Wilfried und die roten Schuhe - Sissi Kaipurgay - E-Book

Wilfried und die roten Schuhe E-Book

Sissi Kaipurgay

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Beschreibung

Wilfried entdeckt in der Straße, in der er wohnt, einen Bettler mit roten Schuhen. Das ungewöhnliche Schuhwerk weckt sein Interesse. Als er dem Mann eine Mahlzeit spendiert, erfährt er Unglaubliches. Anscheinend leidet der Bettler an überbordender Fantasie, oder stammte er wirklich aus der Zukunft?

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Inhaltsverzeichnis

Wilfried und die roten Schuhe

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Epilog – ein Jahr später

Wilfried und die roten Schuhe

Ein weihnachtliches Zeitreise-Märchen

Sämtliche Personen, Orte und Begebenheiten sind frei erfunden, Ähnlichkeiten rein zufällig. Der Inhalt dieses Buches sagt nichts über die sexuelle Orientierung des Covermodels aus. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder eine andere Verwertung, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin.

Copyright Texte: Sissi Kaipurgay/Kaiserlos

Fotos: shutterstock_231087133, Depositphotos_47414887_XL

Korrektur: Aschure, dankeschön!

Kontakt: http://www.bookrix.de/-sissisuchtkaiser/, https://www.sissikaipurgay.de/

Sissi Kaiserlos/Kaipurgay

c/o Autorenservice Karin Rogmann

Kohlmeisenstieg 19

22399 Hamburg

Wilfried und die roten Schuhe

Wilfried entdeckt in der Straße, in der er wohnt, einen Bettler mit roten Schuhen. Das ungewöhnliche Schuhwerk weckt sein Interesse. Als er dem Mann eine Mahlzeit spendiert, erfährt er Unglaubliches. Anscheinend leidet der Bettler an überbordender Fantasie, oder stammte er wirklich aus der Zukunft?

1.

Wilfried taten die Füße weh und ihm war bitterkalt. Um zu sparen, und weil die Straßenbahn um diese Zeit überfüllt war, war er zwei Stationen gelaufen. Nun freute er sich umso mehr auf das geheizte Zimmer, das er sich mit Martin teilte. Hoffentlich war sein Mitbewohner schon zu Hause und hatte den Kohleofen angefeuert.

Er hatte wirklich Glück gehabt, den Raum im Souterrain anmieten zu können. Die Wände schimmelten, oft stank es nach Kloake und dunkel war es auch, aber er kam gut mit Martin klar und keine neugierige Wirtin machte ihnen das Leben schwer. Sein Arbeitskollege Hans wohnte zur Untermiete bei einer alten Dame, die ihm kein bisschen Privatsphäre ließ. Davon hatte er zwar auch wenig, weil Martins und seine Schlafstatt nur durch einen zweitürigen Schrank getrennt wurden, doch es genügte ihm.

Er erreichte den Bäckerladen, von dem es nur noch wenige Schritte bis nach Hause waren. Vor einigen Minuten hatte es angefangen zu schneien. Noch blieb der Schnee nicht liegen, aber wenn es in der Nacht fror, musste er sich morgen früh auf eine Rutschpartie gefasst machen. Wilfried hasste den Winter.

Neben dem Luxus eines Kohleofens gab es in dem Zimmer ein Waschbecken mit fließend kaltem Wasser. So waren Martin und er nicht darauf angewiesen, sich im Abort zu waschen. Ein großer Vorteil, weil es dort sehr zugig war.

Er erreichte die Treppe, die ins Souterrain führte. Einige Meter entfernt entdeckte er einen Bettler. Kein ungewöhnlicher Anblick. Allerorten sah man Leute, manche verkrüppelt aus dem Krieg zurückgekehrt, die um Geld bettelten.

Wilfried stieg die Stufen runter. Angenehme Wärme empfing ihn, als er die Tür öffnete. Martin saß auf einem Stuhl direkt neben dem Ofen, auf dem eine Kasserolle stand. Essensgeruch übertünchte den Gestank der verbrennenden Kohle.

„Witwe Bolte hat Eintopf spendiert“, verkündete Martin, der zu besagter Witwe, die eigentlich Alma Boltmann hieß, ein inniges Verhältnis pflegte. Ob es darüber, ihre Kohlen aus dem Keller in den 3. Stock zu schleppen, hinausging, entzog sich Wilfrieds Kenntnis. Es interessierte ihn auch nicht.

Vorfreudig knurrte sein Magen. Überwiegend ernährten sie sich von Butterbroten, sofern es Butter gab. Nicht selten musste eine Scheibe trockenes Brot reichen.

Rasch befreite er sich von seinem Schal und Mantel, die er an einen Haken neben der Tür hängte. In Ermangelung von Geschirr begnügten sie sich je mit einem Löffel, mit dem sie gemeinsam direkt aus dem Topf aßen.

„Der Bettler …“, meinte Martin zwischen zwei Bissen. „… der macht einen merkwürdigen Eindruck.“

„Welcher Bettler?“

„Der, der vorm Schlachter sitzt.“

„Wieso merkwürdig?“

„Der trägt ganz merkwürdige Sachen. Rotes Schuhwerk und eine Jacke, die glitzert.“

„Wie der Weihnachtsmann?“

Martin schüttelte den Kopf. „Die Schuhe wirken wie Hausschlappen. Sie haben aber Senkel.“

Wilfried würde auch gern rote Schuhe besitzen, doch er wollte so vieles, was er sich weder leisten konnte, noch zeigen durfte. Letzteres betraf seine Vorliebe für Männer. Wenn jemand auch nur den Verdacht hegen würde, wäre er reif fürs Krankenhaus. Oder fürs Grab. Mit Schwulen sprang man nicht zimperlich um.

Nach Kriegsende hatte man zwar inhaftierte Homosexuelle freigelassen, aber rehabilitiert waren sie damit noch lange nicht. Erst neulich hatte er gehört, dass ein schwuler Arzt für den Aufenthalt im KZ Unterbringungskosten und Verpflegung bezahlen sollte. Trotz der Niederlage hatte sich in den Köpfen der Menschen nichts geändert. Die Deutschen waren und blieben ein Volk von Mitläufern, Denunzianten und Sadisten. Natürlich gab es Ausnahmen, doch die bestätigten nur die Regel.

Selbst seine Eltern – sein Vater war in Russland gefallen, seine Mutter während eines Bombenangriffs gestorben – hatten bis zum letzten Atemzug gegen Homosexuelle gewettert und Hitler in den Himmel gelobt. Ihm stand ein Leben als Geheimniskrämer bevor. Anfreunden konnte er sich damit nicht, aber was blieb ihm übrig? Auszuwandern war keine Option, schon wegen des Geldmangels. Aber selbst wenn er welches hätte: In anderen Ländern sah es wahrscheinlich genauso aus.

„Und wie glitzert die Jacke?“

Martin zuckte mit den Achseln. „Ganz komisch. Als ob sie von Eiskristallen überzogen wäre.“

Den Glauben an Gott hatte Wilfried spätestens verloren, als sein Sandkastenfreund Walter erschossen wurde. Er stand direkt daneben. Walters Fehler war gewesen, in Gegenwart eines Alliierten – lediglich aus Spaß - den Hitlergruß zu zeigen. Diese Unbedachtsamkeit hatte sein Freund bitter gebüßt. Nie würde Wilfried Walters erschrockenen und dann im Tod gebrochenen Blick vergessen.

Als sich Wilfried gesättigt zurücklehnte, war die Kasserolle noch halb voll. Auch Martin schien genug gegessen zu haben.

„Darf ich den Rest dem Bettler bringen?“ Der Mann mit den roten Schuhen ging ihm nicht mehr aus dem Kopf.

„Sinnlos. Bevor der auch nur einen Löffel gegessen hat, ist es kalt.“

„Du hast recht.“

„Ich bin noch verabredet“, verkündete Martin, stand auf und begab sich zur Tür, um Schal und Jacke anzulegen. „Wird wahrscheinlich spät.“

„Viel Spaß“, wünschte er, gedanklich weiterhin bei dem Bettler.

Die Außentür klappte hinter Martin zu. Plötzlich war es still. Durchs Fenster sah Wilfried, dass es immer noch schneite. Die Vorstellung, dass jemand dort draußen in der Kälte hockte, verursachte ihm ein inneres Frösteln.

Kurzentschlossen zog er seinen Mantel an und verließ die Wohnung. Beide Hände in den Manteltaschen vergraben legte er die wenigen Schritte bis zum Schlachterladen zurück.

Der Bettler hockte auf der Stufe vorm Eingang, die vom überhängenden Dachfirst geschützt wurde. Tatsächlich war das Schuhwerk rot mit Schnürsenkeln und die dunkle Jacke glitzerte im Schein der Straßenbeleuchtung. Das lenkte Wilfried einen Moment von dem bleichen Gesicht mit den bläulichen Lippen ab.

„Haben Sie … Sie vielleicht ein paar Pfennig für mich?“, krächzte der Bettler.

In der Mütze, die vor dem Mann auf dem Boden lag, befand sich lediglich eine Münze. Wilfried kramte zwanzig Pfennig aus seiner Hosentasche und legte sie dazu. Nachdenklich musterte er den Mann. In seinen Augen sah der harmlos aus. Außerdem tat er Wilfried furchtbar leid. Niemand sollte bei dieser Kälte draußen herumsitzen.

„Wenn Sie mir versprechen, mich nicht zu ermorden, können Sie sich bei mir aufwärmen“, bot er an.

„Ver ... versprochen.“ Schwerfällig stand der Mann auf, sammelte die Mütze vom Boden und schenkte ihm ein zittriges Lächeln.

Auf dem kurzen Weg bis zu seinem Zuhause, hörte er die Zähne des Bettlers klappern, was ihn in seinem Entschluss, den Mann mitzunehmen, bestärkte. Zudem war er äußerst neugierig, wo jemand mit roten Schuhen herkam. Vom Zirkus? Vor dem Krieg war er mit seinen Eltern in einer Vorstellung gewesen. Einer der Clowns hatte auch rotes Schuhwerk getragen.

Er ließ seinen Gast eintreten, schloss rasch die Tür, damit die Kälte draußen blieb und schälte sich aus seinem Mantel.

Der Bettler guckte sich um. „Gemütlich.“

In der besseren Beleuchtung erkannte er, dass der Mann nur wenig älter als er sein dürfte. Schätzungsweise fünf bis zehn Jahre. „Ich bin Wilfried.“

„Timo.“

Merkwürdiger Name. „Setz dich doch an den Ofen.“

Sofort ließ sich Timo auf Martins Stuhl nieder und hielt die Hände über das Heizgerät.

„Hast du Hunger?“

Timo nickte.

Wilfried nahm die Kasserolle, die zum Abkühlen auf den Fenstersims stand und stellte sie auf den Ofen. „Möchtest du nicht deine Jacke ausziehen?“

Timo schüttelte den Kopf. „Noch ist mir zu kalt.“

Neugierig beäugte er das Kleidungsstück. Es schimmerte, als wäre es aus Seide, schien jedoch dicker Stoff zu sein. Die Schuhe fand er bei näherem Hinsehen noch besser als zuvor. Sie sahen bequem aus und leuchteten so schön.

„Bist du vom Zirkus?“, erkundigte er sich.

Ein Grinsen erschien auf Timos Lippen – übrigens sehr hübschen Lippen, nun, wo sie eine rosige Farbe annahmen.

„Wie kommst du denn darauf?“

„Na ...“ Er zeigte auf Timos Schuhe. „Deswegen. Clowns tragen solche Schuhe.“

„Leider nicht.“

„Aber wieso trägst du dann solches Schuhwerk?“

„Das ist in meiner Zei... ähm, in der Gegend, woher ich stamme, ist das ziemlich normal.“

„Und wo ist das?“

„Es riecht sehr gut. Meinst du, es ist schon heiß genug?“ Mit dem Kinn wies Timo auf die Kasserolle.

Wilfried ging auf die Ablenkung ein. Es wäre unhöflich, seinen Gast mit hungrigem Magen auszufragen. Flink wusch er seinen Löffel ab, legte ein Holzbrett auf Timos Schoß und platzierte den Topf darauf.

„Guten Appetit“, wünschte er und reichte Timo den Löffel.

Sollte er etwas von seinen Biervorräten anbieten? Als Mitarbeiter einer großen Brauerei bekam er monatlich Deputate, also Sachzuwendungen. Normalerweise verwendete er sie, um etwas zu essen dagegen einzutauschen. Manchmal kaufte Martin ihm ein Bier ab. Wilfried selbst hielt nichts von Alkohol. Er hatte lieber all seine Sinne beisammen. Schließlich wollte er nicht sein Leben lang niedere Arbeiten verrichten, sondern irgendwann eine bessere Stelle ergattern.

Wilfried entschied sich gegen Alkohol. Stattdessen bot er Wasser an, das er in einem Blechbecher neben die Kasserolle aufs Brett stellte.

„Was sagtest du noch mal, wo du herkommst?“, nahm er den Gesprächsfaden wieder auf.

Timo aß den letzten Bissen und trank einen Schluck Wasser. „Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich aus der Zukunft komme?“

Obwohl es völlig abwegig war, – man konnte nicht durch die Zeit reisen – wollte ein Teil von ihm es glauben. Es würde die ungewöhnlichen Schuhe und glitzernde Jacke erklären. „Wenn du von dort kommst: Wieso fährst du nicht zurück, anstatt in der Kälte zu sitzen und zu betteln?“

„Das würde ich ja gerne, aber mein Treibstoff ist alle.“

„Treib-stoff?“ Was sollte das sein?

„Die Maschine benötigt eine bestimmte Flüssigkeit, um zu funktionieren. Ich hatte nur genug dabei, um hierher zu kommen.“

„Und welche Flüssigkeit ist das?“

„Bier.“ Timo seufzte. „Ich dachte, das finde ich in fast jeder Epoche, hab aber leider nicht zu Ende gedacht, wie ich es bezahlen soll. Ich hab zwar Euros dabei, doch die nimmt ja keiner.“

„Euros?“

„Das ist die Währung in der Zukunft.“

Das klang in seinen Ohren alles sehr irre. Handelte es sich um einen Trick, um seine Biervorräte zu plündern? Aber woher wusste Timo davon? Nein, davon konnte er gar nichts wissen. Sie waren gut versteckt und wenn er sie nach Haus brachte, achtete er stets darauf, dass niemand bemerkte, was er in seiner Tasche transportierte.

„Gibt es hier eine Toilette?“

„Der Abort ist zwei Treppen hoch. Ich muss auch hin.“

Im Hochparterre stank es mal wieder nach Pisse und Scheiße. Im Winter war das gerade noch erträglich, doch im Sommer kaum auszuhalten.

Er überließ Timo den Vortritt. Während er auf dem Treppenabsatz wartete, kam Fräulein Meier, die im 2. Stock zur Untermiete wohnte, die Stufen hoch. Wie stets huschte sie stumm an ihm vorbei, den Blick gesenkt.

Obwohl Wilfried wusste, dass es kaum Sinn machte, versuchte er, sie attraktiv zu finden. Irgendwie musste er ja gegen seine Andersartigkeit ankämpfen. Er wollte nämlich nicht ewig allein bleiben, sondern schon einen Menschen haben, mit dem er alt werden konnte. Oft fühlte er sich entsetzlich einsam, selbst inmitten vieler Menschen. Der Verlust seiner Familie spielte dabei bestimmt auch eine Rolle. Seine Eltern waren zwar recht kaltherzig gewesen, doch Blutsbande blieben eben Blutsbande.

Die Tür zum Abort sprang auf. Timo erschien. „Tja ... dann danke für alles.“

„Gern geschehen“, gab er zurück und beeilte sich, aufs Örtchen zu kommen, da es mittlerweile ziemlich dringend war.

Erst als er den Raum wieder verließ und Timo nirgends erblickte, ging ihm auf, dass sich sein Gast mit den letzten Worten offenbar verabschiedet hatte. Die Befürchtungen hinsichtlich seiner Biervorräte waren also unbegründet gewesen.

---ENDE DER LESEPROBE---