#wir - Oliver Dziemba - E-Book

#wir E-Book

Oliver Dziemba

4,8
15,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Big Data ist das Mega-Phänomen, das nicht nur die Medienwelt, sondern die gesamte Wirtschaft massiv verändert. Die Digitalisierung wird alle Märkte und auch unsere Lebenswelten komplett umkrempeln. Doch was bedeutet das für unseren Alltag, unsere Kultur, unsere Lebensstile? Wie wird unser Leben mit der wachsenden Datenflut wirklich aussehen? Wie werden wir Filme schauen, lesen, shoppen, Partnerschaften leben, wohnen, arbeiten, mobil sein, uns amüsieren? Es zeichnen sich immer mehr umwälzende Neuerungen ab: In China gibt es bereits 570 Millionen Menschen ohne Bankkonto – das Smartphone ist ihr Konto. 3-D-Drucker, die wir bis vor kurzem noch für Science-Fiction hielten, dienen Hightech-Konzernen wie EADS schon heute dazu, effektiver zu produzieren. Forschungslabors arbeiten an »Gewebe«- Druckern, die vielleicht schon bald die kriminellen Entwicklungen im Organhandel beenden werden. Die digitale Revolution erreicht zunehmend unsere Alltagswelt. Das Buch beschreibt, wie unser Leben in nicht allzu ferner Zukunft aussehen wird.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 306

Bewertungen
4,8 (16 Bewertungen)
13
3
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Eike Wenzel | Oliver Dziemba

#Wir

Wie die Digitalisierung unseren Alltag verändert

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

1. Auflage 2014

© 2014 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: DesiréeŠimeg, Gersthofen

Umschlaggestaltung: Maria Wittek, München

E-Book-Umsetzung: Georg Stadler, München

ISBN Print 978-3-86881-507-8

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-461-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86414-462-2

Prolog

Die brisanten Enthüllungen des US-amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden über die Überwachungs- und Spionagepraxis der National Security Agency (NSA) im Jahr 2013 und seine anschließende Flucht haben die Anmutung eines Kriminalromans mit Science-Fiction-Hintergrund: ein postheroischer James Bond, der der Welt ihre Daten- und Technologiegläubigkeit vor Augen führt. Was lange Zeit nur auf das schlechte Kundenmanagement eines Social-Media-Akteurs wie Facebook zuzutreffen schien, wurde plötzlich als große Info-Verschwörung enttarnt: Die Geheimdienste der Five Eyes ebenso wie die großen Internetunternehmen sind schon längere Zeit mit Abhör-, Scanning- und Datenklau-Aktionen zugange, wie wir es bislang nur aus Thrillern kannten.

Haben wir endgültig den Punkt erreicht, an dem Science-Fiction in die Realität kippt? Oder werden wir in den kommenden Jahren in einem Zukunftsentwurf ankommen, wie er in der futuristischen Literatur der 1960er-Jahre entworfen wurde? Seit dem Jahr 2008 sind laut Cisco auf der Welt mehr Maschinen miteinander verbunden als Menschen. Das Internet der Dinge ist also keine ferne Utopie, sondern längst Realität geworden. Die Datenmengen, mit denen wir umgehen, werden sich weiter rasant vervielfachen.

Sind wir also bereits in der Zukunft angekommen? Und was passiert noch? Vom »Ende der Geschichte« (Francis Fukuyama) war in den vergangenen Jahrzehnten häufiger die Rede. Kann es sein, dass wir durch die Digitalisierung der Medien tatsächlich am Ende unserer Vorstellungskraft angekommen sind? Wenn dem so wäre, dann hätten wir eine sehr limitierte und vor allem eine in hohem Maße technologisch beschränkte Vorstellungskraft für die Zukunft unserer Welt. Nein, was wir momentan und in den kommenden Jahren erleben werden, ist nicht die vollendete Zukunft. Aber wir haben einen technologischen Status durch die Computerisierung von Ökonomie und Gesellschaft erreicht, der ab jetzt Dinge in die Tat umsetzen könnte, von denen die Menschheit seit Jahrzehnten und Jahrhunderten träumt: Maschinen werden sich selbst steuern, ganze Fabriken sind vorstellbar, die sich autonom organisieren. Wir werden uns in vielen Branchen an den Roboter als Kumpel gewöhnen, die physisch-virtuelle Revolution der Produktion (Industrie 4.0) wird dezentralisiertes und ungleich flexibleres Produzieren ermöglichen et cetera.

Aber wie wird dann unser Alltag aussehen, wie werden sich unsere Lebenswelten verändern? Werden wir zum Auslaufmodell, zur Staffage, zu den Zaungästen in einem »Technoversum«, das von Maschinen organisiert wird? Das Szenario ist nicht so abwegig, wie es im ersten Moment den Anschein haben mag. Die Mini- und Nanomaschinen, die Mikroprozessoren und mit dem bloßen Auge kaum erkennbaren Datenträger, das werden wir in diesem Buch zeigen, werden uns sprichwörtlich unter die Haut gehen. Rich Lee, ein sogenannter Biohacker, hat sich kürzlich Kopfhörer implantieren lassen. Die Magneten, die es Lee gestatten, kabellos Musik zu hören, bilden ein System, das vor den kleinen Knorpel, den Eingang des Gehörgangs, gesetzt ist. Hinzu kommt ein Sender in Form einer Spule, die Lee um den Hals trägt.

Von einer Normalisierung solcher Einpflanzungen sind wir jedoch noch weit entfernt. Uns ging es mit diesem Buch vielmehr um: Wie entwickelt sich unser Alltag? Wie entwickelt sich unser Liebesleben? Was wird aus unserem Gesundheitsempfinden unter dem Eindruck der Digitalisierung? Uns geht es darum herauszufinden, wie wir als Kollektiv, als Communitys, Konsumenten, Staatsbürger, Lebenspartner, Eltern und Arbeitskollegen mit Big Data und dem digitalen Wandel in den kommenden Jahren umgehen. Worauf müssen wir uns in Zukunft einstellen, wenn wir einen Supermarkt betreten oder von zu Hause aus auf Shoppingtour gehen? Wie sieht das Marketing der Zukunft in der Big-Data-Welt aus, und wie werden wir in dieser Situation unsere Lebensqualität sicherstellen?

Was wir bei dieser Spurensuche im digitalisierten Alltagsdickicht gefunden haben, entspricht erfreulicherweise nicht immer den Erwartungen, die die Öffentlichkeit gegenüber diesem Zukunftsthema hegt. Schon seit Ende der 1990er-Jahre verkünden uns Internetgurus (zu denen unter anderem auch Bill Gates gehört) das Ende des Fernsehens. Keine Frage, das Fernsehen als Programm- und Einschaltmedium verliert immer mehr an Bedeutung. Doch die Lust auf etablierte Fernseh-, Spielfilm- und Unterhaltungsformate ist lebendiger denn je. Vieles, was unter dem Eindruck des Internethypes der vergangenen fünf Jahre als Revolution angepriesen wurde, hat sich für uns als evolutionärer Prozess herausgestellt, der nicht von heute auf morgen die Spielregeln komplett ändert und unsere Alltagsgewohnheiten auf den Kopf stellt. Vieles, was mit futuristischem Aplomb seit Jahren durch Zeitungen, TV-Sendungen und Konferenzen geisterte, wie etwa das vernetzte Zuhause oder Smart Home, tendiert in eine neue Richtung und wird dadurch erst zukunftsfähig. Bei den Smart Homes hat sich beispielsweise herausgestellt, dass ihre Chance eher in einem modernen Energiemanagement liegt als in der Vision von einem Stab digitaler Butler und automatisierter Helferlein (siehe Kapitel 9).

Ökobewusstsein, auch davon konnten wir zu Beginn der Recherche nicht ausgehen, unterhält eine ganz eigene Beziehung zum Digitalisierungstrend. So paradox es klingen mag: Das Thema Nachhaltigkeit wird in Zukunft mehr und mehr durch die digitale Brille betrachtet werden müssen, wenn wir die nächste Stufe der Nachhaltigkeitsrevolution erreichen möchten. Die »Cyber-Ökos«, so nennen wir den entscheidenden Lebensstiltrend, der sich gerade zu formieren beginnt, haben erheblichen Anteil daran. Cyber-Ökos glauben fest daran, dass smarte Technologien und die digitale Revolution der kommenden Jahre für eine bessere Zukunft sorgen können (siehe Kapitel 6). Allerdings wird das kein Selbstläufer sein. Nur wenn es gelingt, das soziale, kommunikative und interaktive Gemeinschaftspotenzial der Digitalisierung tatsächlich in unseren Alltag zu integrieren, wird die »Mission Öko« weitere Fortschritte feiern können.

Dass Vernetzung und Digitalisierung unseren Städten eine neue Vision geben könnten, wird spätestens bei einem Blick in die Zeitungen und Zeitschriften bewusst. Von Smart Citys, Megacitys und anderen digital-urbanen Zukunftsplänen ist immer häufiger die Rede. Der Begriff »smart« steht für Zukunft und Milliardenmärkte und ist eng verflochten mit dem digitalen Fortschritt des urbanen Raums. Wie zufrieden wir morgen leben werden, hängt auch immer mehr von der Frage ab, wie die Stadt der Zukunft aussehen wird, daran besteht kein Zweifel. Doch bei den Recherchen ist uns schnell klar geworden, dass eine »kluge« und zukunftsfähige Stadt in den kommenden Jahren noch mehr auf die verstärkte Partizipation ihrer Bewohner angewiesen sein wird – die Potenzierung digitaler Technologien ist also kein Freifahrtschein in die digitale Zukunft. Mit anderen Worten: Eine durchdigitalisierte Smart City kann es nur geben, wenn die Stadtbewohner sich auch zur »Smart Community« entwickeln dürfen und wollen (siehe Kapitel 7).

Wie werden wir morgen leben? Diese Frage steht bei unseren Untersuchungen häufig im Zentrum des Interesses. Das vorliegende Buch möchte Ihnen einen Eindruck von einer wahrscheinlichen Zukunft in den nächsten Jahren angesichts der rasanten Entwicklungen in der Digitalisierungstechnologie geben. Digitalisierung, das ist uns wichtig, ist kein zivilisatorisches Menetekel, sie führt uns jedoch auch nicht in ein Paradies der Automatismen und der Allverfügbarkeit des Besonderen, Exklusiven und Individuellen. Vor uns liegt die nächste Runde, in der wir uns Gewissheit über uns selbst, unsere Technologien sowie unsere sozialen und ökonomischen Systeme verschaffen müssen. #WIR soll für dieses spannende Zukunftsprojekt einen Anstoß liefern.

Dr. Eike Wenzel

Oliver Dziemba

Smartphone: Fessel oder Freisprechanlage?

Handys erschüttern das diplomatische Gleichgewicht zwischen den NATO-Bündnispartnern USA und Deutschland: Das ausgespähte Mobiltelefon der Kanzlerin macht Weltpolitik und stellte zwischenzeitlich die Verhandlungen über Freihandelszonen zwischen Deutschland und den USA infrage. Die Zukunft unseres Informationskapitalismus findet auch auf mobilen Gadgets statt. Handys sind längst nicht mehr die praktischen, aber eigentlich banalen Mobiltelefone.

In ihrer zerreißenden Janusköpfigkeit wird die Handy-Kommunikation wahrscheinlich eine ganze Ära prägen: In Afrika tragen spottbillige Handys dazu bei, dass sich Menschen aus bitterer Armut und archaischer Abhängigkeit befreien können. In der westlichen Welt beschwören sie hingegen die Gefahr eines Überwachungskapitalismus herauf.

Indem wir mit den Smartphones konsumieren und kommunizieren, machen wir uns zu Kontrollkonsumenten. Speziell über Smartphones wird der Einzelne zur Zielscheibe des digitalen Kontrollmarketings. Jede SMS, jede mobile Transaktion, jeder Schritt lässt sich in den Nutzerdaten der mobilen Kommunikatoren nachvollziehen. Fehlt nur noch, dass die Smartphones uns unsere eigene Zukunft vorbuchstabieren. Und selbst das findet bereits statt.

Es ist höchste Zeit, die Naivität gegenüber den tragbaren Telefonapparaten abzulegen. In den nächsten Jahren kommt es darauf an, die mobile Revolution zu durchschauen, bevor ihre Algorithmen beginnen, Macht über unsere Lebensentwürfe zu ergreifen.

Was kommt nach der Suchmaschine? Und was hat das mit dem Hype auf dem Gebiet der mobilen Kommunikation zu tun? Fest steht, es wird eine mächtige Internetdienstleistungswelt nach dem Suchmaschinen-Primat geben. Suchmaschinen haben das Internet und definitiv auch unser Handeln, Denken, Leben und Konsumieren verändert. Viele junge Menschen, die Mitte der 2000er-Jahre ihre erste Begegnung mit dem Internet hatten, dachten, die Google-Suchmaschine sei das Internet.

Und Google hat seinerseits mit der kommerziellen Auswertung seiner epochalen Suchmaschine ganz nebenbei den Werbemarkt revolutioniert. Rund 40 Prozent der Onlinewerbung in den USA fließen derzeit in die kleinen diskreten Anzeigen innerhalb der Suchmaschinen-Ergebnisliste – und Google ist mit 75 Prozent Marktanteil der unbestrittene Marktführer auf dem Gebiet. Insgesamt 43 Milliarden Euro verdiente Google im Jahr 2012 mit Werbung, 95 Prozent des Konzerngewinns kommen aus der Werbung. Google ist ein Werbekonzern. Doch auch bei Google heißt jetzt die oberste Priorität: »Mobile First«.

Suchmaschinen – sie haben unsere Wirklichkeitswahrnehmung dramatisch verändert und waren das Supergeschäftsmodell der 2000er-Jahre. Jetzt möchte Google (und viele andere auch) für uns die Zukunft entwerfen. Und diese wird auf Smartphones stattfinden. Seit 2012 werden weltweit 1 Milliarde Smart­phones verkauft. Wohlgemerkt: 1 Milliarde der teuren Multigeräte. Insgesamt werden 2014 laut übereinstimmender Expertenmeinung weltweit mehr als 2 Milliarden Mobiltelefone über die Ladentheke gehen. Auf mehr als 500 Millionen Geräten weltweit läuft die Google-Software Android, Apple mit seiner iOS-Plattform kommt auf rund 370 Millionen Geräte. Mithilfe von Android und den Smartphones will Google herausfinden, nein: konzipieren, was wir immer schon dringend haben wollten, bevor wir es selbst wissen. Geht es nach Google-Gründer Larry Page, sollen die intelligenten Smartphones uns den Weg in die unmittelbare Zukunft bahnen. Steve Jobs hat genau diese Fähigkeit zur Antizipation von Wünschen und Sehnsüchten noch zur Angelegenheit seines Bauchgefühls erklärt. Google und ein Heer an Start-ups, von denen die meisten selbst aus dem Hause Google kommen, behaupten, dafür einen Algorithmus gefunden zu haben. Predictive Apps beispielsweise sollen uns dabei helfen, nie wieder unpünktlich zu einem Meeting zu erscheinen oder die Straßenbahn zu verpassen. Dafür müssen die antizipationsfähigen Telefone in unserer Hosentasche aber zuerst einmal unsere Lebenskontexte verstehen. Vor allem darum wird es in den nächsten Jahren gehen: die Datenspuren unseres privaten Lebens lesen zu können. Ob wir als arglose Handynutzer das wollen, ist eine andere Sache.

Vom tragbaren Telefon zum Alltagsgehirn: Communication – Content – Context

Bei der mobilen Datenzukunft geht es um Kontexte. Kommunikation, Inhalt (Content), Kontext – mit diesem Dreiklang lässt sich die transformative Entwicklung in der mobilen Kommunikation seit Ende der 1990er-Jahre beschreiben. Kontext wird das große Trendthema sein, das Mobile-Marketing-Experten und vor allem den kriselnden Handel in den nächsten Jahren beschäftigen wird. Kontext bedeutet: Dort, wo sich ein Konsument gerade (mit seinem Smart­phone in der Tasche) befindet, wird er auf Sonderpreise, Einkaufs- und Essensmöglichkeiten et cetera hingewiesen.

Der erste Schritt in der mobilen Revolution war in den 1990er-Jahren das mobile Telefonieren. Der zweite Schritt bestand in der Nutzung von mobilen Inhalten (Content) seit Ende der 1990er-Jahre. Die kommenden zehn Jahre werden geprägt sein von der Nutzung der Smartphones als Einkaufs- und Organisationsmaschinen des Alltags. In den lebensweltlichen Kontexten, in denen sich der Nutzer gerade befindet, wird er über Smartphone, iWatch, ­Go­ogle Glass, Augmented Reality et cetera auf Kaufgelegenheiten aufmerksam gemacht.

Bis vor kurzem galten Smartphones und Apps als hervorragende E-Commerce-Instrumente. Da ohnehin schon rund die Hälfte der Internetnutzung unterwegs stattfindet, war es naheliegend, auch die Einkaufsmöglichkeiten via Handy und mobiler Shopping-Seiten weiter zu optimieren. GPS-Navigation, Targeting und Location-based Services eröffnen vielen Marketern jetzt völlig neue Wege. Mobiles Marketing ist plötzlich keineswegs mehr der Totengräber des stationären Handels. Ganz im Gegenteil: Gerade der als wenig zukunftsoffen und als Heulsuse geltende Handel beginnt den Nutzwert von mobilen Onlinewerkzeugen für das stationäre Geschäft zu entdecken.

Location-based Marketing heißt eines der neuen Zauberworte. Der Kundenansprache via GPS und Targeting kommt der Megatrend entgegen, wonach gerade junge Menschen den Kiez, also ihre eigene Lebenswelt als Ort für Konsum und Genuss entdecken (Kiezmärkte). Das Europäische Handelsinstitut spricht in Anlehnung daran und an die Third-Place-Idee von Starbucks etwas umständlich von »dritten Räumen«, die künftig einen Verschmelzungspunkt zwischen Online- und Offlinemarketing darstellen.

Von SoLoMo zu kontextsensitivem Marketing

»Mobile First« ist bei den Technologiegiganten von Google bis Apple als Schlüsselstrategie für die kommenden Jahre ausgegeben worden. Durch die Smartphones und das mobile Internet, so ihre Hoffnung, wird das Internet endlich, endlich zum Big Business. Nach einer Untersuchung des Mobile-Analysten Flurry wird in den USA schon Ende 2011 das mobile Werbeinventar allein in Apps so viel wert sein wie die gesamte Bannerwerbung im klassischen Internet. Ein Buzzword jagt das nächste. Bis vor kurzem galt SoLoMo(Social – Local – Mobile) noch als die Glückformel: Wer die Nutzer der Zukunft ansprechen wollte, musste seine Strategien so einrichten, dass sie in den Social Media stattfinden, sich mit lokalem Business und dem lokalen Mobilfunknutzer eng verzahnen lassen – sowie selbstverständlich im mobilen Internet stattfinden. Jetzt reden wir in erster Linie davon, dass das mobile Marketing der Zukunft kontextsensitiv sein muss: Wer die Handynutzer in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld, in den banalen, lebensweltlichen Kontexten – beim Einkaufen, beim Flirten, beim Essen – auf den Radar bekommt, der wird den Onlinemarkt der kommenden Jahre dominieren. Und die Zielgruppe der SoLoMos, der lokal interessierten, mobil kommunizierenden und sozial vernetzten Konsumenten, hat bereits eine stattliche Größe erreicht. Rund 70 Prozent der 18 Millionen deutschen Smartphonenutzer lassen sich von ortsbezogenen Digitaldiensten leiten, 36 Prozent setzen ihr Gerät für Shopping-Apps ein, wie eine Studie von Universal McCann schon Ende 2011 zeigte.

Den sogenannten Second Screen, also die Parallel- oder Nebenbeinutzung von Medien vor dem Fernseher, hat es früher schon gegeben. Denn wir haben uns längst daran gewöhnt, zum Beispiel beim Grand Prix Eurovision de la Chanson via SMS abzustimmen. Auch das macht die enorme Wichtigkeit des mobilen Mediums aus: Mithilfe einer so unscheinbaren Technologie wie SMS haben wir schnell eingewilligt, eine so zementierte Gewohnheit wie das Fernsehen zu verändern. Seit wir uns über SMS leicht an Abstimmungen beteiligen können, läuft der Samstagabend im heimischen Wohnzimmer signifikant anders ab. Das Fernsehen ist längst nicht mehr nur ein Fenster zur Welt und ein passives Unterhaltungsmedium – Fernsehen plus SMS erreicht uns direkt in unseren eigenen vier Wänden. 2013 war auch hier ein Schlüsseljahr, das beeindruckende Zahlen lieferte. Denn in diesem Jahr, so weist es der »Tomi Ahonen Mobile Forecast 2012–2015« aus, stimmten mehr Menschen weltweit in TV-Shows ab, als es Fernsehgeräte auf der ganzen Welt gibt.

Eine Technologie wie die SMS bricht mit Vehemenz in unseren Alltag ein und verändert unsere Gewohnheiten – manchmal sogar dort, wo wir es beim besten Willen nicht erwarten: wie etwa in Lemgo, einer Kreisstadt in Ostwestfalen. Selbst hier hat die Revolution der Unterwegskommunikation längst stattgefunden. In der gediegenen 42.000-Einwohner-Gemeinde ist es selbstverständlich, dass die Bürger ihre Straßenlampen mit der Fernsteuerung ausschalten können, die über ein Smartphone funktioniert. Die Software dazu heißt »Dial4Light« und macht die dezentrale Steuerung von Straßenlampen in Nebenstraßen möglich. Möchte ein Bewohner den Hund vor dem Schlafengehen unter Beleuchtung noch einmal schnell ausführen, kann er eine Premium-SMS versenden, die 50 Cent kostet und Straßenbeleuchtung für 15 Minuten spendet. Eine gelungene Innovation und umweltpreisverdächtig: Lemgo spart durch die »On-Demand-Straßenbeleuchtung« jährlich 50.000 Euro an Stromkosten.

Natürlich werden die Mobiltelefone in erster Linie unseren Umgang mit Information neu gestalten. Wie intensiv die Menschen mittlerweile Nachrichten über ihr Mobiltelefon beziehen, ist vielen Tageszeitungsverlagen offenbar immer noch nicht klar. Ansonsten hätten sie sich längst schon auf diesen neuen Markt der ganz schnellen Information gestürzt. Laut einer Recherche der Londoner Times rufen britische Handynutzer 40 Mal pro Tag Nachrichten auf ihrem Smartphone ab. Pure Nachrichten, News, die schnelle und aktuelle Information, sind längst kein Privileg von Radio, TV oder Tageszeitung mehr – das Smartphone wird in Zukunft das Leitmedium für »News-Alerts« sein.

Spielgeräte der Zukunft?

Das Smartphone sei das Leitmedium für das lebensweltliche Dazwischen, für Langeweile und Zeitvertreib geworden, so hat es einmal der IT-Milliardär Marc Cuban in seinem Blog formuliert. Smartphone- beziehungsweise Tablet-Apps stehen künftig auch im Mittelpunkt, wenn es um die Zukunft des Entertainmentmarkts geht. Beispiel Gaming: Die Spiele der Angry-Birds-Reihe von Rovio wurden mehr als 1 Milliarde Mal heruntergeladen. Die Zahl ist längst veraltet, während wir sie hier aufschreiben. Das kostenlose Jagdspielchen hat den globalen Spielemarkt gekippt. Wer nutzt heute noch Spielekonsolen oder setzt sich zum Daddeln an einen Computer und gibt viel Geld für Videospiele aus?

Freemium ist das Prinzip bei Rovio und vielen anderen erfolgreichen Smartphone-Spieleentwicklern: Angry Birds wurde als iPhone- und iPad-Spiel in der Basisversion zunächst als kostenlose App vertrieben. Das finnische Unternehmen verdiente sein Geld anschließend mit Erweiterungen der Spiel­idee über Micro Transactions, aber auch im Bereich Merchandising und im Film. Als die ballernden Vögel auch die Google-Plattform Android eroberten, wurde Angry Birds innerhalb von nur sieben Monaten insgesamt mehr als 200 Millionen Mal heruntergeladen. 2011 ging Rovio Entertainment an die Börse. Mittlerweile wird der Wert des Unternehmens auf über 1 Milliarde US-Dollar geschätzt. Im März 2012 übernahm Rovio das Entwicklungsstudio Futuremark Games Studio des 3-D-Benchmark-Herstellers Futuremark. Im Juli 2012 brachte Rovio Amazing Alex (iOS und Android) auf den Markt, das in weniger als 24 Stunden die Liste der meistgekauften Apps anführte. 2012 verdoppelte Rovio seinen Umsatz von 75,6 Millionen Euro auf 152,2 Millionen Euro. Rovio ist damit das globale Vorbild, von dem sich lernen lässt, wo der lukrative Spielemarkt der Zukunft stattfindet: auf dem Smartphone und dem Tablet-Computer.

Gree, ein japanischer Spieleentwickler, ist erst seit zehn Jahren auf dem Markt, hat in dieser Zeit aber schon mehr als 3.000 Spiele für Smartphones entwickelt. Im ersten Halbjahr 2013 setzte das Unternehmen 1,1 Milliarden Euro um – fünfmal so viel wie noch vor drei Jahren. Und diese Entwicklung betrifft nicht nur das handyverrückte Japan: In Deutschland wird sich laut Pricewaterhouse Cooper der Markt der online und mobil gespielten Games bis 2016 mehr als verdoppeln und dann knapp 980 Millionen Euro Umsatz anpeilen.

Eine alte Trendforscherweisheit besagt: Man kann sich Megatrends, also den großen Veränderungsbewegungen in Wirtschaft und Gesellschaft (zum Beispiel Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Alterung, Individualisierung), nicht entziehen. Das stimmt nach wie vor. Und es trifft vor allem auf die Nutzung der digitalen Medien zu.

Doch die meisten Handyverweiger, -skeptiker und -phobiker definieren ihre Abneigung über das esoterische Strahlenthema. Dass digitale Unterwegskommunikation stattfindet, wird kaum noch ernsthaft hinterfragt. Mobile Kommunikation dringt scheinbar unaufhaltsam in alle Fasern unserer Privat- und Intimwelt vor. Selig die Zeiten, als wir nur das Fernsehen in unserer Privatwelt zu Gast hatten und dieses wenig invasive Gerät uns das »Fenster zur Welt« öffnete. Das Smartphone ist überall dabei: Laut MMA haben 91 Prozent der amerikanischen Mobiltelefonnutzer ihr Gerät 24 Stunden pro Tag an sieben Tagen in der Woche aktiviert. Die US-Forscher von 11mark haben in einer Studie herausgefunden, dass drei von vier amerikanischen Handybesitzern ihre geschäftliche Korrespondenz telefonisch, per E-Mail oder Social Media (auch) von der Toilette aus abwickeln.1

Jedenfalls mehr als ein Telefon

Ein Smartphone ist kein Telefon mehr. Wir benutzen einstweilen noch das Substantiv »Phone«, weil Minicomputer auch nicht besser klingt und ebenfalls an vergangene Etappen der Technologieentwicklung erinnert. Telefone (auch Mobiltelefone) haben wir dafür benutzt, um Distanzen zu überbrücken und kommunizieren zu können. Die Smartphonezukunft wird darin bestehen, unsere engen und begrenzten Alltagsräume besser zu organisieren. Vor 15 Jahren und selbst vor 10 Jahren ging es fraglos noch um Telefonie. In den 2000er-Jahren war Nokia der vielleicht erfolgreichste Konzern der Welt.

Nokia gibt es nicht mehr. Steve Ballmer, der ehemalige CEO von Microsoft, hat den Rückzug aus seinem Amt ausdrücklich mit dem Scheitern auf dem Smartphonemarkt begründet. Blackberry, in den 2000er-Jahren für die globale Managementelite die Nabelschnur zur Businesswelt, hat längst vor der Smartphonerevolution kapituliert. Als Smartphonepionier gestartet, hat das kanadische Technologieunternehmen lange Jahre komplett den Hype um Touchscreens, Apps und Tablets verschlafen. Es sucht gerade händeringend einen Käufer und entlässt einstweilen ein Viertel seiner Belegschaft. Blackberry beschäftigte einst bis zu 20.000 Mitarbeiter, doch im Geschäftsjahr 2012 brach der Umsatz um 1 Milliarde US-Dollar ein.

Aber wir haben es endlich geschafft: Seit 2013 gibt es weltweit mehr Mobilfunkanschlüsse als Menschen. Überall-Kommunikation transformiert unseren Alltag. Überall, im Lokal, in der Schule, im Zug oder beim Einkaufen, entstehen punktuelle Quasi-Öffentlichkeiten, die früher einmal zu unserem Privatleben gehört haben. Mobile Kommunikation stellt unsere Normalität, den Alltag zwischen Frühstückstisch und Büro, auf den Kopf.

Showrooming: Clevere Konsumenten und rechtzeitig aufgewachte Händler

Groß ist die Angst, dass die invasiven Kommunikationsapparate das Geschäft des braven Händlers kaputtmachen. Das schöne Wörtchen »Showrooming« erzählt davon. 2011 wurden immer mehr Einkäufer registriert, die mit ihrem Smartphone in einen Laden marschierten, dort Produkte begutachteten, kurz einen Preisvergleich im mobilen Internet anstellten – und den Laden wieder verließen. Weltweit operierende Unternehmensberatungen ließen die Alarmglocken läuten: »Wie Sie Ihr Geschäft gegenüber dem mobilen Beratungsdiebstahl absichern können« – diese und ähnliche Sofortmaßnahmen wurden zu Studien und Beratungsmandaten aufgeblasen. Neunmalkluge Händler verbannten umgehend WLAN aus ihren Läden (und damit auch einige treue Kunden). Der neue Volkssport Showrooming (Vor-Ort-Preisvergleiche mit den Smartphones und Suchanfragen via Smartphone), die Zahlen hatten die Forscher von Deloitte schnell parat, beeinflusst rund 5 Prozent der stationären Einkäufe (2016: 19 Prozent). Eigentlich kein Grund zur Panik. Mehr noch: Deloitte fand heraus, dass Smart­phonekunden um 14 Prozent häufiger ihre Onlinerecherchen in Käufe vor Ort umsetzen als diejenigen Kunden, die kein Showrooming betreiben.

Der Einzelhandelsgigant Walmart zerbrach sich frühzeitig den Kopf darüber, wie er seine Kunden vom Showrooming abhalten könnte. Denn niemand lässt das Handy mehr im Wagen, wenn er einen Laden betritt. Die Entscheidung: eine intelligente Walmart-App. Diese geht in den Einkaufsmodus, sobald der Kunde eine Walmart-Filiale betritt, das heißt, sie gibt dem Kunden Kaufempfehlungen. Findet der Kunde im Laden nicht das, was er sucht, kann er umgehend auf der Walmart-Webseite bestellen. Die Strategie, technologiegetriebenes Kundenverhalten schnell zu integrieren und keine Verbote zu verhängen, hat sich für Walmart übrigens schon ausgezahlt. Zwölf Prozent der Umsätze mit der ­Walmart-App werden von Kunden gemacht, die sich aktuell im Laden befinden. Der nicht zu unterschätzende Nebeneffekt: Walmart schafft über Showrooming eine überzeugende Situation, die Kunden vor Augen führt, wann es sinnvoll sein könnte, bei Walmart online zu kaufen und nicht zur Konkurrenz zu springen.

Eine aktuelle Studie von MMA unterstützt diese Annahme und kommt zu dem Ergebnis, dass die Nutzung von Smartphones im Laden bei 49 Prozent der Konsumenten die Kaufentscheidung unmittelbar beeinflusst. Und laut den Forschern von Mondelez steigert die Nutzung von Mobiltelefonen die Rate der Impulskäufe beim stationären Shopping um 18 Prozent. Die mobile Konsumrevolution findet zwar statt – aber sie bringt den stationären Handel nicht zum Scheitern.

M-Pesa-Revolution, Silicon Savannah und die Allverfügbarkeit von Kommunikation

US-Präsident Barack Obama hat seine Wiederwahl über kluge und umfangreiche Big-Data-Maßnahmen gewonnen. Er hat auf exzessive Weise einen digitalisierten Wahlkampf geführt, und dieser fand speziell auch auf dem Smartphone statt: Über eine SMS-Kampagne hat Obama wahrscheinlich mehr als 3 Millionen Wählerstimmen eingeheimst. Am Wahltag, sozusagen nur einige Stunden bevor die nationalen Medien das Ergebnis verkündeten, wurden über die Mobiltelefone noch einmal entscheidende Wählerstimmen gewonnen. Wer Obama-SMS auf seinem Smartphone erlaubte, wurde mit der Bitte konfrontiert, schnell einen Anruf im Dienste des Präsidenten zu machen und noch einmal Freunde, Facebook-Kontakte und Bekannte zum Wählen Obamas zu überreden. Zehn Prozent der Obama-Fans taten das. Von insgesamt 64 Millionen Wählern griffen also 6,4 Millionen Menschen zum Telefon. Experten gehen davon aus, dass 50 Prozent der digitalen Wahlaufrufe für Obama tatsächlich in Obama-Stimmen umgemünzt wurden, das macht gigantische 3,2 Millionen Wählerstimmen. Der Schluss liegt nahe, dass nicht nur Social Media die Wahl gewonnen haben, sondern vor allem auch das Aschenputtelmedium SMS, mit dem sich eine Menge freiwilliger Wahlhelfer kurzfristig aktivieren ließen. Obamas Vorsprung betrug am Ende gerade einmal 5 Millionen Stimmen.

So unscheinbar die SMS daherkommt – sie schleicht sich auf jedes der weltweit 5 Milliarden Mobiltelefone mit unglaublicher Aufmerksamkeitsstärke. Dem Great British Mobile Marketing Report von 2012 zufolge werden 97 Prozent aller SMS-Botschaften tatsächlich auch gelesen, wohingegen gerade einmal 20 Prozent aller E-Mails gelesen werden – SMS sind also um den Faktor fünf zielsicherer als Mailings. Und mehr noch: Sie werden innerhalb der ersten fünf Sekunden nach Erhalt geöffnet. SMS sind also auch noch unglaublich schnell, bis zu 34.500-mal schneller als E-Mails, die gewöhnlich innerhalb von 48 Stunden geöffnet werden. Und Direktvermarkter haben Grund zu frohlocken: SMS können eine durchschnittliche Responserate von 26 Prozent nachweisen, das ist um das Fünffache aktiver als E-Mails.

Simple Datenübertragung via Handy verändert auch andernorts vieles. Zum Beispiel in Afrika. M-Pesa hat die Finanzwelt in Kenia revolutioniert und basiert eigentlich auf der simplen SMS-Technologie. M-Pesa ergänzt die Funktionen der SIM-Karte des Telefons durch sogenannte SIM-Toolkit-Erweiterungen, die Käufer und Verkäufer bei einer Transaktion nutzen können. M-Pesa ist damit ohne weitere technische Voraussetzungen mit nahezu jedem Mobiltelefon auf dieser Welt nutzbar. Die Geldbeträge wechseln also über eine einfache SMS den Besitzer.

SMS-Transaktionen stützen in Afrika ganze Volkswirtschaften. Im ersten Halbjahresbericht 2011 gab der kenianische Mobilfunkanbieter Safaricom die Zahl der M-Pesa-Nutzer mit 14,9 Millionen an. Damit nutzten rund 80 Prozent der kenianischen Mobilfunkkunden den Service. Mehr als 200 Millionen Euro werden inzwischen monatlich in Kenia via Handy überwiesen. Zum Vergleich: Der Gesamtumsatz mit Kreditkarten beträgt in Kenia derzeit rund 300 Millionen Euro pro Monat. Wer jetzt denkt, dass diese Transaktionstechnologie nur für Schwellenländer bestimmt sei, täuscht sich. Im Frühjahr 2014 wird das SMS-Konto, von acht Großbanken unterstützt, in Großbritannien an den Start gehen. In Kenia werden nach Angaben von M-Pesa – man höre und staune – 25 Prozent aller Transaktionen des Landes via M-Pesa abgewickelt.

Im sogenannten Silicon Savannah in Kenia kann man studieren, was »Mobile First« wirklich bedeutet. Wo es ansonsten kaum Infrastrukturen gibt, sind mobile Kommunikationsapparaturen ein Segen. In Afrika ist das Mobiltelefon die Nabelschnur zum Weltmarkt, ohne die der momentane Aufbruch in dem Schwellenland nicht vorstellbar wäre. Man nennt dieses Phänomen auch Reverse Innovation. Noch in den 2000er-Jahren war klar, dass die bahnbrechenden Innovationen aus der westlichen Welt kommen und – mit entsprechender zeitlicher Verzögerung – in alle Ecken dieser Welt vordringen. In der Welt der mobilen Kommunikation ist das nicht mehr der Fall: Immer mehr Innovationen kommen von den Rändern dieser Welt. Die niedrigschwelligen Technologien fordern das geradezu heraus. Ganz simpel über WAP und SMS funktioniert zum Beispiel der SlimTrader, eine afrikanische Business-App für Klein- und Kleinstunternehmer. Mit SlimTrader können Kunden, Händler und Produzenten Transaktionen durchführen, ohne ein eigenes Bankkonto haben zu müssen. SlimTrade hat als großes Vorbild das M-Pesa-System. Wichtig: Nicht alles, was die Welt heute verknüpft, muss online funktionieren. SlimTrade benötigt keinen Internetzugang und ist daher ein höchst praktisches Feature für die Kleinwirtschaft in Afrika.

Aufmerksamkeit für die Millisekunde: Wie Werbung künftig »auf uns zielt«

Das Smartphone macht uns selbst endgültig zur Datenquelle. Was wir tagsüber oder in der Nacht mit dem Mobiltelefon tun, wird protokolliert, ist nachvollziehbar und deshalb auch kommerziell verwertbar. Unsere Spur in den Mobilfunknetzen und auf Webseiten lässt Rückschlüsse über unsere Persönlichkeit, unser Konsumverhalten, unsere Wünsche, Sehnsüchte und Ängste zu. Das Smartphone ist das Einfallstor zur endgültigen Erschließung unseres Lebenswandels und unserer Biografie als Datenstrom.

Real-Time Bidding liefert Echtzeitdaten vom Einkaufsverhalten der Konsumenten, die mit einem Smartphone unterwegs sind. Werbetreibende bekommen so direkten Zugriff darauf, wie Onlinewerbung, digitale Coupons et cetera funktionieren, und können jederzeit Angebote verwerfen oder feinsteuern. Der Nutzer, der mit seinem Mobiltelefon einen Laden betritt, wird nicht mehr von Werbung genervt beziehungsweise informiert, er wird – überspitzt formuliert – wie ein hilfsbedürftiger Greis zielsicher zum Regal geführt und braucht nur noch zuzugreifen.

Zeitgleich zum Real-Time Bidding etabliert sich in unserem Alltag so etwas wie ein Real-Time Tracking aller Smartphonenutzer für die Echtzeitauswertung und -optimierung von Werbeaktionen. In den USA schießen zurzeit Spezialagenturen für die Echtzeitmessung von Medialeistung wie Pilze aus dem Boden. Und klassische Webanalyse-Agenturen, die mit dem Echtzeittrend mithalten wollen, lizenzieren Technologien von Echtzeit-Datenspezialisten oder kaufen diese, wie jüngst die Agentur Webtrends das Real-Time-Datentracking-Unternehmen Reinvigorate. Werbung avanciert zur Echtzeitüberwachung notdürftig anonymisierter Mobilfunknutzer. Dienstleister wie Your Ad Track, Advertpro oder URL messen und übermitteln in Echtzeit, welcher User wann von welcher Webseite kommt, auf welchen Link er geklickt hat et cetera. Auf der Entwicklerkonferenz f8 stellte Facebook 2011 sein neues Timeline-Feature vor, mit dessen Hilfe Statusmeldungen, Fotos und Videos chronologisch in einer Zeitleiste erfasst und somit Nutzerprofile in durchsuchbare multimediale Tagebücher verwandelt werden können. Amazon hat angekündigt, künftig mit seiner Long-Tail-Technologie (»Kunden, die dieses Buch gekauft haben …«) Werbevermarkter zu unterstützen. Für werbetreibende Unternehmen bedeutet das, präzises Targeting für extrem spitze Zielgruppen mit relevanter Käuferreichweite zu kombinieren.

Real-Time Bidding hat seinen Ursprung im Auktionsmodell für Textanzeigen von Google. In den USA gehört es schon seit ein paar Jahren zu den stark wachsenden Trends des Onlinewerbemarkts. Dort hat Forrester Research in einer Studie für das Jahr 2010 einen Umsatz von 353 Millionen US-Dollar über Real-Time Bidding errechnet. Im Jahr 2011 soll sich der Umsatz nach Expertenschätzung verdoppelt haben. IDC prognostizierte für den deutschen Real-Time-Advertising-Markt einen Umsatz von 168 Millionen US-Dollar in 2012. Der Umsatz soll bis 2016 auf 692 Millionen US-Dollar wachsen.

Automatisierte Onlinewerbebörsen, die in Millisekunden günstige Werbeplätze verkaufen, ersetzen nicht nur den zahlenfesten Mediaplaner aus Fleisch und Blut. Sie stützen längst den Werbemarkt im Internet, der bislang zwar hohe prozentuale Zuwächse verkündet, aber noch wenig Geld in die Kassen der Verlage spült. Im Dezember 2012 stieg Der Spiegel beim Real-Time Bidding ein. Die Technologie ist also längst im Einsatz, ohne dass der Spiegel-Online-Leser davon ausdrücklich Kenntnis hat. Das sollte er vielleicht, denn der geschätzte Webseitenbesucher ist das eigentliche Produkt, um das es dabei geht. Beim Real-Time Bidding wird die durchschnittliche Ladezeit einer Webseite von 2,6 Sekunden ausgenutzt und die Werbeplätze innerhalb von wenigen Millisekunden versteigert. Die Real-Time-Bidding-Plattform ermittelt den Auktionspreis bereits innerhalb von 30 Millisekunden bei durchschnittlich zehn Werbenetzwerken. Dabei werden die Käufer (also die Werbetreibenden) »gefragt«, zu welchem Preis sie bereit sind, in dieser Sekunde um eine bestimmte Ad Impression zu buhlen.

Um es noch einmal zu betonen: Nicht nur der Werbeplatz allein, sondern das Profil des jeweiligen Users mit relevanten Daten sowie das Inhaltsumfeld für die Platzierung werden von Mobile- und Onlineanbietern verkauft. Unternehmen »markieren« also ihre Besucher und deren Suchanfragen, um diese per Retargeting bei der Nutzung anderer Webseiten wiederfinden zu können. Klar ist auch: Je mehr dabei über den Nutzer bekannt ist, desto wertvoller wird diese Ad Impression.

In der Hosentasche des Werbekunden

Die Werbezukunft steht einem vor diesem Hintergrund klar vor Augen: Smartphones sind einzigartige Werbeplattformen, die wir tagtäglich in der Hosentasche bei uns tragen. Werbung kann dem Einzelnen im Grunde nicht mehr näher auf den Pelz rücken. Techniken wie das Real-Time Bidding machen es möglich, dass Industrie, Marken und Werbetreibende die Nutzer quasi in Echtzeit adressieren können. Und sie können die von ihnen bevorzugten »Zielkonsumenten« treffsicher vor Ort und zur richtigen Zeit ansprechen, um direkt Kaufprozesse auszulösen. Jetzt wird klar, warum »Kontext« das neue Buzzword der Werbeindustrie ist. Kontextsensibilität von mobiler Kommunikationstechnologie heißt: Über das Smartphone schleicht sich das Marketing unaufhaltsam in unseren Alltag.

Die Methoden, mit denen sich Mobilanbieter und Werbekunden in den nächsten Jahren an unsere Fersen heften werden, werden gerade verfeinert. Retargeting nennt sich ein Verfolgungsverfahren, bei dem die Besucher einer Webseite markiert, vom System erinnert und anschließend auf anderen Webseiten mit gezielter Werbung wieder angesprochen werden können. Das ist Kundenpflege der ganz besonderen Art: Ein Nutzer, der schon einmal Interesse für eine Webseite oder ein Produkt gezeigt hat, wird erneut mit Werbung für die Seite, das Produkt oder eine Produktgruppe angesprochen. Aufgeweckten Konsumenten ist Retargeting mit Sicherheit schon aufgefallen: wenn beispielsweise eine Anzeige für ein Produkt, das man vorher angesehen hat, auf einer anderen Webseite wieder erscheint. Viele Nutzer fühlen sich ausgespäht und bevormundet, wenn sie immer wieder Werbebanner von exakt den Produkten vorgesetzt bekommen, die sie sich Tage zuvor in einem Online-Shop angesehen oder gekauft haben. Diese Methode wird daher in Zukunft voraussichtlich heftig in die Kritik geraten. Für die Werbeindustrie bedeutet Retargeting jedoch eine Möglichkeit, sich an den flüchtigen und nörgelnden Onlinekonsumenten zu heften. Firmen wie TellApart sind Spezialisten dieser Form der Onlinewerbung. Das 2009 von Mark Ayzenshtat und Josh McFarland gegründete Start-up ist, wie fast alle Targetingspezialisten, aus Google heraus entstanden. Beide Jungunternehmer arbeiteten zuvor an Google-Diensten wie AdWords mit.

Targeting liefert für Werber nachweislich mehr Wirkung: Rund 7,5 Prozent der Besucher, so behauptet es zumindest TellApart, klicken auf die personalisierten Anzeigen – eine deutlich höhere Click-Rate als bei generischen Anzeigen. Und immerhin 4,5 Prozent derjenigen, die eine solche Reklame anklicken, schließen auch einen Kauf ab. Bei Targeting arbeiten die Algorithmen im Grunde wie ein Verkäufer im Laden, nur zuverlässiger, und sie stellen dadurch persönliche Daten zur Verfügung. Wenn man einen Laden betritt, entwickelt ein kluger Verkäufer ebenfalls ein Kundenprofil, basierend darauf, welche Kleidung man trägt, mit wem man in den Laden kommt, ob man bereits Tüten anderer Läden dabeihat et cetera. Targeting in der mobilen Onlinewelt entwickelt daraus allerdings hochpersönliche Datensätze, die ohne Einwilligung des Smartphonenutzers kapitalisiert werden.

Beim Behavioral Targeting beispielsweise wird angenommen, dass das Interesse eines Users in der Vergangenheit mit seinem gegenwärtigen Interesse gleichzusetzen ist. Wer einmal zum Opfer von Behavorial Targeting wurde, ist schnell genervt, da es vorkommen kann, dass einem immer wieder ein bestimmtes Produkt angeboten wird, obwohl man genau dieses oder etwas Ähnliches bereits vor Wochen gekauft hat. Semantisches Targeting