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Beschreibung

Vorableseproben zu allen Titeln des WUNDERRAUM Verlags, die im Herbst 2017 (ab 28.08.2017) erscheinen.

Wollen Sie einen Roman über Frauen jenseits der fünfzig lesen, die noch einmal etwas Neues wagen und nach Fidschi auswandern? Haben Sie Lust, gemeinsam mit Wladimir Kaminer über das Wesen der Frauen zu rätseln? Glauben Sie daran, dass die Liebe am Ende jedes Hindernis überwinden kann? Suchen Sie Denkanstöße und ungewöhnliche Geschichten? Fiebern Sie gern mit Außenseitern mit, die trotz aller Widerstände ihren Weg gehen? Oder ist es einfach mal wieder Zeit für eine Auszeit und also für ein gutes Buch? Willkommen im Wunderraum!

Das kostenlose Leseproben-E-Book enthält Leseproben zu

- Anne Østbys »Zartbitter ist das Glück«

- Colleen Oakleys »Die kuriosen Symptome der Liebe«

- Wladimir Kaminers »Einige Dinge, die ich über meine Frau weiß«

- Emma Donoghues »Das Wunder«

- Frances Maynards »Wie Ellie Carr zu leben lernt«

- Jeanette Wintersons »Wunderweiße Tage. Zwölf winterliche Geschichten«

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Willkommen im WUNDERRAUMUnsere neuen Bücher ab August 2017

Mit Leseproben von

Anne Østby

Colleen Oakley

Emma Donoghue

Wladimir Kaminer

Frances Maynard

und

Jeanette Winterson

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Wunderraum-Bücher erscheinen im

Wilhelm Goldmann Verlag, München,

einem Unternehmen der Random House GmbH.

Copyright © 2017 by Wilhelm Goldmann Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Covergestaltung: buxdesign | München

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN: 978-3-641-22290-1V003

Einzelnachweise zu den abgedruckten Textauszügen finden Sie am Ende des Buches.

www.wunderraum-verlag.de

Anne Østby: Zartbitter ist das Glück

Wladimir Kaminer: Einige Dinge, die ich über meine Frau weiß

Colleen Oakley: Die kuriosen Symptome der Liebe

Emma Donoghue: Das Wunder

Frances Maynard: Wie Ellie Carr zu leben lernt

Jeanette Winterson: Wunderweiße Tage

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

was passiert, wenn sich eine Gruppe von Buchliebhabern zusammenfindet und über ihre Leidenschaft spricht? Sie reden über Geschichten, die sie seit der Kindheit begleiten. Sie reden über den Duft von Papier, über schöne Ausstattungen und besondere Inhalte. Sie empfehlen einander Romane, bei denen es nicht interessiert, ob sie eine aufwendige Werbekampagne hatten oder Bestseller in Amerika waren, sondern nur, ob sie uns etwas zu erzählen hatten. Denn »das einzig Wichtige an einem Buch, ist die Bedeutung, die es für seinen Leser hat« (W. Somerset Maugham).

Die hier beschriebenen Bücherfreunde sind wir: Meike Behrmann (Lektorat), Katja Hein (Marketing), Madeleine Rosswag (Marketing), Andrea Fraas (Vertrieb), Stefan Hansen (Herstellung), Susanne Grünbeck (Presseabteilung), Claudia Hanssen (Presseabteilung) und ich, Andrea Best. Wir haben uns gefragt, warum Menschen lesen. Warum wir selbst lesen. Mit WUNDERRAUM wollen wir darauf eine Antwort geben. Wir suchen Bücher, mit denen man die Zeit anhalten kann, statt sie zu vertreiben. Und es geht uns um Themen, die im Leben wichtig sind: Familie und Freundschaft. Liebe und Vertrauen. Humor und Herz. Wir machen Romane für Leser, die sich in Büchern verlieren, um sich im Leben wiederzufinden. Unser Angebot ist mit zehn bis zwölf Romanen im Jahr eher klein, und einiges wird man bei uns auch gar nicht finden: Wir bieten weder Thriller noch Erotik, Fantasy, Science-Fiction oder Sachbücher an. Denn nur wenn wir uns auf ein kleines Spektrum besonderer Bücher konzentrieren, können wir diese so sorgfältig auswählen und liebevoll ausstatten, wie wir es uns erträumen.

Nicht jedes Buch im WUNDERRAUM soll allen gefallen. Aber jedes will sich als Ort anbieten, an dem man sich eine Pause vom Alltag gönnen darf.

Lesen ist ankommen. Willkommen im WUNDERRAUM.

Andrea Best

Verlagsleiterin

Für alle, die einen Roman über mitten im Leben stehende Frauen lesen wollen, die noch einmal etwas Neues wagen.

Über das Buch

Vor kurzem hat Kat bei einem Bootsunfall ihren Mann Niklas verloren. Nach vielen Jahren des Reisens hatten die beiden Weltenbummler aus Norwegen eine Kakaoplantage auf den Fidschiinseln auserkoren, um dort Wurzeln zu schlagen. Nun steht Kat allein da, doch so schnell ist sie nicht bereit, den Traum vom Leben im Paradies aufzugeben. Voller Tatendrang schreibt sie an vier alte Schulfreundinnen und lädt sie ein, dem kalten Norwegen den Rücken zu kehren und mit ihr auf Fidschi einen Neuanfang zu wagen. Gemeinsam starten sie ein abenteuerliches Vorhaben: Sie wollen nicht nur Kakao anbauen, sondern auch Schokolade herstellen. Wird es den fünf Freundinnen jenseits der fünfzig gelingen, in der Südsee zu einem harmonischen Miteinander und einem glücklicheren Leben zu finden?

Anne Østby

Zartbitter ist das Glück

Roman

Aus dem Norwegischen übersetzt von Gabriele Haefs

Eine Einladung und eine Herausforderung

Korototoka, Fidschi, 25. Juli 2012

Meine liebe Freundin,

darf ich Dich weiterhin so nennen?

Die Briefmarken haben Dich sicher neugierig gemacht, und längst hast Du erraten, von wem dieser Brief kommt, nicht wahr? Briefmarken mit Leguanen und Papageifischen können nur von Kat stammen. Eine Stimme aus einer fernen Vergangenheit, Erinnerung an etwas, das uns einst verbunden hat. Glaubst Du, wir können es wiederfinden?

Danke für die Grüße und Umarmungen in einer Zeit, als ich sie ganz besonders brauchte. Ich weiß, es war unmöglich für Dich, alles stehen und liegen zu lassen und zur Beerdigung einmal um die Welt zu reisen. Vielleicht kannst Du Dir nur schwer vorstellen, wie jemand mit fidschianischen Harmonien in die Ewigkeit gesungen wird, während die Trauernden geflochtene Matten ausbreiten. Wie viele Strohmatten braucht wohl ein Toter?, hättest Du gefragt. Und ich hätte antworten müssen, wie Ateca mir erklärt hat: »So viele, wie sein müssen, um das Leben von Mister Niklas zu ehren.« Also habe ich die Matten auf der Veranda ausgelegt. Getrocknete Palmblätter in Karomustern, ein Anker für den Körper und eine feste Unterlage für die Gedanken, die hier in Korototoka oft mit den Fledermäusen in den flammenden Sonnenuntergang flattern.

Abends kommt die Sehnsucht hervorgekrochen, eine starke und schmerzliche Sehnsucht nach Niklas und dem, was war. Ein Marathon aus globalem Elend, wirst Du vielleicht sagen. Ein Langstreckenlauf mit einer Dürrekatastrophe oder Umwelttragödie an jeder Wasserstelle. Ja, das auch. Aber ich hätte es nicht anders gewollt. Malariaanfälle, Wassermangel, Nächte mit juckenden Flohstichen, das alles hat mich gelehrt zurechtzukommen. Sei es nun ohne Geld, ohne Klopapier und Shampoo oder ohne fette Rentenansprüche. Denn hier sitze ich, auf einem kleinen Flecken Erde im Stillen Ozean, ohne Mann, aber nicht ohne Hilfe.

Und nicht ohne Freunde, hoffe ich. Ich habe sechs Hektar Kakaobäume und ein geräumiges Haus. Trotz so mancher Alterszipperlein habe ich meine Zehen fest in den Sand von Fidschi gegraben und will hier bleiben bis zum letzten Sonnenuntergang. Warum kommst Du nicht auch? Komm her! Lass alles los, was nicht so geworden ist, wie es werden sollte! Bring alles mit, was werden kann, und bezieh ein Zimmer in Vale nei Kat! Kats Haus kann ein Ort sein, wo wir einander wiederfinden, und wenn nichts zu finden ist, erschaffen wir zusammen etwas Neues!

Ich war nicht die fleißigste Briefschreiberin und habe mich viel zu selten gemeldet aus Nepal, Afghanistan oder Mauritius. Aber Du hast mir gefehlt und die anderen auch. Ich habe Eure Briefe und E-Mails gelesen, habe Bilder von Kindern und Enkelkindern bewundert. Und jetzt möchte ich wissen, ob es möglich ist, die Fäden wieder zusammenzuführen nach einer Unterbrechung von über vierzig Jahren. Hast Du Lust, die letzte Etappe gemeinsam zu gehen? Uns gegenseitig zu helfen, wenn die eine stolpert oder die andere humpelt, steife Knie in salzwarme Wellen zu tauchen und die Zehen in den weißen Sand zu graben?

Es geht mir nicht um unbezahlte Hilfe, die Plantage ist in guten Händen. Korototoka ist ein Kakaodorf, und um Ernte, Vergärung und Trocknen der Bohnen kümmert sich mein Aufseher Mosese. Aber vielleicht können wir zusammen etwas Neues wagen? Schokolade herstellen oder eine köstlich nach Kakao duftende Bodylotion, was hältst Du davon?

Dir ist sicher klar, warum dieser Brief nicht als E-Mail kommt. Ein Brief braucht manchmal lange Tage und Wochen für die Reise von einer Welt zur anderen, und unterwegs finden die Wörter das richtige Gewicht und die richtige Bedeutung. So, wie sie Dir heute in die Hände fallen, sind sie auf dem Papier gereift und weicher geworden, bereit Dich herzulocken. Hast Du schon den Geschmack von Papaya und Kokosnüssen auf der Zunge? Hörst Du das Lied der Palmen am Strand? Siehst Du die geschwungene Linie dort draußen, wo der Stille Ozean dem Himmel begegnet? Aber natürlich, wenn der Eisschaber verlockender wirkt oder das Frostschutzmittel oder die Stromrechnung, dann leg diesen Brief in eine Schublade, die nie wieder geöffnet wird. Ein Brief kann auf dem Weg über die Meere leicht verschwinden, der Postweg vom Stillen Ozean zu Dir ist unberechenbarer als ein tropischer Zyklon oder ein fidschianischer Ministerposten… Dann hast Du diesen Brief nie erhalten, und es werden keine Fragen gestellt.

Ich schicke ihn nun also ab, lasse meine Finger eine zusätzliche Wünscherunde über die Briefmarken streichen und hoffe, dass der Wind Dich zu mir zurückschickt. Vielleicht kann Vale nei Kat ein Haus für uns alle werden, ein Frauenhaus, wo wir gemeinsam träumen, wünschen, trinken, lachen, zanken und weinen können. Bis der Wind uns über die Wellen hebt und es unsere Matten sind, die am Ende die Treppe hinaufgetragen und oben ausgebreitet werden.

Lolomas

Kat

1

Sina

»Ich hab kein Geld!«

Sie haben einander seit Jahrzehnten nicht gesehen, und das Erste, was Sina mit Kat teilt, ist ihre traurige Finanzlage – ach herrjemine! Sie beißt sich fest auf die Lippe, kämpft gegen das Zittern in den Mundwinkeln. Öffnet die Arme für die große, lächelnde Frau mit der Sonnenbrille in den kurzgeschorenen Haaren.

»Ich … ach, Kat! Es ist so schön, dich zu sehen! Und was siehst du gut aus!«

Das Ukulele-Trio, das die in Shorts gekleideten Reisenden in der Ankunftshalle des Flughafens von Nadi empfängt, legt eine schmachtende Willkommensmelodie hin. Einer der Sänger, mit bunt gemustertem Hemd und einer Blume hinter dem Ohr, zwinkert Sina zu, und die rückt sofort dichter an Kat heran.

»Bula!«

Sinas Befremden erstickt in Kats Willkommensumarmung. »Bula vinaka! Jetzt bist du hier, das ist das Wichtigste. Eins nach dem anderen, das findet sich schon alles. Lass dich ansehen!«

Kat schiebt Sina ein Stück von sich, schenkt ihr ein breites, strahlendes Lächeln, es ist genau wie früher. Zieht sie an sich und drückt sie noch einmal. »Dass du wirklich hier bist, ich kann es noch gar nicht glauben.«

»Ich auch nicht!«

Ihre Stimme ist halb erstickt. Nach der fast drei Tage langen Reise zittert Sina vor Müdigkeit. Sie zuckt zusammen, als das Ukulele-Trio abermals loslegt und ihr auf breiten Hüften ein oranges Blumenmuster entgegenwogt. »Bula, Madam, welcome to Fiji!« Ein Blumenkranz fällt auf ihre Schultern, hundert weiße Zähne leuchten in einem Lächeln auf. Sina hält sich krampfhaft an ihrem Rollkoffer fest und stolpert hinter Kat her, die bereits auf dem Weg hinaus in den dunklen, feuchten Oktoberabend ist. Zwei Stunden dauert die Fahrt nach Korototoka.

Die Dunkelheit ist dichter als zu Hause. Bald bleiben die Lichter des Flughafens hinter ihnen zurück, Sina kommt es vor wie in einem Tunnel ohne Wände, eng und zugleich schwindelerregend weit. »Sieh dir die Sterne an«, fordert Kat sie auf, und Sina schaut aus dem offenen Fenster. Der Nachthimmel ist eine Explosion aus leuchtenden Punkten, ein erstarrtes Feuerwerk. Ihr Kopf kippt in den Nacken, sie muss ihren Blick zurück ins Auto holen. Kat sieht sie an und lächelt: »Phantastisch, was?« Plötzlich tritt sie auf die Bremse. Sina wird nach vorn geschleudert und vom Sicherheitsgurt zurückgerissen, sie kann gerade noch ein mageres Pferd sehen, das an den Straßenrand springt. Kat schüttelt den Kopf und fährt weiter, jetzt etwas langsamer. »Es ist lebensgefährlich abends hier in den Dörfern. Die Tiere laufen frei herum, du weißt nie, ob nicht plötzlich eine Kuh mitten auf der Straße steht.«

Das Meer auf der einen Seite, Bäume auf der anderen, Sanddünen, ab und zu Felder mit Pflanzen, die sie nicht kennt. »Zuckerrohr«, sagt Kat und nickt. »Zucker und Mais sind hier die wichtigsten Nutzpflanzen.«

Ab und zu wird die Dunkelheit von Häusergruppen unterbrochen, hier und dort flackert eine Glühbirne. Sina erahnt die Umrisse der Häuser, sieht, dass einige von denen am Straßenrand nur Schuppen aus Wellblech sind. Werden sie wohl so wohnen? Sie ist die Erste, die ankommt, Ingrid und Lisbeth werden in den nächsten zwei Wochen auf Fidschi eintreffen. Und irgendwann auch noch Maya, es war die Rede von gesundheitlichen Problemen, über die sie zuerst mit ihrem Arzt sprechen musste. Sina verspürt eine plötzliche Unruhe: Es wird doch wohl genug Platz für sie alle sein? Sie hofft, dass sie nicht eng zusammengepfercht wohnen werden.

Aber Vale nei Kat ist kein Wellblechschuppen. Als sie in Korototoka ankommen, fahren sie durch eine schmale Straße mit Häusern auf beiden Seiten: »Das ist die Hauptstraße. Die führt bis hinunter zum Strand.« Am Ende der Straße biegt Kat nach rechts ab und fährt auf einen Hof: »Hier wären wir!« Sie hält vor einem niedrigen Haus mit einem Dach, das in der Mitte aufragt wie ein spitzer Hut. Eine breite, überdachte Veranda zieht sich die gesamte Vorderseite entlang. Das Dach der Veranda wird von drei mit dickem Tauwerk umwickelten Säulen getragen. Zwei kleine Nebengebäude stehen am Rand des Hofes, ein mit runden Steinen eingefasster Weg verschwindet hinter der Hausecke. Auf der Veranda sieht Sina Korbsessel und eine Hängematte, und am Fuße der Treppe brennen Fackeln.

Als sie aus dem Auto steigt, wird eine knarrende, mit Mückendraht beschlagene Tür geöffnet, und eine kleine, kräftige Gestalt mit einem Glorienschein aus Kraushaaren tritt ins Gegenlicht: »Bula vinaka, Madam. Willkommen!«

Kat hat sie darauf vorbereitet, dass die Haushälterin sicher auf sie warten wird, obwohl es schon spät ist. »Das ist Ateca«, sagt sie jetzt und schleppt Sinas Koffer die Treppe hoch. »Sie ist schon sehr gespannt auf dich.«

»Schön, dich kennenzulernen.« Sina streckt die Hand aus. Statt sie zu ergreifen, schlägt Ateca sich ihre eigene Hand vor den Mund, kann aber das Lachen nicht aufhalten, das durch ihre Finger quillt. Ihr ganzer Körper schüttelt sich dabei, während sie Kat eilig den Koffer abnimmt. »Ich bring den nur schnell für Madam ins Haus.« Sina weiß nicht, was sie mehr überrascht, das unerwartete Gelächter oder die Tatsache, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben »Madam« genannt worden ist. Doch da winkt Kat sie schon zum Verandageländer und zeigt in die Dunkelheit hinaus: »Du kannst es jetzt nicht sehen, aber du kannst es hören, nicht wahr?«

Sie kann es hören. Sina kehrt dem Meer das Gesicht zu und hört, wie Fidschi sie willkommen heißt. Ein Brausen von Sand auf Sand, ein Rhythmus aus Wasser und Mond und Verheißungen, die sie nicht deuten kann. Der Wind ist warm auf ihrer schweißnassen Haut, ein Hauch von etwas Süßem und Sattem, ein Tropfen Honig auf der Zunge.

Zwischen Haus und Strand zeichnet sich vor dem bleichen Mond ein Gürtel aus hohen, dünnen Bäumen ab. »Sind das die Kakaobäume, die du erwähnt hast?«, fragt Sina, aber Kat schüttelt den Kopf: »Nein, nein. Die Plantage liegt ein Stück weiter weg, auf der anderen Seite des Dorfes. Das da sind Kokospalmen, die wachsen überall hier.«

Sie legt Sina den Arm um die Schultern und zieht sie an sich. »Du wirst dich hier wohlfühlen, Sina«, sagt sie. »Alles wird gut.«

Sina nickt. Wiederholt es in Gedanken, wie ein Echo, das sie in die Wirklichkeit holen möchte. Alles wird gut.

Das ändert allerdings nichts daran, dass sie pleite ist. Abgebrannt. Total. Dass sie es wirklich fertiggebracht hat! Sie hat die Tür hinter sich zugezogen und hat das Haus und die feuchten Stellen am Schornstein und das Auto, das neue Winterreifen braucht, einfach zurückgelassen. Liegt hier in einem fremden Bett in einem unbekannten Land und hat kein Geld.

Das gilt auch für Armand. Sina wälzt sich von einer Seite auf die andere und seufzt. Aber wann ist Armand denn mal nicht pleite? Pleite könnte sein zweiter Vorname sein, denkt sie und sieht für einen Moment das Gesicht ihres Sohnes vor sich. Armand P. Guttormsen, so könnte es in seinem Pass stehen. Armands Pass ist voller Stempel. Argentinien, wo er die Weiterfahrt seines Öltankers verpasst hatte. »Dafür konnte ich wirklich nichts, Mama, die haben die falsche Auslaufzeit durchgegeben.« In Russland waren es Kasinos: »Das ist ein todsicheres Geschäft, die schwimmen da drüben in Geld, die wissen gar nicht, wohin damit!« Grundstücke in der Karibik: »Die haben mir die Grundstücke gezeigt, perfekte Aussicht, gleich am Strand. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass die Grundbriefe gefälscht waren?« Märchenhafte unentdeckte Ölvorkommen in Kanada, ein Luxusbadehotel an der Ostküste von Malaysia. »Und diese Chance ist mir einfach so in den Schoß gefallen, stell dir das vor! Wir brauchen nur noch ein paar Touristen mit fetten Brieftaschen, dann haben wir eine Goldgrube!«

Aber es kam nicht viel Gold dabei herum, und die Grube, das war doch ich, denkt Sina und zieht das dünne Laken fester um sich. Eine Grube, aus der alles herausgeholt, nein, gesaugt worden ist, was glänzte. Sie dreht sich auf die Seite, der Wind füllt die Dunkelheit dort draußen vor dem Gitterfenster mit fremden Geräuschen: dem Rascheln der trockenen Palmblätter, dem leisen Dröhnen des Ozeans. Dass sie wirklich hier ist! Sina Guttormsen, 66, Rentnerin, soeben eingezogen in ein Haus, nein, ein Bure, auf Fidschi. Fidschi! Sie hatte nicht einmal gewusst, wo das liegt, hatte sich eine Karte des Stillen Ozeans gesucht und die Pünktchen im Norden von Neuseeland gesehen – wie Krümel, die von der Ostküste Australiens abgeschabt und achtlos zwischen Vanuatu und Tonga im Meer verstreut worden sind. Der Stille Ozean! Trocken und hart schlägt ihr das Herz in der Brust. Ihr Herz, und darüber das dumpfe, geduldige Rauschen dort draußen.

Die Küche im Rugdevei 19 C, drei Monate früher. Wieder ging ein schlechter Sommertag dem Ende entgegen, wieder ein Nachmittag, an dem der Kaffee über dem Warten schon langsam kalt geworden war. Sie hatte es mit Fernsehen versucht, hatte es mit einer Zeitschrift versucht, hatte es mit dem Glück versucht – die üblichen vier Richtigen im Internet-Lotto und kein neues Gesicht bei »Finde den Traumpartner über 60«. Sechs Zigarettenstummel im Aschenbecher und die Stille in der Küche wie Staub im Mund. Die Wanduhr mit dem roten Plastikrand biss die Zeit mit kurzem Bellen ab: Was-jetzt? Wagst-du’s? Wa-rum-nicht? Kats Brief lag vor ihr auf dem Tisch.

Sina, sicher hast Du besorgt und mit einem Stein im Magen den Brief aufgerissen: Was ist jetzt schon wieder los? Wer auf der anderen Seite des Erdballs will etwas von mir?

Es ist nichts Gefährliches. Niemand will Dich belügen oder ausrauben. Es ist ein Angebot. Ich biete warmen Wind und sanfte Abende, einen Korbsessel auf einer Veranda mit Blick auf den Stillen Ozean. Willst Du? Wagst Du’s?

Sie war vom Stuhl aufgesprungen, als das Telefon klingelte. Der Festanschluss auf dem Gang, lange, heulende Töne, ein Vorzeitwesen aus grauem Kunststoff. Es musste jemand sein, der noch immer ihre Festnetznummer in seinen Kontakten stehen hatte.

»Hallo?«

Ein kurzes Zögern, sie wollte gerade noch einmal fragen, ein wenig ungeduldiger diesmal. Nur ungeduldig, nicht ängstlich – Armand ruft nie auf der Festnetznummer an, will er doch immer sichergehen, sie im unpassendsten Moment zu überrumpeln.

...Ende der Leseprobe