Wilhelm Höttl - Spion für Hitler und die USA - Martin Haidinger - E-Book

Wilhelm Höttl - Spion für Hitler und die USA E-Book

Martin Haidinger

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Beschreibung

NS-Untergrundagent im Wien der 30er-Jahre, Vertrauter Adolf Eichmanns, Agent für den SS-Sicherheitsdienst auf dem Balkan während des Zweiten Weltkriegs, Zeuge im Nürnberger Prozess, Spion für die USA nach dem Krieg und zuletzt Schuldirektor in Bad Aussee. Zu seinen Schülern zählten u.a. André Heller, Jochen Rindt (Rennfahrer) und die Regisseurin Karin Brandauer. Wilhelm Höttl vereinigte in seinem Leben vielfältige Facetten. Viele Fragen sind offen: War er 1944 als SS-Agent mit Eichmann an der Vernichtung der ungarischen Juden beteiligt? Hat er deren Vermögen in einem "Goldzug" zur eigenen Bereicherung zur Seite geschafft? Dieses Buch beantwortet erstmals Fragen, die tief an heikle Urgründe der Zeitgeschichte rühren.

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Über dieses Buch

Untergrund-Spion für die SS im Wien der 30er-Jahre, Freund von Holocaust-Organisator Adolf Eichmann, Spion für die USA und zuletzt Schuldirektor in Bad Aussee:

Wilhelm Höttl (1915–1999) vereinigte in seinem abenteuerlichen Leben grell schillernde Elemente. Hat er das Vermögen ungarischer Holocaust-Opfer im berüchtigten „Goldzug“ in ein Bergwerk im Salzkammergut geschafft? Hat er für die Amerikaner antikommunistische Guerillas in den Bergen Nachkriegs-Österreichs ausgebildet und am Ende womöglich auch noch für die Sowjetunion gearbeitet?

Dieses Buch beantwortet erstmals Fragen, die tief an heikle Urgründe der Zeitgeschichte rühren. Alles vereint in der Biografie eines Mannes, den bis über seinen Tod hinaus ein Geheimnis umgibt. Das ist seine schier unfassbare Geschichte: Wilhelm Höttl, Agent für Hitler und die USA!

„Wie so oft ist etwas wahr geworden, das ich erlogen habe.“

Wilhelm Höttl, 1999 im Gespräch mit dem Autor

Inhalt

1. Das Motiv

2. Der Fund

3. Der Junge

4. Unter der Haut

5. Karrierebarriere

6. Der Revenant

7. Die Mission

8. Der Hausierer

9. Das Reptil

10. Die Sphinx

Anmerkungen

Verzeichnis verwendeter Abkürzungen

Personenregister

1. Das Motiv

Er stierte an die Decke seiner Zelle und umfasste seinen Hals mit der rechten Hand. Zumindest versuchte er es. Denn als er die Fingerspitzen an die linke Halsschlagader legte, erreichte der Daumen die rechte Seite nicht mehr so mühelos wie noch vor ein paar Monaten. Er hatte im letzten Jahr an Gewicht zugenommen. Kein Wunder, war doch die Kost in Ungarn fettreich gewesen. Auch die Verpflegung in den Villen des Salzkammerguts hatte sich üppig gestaltet. Er hielt nun ganz still und fühlte seinen Puls pochen. Dort, an der linken Schlagader, so wusste er, wurde gewöhnlich der Knoten angelegt. Eigentlich noch weiter hinten, unter dem linken Ohr. Dann wurde die Schlinge zugezogen, die Luftzufuhr zu Lunge und Gehirn gestoppt …

Er verstärkte den Druck seiner Finger, versuchte sich auszumalen, wie langsam und qualvoll dieser Tod sein musste. In diesem Moment vergaß er, dass er eigentlich bequem auf einem Feldbett lag … die Falltür öffnete sich … der lange Fall, der long drop in das Seil dauerte eine Ewigkeit. Lautes Knirschen fuhr durch den ganzen Körper, das Genick brach … doch er lebte, bekam alles mit, baumelte wehrlos wie eine Puppe, eine Marionette, den Kopf grotesk nach oben verdreht.

Starr war sein Blick Richtung Decke gerichtet. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn. Die Stille, die ihn umgab, machte ihn nicht ruhiger, ganz im Gegenteil. Ein paar Stunden war es jetzt her, dass er dem Verhörbeamten die vielleicht wichtigste Eingabe seines Lebens diktiert hatte. Seitdem hatte er kein Wort mehr gesprochen, nicht einmal zu sich selbst, und keinen Schlaf gefunden, obwohl es schon mitten in der Nacht war.

Ob sie um diese Uhrzeit noch über seinen Vorschlag berieten? Oder zogen sie ihn gar nicht ernsthaft in Erwägung?

Nein, das war unwahrscheinlich. Sein Angebot musste zu verlockend für sie sein. Sie konnten es sich nicht entgehen lassen. Für so kurzsichtig hielt er sie nicht! – Und wenn doch? Wenn sie ablehnten? Was würde dann mit ihm geschehen? Welch böse Überraschungen würden sie für ihn bereithalten? Was ihm zur Last legen? Was, wenn sie wussten, dass …

Jetzt erst merkte er, dass seine Hand noch immer den Hals umklammert hielt. Er schnappte nach Luft …

Vielleicht hat sich diese kleine Episode im Mai 1945 so wie hier beschrieben oder ähnlich zugetragen. Sie wäre ein ganz besonderer Moment gewesen. Denn offen gezeigte Emotionen, Zweifel, Angst oder gar Skrupel hätte sich der Mann, den wir da gerade beobachtet haben, wirklich nur in einer Einzelzelle unter Ausschluss der Öffentlichkeit gestattet.

Den Mitmenschen galt er als höflicher, bisweilen charmanter, aber zurückhaltender Zeitgenosse. Eigenschaften wie Ehrgeiz und Eitelkeit wusste der Kaltblüter zumeist hinter der Fassade biederer Bürgerlichkeit und nobler Distanz zu den ihn umgebenden Ereignissen zu verbergen.

Auch vor der Nachwelt. Auch vor mir, der ihn als Journalist 1996 und 1999 zwei Mal interviewte.

Wilhelm Höttl kommt in gefühlten tausend Büchern über die Zeit des Dritten Reichs und des Kalten Kriegs vor. Er ist ein Held der Fußnote, ein beiläufig Anwesender in der zeitgeschichtlichen Literatur. Und er hat es geschafft, als Historiker, Auskunftsperson, Gewährsmann historischer Zeitläufe, ja als glaubwürdiger Kommentator anerkannt zu werden, ohne dass lange Zeit seine eigene Rolle im Geschehen, das er beschreibt, gründlich erforscht worden wäre.

Als Berufszeitzeuge zog er eine Spur durch deutsche und österreichische Fernsehdokumentationen von Knopp bis Portisch, gab da und dort seine Einschätzungen des Dritten Reichs, der Person des „Buchhalters des Todes“ Adolf Eichmann und der letzten Kriegstage 1945 zum Besten. In Hugo Portischs und Sepp Riffs mehrteiliger TV-Dokumentation „Österreich II“ liegt Höttl gar im „Duell mit dem Gauleiter“ und will dabei geholfen haben, den Krieg zu verkürzen.1

Ja klar, einige kritische Geister wie der Historiker Götz Aly durchschauten, dass Höttl wie in Guido Knopps TV-Serie „Holocaust“ „offenkundig im eigenen Interesse in die Kamera schwadroniert. […] Im Film tritt er als harmloser älterer Herr und als Zeuge für den Vernichtungswillen Hitlers auf“2, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, was er selbst als höherer Angehöriger des SS-Sicherheitsdienstes (SD) zu verantworten hatte – in Wien, auf dem Balkan, in Italien, in Ungarn!

Trotz vielfacher Warnungen vor der mangelnden Seriosität des beliebten „Zeitzeugen“ traf das zu, was Höttls alter Kumpan aus Kriegstagen, der Ober-Geldfälscher des „Unternehmens Bernhard“ (von dem wir noch erfahren werden) Fritz Schwend 1964 feststellte, dass nämlich die Medien offensichtlich „höttlhörig“ seien,3 weil der geschmeidige Herr mit seiner seigneuralen Art Journalisten, die nach guten Geschichten lechzten, trefflich zu manipulieren verstand. Die gewandte Autorin Bettina Stangneth bringt es auf den Punkt, wenn sie schreibt: „Der joviale Mann im Trachtenjanker, der vor dem Alpenpanorama spöttisch lächelnd Eichmann-Anekdoten und süffisante Indiskretionen von sich gibt, gehört bis heute zum festen Inventar von Fernseh-Dokumentationen.“4

Erst in jüngerer Zeit widmen sich wissenschaftliche Monografien der Aufarbeitung des „ewigen Willi“, wie ihn genervte US-Geheimdienstler gerne nannten. Material über ihn gibt es genug, allein die CIA-Akte über ihn ist über 1600 Seiten stark!5 Kaum eine andere Einzelperson seines Ranges genoss so viel Aufmerksamkeit der Geheimdienste nach 1945, und dabei dürfte er doch letztlich vor allem ein „Nazi Peddler“ gewesen sein, wie der Historiker Norman J. W. Goda ihn charakterisiert, ein Hausierer, der seine Kenntnisse aus der Nachrichtendienstszene des Dritten Reichs jedem andiente, der dafür bezahlte. Eine einzige Gewissheit gab es dabei: Wer sich auf ihn verließ, von den Nazis über die Amerikaner bis zur Medienöffentlichkeit, wurde betrogen. Denn seinen großen Versprechungen folgte meist die bittere Erfahrung, dass viele seiner „Informationen“ Blendwerk oder schlicht erfunden waren und aus mehr als dubiosen Quellen stammten, was ihm das Misstrauen seiner eigenen SS-Kollegen im NS-Apparat eintrug (der SD suspendierte ihn vorübergehend) und dann auch die US-Geheimdienste dazu brachte, ihn zu feuern.

Seit seinem 19. Lebensjahr war Höttl jahrzehntelang durchgehend im nachrichtendienstlichen Geschäft tätig und entwickelte nach und nach die Fähigkeit, derart kaltblütig zu lügen, dass er seinen Gefäßdruck offenbar auf das Niveau einer Eidechse senken konnte und sogar die gefürchteten Lügendetektoren der Amerikaner zu täuschen verstand!

Dank seiner guten Kontakte vom Reichssicherheitshauptamtschef Ernst Kaltenbrunner bis zum steirischen Landeshauptmann Josef Krainer sen. und möglicherweise auch wegen seiner hintergründigen Informationen über Personen des öffentlichen Lebens bekam er in all den Jahren immer wieder Oberwasser. Aus dem Geheimdienst-Reptil wurde die rätselhafte Sphinx von Altaussee, dem idyllischen Ort im steirischen Salzkammergut, wo Höttl nach dem Krieg bis zu seinem Tod 1999 mehr als 50 Jahre verbrachte und in der Region mehrere Schulen und Internate betrieb. Noch als Schuldirektor umgaben ihn Gerüchte um Nazi-Gold, versteckte Schätze im Ausseer Salzbergwerk und die Verbreitung gefälschter Pfundnoten.

Was aber war wirklich dran an ihm? An seiner Beteiligung an der Ermordung hunderttausender Juden in Ungarn; seinen im „Goldzug“ gehorteten Schätzen aus jüdischem Vermögen; seiner Rolle bei der vermeintlichen Errichtung der nebulosen „Alpenfestung“; seinen Verhandlungen mit dem in Bern residierenden Europa-Chef des US-Kriegsheimdienstes „Office of Strategic Services“ (OSS) Allen W. Dulles um einen Sonderfrieden für ein NS-geführtes Österreich; den Zeugenaussagen rund um seinen ehemaligen Chef Ernst Kaltenbrunner und den Ex-Kollegen Adolf Eichmann beim Nürnberger Prozess 1945, darunter seine weltgeschichtlich bedeutende Aussage über sechs Millionen ermordeter Juden in den NS-Konzentrationslagern; und schließlich an seiner Arbeit für das US-amerikanische „Counter Intelligence Corps“ (CIC) in den 1940er-Jahren, den frühen westdeutschen Nachrichtendiensten wie der „Organisation Gehlen“ und seinem möglichen Überlaufen zu den kommunistischen Geheimdiensten Jugoslawiens und der Sowjetunion?

War Wilhelm Höttl mehr als ein Lügenbaron inmitten einer riesigen Blase an Finten, Intrigen und Gerüchten? War der Mann immer schon gesinnungslos, oder wann ist aus dem strammen jungen Nationalsozialisten der wendige „Hausierer“ geworden? Ist er ein typisch österreichisches Phänomen? Ein schrankenloser Opportunist? Oder war er vielleicht doch ein Superhirn, das souverän plante und agierte und sich spät, aber doch in den Dienst der westlichen Demokratie stellte? Als überaus gebildeten Vielwisser konnte man ihn allemal bezeichnen.

In seiner Autobiografie „Einsatz für das Reich“6 schält er aus dem Agentendasein jedenfalls eine neue Identität heraus – jene des über den Dingen stehenden Beobachters mit Insiderwissen, eines „Masterminds“ ohne persönliche Mitverantwortung oder Schuld an den Massenverbrechen des Dritten Reichs. Schon in seinen unter dem Pseudonym „Walter Hagen“ erschienenen Büchern „Die geheime Front“ und „Unternehmen Bernhard“ war der anonyme Erzähler als schierer Alleswisser aufgetreten.7 „Walter Hagen“ war nicht sein erster Künstlername, tatsächlich hatte er für die nachrichtendienstliche Praxis noch andere Tarnnamen wie „Alpberg“, „Goldberg“ oder „Willi“. Das CIC-Kürzel „Willi“ gefällt mir persönlich am besten und ich werde mir erlauben, es auch für unseren Protagonisten zu verwenden. Es soll den Mann weder respektlos verhöhnen noch kindlich verniedlichen, sondern seinem Charakter als Trickser lautmalerischen Ausdruck verleihen; außerdem hieß er ja auch wirklich so.

Wie man sie auch dreht und wendet, ist Willis Lebensgeschichte die Story eines Konjunkturritters, der bisweilen hoch pokerte und am Ende immer obenauf schwamm. Ein Weg, der nicht vorgezeichnet schien. Kaum jemand hätte einem wie ihm in den 1940er-Jahren zugebilligt, dass er einmal friedlich daheim im Bett seines beachtlichen Anwesens in Altaussee sterben würde, mit einem steirischen Verdienstorden hochgeehrt und finanziell wohlbestallt.

Diese Vita ist eine gewaltige Geschichte, eine Berg- und Talfahrt durch Kriegs- und Nachkriegszeiten, in der eine so große Zahl von Gestalten, Namen und Chimären an uns vorbeiziehen wird, dass einem schwindlig werden könnte.

Empfindsameren Naturen als Höttl wäre der Preis für all das zu hoch gewesen, sie hätten gefürchtet, von irgendeiner Kante des schmalen Grates, entlang dessen er sich bewegte, abzugleiten und in die Tiefe zu rutschen. Der Mann mit den eisernen Nerven hingegen hielt alles aus, auch wenn er schon zu Lebzeiten allerlei zu hören bekam, von Antifaschisten als Alt-Nazi gebrandmarkt und von einstigen Gesinnungsfreunden verachtet wurde – als „Verräter“ an den Kameraden Kaltenbrunner und Eichmann und an der „Ehre des deutschen Volkes“ wegen seiner Aussage über sechs Millionen ermordeter Juden. Er überstand alles und keiner saß über ihn zu Gericht oder krümmte ihm ein Haar. Bis zuletzt.

Es ist an der Zeit, uns auf den Weg in die Vergangenheit zu begeben. Viele Fragen wollen behandelt sein. Wilhelm Höttl macht es uns dabei nicht leicht, denn er verstand es trefflich, seine Spuren zu verwischen. Viele, allzu viele Angaben zu seiner Person stammen ursächlich von ihm selbst! Zeitlebens gelang es ihm, „Informationen“ über sich in deutsche, österreichische oder amerikanische Akten, Archive und sonstige Quellen zu schmuggeln und sie dann als Belege für seine Geschichten zu zitieren.8 Er machte „durch gezielte Desinformation eine Rekonstruktion seiner eigenen Tätigkeit in Wien ab 1938 und später in Ungarn bis heute nahezu unmöglich. Stattdessen stilisierte er sich zum Widerstandskämpfer“9, wie Bettina Stangneth meint. Ein Meister der Vertuschung!

Wir werden allerdings auch manche Episoden erleben, welche über die simple Biografie des Einzelmenschen Höttl hinausgehen; Szenen, die ein Stück jenes Monumentalgemäldes zeigen, welches man Zeitgeschichte nennt. Und es ist ein dunkler Teil dieses Tableaus, dessen Betrachtung die Österreicher unter uns – aber nicht nur sie – zu der bangen Frage führt: „So sind wir doch nicht, oder?“

Wer indes über die Akteure in diesem makabren Spiel die Nase rümpfen oder ihre Verwerfungen verurteilen mag, sollte stets einen Spiegel zur Hand haben und gelegentlich einen Blick in die Tiefen des eigenen Selbst riskieren. „Schließlich wird aber auch die unbequeme Frage nach der Wirksamkeit von Verführung gestellt, eine Frage, die nie aufhört und in immer neuem Gewand mitten in einer scheinbar aufgeklärten Moderne wiederkehrt“, schrieb einst mein verehrter akademischer Lehrer, der Doyen der österreichischen Zeitgeschichtsforschung Gerhard Jagschitz im Vorwort zu Günther Steinbachs und meinem Buch „Unser Hitler. Die Österreicher und ihr Landsmann“.10

Wie närrisch muss eine totalitäre oder in demokratischer Verkleidung auftretende Ideologie erst sein, damit wir gegen sie immun sind? Wo enden unsere Überzeugungen, wenn wir denn überhaupt welche haben, und wo beginnt der Opportunismus? Welchem Druck sind wir bereit, uns zu beugen, wenn es um unseren eigenen Vorteil oder gar ums Überleben geht? Welchen perfiden Regimen sind wir willig, uns anzudienen? Lassen wir uns von offiziellen Erklärungen der Mächtigen einlullen, die uns im Namen einer höheren Moral predigen, wir hätten dieses und jenes gefälligst zu meinen, zu glauben, zu tun, obwohl wir merken, dass es falsch ist? Wären wir nicht bereit zu lügen, dass sich die Balken biegen, um die Nase über Wasser zu halten? Selbst unter weniger drückenden Bedingungen wie jenen im Europa des Zweiten Weltkriegs und des frühen Kalten Kriegs? Wären wir wie die Höttls dieser Welt, die sich mit Mogeleien durchschummeln?

Nicht in satter Selbstgerechtigkeit über den „ewigen Willi“ postum zu richten ist der Zweck dieses Buches, sondern sein Leben zu erfassen und im Umfeld seiner Zeit darzustellen. Vielleicht werden wir dann wacher für manche Phänomene, die unsere Gegenwart bestimmen.

Also fragen wir nach, und wenn manche Antworten auch im Nebel der Geschichte verschwunden sein mögen, sind immerhin die Konturen einiger Akteure auszumachen. Zum Beispiel die Gestalt jenes Mannes, der sich im Frühsommer 1945 in der ersten Etage des OSS-Gebäudes am Navy Hill, 2430 E Street N. W., nordwestlich des Lincoln Memorials in Washington D. C., dem Bureau seines obersten Chefs William J. Donovan nähert. Seinen Namen kennen wir nicht, aber viel wichtiger ist, dass er eine Aktenmappe unter dem Arm trägt, deren Inhalt uns noch beschäftigen wird. Gleich hat er das Ziel erreicht. Donovans Tür ist nur angelehnt und …

Ach ja, eines noch vorweg: Sie müssen schon verzeihen, liebe Leserinnen und Leser, dass ich Ihnen auf den folgenden Seiten einiges an Insiderwissen der Geheimdienste des 20. Jahrhunderts samt deren Vokabular voller Fachausdrücke und Abkürzungen zumute. Wenn Sie die vielen Fußnoten im Text irritieren, beachten Sie diese einfach nicht! Sie kommen problemlos auch ohne Anmerkungen mit, aber gerade bei unserem Thema rund um Lug und Trug, Desinformation und Spionage müssen die Quellen sehr sorgfältig dokumentiert werden. Sonst glauben Sie mir, dem Autor, diese schier unfassbare Story vielleicht nicht!

Sie werden den SS-Sicherheitsdienst SD und den Wehrmachtsdienst Abteilung „Fremde Heere Ost (FHO)“ sowie die deutsche militärische „Abwehr“ ebenso finden wie die US-amerikanischen Nachrichtendienste OSS, CIC,G-2 und CIA, die sowjetrussischen NKWD und KGB und die Keimzelle des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND), die „Organisation Gehlen“ (Org) samt ihrem Konkurrenten, dem „Friedrich-Wilhelm-Heinz-Bureau“ FWH, die Österreichische Staatspolizei (Stapo) und viele andere. Sie finden sie in einer eigenen Übersicht am Ende des Buches aufgelistet. Diese Dienste arbeiteten nicht nur im Dienst ihrer Vaterländer gegen deren Feinde, sondern waren vielfach Rivalen im eigenen Haus.

Verwirrt?

Wenn Sie dranbleiben, verspreche ich Ihnen dafür intime Einblicke in Geschehnisse, die sich jahrzehntelang unter der Haut der Oberwelt abgespielt haben. Lassen Sie sich in eine Schattenwelt entführen!

Jetzt aber auf nach Washington, in die Zentrale des US-Geheimdienstes „Office of Strategic Services“!

„Come in!“, sagte Donovan freundlich, als er sein Gegenüber in der offenen Türe stehen sah. „Und mach dir’s bequem, mein Alter! Was gibt’s denn?“

„Ich habe etwas Neues, ‚Wild Bill‘!“, sagte der Besucher und klappte seine Mappe auf.

„Wieder was von Dulles?“

„Ja, er hat es vom CIC erhalten. Du wirst staunen. Ein alter Bekannter meldet sich, diesmal aber nicht direkt bei uns, sondern über den Umweg eines Verhörprotokolls der Abwehr.“

Donovan bekam einen Bericht mit dem Vermerk „top secret“ in die Hand gedrückt.

„Das habe ich erwartet … genau das habe ich erwartet“, murmelte „Wild Bill“ Donovan nach einigen Minuten konzentrierten Lesens. „Ich wusste, dass dieser Typ früher oder später wieder bei uns anklopfen würde.“

„Soll ich an Dulles …?“

„Nichts überstürzen! Erst einmal denken wir nach, wie wir die Situation am besten nützen können. Also, dieser Kerl bietet uns von der Zelle aus sein komplettes Agentennetz in Osteuropa an – von Budapest über Bukarest bis Zagreb. Nun gut, das hat er Dulles ja schon einmal servieren wollen.“

„Aber der hat ihn doch gar nicht persönlich empfangen …“

„Ob persönlich oder nicht, tut jetzt nichts zur Sache. Lass mich weiterdenken … Wir haben keine Ahnung, wie gut dieses Netz noch ist, aber nehmen wir an, es wäre interessant – bleibt noch der Mann … der Mann selbst …“

„Wenn du mir gestattest, Bill: Auch das Netz ist eine sehr unsichere Sache!“

„Wieso? Denkst du, die Sowjets haben es unterwandert?“

„Und selbst wenn nicht: Willst du ausgerechnet die SS so einfach in unseren Dienst übernehmen?“

„Ach was, der Krieg in Europa ist seit einem Monat aus!“ Donovan machte eine abweisende Handbewegung. „Und was haben wir denn zum Beispiel mit dem SS-General Wolff alles unternommen? Dieser kooperative Gentleman hatte doch fähige Leute zur Hand! Er hat in Oberitalien bereits vorzeitig am 2. Mai kapituliert, wie abgemacht. Das verdankten wir natürlich dem Verhandlungsgeschick von Dulles, aber in erster Linie dem Entgegenkommen von Wolff und seinen SSlern, vergiss das nicht! Wenn es zum Prozess kommt, werde ich dafür sorgen, dass er unbehelligt bleibt, er ist ein Ehrenmann. Die vom CIC sind übrigens der gleichen Meinung und rekrutieren ganze Agentenrudel vom SD und selbst General Sibert wirbt schon munter SD-Leute für seinen Army-Geheimdienst G-2 an. Wer, wenn nicht die deutschen Fachleute, soll denn sonst unsere russischen Freunde unter Beobachtung halten? Warum sollten dann gerade wir vom OSS uns hier zurückhalten? Andererseits …“ Donovan runzelte leicht die Stirn, als sei er davon überrascht, sich selbst ins Wort gefallen zu sein „… andererseits sitzt uns Präsident Truman im Genick und wartet auf jeden geringsten Fehler, weil er uns misstraut!“

„Außerdem müssen wir mit den Russen wieder ins Gespräch kommen – gerade jetzt, wo hier alle an uns zweifeln!“, entgegnete Wild Bills Gegenüber.

„Du hast recht, mein Alter.“ Donovans nachdenklicher Anwaltsblick wirkte eher melancholisch denn intellektuell. „Hör zu, wir machen es so: Dulles soll die zentrale Funkstation dieses Typen weiterhin besetzen. Den Mann selbst natürlich festhalten, am besten irgendwo in Innerdeutschland – aber das überlassen wir nach wie vor dem CIC. Sein Netz aber, dieses Netz über den halben Balkan, das werden wir nett in Geschenkpapier verpacken, und mit einer roten Schleife dran …“

„… dem Genossen General überreichen?!“

„Ganz genau! Freundschaft will besiegelt sein.“

„Dann werde ich gleich an Dulles …“

„Gemach, gemach, mein Alter! So ein feines Geschenk braucht natürlich einen würdigen Anlass.“

„Aber General Fitin und der ganze NKWD sprechen jetzt schon nicht mehr mit uns!“

„Genau deshalb werden wir die Aufmerksamkeit zu gegebener Zeit mit dem kleinen Präsent aus dem Hause ‚Sicherheitsdienst der SS‘ gebührend wiedererwecken. Wir haben jetzt Anfang Juni. Warten wir einmal ab und sehen zu, wie sich die Dinge über den Sommer entwickeln.“

Das gibt’s doch nicht! Er stand in seiner Zelle förmlich Kopf. Unfassbar! Zuerst narrten sie ihn und gingen zum Schein auf sein Angebot ein, und jetzt lehnten sie auf einmal ab? Sie wollten nicht? Sein kostbares Netzwerk war ihnen nichts wert. Dabei hatte er in seiner Eingabe unwiderstehlich argumentiert:

„Ich weiß, dass die amerikanischen Nachrichtendienste auf diesem Gebiet erst dabei sind, sich zu formieren, und in manchen Ländern noch nicht einmal das. Die USA werden ihre Nachrichtendienste nicht nur mit früheren Gegnern des Regimes betreiben können. Sie werden ehemalige Nationalsozialisten brauchen. Durch den Tod unseres Führers und des Reichsführers SS sind wir von unserem Eid als SS-Männer entbunden. Ich glaube, dass ich von erheblichem Nutzen für die Interessen der USA sein kann!“11 Wer konnte da noch ablehnen?

Diese verblödeten Gestalten vom CIC! Eine solche Lethargie hatte er bei Nachrichtendienstlern dieses Zuschnitts nicht erwartet. Vielleicht hatten sie sein Angebot gar nicht ans OSS weitergeleitet! Dort saßen die wichtigen Leute, dort wurde nicht von schlaffen Ami-Burschen eine lahme Abwehr betrieben, sondern an offensiven Strategien gebastelt!

Er konnte ja nicht wissen, dass die Ablehnung nicht vom CIC, sondern direkt aus dem OSS-Hauptquartier stammte und dass die Russen noch misstrauischer als die Amis waren und der sowjetische NKWD-General Pawel Fitin das großzügige Geschenk der Amerikaner, die Übereignung des SD-Agentennetzes, dankend ablehnen würde.

Nichts von alledem ahnte er, auch nicht, dass er damit unverschämtes Glück hatte! Und welcher Stein ins Rollen kommen sollte … So wuchs die Verzweiflung, und sein Gehirn arbeitete fieberhaft.

Wenn er doch nur an Dulles direkt herankommen könnte! Stattdessen saß er hier herum und wurde fast wie ein gewöhnlicher Gefangener behandelt. Und das bei seinem Wissen, seiner Qualifikation! Immerhin war er nicht nur im Nachrichtengeschäft ein tüchtiger Mann, sondern ein intellektueller Geisteswissenschaftler. Vor Wut verkrampfte sich sein ganzer Körper. Er wollte für voll genommen werden! Er, 30 Jahre alt, Historiker, Doktor phil. und Chronist der weltgeschichtlichen Ereignisse, die er aus erster Hand kannte! Und was er alles wusste!

Was, wenn sie ihm etwas anhängen wollten? Weil er in Budapest …? Nein, Blödsinn, jetzt ganz ruhig bleiben: Dulles würde ihm helfen, ja richtig, Dulles, der Chef des Militärnachrichtendienstes OSS in Europa, wusste ja von seiner Friedensmission …

Sicher würden sie bald kommen und ihn holen. Und dann würde er dieses Gefängnis hoch erhobenen Hauptes als Verbündeter des freien Westens gegen den Bolschewismus verlassen – wie es ihm zukam!

2. Der Fund

Wenn man die Zunft der Historiker mit der Kunst der Pathologen vergleicht, die an Leichen herumnesteln und sich in aller Ruhe ein umfassendes Bild von toten Menschen machen, dann ist der Journalist dagegen ein Notarzt, der schnell am lebenden Objekt handeln muss, um Symptome zu diagnostizieren.

Als ich am 22. Jänner 1996 morgens kurz vor neun Uhr die Redaktion meines Radiosenders „Österreich 1“ betrat, wurde mir schnell klar, dass dieser Montag ein arbeitsreicher Tag werden würde – gewissermaßen mit Blaulicht und Sirene! Denn am Wochenende war bekannt geworden, dass die US-amerikanische Botschafterin in Österreich, Swanee Hunt, Bundespräsident Thomas Klestil und Bundeskanzler Franz Vranitzky über eine eminent heiße Sache informiert hatte. Auf dem Boden der westösterreichischen Bundesländer Salzburg und Oberösterreich, so die Botschafterin, würden sich 79 Waffendepots befinden, welche die US-Besatzungsmacht dort zwischen 1950 und 1955 als Sicherheit für kommende Widerstandskämpfe gegen eine eventuell drohende kommunistische Machtübernahme angelegt hatte! CIA-Leute seien kürzlich durch Zufall über diese Tatsache gestolpert, kein Mensch in den USA hätte mehr davon gewusst, die Zeit sei darüber hinweggegangen!

Ich sah die Meldungen der Austria Presseagentur der letzten 48 Stunden durch: Das offizielle Österreich reagierte vollkommen überrascht, doch einigermaßen professionell, diplomatisch. Bundespräsident Klestil ließ sich von Botschafterin Hunt persönlich über den Fund der CIA in US-Archiven informieren, und Kanzler Vranitzky (SPÖ) zeigte sich verwundert. Öffentlich erklärte er: „Es entspricht nicht dem ausgezeichneten Stand der Beziehungen unserer Länder, dass wir erst jetzt von diesen Verstecken erfahren.“

Nun sei es aber an der Zeit, hatte Chefredakteur Michael Kerbler gedrängt, im Informationssender „Österreich 1“ abseits der Sprechblasen von Politikern und Diplomaten Licht in diese Sache zu bringen. „Ihr habt Zeit bis morgen!“, hatte Kerbler gesagt, und bei den Ressorts „Innenpolitik“, „Außenpolitik“ und „Wissenschaft“ eine halbstündige „Journal Panorama“-Radiodokumentation über Waffenlager in Auftrag gegeben, von denen bis vorgestern kein lebender Österreicher eine Ahnung gehabt hatte – oder doch?

Dieses „oder doch?“ sollten nun die Kollegen Robert Stoppacher, Alfred Schwarz und ich recherchieren. Mir als Wissenschaftsjournalisten kam dabei die Rolle zu, die Historikerzunft zu befragen – also ab ans Telefon, und alle durchrufen …

„Frag doch den Höttl!“, riet endlich einer der Professoren.

„Wen bitte?“

Eine Stunde später überflog ich in der Stille des Aufnahmeraums meinen Notizzettel: Dr. Wilhelm Höttl, geboren 1915 in Wien, wohnt in Bad Aussee, steirisches Salzkammergut. Hat während des Dritten Reichs für den Sicherheitsdienst (SD) der SS im Balkanreferat gearbeitet. Nach dem Krieg zu den Amerikanern übergelaufen. Arbeitete für den US-Abwehrdienst CIC (Counter Intelligence Corps). Weiß er um die Waffenlager?

Bei der ersten telefonischen Kontaktaufnahme hatte der 81-jährige Dr. Höttl auf mich wach und zuvorkommend gewirkt. So auch jetzt, 60 Minuten danach, da die Telefonverbindung ins Studio zustande kam und Höttls ruhige Stimme aus den Kopfhörern drang.

„Herr Doktor Höttl, wir nehmen dieses Gespräch auf Band auf. Ausschnitte daraus werden dann in der Sendung ‚Journal Panorama‘ als Originaltöne verwendet.“ Mein üblicher Stehsatz vor Beginn eines Telefoninterviews.

Höttl war einverstanden. Und erzählte. Er habe zwar nur bis 1950 für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet und sei mit der Deponierung von Waffen oder Ähnlichem nach diesem Zeitpunkt nicht selbst befasst gewesen, schrieb sie allerdings eindeutig dem CIC zu.

Und dann kamen jene Sätze, die weit über die Geschichte simpler Waffenlager hinausführten: „Parallel zu dieser Waffenaktion wurde auch eine Stützpunkt-Aktion ins Leben gerufen“, schilderte Höttl, „ein sogenanntes I-Netz, abgekürzt von ‚Invasion‘. Das heißt, für den Fall einer Besetzung durch die Rote Armee sollten Funkstellen geschaffen werden, die dann Kontakt mit den amerikanischen Stellen in Westeuropa oder je nachdem halten sollten. Und das hab’ ich in erster Linie gemacht, das heißt vermittelt, weil ich darauf zurückgreifen konnte. Ich hatte das für den deutschen Geheimdienst schon am Ende des Krieges gemacht, vor allem in den später schon russisch besetzten Staaten, also Ungarn und Jugoslawien, Rumänien, und das hat natürlich die Leute vom CIC besonders interessiert, was da schon an Erfahrung bestand. Und so kenn’ ich die Aktion als solche, ohne aber Einzelheiten über die Waffenaktion zu wissen. Da sollte also nur der Kontakt hergestellt werden mit verlässlichen Patrioten, österreichischen, die dann auch tatsächlich gegen die Besatzungsmacht gearbeitet hätten.“

Waffenlager des CIC hätte es jedenfalls nur in der US-Zone gegeben, so Höttl, und widersprach damit dem hoch angesehenen österreichischen Widerstandskämpfer Fritz Molden, der ein paar Stunden zuvor der Austria Presseagentur zu Protokoll gegeben hatte, dass solche auch geheim in der Sowjetzone angelegt worden wären! Und Molden war immerhin mit der Tochter der Geheimdienstgröße Allen W. Dulles, des OSS-Chefs in der Schweiz und späteren CIA-Direktors, verheiratet gewesen. Wer, wenn nicht ein Mann wie er, sollte wissen …

„Dass die Amerikaner diese Waffendepots in der Russenzone errichtet haben, halte ich für völlig falsch, auch rein technisch“, blieb Höttl bei seiner Version. „Wenn man sich vorstellt, wie abgeschottet die Russenzone war. Dass die Amerikaner da Waffendepots anlegten, das war also meines Wissens nur hauptsächlich im Oberösterreichisch-Salzburgischen, wo die Amerikaner also die erste Hand draufhatten.“

Die Orte der Waffenlager wusste Höttl nicht zu nennen, aber es war ihm bekannt, wie sie befüllt wurden, nämlich im Zuge von Manövern im Bergland: „Die Schwierigkeit war, das auch hinzutransportieren. Ich hab’ also einige Erfahrung über diese Tätigkeit, dass man zum Beispiel im Toten Gebirge, bei uns also, bereits militärische Übungen von antikommunistischen Gruppen gefördert hat.“

Wie bitte? Wehr- und Waffentraining für antikommunistische Guerillas mitten im idyllischen Salzkammergut der späten 1940er- und frühen 1950er-Jahre?

„Da gab’s also vor allem die ungarischen Emigranten, die scharf antikommunistisch eingestellt waren, und die hat man mit Unterstützung des CIC schon damals im Toten Gebirge militärische Übungen machen lassen. Und durch die Manöver, wie das behauptet wird, wurde natürlich auch der Transport dahin erleichtert. Denn da wurde das Gebiet abgesperrt für die Einheimischen, und die konnten dann in Ruhe dort ihre Waffen anlegen.“

Ich konnte es kaum glauben, was der Mann da alles über das „I-Netz“ erzählte! Eine geheimdienstliche Großunternehmung der USA, in die auch österreichische Landes- und Bundespolitiker eingebunden gewesen wären!

„Da war es doch so, dass die Amerikaner, das war damals relativ leicht, fast in jedem Ministerium Vertrauensleute hatten, die sie informieren konnten. Also, ob die Regierung als solche auch Bescheid wusste, das kann ich nicht behaupten, ich weiß es nicht. Aber sicherlich bis hinauf in die Sektionschef-Ebene [ein Sektionschef ist der ranghöchste Beamte in einem österreichischen Bundesministerium bzw. im Bundeskanzleramt, Anm. d. Verf.] hat es da Kontakte gegeben und enge, enge Verbindungen.“

Bei den Amerikanern blieb es nicht. Frankreich und möglicherweise Großbritannien hätten ebenso geheime Waffenlager in Österreich errichtet, sagte Höttl.

„Von den Franzosen weiß ich’s. Die haben das natürlich wie üblich in etwas kleinerem Maßstab gemacht, die sind ja nicht so gut situiert gewesen, finanziell. Von den Engländern hörte ich es, weiß ich aber nichts Konkretes.“

Und, pardon, an all dem waren auch Sie beteiligt?

„Es war so, dass mir die militärische Seite nicht gefallen hat. Ich habe damals mehrfach gewarnt und habe das als Soldatenspielerei bezeichnet, als die Amerikaner eben diese Übungen im Toten Gebirge sehr forciert haben. Das waren also meine Leute, und das hab’ ich für Unsinn gehalten, denn wenn auch noch so viele Idealisten einmal dageblieben wären: Ein militärischer Widerstand wäre ja sinnlos gewesen.“

1950 sei er aus den Diensten des CIC geschieden, da er das Verteidigungskonzept, im Ernstfall Partisanen einzusetzen, nicht mehr hätte mittragen wollen.

Ich war hin und weg! Dieser Herr Höttl hatte mir soeben nichts weniger erzählt, als dass die USA in einem Camp mitten im besetzten Österreich Guerillas ausgebildet hatten! Dass sie – vor allem die Ungarn unter ihnen – sicher nicht nur für den Fall einer kommunistischen Invasion Österreichs, sondern für eine Kriegsführung hinter den sowjetischen Linien gedacht waren, dieser Gedanke drängte sich auf.

Welch ein Fund! Mochten andere die Waffenlager suchen – ich hatte Höttl für mich entdeckt! Freudig erregt verließ ich den Aufnahmeraum. Schade, dass ich unter großem Stress stand, die Sendung12 musste fertig werden. Aber gleich danach wollte ich wieder in Altaussee anrufen und mehr über den Mann und seine Organisation herausfinden. Indes gestaltete sich der Weg ins Salzkammergut lang und beschwerlich, denn die Jahre zogen ins Land, bevor ich in der Sache weiterkam.

Endlich! Im schneereichen Februar 1999 hatte es mein alter Opel immerhin bis zum Fuß des Anwesens geschafft, ehe vor der letzten Steigung Schluss gewesen war. Die letzten Meter war ich zu Fuß zur Adresse am Lichtersberg in Altaussee hinaufgestapft.

Drei Jahre waren seit jenem eiligen Interview per Telefon vergangen. In dieser Zeit waren die US-Waffenlager aufgefunden und geborgen worden. Neben verrostetem Kriegsmaterial waren unter den 900 Hand- und Faustfeuerwaffen auch noch einige durchaus funktionstüchtige samt Munition gewesen, jedoch keine ABC-Waffen und schon gar keine vergrabenen Goldreserven, wie einige unternehmungslustige Schatzsucher gehofft hatten. Bis hinauf zu den Kanzlern Leopold Figl (ÖVP) und Julius Raab (ÖVP) dürfte die österreichische Regierungsspitze von den Depots gewusst haben, ehe sie allmählich in Vergessenheit gerieten.13 Mittlerweile hatte ich die diplomatische Leistung der US-Botschafterin Swanee Hunt richtig einzuschätzen gelernt. Immerhin hätte man mit dem Potenzial der Handfeuerwaffen ein vermindertes amerikanisches Infanteriebataillon zur Zeit des Koreakriegs ausrüsten können, mit den gefundenen drei Tonnen Sprengstoff sogar noch mehr! Doch diese Geschichte interessierte mich längst nicht mehr.

Allzu lang hatte ich mich vom journalistischen Tagesgeschäft daran hindern lassen, dem Mann in Altaussee einen Besuch abzustatten, der offensichtlich mehr als ein Geheimnis barg. Nun aber musste es endlich sein. Zu viele Fragen waren zu stellen. 1997 hatte er eine Autobiografie veröffentlicht, die ihn als mehr oder weniger verwegenen Akteur der geheimen Front im Weltkrieg und kurz danach erschienen ließ, vor allem aber als bemerkenswerten Chronisten der Zeitläufte, die er durchlebt hatte.

Aber war das alles? Oder am Ende gar zu viel? War nicht doch einiges ganz anderes gewesen, als es hier zu lesen stand? Was er da über Hitler und die anderen NS-Größen schrieb und an geopolitischen Anmerkungen abließ, war ja nicht uninteressant, aber was war mit Wilhelm Höttl selbst? Nicht was er sich nachträglich durch den Kopf gehen ließ, interessierte mich, sondern welche Rolle er gespielt hatte …

Jetzt, im Februar 1999, saß ich ihm endlich in Fleisch und Blut gegenüber. Dr. Wilhelm Höttl war ein stattlicher Mann von noch nicht ganz 84 Jahren, in Manier eines eleganten Ausseer Bürgers gekleidet, mit Kniebundhose und der Jahreszeit entsprechender Weste. Das Anwesen blitzte geradezu vor Sauberkeit. Dennoch hatte ich sofort den Eindruck eines geknickten alten Herrn. Sein Gesicht wirkte eingefallen, die Wangen fahl. Der Grund erschloss sich bereits nach einem kurzen Wortwechsel: Höttls Frau Elfriede war kurz zuvor gestorben, die Ehe hatte mehr als 60 Jahre lang bestanden und der alte Mann litt offenkundig sehr unter dem Verlust.

In der gepflegten Gutsherrenatmosphäre saß er nun ein wenig verloren da und schien in der Rolle des Gastgebers ungeübt. Erst als wir das Gespräch über die wirklich wichtigen Dinge begannen, erlangte er die Form zurück, die ich vom Telefon her kannte.

„Mein Jugendtraum war schon immer der von einem großen Deutschen Reich“, begann er seine Geschichte. „Gewissermaßen zwangsläufig kam man dann zu dem nationalsozialistischen Teil, der ja die alten Deutschnationalen weitgehend übernommen hat. Und so sind natürlich etliche alte Beziehungen aktiviert worden, die dann durchwegs im Nationalsozialistischen mündeten …“14

3. Der Junge

Es war eine schwüle Sommernacht des Jahres fünfhundertsechsundzwanzig nach Christus. Schwer lagerte dichtes Gewölk über der dunklen Fläche der Adria, deren Küsten und Gewässer zusammenflossen in unterscheidungslosem Dunkel: nur ferne Blitze warfen hier und da ein zuckendes Licht über das schweigende Ravenna.

Die Ohren des Buben glühten. Die ersten Sätze von „Ein Kampf um Rom“! Er schloss die Augen und sah vor sich die Adria liegen, roch die warme, algenschwere Meeresluft, fühlte den Wind, der von der See ans Land blies … Ab diesem Moment waren die Wohnung in Wien-Mariahilf sowie die Geschwister vergessen, fern schienen Eltern und Schule. Alles war nur mehr dem Kampf gewidmet, dem Völkerringen, das Felix Dahn in seinem Meisterroman in buntesten Farben malte.