Wissenschaftlich erwiesen - Florian Fisch - E-Book

Wissenschaftlich erwiesen E-Book

Florian Fisch

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Beschreibung

Ist das (vermeintliche) Qualitätsmerkmal "Wissenschaftlich erwiesen" noch glaubwürdig? Florian Fisch gibt Antworten!

Das E-Book Wissenschaftlich erwiesen wird angeboten von Wiley-VCH GmbH und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Biowissenschaften, Chemie, Naturwissenschaften, Physik, Wissenschaft, Wissenschaftsstreit

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Inhaltsverzeichnis

Cover

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Titel

Autor

Impressum

Überden Autor

Dank

Einführung – Wahrheit istgesund

1 Marktschreier der Wissenschaft – Werden Rotweintrinker älter?

Französisches Paradox befeuert Spekulationen

Lebensverlängernde Wunderpille Resveratrol

Irrationale Angst vor dem Essen

Gute Studie ist teuer und will Weile haben

Wahrheit ist undemokratisch – zum Glück

Aufrichtige Suche nach der Wahrheit

Nicht ohne meinen gesunden Menschenverstand

Neue Krise in der Wissenschaft

Aufstieg der Pop-Wissenschaft

Die Tücken von Alkohol-Studien

Alkohol schadet – Freude bereitet er trotzdem

2 Gefährliche Zweifer – HIV ist tödlich

Eine Krankheit taucht aus dem Nichts auf

Peter Duesberg: Der Großvater aller AIDS-Leugner

Wer ist eigentlich der Krankheitserreger?

AIDS-Leugner oder Whistleblower?

Reise zum Ursprung von HIV

Verschwörungstheorien sprießen aus dem Boden

Kontaminierte Impfungen wurden ernsthaft geprüft

Konsens ist keine Geschmackssache

Wie kann der Konsens ermittelt werden?

Duesbergs Fan-Gemeinde

30 000 Neugeborene wurden unnötig angesteckt

Quellen und weiterführende Literatur

3 Erzwungene Einigkeit – Genetik ist keine Ideologie

Der Mann hinter Wawilows Niedergang

Vernalisation: Eine potemkinsche Wissenschaft

Genetik: Eine bürgerliche Abart

Lyssenkoismus: Eine neue Form der Wissenschaft

Eine von Religion befreite Diskussion

Lyssenkoismus außerhalb der Sowjetunion

Die DNA-Doppelhelix als kolossale Bestätigung der Genetik

Das langsame Ende des Lyssenkoismus

Der Schaden lässt sich kaum bemessen

Quellen und weiterführende Literatur

4 Interview mit der Soziologin Karin Knorr-Cetina: »Wahrscheinlichkeiten sollten uns zum Handeln bewegen«

Interview mit Karin Knorr-Cetina

5 Versteckter Glaube – Moral gegen Evolutionstheorie

Der Mensch erscheint am sechsten Tag

Reise zu den Wundern der Welt

Verfassung der USA vs. Kreationismus

Große Verhandlung in der Kleinstadt

Wenig intelligentes Design

Die Grenzen des Wissens

Ein erstaunliches, aber erwartetes Urteil

Kosmischer Witzbold oder Garant der Vernunft?

Glaubenskriege unter Evolutionsbiologen

Das Weltbild verstellt die freie Sicht

Wen kümmert die Evolution?

Quellen und weiterführende Literatur

6 Vom Reiz des Abweichens – Wervon der Impfung abrät

Eine fatale Pressekonferenz

Wissenschaft via Öffentlichkeit

Biegen und brechen bis es passt

Sorgen verstehen ohne Daten zu haben

Revolution eines Landarztes

Ausrottung der Pocken in 179 Jahren

Historische Gegner der Impfung

Gegner: Wirre, Zurückgezogene und Alternative

Dilemma der Massenprävention

Solidarität mit Immunschwachen

Motivation der Impfgegner

Eine verpasste Chance

Quellen und weiterführende Literatur

7 Gute Übersicht ist teuer – Die Mission der Cochrane Collaboration

Hoffnung auf echte Behandlung

Fehlende Daten zu klinischen Studien

Wissenschaft in der Medizin nicht willkommen

Therapien fair vergleichen

Soziale Bewegung gegen Willkür

Behauptungen belegen: Eine Frage der Kultur

Ehrlicher Umgang mit Nebenwirkungen

Gute Informationen für mündige Patienten

Veröffentlichen, zusammenfassen und Leben retten

Quellen und weiterführende Literatur

8 Interview mit dem Methodenforscher Gerd Antes: »Jeder duckt sich weg und zeigt auf den Nachbarn«

Interview mit Gerd Antes

9 Aufklärer in Nöten-Die AufgabederJournalisten

Journalisten wollen Wahrheit

Katastrophale Wissenschaft

Kritik aus Fürsorge

Grippeviren werden noch gefährlicher gemacht

Journalisten überschätzen sich

Gentechnik führt zu katastrophalem Journalismus

Der Journalismus verstärkt die Verzerrung

Die schwierige Suche nach dem Konsens

Wissenschaftliche Werte vertreten

Mit Fachkenntnissen zur fundierten Kritik

Und die Welt dreht sich immer noch

Quellen und weiterführende Literatur

10 Unbequeme Tatsachen – Die Verwirrungen der Klimapolitik

Politik steht über Wissenschaft

Über hundert Jahre Klimaerwärmung

Die Ölindustrie war bestens informiert

Bewährte Strategie: Zweifel säen

Verdrehen und beschuldigen

Idealer Nährboden für Bullshit

Wissenschaftsgerichte im Parlament

Belästigen und verhindern

Klimaleugnen auf Deutsch

Die Angst vor dem Alarmismus

Übertreibungen wirken

Auf dem Weg zur Venus?

Mehr Verständigung ist nötig

Quellen und weiterführende Literatur

11 Interview mit dem Experimentalpsychologen Stephan Lewandowsky: »Die Klimaleugner haben natürlich die bessere Nachricht«

Interview mit Stephan Lewandowsky

Sachverzeichnis

Endbenutzer-Lizenzvereinbarung

List of Illustrations

1 Marktschreier der Wissenschaft – Werden Rotweintrinker älter?

Kaninchen oder Ente? Für den Soziologen Thomas Kuhn ist auch die wissenschaftliche Wahrheit Ansichtssache.

2 Gefährliche Zweifer – HIV ist tödlich

Das Humane Immunodefizienz-Virus (HIV) wurde unter dem Elektronenmikroskop beim Verlassen der viel grösseren Immunzelle erwischt.

3 Erzwungene Einigkeit – Genetik ist keine Ideologie

Der berühmte sowjetische Pflanzengenetiker Nikolai Wawilow auf einer seiner Expeditionen (a). Sein berüchtigter Zögling und Widersacher Trofim Lyssenko Im Jahr 1938 (b).

4 Interview mit der Soziologin Karin Knorr-Cetina: »Wahrscheinlichkeiten sollten uns zum Handeln bewegen«

Foto von Karin Knorr-Cetina zur Verfügung gestellt.

5 Versteckter Glaube – Moral gegen Evolutionstheorie

Fisch oder Amphibie? Das Fossil (hier ein Gipsabdruck) des Fleischflossers Tiktaalik roseae wurde 2004 entdeckt – just als in Pennsylvania die Evolutionstheorie wieder einmal vor Gericht debattiert wurde.

6 Vom Reiz des Abweichens – Wervon der Impfung abrät

Die erste Impfung: Der Landarzt Edward Jenner testet seine Idee 1796 am Sohn des Gärtners – hinter ihm das Milchmädchen Sarah Nelmes.

7 Gute Übersicht ist teuer – Die Mission der Cochrane Collaboration

Nicht alle Belege sind gleich: Expertenmeinungen (Basis der Pyramide) gibt es viele. Wirklich gut beraten ist man durch eine systematische Übersicht zu sämtlichen vorhandenen Studien (Spitze der Pyramide).

8 Interview mit dem Methodenforscher Gerd Antes: »Jeder duckt sich weg und zeigt auf den Nachbarn«

Foto von Gerd Antes zur Verfügung gestellt.

9 Aufklärer in Nöten-Die AufgabederJournalisten

Der neue Teilchenbeschleuniger in Genf macht Schlagzeilen (2007-2015).

10 Unbequeme Tatsachen – Die Verwirrungen der Klimapolitik

Seit 1970 sind die monatlichen Durchschnittstemperaturen an der Erdoberfäche gestiegen (Daten: NASA/GISS). Wer sich auf einzelne Phasen konzentriert, kann diesen Trend locker leugnen.

11 Interview mit dem Experimentalpsychologen Stephan Lewandowsky: »Die Klimaleugner haben natürlich die bessere Nachricht«

Foto von Stephan Levandosky zur Verfügung gestellt.

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Florian Fisch

Wissenschaftlich erwiesen

Gütesiegel oder Etikettenschwindel?

Autor

Florian Fisch

Bern

Schweiz

Titelbild

Fotolia.com © bluedesign

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Print ISBN 978-3-527-33886-3

ePDF ISBN 978-3-527-69297-2

ePub ISBN 978-3-527-69299-6

Mobi ISBN 978-3-527-69298-9

Über den Autor

Florian Fisch, geboren 1978, arbeitet als freischaffender Wissenschaftsjournalist und als Wissenschaftserdaktor beim Schweizerischen Nationalfonds in Bern. Er studierte Biologie an den Universitäten Lausanne und Neuchâtel, forschte am botanischen Institut in Basel und promovierte im englischen York in Biochemie. Florian Fisch ist mit Leib und Seele Wissenschaftler geblieben. In Zeitungen und Zeitschriften wie der »NZZ am Sonntag« und »Laborjournal« berichtet Florian Fisch von genialen Entdeckungen in der Wissenschaften des Lebens und er hinterfragt die menschlichen Vorgänge in den Tiefen des Labors. Im Buch »Ein Versuch – Genforschung zwischen den Fronten« zeichnete er ein Porträt einer hitzigen gesellschaftlichen Kontroverse um einen kleinen Feldversuch mit gentechnisch veränderten Pflanzen an der ETH Zürich.

Dank

Ich danke dem »Schweizer Klub für Wissenschaftsjournalismus« für die finanzielle Unterstützung aus dem Recherchierfonds. Ganz besonders danke ich Silvia Ursprung für ihre wertvollen und kritischen Rückmeldungen zu meinen Gedanken und Texten. Sie und viele andere haben mich in hektischen Zeiten stets voll unterstützt.

Einführung – Wahrheit ist gesund

In der Schule lernen wir: Das Leben besteht aus Zellen, die Abkürzung NaCl steht für Kochsalz und die Gravitation hat Isaac Newton einen Apfel auf den Kopf geschmissen. Das ist natürlich sehr nützlich zu wissen – besonders beim Ausfüllen von Kreuzworträtseln.

Was wir in der Schule kaum lernen, ist, wie wir die Wahrheit überhaupt erkennen. Wie wir wahre Aussagen von falschen unterscheiden können. Wie sich starke Argumente von schwachen unterscheiden. Woher können wir wissen, ob das Leitungswasser trinkbar ist oder nicht? Welcher Teil des Wikipedia-Artikels ist glaubwürdig und welcher eher nicht?

Das Schulwissen ermöglicht es uns zwar, mit Behörden zu kommunizieren und einem Verkäufer beim Geldzählen auf die Finger zu schauen. Das ist wichtig – ohne Zweifel. Gleichzeitig wickelt uns jeder dahergelaufene Guru um die Finger. Die Menge des Wassers wird auf den letzten Cent abgerechnet, und daneben geben wir ein Vielfaches dafür aus, einen magischen Apparat zur Vitalisierung des Wassers zu installieren.

Während sich die Philosophen heute noch streiten, was Wahrheit ist und ob es überhaupt eine gibt, haben in der Renaissance ein paar von ihnen eine länderübergreifende soziale Bewegung gegründet. Die Mitglieder beschlossen, die Natur selbst als Schiedsrichter für ihre Argumente zu brauchen. Dieser Schiedsrichter entscheidet keine der wirklich großen Fragen wie: Gibt es Schönheit? Oder: Warum lässt Gott das Leiden auf dieser Welt zu?

Mit diesem Schiedsrichter im Hintergrund begannen die Naturphilosophen – wie sie sich selber nannten – Tiere zu sezieren, Mikroskope zu bauen und die Luft aus Glasglocken herauszupumpen. Sie wollten nicht den Gurus glauben, sondern selbst schauen. Nullius in verba, nicht die Aussage anderer ist entscheidend, so lautet das Motto der vor über 350 Jahren gegründeten und heute immer noch aktiven »Royal Society of London for Improving Natural Knowledge«.

Heute nennen die Englischsprachigen diese Naturphilosophen »Scientists«, was nur ungenau mit Naturwissenschaftler übersetzt werden kann. Wenn ich in diesem Buch von Wissenschaftlern spreche, meine ich empirische Wissenschaftler, also alle, die es zu ihrer Hauptbeschäftigung gemacht haben, Hypothesen an einer objektiven Realität zu überprüfen. Damit sage ich nicht, dass Physiker, Geografen und experimentelle Psychologen wichtiger sind als andere Denker wie Philosophen, Literaturwissenschaftler und Historiker. Ich sage einzig, dass sie dank des Schiedsrichters Natur ihrer Aussagen sicherer sein können als die, die sich nur auf ihren Verstand verlassen müssen.

Die Wissenschaftler vor 350 Jahren standen gebannt um eine Vakuumpumpe, um zu sehen, wie sich eine Kuhblase bei Unterdruck wie ein Ballon aufblies oder wie das arme Vögelchen ohne Atemluft sterben musste. Damals war Wissenschaft den reichen Gentlemen vorbehalten. Die meisten Menschen hatten schon damals andere Sorgen als den luftleeren Raum zu studieren.

Und heute kann ein Wissenschaftler nicht auch nur annähernd allen Experimenten seines Faches folgen. Grob 400 Millionen Fachartikel wurden bis heute publiziert, und alle neun Jahre verdoppelt sich die Publikationsrate. Wie sollen da Ärzte, Lehrer, Journalisten, Politiker, Beamte und Ingenieure wissen, was Sache ist?

Dies ist schwierig, aber nicht unmöglich. Für Wissenschaftler gibt es unzählbar viele ungetestete, interessante Hypothesen und ein paar langweilige, gesicherte Theorien. Über diese besteht meist ein breiter Konsens unter den Wissenschaftlern – viel öfter als Laien glauben. In diesem Buch möchte ich Ihnen an haarsträubenden Beispielen zeigen, dass genau dieser Konsens der beste Zugang zur Wahrheit ist, den wir haben.

Ist ein Glas Rotwein wirklich gut fürs Herz? Ist HIV gar nicht der Auslöser von AIDS? Sind Gene eine kapitalistische Verschwörung? Müssen wir an die Evolution glauben? Was spricht gegen eine Masernimpfung? Wer kann uns sagen, ob Tamiflu vor Neuansteckungen mit Grippe schützt? Sollen wir den Journalisten trauen? Und warum vertragen Politiker den Klimawandel so schlecht?

Diese Themen haben eines gemeinsam: Es herrscht dazu ein wissenschaftlicher Konsens. Und doch haben große Teile der Menschheit das Gefühl, sie seien entweder ungelöst oder reine Glaubenssache. Mit diesem Buch möchte ich Ihnen zeigen, dass die Wahrheit keine Erfindung von Eliten zur Unterdrückung der Machtlosen ist. Im Gegenteil: Wenn wir die Wahrheit nicht erkennen – oder gar leugnen – kostet dies vielen Menschen das Leben.

Februar 2016

Florian Fisch

1Marktschreier der Wissenschaft – Werden Rotweintrinker älter?

»Wenn Sie hart und intelligent arbeiten, sollte es Ihnen möglich sein, festzustellen, wenn ein Mensch Mist erzählt. Dies ist meines Erachtens die Hauptaufgabe der Bildung.«

John Smith (1863–1939), britischer Philosoph, zu seinen Studenten

Während die einen darüber debattieren, ob es überhaupt so etwas wie eine Wahrheit gibt, beginnen andere nach jeder kleinen Studie eine neue Diät. Das Halbwissen über den Gesundheitswert von Rotwein offenbart die menschlichen Schwächen bei Experten und Laien gleichermaßen.

»Ärzte weltweit glauben, Rotwein reduziert das Risiko von Herzkrankheiten. Dies wurde jetzt bestätigt.« So fasste Morley Safer, der Moderator der einflussreichen Sendung »60 Minutes« des US-amerikanischen Nachrichtensenders CBS News, 1991 die Lage zusammen. Bis heute gilt: Rotwein ist gesund. Wer kennt nicht eine Großmutter oder einen Schwiegervater, der sich ein Gläschen pro Tag gönnt – nur fürs Herz selbstverständlich, auf Empfehlung des Arztes natürlich.

Die Werbung hat dies dankend aufgenommen. »Heute belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien, dass mäßiger Weingenuss die Gesundheit fördern kann (Herz-Kreislauf-Krankheiten, Cholesterin, Krebsrisiko)«, schreibt ein Schweizer Weinhändler. Und der Biowein hat selbstverständlich die noch besseren Inhaltsstoffe und ist demnach noch gesünder.

Seien wir ganz ehrlich. Es ist uns ziemlich egal, ob der Rotwein nun gut fürs Herz ist oder nicht. Trotzdem nagt, tief in unserem Unterbewusstsein, das Wissen von den negativen Effekten des Alkohols an uns. Die Erinnerungen an den letzten Kater sind nicht verschwunden. Die staatliche Alkohol-Kampagne in der Schweiz »Schau zu dir und nicht zu tief ins Glas« hinterlässt trotz unserer Abgeklärtheit ein schlechtes Gewissen. Denn jeder kennt irgendwo einen Alkoholiker. So wie der möchte man auf keinen Fall enden.

Kaninchen oder Ente? Für den Soziologen Thomas Kuhn ist auch die wissenschaftliche Wahrheit Ansichtssache.

Quelle: Unbekannter Zeichner, erste bekannte Version: Zeitschrift »Fliegende Blätter« vom 23. Oktober 1892 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kaninchen_und_Ente.png.

Da kommt es uns gelegen, wenn irgendein Cousin irgendwo gelesen hat, dass Rotwein gesund ist. Vielleicht sind wir sogar selbst einmal über einen Artikel zum Rotwein oder zu einem seiner Inhaltsstoffe gestolpert. Die Schlagzeilen sagen zum Beispiel, Rotwein sei »gut fürs Hirn«, »entzündungshemmend« und sogar ein »Krebskiller«. Wenn die Studie oder Kampagne gegen den Alkoholkonsum sich dann doch hartnäckig im Gedächtnis festkrallt, dann bringen wir den Einwand: »Ja, ja, mal ist es gesund und dann wieder nicht. Die Wissenschaftler wechseln ihre Meinung so wie unsereins die Unterhosen.« Dann bringen wir den weisen Spruch: »Ich traue keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe.« Ja, Rotwein ist gut fürs Gemüt, aber schlecht fürs Denken.

Die Suche nach der Wahrheit steht im Zentrum jeder naturwissenschaftlichen Tätigkeit. Ohne den Glauben daran, dass wir uns der Wahrheit zumindest annähern können, wäre jedes Experiment sinnlos. Die Suche nach dieser Wahrheit, die Neugier, ist zutiefst menschlich. Wem die Wahrheit vorenthalten wird oder wem Unwahrheit erzählt wird, der fühlt sich betrogen. Wenig empört uns so sehr wie eine Lüge.

Obwohl die Wahrheit den Menschen scheinbar so wichtig ist, spielt sie doch im Alltag oft eine untergeordnete Rolle. Einer spannend erzählten Geschichte glauben wir mehr als genauen Details, die langweilig zusammengehängt werden. Widerspricht eine neue Information unserem Weltbild – sei es Selbstregulierungskraft des freien Marktes oder im Gegenteil die grundsätzliche Bösartigkeit von Großunternehmen – verwerfen wir sie. Vorurteile wirft man nicht gerne über Bord. Schon gar nicht wegen ein paar störenden Fakten.

Schlussendlich haben wir schlicht zu wenig Zeit für die Wahrheit, und wir sind dazu gezwungen, die unvermeidbaren Lücken zu füllen. Der Philosoph Harry Frankfurt definierte eine Kategorie zwischen Wahrheit und Lüge: Bullshit – prätentiöser Unsinn. »Dem Bullshitter ist es egal, ob er die Realität korrekt beschreibt. Er wählt die Dinge aus, erfindet sie, um seinen eigenen Interessen zu dienen«, schrieb Frankfurt 1986. Das ist viel einfacher und oft praktischer als eine Lüge, so Frankfurt: »Wir können unmöglich lügen, wenn wir nicht davon überzeugt sind, die Wahrheit zu kennen. Bullshit zu produzieren, braucht diese Überzeugung nicht.«

Für Frankfurt ist unsere Kultur voller Bullshit. Jeder weiß das und trägt dazu bei. Es kann eine Folge von Schludrigkeit sein oder, wie zum Beispiel in der Werbung, gezielt passieren. Bullshit ist unvermeidbar, wenn man über etwas reden muss, wovon man keine Ahnung hat, was in einer Demokratie häufig vorkommt.

Die Diskussion über den gesundheitlichen Nutzen des Rotweins als Abendunterhaltung ist ein Paradebeispiel für Bullshit. Im Fokus steht nicht die Wahrheit, sondern die Geselligkeit. Diese Prioritätensetzung bei dieser Art Wissen hat auf unser Leben wenig reale Konsequenzen. Bei anderen Themen, die in diesem Buch präsentiert werden, zum Beispiel bei AIDS oder beim Klimawandel, kann das Desinteresse an der Wahrheit gravierendere Folgen haben. Dummerweise ist es gar nicht so einfach, Wahrheit von Bullshit zu unterscheiden, wie dieses Kapitel zeigen wird.

Französisches Paradox befeuert Spekulationen

Einer nüchternen Bewertung des Gesundheitswertes von Rotwein steht schon seine lange Geschichte im Wege. Wahrscheinlich wurden Weinreben zum ersten Mal im antiken Persien gekeltert. Die Rauschwirkung brachte die Menschen den Göttern näher und stand folglich durch die Jahrhunderte im Zentrum vieler religiöser Rituale. Mit Dionysos und Bacchus gab es sogar Spezialisten für Weinfragen in der Götterwelt. Im Christentum steht der Wein in der Kirche für das Blut Christi.

Rotwein ist Kultur. Er wird von Kennern degustiert, von Sammlern sorgfältig gelagert und nach strengen Ritualen serviert. Bis heute trinkt der Pöbel Bier; Leute mit Stil trinken Rotwein. Dass im Zentrum eigentlich die profane Droge Alkohol steht, wird geflissentlich ausgeblendet. Obwohl Alkohol das Schmiermittel der Wahl für geselliges Beisammensein ist, finden in der politischen Arena wüste Debatten um Jugendschutz, das Verursacherprinzip im Gesundheitswesen und die Gerechtigkeit von Leberspenden für Alkoholiker statt.

Der medizinische Aspekt von Wein geht mindestens bis auf den griechischen Arzt Hippokrates von Kos zurück. Der Urvater aller Ärzte empfahl den Wein unter anderem gegen Durchfall, schwere Geburten und Lethargie. Doch der Nutzen des Weines muss nicht so weit hergeholt werden. Über lange Zeit war der Genuss von Wein wesentlich sicherer als der von Wasser aus dem nächsten Brunnen. Alkohol tötet die meisten Mikroorganismen.

In den 1920er-Jahren analysierte der US-amerikanische Biologe Raymond Pearl Versicherungsdaten von Arbeitern in Baltimore und erkannte, dass moderater Alkoholkonsum mit einer reduzierten Zahl Herzinfarkte einhergeht. Über fünfzig Jahre wurde diesem Befund nicht viel Bedeutung beigemessen, bis in den 1970er-Jahren im großen Stil damit begonnen wurde, medizinische Fragen mit systematischen Untersuchungen mit großen Patientenzahlen zu beantworten.

So begann man zum Beispiel die Zahlen zu den Todesursachen mit den Zahlen zur Ernährung in verschiedenen Ländern zu vergleichen. Dabei stellten die Autoren einer 1979 in der medizinische Fachzeitschrift »The Lancet« publizierten Studie fest, wie in den reichen (wohlgenährten) Ländern die Zahl der Toten durch Herzinfarkte desto höher war, je fettreicher die Ernährung. Doch dabei stieß man auf einen wichtigen Ausreißer: Frankreich. Dort wird viel Fett gegessen und trotzdem bleibt die Herzinfarktrate vergleichsweise tief.

Und sofort stürzten sich die Forscher auf dieses französische Paradox. Eifrig wurde nach Gründen gesucht, die diesen Unterschied erklären können. In der Lancet-Studie zeigte sich auch, dass die Herzinfarktrate abnahm, je mehr Wein konsumiert wurde. Besonders für französische Forscher war somit klar, dass im Wein ein Schutzfaktor enthalten sein muss.

Das war der Beginn eines Hypes, der bis heute anhält. Besonders in der US-amerikanischen Öffentlichkeit stieß das französische Paradox auf ein großes Interesse. Aber nicht nur dort versuchten die Menschen verzweifelt, ihre Diät weniger fettreich zu gestalten und schielten dabei neidisch auf die Franzosen, die sich nicht um die Ernährungs-Empfehlungen scherten, ohne dabei einen Herzinfarkt zu erleiden. Und dann sind die Französinnen auch noch so schlank! Nicht nur der Wein wurde untersucht, sondern auch andere Lebensmittel wie Käse, der besser sein soll als die Milch, oder die mediterrane Diät, die reich an Gemüse, Geflügel und Fisch ist.

Lebensverlängernde Wunderpille Resveratrol

Gleichzeitig suchte man nach Inhaltsstoffen des Weines, die das französische Paradox erklären sollten. Dabei stieß man auf Resveratrol – ein Polyphenol aus der Schale der Weintrauben, das auch in anderen Pflanzen vorhanden ist, zum Beispiel in Erdnüssen oder Pinienkernen. Für die Pflanze ist es ein Abwehrstoff gegen Pilzinfektionen. Für Menschen könnte es ein Medikament sein.

Resveratrol ist auch in einem Präparat der traditionellen japanischen Medizin vorhanden (Ko-jo-kon), das für Krankheiten in Blutgefäßen, Herz und Leber empfohlen wird. Mitte der neunziger Jahre entdeckte man Resveratrol zuerst als Krebsheilmittel und dann als Schutz vor Arterienverkalkung. Es ist ein Antioxidans, also eine Substanz, die im Blut das schlechte Cholesterin in gutes umwandelt. Man beobachtete zudem, dass die Blutgerinnung gehemmt wurde. Beides Faktoren, die bei Herzinfarkten eine Rolle spielen.

Die Forschungsarbeiten um Resveratrol schossen wie Pilze aus dem Boden. Man schüttete es auf Zellkulturen, testete es an isolierten Organen und verfütterte es an Labortiere. Dann kam die große Entdeckung: Resveratrol hatte einen lebensverlängernden Effekt auf dicke Mäuse. Genauso wie die Reduktion der Kalorienzufuhr, sprich: Hunger, bei allen Mäusen. Man sah, wie Resveratrol die gleichen Gene aktivierte wie Hunger. Das Ganze hat nur einen Haken: Es braucht enorm hohe Dosen. Damit der Mensch mit Rotwein auf eine vergleichbare Menge kommt, müsste er mindestens 100 Gläser Rotwein pro Tag trinken.

Der gewiefte US-amerikanische Biologe und Autor dieser Studie David Sinclair gründete deshalb sofort eine Firma namens Sirtis Pharmaceutical. Sie entwickelte Stoffe, die bei kleinerer Konzentration die gleichen Effekte haben soll. Die Firma wurde 2007 prompt vom Pharmariesen GlaxoSmithKline für 720 Millionen Dollar übernommen.

Resveratrol-Pillen kann man schon seit einiger Zeit kaufen. Die Hoffnung auf ein längeres Leben ohne Krebs und Herzinfarkte scheint alle anderen Bedenken zu überwiegen. Dabei ist Vorsicht geboten. Es wurden noch keine klinischen Studien durchgeführt, bei denen Resveratrol in hohen Dosen an menschliche Probanden abgegeben wurde. Was im menschlichen Körper mit Resveratrol passiert, ist deswegen nicht bekannt. In einer systematischen Übersicht über sämtliche Resveratrol-Studien schlussfolgerte eine große Autorengruppe, das Resveratrol als Präventivmittel gegen verschiedene Krebsformen immerhin vielversprechend sei.

Bis heute kann also niemand belegen, dass Resveratrol beim Menschen etwas nützt. In den kleinen Dosen des Rotweins konnte man bisher keine spezifische Wirkung von Resveratrol erkennen. Wie soll man das auch nachweisen, bei den vielen anderen Stoffen, die sonst noch im Rotwein enthalten sind und ihre eigenen Effekte haben? Eine Forschergruppe versuchte es trotzdem. Sie maßen über zehn Jahre die Resveratrol-Abbauprodukte im Urin von fast 800 älteren Menschen aus zwei Dörfern im Chianti-Gebiet. Die Konzentration der Stoffe im Urin ist ein guter Indikator für die tatsächlich durch die Nahrung aufgenommene Menge Resveratrol. Die 2014 in der Fachzeitschrift »Jama Internal Medicine« publizierte Studie konnte keine Unterschiede in Herzkreislauferkrankungen, Krebs oder allgemeiner Sterblichkeit dieser Rentner feststellen, egal wie viel Resveratrol sie konsumierten.

Scheinkausalität (cum hoc ergo propter hoc)

Menschen, die viel Olivenöl konsumieren, haben weniger Herzinfarkte. Daraus zu folgern, dass Olivenöl vor Herzinfarkten schützt, ist aber falsch. Eine präventive Wirkung ist zwar möglich, plausibler ist jedoch, dass Menschen mit einem gesunden Lebenswandel, viel Olivenöl konsumieren. Beides, der hohe Olivenölkonsum und die tiefe Herzinfarktrate, wird durch den gesunden Lebenswandel verursacht. Dieser Denkfehler passiert oft bei zwei Wirkungen mit derselben Ursache.

Irrationale Angst vor dem Essen

Das gesunde Essen macht uns fast krank. Tägliche Beiträge in Zeitungen, Radio und Fernsehen; zum Bersten mit Ratgebern gefüllte Regale zeugen davon. Mit etwas Abstand betrachtet hat es etwas Zynisches, dass ausgerechnet die Menschen in Ländern mit üppigem Nahrungsangebot in den Supermärkten besonders verunsichert sind, wenn es um Ernährungsgewohnheiten geht. Biotomaten sind in, nicht weil sie in der Herstellung weniger fossile Energien freisetzen würden, sondern weil sie als gesund gelten. Es wird auf dem lokalen Markt gekauft, nicht weil man den Bauern seiner Kartoffeln kennenlernen möchte, sondern weil seine Produkte ein gesünderes Leben versprechen.

Gleichzeitig wimmelt es nur so von Ernährungsgurus, Fastenkuren und Vitaminpillen. Auf dem Gipfel der Absurditäten sind die dubiosen Lichtfaster, die vorgeben, sich ausschließlich von Licht ernähren zu können, was nicht einmal Pflanzen können. Dass Pflanzen neben Licht auch noch Wasser, Kohlendioxid und Mineralstoffe benötigen, lernt jedes Kind in der Schule und kann jeder mit seiner Topfpflanze zu Hause nachvollziehen. Auf der seriösen Seite kämpfen die Ernährungsberater, um den wirklich Kranken eine passende Diät zu finden und den wirklich Fettleibigen einen Speiseplan zusammenzustellen, der etwas weniger Kalorien enthält und trotzdem satt macht.

Dazwischen befinden sich all die Verkäufer von Entschlackungskuren, Vitaminpillen und Light-Produkten. Sie drücken auf das schlechte Gewissen und predigen, welche Nahrungsmittel nicht gut und welche absolut notwendig sein sollen. Der deutsche Medizinwissenschafts-journalist Werner Bartens hat dazu 2014 ein Buch mit dem eindrücklichen Titel Es reicht – Schluss mit den falschen Vorschriften. Eine Polemik geschrieben. Ganz im Sinne des Philosophen Frankfurt bezeichnet er das Geschwätz dieser Heilsverkäufer als »groben Unfug – gepaart mit dem überheblichen Gestus des Besserwissers.«

Natürlich stützen sich die meisten dieser Kuren und Pillen auf irgendeine wissenschaftliche Studie. Ganz nach dem Motto: Wenn es ein Wissenschaftler gesagt hat, muss es wohl stimmen. Dass dies so einfach nicht sein kann, wird spätestens klar, wenn eine zweite wissenschaftliche Studie auftaucht, die der ersten widerspricht. Diese schludrige Art mit wissenschaftlichen Studien umzugehen, macht es für Laien, also auch für die Wissenschaftler, die nicht zur Ernährung forschen, unmöglich, der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

Als simple Regel gilt, die Wahrheit ist meistens nicht so einfach wie die Schlagzeile oder die Werbung suggerieren. Nur ein paar Resveratrol-Pillen schlucken und dabei bei voller Gesundheit nach 120 Jahren sanft einschlafen? Einfach auf Kohlenhydrate verzichten und unser Körper wird seine ideale Form automatisch einnehmen? Dass bei diesen schablonenhaften Erklärungen etwas nicht stimmen kann, würde uns allen auffallen, wenn wir nach dem Werbespruch einen Augenblick innehalten würden.

Zu den meisten Fragen gibt es viel mehr als nur eine Studie. Jede wurde ein wenig anders angelegt, konnte auf anderem Vorwissen basieren und hatte einen anderen Fokus. Die Werber, Prediger und Verkäufer picken sich dabei die Studie heraus, die ihnen ins Weltbild oder in die Verkaufsstrategie passt. Wahrscheinlich ist sie gar die kleinste, billigste und in der bedeutungslosesten Zeitschrift publizierte.

Möglicherweise wurde sie sogar von der Organisation oder dem Unternehmen finanziert, die/das ein Eigeninteresse am Resultat hat. Das ist, wenn klar deklariert, an sich unproblematisch. Zu einem ernsthaften Problem wird es, wenn diese Unternehmen die Artikel von einer PR-Firma schreiben lassen und dann Forscher anheuern, damit diese sich als Autoren zur Verfügung stellen. Solche gekauften Artikel, häufig als seriöse Literaturstudien getarnt, sind in Ärztezeitschriften gang und gäbe.

Gute Studie ist teuer und will Weile haben

Doch auch bei den mit ehrlichen Absichten durchgeführten Studien ist nicht jede gleich aussagekräftig. Wenn einer Zellkultur Resveratrol beigegeben wird und dabei bestimmte Gene aktiviert werden, die für einen lebensverlängernden Effekt bekannt sind, ist das ein interessanter Hinweis. Es heißt aber noch lange nicht, dass ganze Menschen deswegen tatsächlich älter werden.

Vielleicht wird Resveratrol vom Darm gar nicht aufgenommen. Der Stoff könnte von der Leber sofort wieder abgebaut und innerhalb kürzester Zeit wieder ausgeschieden werden. Im Fall von Resveratrol wird es zwar aufgenommen, scheint aber im Körper schnell wieder abgebaut zu werden. Vielleicht gelangt es gar nie in die relevanten Zellen im Körper – das weiß bisher niemand. Vielleicht ist Resveratrol für einen anderen der mindestens 200 verschiedenen Zelltypen im Körper giftig. Ob Resveratrol im Rotwein überhaupt in der richtigen Menge vorhanden ist und ob nicht ein anderer Inhaltsstoff des Rotweins wichtiger ist, bleibt auch zu klären.

Auch eine Studie an Mäusen kann dieses Defizit nicht vollständig aufheben. Zwar sind Mäuse und Ratten uns in vielem sehr ähnlich, weshalb wir die Nebenwirkungen von Stoffen zuerst an ihnen testen, bevor wir es menschlichen Probanden verabreichen. Ihr Lebenswandel und ihre Krankheiten unterscheiden sich jedoch drastisch von unseren. Wer also wirklich eine für den Menschen sinnvolle Aussage machen will, muss eine Studie mit Menschen in ihrem normalen Alltag durchführen. Die Auswahl der Probanden sollte möglichst repräsentativ die Bevölkerung widerspiegeln. Werden nur Männer getestet, kann keine Aussage für Frauen gemacht werden. Sind nur Übergewichtige unter den Probanden, sind die Resultate für Normalgewichtige ungültig.

Studien mit vielen Probanden, die lange genug dauern, um eine sinnvolle Aussage machen zu können, sind sehr teuer. Das können sich nur große Firmen und der Staat leisten. Firmen sind naturgemäß nicht daran interessiert, die Unwirksamkeit ihres eigenen Produktes zu beweisen. Genauso sind die Ressourcen des Staates zu limitiert, als dass jeder neue Ernährungsfimmel mit einer soliden Studie getestet werden kann.

Das ist auch meistens nicht nötig. Die groben Züge des gesunden Lebens sind längst bekannt. Rauchen ist einer der größten Risikofaktoren überhaupt. Und trotz dieser sehr überzeugenden Belege dafür, brauchte es lange, bis die Tabakindustrie nicht mehr genug Angriffsfläche fand, um sie infrage zu stellen. Heute ist klar: Wer nicht raucht, hat schon fast alles gut gemacht. Dann gibt es noch die Bewegung, die Lebensfreude, die geistige Aktivität – und ja, der Verzehr von genügend Gemüse und Früchten. Für eine ausgewogene Ernährung muss nicht die Zusammensetzung jedes Nahrungsmittels im Detail studiert werden.

So schlecht können wir mit dem gesunden Leben gar nicht sein. Die durchschnittliche Lebenserwartung war nie so hoch wie heute. Seit einigen Jahrzehnten steigt sie in der Schweiz und Deutschland alle zehn Jahre um mehr als zwei Jahre an. Vor 200 Jahren wurden die Menschen durchschnittlich 30 Jahre alt, heute werden wir 80. Dazu haben viele Faktoren beigetragen: Verbesserte Hygiene, Medizin, landwirtschaftliche Erträge und der globale Handel liefern uns alles, was wir brauchen. Alles deutet gegenwärtig darauf hin, dass der Trend zum längeren Leben anhalten wird.

Wahrheit ist undemokratisch – zum Glück

Die Autorität der Naturwissenschaft wird oft missbraucht, um die eigene Meinung zu stützen oder ein neues Produkt zu vermarkten. Doch die Stärke von Beobachtungen und Experimenten liegt im Gegenteil: Im Widerlegen von Vorurteilen. Bei einer Diskussion um die gute Ernährung wird schnell eine Studie gezückt. Wer keine Studie in der Tasche hat, steht dumm da – egal wie absurd die vom Gegenüber präsentierte Schlussfolgerung ist.

Sobald Studie auf Gegenstudie trifft, ist die Debatte wieder auf Feld Eins zurück: Glaubenskrieg. Die gesamte Studienlage auszuwerten ist eine Knochenarbeit, selbst ein eigenes wissenschaftliches Gebiet, wie wir im Kapitel 7 über systematische Übersichtsstudien sehen werden. Da die meisten Laien die nötige Zeit nicht haben, um sich das nötige Vorwissen anzueignen, die Methoden zu verstehen, bleibt ihnen letzten Endes nichts anderes übrig, als sich auf die Experten eines Gebietes zu verlassen. Diese kennen die Studienlage, wissen über die üblichen Mängel der Studien in ihrem Gebiet Bescheid und verfolgen die aktuelle Diskussion darüber.

Das Expertentum widerspricht leider den demokratischen Idealen eines mündigen Staatsbürgers, entspricht aber der Realität unserer hochspezialisierten und globalisierten Gesellschaften. Man muss die Sprache des jeweiligen wissenschaftlichen Gebietes verstehen, Zugang zu den relevanten Informationen erhalten und die nötige Zeit haben, sich in ein Gebiet einzulesen. Das trifft nicht nur bei den Naturwissenschaften zu, sondern auf sämtliche Berufsgattungen.

Hinter der Unterscheidung von Experten und Laien lauern natürlich große Gefahren. Die Laien müssen den Experten blind vertrauen. Sie heben Experten in den Status von Genies oder gar Göttern, schalten ihr eigenes Denken ab. Die »Götter in Weiß« in unserem Gesundheitswesen sind eine Katastrophe für die Medizin. Wobei beide Seiten ihren Anteil an diesem Zerrbild haben. Dies entmündigt die Patienten und bürdet den Ärzten eine unmenschliche Verantwortung auf.

Gegenwärtig werden die Ärzte von ihrem Sockel gestossen. Das zunehmende medizinische Wissen, das für einzelne Ärzte kaum zu überblicken ist, die Zugänglichkeit der Information für Patienten via Internet und ein gestiegener Druck nach Transparenz machen den Beruf des Arztes komplexer. Heute müssen Ärzte zeigen, warum sie das Vertrauen der Patienten verdienen. Gerd Gigerenzer, deutscher Psychologe und Experte für Risikokommunikation, fordert deshalb einen Übergang in eine positive Fehlerkultur. Anstatt Fehler wegen des Reputationsrisikos zu verschweigen, sollte offen darüber diskutiert und daraus gelernt werden, wie dies in der Luftfahrt üblich ist.

Dies sollte auch für die Naturwissenschaftler gelten – besonders, wenn sie in Behörden arbeiten. Sie müssen ihre Entscheidungsgrundlagen transparent machen und zeigen, wie sie die Fülle an Studien zusammenfassen, nach welchen Kriterien sie Studien bewerten. Damit die Laien vertrauen können, muss die Arbeitsweise der Experten offen sein. Sie müssen zeigen, dass sie nicht über magische Kräfte verfügen, sondern nach nachvollziehbaren Kriterien urteilen.

Wie Ärzte sind auch Naturwissenschaftler wie Albert Einstein oder Charles Darwin zu Ikonen geworden. Das populäre Bild von ihnen hat nicht viel mit ihren wahren Persönlichkeiten zu tun. Einstein zum Beispiel wird als genialer Spinner porträtiert – mit ausgestreckter Zunge und zerzausten Haaren – und ihm werden viele komische Zitate in den Mund gelegt. Einstein war zwar tatsächlich sehr kreativ und produktiv, befand sich, was die Quantenphysik angeht, aber eindeutig auf dem Holzweg. Darwin legte zwar die bis heute eindrückliche Basis für die Evolutionstheorie, machte als Geologe aber einen »groben Fehler« bei der Interpretation einer Erscheinung des schottischen Tals Glen Roy, wie er aber erst über 20 Jahre später eingestand.

Leider befördern bis heute viele Naturwissenschaftler mit ihrer weltfremden Sprache den Mythos der einsamen Genies, denen man blind vertrauen muss. Ihr Beitrag an die Gesellschaft und die Rechtfertigung, von dieser finanziert zu werden, wäre aber eine klare Kommunikation. Damit könnten sie zeigen, dass andere aus ihren Resultaten dieselben Schlussfolgerungen ziehen würden.

Aufrichtige Suche nach der Wahrheit

Was die Berufsgattung des Naturwissenschaftlers ausmacht – oder zumindest ausmachen sollte, ist das Interesse für die Wahrheit. Obwohl dieses Interesse wohl allen Menschen gegeben ist, genießt es nicht bei allen die gleiche Priorität. Andere wollen lieber die Welt lenken, den Mitmenschen in Notlagen helfen oder andere mit Schönheit verzücken.

Leider hat sich um den Begriff der Wahrheit eine Aura des Tabus gelegt. Wer von Wahrheit spricht, wird oft entweder als Einfaltspinsel betrachtet, der nicht versteht, dass Wahrnehmung und Denkvermögen unvollkommen sind. Oder dem Verfechter der Wahrheit wird Arroganz vorgeworfen, er wolle sein Weltbild allen andern überstülpen.

Oft werden die naiven An-die-Wahrheit-Glaubenden mit dem österreichischen Mathematiker Kurt Gödel konfrontiert. Dieser habe 1931 gezeigt, dass nicht einmal die Mathematik wirklich wahr sei – oder so ähnlich. Dabei hatte Gödel mit seinem berühmten Unvollständigkeitssatz lediglich bewiesen, dass Mathematiker nicht durch Automaten ersetzt werden können. Zu seiner Zeit ging man davon aus, dass von wenigen Annahmen ausgehend sämtliche mathematischen Sätze nach einer vordefinierten Logik herleitbar sind. Seit Gödel mit seinem Beweis mit diesem Traum aufräumte, haben die Mathematiker nicht aufgehört, an die Wahrheit ihrer Aussagen zu glauben. Er überzeugte sie jedoch von der Notwendigkeit ihrer Kreativität bei der Suche nach neuen Erkenntnissen.

Unter Philosophen wird leidenschaftlich über die Definition von Wahrheit gestritten. Welche Kriterien muss eine Aussage erfüllen, damit sie wahr ist? Darf sie anderen Aussagen in einer Theorie nicht widersprechen? Muss die Theorie der Praxis entsprechen? Dies sind nur einige von vielen weiteren Kriterien.

Zwei Namen sind zentral, wenn über den Wahrheitsgehalt von Naturwissenschaften diskutiert wird: Karl Popper und Thomas Kuhn. Der österreichisch-britische Philosoph Popper ist für das Beispiel mit den Schwänen bekannt. Wer in seinem Leben ausschließlich weiße Schwäne gesehen hat, kann daraus nicht schließen, alle Schwäne seien weiß. Wer aber nur einen einzigen schwarzen Schwan gesehen hat, kann mit absoluter Sicherheit verneinen, dass alle Schwäne weiß sind.

Dieses Falsifikationsprinzip sah Popper in seinem 1934 veröffentlichten Buch Logik der Forschung als einzige Möglichkeit, sich der Wahrheit anzunähern. So überzeugend dieses Argument ist, so wenig wird es in der Naturwissenschaft direkt angewandt. Die Hypothesen (weiße Schwäne) gelten als wahr, solange sie nicht widerlegt sind (schwarzer Schwan). Es ist ein Ideal, wonach ein Naturwissenschaftler seine Hypothese mit allen Mitteln zu widerlegen versucht. In der Praxis versucht er nur, seine Kollegen zu überzeugen.

Das sah auch der Wissenschaftssoziologe Kuhn so. Er ist berühmt für den Begriff des Paradigmenwechsels, den er 1962 in seinem Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen bekannt machte. Kuhn legte seinen Schwerpunkt auf die Gemeinschaft der Naturwissenschaftler und nicht auf ihre Denklogik. Dem Sozialwissenschaftler zufolge gleicht die Naturwissenschaft dem Lösen von Rätseln. Die Fakten werden entsprechend den gängigen Theorien – dem gegenwärtig gültigen Paradigma – zusammengesetzt. Mit der Zeit schleichen sich jedoch immer mehr Widersprüche ein. Diese Popperschen schwarzen Schwäne bringen die Theorie aber erst dann zum Einstürzen, wenn nicht mehr genug Behelfstheorien gezimmert werden können und die Situation dadurch unhaltbar wird.

Dann wird die Normalwissenschaft von einer wissenschaftlichen Revolution erschüttert. Wie bei einer optischen Täuschung ändert sich die Wahrnehmung der Faktenlage schlagartig. Revolutionär soll die kopernikanische Wende vor sich gegangen sein. Dass sich sämtliche Gestirne um die Erde drehten, konnte auch lange nach Kopernikus mit Behelfstheorien aufrechterhalten werden. Dieses alte ptolemäische Weltbild ist nicht durch einen schwarzen Schwan zu Fall gebracht worden, sondern wurde langsam immer unhaltbarer, erst nachdem die vielen schwarzen Schwäne nicht mehr übersehen werden konnten.

So soll auch die Newtonsche Gravitationstheorie von der Einsteinschen allgemeinen Relativitätstheorie abgelöst worden sein. Was Kuhn dabei vernachlässigte, ist, wie zum Beispiel die Newtonsche Gravitationstheorie immer die Theorie der Wahl ist, wenn es darum geht, die Flugbahn eines Artilleriegeschosses zu berechnen. Die Relativitätstheorie ist eine Verallgemeinerung der Gravitationstheorie, die dazu auch noch die Bahn eines Lichtstrahls in der Nähe eines Schwarzen Loches berechnen kann.

Nach Kuhn publizierte 1979 der französische Soziologe und Philosoph Bruno Latour zusammen mit einem Kollegen ein weiteres wichtiges Werk. Latour zeigt, wie wissenschaftliches Entdecken von der sozialen Situation abhängig ist, in der sie gemacht wurde. So hat es ein alter, bekannter Wissenschaftler einfacher, einen Artikel zu publizieren, als ein junger, unbekannter – unabhängig von der wissenschaftlichen Qualität des Artikels. Spötter sagen auch: Latour hat entdeckt, dass Wissenschaftler Menschen sind.

Der Soziologe schrieb den berühmten Satz: »Wir behaupten nicht, dass es keine Realität geben soll. In diesem Sinn sind wir keine Relativisten. Wir betonen lediglich, dass die ›Realität da draußen‹ die Konsequenz und nicht die Ursache von wissenschaftlicher Arbeit ist.« Die Realität gibt es für Latour also in uns. In einem späteren Aufsatz stellte Latour sogar in Frage, dass der ägyptische Pharao Ramses II. an Tuberkulose gestorben sein könnte, weil damals das entsprechende Bakterium noch nicht bekannt gewesen sei. Tuberkulose existiert nur in den Köpfen.

Latour hatte großen und wichtigen Einfluss auf die Außenwahrnehmung von Naturwissenschaft. Trotzdem wird man den Eindruck nicht los, hier sei ein Soziologe neidisch auf die Erklärungsmacht der Naturwissenschaften. Auch der Philosoph Harry Frankfurt kritisiert indirekt den Skeptizismus von Latour, wonach wir keinen Zugang zur Realität hätten und objektives Wissen unmöglich sei. Diese Weltsicht mache Bullshit unvermeidbar. Für die Skeptiker müsse folglich das Ideal der Wahrheit dem der Aufrichtigkeit weichen. Wir können nicht behaupten, Tuberkulose existiert, sondern nur ehrlich mitteilen, dass wir von ihrer Realität überzeugt sind.

Die praktische Anwendung des Wissens über Sterilisation, Antibiotika und die Entdeckung der Rolle der Darmflora zeigen jedoch die Unumkehrbarkeit des wissenschaftlichen Fortschritts. Solange keine Katastrophe über die Welt bricht und Wissen weiter überliefert werden kann, können wir Infektionen verstehen und bekämpfen. Wir können Mikroorganismen sichtbar machen und sogar gezielt ihr Erbgut verändern.

Die Theorien von Popper, Kuhn und Latour haben alle ihre Entsprechung im Alltag. Latour zeigt, wie die Rahmenbedingungen wichtig sind, damit eine funktionierende Wissenschaft entstehen kann. Das Falsifikationsprinzip von Popper hat nichts an Aussagekraft eingebüßt. Sicher ist die Motivation eines einzelnen Wissenschaftlers tief, lange nach dem schwarzen Schwan zu suchen, aber die Kollegen verpassen keine Chance, diesen zu finden. Seine Entdeckung wird für gewöhnlich sehr genüsslich ausgebreitet. Dieser wichtige Zweifel besteht nicht im individuellen Wissenschaftler, sondern in seiner Gemeinschaft.

Allerdings werden entdeckte Fehler oft aus Höflichkeit oder Angst verschwiegen. Die negativen Resultate gehen unter, weil sie nicht publiziert werden. Das ist ein großes Problem. Es führt dazu, dass andere Naturwissenschaftler mit erfolglosen Wiederholungen Zeit und Geld verschwenden. Dies ist zwar ein kurzfristiger Rückschlag für die Wahrheit und für die Karrieren des aufrichtigen Nachwuchses – was selbstverständlich unfair ist. Langfristig können sich Fehler aber nicht halten, denn niemand wird damit weiterarbeiten können, und das Resultat wird in Vergessenheit geraten.

Ein gutes Umfeld und gesunder Zweifel genügen nicht. Fakten müssen interpretiert und zu Theorien zusammengebaut werden. Erst dadurch kann eigentliches Wissen entstehen. Es muss ein Konsens unter den Fachleuten entstehen. Das ist schwierig und braucht den Willen, zusammenzusitzen, die Resultate zu vergleichen, deren Bedeutung zu diskutieren. Sonst kommt keine Ordnung ins Durcheinander.

Dabei müssen Widersprüche bewertet werden. Sind es Zufälle, Fehler oder gar Fälschungen? Das kann nur beurteilt werden, wenn Theorien nicht beim ersten kleinen Widerspruch aufgegeben werden. Wenn eine Messung der Theorie widerspricht, ist es wahrscheinlicher, dass die Messung falsch ist als die Theorie. Das zeigte sich zum Beispiel 2011, als das Kernforschungszentrum in Genf von Teilchen berichtete, die schneller als Licht seien, was der Relativitätstheorie widersprochen hätte. Die Medien berichteten aufgeregt über diesen schwarzen Schwan. Ein paar Monate später wurde der Messfehler entdeckt.

Den Naturwissenschaftlern wird manchmal vorgeworfen, sie seien nicht offen für Erkenntnisse, die ihrem Weltbild widersprächen. Tatsächlich trifft dies meistens eher auf die Kritiker zu. Doch es gibt tatsächlich Beispiele, bei denen die Kritik angemessen war. Das bekam der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis zu spüren, der die Wichtigkeit von Hygiene entdeckte, noch bevor Krankheitserreger bekannt waren.