Winkler, Werber - Enno Stahl - E-Book

Winkler, Werber E-Book

Enno Stahl

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Beschreibung

Jo Winkler ist Werbetexter und kein sehr netter Mensch. Er ist zynisch, frauenverachtend und überheblich. Dabei ignoriert er seine körperliche und moralische Verfassung, denn sie passt so gar nicht in das Selbstbild des Senior Texters der Kölner Werbeagentur Goldreklamen. Das gelingt ihm bis zum diesjährigen, mehrtägigen Betriebsausflug auch ganz gut, bei dem sein Chef alles auffahren lässt, was seiner Meinung nach am Rhein dazugehört: Dampferfahrt, Kegeln in Bad Neuenahr und ein abschließender Kasinobesuch. Doch nicht nur Winkler muss sich hier der Wahrheit stellen ... "Winkler, Werber" zeichnet die innerliche Verfassung derer nach, die für die ökonomische Katastrophe verantwortlich sind und nun selbst von ihr verschlungen werden. In den inneren Monologen Winklers geht Enno Stahl auf die Suche nach den seelischen Abgründen ihrer Verursacher und zeichnet so ein Psychogramm der Krise. Das Tempo des Romans passt sich dabei stets dem Erregungsgrad Winklers an. Enno Stahl bedient sich eines "Pulsationsstils", der den Monolog Winklers beschleunigt und verlangsamt, so lange, bis sich das Verdrängte nicht mehr leugnen lässt. Doch bei aller Dramatik ist der Roman von einem gnomischen, zum Teil auch bissigen Humor geprägt.

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ENNO STAHL

WINKLER, WERBER

Für Kiki

Für Siri

Prolog

… gerade ich hab das schon immer gemacht. Und besser als die meisten, schließlich ist die Werbung … also die Werbung ist die zweite Realität. Oder sogar die erste. Und wer hätte das besser kapiert als ich, daher bin ich eben, bin ich … Werner, der sagt das andauernd:Was ich an dir schätze, ist dein Selbstbewusstsein,ganz genau, stimmt auffallend, oh Mann, schon wieder. Die Alarmglocke, Telefon, haben wir kein Sekretariat, den Klingelton könnte man auch mal ändern, mindestens hundert Mal heute, krieg bald ’n wundes Ohr hier, also wer will was? Die Milch, hätte ich mir denken können, wie bitte? Wer? Radio leiser: »Ach, Frau Segebrecht, schönen guten Tag. Wenngleich, wir hatten ja schon ⁠…⁠« Einmal mehr Frau Segebrecht, ihres ZeichensPR-Frau, Frau Segebrecht mit den Nikoläusen. Nikoläuse aus weißer Schokolade.

»Ich möchte noch einmal betonen, wie sehr uns an einem nicht zu flippigen Corporate Design gelegen ist.« Ja, das sagten Sie bereits. Nikoläuse eben. Ihre Vorstellungen haben auch einen Bart.

»Ist angekommen, wird berücksichtigt, ich schwöre, Sie werden zufrieden sein, davon bin ich überzeugt.« Zufrieden, zufrieden, wie soll das gehen? Siebzehn Mal heute. Ach was heute. Jeden Tag rufen die siebzehn Mal an, jeden Tag, der Chef, der Abteilungsleiter, der Werbetyp, der Grafiker, aber Frau Segebrecht ist die schlimmste, so viel ist sicher. Als kleines Mädchen hat sie schön gebetet: »Lieber Gott, lass mich heute wieder alles richtig machen.« Immer wieder neue Bedenken, die man ihr ausreden muss. Nikoläuse, Kuhschwänze, apropos Schwänze, davon weiß sie natürlich nichts.

»Jo! Jo-o-o-?! Kannst du mal übernehmen?« Aggi von drüben, ich hab noch nicht mal aufgelegt, ey: »Frau Segebrecht, entschuldigen Sie, ich habe da ein Gespräch auf der anderen Leitung, noch einen wunderschönen Tag.« Und jetzt? Ah, die Fotofritzen … »Wir wollen den Termin bestätigen, die Models sind gecastet, alles Weitere dazu Mitte nächster Woche.« Okay, Models, nächste Woche, abgespeichert, blabla und tschüs, aber wieso rufen die überhaupt mich an, nicht Sven. Sven ist unser Art Buyer, ach nee, der ist ja im Urlaub, dann eben Aggi, Visuals sind ihre Baustelle, wollte sie nicht …? Als hätte ich nicht genug zu tun, aber was soll’s, gebt das alles mir, gebt alles dem Jo, der macht das schon, gar kein Problem, sieben Sachen gleichzeitig, dreizehn Sachen gleichzeitig, normal, ganz normaler Tag, der normale Wahnsinn. Kennen wir, können wir mit umgehen, da würde uns womöglich was fehlen, wenn wir nicht rund um die Uhr rotieren würden, Telefon, Besprechungen, interne Vorträge, Josh will was, Vanessa, und Aggi kann nicht weiterarbeiten, bevor ich nicht die Entwürfe mit ihr durchgehe, wie auch, komm schon her, reden wir halt gleich drüber, nur nichts anbrennen lassen, nur keine Stagnation, keinen Stau aufkommen lassen. Immer im Flow, fließen muss das in schönem Tempo, mit Stress hat das nichts zu tun. Ist mir egal, ob mein Blutdruck auf 170 ist, was soll der Geiz, das muss halt, das braucht man, das kann man einsetzen, und ich mag das ja auch. Wirklich. Eben in der Küche. Diese komischen Werkstudenten, Hospitanten oder wer waren die? Noch nie hier gesehen, eigenartig genug, Werner könnte einem die Leute ruhig mal vorstellen, Hinz und Kunz taucht hier auf und macht sich breit, und du hast gar keine Ahnung, wer das ist. Vielleicht kennt Werner die selber nicht, Kumpels von anderen Hospitanten,kommt mal vorbei, guckt euch mal an, wie es in der Arbeitswelt läuft.Für Studenten sicher eine gute Erfahrung, da sehen sie mal die Wirklichkeit, auf der Uni, ich meine … Und dann stehen die in unserer Küche und klagen über Stress.Das ist immer so ein Stress hier. Kann man gar nicht aushalten auf Dauer.Die Ärmsten. Muss man denen mal erklären, wie’s läuft: Hektik ist kein Problem, sage ich, die Zeiten sind nun mal schnell. Aber ja. Und sie werden immer schneller. Die Leute im Mittelalter konnten vielleicht 700 Reize erfassen, jetzt sind es 300.000. Mindestens. Also, wenn man jetzt alles zusammenrechnet. Und die? Solche Augen.Da haben wir noch nie drüber nachgedacht. Reize? Was’n für Reize.Nachhilfe, alles Nachhilfe, was wir hier machen.

Damals war die Zeit egal, sag ich, heute ist sie alles. Zeit, Zeit, Zeit, für alles ist keine Zeit. Damit muss man sich abfinden und ganz langsam sein Ding machen, im Auge des Hurricanes herrscht große Stille, wer Stress blöd findet, sage ich, kann gleich einpacken. Durch den Stress merkt ihr, dass ihr lebt. Da gucken sie aber. Und zucken mit den Schultern. Weise Worte eines alten Sacks. Denken sie. Sollen sie mal denken. Mir egal, ist ihr eigenes verdammtes Problem, was aus ihnen wird, niemand wartet mehr auf die Absolventinnen und Absolventen irgendwelcher Hochschulen. Akademiker sind wie Mikroben im Heuaufguss. Kann ich euch jetzt auch nicht helfen, sage ich. Müsst ihr selber sehen, wie ihr klarkommt. Diese Reserven, diese Zügel muss man abwerfen, wenn man was erreichen will. Wozu ist die allgemeine Beschleunigung denn sonst gut gewesen? Wollt ihr wieder in die Höhle? Geht wohl nicht, denn die Mammuts sind ausgestorben. Pamm, die Tür: »Jo, was ist mit der Milch?« Anklopfen hätte er schon können. Immerhin denke ich hier gerade. Na gut, Werner ist der Chef, der darf das.

»Scheiße.« Allerdings. Die Milch ist gerade das Problem. Wenn die mich mal in Ruhe ließen, aber immer diese Anrufe, da kann es gar nicht klappen, das Problem ist sowieso immer nur der Auftraggeber, wenn die einen einmal, nur ein einziges Mal ließen, wie … dann wäre ich schon viel weiter. Was sage ich, fertig. Aber jetzt. Schlecht. Ist der Wurm drin, irgendwie festgefahren. Dabei ein guter Anfang heute, he, lass den Stift liegen, das ist ein Andenken. Die Fluglinie – erledigt, auch die Bank, Sack zu, Konzept gefressen, zumindest das Storyboard rübergemailt, was auch erst mal reicht, ist das nichts, das ist doch was, eben nur zu der fucking Milch … da fällt mir nichts ein, echt. Nada. Niente.

»Sechzig Zeichen, Werner, um dem Kunden zu erklären, dass Bio-Milch besonders wertvoll ist und deshalb doppelt so viel kostet. Ich meine, denk mal, Milch! Für uns alle ist Milch der Inbegriff von Natur, gesund und wundervoll, Muttermilch, Kindermilch, die ist so was von Bio!« Na, nu’ lach mal?! Nee? Gar nicht: »Wir müssen da mal zum Finish kommen, Jo!« Guter Witz. Ich will auch zum Finish kommen, saublöder Auftrag, der. Aber wenn er mir nichts als eine Praktikantin an die Hand gibt, wie soll das gehen. Wie soll ich das machen? Allein und mit nichts. Raoul dauerkrank, was heißt krank, Entzug, wer weiß, ob der jemals wiederkommt. Sehr langmütig von Werner, Alkohol, Tabletten, keine Ahnung, was der sich alles eingepfiffen hat, kann passieren bei unserem Job, das ist der Druck. Da möchte ich im Meeting mal drüber sprechen, ob das in Ordnung ist, dass ich so völlig ohne Support hantieren muss.

»Ich grübele, Werner, ich grübele. Und ir-gend-wann wird das Grübeln ein Ende haben, versprochen!« Besteht gar kein Grund zur Aufregung, die Deadline ist erst Ende nächster Woche. Nächste Woche, das ist wie nächstes Jahr, nächstes Jahrhundert, so weit weg. Irgendwie ist er übernervös, gar nicht seine Art. Die Ruhe selbst, manchmal fast zuviel. Bis zur Lethargie. Kommt mir dann immer vor wie ’ne bescheuerte Echse im Terrarium, hockt auf der Stelle, wechselt vielleicht mal die Farbe, aber rührt sich ums Verrecken nicht. Und jetzt? Blanke Aufregung. Da lasse ich mich jetzt nicht anstecken. Ach, der Jeans-Katalog: »Lässt du mir einen da?« Er knallt das Ding auf den Tisch, als wollte er ’ne Fliege totschlagen. Danke schön, Werner. Habe ich dir irgendwas getan? Nee. Keineswegs. Da ist er schon wieder durch die Tür. Besser so. Kann seine Scheißlaune bei sich behalten. Habe ich gar keine Zeit für, ich nämlicharbeitehier! Wie immer am Stück und ohne Unterlass, das Musterbeispiel eines Kreativen. Andere würden jetzt vielleicht sagen: Nee, geht mir am Arsch vorbei, ich lass das erst mal,streich durch die Stadt, um auf andere Gedanken zu kommen, mach’nen Abstecher in den Zoo oder was weiß ich. Oder gleich: Der Job ist absolut beknackt, den kann jemand anders machen. Und wenn du ’n Problem damit hast, geh ich eben zur Konkurrenz.

Könnte ich. Aber nee, Jo ist korrekt, Jo ist immer loyal, der bleibtauf seinem Hintern sitzen, brütet weiter, feilt weiter. Am Knaller-Claim. Auch wenn nichts danach aussieht, dass der plötzlich vom Himmel fiele. Aber wann ist das schon mal so. Inspiration gleich Transpiration, geschenkt bekommt man nichts, was anderes erzählt nur der Märchenonkel. Und der hat ’nen Bart, genauso ’nen Bart wie der Nikolaus, wer Bart trägt, dem glaubt man nicht, wer weiß, was der in seinem Sack, ich würde das natürlich selber gerne abschließen, bevor wir fahren. Was denkt der denn? Arbeit liegen zu lassen, nervt einfach, da kann man dann nicht mehr aufhören, dran zu denken. Weiß ich jetzt schon, Bio-Milch, die ganzen nächsten Tage, Bio-Milch, wie ein Bandwurm, ein Sprung in der Platte, das arbeitet weiter und weiter und ist dann tatsächlich Stress. Liegst du im Bett und denkst: Milch, Milch, Milch. Das kann man sich gar nicht wünschen, besser man legt es ad acta, gleichgültig, wie lange man daran rumfuhrwerken muss. Bis spät in die Nacht, na und?! Ist der Job gemacht, alles easy, lange pennen, unrasiert im Schlafanzug rumrennen wie der Gauloises-Mann. Gerade ich. Ich bin geradezu ein Prototyp von Abhänger, wenn alles erledigt ist, Weltmeister im Abhängen! Da kann mich die Firma mal, kann mich Werner mal, gegessen ist gegessen, der Rest ist privat. Jawohl. Privates gibt es wieder. Milch, Milch, Gesundheitsflash, die Bio-Lawine, Bio-Explosion, Überproduktion, ha, das reimt sich, noch mal das Fact Book, die Markenbeschreibung lese ich jetzt zum dreihundertsten Mal durch, ob da nicht irgendwas … Allein das ist schon derart langweilig,guter Haltungskomfort, ausgewogene und leistungsgerechte Fütterung,wer füttertmichdenn ausgewogen? Das muss knallen, irgendwie, laut und deutlich, andererseits hatten wir dieses Jahr bereits genug Lawinen undExplosionen, vielleicht mal wieder einen Gang zurücklegen, was ganz Kleines, Feines, Edles. So was wie.

Wahnsinn, draußen dämmert’s bereits … Eben doch schon Herbst, obwohl das Wetter so fantastisch ist. Erste Neonreklamen springen an, klimper, klimper, das bräuchte ich jetzt auch, so eine Initialzündung. Monstermäßiger Schwall von Jugendlichen da unten in der Ehrenstraße, blaue Stunde, Kaffeezeit, morgen stechen wir in See, ich hab nicht die geringste Idee. Die ganzen Modeläden, einer wie der andere, Jeans, Streetwear, Sneaker, bei den Mieten hier, was war das noch, eine Million im Jahr? Die müssen Umsätze machen und alles mit den Kids. Die können es sich offensichtlich leisten, nur wie? Irgendwer muss ihnen Geld schenken, die Eltern. Oder der Staat. Deine Pflichten als Konsument, ja, früh übt sich. Der erste Betriebsausflug seit Ewigkeiten. Wegen mir müsste es nicht sein. Dann wäre es jetzt leichter, was du heut nicht kannst besorgen, verschiebe halt auf morgen. Wir kleben schon genug aufeinander, was für ein Hin und Her, was machen wir, was machen wir? Kanufahren auf der Lahn, Paintballspielen in Brabant, Reitausflüge in der Eifel? Alles Quark. Hat Werner vom Tisch gefegt,diese ganze Eventkacke,er muss es schließlich auch bezahlen. Ein Glück, ich hatte mich schon absaufen sehen in knietiefem Wasser und danach dann Typhus oder so was, nein danke. Krieg spielen wäre zwar nicht schlecht, um die innerbetriebliche Aggressivität abzureagieren, aber ob das so sicher ist? Nachher kriegst du so ’n Farbball zwischen die Hörner und erblindest, langwierige Prozesse bleiben erfolglos, geistig und moralisch ruiniert als Ergebnis eines Betriebsausflugs. Auf ein Pferd bekommt mich ohnehin niemand, dieses eine Mal nur, da wurde ich so was von überfahren: der Guide, der überall Geld verteilte an Polizisten und sonst wen, jeden, der da irgendwo rumstand, Ramadan halt, ein Zehntel der Monatseinkünfte verschenken, klärte er uns auf, müssten wir mal machen, so schlecht kann der Islam nicht sein, oder war eben doch nur ordinäre Bestechung. In Gizeh, die Pyramiden zu Pferd, und ich auf diesem Foto, das Corinna damals schoss, voll verzweifelt, alles andere als lässig.

Werners Idee war aber auch nicht viel besser: Naturprogramm Ost! Mecklenburgische Seenplatte, ausgerechnet! Vanessa gleich:Bloß nich in’ Osten! Da sind nur Nazis!Na, eben. Hat sie ja Recht. Und wie lange du da unterwegs bist. Erst nach Berlin mit’m Zug, oder? Und dann mit der Bimmelbahn über Land, wahrscheinlich, muss ja, was anderes haben die da drüben gar nicht, zerschlagen und gerädert kommst du anderthalb Tage später an. Und womöglich geteert und gefedert wieder zurück.Hey, wir wollen keine Fremden hier. Westlerfreie Zone.Wenn’s nach mir gegangen wäre, hätten wir nach Paris fahren können. Paris ist nah, das ist ’ne coole Stadt, Paris hätte ich schon gut gefunden, aber Werner, dieser Knauser, er gleich wieder:Spinnst du? Weißt du, was das kostet?Dieser Knauser. Und auch wenn wir selber was zugeschossen hätten, das wäre wenigstens ein vernünftiges Ziel gewesen. Hätte man sich mal absentieren können, hätte ich Carla mal wieder getroffen, wie lange ist das her? Zu lange, bald brauche ich es gar nicht mehr zu versuchen. He, gehst du wohl da rüber? Ja, paff, passt, wenigstens die Patience geht auf, Patience, das passt zum Tag.

Aber als dann Josh damit ankam, das war wirklich original Josh, dem fällt nie was Normales ein. Jedenfalls nichts, an das ich denken würde. Also normal für Leute in meinem Alter, in Werners und meinem Alter, Josh meint, komisch, dass gerade der mit so was, weil der hat mit Volks- und Brauchtum nichts am Hut, gerade Josh nicht, da meint der doch:Kegeln. Kegeln in Bad Neuenahr.Da gebe es diese geile Kegelbahn. Dass er das Wort überhaupt kennt, »Kegelbahn«. Wahrscheinlich gibt es da ein Spiel im Netz, wo sich so kranke Junkies, wie Josh selber einer ist, die ganze Nacht durch Riesen-Kegel-Fights liefern und jede soziale Bindung dabei verlieren, voll aufschwemmen oder im Gegenteil magersüchtig werden, weil sie immer nur spielen, spielen, spielen - obwohl Kegeln? Selbst digital riecht das irgendwiemuffig.

Und das Kasino, da gehen wir ins Kasino!Na ja, eben. Kasino ist immerhin mal eine Maßnahme, das finde ich auch. Trotzdem. Schon eine Art achtes Weltwunder: Ausnahmsweise mal alle einer Meinung, passiert sonst nie, immer Streit und Diskussion, besonders bei so ’nem Kram, hier auf einmal Harmonie und Eintracht,gar nicht so übel, der Plan. Kegeln, na ja, aber Kasino, das ist okay.Alle gucken sich an, das Kernteam, die Springer und freien Kräfte, klar, einige haben was zu nörgeln, aber die Mehrheit ist nicht abgeneigt, und wir sind ja schon eine Demokratie, so was Ähnliches jedenfalls,ulkig, abgefahren, hat so ’n Retro-Charme, wieso überhaupt immer diese Fernziele, das Gute liegt nahe, gleich um die Ecke, man denkt nur nie daran, unterstützt das regionale Tourismusgeschäft, und Wein, denk nur, der gute Wein von der Ahr,und außer Josh ist niemand je dort gewesen. Bad Neuenahr, das ist doch nur ein Name, ein Name für etwas, das keiner kennt. Vielleicht ist das gerade der Fehler, fahren wir also dahin, was soll’s, schon in Ordnung, lange Reisen sind momentan eh nichts, bei dem ganzen Stress, und dass Werner mit seinem Naturfimmel unbedingt davor mit einem Dampfer den Rhein runterschippern will, na ja. Sollst du haben, Werner …

Betriebsausflug. Wann war der letzte? Und was? Keine Ahnung. Zwischenzeitlich war’s fast wieder vom Tisch. Gar nicht mehr dran gedacht. Ja, damals im Mai, damals im Maiiiii, da war es schon einmal ganz konkret geworden, Jahreszeit wäre auch besser gewesen, wenngleich das Wetter soll ja. Himmelfahrt war das doch, langes Wochenende, hatte Werner nicht bereits das Hotel gebucht? Meine ja, aber dann der dicke Deal mit Continental, einen Monat lang nichts als Reifen und Gummi, wie ein Tunnel, dann tauchst du auf und stehst bereits vor dem nächsten Job, immer dasselbe, ein Auftrag jagt den nächsten, Gold Reklamen, Name ist Programm. Man kann sich nicht erlauben, kurzerhand mal für zwei Tage die Pforten zu schließen, wenn man gerade einen Lauf hat, dafür sind wir viel zu klein. Was die Besetzung angeht, natürlich nur.

Aber da musste Werner mal ein Machtwort sprechen,Keiner soll mir nachsagen, dass ich meinen Angestellten den Betriebsausflug nicht gönne! Anfang Oktober fahren wir, sonst fahren wir nie! Donnerstag bleibt der Laden dicht und Freitag ist Tag der Einheit, das passt, mit dem Wochenende macht das drei ganze Tage, und Sonntag dann zurück.Genau, 2003 war der letzte. Da kann man sagen, dass Betriebsausflüge eher die Ausnahme sind, denn die Regel. Es ist auch immer … einerseits kann’s ganz nett sein, andererseits … Gedrängt hat ihn niemand, besonders heiß ist man halt nicht darauf. Er braucht das wahrscheinlich, um’s abzuschreiben. Und kann sich bei uns Liebkind machen, ohne dass es groß was kostet. Zigarette? Ja, Zigarette, ein Unding, dass wir im Büro nicht mehr rauchen dürfen. Ab auf den Flur mit dir, Aussätziger! … Dass Werner, also wirklich, sich so einem Scheiß anzuschließen …

Zack, was soll das denn jetzt? Will hier keiner mehr anklopfen, oder was? Schnell das Spiel wegklicken, eigentlich ist es egal, ich darf das, natürlich darf ich, trotzdem: Meine Kreativpause gehört mir, muss nicht jeder wissen, Vanessa jedenfalls nicht: »He, Jo, noch ’nen Kaffee?« Rotblonder Lockenkopf, zwischen Tür und Angel, winkt, winkt mit der Kanne. Hast du auch Brötchen, Frau Antje, Käsebrötchen?

»Du willst meinen Tod! Ich hab bald zwei Liter weg!«

»Okay. Nur, dass du nachher nicht jammerst.«

Was soll’s: »Ach, komm. Gib her!«

»Männer. Halt- und prinzipienlos.« Gieß ein, Kind. Und schweig.

»Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.« Von wem ist das noch? Ist aber gut, dass sie jetzt da ist: »Hast du endlich was in Sachen Milch?« Nee, gar nicht. Selbstverständlich, wäre zu schön, um wahr zu sein. Kein Wunder, dass mir nichts einfällt, dieser Scheißjob, warum muss Werner ausgerechnet mich darauf ansetzen, mit nichts, kein Raoul, kein Sven, ich als einziger verbliebener Rest der Textabteilung, Chef ohne Mitarbeiter und nur Vanessa, weil Aggi wieder, Aggi hat wieder so viel um die Ohren mit ihrem persönlichen Kunden da aus Hamburg, muss alle absaugen, die sonst noch was helfen könnten. Der Hamburger Etat, der wird in Watte gepackt und ich krieg die lausigen Krümel, die vom Tisch fallen, die Krümel und Vanessa, die noch ganz grün ist.Das packst du schon, Jo, wer sonst, wenn nicht du.

»Ich brauche irgendeinen gottverdammten Satz! Identitäten, Role Models, auf denen wir aufbauen können. Wir hatten da doch diese Almbäuerin, Almbäuerin mit solchen Eutern, ist die jetzt Kuh oder Melkerin, Gesundheit, Mutterschaft, das ganze Programm. Ich muss was vor mir sehen!«

»Eigentlich wollte ich heute etwas früher gehen. Hab noch einen Termin.«

Ich glaub, ich werd nicht mehr: »Mädel. Es ist noch keine sechs Uhr und du denkst an Feierabend? Vielleicht solltest du bei der Stadtverwaltung anheuern?!«

Das sitzt, knallrot, als hätte ihr einer ’nen Bluteimer übern Kopfgegossen wie diese eine da in dem Film, dem Horrorfilm. Tja. Nun kapiert sie. Besser spät als gar nicht, das Wichtigste ist, dass manversteht. Versteht, wie der Hase läuft. Aber dabei kann ich ihr helfen, dafür sind wir ja da, vorbildliche Betreuung, würde ich mal sagen.

»Weißt du, was ich hier alles tue? Das hat mir vorher niemand von euch gesagt!« Deine Rechtfertigungen kannst du dir sparen: »Vanessa, weißt du, wie viele hier jeden Tag anrufen, weil sie deinen Job wollen?«

»Okay. Okay. Ich lass mir was einfallen.«

»Ja, los, was stehst du noch hier rum? Mach irgendwas, muss nicht perfekt sein. Perfektion ist Zeitlupe, Phantasie ist Lichtgeschwindigkeit, kapiert?!«

»Ja, Jo.«

»Phantasie, Lichtgeschwindigkeit! Denk drüber nach!«

»Jo … in Ordnung, ich hab’s gefressen!«

Tu mal nicht so gequält, du hast hier immerhin so etwas wie eine Chance. Sollte sie ein wenig anstacheln, manchmal braucht es einen kleinen Anreiz: »Du willst ja nicht ewig Praktikantin bleiben, oder? Gib mir irgendwas! Ein paar Stichworte, eine Headline, eine Slogan-Idee!« Unsinn, aber was soll’s? Bei uns wird sie nicht unterkommen und das müsste sie wissen, wenn sie realistisch wäre, deutlich genug klargemacht haben wir ihr das: Unbezahltes Praktikum, mehr ist nicht drin und wird auch nicht draus werden. Und sie hat genickt, jajaja, okay, ist in Ordnung,Hauptsache, ich kann in dieser Trendagentur arbeiten, was ich da alles lernen werde, diese praktischen Erfahrungen, die sind Gold wert,was ja passt, weil Gold Reklamen. Das sagen sie alle und denken natürlich, vielleicht klappt es dennoch, wenn ich mich nur anstrenge, Glück habe, irgendein Mitarbeiter sich ein Bein bricht, Schwangerschaftsvertretung, Hirnschlag und so weiter, Dinge, die niemals eintreten, nicht bei uns, sondern höchstens in der Stadtverwaltung. Sag ich ja. Umso sinnvoller dieser kleine Appell an die Möglichkeit, Mitarbeitermotivation nennt man das. Und Vanessa? Nun, sie zuckt mit den Schultern, besonders motiviert wirkt sie jetzt nicht, diese Generation ist durch nichts zu beeindrucken. In Ordnung, schmoll ruhig, aber schieb ab, danke. Milch, Calcium, gesunde Zähne, Bio, Bio, Bio, damit Sie auch morgen noch … Ihre Kinder werden ’s Ihnen danken, ach, immer diese Ethikschiene, bringt nichts, wo gibt es denn heute noch Moral, nicht mal den eigenen Kindern gegenüber, getrunken wird, was auf den Tisch kommt, schließlich kann Mami nicht durch tausend Geschäfte rennen, wenn schon Bio, dann kauft Mami das beiLIDL, ist eh billiger und dann kriegt man den ganzen anderen Kram gleich mit, was denn jetzt schon wieder, ach, Aggi: »Die Flieger-Kampagne gerät ins Trudeln. Die haben angerufen.«

»Wer, der Marketing-Chef?«

»Nein, jemand aus der Abteilung. Der Typ hat angedeutet, dass denen das zu viel Text ist. Was machen wir dann? Wenn die plötzlich Catch Visuals wollen, das brächte Extrakosten, und wir sind schon jetzt über dem Budget!«

Und das ist alles? Irgendwer muss ihr mal erklären, dass Aufregung sich nicht lohnt, bevor tatsächlich was passiert ist. Versuche ich das nicht schon die ganze Zeit? Aber selbstverständlich, ich red mir regelrecht den Mund fusselig, trotzdem kommt sie immer wieder mit dieser Tour: »Niemals schlafende Kunden wecken. Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, bevor die überhaupt zucken.« Ganz überflüssig, Zweifeln ist komplett überflüssig, Zweifeln ist ein Zeichen fehlender Sicherheit, und das ist hundertprozentig Aggis größtes Problem. Sie geht mir dermaßen was von auf den Sack manchmal, bei aller Liebe …

»Und wenn die uns nachher die Pistole auf die Brust setzen? Und wir ein völlig neues Konzept raushauen müssen? Bei den ganzen Sachen, die in der Warteschleife stehen … Ich fände es besser, über ein Rewrite für den Notfall nachzudenken.«

Wenn, wenn, wenn. Wenn ich das wieder höre, Rewrite, Bescheid, kein Schneid. Man kann nicht immer alles bis zum Ende durchkalkulieren. Mädchen, hier herrscht das rheinische Prinzip, predige ich das nicht seit Ewigkeiten? Bei uns herrscht Spontaneität, Improvisation, nicht der Plan. Aber klar, wie sollte das anders sein, das ist die Herkunft, das ist der Osten. Das hat sie ja so gelernt, Drei- und Fünfjahrespläne, Siebenkommasechs-Jahrespläne, was. Na, und rein genetisch natürlich, preußisch ist Aggi durch und durch. Die kann niemals Fünfe gerade sein lassen oder dergleichen, nicht mal Fünfjahrespläne. Ironie versteht sie gar nicht: Echt? Meinst du das ernst?

Aber das hat auch Vorteile, ehrlich ist sie und beharrlich, bleibt dran wie ein Bullterrier, wenn sie mal zugebissen hat. Und sonst, na ja, typische Ostfrau. Auf den ersten Blick erinnert sie an dieseTheatertanten, schwindsüchtige Lippenstift-Tussen in Schwarz. Alles Tarnung, neurotisch oder überkandidelt ist sie nun gerade nicht. Ganz im Gegenteil, eher beinhart. Und eigentlich ganz in Ordnung,wenn sie nicht mit dieser Planscheiße nervt. Die gute Aggi. Aber ja. Begreift halt nicht, wie das bei uns läuft. Mit der Fluglinie fange ich keinesfalls noch mal an, das ist mal klar: »Vergiss es, Aggi. Wir fahren morgen, vor Montag läuft nichts mehr.«

»Hoffentlich hast du Recht und wir müssen nicht wieder Nachtschichten kloppen.«

»Vielleicht fällt uns unterwegs was ein!« Also einverstanden, die Fluggesellschaft ruht erstmal, bis nach der Exkursion. Werner von nebenan schreit auf, wahrscheinlich hat einer der unfähigen Praktikanten was verbockt, das Telefon, »Ja, Aggi, wir sind dann klar, oder?« – ah, Gerd: »Hallo, Gerd! Wie sieht’s aus?«

»Unsere Badminton-Verabredung heute Abend, ich kann nicht. Tut mir echt leid.«

»Schade eigentlich. Und sonst, jobmäßig?«

»Ein paar freie Mitarbeiten, eine größere Auftragsgeschichte …⁠« Wie immer nur Vages, lieber nicht dran rühren. Frag nur, weil es mich wirklich interessiert …

»Wie wär’s mit einem Treffen übernächste Woche? Auf ein Kölsch?!«

»Ja. Warum nicht.«

»Aber nicht wieder kneifen!«

Angesichts des Terminhorrors passt mir das gut in den Kram, bisschen Abhängen ist auch mal ganz schön. Wenngleich der Ausgleichssport allmählich ins Hintertreffen gerät, kaum mehr als Ausgleich zu bezeichnen, muss ich gestehen. Rainer und Uwe haben halt immer viel um die Ohren, Inventur, offener Sonntag oder sonstwelche Promo-Maßnahmen … Da muss der Sport dran glauben, Sport ist Luxus, Überleben ist alles. Also nur mit Gerd, aber in den letzten Monaten, komisch, seit der im August arbeitslos geworden ist … Zeit müsste er jetzt genug haben. Nicht mal zum Medientreff im Brauhaus kommt er. Am Geld kann es auch nicht liegen. Hat super verdient, Redakteurssalär, dazu die Abfindung. Wie viel hatte er gesagt? Irgendwie massig, anderthalb Jahresgehälter oder so. Opfer der Krise im Journalismus. Der Kaffee ist lauwarm, sonst nichts da für die Tablette. Extra in die Küche für ’n Glas Wasser? Nee. Muss so gehen.

Der Nachmittag nimmt unbarmherzig seinen Lauf. Unbarmherzig, gnadenlos und grauenvoll, unvorstellbar brutal, bamm, was’n das jetzt wieder, hat da jemand ein ganzes Tablett … verdammt, wie soll man denn arbeiten bei diesem Lärm? Alles Hornochsen, können die gar nichts in der Hand halten, ohne dass … Dunkelgrau rieseln die Vorboten des Abends, grau zwischen den Häusern. Die selbst dagegen strahlen. Strahlen wie jeden Abend. Milch, Calcium, Almbäuerin, solche Möpse. Licht der Schriften, Logos und Auslagen. Calcium, Calcium, enthält Milch nicht auch Magnesium? Sport, Fitness, die körperbewusste Klientel, die da draußen durch die Fußgängerzone trabt. An die wollen alle ran, gleichgültig, wie spießig ihre Produkte sind. Jugend ist Zukunft, jugendliche Kunden gleich Zukunft am Markt, mein Klopapier hat einen Fünfundvierzig-Prozent-Anteil bei Jugendlichen unter achtzehn, haha.

Der Verkehr wird immer lauter, die Dämmung ist auch nicht mehr, was … oder ist das wegen der Rush Hour? Kann man regelrecht spüren, physisch, dieses dauernde Brummen und Vibrieren. Bei jedemLKWrappeln die Scheiben. Und dann natürlich unsere Nachbarn von unten, Skateboards und Equipment mit Dauerbeschallung: Bässe, den ganzen Tag Bässe, Lockmusik, das Buhlen um konsumgeile Teenies,he, du da, wie wär’s mit ’nem Glas Milch? Bio-Milch!Oh, wird mir schlecht. Schon bescheuert der ständige Krach, aber bei der Lage darf man nicht meckern, direkt in der Innenstadt, keine fünf Minuten von Bahnhof und Dom.

So. Egal. Schluss jetzt. Endkontrolle bei Vanessa, Welt hinter Glas, Terrarium, die hängt völlig verkrampft vor dem Bildschirm, so wird das sowieso nichts, der Teppichboden schluckt meine Schritte vollständig. Wenn ich sie jetzt anspreche, kriegt sie ’n Infarkt. In dem Alter? Trotzdem, leises Räuspern: »Und? Wie schaut’s?« Zuckt doch zusammen. Ist sooo konzentriert …

»Äh … geht so. Weiß nicht. Aber ich liefere dir was, heute noch, versprochen.«

»In Ordnung.« Telefon. Ist das in meinem Büro? Ja, aber nee, keine Lust. Heute nicht mehr. Bestimmt wieder Frau Segebrecht. Das verpacke ich nicht. Heute nicht mehr. Lasse ich mir eben Zeit für den Rückweg, bis das Klingeln aufhört. Beschäftigen wir uns stattdessen mit den eingerahmten Plakaten im Flur: tausendmal gesehen, aber immer wieder gerne. Meine paar Auszeichnungen, die ich für Gold Reklamenergattern konnte. Hat schließlich nicht jeder. Nee, keineswegs. Heute kommt keine mehr dazu. Kann ich gleich mal wieder eine rauchen ⁠––˙˙––⁠ Scheiß-Husten, echt, kann man hier nicht mal in Ruhe seine Zigarette rauchen ⁠––˙˙––⁠ ohne, ohne … Was sind das jetzt für Leute? Eine Reisegruppe, Kunden oder was? Werner zeigt ihnen die Teeküche: »Das ist unsere Teeküche!« Wie interessant. Keine Ahnung, wer das ist. Will ich gar nicht wissen, wer hier immer rumrennt, neulich, die hatten sich nur verlaufen, geht die Tür auf, kommen diese drei Typen rein und fragen mich, wo die Anwaltspraxis ist. Stehen vormeinemSchreibtisch. Wie sind die überhaupt bei uns reingekommen, irgendwer muss ihnen aufgemacht haben. ⁠––˙˙––⁠ Geht auch nicht so was. Nicht, dass die mich jetzt noch anlabern.Hier, das ist mein Stellvertreter, darf ich vorstellen …Lieber mal wieder ins Büro flüchten, Sicherheit.

Und hinsetzen. Der Schreibtisch. Die komplette Leere in meinem Hirn, weißes Rauschen und mein Puls rast. Bestimmt Bluthochdruck. Ich spüre das immer sofort, hätte den Kaffee besser gelassen. Halb sieben. Die große Elektrouhr vorm Fenster. Es hat keinen Zweck. Macht mir nichts aus, bis Mitternacht im Büro zu hocken. Mir nicht. An grammatischen Bezügen zu feilen, einzelnen Buchstaben gar, aber es muss Sinn machen. Wenn ich den Hauch einer Chance sehe, ihn hinzukriegen: den Satz, der alles toppt, direkt ins Herz der Ware. Aber wenn nichts hilft, hilft eben nichts. Die besten Sätze sind immer Tautologien.

Der Bleistift fällt. Fällt wie in Zeitlupe und landet mit einem dünnen Klack auf der grünen Schreibtischunterlage, super-spießiges Teil,Ey, wo sind denn deine Ärmelschoner, Jo?Und wenn schon,ein Erinnerungsstück, genau wie der Schreibtisch selbst. Damals ganz am Anfang, diese alte Schule, die Werner und ich geplündert haben. Halbe Ruine, aber noch voller Mobiliar. Wir hin, mitSchraubenzieher, Zange und Brecheisen, wer will schon Geld für Büromöbel ausgeben, wenn man sie umsonst haben kann. Wie lange ist das jetzt her? Fünfzehn Jahre. Das andere Zeug ist längst verschwunden. Von dem Tisch kann ich mich echt nicht trennen, er ist ein Symbol, jawohl. Ein Symbol für den Aufstieg, aus nichts ganz viel gemacht. Und überhaupt muss ich das vor niemandem rechtfertigen. Nicht die Spur. Erste Regel: Niemals rechtfertigen! Ein Gewohnheitstier bin ich deshalb noch lange nicht.

Also Feierabend und aus. Der Rechner hat lange genug Strom umsonst verbraucht. Werners Tür ist offen, aber nein, er bemerkt mich nicht. Na klar: Hängt über seinen Aktien wie jeden Abend, hallo, winkewinke … Immer noch nicht. Sind die Kurse wieder im Keller, Werner? Bestimmt, bei dem Gesicht, das er zieht. Besser gar nicht ansprechen. Aggi ist auch noch da: »Bis morgen, Frau Kollegin!«

»Hast du dir den Abend frei genommen, ja?« Immer diese Spitzen. Werde ich jetzt mal kalt lächelnd ignorieren, obwohl es mich absolut anätzt. Stattdessen ein Schmetterschlag, der Federball zischt durch die Luft, schnell wie ein Torpedo, patsch! Zielgenau gegen Aggis Stirn.Gotcha,siehst du, was du davon hast, ein schlechtes Gewissen lasse ich mir von dir nicht einreden! ⁠––˙˙––⁠

Fast dunkel, aber schon die Lichtschüsse, voll laser-like, brennen unheimlich in den Augen oder werden die empfindlicher? Die Augen, das Alter, die Einzelteile verschleißen eben – aber kann ja nicht, oder? Noch nicht, das sind schon auch diese Scheinwerfer, diese neuen, die. Stechend, mal dran gewöhnen, das Büro, diese schöne Kapsel, Raumkapsel, und natürlich der Monitor, wenn duda die ganze Zeit draufglotzt, jetzt, wumm, Supernova in der Einkaufszone, ausgefranste Coronen wie so Sonnen im All, pamm, ich taumele hier rum, alles sehr laut und jäh, aber das ist eben das Lebenzu Beginn des dritten Jahrtausends, und daher gerade gut. Bei unserer Arbeit kickt man sich völlig weg. Basteln, Konstruieren, da könntest du hocken und Moos ansetzen, der Realitätsschock ist dann kein Wunder. Zudem wieder mal die Mittagspause vergessen. Vergessen, verschwitzt, nichts gegessen, nicht pausiert.Das ist dermaßen ungesund.Ja, Margie, ich weiß, der Kreislauf, und so weiter. Mittags mal rausgehen, an die frische Luft, harhar, guter Witz, Abgashölle Kölner Bucht, Spaziergänge durch die smogverpestete Innenstadt? Was ist daran gesund? Blasenkrebs. Kriegste davon. Wenigstens die Beine vertreten, aber ja, und dann noch ein paar Kniebeugen …

Wogende Passanten, prasselnde Schritte, Abertausende, und diese Satzfetzen, Gesichter, dass die einem immer so nah kommen müssen. Hier ist genug Platz, oder? Schließlich sind wir nicht in Mumbai. Brrr. Der Herzschlag, ist der etwa unregelmäßig? Schwindelig auch, noch eine Tablette? Nee. Alles alle und bin eh schon über die Tagesdosis drüber. Dann einfach ganz ruhig sein, nur in einem verspannten Körper können diese ⁠–˙˙–˙––⁠ Der Menge anpassen, einer der ihren werden. Und atmen. Atmen. Ist alles kein Problem. Die Probleme macht man sich nur selber. Genau, nicht die Dinge sind beunruhigend, sondern nur unsere Gedanken daran.

Na also, wird ja besser. Immer mit der Ruhe. Schlendern, flanieren, bummeln. Wie alle anderen. Es wird besser. ⁠––˙˙––⁠ Angebote sondieren, das machen alle anderen auch. Das lenkt ab. Damit wir heute wissen, was wir morgen kaufen können. Wach muss man sein und offen, wir leben schließlich von der Konsumwelt. Trittbrettfahrer sind wir. Trends und Anti-Trends. Im Moment sind nur Dumping-Preise en vogue. Sparen, Krise, bei Kauf dieser Ware kriegen Sie … noch fünfzig Euro in bar dazu. Ja, so weit ist es gekommen, Geld dafür, dass man überhaupt kauft. Überall Riesenrabatte, Schnäppchen, Ausverkauf, 30 %, 50 %, 70 %, gigantische Farbklebelettern, die schreien und tanzen, machen absurde Performances, damit man sie ja nicht übersieht. Keine Sorge, ich kriege es mit,Winseln der Ware um Konsum,von wem war das noch mal, Totalräumung wegen Geschäftsaufgabe, die haben nicht einmal ein Jahr durchgehalten, ach, das war … noch weniger, höchstens ein halbes. Nebenan wechseln die Besitzer sowieso im Quartalstakt. Krise, Verfall und Pleite. Traurig für den Einzelnen, uns ist es gleichgültig. Geworben wird zum Glück immer. Gerade jetzt. Die harte Konkurrenz ist das beste Argument. Was soll denn das? Na, du bist vielleicht ’n blödes Arschloch! Haste keinen Blinker? Hupt hier rum wie so ’n Gestörter. Ja, ich komm dir gleich hinters Lenkrad, ja! Arschloch, blödes. ⁠––˙˙––⁠ Wo ist denn mein Spray? Da, gut. Obwohl. Paar Agenturen sind auf der Strecke geblieben. Na klar. Irgendwer blutet immer. Tlering,XX&XXLerst dieses Jahr. Wir haben selbstgehörig abgespeckt. Mitte der Neunziger waren wir noch fünfundzwanzig Festangestellte, das ging ja nicht, konnte keiner mehr bezahlen. Da hat Werner korrekt reagiert, radikal verschlankt. Tut mir leid, ich will auch nur hier durch?! Könnte ich vielleicht? Was für eine Fresse. Ich glaub, wir sind doch in Mumbai. Werner ganz bleich in mein Büro:Ich muss mit dir reden, und ich:Was gibt’s?und er:Wir müssen die Hälfte der Belegschaft entlassen, hilft alles nichts.Ging ihm zu Herzen das. Macht niemand gerne so was, aber was willst du tun? Bevor der ganze Laden den Bach runtergeht. Hat dann keiner mehr was von. Das ist die Abwägung. Zaudern bringt nichts. Wer da nicht reagiert, hat in der Wirtschaft nichts zu suchen. Werner hat das energisch durchgezogen, weg mit dem Full Service, den ganzen Produktionsbereich outgesourct. Was das an Kosten gespart hat, Millionen. Und die hätte man erst mal reinkriegen müssen, das ist das Problem. Die anderen haben in den Neunzigern munter weiter expandiert und hatten dann den Salat. Sind reihenweise gecrasht. Wir nicht. Wir doch nicht. Gold Reklamen ist halt ’ne Trafo-Station. Aber wirklich. Innovativ, geschmeidig, ständig unter Dampf. Das könnten wir uns wortwörtlich ins Portfolio schreiben. Werner mal vorschlagen.

Verdammt, einkaufen muss ich noch. Mist. Eben. Da war doch was. Gut, dass es mir jetzt einfällt. Und nicht erst zu Hause. Hier gerade ganz praktisch, steh ja direkt vor der Tür. Alsorein. ⁠––⁠˙˙–⁠–⁠ Karstadt, Lebensmittelabteilung. Was ist eigentlich mit denen zur Zeit? Sind die übernommen oder schließen die demnächst? Stickig ist das immer. Kaufhausluft. Geschwind jetzt, gleich Rolltreppe runter, ab ins Untergeschoss, na, was hatdiedenn an? Manchen Leuten ist rein gar nichts peinlich, Leggins, und das bei dem Arsch, Einkaufswagen abklinken, habe ich denn mal wieder keinen Euro? Ah, hier dieser Plastik-Chip von Margie, hatte ich ihr gar nicht wiedergegeben. Hinein ins Fress-Mekka, da kann man schon schwach werden. Greyerzer, französische Wildschweinsalami oder lieber Antipasti? Es ist schwerschwer, aber ich werde der Versuchung widerstehen, heute keinen Wein an der Bistrotheke, wie das eine Mal, als ich mit Johann hier versackt bin. Har, versackt in der Karstadt-Lebensmittelabteilung. Kannst du auch keinem erzählen. Sondern lieber anstellen beim Fischstand. War doch Fisch, was Margie sich gewünscht hatte?

Nur die alte Frau vor mir. Was veranstaltet die denn für ein Theater?! Ja, welchen willst du denn jetzt? Nein, wieder nicht? Zu teuer? Ja, Fisch ist nun mal, na ja, also, nimmst du dir ’n Hering, ist auch was Feines. Au Mann. Rentner kosten Zeit. Daran muss man wirklich arbeiten, dass man im Alter nicht so total belämmert im Weg rumsteht. Endlich. Kurz und knapp und ohne Vertun: »Hier, gib mir mal die zwei Rochenflügel!« Na, eben. Gut. Genau das Richtige. Eingepackt und weggesteckt. Was jetzt? Beilagen. Kartoffeln brauche ich … einen Salat. Wo war noch. Ach, dort hinten. Gemüse kauft man selten hier. Eher Fleisch, Wurst, Fisch, Käse. Ach ja, die Weinabteilung, noch ’ne Flasche Chablis schnappen …

Wie bitte? Geht’s denn? Wer bist du überhaupt? Eine »junge« Mutter, ist klar. Guck mal, die Augen. Voll der Stress. Hechelnd. Die hechelt mit den Augen, klasse. Und mit ihrem Baby-Jogger. Stehe ich dir im Weg? Das tut mir aber leid. Baby-Jogger.Für diedynamischen Eltern von heute, Sie können damit laufen, Sie können damit skaten, Sie brauchen wegen ihres Blags auf nichts mehr zu verzichten.Jetzt reicht’s aber wirklich! Musst mir deinen Panzerwagen nicht unbedingt hinten reinrammen.

»Bitte, gehen Sie doch vor! Nachdem Sie mir den Wagen schon zweimal in die Hacken gerannt haben!« Voll freundlich, eins a, da sagst du nichts. Und? Findest du jetzt Scheiße, was?! Denke ich mir.

»Tja!« Oh, tolle Geste, das mit dem Kinn. Wo hat sie sich denn das abgeguckt? Soll wohl heißen:Kann man nix machen!oderHalt’s Maul, Typ!Denn schließlich hat sie ein verbrieftes Recht auf Haxenrennen, sie ist Mutter! Und was für eine! Dieses dämliche Strickjäckchen mit aufgestickten Blümchen, voll Hippie, voll debil, zwei Zöpfe links und rechts, wieder so eine, die nicht in Ehren altern kann, sondern mit ihrem Töchterlein zurück in den Kindergarten will. Dabei geht sie stramm auf die Vierzig zu. Für solche Fünze mache ich Werbung.

Werbung wie: Bio-Milch, das Beste für Ihr Kind. Wie ätzend, es ist echt bitter, ich zerbreche mir hier den Kopf, schon den ganzen Tag. Wo geht sie hin? Auch in die Weinabteilung. Die Frau mit ihrem Kampf-Kinderwagen, ich hinterher, und dann kurzer Prozess, trete sie in die Flaschen, Dreckstück, da hast du’s. ⁠––˙˙––⁠ Da liegst du, jetzt kannst du wimmern und um Gnade flehen, aber zu spät,Pardon wird nicht gegeben!Na, ihr Kind lasse ich in Ruhe, das kann nichts dafür. ⁠––˙˙––⁠ Eine solche Mutter ist schon Strafe genug. Bio, Milch, Calcium, gesunde Bio-Energie, Kühe fressenGras, Kühe geben Milch, gesunde Kühe, Bio-Kühe, aus kontrolliertbiologischem Anbau, Bio-Milch ist Kindermilch. Gesunde Kuh, gesundes Kind. …Wenn Sie Ihrem Kind nicht schaden wollen …Dann ein Bild von einem Mongoloiden.

Ah, prima. Der große Vorteil der Karstadt-Lebensmittelabteilung: Die Kassen sind immer leer. Weil schweineteuer. Zwei Rochenflügel, Kartoffeln, Salat und Wein, macht zusammen vierunddreißig Euro. Kein Problem. Bequemlichkeit und Zeitersparnis kann man sich ruhig was kosten lassen. Trotzdem raus hier, jetzt sofort, da ist wieder alles zu. Zu eng irgendwie, hab ich denn auch noch Klaustrophobie? Nein, das ist was anderes, die rettende Rolltreppe. ⁠–˙˙–⁠ Hoch ins Erdgeschoss, quälend langsam, letzter Blickins künstliche Paradies aus Spiegeln, Lichtern, Glas. Bunte Aufsteller, Türme von Töpfen und anderem Küchengerät. Ganz ausgestorben, Kunden gibt’s keine mehr. Kaufhäuser sind eben eher siebziger Jahre. Besser Arkaden, man will halt nicht immer in einem Laden sein, sondern lieber mal wechseln. Das ist Spazierengehen, ohne nass zu werden, und dabei ohne diese verdorbene Kaufhausluft, man kann zwischendrin durchatmen, einen Kaffee trinken in einem dieser Wintergärten, kalt ist es auch nicht, also immer schön in Sicherheit beim Einkaufsbummel.

Die zwei Geschäftsleute an der Sushi-Bar, die Stäbchen vorfreudig gezückt, den einen kenne ich, nur woher? In Mimmos Pastaküche daneben ein einziges Dampfen und Zischen. Kopf einziehen! Nein, muss gar nicht. Jedes Mal, wenn Rollband und Decke zusammenstoßen … gibt zwar diese Plastikwinkel zum Schutz, aber wenn man da hängen bliebe. Der rechte Arm, die Rolltreppe ruckt und zerrt, Gelenk verdreht, immer weiter, moderne Streckbank, bis es die Spannung nicht mehr hält, zlatsch, ist der Arm ab, echt unangenehmes Gefühl, aua, nicht, lieber nicht.

Auf der Straße weiter rappelvoll, die langen Öffnungszeiten, seitdem flaut das nicht vor acht, neun ab. Im Grunde immer noch zu früh, in denUSA… aber bei uns? Die Gewerkschaftler, diese Schnarchnasen, blockieren, tun eh nichts und haben Zeit zum Einkaufen, wann immer sie wollen, morgens, mittags, abends. Sollte mich noch schnell bei Giorgio blicken lassen, schauen, ob jemand da ist … eigentlich ist immer jemand da, Kunden, Kollegen, Konkurrenten, alles gleich bedeutsam. Socializing. Was Aggi nie kapieren wird, so läuft das hier im Rheinland, am Tresen, außerhalb der Geschäftszeiten. Und? Heute nicht, erstaunlich leer. ⁠––˙˙––⁠ Nur die Rundfunkmitarbeiter. Beim Pegeltrinken. Ist aber auch die schönste Theke der Stadt, dieser Marmor … Und wieder kreischt die Kaffeemühle, die Maschine hätte ich auch gerne. Unsere ist ja nichts. Diese kleinen Dinger, da kriegst du es nie mit hin. Aber ichdamals, ausnahmsweise wollte ich mal sparen. Dabei gab esdiese … diese … Da hinten ist Junghans, wie war das? Neuerdings Designartikel? Und Anita. Die sitzt jeden Tag hier rum, ist auch beim Sender, Sekretärin oder so.

Ha! Da! Setzt sich auf, leckt sich die Lippen. Nicht zu fassen. Zupf, zupf am Rollkragenpullover, Bauch rein, Titten raus, nicht zu fassen. Aber die Jahre sind nicht spurlos vorübergegangen, im Gesicht aufgegangen wie ein Hefeteig. Immerhin, die Brüste sind in Ordnung. Obwohl – Push-up, plastische Chirurgie, weiß man’s? Nee, ich geh nicht rüber. Wozu soll das führen? Ihr zulächeln, aber nicht hingehen. Sie lächelt zurück. Das ist schon Jahre her. Das ist wirklich eherne Vergangenheit. Und die sind bestimmt nicht echt, die.

»Hi, Giorgio!«

»Hm, Jo? Hm?« Jetzt winkt der mit der Averna-Flasche. Verlockend, tatsächlich verlockend, aber nein, heute nicht. Lohnt nicht. Ist ja keiner da. Und ich muss kochen.

Was hatte Margie noch gleich? Hatte sie doch. Heute morgen. Ach ja, Abendkurs. Einkäufe in die Küche und erstmal den Fernseher an. Ab aufs Sofa. Das hat der Papa sich verdient. Auch ohne Milch-Claim. Milch ist etwas abartig Langweiliges, da mach ich lieber Klopapier. Eben. Das braucht jeder. Tatsächlich auch die Jugendlichen, obwohl Marktanteil bei denen, das ist natürlich … Trink ich vielleicht Milch? Nein. Da ist es doch kein Wunder. War das nicht sogar irgendwie ungesund? Ach ja, Makrobiotiker, die … Ah, ist das etwa der ultra-coole Tauben-Spot? Nee, schade, nur der übliche Schwachsinn, konnte auch gar nicht, ist schon Jahre her: Vöglein, Vöglein, zwitscher-tirili, hockt auf seinem Baum, ein wunderbaresLeben in der Natur, fliegt ein Ründchen, und, großer Fehler, landet auf der Motorhaube eines Ford Ka, da –PAMM! – klappt der Deckel auf, die Taube saust in hohem Bogen durch die Luft, klatscht auf die Straße, Matsche. Das ist gerade das, was man sich bei Tauben wünscht. Hagelte natürlich Proteste von Tierschützern. Das Beste, was einem Werber passieren kann, Schwengel & Mett aus Hamburg, die machen super Geschichten, letztes Jahr knapp amClio vorbeigeschrammt. Da haben wir viel zu wenig von in Deutschland. Alle immer so ängstlich,können wir nicht machen, da ist der Ärger vorprogrammiert,wie schrecklich, bloß kein Ärger, bloß nicht auffallen. Hä? Wie verblödet seid ihr eigentlich?

Der dazugehörige Zwillings-Spot kursierte bloß im Netz. Der mit der Miezekatze. Schon hart. Wo die vom Schiebedach geköpft wird, kriegste nicht ins Fernsehen, so was. Na klar. Ziehen sich Zombiefilme rein, wo mehrere hundert Leute bei lebendigem Leib gefressen werden, aber eine Katze …! Das gehört zensiert, verboten, bestraft. Trotzdem. Oder gerade deswegen: Das Teil wird Kult, rollen sich alle drüber ab, posten es ihren Freunden, das Produkt bekommt eine Hipness-Aura, die mit der ursprünglichen Botschaft des Markenkerns nichts mehr zu tun hat, könnte alles sein, zum Beispiel … ja, zum Beispiel eben Klopapier.

Was muss ich eigentlich mitnehmen für morgen, muss ich was mitnehmen, was Bestimmtes? Wie spät? Kurz vor acht, paar Minuten bis zur Tagesschau, dann mal los, wir wollen die Frau mit einem fertigen Mahl beglücken. Wenn sie denn überhaupt mal kommt. Den Fisch darf ich natürlich erst rein tun, wenn sie da ist. War zu teuer, um ihn zu versauen. ⁠––˙˙––⁠ Erst die Kartoffeln. Am besten im Ofen. Am besten auf’m Blech. Wenig Arbeit, gutes Resultat … Abwaschen, wo ist denn die Gemüsebürste? Verdammt, die liegt doch immer … Warum muss sie immer neue Plätze für alles finden? Und ich such mir stundenlang den Arsch ab, regt mich dermaßen auf jedes Mal. Warum kann man nicht feste Plätze für alles behalten, kann so schwer nicht sein. Wenigstens in der Küche. So, gut trocknen. Handtuch? Handtuch?? Ach, ja. Zahnbürste. Die sollte ich nicht vergessen. Die letzten Male habe ich immer die Zahnbürste vergessen. Und dann ist natürlich Sonntag und du rennst rum, keine Chance, eine zu kaufen. Na, vielleicht am Bahnhof, ’nen Bahnhof wird’s auch in Neuenahr geben. Wie macht sie das? Auf einen Löffel und dann dünn einkerben. Mist, bei mir klappt das nie, wieder ganz durchgeschnitten. Scheißdreck. Mach das besser ohne Löffel. Als ich in Gießen war, was fehlte da, Rasierschaum, habe ich doch verzweifelt rumgesucht, irgendeinen Supermarkt, der am Samstag nach zwei auf hat. Nach zwei! Da ist man doch gerade erst aufgestanden, im Normalfall. Ich sage ja: Gewerkschaften. Hier geht es zwar. Aber in der Provinz merkst du, wie rückständig dieses Land ist. Deshalb ziehen alle weg, verödende Gegenden, alles in die Städte, unter solchen Bedingungen will doch, bitte schön, keiner mehr leben. Müssen die sich eben dahinterklemmen, Infrastruktur und so Sachen. Das reicht, ab aufs Blech. Wir wollen ja nicht fett werden. Ofen an, so viel zu den Kartoffeln. Und weiter? Salat. Waschen. ⁠––˙˙––⁠ Und schleudern, schleudern, schleudern. Genug. Ah, Shit, das war zu früh, dreht sich noch, das Ding, fliegen einem die Blätter einzeln um die Ohren. Kacke, so ’ne Kacke, verflucht, den ganzen Dreck jetzt einzeln aufklamüsern, wenn mich eins nervt, dann hier so. Ey, Mann, komm schon. Wie spät? Verdammt, Nachrichten sind schon dran.Und nun? Schüssel oder Teller? Schüssel, das ist leichter. Vom Tellerrutscht alles runter.

Den Rest vorm Fernseher. Was brauch ich? Zwiebeln, Brettchen und Schälmesser. Ja, jetzt voll den auch noch runter … Was geht denn da ab? Trümmer, Rauch und Leichenteile, Anschlag? Hm, Bombenanschlag. Irak? Ja, Bagdad, danke Amerika, zweiundfünfzig Tote, kein neuer Rekord, aber schon ein gewisser Blutzoll. Hhhhh, das ist wieder eine von den Zwiebeln, die muss man geradezu schälen wie Kartoffeln, blöd. Woran liegt das nur? Bei der einen geht die Haut ohne Weiteres ab, an der nächsten klebt sie wie Pattex. Noch nie was von Gentechnik gehört, höchste Zeit, das zu optimieren. Aha, Sprengstoffwagen, Sperre durchbrochen, wieso die das nicht entsprechend sichern. Selber schuld. Machste wie früher an der Zonengrenze, Betonpoller, Panzersperren, da kommt keiner durch, nicht lebend, mit so was müssen die doch rechnen, dort unten.

Inlandsnachrichten. Soll ich noch irgendwas in den Salat tun? Tomaten, haben wir denn noch? Oder irgendwelche blöden Kerne, wo sind die? Gesetzesänderung, Reform, Gelaber, heißer Brei, die Interessenvertreter äußern ihre Interessen, die Politiker skizzieren das Mögliche. Und beide zusammen würgen jeden neuen Ansatz ab, muss ich mir das antun? Fassaden. Wer da welche Kulisse wohin schiebt, tut gar nichts zur Sache. Alle am Gängelband der großen Bosse. Die verdienen nämlich zwanzigmal mehr als der Bundeskanzler, wie viel war das? Der Bundeskanzler? Mehr als ich, aber reich? Na, aber was unter der Hand dazu kommt, hier eine Gratifikation, da ein Bestechungssümmchen, das macht den Kohl dann fett. Nicht fett genug für die großen Konzerne, der Staat ist nichts dagegen. Siemens oder so hat ein Finanzvolumen wie Nordrhein-Westfalen. Da willst du gegen anstinken? Na, dann mal happy Begräbnis. In den Siebzigern, da gab es noch Träume. Etwa diese Illusion, dass es was nützt. Demos, Sitzblockaden, Hausbesetzungen, dieses ganze Zeug, tja, lang, lang ist’s her, tut mir leid, Herr Richter, ich gestehe, ich saß einst vor einer Kaserne. Seien Sie gnädig, ich weiß, ich habe mich äußerster Sinnlosigkeit schuldig gemacht.

Darf man heute keinem mehr erzählen.KBW-Mitglied. Ich. Darf ich mir noch nicht mal selber mehr erzählen. Absurd. Maoismus, was für’n Unsinn. Maoismus, Masochismus: Die wollten einem sogar die Sockenfarbe vorschreiben.Du hast den Parteiabend verpasst? Da ist öffentliche Selbstkritik fällig.Aber die süße Britta, die war sogar eine Genossin, als die mir da, als ich da die Beichte ablegen sollte, gewissermaßen, und die über »konkrete Bestrafungen« für mich diskutierten, also nee. Wieso sollte Sex schädlich sein für die Revolution? Seh ich noch vor mir, Hansjürgen mit Haaren bis zum Arsch, der ist heute Finanzbeamter im höheren Dienst. Und Rick, der hat, als er wegen Radikalenerlass nicht in den Schuldienst übernommen wurde, diese ganz steile Karriere als Immobilienmakler hingelegt, Immobilienmakler und Maoismus, wenn das nicht zusammenpasst. Der sitzt doch in, war das nicht Rodenkirchen? Klar, hohes Tier im örtlichen Tennisverein, von denen, ausgerechnet … Das wurde mir zu bunt, da habe ich mal klipp und klar gesagt, was Sache ist. Nämlich ohne mich, sofortigen Austritt erklärt, ab jetzt lieber auspennen als morgens um sechs Flugblätter verteilen vor den Werkstoren von Felten & Guillaume. Ist ja nicht, dass ich das gebraucht hätte, wer braucht denn so was? ⁠––˙˙––⁠ Die Zeit bei den Grünen war allerdings auch ein Flop, seit die in Regierungen vertreten sind … Der Kilian war in unserer Gruppe, wenn ich den jetzt reden höre, Fraktionsvorsitzender im Landtag, Wendung um 180 Grad hat der hingelegt. War da grad was im Treppenhaus? Ist sie das? Nee, wohl der schwule Grieche von oben. Hat sich ’n Fickburschen mitgebracht. Wobei, dafür ist es noch zu früh. Allmählich könnte sie mal. Nicht dass sie noch spontan auf ein Bier mit den Kollegen weg ist. Neulich hatte sie nicht mal angerufen, ihr Handy aus, angeblich Akku leer, ich sitze hier wie ’ne Hausfrau mit der Schürze um den Bauch, und wer nicht kommt, ist sie.Stell dich nicht so an, es war gerade sehr lustig, wir sind kein jung verheiratetes Ehepaar mehr, dass sich immer gleich anrufen muss, wenn es mal ein bisschen später wird.Sehr witzig. Was das mit jung verheiratet zu tun hat. Wenn ich das Essen fertig habe. Und da sitze. Voll das Klischee. Aber. Kann mich auch draußen rumtreiben, wenn ich das weiß, muss wirklich nicht den Kochlöffel schwingen, mach ich schließlich extra für sie.

Tja, Politik. Werbung ist eigentlich Politik genug. Wenn doch alles politisch ist? ⁠––˙˙––⁠ Und überhaupt. ⁠––˙˙––⁠ Man hat heute große Freiheiten. Gerade jetzt, das wirkliche Leben liegt im Trend, Arbeit und Soziales, Wetterbericht, es soll schön bleiben, gut für die Schiffspartie, alle Reste einsammeln, was sagen die Ofenkartoffeln? Brauchen noch, der Fisch kann also warten. Margie sowieso nicht da … Dann, endlich: Zeit für einen Schluck. Hurra. Wo ist die Magno-