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Beschreibung

»Draußen ziehen weiße Flocken Durch die Nacht, der Sturm ist laut; Hier im Stübchen ist es trocken, Warm und einsam, stillvertraut.« Heinrich Heine Mit Texten von Matthias Claudius, Theodor Storm, Rainer Maria Rilke und vielen anderen.

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Seitenzahl: 247

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Winter am Kamin

Herausgegeben von Julia Gommel-Baharov

FISCHER E-Books

Inhalt

Ein Lied hinterm Ofen zu singenLob des WintersSehnsucht nach dem WinterAuf die nunmehr angekommene kalte WinterszeitMit Schneegewölken grau bekleidetDer stürmische MorgenWintergedankenSankt MartinVorzug deß WintersAls der Winter hereinbrachDer WinterLob des WintersSchneeflöckchen, WeißröckchenWinter-Vergnügen im ZimmerErster SchneeWinternachtWintermorgenAn einem Wintermorgen, vor SonnenaufgangDer erste SchneeWinterDer WinterWinterAls der erste Schnee fielDer erste SchneeJuchhe, der erste SchneeAm WeiherEin milder WintertagEin harter WintertagDie WinternachtWinterAltes KaminstückDer WinterDie hohen Tannen atmen heiserWinternachtDie SchlittschuheSchlittschuhfahrenDie EislustDer EislaufWinterliedDer SchneemannAdventWeihnachtsmarktDie DryasDraußen schneit’sWarme WinterDer böse WinterDezembersonettDer WeihnachtsmannO TannenbaumNußknacker und MausekönigDie GabenDer SchützlingDie Heilige NachtHeilige WinternachtDa stand das Kind am WegeEr freut sich / daß es Winter istEs fegt so grimm kalt / daß er mehr nur noch für seinem Ofen hokktDie WinternachtAm KaminDes Jahres letzte StundeDas kleine Mädchen mit den SchwefelhölzernAuf dem MühlenteichInfluenzaMein Herz ist stumm, mein Herz ist kaltIm WinterIm WinterUmwinterte BergeEin Winter in BerlinNach der alten RegelDer WinterWinterlandschaftAlles stillNacht und WinterNachtreiseStille WinterstraßeWinternachtWinternachtEs hat geschneit die ganze NachtDas Feld ist weiß, so blank und reinÔ LacrimosaDie SchneeköniginERSTE GESCHICHTE,ZWEITE GESCHICHTEDRITTE GESCHICHTEVIERTE GESCHICHTEFÜNFTE GESCHICHTESECHSTE GESCHICHTESIEBENTE GESCHICHTEWinternachtEin Fichtenbaum steht einsamHoffnungWinter, ade!Nachweise

MATTHIAS CLAUDIUS

Ein Lied hinterm Ofen zu singen

Der Winter ist ein rechter Mann,

 Kernfest und auf die Dauer;

Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an,

 Und scheut nicht Süß noch Sauer.

War je ein Mann gesund, ist er’s;

 Er krankt und kränkelt nimmer,

Weiß nichts von Nachtschweiß noch Vapeurs,

 Und schläft im kalten Zimmer.

Er zieht sein Hemd im Freien an,

 Und läßt’s vorher nicht wärmen;

Und spottet über Fluß im Zahn

 Und Kolik in Gedärmen.

Aus Blumen und aus Vogelsang

 Weiß er sich nichts zu machen,

Haßt warmen Drang und warmen Klang

 Und alle warmen Sachen.

Doch wenn die Füchse bellen sehr,

 Wenn’s Holz im Ofen knittert,

Und um den Ofen Knecht und Herr

 Die Hände reibt und zittert;

Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht

 Und Teich’ und Seen krachen;

Das klingt ihm gut, das haßt er nicht,

 Da will er sich tot lachen. –

Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus

 Beim Nordpol an dem Strande;

Doch hat er auch ein Sommerhaus

 Im lieben Schweizerlande.

Da ist er denn bald dort bald hier,

 Gut Regiment zu führen.

Und wenn er durchzieht, stehen wir

 Und sehn ihn an und frieren.

JOHANN CHRISTIAN GÜNTHER

Lob des Winters

Verzeiht, ihr warmen Frühlingstage,

Ihr seid zwar schön, doch nicht für mich.

Der Sommer macht mir heiße Plage,

Die Herbstluft ist veränderlich;

Drum stimmt die Liebe mit mir ein:

Der Winter soll mein Frühling sein.

Der Winter zeigt an seinen Gaben

Die Schätze gütiger Natur,

Er kann mit Most und Äpfeln laben,

Er stärkt den Leib und hilft der Kur,

Er bricht die Raserei der Pest

Und dient zu Amors Jubelfest.

Der Knaster schmeckt bei kaltem Wetter

Noch halb so kräftig und so rein,

Die Jagd ergötzt der Erden Götter

Und bringt im Schnee mehr Vorteil ein,

Der freien Künste Ruhm und Preis

Erhebt sich durch den Winterfleiß.

Die Zärtlichkeit der süßen Liebe

Erwählt vor andern diese Zeit;

Der Zunder innerlicher Triebe

Verlacht des Frostes Grausamkeit;

Das Morgenrot bricht später an,

Damit man länger küssen kann.

Der Schönen in den Armen liegen,

Wenn draußen Nord und Regen pfeift,

Macht so ein inniglich Vergnügen,

Dergleichen niemand recht begreift,

Er habe denn mit mir gefühlt,

Wie sanfte sich’s im Finstern spielt.

Da ringen die getreuen Armen

Mit Eintracht und Ergötzlichkeit,

Da lassen sie den Pfühl erwarmen,

Den oft ein falsches Dach beschneit,

Da streiten sie mit Kuß und Biß

Und wünschen lange Finsternis.

Das Eis beweist den Hoffnungsspiegel,

Der viel entwirft und leicht zerfällt;

Ich küsse den gefrornen Riegel,

Der mir Amanden vorenthält.

Sooft mein Spiel ein Ständchen bringt

Und Sait’ und Flöte schärfer klingt.

Ich zieh den Mond- und Sternenschimmer

Dem angenehmsten Tage vor;

Da heb ich oft aus meinem Zimmer

Haupt, Augen, Herz und Geist empor,

Da findet mein Verwundern kaum

In diesem weiten Raume Raum.

Euch Brüder hätt’ ich bald vergessen,

Euch, die ihr nebst der deutschen Treu’

Mit mir viel Nächte durch gesessen;

Sagt, ob wo etwas Beßres sei,

Als hier bei Pfeifen und Kamin

Die Welt mitsamt den Grillen fliehn.

Der Winter bleibt der Kern vom Jahre,

Im Winter bin ich munter dran,

Der Winter ist ein Bild der Bahre

Und lehrt mich leben, weil ich kann;

Ihr Spötter redet mir nicht ein;

Der Winter soll mein Frühling sein.

KARL WILHELM RAMLER

Sehnsucht nach dem Winter

Im November 1744

Die Stürme durchheulen die Luft, und schleudern Wolken auf Wolken,

Und donnernd stürzen die Ströme durchs Land.

Die Wälder trauern entblößt; das Laub der geselligen Linde

Wird weit umher in die Täler gejagt.

Der Weinstock, ein dürres Gesträuch … Was klag ich so müßig den Weinstock?

Auf, Freunde! trinket sein schäumendes Blut!

Schon seht ihr den triefenden Herbst mit leerem Fruchthorn entweichen;

Bald kömmt der Winter, mit Tannen bekränzt,

Und deckt den donnernden Strom mit diamantenem Schilde,

Der alle Pfeile der Sonne verhöhnt,

Und hüllt in Blüte den Wald, (dem fröhlichen Barden ein Frühling!)

Und streuet Lilien über das Tal.

Dann schwimmt der Jügling nicht mehr durch reißende Fluten, dann schweift er

Auf harten Wassern laut jauchzend umher,

Die Füße beschuhet mit Stahl, und überwindet den Reiter,

Der am Gestade den Wettlauf gewagt.

Dann zittern die Bräute nicht mehr in wankender Gondel, sie fliegen

Beherzt auf gleitenden Wagen dahin,

Erwärmt vom Siberischen Pelz, durch silberne Schleier beschirmet,

An ihre zärtliche Führer gelehnt.

O Winter! eile voll Zorn, und nimm den kältesten Ostwind,

Und treib die Krieger aus Böhmen zurück,

Und meinen erstarreten Kleist! Noch hab ich ihm seine Lykoris

Und Wein von mürischem Alter bewahrt.

JOHANN RIST

Auf die nunmehr angekommene kalte Winterszeit

Der Winter hat sich angefangen,

Der Schnee bedeckt das ganze Land,

Der Sommer ist hinweggegangen,

Der Wald hat sich in Reif verwandt.

Die Wiesen sind von Frost versehret,

Die Felder glänzen wie Metall,

Die Blumen sind in Eis verkehret,

Die Flüsse stehn wie harter Stahl.

Wohlan, wir wollen von uns jagen

Durchs Feu’r das kalte Winterleid,

Kommt, laßt uns Holz zum Herde tragen

Und Kohlen dran, jetzt ist es Zeit.

Laßt uns den Fürnewein hergeben

Dort unten aus dem großen Faß,

Das ist das rechte Winterleben:

Ein heiße Stub und kühles Glas.

Wohlan, wir wollen musizieren

Bei warmer Luft und kühlem Wein,

Ein ander mag sein Klagen führen,

Den Mammon nie läßt fröhlich sein.

Wir wollen spielen, scherzen, essen,

Solang uns noch kein Geld gebricht,

Doch auch der Schönsten nicht vergessen,

Denn wer nicht liebt, der lebet nicht.

Wir haben dennoch g’nug zu sorgen,

Wann nun das Alter kommt heran,

Es weiß doch keiner, was ihm morgen

Noch vor ein Glück begegnen kann.

Drum will ich ohne Sorge leben,

Mit meinen Brüdern fröhlich sein,

Nach Ehr und Tugend tu ich streben,

Den Rest befehl ich Gott allein.

ANNA LOUISA KARSCH

Mit Schneegewölken grau bekleidet,

Großschrittig kommt der Wintertag;

Das öde Tal bleibt unbeweidet,

Wo sonst der Schäfer lauschend lag.

Der Klee, die Blumen sind gestorben,

Und jeder Baum steht lockenlos,

Die Birkenblätter sind verdorben

Und modern auf der Erde Schoß.

Mein Freund, der muntre Phaon, trotzet

Dem Winter, der zu herrschen weiß;

Auf seinem dunklen Rocke strotzet

Mit Kunst gemachtes Silber-Eis.

Wie Zöpfe, in der Nacht gefroren,

Des Morgens blinken an dem Dach,

So blinkt das, was die Kunst geboren,

Und meine Augen werden schwach.

Geblendet wird mir mein Gesichte:

Sein Hut stellt eine Landschaft vor,

Wo nicht der Taxus, nicht die Fichte

Den Schmuck des krausen Haars verlor.

Es blinkt daher an seinen Schläfen,

Wie Flocken, die der Frost gestählt,

Die alle Schönheit überträfen,

Die Gott zur Lilie gewählt.

Du schöner Winter, sei gegrüßet

Auf Phaons Stirn, auf seiner Brust

Ihr prachterfüllten Fichten müsset

Erschüttern oft bei seiner Lust,

Ihr Felle der erwürgten Tiere,

Erwärmt ihn stärker; daß er nicht

Die Lust zum heißen Kuß verliere,

Und nie das Rot im Angesicht.

WILHELM MÜLLER

Der stürmische Morgen

Wie hat der Sturm zerrissen

Des Himmels graues Kleid!

Die Wolkenfetzen flattern

Umher in mattem Streit.

Und rothe Feuerflammen

Ziehn zwischen ihnen hin.

Das nenn’ ich einen Morgen

So recht nach meinem Sinn!

Mein Herz sieht an dem Himmel

Gemalt sein eignes Bild –

Es ist nichts als der Winter,

Der Winter kalt und wild!

BARTHOLD HEINRICH BROCKES

Wintergedanken

Wie hat es diese Nacht gereift!

Mein Gott, wie grimmig stark muß es gefroren haben!

Wie schwirrt und schreit, wie knirrt und pfeift

Der Schnee bei jedem Tritt! Mit den jetzt trägen Naben

Knarrt, stockt und schleppt der Räder starres Rund,

Ja weigert gleichsam sich, den kalten Grund

Wie sonst im Drehen zu berühren.

Fast alles drohet, zu erfrieren,

Fast alles droht für Kälte zu vergehn.

Wie blendend weiß ist alles, was ich schau,

Sowohl in Tiefen als in Höhn;

Wie schwarz, wie dick, wie dunkelgrau

Hingegen ist der ganze Kreis der Luft,

Zumal da das noch niedre Sonnenlicht

Annoch nicht durch die Nacht des dicken Nebels bricht.

Es scheint, als könne man in einem greisen Duft

Die Kälte selbst anjetzt recht sichtbar sehn;

Sie fänget überall ergrimmt an zu regieren.

Drei Elemente selber müssen

Ihr schwer tyrannisch Joch verspüren

Und deren Bürger all das strenge Szepter küssen,

Das allem, was da lebt, Verlähmung, Pein und Tod,

Ja selber der Natur den Untergang fast droht. –

Laß aber, lieber Mensch, auch du, soviel an dir,

Dein Herz zum Mitleid doch bewegen,

Damit dein Liebesfeur dein armer Nachbar spür;

Komm, lindre seine Not mit deinem Segen.

Such ihm in scharfem Frost ein Labsal zu bereiten,

Damit, wie Hiob spricht, auch seine Seiten,

Wenn sie, durch deine Hülf erwärmt, dich preisen

Und so durch dich dem Schöpfer Dank erweisen.

Sankt Martin

Volkslied aus dem Rheinland

2. Im Schnee saß, im Schnee saß,

im Schnee, da saß ein alter Mann,

hatt’ Kleider nicht, hatt’ Lumpen an.

»O helft mir doch in meiner Not,

sonst ist der bitt’re Frost mein Tod!«

3. Sankt Martin, Sankt Martin,

Sankt Martin zog die Zügel an,

sein Ross stand still beim armen Mann.

Sankt Martin mit dem Schwerte teilt’

den warmen Mantel unverweilt.

4. Sankt Martin, Sankt Martin,

Sankt Martin gab den halben still,

der Bettler rasch ihm danken will.

Sankt Martin aber ritt in Eil’

hinweg mit seinem Mantelteil.

JOHANN KLAJ

Vorzug deß Winters

Ich stehe / kaum gehe / verfroren vom Eise /

nur schleiche / nicht weiche nach Alterthumsweise /

ich lebe und gebe gesündeste Speise /

   am Ofen ohn Frost /

   da schmecket der Most

   zu Federwildskost.

Lasst blasen / lasst rasen der Jägerfrau Hörner /

den wacker im Acker zerstochen die Dörner

sich nehret / verzehret jetzt körnichte Körner /

   man schlachtet das Schwein

   und saltzet es ein /

   daß lange muß seyn.

Der Lentzen zu Kräntzen die Sommerblüh pflocke /

zum Leben der Reben der Freudenherbst locke /

du drehe / du wehe mein Winter und flocke /

   da ruhet das Feld /

   da schläffet die Welt

   im fedrigen Zelt.

ADALBERT STIFTER

Als der Winter hereinbrach

Als der Winter hereinbrach, war er so milde, wie ich mich nicht erinnere, je einen solchen in unserem Lande erlebt zu haben. Der Obrist und Margarita zogen im späten Herbste, da sonst lange schon Reife und Fröste auf unseren Wiesen gewesen waren, heuer aber noch immer eine milde Spätsonne herunter lächelte, in ihre Wohnung. Sie wendeten auf meinen Rat ebenfalls das Mittel der ausgeglühten Pottasche an; aber dieselbe zeigte, wenn sie eine Zeit in der Wohnung gestanden war, so wenig Zuwachs an Wasser, daß die äußeren Dicken der Mauern gewiß als vollkommen trocken angesehen werden konnten. Der Obrist ließ im Winter immer in seinen noch nicht fertigen Räumen ein wenig fortarbeiten.

Weil sich mit dem Eintritte der nasseren und trüberen Jahreszeit, wie immer, die Übel der Menschen vermehrten, so minderte sich meine freie Zeit, und ich konnte weniger in der Gesellschaft meiner Nachbarn sein. Einmal, da ich in der tiefen Nacht von dem Wege der Weiden herab ging, weil ich in dem Gehänge gewesen war, und da ich links von mir in dem dichten herabrieselnden Winterregen das Eichenhag nur undeutlich, wie einen schwarzen Dunst, sehen konnte, daneben aber deutlich und klar ein Licht glänzte, glaubte ich, es sei das von dem Zimmer des Obrists, wo er etwa mit Margarita sitze und lese oder sonst etwas Ähnliches tue. Deshalb beschloß ich, auf das Licht zuzugehen und ein wenig bei dem Obrist zu bleiben. Allein ich kam, da ich doch auf bekanntem Boden ging, in die Wiesen des Meierbacher, und dann gar in ein Gesumpfe, das nach meiner Meinung eigentlich nicht da sein sollte. Als ich mit jedem neuen Schritte immer mehr hinein gekommen wäre, kehrte ich um, damit ich den festen Boden wieder gewinne, den ich verlassen hatte. Ich begriff nun, daß ich von einem Irrlichte getäuscht worden war, und daß ich mich gar nicht da befinden müsse, wo ich glaubte. Solche Lichter entstanden manchmal in der Senkung, wie sie früher war, ehe sie der Obrist hatte reuten lassen, und sie wurden zu verschiedenen Zeiten gesehen. Sie wanderten da gleichsam bald an diesen Ort, bald an jenen, oder sie entstanden vom Ursprunge an bald hier, bald da. Plötzlich, wenn man auf eins recht hin schaute, war es gar nicht da, dann ging es an dem Gehege hinunter, wie eine Laterne, kam aber am Ende des Geheges nicht heraus, und konnte überhaupt nicht gesehen werden. Auf einmal stand es weit unten an den Eschen, als wartete es. Ich kenne derlei Lichter sehr wohl, weil ich oft in der Nacht herum gehen muß, wie die hiesigen Menschen nicht tun, sondern in ihren Häusern bleiben – in mancher feuchten Nacht des ersten Winters, des späten Herbstes, des schädlichen Märzen, oder nach Mitternacht im Sommer, wenn die weißen, sanften Streifen sich an den Wiesen ziehen. Als ich auf den Platz zurückgekommen war, an dem ich von meinem Wege weg auf die Wiese gegangen war, war es gleichwohl nicht derselbe Platz – es standen wohl die drei Föhren da, die früher da gestanden waren, aber es war nicht, als ob es dieselben drei Föhren wären, auch konnte ich mich nicht entsinnen, daß ich meines Weges genau geachtet hätte, da ich auf eine Kranke dachte, die mir sehr an dem Herzen lag. Ich hatte von meinem Großvater gelernt, dem es auch wieder ein alter Schwede sagte, der nach dem Kriege als erster Ansiedler in das Haslung gekommen war, daß man, wenn einem ein bekannter Weg anfange, wirrig und fremdet zu sein, sogleich umkehren und zurück gehen solle, bis alles wieder ein Ansehen gewinne, das man vollständig kenne; dann soll man ein wenig stehen bleiben, und dann den gewünschten Weg aufs neue einschlagen. Ich ging also von den drei Föhren an noch weiter zurück. Die dunklen Büsche, die sich in dem Regen duckten und an einander kauerten, gingen an mir vorüber, dann standen zerstreute Fichten, welche in schmalem Buschwerke von unten bis oben bewachsen sind, und ein schwarzer Zaun ging neben mir. Ich kannte alles nicht. Als ich an die Stelle zurück gekommen war, wo sich das Geleise von dem Wege trennen und gegen den Sillerwald hinüber gehen solle, war das Geleise gar nicht da. Ich ging also noch weiter zurück, und zu meiner Verwunderung führte es aufwärts. Plötzlich stand ich ganz oben auf der Schneide des Abhanges, und plötzlich erkannte ich, daß ich mich ja noch gar nicht unterhalb des Eichenhages befinde, wo man auf das Haus des Obrists hinüber sehen könne, sondern daß ich noch weit oberhalb desselben war, und zwar auf der Schneide des Gehänges der Weidebrüche, ich erkannte auch, daß das Irrlicht in der Senkung gestanden war, und daß ich in das Sumpfwasser derselben hinein gegangen sei. Das Irrlicht war aber während meines ganzen Rückweges, auf dem ich mich öfter umgeschaut hatte, nicht mehr sichtbar gewesen, sondern überall lag die gleichförmige schwarze Finsternis. Als ich noch auf dem Abhange stand und herum schaute, erzeugte sich ein etwas lichter Streifen an dem Himmel, und ich sah, daß das nicht das Hag gewesen sei, was ich dafür gehalten habe, sondern daß eine Herbstwolke an dem entfernten Dürrwalde gehangen und ihn wie einen näheren Waldklumpen gezaubert hatte. Als ich noch immer schaute, stand plötzlich mein Irrlicht wieder weit von mir entfernt drüben – es stand in derselben Richtung, aber auf einem andern Grunde, nicht auf der Stelle, wo ich es früher gesehen hatte. Ich starrte recht deutlich in das Licht hinein. Und wie die lange, schlanke, weiße, ruhige Flamme drüben stand, oder auch wie ein feuriger Engel, der ein weißes Kleid an hat, und wie der hohe, finstere Wald dahinter stand, und wie die Nacht so leise fortregnete, und immer schwieg und finster war, und wie sich überall rings herum niemand befand als ich allein: war es fast schön anzusehen, wie es war. Weil ich nun das bekannte Ansehen der Gegend hatte, das mein Großvater und der Schwede verlangen, trat ich meinen gewünschten Weg wieder an. Ich ging den Pfad, der neben dem schwarzen Zaune lag, hinunter – jetzt kannte ich ihn recht wohl – die dunklen Büsche, die sich früher verstellt hatten, waren mir auch sehr bekannt, und ich hatte sie früher oft gesehen. Ich ging des Weges nach einander dahin. Und wie ich neben den Schlehenbüschen war, die wie ein schwarzer, kriechender Zug fort wanderten, und wie die Erlen, die von meinem Wege links standen, durch das Licht gingen, ich aber an das Fieber der Maria Hartens dachte, das mir stets in dem Sinne und in dem Herzen war: duckte das Lichtlein einmal ganz leicht nieder, und war verschwunden. Es kam auch gar nicht wieder zum Vorscheine. Ich ging des Weges vollends hinab, und wie sich das wirkliche Eichenhag, das ich nun sah, um mich hinüber schob, kamen erst die wahren Lichter von dem Hause des Obrists zur Erscheinung – sie standen in einer Reihe recht klar, recht vernehmlich und recht freundlich da. Ich ging aber nicht mehr hinüber, weil ich auch sehr beschmutzt war, sondern ich ging sofort in mein Haus hinunter, und las in derselben Nacht noch recht lange in vielen meiner Bücher wegen der armen Maria.

So hatte ich oft verschiedene Zufälle auf meinen Wanderungen.

Als der Winter weiter vorrückte und der Schnee schon eingefallen war, ging ich öfter, wenn ich erst spät nach Hause kam, wie es bei der Jahreszeit fast täglich der Fall war, noch im Abende oder in der Dunkelheit der Nacht in das Haghaus hinauf. Der Obrist hatte in das Bücherzimmer eine sehr große Heize machen lassen, darin man die Scheite, welche hinein getan wurden, durch ein feines Gitter hindurch lodern sehen konnte. Auch hat er Geräte von denen, welche angekommen waren, hinein gestellt, daß man auf ihnen herumsitzen und den Schein des Feuers auf dem Fußboden anschauen konnte. Wenn dann die große Lampe kam, die, auf den Tisch gestellt, das ganze Gemach mit Licht erfüllte, sahen wir Schriften an, wovon der Obrist manche aus verschiedenen alten und merkwürdigen Zeiten hat, oder Bücher, in denen etwas gelesen wurde, oder wir saßen bloß vergnügt in der so freundlichen Stube und redeten von den verschiedensten Dingen der Welt. Und wenn ich dann nach Hause ging und ein Gestöber war, oder die weiche Schneefläche vor mir lag, die in der trübsten Nacht einen feinen Schimmer gab, begleiteten mich gerne die zwei Wolfshunde, sie gingen oft bis an den Hügel mit, auf welchem die Eschen stehen, und liefen dann zurück, daß es im Schnee stäubte und ich, wie ich nach meinem Hause hinunter ging, noch manchen einzelnen Laut von ihrem Jauchzen vernehmen konnte.

Im Winter kamen auch Verschläge an, in denen Bilder waren, welche der Obrist in verschiedenen Zeiten seines früheren Lebens erworben hatte. Wenn ich dann an einem schönen, klaren Wintertage hinauf kam, zeigte er mir sie, lehrte sie mich kennen und ihre Vollkommenheiten empfinden. Einige sehr schöne hing Margarita in ihren Zimmern auf, die anderen wurden in den Zimmern des Obrists an verschiedenen Stellen, die er recht sorgfältig auswählte und prüfte, aufgemacht. Ich habe nie so schöne Dinge gesehen, oder ich habe sie in den früheren Zeiten meines Lebens nicht erkannt.

GEORG HEYM

Der Winter

Der blaue Schnee liegt auf dem ebenen Land,

Das Winter dehnt. Und die Wegweiser zeigen

Einander mit der ausgestreckten Hand

Der Horizonte violettes Schweigen.

Hier treffen sich auf ihrem Weg ins Leere

Vier Straßen an. Die niedren Bäume stehen

Wie Bettler kahl. Das Rot der Vogelbeere

Glänzt wie ihr Auge trübe. Die Chausseen

Verweilen kurz und sprechen aus den Ästen.

Dann ziehn sie weiter in die Einsamkeit

Gen Nord und Süden und nach Ost und Westen,

Wo bleicht der niedere Tag der Winterzeit.

Ein hoher Korb mit rissigem Geflecht

Blieb von der Ernte noch im Ackerfeld.

Weißbärtig, ein Soldat, der nach Gefecht

Und heißem Tag der Toten Wache hält.

Der Schnee wird bleicher, und der Tag vergeht.

Der Sonne Atem dampft am Firmament,

Davon das Eis, das in den Lachen steht

Hinab die Straße rot wie Feuer brennt.

Die Bäume knarren, wirr betäubt.

Sie wissen nicht, was sie auseinandertreibt,

Ihre haarlosen Schöpfe.

Und die Raben, über den Wäldern gesträubt,

Streifen in das Verschneite weit,

Eine klagende Herde.

Die Blumen starben in der goldenen Zeit

Und Winter jagt uns über dunkle Erde.

GEORG PHILIPP HARSDÖRFFER

Lob des Winters

Wem behagt Aprillenwetter?

Wem des Hundsgestirnes Hitz’?

Wem des Herbstes falbe Blätter?

Niemand, der nicht sparet Witz.

Ich will nun kaltsinnig loben

Die begrau’te Winterszeit,

Die uns unsre Augen weid’t,

Und auch billig wird erhoben.

Wie ein fast bejahrter Alter

Nach der schnellen Monden Flucht,

Sitzend bei dem Weinbehalter,

Kostet seiner Arbeit Frucht,

Hält die Ruhtag’ für sein Leben

Bis zum vorgesteckten Ziel,

Da der grauen Haar’ so viel

Strahlen großer Klugheit geben:

Also pfleget auch zu rasten

Aller Jahrszeit Flucht und Eil,

Und beginnet recht zu masten

An des weißen Winters Seil.

Ceres wohnet in den Scheuern,

Bacchus bringt den süßen Most,

Und Pomona ihre Kost,

Sylvan kann beim Feuer feiern.

Schauet drauß die weißen Flocken,

Wie sie streichen hin und her,

Wie sie sich zusammen stocken,

Wie sie stürmen überquer!

Das ist ein gesundes Wetter,

Und man heizt auch tapfer ein,

Horchend bei dem firnen Wein

Der Musik von einem Bräter.

Mich bedünket, daß die Sterne

Strahlen baß, wann’s Winter ist;

Wann das Wasser hartet gerne

Wie Kristallstein durch Gefrüst,

So muß man das Eis belaufen

Mit der Schlittschuh’ schnellem Holz;

Wie ein Vogel oder Bolz,

Rauscht man vorwärts ohn’ Verschnaufen.

Masken, Fastnacht, Schlittenfahren,

Reiten, Tanzen, Fechten üben,

Lass’ ich unbemeldet fahren,

Wie auch auf der Tafel schieben[1],

Und erhebe das Studiren,

So uns manche lange Nacht

Auch wohl in das Bett gebracht,

Daß wir Winterslust recht spüren.

Schneeflöckchen, Weißröckchen

Text: nach Hedwig Haberkorn

Melodie: altes Kinderlied

2. Komm, setz dich ans Fenster,

du lieblicher Stern,

malst Blumen und Blätter,

wir haben dich gern.

3. Schneeflöckchen, du deckst uns

die Blümelein zu,

dann schlafen sie sicher

in himmlischer Ruh.

4. Schneeflöckchen, Weißröckchen,

komm zu uns ins Tal,

dann baun wir den Schneemann

und werfen den Ball.

BARTHOLD HEINRICH BROCKES

Winter-Vergnügen im Zimmer

Wann draussen die erstarrte Welt,

Mit scharfem Frost, der dunckle Winter schrecket,

Wenn schroffes Eis das harte Feld,

Mit rauhen Schollen, drückt und decket,

Vergönnet mir des Schöpfers Güte,

Daß, mit Bequemlichkeit und ruhigem Gemüthe,

Ich ein vergnüglich Feur, in meinem Zimmer,

Den wärmenden Camin mit Lust erleuchten seh’.

Es steigt der regen Flammen Schimmer

Roth, gelb und weiß zugleich, hell-lodernd in die Höh;

Wovon durch jeden Sinn, der ihre Kraft verspüret,

Ich Freuden-voll erquickt werd’ und gerühret.

Ich sehe die getheilten Spitzen,

Um für den scharfen Frost mich gleichsam zu beschützen,

Mit reger Aemsigkeit sich aufwerts schwingen.

Ich fühle durch die starre Brust

Ein sanftes Wohl, und eine laue Lust

In meinen gantzen Cörper dringen,

Und, was durch Kälte starr, erfrischen.

Ich hör’ ein muntres Rauschen zischen,

Ein durch die schnelle Loh erregtes Schallen,

Mit oftmahls unterbrochnem Knallen,

Der in dem Holtz verschränckt- und schnellbefreyten Luft,

 Wodurch, bald hier bald dort, gesprengte Funcken fliegen.

 Ich rieche den gesunden Duft

 Der fetten Fichten mit Vergnügen.

 Es schmeckt bey dieser Zeit das holde Kraut, der Thee,

 Den ich in grüner Farb’ in feinen Schälchen seh’,

 Den kalten Lippen wohl. Bald wärmt ein heisser Wein,

 Voll süsser Säurlichkeit und Lust, Hand, Mund und Magen.

 Man sieht mit Lust zu Tische tragen

 Castanien, die süsse Winterkost;

 Und was der Anmuth mehr, die auch im strengen Frost

 Uns unser GOTT, der liebe Vater, schencket.

 Die Kinder stehen auch, vergnüget durch den Schein,

Und halten gegen’s Feur, von ihrer kalten Hand

Die kleinen Finger, ausgespannt;

Wobey sie sich denn sonderlich ergetzen,

Wenn sie, mit kindischem Gewühl,

Ein Aepfelchen ans Feur zu braten setzen.

 Wenn ich sodann durchs Fenster seh’,

Wie draussen alles voller Schnee,

Wie schwartz die Luft, wie scharf und kalt,

Und dencke, wie bequem und gut der Aufenthalt,

Den mir des Schöpfers Güte gönnet;

So danck’ ich Ihm mit Recht. Ich denck’ auch öfters nach,

Wie wahr es sey, was jener sprach,

Von einer warmen Stub’ in kalter Winters-Zeit:

Daß bloß ein Scheiben-Glas der Unterscheid,

Der gleichsam Africa von Nowa Zembla trennet.

GOtt gieb daß, so von mir, als meiner kleinen Heerde,

Dein’ Allmacht, wie gefühlt, auch so erkennet werde!

Und laß uns doch davor, o Vater! Dir allein

In öfterer Betrachtung danckbar seyn!

GOTTFRIED KELLER

Erster Schnee

Wie nun alles stirbt und endet

Und das letzte Lindenblatt

Müd sich an die Erde wendet

In die warme Ruhestatt,

So auch unser Tun und Lassen,

Was uns zügellos erregt,

Unser Lieben, unser Hassen

Sei zum welken Laub gelegt.

Reiner weißer Schnee, o schneie,

Decke beide Gräber zu,

Daß die Seele uns gedeihe

Still und kühl in Wintersruh!

Bald kommt jene Frühlingswende,

Die allein die Liebe weckt,

Wo der Haß umsonst die Hände

Dräuend aus dem Grabe streckt.

DETLEV VON LILIENCRON

Winternacht

Das war beredet und besprochen,

Wie lange her, ich ahn es nicht.

Der Tag ist da, die Pulse pochen,

Die Flocken fallen träg und dicht.

Im fremden Dorf, im fremden Saale,

Es kennt uns keiner, welche Lust,

Wir drehn uns unterm Kerzenstrahle,

Wie schweißt die Liebe Brust an Brust.

Und eng gedrängt im regen Schleifer,

Entzünden wir uns mehr und mehr;

Ich fühls, ich bin Besitzergreifer,

Ich weiß auch, das ist dein Begehr.

Geheimnisvoller Schatten breitet

Sich über unser Stelldichein;

0 komm, ein Zimmer liegt bereitet,

Ein traut Gemach, wir sind allein.

Der Wirt, mit artigem Verneigen,

Läßt uns hinein, wünscht gute Nacht,

Kein Späher horcht, die Sterne schweigen,

Und stumm ist rings die Winterpracht.

Und wie beim Fest die Hochzeitsgäste

Noch weiter jubeln bei Musik,

Verklingt, verhallt in unserm Neste

Gejauchz und Violingequiek.

Wie bin ich schnell bei Band und Schnallen,

Sie wehrt sich, sie verweigerts mir,

Und ist mir um den Hals gefallen,

Verwirrung schloß die Augen ihr.

Noch sträubt sie sich, schon fällt die Hülle,

Sie will nicht und sie muß, sie muß,

Und bringt mir ihre süße Fülle,

Und bringt sie mir in Glut und Kuß.

Der Morgen naht in tiefer Stille,

Sie schläft erschöpft im weichen Flaum,

Noch drang nicht durch die Ladenrille

Das Frührot in den heilgen Raum.

Die Ampel gießt in Dämmermilde

Ein Zartlicht ihr um Brust und Arm,

Und auf das himmlische Gebilde

Seh lächelnd ich und liebewarm.

Und eh die Sonne sich erhoben,

Sind wir schon unterwegs im Schnee;

Da hab ich sie emporgehoben,

Und trug sie, ein verzognes Reh.

Und trug sie bis an ihre Kammer,

Ans Erdenende tät ichs noch,

Sie aber wollte kaum die Klammer

Entlösen meinem Nackenjoch.

Die erste Krähe läßt sich hören;

Leb wohl, mein Schatz, auf Wiedersehn.

Und durch die hochbeschneiten Föhren

Muß nun den Weg allein ich gehn.

Die Sonne steigt, und tausend Funken

Durchglitzern das beeiste Feld.

Von Glück und Liebe bin ich trunken,

O Gott, wie herrlich ist die Welt!

WALTER BENJAMIN

Wintermorgen