Winkel der Geborgenheit - Marisa Frank - E-Book

Winkel der Geborgenheit E-Book

Marisa Frank

3,0

Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. »Mutti, was ist?« Erstaunt blieb Marita von Hauenstein stehen. Das soeben noch lachende Gesicht der Elfjährigen wurde jetzt ernst. »Hast du wieder Streit mit Großmama gehabt?« Jutta von Hauenstein erhob sich. Sie trat an das große Fenster und strich sich über die Augen. Sie hatte nie gewollt, daß ihre Kinder etwas von diesen Auseinandersetzungen mitbekamen. Ihre Gestalt straffte sich. So ging es nicht weiter. Sie hatte nicht die Absicht, sich länger von ihren Schwiegereltern demütigen zu lassen. Vor allem wollte sie ihre Kinder selber erziehen. Oft hatte sie das Gefühl, daß auf Schloß Hauenstein die Zeit stehengeblieben war. Die Ansichten, die ihre Schwiegermutter vertrat, stammten noch aus dem vorigen Jahrhundert. »Mutti!« Marita kam näher. »Nimm es nicht so tragisch.« Jutta von Hauenstein wandte sich zu ihrer Tochter, und sie brachte ein Lächeln zustande. »Wo ist Silvia?« »Die spielt im Park mit Hasso.« »Wenn das eure Großmama sieht, dann gibt es wieder Ärger.«

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Seitenzahl: 146

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Sophienlust Bestseller – 15 –Winkel der Geborgenheit

Wir haben wieder eine Heimat

Marisa Frank

»Mutti, was ist?« Erstaunt blieb Marita von Hauenstein stehen. Das soeben noch lachende Gesicht der Elfjährigen wurde jetzt ernst. »Hast du wieder Streit mit Großmama gehabt?«

Jutta von Hauenstein erhob sich. Sie trat an das große Fenster und strich sich über die Augen. Sie hatte nie gewollt, daß ihre Kinder etwas von diesen Auseinandersetzungen mitbekamen. Ihre Gestalt straffte sich. So ging es nicht weiter. Sie hatte nicht die Absicht, sich länger von ihren Schwiegereltern demütigen zu lassen. Vor allem wollte sie ihre Kinder selber erziehen. Oft hatte sie das Gefühl, daß auf Schloß Hauenstein die Zeit stehengeblieben war. Die Ansichten, die ihre Schwiegermutter vertrat, stammten noch aus dem vorigen Jahrhundert.

»Mutti!« Marita kam näher. »Nimm es nicht so tragisch.«

Jutta von Hauenstein wandte sich zu ihrer Tochter, und sie brachte ein Lächeln zustande. »Wo ist Silvia?«

»Die spielt im Park mit Hasso.«

»Wenn das eure Großmama sieht, dann gibt es wieder Ärger.« Jutta seufzte.

»Ein Hund ist kein Spielzeug«, dozierte Marita mit erhobenem Zeigefinger. Sie versuchte, ihre Großmama nachzuahmen. Damit wollte sie ihre Mutter zum Lachen bringen, doch diese schüttelte nur ganz unwillig den Kopf.

»Sieh lieber nach der Kleinen, bevor sie etwas anstellt.«

»Silvia stellt nichts an, Mutti. Sie wird doch wohl noch im Park sein dürfen.«

»Du weißt, daß Großmama das nicht wünscht. Silvia soll sich dort nicht ohne Aufsicht bewegen.« Jutta lächelte ihrer Tochter bittend zu. »Sei so lieb und hole sie.«

»Ihr passiert sicher nichts«, meinte Marita. »Wenn es nach Großmama ginge, dürften wir uns den ganzen Tag nicht rühren.« Sie stöhnte. Bevor ihre Mutter noch etwas sagen konnte, hob sie die Hände. »O.K., Mom, ich gehe ja schon.«

»Marita«, mahnte Jutta. »Mußt du immer solche amerikanischen Ausdrücke verwenden?«

»Aber Mom, das sagen doch alle aus unserer Klasse.«

Marita nickte. »Ich weiß – du brauchst nichts mehr zu sagen. Für die erlauchten Ohren meiner Großmama ist so etwas nicht geeignet.«

Marita wirbelte herum, und schon war sie aus dem Zimmer gesprungen. Jutta seufzte erneut. Noch waren ihre Kinder keine affektierten Puppen. Sie lachten, wenn es ihnen danach zumute war, und tobten unternehmungslustig durch den Park. So sollte es auch bleiben. Sie trat ans Fenster und sah hinunter. Ihr Zimmer lag auf der Südseite. Sie blickte auf einen gepflegten Rasen, in dessen Mitte ein Springbrunnen seine Fontäne gegen den Himmel sprühte. Rundherum gab es Blumenbeete, Ziersträucher und viele exotische Pflanzen. Zur Pflege dieser Anlagen war auf Schloß Hauenstein ein Gärtner angestellt – ein älterer Mann. Für ihn zählte nur die Ordnung. Ein Fußabdruck in einem der Beete war für ihn eine Katastrophe. Kaum verging ein Tag, an dem er sich nicht über die Kinder beschwerte.

Von ihrem Fenster aus konnte Jutta auch die ersten Bäume des großen Parks sehen. Schloß Hauenstein war einst für sie ein Märchenschloß gewesen. Es war ein wunderbarer Besitz. Zusammen mit ihrem Mann hatte sie alles Schöne entdeckt. Damals hatte es ihr nichts ausgemacht, daß Graf und Gräfin von Hauenstein mit der Wahl ihres Sohnes nicht einverstanden waren. Siegfried hatte zu ihr gehalten, das allein hatte gezählt. Nun war Siegfried bereits ein Jahr tot.

Jutta lehnte die Stirn an das Glas der Scheibe. Jetzt hatte sie niemanden mehr, der sie verteidigte. Sie war völlig der Gnade oder Ungnade ihrer Schwiegereltern ausgesetzt. Schloß Hauenstein war für sie zu einem Gefängnis geworden. Und nicht nur für sie – auch ihre Kinder litten. Plötzlich war alles verboten.

Poltern und Geschrei holten Jutta in die Gegenwart zurück. Erschrocken lief sie zur Tür, hinaus in den Gang. »Nicht so laut«, rief sie ihren Kindern entgegen, aber diese waren nicht zu bremsen.

»Ich will nicht mehr hierbleiben«, zeterte Silvia. »Ich mag Großmama nicht mehr. Sie ist eine ganz böse Frau. Noch böser als die Hexe in Hänsel und Gretel.«

»Silvia, das darfst du nicht sagen«, tadelte Jutta.

»Das habe ich ihr auch schon gesagt«, beteuerte Marita.

»Ich will weg von hier, ganz schnell, Mami.« Dicke Tränen rollten der

Fünfjährigen über die Wangen. »Hier ist es überhaupt nicht mehr schön.«

»Nicht doch.« Jutta hob ihre Jüngste hoch. Sie hörte Schritte. Das konnte nur ihre Schwiegermutter sein. Da sie keine Lust auf eine weitere Auseinandersetzung hatte, trug sie Silvia rasch in ihr Zimmer. Marita folgte. Sie machte die Tür zu und erklärte: »Großmama lassen wir nicht herein.«

Ehe Jutta etwas sagen konnte, wurde herrisch gegen die Tür geklopft. »Jutta, ich weiß, daß deine Kinder bei dir sind«, hörte die junge Frau ihre Schwiegermutter sagen. »Sie haben sich wieder unmöglich benommen. Ich werde dafür sorgen, daß sie eine gerechte Strafe erhalten.«

In Jutta begann es zu kochen. Sie konnte sich einfach nicht länger beherrschen. Sie riß die Tür auf und fragte: »Wie stellst du dir eine gerechte Strafe vor?«

Gräfin Dorothea musterte ihre Schwiegertochter kühl. »Das ist mal wieder typisch für dich. Es interessiert dich nicht einmal, was vorgefallen ist. Aber damit soll jetzt endgültig Schluß sein. Wir werden ein Kindermädchen engagieren. Dir die Erziehung der Kinder länger zu überlassen, wäre unverantwortlich.«

»Wir haben nichts getan«, sagte Marita trotzig. »Großmama kann man nichts recht machen.«

»Großmama soll weggehen«, jammerte Silvia auf dem Arm der Mutter. »Ich mag Großmama nicht mehr. Sie hat gesagt, ich darf den Hasso nicht mehr anfassen. Der Hasso ist ein so lieber Hund.« Schluchzend verbarg die Kleine ihr Köpfchen an der Schulter der Mutter.

»Es ist unerhört«, regte sich Dorothea von Hauenstein auf. »Du hetzt die Kinder gegen mich auf.«

»Mutter, bitte«, versuchte Jutta es im guten. »Ich weiß nicht einmal, was vorgefallen ist.«

»Das ist es ja. Das Verhalten deiner Kinder interessiert dich nicht.«

Jutta schoß das Blut ins Gesicht. Das konnte sie sich nicht gefallen lassen. »Du weißt genau, daß das nicht stimmt. Die Kinder sind das einzige, was ich noch habe.«

»Das berechtigt dich noch lange nicht dazu, sie bei allem gewähren zu lassen. Ich sagte dir ja schon, daß sich in Zukunft eine Erzieherin um sie kümmern wird.«

»Nein, Mutter!« Silvias Köpfchen liebevoll streichelnd, hielt Jutta dem Blick ihrer Schwiegermutter stand.

»Darf ich dich daran erinnern, daß du dich auf Schloß Hauenstein befindest. Du wirst dich wohl oder übel unseren Wünschen fügen müssen.«

»Das werde ich nicht.«

»Ich bitte dich, denke an das Personal.« Gräfin Dorothea zog ihre Augenbrauen in die Höhe. »Wie sollen die Kinder lernen, was sich gehört, wenn du offensichtlich keine Erziehung genossen hast.«

Das war zuviel. Jutta schlug ihrer Schwiegermutter die Tür vor der Nase zu.

»Bravo!« rief Marita. »Viel früher hättest du das tun müssen. Was erlaubt sich diese alte Ziege eigentlich!«

Jutta erschrak. »Marita, so etwas will ich nie wieder von dir hören«, sagte sie streng. »Wenn du so etwas sagst, dann ist das ein Zeichen, daß du schlecht erzogen bist.«

Marita senkte den Kopf. »Mom, sie hat dich doch beleidigt.«

Silvia, die sich bisher fest an die Mutter geklammert hatte, strampelte mit den Beinen. »Ich will nicht hierbleiben«, schluchzte sie. »Großmama hat gesagt, wenn ich noch einmal allein in den Park gehe, dann sperrt sie mich in den Turm. Auch Hasso darf ich nicht mehr anfassen. Ich will aber nicht in den Turm gesperrt werden.«

»Ich will auch nicht mehr hierbleiben. Mom, warum müssen wir eigentlich hier leben? Laß uns doch fortgehen, bitte.« Marita legte ihre Hände gegeneinander.

Jutta strich ihrer Tochter über den Kopf. Sie selbst hatte schon öfters diesen Gedanken gehegt. Sie war geblieben, weil Schloß Hauenstein die Heimat ihres Mannes war. Ihre Kinder trugen seinen Namen.

*

»Mom, sind wir schon bald da?« fragte Marita vom Rücksitz aus. Sie hatte sich aufgerichtet.

»Schläft Silvia noch?« stellte Jutta von Hauenstein die Gegenfrage.

»Ich glaube schon – jedenfalls rührt sie sich noch nicht«, erwiderte Marita leise.

»Das ist gut«, sagte Jutta. Sie war deprimiert, aber sie durfte diesem Gefühl nicht nachgeben. Sie mußte an ihre Kinder denken.

»Mom«, meldete sich nach einiger Zeit Marita. »Ich habe Hunger.«

Jutta unterdrückte einen Seufzer. »Ein wenig mußt du dich noch gedulden.«

»Mom, wo werden wir wohnen?«

Jutta atmete tief durch. »Wir werden uns vorerst eine Pension suchen.«

»Da schlafen wir dann alle drei im gleichen Zimmer«, freute sich Marita.

»Das werden wir wohl müssen«, meinte die Mutter.

»Mom, du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte Marita. »Ich bin doch schon groß. Ich kann gut für Silvia sorgen. Wichtig ist, daß wir von der Großmama weg sind. Jetzt kann sie uns nichts mehr tun.«

Jutta antwortete nicht. Der Wegweiser sagte ihr, daß es nicht mehr weit bis Stuttgart war. Dort sollten die Kinder etwas zu essen bekommen, und vor allem mußte sie für den Anfang eine nette Pension finden. Und dann… dann mußte sie sich eine Arbeit suchen. Seit ihrer Heirat hatte sie über kein eigenes Bankkonto verfügt. Zum Glück hatten vorige Woche die Schulferien begonnen. Bis die Schule für Marita wieder anfing, hatte sie Zeit, für sich und die Kinder ein kleines Heim zu schaffen. Eines wußte sie sicher: Nie wieder wollte sie nach Hauenstein zurück. Wenn sie an ihre letzte Auseinandersetzung mit den Schwiegereltern dachte, begann sie zu zittern.

»Mom, Silvia erwacht«, flüsterte Marita. Gleich darauf hörte Jutta ein herzhaftes Gähnen.

»Wirst du wohl die Hand vor den Mund halten«, schimpfte Marita. »Wenn das die Großmama sieht, dann gibt es wieder Krach.«

»Großmama!« Silvia war plötzlich hellwach. »Großmama ist doch nicht da«, triumphierte sie. »Großmama kann mir gar nichts mehr verbieten.«

»Aber gerade jetzt müssen wir brav sein«, sagte Marita. »Wir wollen Großmama doch beweisen, daß wir gut erzogen sind.«

»Ich bin immer brav«, erklärte die Kleine schmollend.

»Nicht immer«, widersprach Marita. »Wir wollen es Mutti jedenfalls so leicht wie möglich machen. Mit uns soll sie keine Sorgen haben.«

»Ich mache alles, wenn ich nicht nochmals in den Turm gesperrt werde«, versicherte Silvia.

»Das wirst du nicht mehr. Deswegen sind wir ja von Hauenstein weg. Nicht wahr, Mom?«

»Nicht nur deswegen.« Jutta warf einen kurzen Blick in den Rückspiegel. Sie sah ihre Kinder, die dicht nebeneinander auf dem Rücksitz saßen. Hatte sie richtig gehandelt? Nachdem sie die beiden aus dem Turm befreit hatte, hatte sie ihre Sachen gepackt. Ohne ihren Schwiegereltern noch einmal gegenüberzutreten, war sie abgefahren.

»Zum Glück hat Großmama Mom nicht auch in den Turm sperren können«, meinte Marita. »Sonst würden wir dort alle ewig sitzen, bei Wasser und Brot.«

»Das ist Unsinn, Marita, und das weißt du auch«, wies Jutta ihre Tochter zurecht. Sie durfte nicht zulassen, daß ihre Kinder schlecht über die Schwiegereltern sprachen. In ihrer zehnjährigen Ehe hatte sie gelernt, was es hieß, eine Gräfin von Hauenstein zu sein. »Großmama hätte euch sicher nach einiger Zeit selbst wieder herausgeholt oder Martin beauftragt, es zu tun. Sie wollte euch nur strafen. Im Grunde meint sie es auch nur gut«, fügte Jutta gegen ihre Überzeugung hinzu. »Sie will euch zu tüchtigen Menschen erziehen.«

»Aber doch nicht so«, empörte Marita sich. »Seit Papa tot ist, hat sie für uns kein liebes Wort mehr gehabt. Immer hat sie etwas zum Schimpfen gefunden. Ich will nie wieder nach Hauenstein zurück.«

»Ich auch nicht«, echote Silvia. »Jetzt kann Großmama ihren ganzen großen Park für sich allein haben.«

»Wir brauchen Großmama nicht. Ohne sie werden wir es richtig schön haben. Wir werden mit Mom zusammen in einem Zimmer wohnen. Es wird auch keine Frau kommen und uns Erziehung beibringen. Mom wird uns ganz allein erziehen.«

Jutta hörte ihrer Tochter zu, und ihre Lippen preßten sich zusammen. Sie hatte, ohne lange zu überlegen, Hauenstein verlassen. Nun mußte sie sehen, wie sie ohne Hilfe der Schwiegereltern zurechtkam. Bevor sie Graf von Hauenstein geheiratet hatte, hatte sie in einem Reisebüro gearbeitet. Eine feste Arbeitszeit konnte sie im Moment aber nicht annehmen. Die Kinder durften auf keinen Fall vernachlässigt werden. Sie hatte aber auch einst die Dolmetscherprüfung abgelegt und Übersetzungsarbeiten geschrieben. Das wollte sie wieder versuchen. Sie konnte es tun, wenn die Kinder im Bett oder sonst irgendwie beschäftigt waren.

*

»Was machen wir heute?« Unternehmungslustig schwang Marita ihre Beine über den Bettrand. »Gehen wir wieder in die Wilhelma?«

»Nein!« Jutta von Hauenstein stieg aus dem Bett. Unwillkürlich sah sie sich in dem Zimmer um. Es fehlte jeglicher Komfort. Zum Glück schien das den Kindern nichts auszumachen.

»Guten Morgen, Mutti«, meldete sich auch Silvia.

»Guten Morgen, ihr beiden«, sagte Jutta eine Spur zu munter. Sie fühlte sich elend. Seit vierzehn Tagen studierte sie den Anzeigenteil in der Zeitung. Bisher hatte sie vergebens versucht, Arbeit zu finden. Sie hatte nicht gedacht, daß das so schwierig sei. Sie war bereits bei einigen Verlagen gewesen, aber alle hatten ihre festen Mitarbeiter.

»Ich wasche mich als erste«, rief Marita.

Während die Kinder mit dem Waschen beschäftigt waren, hob Jutta den Koffer vom Schrank. Er enthielt ihre Schmuckschatulle. Sie öffnete das Kästchen. Ein Stück nach dem anderen nahm sie in die Hand. Es waren sehr schöne und geschmackvolle Kostbarkeiten. Sie hing an jeder, denn mit allen waren Erinnerungen verbunden.

»Was tust du, Mom?« Marita kam im Unterhemd und Höschen näher. »Willst du heute abend ausgehen? Auf Silvia passe ich auf.«

»Das ist lieb von dir, aber es ist nicht nötig.« Bis auf ein Armband legte Jutta alle Schmuckstücke in die Schatulle zurück.

»Willst du das heute tragen?« fragte Marita. »Dann mußt du aber auch eines deiner schönen Kleider anziehen. Darf ich für dich aussuchen?«

Schon lief sie zum Kleiderschrank.

»Moment, Marita, ich habe nicht die Absicht, etwas anderes anzuziehen als gestern.« Jutta sah auf das Schmuckstück. Siegfried hatte es ihr von einer Reise mitgebracht. Sie war damals hochschwanger gewesen und hatte ihn daher nicht begleiten können.

»Willst du das Armband nicht anlegen?« fragte Marita enttäuscht.

»Nein.« Jutta sah ihre Tochter an. Es hatte keinen Sinn, sie zu belügen. »Ich werde dieses Armband verkaufen.«

»Oh!« Maritas Augen weiteten sich erschrocken.

Schnell legte Jutta ihrer Tochter den Arm um die Schultern. »Schau, ich habe noch keine Arbeit gefunden. Wir müssen aber von irgend etwas leben. Sollen wir etwa nach Schloß Hauenstein zurückkehren?«

»Nein, nie.« Maritas Hände ballten sich zu Fäusten. »Wir werden Großmama auch nie um Hilfe bitten. Wenn ich groß bin, dann werde ich fest arbeiten. Eigentlich könnte ich das auch jetzt schon tun. Ich werde einmal unsere Wirtin fragen, ob ich nicht helfen kann. Gestern hat sie doch geklagt, daß ihr Mädchen krank ist.« Marita, die sehr temperamentvoll war, stürmte zur Tür.

»Halt!« Jutta bekam sie gerade noch zu fassen. »Willst du etwa in der Unterwäsche aus dem Zimmer laufen?«

»Entschuldige, Mom. Wie dumm von mir.« Flink begann Marita sich anzuziehen, dabei überlegte sie laut: »Ich könnte die Treppe putzen. Die ist schon sehr schmutzig. Was glaubst du, was mir Frau Rieder dafür geben wird?«

»Das kannst du nicht«, widersprach Silvia, »das können doch nur Angestellte. Du bist doch die Tochter von einem Grafen.«

»Das weiß hier niemand«, wies Marita ihre kleine Schwester zurecht. »Ich will auch nie eine Gräfin werden. Denk nur an Großmama, sie sitzt die ganze Zeit im Salon und liest irgendwelche Bücher.«

»Mutti ist auch eine Gräfin, und sie tut das nicht«, sagte Silvia. Sie lief auf ihre Mutter zu. »Ich habe dich lieb.«

»Ich dich auch, mein Kleines.« Jutta hob ihre Jüngste hoch. »Jetzt wird es Zeit, daß wir uns fertigmachen. Ich helfe dir beim Anziehen.«

»Ja, bitte. Ich will doch auch arbeiten gehen.«

Jutta schüttelte den Kopf. »Nun ist aber Schluß damit.« Sie schwenkte ihre Tochter durch die Luft. Sie wollte damit ihre Betroffenheit überspielen. »Seit wann arbeiten Kinder?«

»Aber du als Gräfin kannst auch nicht arbeiten«, gab Marita zu bedenken.

»Natürlich kann ich, nur werde ich nicht putzen.«

»Und wenn du keine Arbeit bekommst?« fragte Marita.

»Dann können wir uns nichts mehr zu essen kaufen und müssen verhungern«, meinte Silvia, aber sie lachte dabei. Sie war noch zu klein, um ihre jetzige Lage zu begreifen. Sie war froh, daß sie ihre Mutter nun den ganzen Tag ungestört um sich hatte. Anders Marita.

»Das müssen wir sicher nicht«, sagte sie sehr ernsthaft. »Mom hat noch viel Schmuck. Für den bekommen wir gewiß eine Menge Geld. Es ist nur schade darum. Aber wenn ich einmal groß bin und selbst Geld verdiene, dann kaufe ich Mom einfach einen neuen.«

»Ich auch«, meinte Silvia.

Marita machte eine abwehrende Bewegung. »Bis dahin ist es noch lange. Jetzt muß uns etwas einfallen.« Sie legte ihre Stirn in Falten. »Mom, hat Papa hier denn keine Bekannten gehabt?«

»Doch, aber zu denen will ich nicht.« Jutta verstand, worauf ihre Tochter hinaus wollte. »Auf Hauenstein sollen sie nicht erfahren, wo wir sind. Daher habe ich euch auch gebeten, eure Großeltern nicht zu erwähnen. Ich habe aber einen anderen Plan. Setzen wir uns.« Sie hob Silvia hoch und behielt das Kind auf ihren Knien, als sie sich auf das Bett niederließ. Sie wartete, bis Marita sich neben sie gekuschelt hatte, dann begann sie: »Wir werden nach Frankfurt fahren. Dort habe ich einmal in einem Reisebüro gearbeitet.«

»Du meinst, bevor du Papa geheiratet hast?« warf Marita ein.

»Richtig. Ich kannte den Besitzer gut. Vielleicht hat er eine Arbeit für mich.«

»Prima Idee. Wann fahren wir?«

»Ich habe gedacht: heute. Zuerst gehen wir frühstücken, dann suchen wir ein Juweliergeschäft auf, und dann… dann könnten wir eigentlich fahren. Warum sollten wir länger hierbleiben?«

»Du hast recht, Mom. Dann brauche ich Frau Rieder auch nicht beim Putzen zu helfen.« Marita sprang auf. »Ich habe Hunger.«

»Ich auch«, rief Silvia und rutschte von den Knien der Mutter. Beide Kinder eilten zur Tür.

»Moment!« rief Jutta ihnen nach. Folgsam blieben sie stehen. »Hört einmal zu«, begann Jutta. »Es bleibt dabei, was ich gesagt habe. Ihr erzählt niemandem, daß wir bis vor kurzem auf Schloß Hauenstein gewohnt haben.«

»Du meinst, wir sollten nicht sagen, daß du die Gräfin Hauenstein bist?« Marita sah ihre Mutter an.