Willkommen im neuen Zuhause - Anna Kampschroer - E-Book

Willkommen im neuen Zuhause E-Book

Anna Kampschroer

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Beschreibung

Janis wohnt bei der Nachbarin "Oma" Wallner, weil die Eltern nicht gut für ihn sorgen. Bald wird er erneut umziehen, in sein neues Pflege-Zuhause. Um den Abschiedsschmerz zu lindern, erzählt ihm Oma Wallner die Geschichte vom verlassenen Löwen Leo: Er sucht mit der Hilfe der Elefantin Berta eine neue Löwenfamilie. Am Ende eines abenteuerlichen Weges wird Leo von einer Pflegefamilie willkommen geheißen, in der er sich sicher und gut versorgt fühlt. Die ProtagonistInnen in Rahmenhandlung und Tierfabel bieten Mädchen und Jungen, die nicht in ihren Familien verbleiben können, eine stärkende Identifikationsmöglichkeit: Sie geben trotz schwieriger Situationen nicht auf, sondern bewahren ihren Lebensmut. Die Geschichten sind eine wertvolle Hilfe für Pflegeeltern und pädagogisch-therapeutische Fachkräfte. Ab 6 Jahren

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Seitenzahl: 159

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Anna Kampschroer, Barntrup, Dipl. Sozialpäd., ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (TP), 20 Jahre in eigener Praxis; Fortbildungstätigkeit u. a. im Bereich Fremdunterbringung; langjährige Erfahrung in der stationären Jugendhilfe als professionelle „Pflegemutter“.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03247-1 (Print)

ISBN 978-3-497-61882-8 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61883-5 (EPUB)

© 2024 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Bildmotive Cover und Innenteil: © rubtsov89 / stock.adobe.com (Wäscheleine), © iStock.com / Tatiana Arefyeva (Vögel), © artnovielysa /stock.adobe.com (Pflanzen)

Satz: Sabine Ufer, Leipzig

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Eine Geschichte für Janis

Teil I: Ein weiter Weg

Kapitel 1: Leo in Not

Kapitel 2: Endlich Hilfe

Kapitel 3: Nicht mehr allein

Kapitel 4: Gefährliche Ereignisse

Kapitel 5: Weitere Schrecken

Teil II: Schritte zur Rettung

Kapitel 6: Sina

Kapitel 7: Wendys Ankunft

Kapitel 8: Abschied vom magischen Baum

Teil III: Große Aufregung

Kapitel 9: Leos neues Zuhause

Kapitel 10: Abschied von Berta

Kapitel 11: Die neue Familie

Kapitel 12: Wiedersehen mit Sina

Teil IV: Abschied und Neubeginn

Kapitel 13: Ein großes Fest

Das Online-Material und Spiel zum Buch können Sie auf der Homepage des Ernst Reinhardt Verlags unter https://www.reinhardt-verlag.de herunterladen. Auf der Homepage geben Sie den Buchtitel oder die ISBN in der Suchleiste ein. Hier finden Sie das Online-Material unter den Produktanhängen.

Eine Geschichte für Janis

Nachdenklich und auch traurig liegt Janis in seinem Zimmer im Haus von Frau Wallner. Seit einigen Wochen wohnt er bei ihr. In manchen Momenten macht ihn das glücklich, in anderen traurig. Besonders abends sehnt er sich nach seinen Eltern, die nur wenige Häuser entfernt ihre Wohnung haben.

„Es ist wirklich verzwickt“, denkt Janis auch heute wieder. „Ich weiß, dass Mama und Papa sich sowieso nicht um mich kümmern würden. Trotzdem macht es mich fast jeden Tag, und ganz besonders abends vor dem Einschlafen, traurig, dass ich nicht mehr bei ihnen wohnen kann. Warum können sie nicht so sein wie andere Eltern und einfach gut für mich sorgen. Ich verstehe das nicht, obwohl Oma Wallner es mir so oft zu erklären versucht.“

Janis nennt die schon etwas ältere Frau „Oma“, um genau zu sein „Oma Wallner“.

Seine Eltern erinnern ihn ständig daran, dass sie nicht seine echte Oma ist. Janis findet das ziemlich blöd und irgendwie auch etwas gemein. Für ihn ist „Oma Wallner“ seine echte Oma, weil sie sich doch wie eine echte, total richtige Oma verhält.

„Wahrscheinlich sind Mama und Papa nur neidisch, weil ich mich mit Oma Wallner meistens besser verstehe als mit ihnen“, überlegt Janis. „Zu ihr konnte ich früher schon immer gehen, wenn ich Kummer hatte. Und auch wenn Mama und Papa wieder so komisch waren, weil sie sonderbare Pillen oder so andere Sachen geschluckt hatten. Ich glaube, sie wollten, dass ich das gar nicht sehe, aber ich bin doch nicht dumm. Ich habe das alles genau mitbekommen. Erst habe ich gedacht, dass sie krank sind und mir Sorgen um sie gemacht. Deshalb habe ich es Oma Wallner erzählt, zu der ich damals schon fast jeden Tag gegangen bin. Oft habe ich bei ihr gegessen und auch dort meine Hausaufgaben gemacht.

Meine Eltern waren damit einverstanden. Jedenfalls haben sie nie etwas dagegen gesagt. Oma Wallner meinte dann eines Tages, so könne es nicht weitergehen. Sie wollte, dass ich besser versorgt werde. Jedenfalls hat sie mir das damals so erklärt. Sogar zu Mama und Papa ist sie gegangen, um mit ihnen darüber zu reden.

Ich hatte an dem Tag ziemlich viel Angst, dass es Ärger gibt. Hat es aber nicht. Ich weiß nicht, wie Oma Wallner das geschafft hat. Meine Eltern waren dann sogar damit einverstanden, dass ich erstmal für einige Zeit bei ihr wohne. Das ist super, weil bei Oma Wallner fühle ich mich richtig wohl. Trotzdem vermisse ich meine Eltern oft. Manchmal denke ich, dass ich ziemlich komisch bin. Das versuche ich vor anderen zu verbergen. Nur Oma Wallner, die merkt meistens, was ich fühle. Irgendwie finde ich das gut, aber manchmal macht es mich auch wütend.

Total blöd und gemein ist es, dass ich bald zu ganz fremden Leuten ziehen soll. Alle wollen das: meine Eltern, Oma Wallner und so eine fremde Frau vom Jugendamt, die ich jetzt erst kennengelernt habe. Ich glaube, meine Eltern kennen sie schon etwas länger.

Oma Wallner hat mir erklärt, dass das Jugendamt dafür zuständig ist, Kindern zu helfen, die in Not sind. So ganz habe ich das nicht verstanden. Ich bin ja nicht in Not, ich habe doch Oma Wallner. Zu ihr kann ich immer gehen. Sie meint aber, dass das nicht ausreicht.

Manchmal bin ich anderer Meinung als sie. Dann kann ich richtig ärgerlich werden. Oma Wallner aber auch. Heute hat sie schon wieder davon geredet, dass ich bald bei ihr ausziehen und zu neuen Menschen ziehen werde. Ich will das nicht hören. Warum versteht sie das nicht?

Keiner achtet auf das, was ich mir wünsche. Ich möchte einfach immer weiter nur bei Oma Wallner wohnen, auch wenn wir uns manchmal streiten.

Während Janis im Bett von diesen Gedanken gequält wird, füllen sich seine Augen mit Tränen. Schon bald laufen sie in kleinen Rinnsalen seine Wangen hinunter. Auf dem Kopfkissen ist bereits ein nasser Fleck. Stärker und stärker wird sein Schluchzen, so verzweifelt ist er.

Wenige Minuten später wird die Zimmertür vorsichtig geöffnet. Frau Wallner betritt den Raum.

„Aber mein Junge, was ist denn mit dir los? Du weinst ja so laut, dass ich es bis ins Wohnzimmer hören kann. Völlig verzweifelt wirkst du. Was ist passiert?“, erkundigt sie sich besorgt.

Einen kleinen Moment lang bleibt sie neben Janis’ Bett stehen. Dann setzt sie sich auf den Stuhl, der direkt daneben steht.

Als sie ihren Arm ausstreckt, um mit der Hand über Janis’ Kopf zu streicheln, dreht dieser sich abrupt weg.

„Lass mich“, stößt er hervor. „Du weißt genau, warum ich weine. Aber das ist dir völlig egal. Du schickst mich sowieso weg zu fremden Leuten. Erst sagst du, dass du mich magst, und dann willst du mich nicht mehr bei dir haben. Das ist so gemein. Geh weg, ich will mit dir nichts mehr zu tun haben.“

„Aber Janis, so stimmt das doch gar nicht. Ich möchte, dass du endlich eine echte Chance auf ein glückliches Aufwachsen bekommst. Eine neue Familie oder eine Wohngruppe, in der du dich wohl, sicher, geborgen und gemocht fühlen kannst. Das wünsche ich dir, weil ich dich so sehr mag! Dein Wohlergehen ist mir wirklich wichtig. Sieh mal, ich bin zu alt, um auf Dauer für dich da sein zu können. Du kannst mich gern besuchen und ich dich auch. Aber ein neues, verlässliches Zuhause brauchst du jetzt unbedingt. Viel zu lange schon hast du so viel Verunsicherndes, Bedrückendes und Schweres erleben müssen.“

Janis wendet sich weiter ab von Frau Wallner. Er will diese Sätze nicht hören. Und auch nicht versuchen, sie zu verstehen. Wütend will er auf Frau Wallner sein und ihr das auch deutlich zeigen. Er findet, dass sie ihn mit ihren fast 80 Jahren noch prima versorgen kann. „Jedenfalls besser als meine Eltern das können“, denkt er. „Aber wenn sie mich nicht mehr bei sich haben möchte, dann gehe ich eben.“ Wohin, weiß er im Moment selbst nicht so recht.

„Was ist mit meinen Eltern? Ich könnte doch wieder dort wohnen? Warum verbieten mir das plötzlich alle?“, fragt Janis.

„Ich glaube, du weißt selbst, dass deine Eltern nicht ausreichend für dich sorgen können. Lange genug hast du das zu spüren bekommen. Deshalb bist du doch so oft nach der Schule direkt zu mir gekommen. Und das war auch gut so! Du bist ein schlauer Junge und hast ein gutes Gespür dafür, was für dich gut ist und was dir schadet“, entgegnet Frau Wallner.

„Du bist gut für mich!“, stößt Janis laut hervor. Es klingt wie ein verzweifelter Aufschrei.

Nun wendet er sich doch seiner Oma wieder zu. Ganz nah rückt er an sie heran.

Vorsichtig legt Frau Wallner ihre Hand auf Janis’ Kopf. Sanft streichelt sie über seine Haare.

„Ich glaube, ich sollte dir eine Geschichte erzählen“, schlägt sie vor.

Stumm an sie gekuschelt, bleibt Janis unter seiner wärmenden Bettdecke liegen. Seinen Kopf legt er in Frau Wallners Schoß.

Noch einmal streicht Frau Wallner liebevoll über seine Haare, bevor sie zu erzählen beginnt:

Teil I:Ein weiter Weg

Kapitel 1: Leo in Not

Der kleine Löwenjunge Leo lebt in dem großen Land Irgendwo. Er ist zwar kein Baby mehr, aber doch noch ein richtiges Löwenkind. Jeden Tag quält ihn die Sehnsucht nach Erwachsenen, die gut für ihn sorgen. Ziemlich verzweifelt ist Leo, weil seine Löweneltern das nicht können.

„Vielleicht merken sie nicht, wie traurig ich oft bin. Manchmal denke ich, dass ich ihnen ganz egal bin. Ich wünsche mir Eltern, die sich wirklich um mich kümmern, mit mir zusammen Spaß haben, mir zuhören und mich trösten, wenn ich traurig bin. Warum kann ich nicht solche Eltern haben wie andere Kinder?“

Besonders, wenn er vor sich hin träumt oder abends beim Einschlafen, überfallen Leo diese Gedanken. Dann werden Wut, Traurigkeit und Verzweiflung in ihm riesengroß. Bis tief in den Bauch hinein breiten sie sich aus. Auch in seinen Beinen und Pfoten kann er sie spüren. Manchmal wird er richtig zittrig davon. In solchen Momenten wünscht er sich ganz weit weg. Er stellt sich vor, bei Erwachsenen zu leben, die ihn mögen und ganz viel Zeit für ihn haben.

In manchen Nächten träumt er sogar davon. Dann gibt es da eine Mutter und einen Vater, die mit ihm umhertollen, ihm zuhören, wenn er etwas erzählt, ihn trösten, wenn er traurig ist. Herrlich ist das. Leo mag diese Träume. Am liebsten würde er für immer in dieser Traumwelt bleiben. Aber irgendwann wacht er auf und merkt, dass in seiner Wirklichkeit alles ganz anders ist. Ziemlich enttäuscht ist er dann, traurig und auch wütend.

„Lange halte ich das nicht mehr aus“, sorgt Leo sich. „Ich brauche Erwachsene, die sich um mich kümmern. Es wäre wunderbar, wenn meine Eltern das noch lernen könnten. Manchmal denke ich, dass sie sich überhaupt keine Mühe geben. Wenn ich etwas nicht schaffe, schimpfen sie meistens sofort mit mir. Sie behaupten dann, dass ich mich nur etwas mehr anstrengen muss“, erinnert sich Leo.

„Ich mag es nicht, wenn Mama und Papa so sind und solche Sätze zu mir sagen. Richtige Bauchschmerzen bekomme ich davon. Ich brauche Erwachsene, die mich mögen, die gut für mich sorgen und die mich vor Gefahren beschützen.“ Das spürt Leo ganz deutlich.

An manchen Tagen möchte er sein Leid herausschreien. Aber das traut er sich nicht.

„Wenn ich jemandem erzähle, wie es mir geht, werden Mama und Papa bestimmt sehr wütend. Das will ich auf keinen Fall. Richtig gefährlich könnte es für mich werden. Schon oft genug habe ich das gespürt. Wenn sie wütend sind, beißen sie mir meistens ins Ohr. Dann schreie ich vor Schmerzen, aber das interessiert meine Eltern nicht. Mit ihren starken Tatzen schlagen sie sogar extra nochmal nach mir. Wenn ich dann weine, behaupten sie, dass ich das verdient habe, weil ich so böse war. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Manchmal möchte ich Mama und Papa auch beißen oder verhauen, wenn sie gemein zu mir waren. Aber das darf ich nicht. Irgendwie finde ich das ungerecht. Ich traue mich aber nicht, es zu sagen. Vielleicht würde dann alles noch schlimmer.

An manchen Tagen möchte ich trotz meiner riesengroßen Angst jemandem anvertrauen, wie meine Eltern mich behandeln. Aber ich glaube, das darf ich nicht. Oder doch? Dürfen wir Kinder anderen davon erzählen, wenn wir in Not sind?“

Schrecklich allein fühlt Leo sich mit seinen Sorgen und quälenden Gefühlen.

„Warum kann nicht auch für mich alles gut sein?“, überlegt er immer wieder.

Wenn Leo derart verzweifelt ist, breiten sich in ihm Wut und Traurigkeit aus. Entsetzlich schnell geht das. Manchmal öffnet sich dann sein kleines Löwenmaul wie von selbst und beginnt zu brüllen, so laut und jammervoll, dass Leo meint, jeder müsste es hören.

„Am liebsten möchte ich etwas kaputt machen oder jemandem weh tun, wenn ich mich so fühle“, weiß Leo. „Schon so oft habe ich dann alles um mich herum zertrampelt oder zerbissen. Viele kleine Pflanzen und Tiere, die so gern noch weitergewachsen wären, habe ich zerstört. In dem Moment war mir das immer egal, aber später hat es mir meistens leidgetan. Da war ich dann wütend auf mich selbst. Ich mag mich nämlich nicht, wenn ich so gemein bin. Manchmal füge ich mir zur Strafe sogar selbst Schmerzen zu. Dann stoße ich meinen Kopf solange gegen einen Baumstamm bis ich Kopfschmerzen habe. Aber das verrate ich niemandem.“

Besonders wütend ist Leo auf glückliche Löwenkinder, die von ihren Eltern gut versorgt werden.

„Ich will nicht sehen, wie sie mit Mutter und Vater um die Wette laufen, umhertollen, Spaß haben, sich auf dem Waldboden vor Freude hin und her wälzen und dabei ihre dicken Pfoten in der Luft wild strampeln lassen. Es macht mich so traurig, weil ich das alles selbst nicht habe. Am liebsten würde ich mit ihnen spielen und toben. Aber das sage ich vorsichtshalber nicht. Bestimmt würden sie mich sowieso wegschicken. Das habe ich schon viel zu oft erlebt. Ich weiß genau, dass mich niemand bei sich haben möchte.“ Davon ist Leo fest überzeugt. Jeden Tag sagt er das zu sich selbst. Und von Tag zu Tag glaubt er etwas mehr daran. Ganz verzweifelt macht ihn das.

„Trotzdem, ich gebe nicht auf. Irgendwie schaffe ich es, klar zu kommen“, schwört er sich.

Nachdem Frau Wallner die Erzählung beendet hat, bleiben sie und Janis eine Zeit lang stumm.

„Ich glaube, der Junge ist eingeschlafen. Da muss ich wohl ganz vorsichtig und leise sein, damit ich ihn nicht wieder aufwecke. Wie lege ich jetzt am besten seinen Kopf von meinem Schoß zurück auf sein Kissen?“, überlegt Frau Wallner.

Tatsächlich aber ist Janis noch sehr wach und im Moment auch gar nicht müde. Aufmerksam hat er der Erzählung zugehört. Nur zögerlich richtet er seinen Kopf auf. Mit seinem Ellenbogen stützt er sich dabei auf dem Bett ab. Nachdenklich schaut er vor sich hin.

„Ich möchte, dass auch für mich endlich alles gut wird“, flüstert er.

Frau Wallner streichelt ihm über sein Haar.

„Genau das wünsche ich dir auch“, entgegnet sie.

„Als ich noch bei meinen Eltern gewohnt habe, ging es mir so ähnlich wie dem Löwenjungen Leo aus der Geschichte. Zuerst wusste ich auch nicht, ob ich dir erzählen darf, wie es bei uns Zuhause manchmal zugeht. Dass meine Eltern oft so komisch sind, wenn sie irgendetwas getrunken oder seltsame Sachen zu sich genommen haben, wollte ich lange Zeit lieber als Geheimnis in mir bewahren. Ich hatte Angst, dass ich sonst nicht mehr bei meinen Eltern wohnen darf. So etwas Ähnliches haben sie mir nämlich immer gesagt. Aber irgendwann konnte ich es einfach nicht mehr aushalten. Und, weißt du noch, wie es an dem einen Tag war, als ich draußen auf dem Spielplatz saß und geweint habe?“

Frau Wallner nickt bestätigend mit dem Kopf. „Oh ja, daran erinnere ich mich noch genau. An dem Tag wurde mir klar, dass ich mich unbedingt um dich kümmern sollte. Ich habe verstanden, dass du in großer Not warst“, entgegnet sie.

„Und ich habe dir alles anvertraut. Meinen ganzen Kummer. Ich konnte einfach nicht mehr anders“, sagt Janis.

„Das war auch gut so. Mit derart großen Problemen sollten Kinder nicht allein bleiben“, bestätigt Frau Wallner.

„Das ist wirklich wie in der Geschichte mit dem kleinen Löwenjungen. Genau so habe ich mich oft gefühlt. Ist die Geschichte schon zu Ende oder geht sie noch weiter?“, will Janis nun wissen.

„Oh, die Geschichte ist noch lange nicht zu Ende, sie hat noch viele Kapitel. Aber für heute habe ich dir erst einmal genug davon erzählt. Ein anderes Mal kann ich dir vorlesen, wie es mit dem kleinen Löwenjungen weitergeht“, schlägt Frau Wallner vor.

„Steht die Geschichte in einem Buch?“, erkundigt Janis sich aufgeregt.

„Ja, wenn du möchtest, kann ich es dir morgen zeigen und dir daraus vorlesen. Aber jetzt musst du wirklich schlafen.“ Janis hört, dass Frau Wallners Stimme nun ziemlich entschieden klingt.

„Bestimmt kann ich sie heute Abend nicht mehr dazu bringen, mir doch noch länger etwas zu erzählen oder vorzulesen. Schade, ich wüsste so gern, ob für Leo irgendwann alles gut wird“, denkt Janis.

Ganz tief seufzt er einmal auf. Irgendwie fühlt es sich für ihn so an, als wäre der kleine Löwenjunge nun sein Freund.

„Er ist mir so ähnlich. Auch ich bin oft traurig und wütend. Dann würde ich am liebsten etwas kaputt machen, genau wie Leo. Aber ich lasse es lieber. Meine Eltern würde das sowieso nicht interessieren, und Oma Wallner wäre bestimmt ziemlich enttäuscht von mir. Kann sein, dass sie danach gar nichts mehr mit mir zu tun haben möchte. Dann hätte ich schon wieder keinen Menschen mehr, der sich um mich kümmert.

Besser ist, ich stelle mir vor, dass Leo immer bei mir ist und wir uns sogar unterhalten können. Einen Löwen als Freund zu haben, wäre echt super. Schade, dass es ihn nur in meinen Gedanken gibt und ich niemandem davon erzählen kann. Aber es ist viel besser, als ihn gar nicht zu haben“, entscheidet Janis ganz tief in sich. Nach außen bleibt er stumm.

„Siehst du“, sagt Frau Wallner, „du bist total müde. Ich glaube, du bist schon fast eingeschlafen.“

„Bin ich gar nicht“, entgegnet Janis. Um das ganz deutlich zu machen, schwingt er seine Beine aus dem Bett und setzt sich aufrecht auf die Bettkante.

„Bitte, Oma Wallner, wenn du mir nicht weitererzählen willst, dann erlaub mir wenigstens, ein Bild von Leo zu malen. Du kannst auch ruhig schon wieder ins Wohnzimmer gehen. Das Bild soll eine Überraschung für dich werden. Ich zeige es dir dann morgen“, bittet Janis.

„Na gut“, erklärt Frau Wallner, „aber bleib wirklich nicht mehr so lange auf. Morgen früh in der Schule sollst du gut aufpassen können.“

„Du bist die netteste Oma der Welt“, lacht Janis und umarmt Frau Wallner so fest, als wollte er sie gar nicht mehr loslassen.

Kaum ist er allein im Zimmer, geht er zum Schreibtisch und legt Stifte und Block bereit. Schon bei den ersten Strichen merkt er, wie sich nun doch rasch Müdigkeit in ihm ausbreitet. Einen Baum schafft er gerade noch zu zeichnen, dann fühlt sich sein Arm schrecklich schwer an. Seine Finger rutschen vom Stift ab, sein Kopf sackt nach unten auf den Schreibtisch.

„Bevor ich hier noch einschlafe, gehe ich lieber ins Bett“, entscheidet Janis schlaftrunken.

Erschöpft schlurft er zu seinem Schlafplatz, kuschelt sich unter die warme Decke und schläft sogleich ein.