, einfach das Büro verlassen. Es sei vorstellbar, dass er dann auf der Straße aufgegriffen worden sei, ohne dass es dafür Augenzeugen gegeben habe. Ein Zeitungsjunge sagte aus, er habe Small am Abend des 2. Dezember zwischen 17 und 18 Uhr in einer benachbarten Straße gesehen, aber der Vater des Jungen widersprach der Aussage. Ein weiterer Zeitungsjunge sagte aus, Small habe bei ihm an jenem Abend nach 18 Uhr eine Zeitung gekauft, musste aber auf Befragung einräumen, dass er sich nicht völlig sicher sei, was das Datum angehe.

Ganz offenkundig bestand ein Zusammenhang zwischen der Unterschlagung und dem Verschwinden, denn dieses hätte ohne die Inventur die Diebstähle vertuscht. Doch der Anklagepunkt der Entführung ließ sich nicht aufrechterhalten. Also wurde Doughty der Unterschlagung für schuldig befunden und zu 6 Jahren Gefängnis im Kingston Penitentiary verurteilt.

Die Londoner News of the World berichtete am 6. Juni 1926 über »merkwürdig verwobene Zusammenhänge«. Ein Mann war am helllichten Tag in der Öffentlichkeit gestorben. Henry Arthur Chappell, der im Theater die Cateringabteilung leitete, war auf dem Bürgersteig vor dem Londoner Gaiety Theatre tot aufgefunden worden. Der bekannte Pathologe Professor Piney führte eine Autopsie durch. Der Schädel des Toten wies eine Fraktur auf, und Professor Pineys Diagnose lautete, Chappell habe ein Herzversagen erlitten und sei rückwärts gestürzt, was den Schädelbruch erklären würde. Allerdings ergänzte Piney, er habe zwar Hinweise auf eine leichte Beeinträchtigung des Herzens finden können, diese hätte aber eigentlich nicht zu einem Ohnmachtsanfall führen dürfen.

Die Indizien sprachen vielmehr dafür, dass es sich um einen Mordfall handelte. Die Polizei nahm Ermittlungen auf und stellte fest, dass es kurz zuvor Probleme gegeben hatte. Chappell hatte Rose Smith entlassen, ein Mädchen, das an einer der Erfrischungstheken gearbeitet hatte. Daraufhin legte sie ihm eines Abends einen Zettel mit der Nachricht auf die Türschwelle, dass sie beabsichtige, sich das Leben zu nehmen. Ein paar Nächte später wurde sie im Garten hinter Chappells Haus verhaftet. Sie trug Männerkleidung und führte ein Messer bei sich, dazu Streichhölzer und eine Flasche Paraffin. Vermutlich war sie auf Mord und Brandstiftung aus, die Anklage allerdings lautete auf unbefugtes Betreten, was ihr 2 Monate Zwangsarbeit einbrachte. Es wurde bekannt, dass Chappell genau an dem Tag starb, an dem das Mädchen aus dem Gefängnis entlassen wurde.

Als Rose Smith verhaftet worden war, hatte Chappell, soweit man wusste, keinen Feind mehr. Am Tag der Freilassung des Mädchens starb er.

Aber die Anschuldigung scheiterte, denn ein Polizeiinspektor sagte aus, dass sich Rose Smith zum Zeitpunkt von Chappells Tod in der Gefangenenhilfe befunden hatte.

Kapitel 2

Ich sammle Notizen über sehr diverse Themen wie Konzentrizitätsabweichungen des Mondkraters Kopernikus, das plötzliche Auftauchen purpurfarbener Engländer, stationäre Meteorradianten, Berichte über das Haarwachstum auf dem Kopf einer kahlen Mumie – und die Frage: »Hat das Mädchen den Oktopus verschluckt?«

Doch mein lebhaftestes Interesse gilt weniger den Dingen selbst als vielmehr ihren Beziehungen zueinander. Ich habe weitaus mehr Zeit damit zugebracht, über vermeintliche Pseudobeziehungen nachzudenken, die man Koinzidenzen nennt. Was, wenn es sich bei einigen keineswegs um Koinzidenzen handelte?

Als Ambrose Small verschwand, konnte nur einer einzigen Person ein Motiv für sein Verschwinden zugeschrieben werden. Die Brände in dem Haus in Derby konnten nur einer Person zugeschrieben werden. Der wahrscheinliche Mord an Henry Chappell konnte nur einer Person zugeschrieben werden. Folgt man aber den Gerichtsurteilen in all diesen Fällen, so läuft all dies einfach nur auf eine Koinzidenz zwischen Motiven und Ereignissen hinaus.

Bevor ich mir den Fall von Ambrose Small näher ansah, weckte ein anderer vermeintlicher Zufall mein Interesse daran. Diesem Punkt auch nur in irgendeiner Form Bedeutung beizumessen, schien so unsinnig zu sein, dass ich, meiner umfassenden Erfahrung folgend, ernsthaft darüber nachdachte. Ungefähr 6 Jahre vor dem Verschwinden von Ambrose Small war nämlich Ambrose Bierce verschwunden. Zeitungen in der ganzen Welt machten großes Aufheben um diesen rätselhaften Fall. Doch was könnte das Verschwinden des einen Ambrose in Texas mit dem Verschwinden eines anderen Ambrose in Kanada zu tun haben? Sammelte jemand Ambroses? In solchen Fragestellungen schwingt etwas Kindisches mit, dem ich voller Respekt meine Aufmerksamkeit schenkte.

Lloyd’s Sunday News, London, 20. Juni 1920: In der Nähe der Stadt Stretton in Leicestershire fand man den Leichnam einer Radfahrerin namens Annie Bella Wright. Die Todesursache war eine Kopfwunde. Der Journalist, der die Reportage verfasste, war eher vom unlogischen Schlag, denn er fügte seiner Story einen Aspekt hinzu, der keinerlei Zusammenhang mit der eigentlichen Geschichte aufwies. Oder trieb ihn eine schwache Ahnung an, dass es womöglich doch einen unerklärlichen Zusammenhang gab? Jedenfalls schrieb er, man habe auf einem Feld nicht allzu weit von dem Ort entfernt, an dem man den Leichnam des Mädchens gefunden hatte, eine tote Krähe entdeckt.

Die Erklärung »Koinzidenz« hat viel mit Faulheit und Hilflosigkeit zu tun und ist eine Reaktion auf die instinktive Sorge, ein wissenschaftliches Dogma könnte in Gefahr geraten. Sie ist ein Etikett oder ein Label, trifft aber wie jedes Etikett und jedes Label irgendwann auch einmal zu. Vor einiger Zeit kam mir ein Fall unter, bei dem Ermittler nach einem Mann suchten, der Jackson hieß und ein Glasauge hatte. So wurde in Boston auch ein Jackson mit Glasauge verhaftet, nur war es nicht der gesuchte Jackson mit Glasauge. Der wurde schon bald darauf in Philadelphia verhaftet. Ich bin der Geschichte nicht weiter nachgegangen – etwa in der Weise, zu folgern, dass, wenn es in Chicago einen Murphy mit Hasenscharte gibt, es andernorts einen weiteren Murphy mit Hasenscharte geben müsste. Für Optimisten, die glauben, unsere Existenz sei ausgeglichen, wäre dieser Gedanke tröstlich. Ich kann nur berichten, dass ich es nicht bestätigt habe.

Doch zurück zum Mädchen- und zum Krähenleichnam …

Ich gehe Zeitungsstapel durch und stolpere über Folgendes:

Frauenleichnam, gefunden im Fluss Dee nahe der Stadt Eccleston (Londoner Daily Express, 12. Juni 1911). Ganz in der Nähe entdeckte man den Leichnam einer weiteren Frau. Eine dieser Frauen hatte in Eccleston gelebt, bei der anderen handelte es sich um eine Besucherin der Isle of Man. Die beiden kannten sich nicht. Am Morgen des 10. Juni verließen sie in unterschiedlichen Stadtteilen gegen 10 Uhr das Haus.

New York American vom 20. Oktober 1929: »Mysterium in der Wüste: Zwei Leichname gefunden.« In der Coachella-Wüste nahe Indio, Kalifornien, hatte man knapp 2 Meter voneinander entfernt zwei männliche Leichname gefunden. Bei dem einen Toten handelte es sich um einen Einwohner Coachellas, der andere wurde nicht identifiziert. »Die Behörden sind überzeugt, dass es zwischen den beiden Todesfällen keinerlei Zusammenhang gibt.«

Im New York Herald vom 26. November 1911 findet sich ein Bericht über die Hinrichtung von drei Männern. Sie wurden wegen der Ermordung von Sir Edmund Berry Godfrey aus Greenberry Hill in London gehenkt. Die Namen der Mörder: Green, Berry und Hill. Offensichtlich handelte es sich um eine bloße Koinzidenz, könnte aber auch eine Mischung aus üblem Streich und Mord gewesen sein.

New York Sun vom 7. Oktober 1930: William Lumsden aus Roslyn, Washington, gerät mit einem Arm unter einen Traktor. Der Arm wird zerquetscht. Er war die dritte Person aus drei Generationen, die ihren linken Arm verlor. War das Zufall, oder muss ich akzeptieren, dass auf Familien so etwas wie ein »Fluch« liegen kann? Am Anfang eines Buches fallen mir derart definitive Aussagen schwer, außerdem entfernen wir uns von unserem eigentlichen Thema: Leichname.

»Unerklärliche Fälle von Ertrinken in Douglas Harbor, Isle of Man.« In den Londoner Daily News vom 19. August 1910 heißt es, man habe im Hafen die Leichen eines jungen Mannes und eines Mädchens gefunden. Sie waren als »junges Paar« bekannt, und ihr Ertrinken wäre als Ausdruck einer gemeinsamen Emotion nachvollziehbar, wenn da nicht noch der Leichnam eines Mannes in mittleren Jahren gewesen wäre, von dem nicht bekannt war, dass er in irgendeiner Form in Verbindung zu den beiden gestanden hätte.

Londoner Daily Chronicle vom 10. September 1924: »In der Nähe von Saltdean, Sussex, kollidierten Mr. F. Pender und zwei Passagiere in seinem Beiwagen mit einem Pfosten. Alle wurden schwer verletzt. Auf einem an die Straße angrenzenden Feld wurde der Körper eines Schäfers namens Funnell aus Rodwell entdeckt. Sein Tod stand in keinem bekannten Zusammenhang mit dem Unfall.«

Die Home News aus der Bronx berichtete einen Tag später über einen Vorfall vom 14. Juni 1931: »Polizist Talbot von der Wache East 126th Street suchte gestern gegen 10 Uhr den Mount Morris Park auf, um einen Mann zu wecken, der offenbar auf einer Bank nahe dem Eingang zur 124th Street eingeschlafen war. Er musste feststellen, dass der Mann tot war. Dr. Patterson vom Harlem Hospital erklärte, der Tod gehe mutmaßlich auf Herzversagen zurück.« New York Sun, 15. Juni: Kurz nachdem dieser Leichnam auf der Parkbank entdeckt worden war, fand man auf einer anderen Bank in der Nähe einen weiteren Toten.

Ich habe zwei Geschichten, die den beiden vorangegangenen ähneln, aber ich möchte, dass man sie im Zusammenhang betrachtet.

Im November 1888 wurden zwei Einwohner von Birmingham, Alabama, ermordet. Man entdeckte ihre Leichen im Wald (St. Louis Globe-Democrat, 20. Dezember 1888). »Doch dann tauchte ein neues Mysterium auf, das diesen beiden rätselhaften Morden die Aufmerksamkeit entzog.« Man entdeckte nämlich in den Wäldern nahe Birmingham einen dritten Leichnam, bei dem es sich um einen Fremden handelte. »Der Leichnam liegt unidentifiziert in den Räumen des Bestatters. Niemand, der den Toten gesehen hat, kann sich erinnern, diese Person je lebend gesehen zu haben, und eine Identifizierung erscheint unmöglich. Der Tote war allem Anschein nach gut situiert, wenn nicht gar wohlhabend. Es ist ein Rätsel, was er dort, wo sein Leichnam entdeckt wurde, getrieben haben könnte. Mehrere Personen, die den Leichnam in Augenschein nahmen, äußerten die Ansicht, es handle sich um einen Ausländer. In jedem Fall war der Mann in dieser Region völlig fremd, und sein Erscheinen muss ebenso mysteriös gewesen sein wie sein Ableben.«

Ich führe diese Umstände nur ihres mysteriösen Charakters wegen an. Wiederholt sich jedoch eine Situation, nimmt mein Interesse zu. Wir haben es hier mit einer Serie von lokalen Mordfällen zu tun und dem Auftauchen der Leiche eines Fremden, der jedoch kein Landstreicher war.

Philadelphia Public Ledger, 4. Februar 1892: Ein Mord in der Nähe von Johnstown, Pennsylvania. Jemand hat ein Ehepaar namens Kring umgebracht und die Leichen verbrannt. Anschließend wurde in den Wäldern bei Johnstown der Leichnam eines Fremden gefunden. Der Tote war gut gekleidet, konnte aber nicht identifiziert werden. Man entdeckte noch einen weiteren Leichnam – einen »wohlgekleideten Herrn, der nichts bei sich trug, anhand dessen man ihn hätte identifizieren können«.

Es gibt eine Betrachtungsweise, mit der gezeigt oder mehr oder weniger bewiesen werden kann, dass es noch nie einen Zufall gegeben hat, jedenfalls nicht in einem endgültigen Sinn. Mit einem Zufall ist ein falscher Anschein oder eine falsche Vermutung von Beziehungen zwischen verschiedenen Gegebenheiten gemeint. Wer jedoch akzeptiert, dass sämtlichen Dingen Einssein zugrunde liegt, der akzeptiert auch, dass es kein absolutes Fehlen von Zusammenhängen zwischen verschiedenen Gegebenheiten beziehungsweise dass es keine Koinzidenzen gibt – in dem Sinne, dass in der Farb- und Musikwelt keine wirklichen Missklänge vorkommen.

Zwei Farben oder Töne können in Einklang miteinander gebracht werden, indem man sie mit anderen Farben oder Klängen in Verbindung bringt.

Ich würde nicht sagen, dass meine Frage, was das Verschwinden des einen Ambrose mit dem Verschwinden eines weiteren Ambrose zu tun hat, völlig sinnlos ist. Vielleicht hat das Verschwinden von Ambrose Bierce jemanden dazu angeregt, über die Möglichkeit nachzudenken, Ambrose Small verschwinden zu lassen. Lässt sich das Verschwinden von Ambrose Small nicht in den Begrifflichkeiten einer physischen Entführung beschreiben, halte ich das nicht für sonderlich bedeutsam, solange die Physiker nicht verständlich beschreiben können, was sie unter »physischen Begrifflichkeiten« verstehen.

Kapitel 3

Vor langer Zeit, als ich noch ein ausgesprochen böser Junge war, wurde ich damit bestraft, dass ich samstags in den Laden gehen und arbeiten musste. Ich hatte den Auftrag, die Etiketten anderer Händler von Konserven abzukratzen und an ihrer Stelle die Etiketten meiner Eltern anzubringen. Theoretisch sollte mich diese Zwangsarbeit lehren, die Fehler betrügerischer Wege zu erkennen. Oft werden Schlingel auf ziemlich verschlungenen Pfaden auf den Weg der Tugend zurückgeführt.

Eines Tages türmten sich pyramidenweise Konservenbüchsen mit unterschiedlichen Früchten und Gemüsesorten vor mir auf, ich hatte jedoch alle Etiketten bis auf die für Pfirsiche verbraucht. Also beklebte ich Pfirsichkonserven mit Pfirsichetiketten, bis ich zu den Aprikosen gelangte. Sind Aprikosen nicht gewissermaßen auch Pfirsiche? Außerdem gibt es Pflaumen, die praktisch Aprikosen sind. Ob mir nun der Schalk im Nacken saß oder mich wissenschaftliche Überlegungen antrieben, ich machte weiter und zeichnete Dosen mit Pflaumen, Kirschen, Brechbohnen und Succotash 1 als Pfirsichkonserven aus. Was mich dazu motivierte, kann ich nicht genau sagen, denn es ist bis heute unentschieden, ob ich ein Humorist oder ein Wissenschaftler bin. Ich denke zwar, dass es eher Schabernack war, aber wir werden im Laufe der Zeit erkennen, dass dies Vorgehen durchaus auch etwas Wissenschaftliches an sich hatte, und Respekt davor entwickeln.

In der englischen Stadt Derby kam es zu Vorfällen, die für den Uneinsichtigen weder mit Pfirsichen noch mit Succotash zu tun zu haben scheinen (Derby Mercury vom 15. Mai 1905 und die folgenden Ausgaben). In einer Mädchenschule stießen Mädchen einen Schrei aus und sanken bewusstlos zu Boden. Einige Leser werden nun über die mögliche Wirkung von Pfirsichen und Succotash nachgrübeln und nicht wissen, was ich meine. Andere werden eine »Symbolik« darin erkennen und mir Wertschätzung erweisen, wenngleich ich nicht weiß, was sie meinen.

Innerhalb von 5 Tagen kam es zu 45 Vorfällen, bei denen Mädchen aufschrien und in Ohnmacht fielen. »Den Mädchen fehlte es an Kraft, und sie mussten nach Hause gebracht werden. Eines von ihnen war derart geschwächt, dass es sich nicht einmal mehr aufsetzen konnte.« Man vermutete, dass ein unbekanntes giftiges Gas oder ein entsprechender Dampf ausgetreten war, doch die Mäuse, die man in den Klassenzimmern ausgesetzt hatte, zeigten keinerlei Reaktion. Die wissenschaftliche Erklärung lautete »Massenpsychologie«. Da ich keine weiteren Daten zur Verfügung habe, mit denen ich arbeiten könnte, erscheint mir diese Erläuterung zutreffend zu sein. Wenn ein Mädchen ohnmächtig wird und ein zweites Mädchen es ihm aus Mitgefühl nachtut, entspricht dies unseren Vorstellungen vom Wesen der Menschen. Sie stecken einander an und schauen, essen, riechen, denken, lieben, hassen, sprechen, kleiden sich und lesen folglich auch auf ein und dieselbe Weise – ja, sie unterziehen sich sogar denselben chirurgischen Eingriffen. Warum sollten also nicht 43 weitere Mädchen aus ungewolltem Nachahmungsdrang heraus ebenfalls das Bewusstsein verlieren? Manch reifer Mensch mag sich über eine derartige Hysterie erhaben fühlen, aber viele von ihnen verfügen nicht über sonderlich viel Bewusstsein.

Im Brooklyn Eagle vom 1. August 1894 findet sich eine Geschichte über »Massenpsychologie«. Auch in diesem Fall könnte die Schilderung zutreffen, so scheint es mir. Wenn man bedenkt, wie Menschen leben, ist es nur folgerichtig, dass sie einander auch im Sterben nachahmen. Im Juli 1894 brach in einem großen Weinberg in Collis in der Nähe von Fresno, Kalifornien, Panik aus. Jemand in dem Weinberg war infolge eines »Herzversagens« tot umgefallen. Dann fiel noch jemand tot um. Eine dritte Person erlitt einen Zusammenbruch und lag im Sterben. Es war kein Wissenschaftler vor Ort, der eine einleuchtende Erklärung zur Hand hatte. Man mag es für amüsant halten, aber die Menschen in diesem Weinberg glaubten, dort gehe etwas Unheimliches vor sich, und flohen. »Alle haben den Ort verlassen, und die Behörden leiten eine gründliche Untersuchung in die Wege.« Das ist alles, was man über diese Angelegenheit findet, was nach der Ankündigung einer »gründlichen Untersuchung« keineswegs erstaunlich ist.

Lässt sich etwas nicht anders beschreiben, so muss es sich um »Massenpsychologie« handeln. In der englischen Stadt Bradford gab es am 1. März 1923 in einem Haus in der Columbia Street einen jener Anlässe, bei denen die Glückwünsche, Hassbekundungen, Boshaftigkeiten, Ausgelassenheiten und weiteren mehr oder weniger giftigen Eifersüchteleien einer Hochzeitsgesellschaft einen Zustand heraufbeschwören, den man als fröhlich bezeichnet. Doch plötzlich schlug das sorglose Geplauder der Gäste in ein regelrechtes Delirium um. Es wurden Schreie laut, und einige sanken ohnmächtig zu Boden. Erst Hochzeitsglocken, dann die Sirenen der Krankenwagen – vier Personen wurden ins Krankenhaus eingeliefert.

Die Zeitungen in London berichteten über den Vorfall, und trotz seiner Skurrilität schien die konventionelle Erklärung zu passen.

Der in Bradford verlegte Yorkshire Evening Argus veröffentlichte am 3. März 1923 Einzelheiten, die zum Widerstand gegen jedweden Versuch einer konventionellen Erklärung verleiten. Menschen in Nachbarhäusern waren ebenfalls von dieser »rätselhaften Erkrankung« betroffen. Es wurden mehrere Namen von Familien veröffentlicht, deren Mitglieder davon auf unerklärliche Weise übermannt worden waren: Downing, Blakey, Ingram.

Wenn Menschen betroffen sind, die in einer engen Nachbarschaft wohnen, jedoch in unterschiedlichen Häusern mit so wenig Kontakt zueinander, dass man nicht von einem »massenpsychologischen Ereignis« sprechen kann, dann scheinen die Dinge auf der Hand zu liegen: Die Menschen müssen etwas ausgesetzt gewesen sein, das giftig war oder auf andere Weise Schaden anrichten konnte. Natürlich dachte man an einen Gasaustritt, aber niemand meldete Gasgeruch, und es wurde auch kein Gasleck gefunden. Es gab die übliche gründliche Untersuchung, die dem Vergessen vorausgeht. Jemand brachte die Idee auf, die »mysteriöse Erkrankung« sei auf Dämpfe aus dem Schlot einer nahe gelegenen Fabrik zurückzuführen. Ich halte die Hochzeitsfeier für den zentralen Umstand, doch ein Fabrikschlot, der sich noch nie zuvor bemerkbar gemacht hatte und plötzlich während einer Hochzeitsfeier zu qualmen anfängt? Diese Vorstellung fällt mir schwer. Ein Reporter des Argus schrieb, das Gesundheitsamt habe diese These zurückgewiesen. Er selbst habe in der Nachbarschaft nachgeforscht, aber keine ungewöhnlichen Gerüche feststellen können.

Bei dem Bradforder Ereignis gab es keinen Gasgeruch. Ich habe mir Notizen zu einem Vorkommnis in London gemacht, bei dem dies der Fall war, das dessen ungeachtet aber keineswegs weniger mysteriös ist. Im Londoner Weekly Dispatch vom 12. Juni 1910 ist die Rede von »einem der erstaunlichsten und rätselhaftesten Fälle von Gasvergiftung, zu denen es in den vergangenen Jahren in London gekommen ist«. Am Morgen des 10. Juni hatte eine Frau bei der Polizei angerufen und ein vermeintliches Gasleck gemeldet. Daraufhin suchte ein Polizist das Haus in der Neale Street in Holborn auf. Da es sich seiner Einschätzung nach um ein besorgniserregendes Leck handelte, klopfte er an die Türen in einem anderen Stockwerk des Hauses. Als niemand reagierte, brach er eine Tür auf und fand die Bewohner bewusstlos vor. In zwei Nachbarhäusern entdeckte man vier weitere bewusstlose Personen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass sich zwischen diesen Häusern ein Haus befand, in dem niemand betroffen war und in dem es auch nicht nach Gas roch. Das Gasunternehmen sandte einen Trupp Leute los, aber die suchten vergeblich nach einem Leck. Die Bewohner dreier Häuser wurden von Dämpfen wie von einem ungewöhnlichen und leicht aufzuspürenden Gasaustritt niedergestreckt, aber wie die Lokalzeitung Holborn Guardian berichtet, hatte das Gaswerk auch eine Woche später den Ursprung des Lecks nicht ausfindig machen können.

Im Dezember 1921 trug sich in Deutschland in der friesischen Gemeinde Zetel etwas zu (Londoner Daily News vom 2. Januar 1922). Auf den Straßen einer Stadt fiel jemand in Ohnmacht. Ob sich daraufhin epidemisch Furcht ausbreitete – Stichwort »Massenpsychologie« – oder irgendetwas anderes der Grund dafür war, es fielen weitere Personen in Ohnmacht. »Bislang konnte keinerlei Licht in das Dunkel gebracht werden.«

Es gab die These, eine »wie auch immer geartete Strömung« sei über das Dorf hinweggezogen. Das ähnelt dem, was sich am 19. Juni 1929 im texanischen El Paso zutrug (New York Sun, 6. Dezember 1930). Auf den Straßen fielen Menschen scharenweise um, mehrere starben. Was auch immer es war, es wurde als »tödliches Miasma« bezeichnet. Und das Thema geht weiter mit den Dutzenden Menschen, die am 5. Dezember 1930 in einem Nebel im belgischen Maastal ums Leben kamen. Auf diese Weise können wir eine schön glatte und logische Linie von den Ereignissen in einer Mädchenschule bis hin zu einer meteorologischen Debatte ziehen.

Die Lloyd’s Weekly News (London) brachten am 17. Januar 1909 eine Meldung aus der im Kaukasus gelegenen Stadt Baku. Monsieur Krassilrukoff war mit zwei Begleitern zur Jagd auf Sand Island 2 im Kaspischen Meer aufgebrochen. Da man nichts mehr von ihnen hörte, wurde eine Untersuchung eingeleitet. Der Suchtrupp stieß auf die Leichen der drei Männer. So wie sie dalagen, schienen sie ganz ohne Gegenwehr gestorben zu sein. Es gab keinerlei Hinweise auf Verwundungen, ihre Kleidung war nicht in Unordnung, und bei der Autopsie fand man auch keine Giftspuren. »Die Ärzte wollten sich nicht zu einer Erklärung durchringen, vermuteten aber, die Männer seien erstickt worden.«

The Observer (London) schreibt am 23. August 1925: »Aus dem polnischen Tatra-Gebirge nahe dem Kurort Zakopane wird eine rätselhafte Tragödie gemeldet. Eine Gruppe – bestehend aus Herrn Kasznica, Richter am Obersten Gericht, seiner Frau, ihrem 12-jährigen Sohn und einem jungen Studenten der Krakauer Universität – war bei schönem Wetter zu einem Kurzausflug in die angrenzenden Berge aufgebrochen. 2 Tage später fand man drei von ihnen tot auf.«

Nur Frau Kasznica war noch am Leben. Sie sagte, während des Aufstiegs sei es allen gut gegangen, bis sie plötzlich von Erstickungsanfällen überfallen wurden. »Ein Wind, der stickige Luft heranwehte,« dachte sie. Einer nach dem anderen aus der Gruppe fiel bewusstlos um. Die Autopsie ergab keinerlei Hinweise auf einen Tod durch Ersticken noch sonst etwas Aufschlussreiches. »Einige Zeitungen spekulieren über ein Verbrechen, aber bislang bleibt die Angelegenheit rätselhaft.«

In der Vergangenheit gab es wiederholt Fälle, die als rätselhaft bezeichnet wurden, wenngleich sie angesichts des allgemeinmenschlichen Verhaltens durchaus erklärbar sind. So berichtete das New York World-Telegram am 9. März 1931, bei der Howard Clothes Company in der Nassau Street in Brooklyn seien rund 30 Männer und Frauen bei der Arbeit gewesen, als plötzlich Angst und Schrecken unter den Menschen ausbrach und sie panisch auf die Straße liefen. Der Ort war von einem stechenden Geruch erfüllt, der Übelkeit erregte. Auf der Straße angelangt, brachen die Männer und Frauen zusammen oder stolperten halb bewusstlos durch die Gegend. Dutzende von ihnen wurden in Läden gebracht, wo man ihnen Erste Hilfe leistete, bis die Krankenwagen eintrafen.

Das Phänomen trug sich im zweiten Stock des Cary Building zu, in dem das Textilunternehmen seinen Sitz hatte. Niemand sonst in dem Gebäude wurde in Mitleidenschaft gezogen. Sämtliche Gasleitungen in der Fabrik waren intakt, und es fand sich auch keine Gasbombe. Man tappte völlig im Dunkeln. Bedenkt man jedoch die zahlreichen Verbrechen jener Zeit, ist der Verdacht stark, dass Giftgas in dieser Fabrik freigesetzt wurde, möglicherweise aus menschlichem Hass in wirtschaftlich unruhigen Zeiten.

Da wir gerade beim Thema Rache sind: Möglicherweise sind wir hier einer These auf der Spur, auch wenn das bedeutet, dass wir uns Hass vorstellen müssten, der sogar Menschen nachstellt, die sich hoch oben auf einem Berg aufhalten.

In vielen Köpfen herrscht heute der Eindruck, dass das Wort »unheimlich« nichts weiter als eine bequeme Vokabel für Kreuzworträtselmacher ist. Zwar gibt es Abgründe des Unerklärlichen, aber sie werden mit Fachbegriffen überbrückt. Vier Teilnehmer an einer Hochzeitsgesellschaft werden ins Krankenhaus eingeliefert. Nun, wenn es nicht wieder einer dieser Scherze war, bei dem man Ziegelstücke mit Konfetti vermischt, dann war es wohl wieder das Speiseeis – beziehungsweise eine Ptomainvergiftung. 3 Eine derartige Erklärung anzubieten und dabei gleichzeitig zu demonstrieren, dass man gebildet genug ist, das »P« in »Ptomain« nicht mitzusprechen, ist derart befriedigend, dass das Stopfen riesiger Wissenslücken mit hauchdünner Gelehrsamkeit vermutlich ewig weitergehen wird. Asphyxie als Erklärung hat ganze Heerscharen von Verdächtigungen verführt, die gegen einen banalen Begriff wie »Gasvergiftung« Sturm gelaufen wären.

New York Sun, 22. Mai 1928: eine Geschichte aus Newton in Massachusetts. Ein Arzt aus dieser Stadt wurde zu William M. Duncan nach Hause gerufen. Da ihm niemand öffnete, verschaffte er sich auf anderem Weg Zutritt. Das Haus schien verlassen zu sein, aber der Arzt suchte die Räume ab und gelangte schließlich in ein Zimmer, in dem vier Körper auf dem Boden lagen. Zwar roch es nicht nach Gas, doch der Arzt behandelte sie, als handle es sich um Erstickungsanfälle. Die Personen erholten sich und bemühten sich um Erklärungen. Duncan hatte den Raum betreten und war sofort in Ohnmacht gefallen. Weil seine Frau sich fragte, wo er blieb, hatte sie sich auf die Suche gemacht und war beim Betreten des Raums ebenfalls in Ohnmacht gefallen. Als Nächstes kam einer der Söhne, und auch er brach zusammen. Zufällig kam der andere Sohn ebenfalls dorthin, er spürte jedoch, wie ihn etwas überkam, und konnte, bevor er das Bewusstsein verlor, noch zum Telefon stolpern.

Die Erklärung des Arztes: »Massenpsychologie«.

Ich schätze, die Leserschaft der Sun konnte sich keinen Reim auf die Geschichte machen, bis sie zu dieser Erklärung gelangte und sich sagte: »Aber natürlich! Das ist es, Massenpsychologie!«

Unter sämtlichen Dingen herrscht eine Kontinuität, die Klassifizierungen zu Fiktionen macht. Dementsprechend hängen alle menschlichen Erkenntnisse von Vereinbarungen ab, sodass alle Bücher, ob nun wissenschaftlich, theologisch oder philosophisch, letztlich bloß Literatur sind. In Schottland kam es im September 1903 zu einem Vorfall, der sich – genauso wie einige andere vorangegangene Ereignisse – einigermaßen überzeugend als Fall von »Massenpsychologie« ausmachen lässt. Allerdings betreten wir nun das Feld von Daten, die mit physischen Angriffen zu tun zu haben scheinen. Weitere Fälle werden folgen, und sofern man nicht auf brutalste Weise Wissenschaftler oder Logiker ist, kann man diese nicht klassifizieren. Erzählt wird die Geschichte im Pariser Daily Messenger vom 13. September 1903.

In einer Kohlemine in der Nähe von Coalbridge in Schottland stießen Minenarbeiter auf die Körper dreier Männer. Es gab weder irgendwelche Hinweise auf Leuchtgas noch irgendwelche Hinweise auf eine Gewalttat. Zwei dieser Männer waren tot, der dritte erholte sich. Er konnte aufschlussreicherweise nicht mehr erzählen als jeder andere Überlebende in den hier wiedergegebenen Geschichten. Sein Name sei Robert Bell und er sei gemeinsam mit seinen beiden Vettern in der Mine unterwegs gewesen, als er etwas spürte, das er als »Schock« beschrieb. Niemand sonst in der Mine hatte eine Störung bemerkt. In anderen Sektionen der Mine gab es elektrisches Licht, in diesem aber verlief kein einziges Kabel. Entweder hatte sich etwas zufällig in dem Moment, als die drei Männer vorbeikamen, mit tödlicher Kraft entladen, oder es steckte etwas Absichtsvolleres dahinter.

Tief unten in einer dunklen Kohlemine … es scheint so etwas wie eine Übereinstimmung zwischen rätselhaften Angriffen und der jeweiligen Umgebung zu geben. Ich habe aber eine Geschichte über ein ähnliches Vorkommnis, das sich an einer der belebtesten Durchgangsstraßen der Welt zutrug. Siehe New York Herald vom 23. Januar 1909. John Harding, Abteilungsleiter im Warenhaus von John Wanamaker, überquerte die Fifth Avenue auf Höhe der 33rd Street, als er ein stechendes Gefühl auf seiner Brust spürte. Nichts deutete auf ein wie auch immer geartetes Geschoss hin, doch dann stellte er fest, dass sich jemand in seiner Nähe den Arm rieb und verärgert umherblickte. Der Mann erklärte Harding, er sei von etwas Unsichtbarem getroffen worden.

Hätte sich dieser Vorfall spätabends zugetragen, hätten nur zwei Personen die Fifth Avenue auf Höhe der 33rd Street überquert und wäre die unbekannte Kraft stark genug gewesen, beide Männer auf einmal zu töten, dann hätte die Erklärung nach dem Fund der beiden Leichname gelautet, dass sie rein zufällig an ein und derselben Stelle einem Herzversagen erlegen seien. Denken Sie an den Fall der Leichname, die auf Harlemer Parkbänken entdeckt wurden. Kein Reporter hinterfragte damals die Erklärung, dass zwei Männer, die nicht weit voneinander entfernt auf einer Bank saßen, durch reinen Zufall nahezu zeitgleich an Herzversagen gestorben sein sollen.

Wir verlassen nun scheinbar zeitgleiche Angriffe auf mehr als eine Person und wenden uns vermeintlich zielgerichteten Angriffen auf einzelne Personen zu. Die New York Herald Tribune schreibt am 4. Dezember 1931, die Filmschauspielerin Ann Harding sei in Begleitung ihrer Sekretärin mit dem Zug nach Venice in Florida gereist und habe plötzlich einen starken Schmerz in der Schulter verspürt. Sie vermochte die Reise nicht fortzusetzen und verließ in Jacksonville den Zug. Ein Arzt untersuchte sie und stellte fest, dass die Schulter ausgekugelt war. Die Sekretärin war verblüfft, denn sie war Zeugin dieses unerklärlichen Vorfalls gewesen, und auch Miss Harding konnte keine Erklärung dafür anbieten, wie die Verletzung zustande gekommen sein könnte.

Am 7. Dezember 1931 traf der deutsche Dampfer Brechsee in Horsens in der dänischen Region Jütland ein (siehe New York Timesvom 8. Dezember 1931). Kapitän Ahrenkield berichtete, einer seiner Matrosen habe sich auf unerklärliche Weise Verletzungen zugezogen. Der Vorfall begab sich während eines Sturms, allerdings schien etwas anderes als der Sturm es auf den Mann abgesehen zu haben. Der Kapitän hatte beobachtet, wie der Mann, von etwas Unsichtbarem verletzt, bewusstlos auf dem Deck zusammengebrochen war. Die etwa 10 Zentimeter lange Wunde am Kopf des Mannes war schwer. Der Kapitän nähte sie mit Nadel und gewöhnlichem Garn.

Bei diesem Vorfall tauchten keine unerklärlichen Verletzungen bei anderen Matrosen auf. Nehmen wir an, ich erzähle später von Fällen, bei denen eine Reihe von Personen derartige Verletzungen davontrug, wäre das dann Massenpsychologie?

Kapitel 4

In Harlem kann keine Ketchupflasche von der Feuerleiter eines Mietshauses fallen, ohne dass es bemerkt würde, und zwar nicht nur von den empörten Nachbarn im Stockwerk darunter, sondern – wenn auch nur in sehr geringem Maße – in einem universellen Sinne. Möglicherweise.

Es könnte nämlich Auswirkungen auf den Schlafanzugpreis in Jersey City, auf die Laune einer Schwiegermutter in Grönland oder auf die Nachfrage in China nach Nashornhörnern für die Behandlung von Rheuma haben. Möglicherweise.

Da alle Dinge – ununterbrochen – aus einem zugrunde liegenden Einssein heraus – miteinander verbunden sind, lag auch dem Verhalten des Jungen eine grundsätzliche Logik zugrunde, der ein Pfirsichetikett auf eine Dose mit Brechbohnen klebte. Er mochte sich so einiges zu Schulden haben kommen lassen, doch man konnte ihm zumindest nicht vorwerfen, jemals von einem Syllogismus gehört zu haben.

Es ist alles dergestalt miteinander verwoben, dass der Unterschied zwischen einer Obstsorte und dem, was gemeinhin als Gemüse bezeichnet wird, eindeutig zu sein scheint, sich aber letztlich nicht definieren lässt. Ein Beispiel für die Fusion stellt eine Tomate dar.

Womit haben wir es zu tun? Obst oder Gemüse?

So führt also der Wissenschaftler, der sich so einiges zu Schulden hat kommen lassen, aber zugleich ganz unschuldig ist, jene Logik, die er seiner Erklärung der »Massenpsychologie« zugrunde gelegt hat, fort und hält an dieser Erklärung fest. Da es stets irgendeinen Standpunkt gibt, von dem aus man alles Vorstellbare verteidigen kann, muss er zumindest ein Minimum an Verstand besitzen. Bezieht sich »Massenpsychologie« unzweideutig auf ein Ereignis, muss es auf sämtliche Ereignisse zutreffen, selbst wenn der Zusammenhang kaum wahrnehmbar ist. Phänomene, die ein Mann auf einer verlassenen Insel erlebt, lassen sich insofern mit dem Begriff »Massenpsychologie« erklären, als der Geist eines Menschen nie eine abgeschlossene Einheit, sondern stets ein Ensemble geistiger Zustände darstellt, die sich gegenseitig beeinflussen.

Alles hängt mit allem zusammen – und ich kann so etwas wie die Hand von Emma Piggott spüren, die sich gleichsam nach der Hand der erstickten Frau vom Berghang ausstreckt. John Doughty und Leichname auf Harlemer Parkbänken – mit ihnen verhält es sich so ähnlich, wie Sauerstoff eine Vorliebe für Wasserstoff aufweist. Und dann Rose Smith … Ambrose Small … der Leichnam eines Schäfers namens Funnell …

Nachdem am Morgen des 10. April 1893 ein paar Männer in ein Krankenhaus in Brooklyn eingeliefert worden waren, wurde jemand auf etwas Ungewöhnliches aufmerksam. Dass mehrere Unfälle in unterschiedlichen Teilen der Stadt rasch aufeinander folgten, wäre an und für sich nichts Seltsames, aber jemand registrierte eine Übereinstimmung zwischen ihnen. Siehe Brooklyn Eagle vom 10. April 1893.

Krankenwagen drängeln sich, Sirenen heulen auf … Alexander Burgman, George Sychers, Lawrence Beck, George Barton, Patrick Gibbons, James Meehan, George Bedell, Michael Brown, John Trowbridge, Timothy Hennessy, Philip Oldwell und ein unbekannter Mann hatten sich im Laufe weniger Stunden auf den Straßen Brooklyns verletzt. Fast alle durch Stürze von erhöhten Plätzen oder dadurch, dass sie von Gegenständen getroffen wurden, die von einem solch hohen Platz herabfielen.

Und wieder muss ich eine meiner närrischen Fragen stellen, die möglicherweise nicht ganz des Sinns entbehren: Wenn in einem Brooklyner Bezirk ein Mann vom Dach stürzt, was hat das damit zu tun, dass einem anderen Mann in einem anderen Brooklyner Bezirk ein Blumentopf auf den Kopf fällt?

Wie die Londoner Lloyd’s Daily News vom 30. April 1911 berichtet, wurde in der englischen Stadt Colchester ein Soldat, der dort stationiert war, bewusstlos geschlagen. Seine Verletzungen waren derart schwer, dass man ihn ins Garnisonskrankenhaus brachte. Dort konnte er nichts darüber berichten, was mit ihm geschehen war. In der folgenden Nacht wurde ein weiterer schwer verwundeter Soldat eingeliefert, der »von einem ungesehenen Angreifer besinnungslos geschlagen« worden war. Vier Nächte darauf kam ein dritter Soldat in das Krankenhaus. Er hatte einen Schlag erhalten, zu dem ihm die Worte fehlten.

Mir ist ein Fall von »Massenpsychologie« untergekommen, der mit Spitzengardinen zu tun hat. Ende März 1892 kehrten Leute nach längerer Abwesenheit in ihr Zuhause in Chicago zurück und stellten fest, dass in der Zwischenzeit eine Gardinenorgie stattgefunden hatte (Brooklyn Eagle, 19. April 1892). Überall lagen Spitzenvorhänge herum, zusammengeknüllt und aufeinandergetürmt. Es war, als seien hier Tugenden zu Boden gestreckt worden, und das stimmte melancholisch – zarte und zerbrechliche Dinge, die, solange sie gehalten werden, aber aufrecht sind. Jemand hatte die Schubladen des Schreibtischs nach Schmuck durchwühlt und auch welchen gefunden. Gestohlen wurde aber nichts, es lagen nur Bruchstücke von Ringen und Uhren herum, die brutal zertrümmert worden waren.

Dieser Bericht enthält mehrere Ansätze einer Spukgeschichte. Es gibt zahlreiche Berichte über ähnlich vorsätzliche oder wütend durchgeführte Verwüstungen in Häusern, in denen Poltergeister ihr Unwesen trieben. Außerdem gab es ein Rätsel, denn die Polizei war nicht imstande festzustellen, wie jemand in das Haus gelangt sein konnte.

Dann wurde bekannt, dass ein weiteres Haus, dessen Bewohner sich ebenfalls nicht in der Stadt aufgehalten hatten, auf »mysteriöse Weise betreten« worden war. Fetzen von Spitzengardinen und Überbleibsel von zerrissenen Kleidern lagen herum. Schmuck und andere Ziergegenstände waren zerschlagen worden. Doch nichts war gestohlen worden.

Soweit es die Polizei feststellen konnte, hatten die Bewohner dieser beiden Häuser keine gemeinsamen Feinde. Ein Feldzug gegen Spitzengardinen ist schwer zu erklären, wohingegen es sehr gut nachvollziehbar ist, wenn sich der Hass eines Menschen, der selbst nur schmucklose Fenster hat, gegen Schmuck und Zierrat richtet. Kurz nachdem diese beiden Häuser heimgesucht worden waren, drang ein Vandale – auf welchem Weg auch immer – in weitere Häuser ein. Wieder wurden Spitzengardinen heruntergerissen und prächtige Dinge und Zierrat zerstört, doch gestohlen wurde nichts.

New York Times, 26. Januar 1873: In England fiel General Mayow während der Pytchley-Fuchsjagd tot vom Pferd. Etwa zu derselben Zeit erlitt in Gloucestershire die Tochter des Bischofs von Gloucestershire während der Jagd schwere Verletzungen. Und an demselben Tag kam im Norden Englands eine Miss Cavendish auf der Jagd ums Leben. Nicht sehr viel später wurde in Lincolnshire ein Geistlicher auf der Jagd getötet. Und wiederum etwa zur selben Zeit wurden zwei Jäger in der Nähe von Sanders’ Gorse 4 vom Pferd geworfen und schwer verletzt.

In einem meiner unverbesserlichen wissenschaftlichen Anfälle kam mir folgende These: Sind unterschiedliche Elemente, die eine Gemeinsamkeit aufweisen, auf ähnliche Weise betroffen, steht die hier wirkende Kraft im Zusammenhang mit der Gemeinsamkeit. Allerdings gibt es keinen Hinweis auf einen sichtbaren Hasser von Fuchsjagden, der England bereiste, Menschen aus dem Sattel riss und Pferde zu Boden stürzen ließ. Sehr wohl aber gibt es in England seit jeher starke Ressentiments gegen Fuchsjagden. Das weiß jeder, der sich als Landwirt betrachtet und dessen Zäune durch eine Invasion von Rotröcken Schaden nahmen, die dann auch noch seine Felder zertrampelten. Der Wunsch, den Invasoren eine Neuauflage des Bunker Hill 5 zu bereiten, war groß.

In der New York Evening World vom 26. Dezember 1930 heißt es, Lewis E. Lawes, der Direktor des Sing-Sing-Gefängnisses sei erkrankt. Er erholte sich wieder und verließ am Morgen des Weihnachtstages sein Zimmer. Man sagte ihm, sein Freund Maurice Conway, der ihn besuchen gekommen war, sei in seinem Bett tot aufgefunden worden. An Heiligabend war der Aufseher John Hyland wegen einer »Blinddarmentzündung« operiert worden und lag nun im Ossining Hospital; sein Zustand war ernst. In demselben Krankenhaus befand sich auch der Aufseher John Wescott, der ebenfalls an einer »Blinddarmentzündung« litt. Und der Aufseher Henry Barnett wartete ebendort auf seine »Leistenbruch«-Operation.

Möglicherweise war kein Mann im staatlichen Gefängniswesen von New York derart verhasst wie Asael J. Granger, der Chefaufseher im Clinton-Gefängnis in Dannemora, denn er hatte die Gefängnisrevolte vom 22. Juli 1929 niedergeschlagen. Am ersten Weihnachtstag 1930 lag Granger im Champlain Valley Hospital in Plattsburg, New York, um dort wegen einer »Blinddarmentzündung« operiert zu werden. 2 Tage später war er tot. Etwa zu derselben Zeit litt Harry M. Kaiser, Aufseher im Clinton-Gefängnis unter »hohem Blutdruck«, wie er es nannte. 3 Monate später starb er (New York Herald Tribune, 24. März 1931).

In den Londoner Zeitungen vom März 1926 ist die Rede von Bränden, die zeitgleich in mehreren Teilen von Closes Hall ausgebrochen waren, der nahe Clitheroe, Lancashire, gelegenen Residenz von Captain B. Heaton. Die Brandherde befanden sich im Holz unter dem Dach, und man glaubte, das Feuer sei auf Funkenflug aus dem Küchenofen zurückzuführen. Die Brände brachen aber an Stellen aus, die den Gedanken an Brandstiftung völlig ausschlossen, denn die Feuerwehr musste Löcher ins Dach schlagen, um an das Feuer heranzukommen. Ist der Gedanke, dass Funken aus einem Küchenofen weit voneinander entfernte Stellen gleichzeitig in Brand setzen, nicht seltsam?

Zunächst interessierte mich der Ausbruch eines Feuers in einem Haus nicht sonderlich, doch dann las ich von einer Reihe ähnlicher Vorfälle. Binnen 3 Monaten kam es zu zehn weiteren Bränden in Herrenhäusern. »Scotland Yard hat kürzlich sämtliche Einzelheiten zu Bränden in Herrenhäusern angefordert, um die Umstände miteinander zu vergleichen und dem möglichen Grund für die Feuer auf die Spur zu kommen.«

Am 2. April 1926 fiel Ashley Moor, ein Herrenhaus bei Leominster, den Flammen zum Opfer.

Jemand – oder etwas – brannte Herrenhäuser nieder. Wie das vonstattenging, blieb rätselhaft. Angst ging um, und solche Häuser wurden vermutlich besser als sonst bewacht, aber so gut sie normalerweise auch bewacht sein mögen, so spricht doch einiges für eine außergewöhnliche Art des Eindringens. In keinem Bericht finden sich Hinweise darauf, wie ein möglicher Brandstifter ins Haus gelangt sein könnte. Von Diebstählen war nicht die Rede. Über Monate hinweg brannte hier und da immer wieder ein Herrenhaus. Die Kriminalbeamten von Scotland Yard waren möglicherweise weiterhin unermüdlich dabei, Daten zusammenzutragen.

Die Londoner Zeitungen berichteten am 6. November über das dreißigste Feuer in einem Herrenhaus innerhalb von rund 10 Monaten.

Herrenhäuser standen in Flammen, und Meinungsbekundungen flammten in England auf.

Zuweilen bin ich ein Sammler – und nur ein Sammler – von Daten. Oft bin ich dann unwirsch und knauserig, staple Notizen und erfreue mich daran, dass meine Bestände immer größer werden. Bei anderer Gelegenheit finde ich Freude daran, unerwartet über eine unglaubliche Geschichte zu stolpern, die eventuell nicht durch und durch erfunden ist, oder über ein makabres kleines Ding, das die Kritiker meiner mehr oder weniger guten Werke in den Wahnsinn treiben wird. Doch immer beschleicht mich das Gefühl, dass bestimmte Ereignisse auf nicht zu erklärende Weise zusammenhängen. Dieses Bewusstsein, das mich aus der Ferne – oft mit einem gewissen Spott – heimsucht, dieser Verdacht, bringt mich dazu, immer weiter zu sammeln.

Oder ich bin wie ein primitiver Bauer, der sich vorstellt, dass ein Zebra und eine Kuh zusammen vor den Pflug gespannt werden könnten, weil ich das Gefühl habe, dass auch völlig widersprüchlich erscheinende Ereignisse miteinander in Beziehung stehen und in den Dienst eines allgemeinen Themas gestellt werden können.

Haben Zebras und Kühe etwa keine Gemeinsamkeiten?

Ein Strauß und eine Hyäne.

Und dann die Vorstellung einer Prozession, für die der Dschungel nach möglichst ungleichen Kreaturen durchsucht wurde, die vor den Pflug gespannt werden sollen. Das einstmals wilde Hufgeklapper und Tatzengetrappel wird zum Marschrhythmus eines Umzugsliedes. Nun kommen paarweise die Tiere oder John Doughty in einer Dreierreihe mit den Toten aus dem Harlemer Park, der mein Thema weiterführt, gefolgt von den 45 Schülerinnen aus Derby, der Hausmagd des Fischhändlers mit Schwämmen und türkischen Handtüchern in den Armen und als Letztes von brennenden Betten, die auf sehr suggestive Weise mit in Verbindung gebracht werden, allerdings nicht so, wie es ein konventioneller Denker erklären würde – oder von den brennenden englischen Herrenhäusern von 1926.

Denn wenn ich die Ärmel ein wenig hochkremple, kommt mir eine Verbindung zwischen den folgenden beiden Szenen in den Sinn:

Im Londoner Hyde Park ruft ein Redner: »Was wir wollen, ist kein König und kein Gesetz! Und wie erreichen wir das? Nicht mit Stimmzetteln, sondern mit der Waffe!«

Weit entfernt in Gloucestershire geht ein Haus, das aus den Tagen von Königin Elisabeth stammt, auf unerklärliche Weise in Flammen auf.

Kapitel 5

»Guten Morgen!«, sagte der Hund. Und verschwand in einem feinen, grünlichen Nebel.

Ich habe diesen Eintrag aus Zeitungsberichten.

Man kann nicht gerade behaupten –so wird es aber irgendjemand behaupten –, dass ich eine wunderbare Leichtgläubigkeit für jene Art von Seemannsgarn habe, das Zeitungen spinnen.

Aber ich präsentiere in diesem Buch ja offensichtlich alles als Fiktion. Das heißt, wenn es so etwas wie Fiktion überhaupt gibt. Denn dieses Buch ist in dem Sinne Fiktion, wie es Die Pickwickier,Die Abenteuer von Sherlock Holmes und Onkel Toms Hütte, Newtons Principia, Darwins Über die Entstehung der Arten, die Genesis, Gullivers Reisen, mathematische Abhandlungen, jedwedes Geschichtswerk über die Vereinigten Staaten und überhaupt alle Geschichtsbücher sind. Einer der Bibliotheksmythen, die mich am meisten ärgern, ist die Einteilung von Büchern in »Belletristik« und »Sachbuch«.

Und dennoch haben die Geschichten, die Dickens erzählt, etwas an sich, das sie von den Geschichten, die Euklid erzählt, unterscheidet. In Dickens’ Grotesken findet man vieles, das mit als »wahr« bezeichneten Erfahrungen übereinstimmt, wohingegen die Charaktere bei Euklid »mathematische Punkte« sind und so nichtssagend, wie man es von einem Geist erwarten kann, der kaum Erfahrungen vorzuweisen hat. Diese Hundegeschichte ist axiomatisch, man muss sie schlichtweg glauben. Und dennoch stelle ich Fragen, die Auswirkungen haben, die nicht immer auf einhellige Begeisterung stoßen.

Die Geschichte war am 29. Juli 1908 in der New York World zu lesen: Es wurden zahlreiche kleine Raubüberfälle rund um die Lincoln Avenue in Pittsburgh gemeldet. Man entsandte Polizisten, um den Dieb zu fangen. Am frühen Morgen des 26. Juli schlenderte ein großer schwarzer Hund an den Beamten vorbei und sagte, »Guten Morgen!«. Dann verschwand er in einem feinen, grünlichen Nebel.

Einige Leser werden wissen wollen, wieso ich diese Geschichte ablehne, obwohl ich so viele andere in diesem Buch akzeptiere.

Der Grund dafür ist, dass ich niemals über Wunder schreibe. Das Wundersame oder das nie zuvor Gehörte überlasse ich skurrilen oder radikalen Gesellen. Meine Bücher handeln allesamt von ganz gewöhnlichen Begebenheiten.

Angenommen, im Jahr 1847 hätte eine Zeitung aus New Orleans von einer Katze berichtet, die fragte, »Ist es denn heiß genug für dich?«, und dann in einer Schwefelwolke entschwand, wie es jeder tun sollte, der eine solche Frage stellt. Angenommen, ich hätte einen Zeitungsausschnitt aus dem Jahr 1930, in dem die Rede von einer Maus ist, die piepste, »Ich war gerade in der Nachbarschaft und dachte, ich schaue mal rein«, und sich anschließend in einem Schweif violetter Funken verflüchtigte. Und angenommen, ich hätte noch etwas Ähnliches aus dem St. Helena Guardian vom 17. August 1905 und aus der Madras Mail von 1879. Dann würde ich die Geschichte von dem höflichen Hund nicht als Wunder betrachten, sondern ihn in unseren Kreis aufnehmen.

Allerdings ist es auch nicht so, dass ich eine bestimmte Menge an Wiederholungen verlange, bevor ich etwas anerkenne.

Den Mann, der im Austerneintopf eine Perle entdeckte – die alte Fiedel, die sich als echte Stradivari erwies – den Ring, der in einem See verloren ging und dann in einem geangelten Fisch wiederauftauchte …

Aber diese häufig wiederholten Geschichten sind konventionelle Geschichten. Und nahezu alle Lügner hängen dem Konventionellen an.

Eines haben niedere Tiere mit dem Menschen nicht gemeinsam, und das ist kreative Fantasie. Weder ein Mensch noch ein Hund, noch eine Auster besaß jemals welche. Natürlich gibt es eine abweichende Betrachtungsweise, die besagt, dass alles eine Spur Kreativität aufweist. Es käme mir nicht in den Sinn, zu behaupten, dass die Wahrheit seltsamer ist als die Fiktion, denn ich habe weder die Bekanntschaft der einen noch der anderen gemacht. Nun habe ich mich in eine Reihe mit einigen bekannten Romanautoren gestellt, muss aber akzeptieren, dass es den absoluten Romanautoren nie gegeben hat. Wann immer jemand ein »tatsächliches Ereignis« schildert, spielt ein fiktiver Einschlag eine Rolle und schwingt zumindest ein Hauch von »Tatsächlichem« in den Geschichten mit. Es gibt den Bindestrich-Zustand zwischen Wahrheit und Fiktion: Wahrheit-Fiktion. 6 Höchstwahrscheinlich hat es unter den Dutzenden Berichten über Perlen in Austerneintöpfen einen realen Fall gegeben; höchstwahrscheinlich hat sich einmal eine alte Geige als echte Stradivari entpuppt; und höchstwahrscheinlich hat einmal jemand über einen Fisch einen verloren geglaubten Ring zurückbekommen.

Kommen mir aber unkonventionelle Wiederholungen zu Zeiten und an Orten unter, die weit auseinanderliegen, so habe ich das Gefühl, auch wenn ich keine absoluten Maßstäbe habe, nach denen ich dies beurteilen könnte, dass ich mich außerhalb des Felds der gewöhnlichen Lügen bewege.