Wo ist Lieutenant Adkins? - Peter Köpf - E-Book

Wo ist Lieutenant Adkins? E-Book

Peter Kopf

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Beschreibung

Dass Soldaten aus der DDR in den Westen flüchteten, weiß jeder. Dass Nato-Soldaten in die DDR überliefen, ist weitgehend unbekannt. Dabei hatten die Deserteure oft gute Gründe. Da ist der anscheinend überzeugte Sozialist William D. Adkins aus Indianapolis, der sich willig in die Arme der Stasi begibt, Karriere macht und am Ende spurlos verschwindet. Richard Coffman sucht in der DDR Asyl, um dem Kriegsgemetzel in Korea zu entgehen – und kehrt dennoch in einem Zinnsarg in die USA zurück. Der Afroamerikaner Charles Lucas will dem Rassismus in der US Army entkommen – und nimmt ein unglückliches Ende.
Peter Köpf widmet sich in seinem packend erzählten Sachbuch diesem vergessenen Kapitel des Ost-West-Konflikts und beleuchtet zehn Schicksale von Deserteuren, die die Stasi »Freunde« nannte, aber wie Feinde behandelte. Es sind private Geschichten des Kalten Krieges aus einer ungewohnten, neuen Perspektive.

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Peter Köpf

WO IST LIEUTENANT

Peter Köpf

WO IST LIEUTENANT ADKINS?

Das Schicksal desertierter

Editorische Notiz Die Schreibweise in diesem Buch folgt den Regeln der reformierten Rechtschreibung; um der besseren Lesbarkeit willen wurden die Zitate ebenfalls diesen Regeln angepasst.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet überwww.dnb.de abrufbar.

1. Auflage, September 2013 (entspricht der 1. Druck-Auflage von Februar 2013) © Christoph Links Verlag GmbH Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0www.christoph-links-verlag.de; [email protected] Umschlaggestaltung unter Verwendung einer Aufnahme aus der BStU (MfS AJM 7170/61 P, Band 1, S. 451): William Adkins’ Dienstausweis der US-Armee

Inhalt

Vorwort

Prolog

Kinder, »Commies«, Kriminelle: Weshalb Nato-Soldaten in der DDR um Asyl baten

Genosse Schenk: »Nicht aufs Wort glauben, aufs Strengste prüfen!«

William D. Adkins: »Ich widme mein Leben einer Sache, an die ich glaube«

Der jüdische Kommunist: »Nur ein Fluchtweg war möglich: ostwärts«

Die Afroamerikaner: »Auch ich bin Amerika«

William P. O’Ryan: »Amerika wird ein faschistischer Staat«

Fehltritt mit Folgen: William Smallwood stolpert in den Osten

Philip E. Morand: »Seit ich in der DDR lebe, ist mein Leben mit vollem Glück erfüllt«

»Should I stay or should I go?«: Leben im Bautzener »Märchenschloss«

»So tief war ich nie gesunken, als ich im Westen war«

Die »Internationale Solidarität«: »Jeder Freund, der bei uns eine neue Heimat findet, ist eine Waffe gegen die Kriegstreiber«

»Ein schönes Zuhause, eine gute Arbeit und genügend Freizeit«: Der propagandistische Nutzen der Deserteure

Jack Stuart macht sich in der DDR ein schönes Leben

Ostpropaganda: »Wir sind aus freiem Entschluss in die DDR übergetreten«

»Während es in den USA Rassendiskriminierung gibt, sind in der Sowjetunion alle Menschen gleich«

»Der verhätschelte Mörder«: Jack Stuarts schönes Leben ist zu Ende

Operation »Volkswagen«: Die Stasi sucht den Fluchthelfer

Der Fluchthelfer: Zehn Jahre Gefängnis für den Rothaarigen

Der Schleuser ist gefasst, aber die Fluchten hören nicht auf

André Labarthe verrät die Stasi, aber nicht seine Schwägerin

»Spring operation«: Ein Vogel will zurück ins Nest

Die Leiden des jungen Stasi-Spitzels

Operativer Vorgang »Lehrzeit«: Halbweltdamen für die Stasi

Schenks »U-Boot« bei den Amerikanern

William O’Ryan will nicht zurück nach Bautzen

Smallwood erfährt im »Gelben Elend« von einem Geheimnis

Der Fluchthelfer schnappt Schenks Köder

Die Doppelagentin: Charlotte Hillie in Bautzen

Smallwood vertraut Jack Forster: »Wenn wir zurückkehren, werden wir behandelt wie Helden«

Schenk stellt Smallwood eine Falle, und der begeht eine Dummheit

William O’Ryan: Ein Amerikaner verzweifelt an der Welt

Der Fluchthelfer sagt »die volle Wahrheit«

Aus William und Jack werden James und John: Die fantastische DDR-Karriere des Lieutenant Adkins

Philip Morands vierter Fehler: »Man muss ihn unter Kontrolle halten«

Coffmans letzte Reise

»Ein Sammelbecken verkrachter Existenzen«: Schenks Bilanz des Scheiterns

»Gute Auftragserfüllung«: Die Stasi und die leichten Mädchen

Streit unter Taxifahrern: »Du hast ihn nach Berlin gebracht«

Charles Lucas macht sich die Hände schmutzig

Schenk greift durch: »Es ist niemals zu spät, Gutes zu tun«

Philip Morands fünfter Fehler: Endlich im Spiel

Charles Lucas will nicht mehr

Zeit der Abrechnung: Wie Heimkehrer ihre Flucht erklärten

Philip Morand: Ein Deal mit dem Ankläger

William Smallwood: »Ich bin glücklich, wieder zurück zu sein«

Adelanis Amnesie

Mr. Adkins ist verschwunden: Wo ist John Reed?

Anhang

Anmerkungen

Abkürzungsverzeichnis

Literaturverzeichnis

Angaben zum Autor

Vorwort

Als Ernie L. Fletchers Angehörige das Telegramm lasen, in dem dessen Commander mitteilte, der noch nicht einmal 20-jährige Soldat werde vermisst, rechneten sie nicht damit, Ernie je wiederzusehen. Aber Ernie aus Covington, Kentucky, war nicht tot. Für eine »anständige« amerikanische Familie war das, was geschehen war, viel schlimmer.

Ernie war weder in Korea stationiert gewesen noch kämpfte er in Vietnam für die Freiheit oder was die Vereinigten Staaten von Amerika damals dafür hielten, sondern er diente in Deutschland, wo der Krieg bereits seit 14 Jahren zu Ende war. Die USA hatten gemeinsam mit ihren Alliierten Deutschland und die Welt von den Nazis befreit, und nun ging es in Europa darum, den Frieden zu erhalten, vor allem aber zu beweisen, welches System das bessere war, das freiheitlichere, das menschlichere. In dieser Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Kommunismus, im Kampf der beiden Systeme, war Ernie Fletchers Verschwinden von nicht zu unterschätzender Bedeutung: Deshalb klopften Journalisten von Radio- und Fernsehstationen an die Haustür seiner Familie und baten um Interviews. Denn Ernie hatte getan, was ein Amerikaner nicht tun durfte: Es hieß, er sei zu den Kommunisten übergelaufen.

Die Männer, die ihm helfen sollten, in der »neuen Welt« zurechtzukommen, lobten seinen ordentlichen Lebensstil, dass er wenig trinke und rauche, gut arbeite und lerne. Eines Tages fragten sie ihn, ob er einverstanden wäre, wenn zwei Offiziere der U.S. Army kämen, um mit ihm zu reden. Ernie hatte dazu wenig Lust, aber noch funktionierten die Reflexe eines ausgebildeten Soldaten: Wenn Vorgesetzte ihn zum Gespräch baten, ach was: befahlen, dann hatte ein Soldat zu gehorchen. Seine Begleiter brachten ihn zunächst zur sowjetischen Kommandantur nach Potsdam, die beiden Abgesandten der Army traf er schließlich in einer nahegelegenen Villa. Sie fragten ihn, wie es ihm gehe und ob er sich frei bewegen könne. Ernie antwortete, er sei freiwillig in die DDR gekommen, er habe nicht die Absicht, wieder zurückzukehren, es gehe ihm besser als zuvor.

Da gaben sie ihm den Brief seines Bruders und seiner Schwägerin: »Wir hörten, dass Ostberliner Radiostationen behaupten, Du seist in der russischen Zone und möchtest dort bleiben«, schrieben sie. »Niemand hier glaubt das.« Den letzten Satz hatten sie unterstrichen. »All Deine und unsere Freunde sagen, das sei nicht wahr, auch Deine Freundin, die kleine, weiß, dass das ein Propagandatrick ist.« Und sein jüngerer Bruder, ebenfalls Soldat, lasse ausrichten: »Sie müssen Dich entführt haben und Dich gefangen halten.« Ernie Fletcher steckte die beigelegten Zeitungsausschnitte ein, die von seiner Flucht aus der Army erzählten, und beendete das Gespräch.

So jedenfalls steht es in den Akten, in denen die hauptamtlichen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, Stasi) ihre Erkenntnisse über all jene sammelten, die aus westlichen Armeen desertiert waren und in der DDR Asyl gesucht und gefunden hatten. Selbstverständlich ist diesen Akten gegenüber Misstrauen angebracht. Aber zahlreiche Belege aus anderen Quellen lassen sie als authentisch erscheinen – und das nicht nur im Fall von Ernie.1

Jeder politisch Interessierte kennt das Foto, das den jungen NVA-Soldaten Conrad Schumann im Jahr 1961 an der Bernauer Straße in Berlin beim Sprung über den Stacheldrahtzaun und in die Freiheit zeigt. Die Männer, die den umgekehrten Weg wählten, sind unbekannt. Auf einen von ihnen, Charles Lucas, stieß ich zufällig. Er hat in seinem kurzen Leben wenige Spuren hinterlassen. Die erste fand ich während einer Recherche über afroamerikanische Soldaten in Westdeutschland. In einer Fußnote eines Buchs wurde eine Kurzmeldung der New York Times vom 9. Dezember 1952 erwähnt: Ostdeutsche Zeitungen hätten von einem afroamerikanischen Soldaten namens Karl (sic!) Lucas berichtet, der übergelaufen sei. Die Begründung, die er dafür nannte, war potenziell für viele Menschen Hoffnung und Versprechen zugleich: »Während es in den USA Rassendiskriminierung gibt«, zitierte ihn die New York Times, »sind in der Sowjetunion alle Menschen gleich.«

Ein schwarzer Soldat, der sich vor den Rassisten in seinem Land und seiner Armee zu den Sozialisten geflüchtet hatte? Dem wollte ich nachgehen, und ich notierte »Karl Lucas«, »New York Times« und »9.12.52«. Mit diesen Daten bat ich beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) um eine Archivrecherche und – bei Erfolg – um Akteneinsicht.

Ich hätte nicht erwartet, dass sich durch die Lektüre einer Fußnote ein derartiger Mikrokosmos öffnen könnte. Aber so war es. Es dauerte ein paar Wochen, dann hielt ich 220 Kopien mit vielen geschwärzten Stellen in den Händen: In diesen Stasi-Akten offenbart sich Charles Lucas’ Leben.2 Aber ich fand, zunächst im Bundesarchiv (Innenministerium der DDR) und weil mir danach die BStU-Sachbearbeiterin Birgit Limbach mit Ausdauer und zunehmender Begeisterung die Stasi-Unterlagen erschloss, noch viel mehr. Charles Lucas war nicht der einzige schwarze Soldat, der ostwärts ging, er war auch nicht der einzige US-Amerikaner. Mehr als zweihundert Männer der US-amerikanischen, der britischen, der französischen und manch anderer Nato-Armee beantragten allein bis zum Mauerbau im August 1961 politisches Asyl in der DDR.

Für den Westen war jeder Überläufer eine Niederlage, jedes Statement eines Deserteurs in den ostdeutschen Zeitungen und Radiosendern ein Stich gegen das Selbstbewusstsein des Westens und ein kleiner Sieg für die DDR. Diese Männer hatten sich »dem Friedenslager angeschlossen«, hieß es in der Propaganda, sie wollten ihren Kopf nicht mehr für die Interessen der Kapitalisten und »Kriegstreiber« hinhalten.

Und so gerieten diese Männer in den Fokus der Geheimdienste. Neben dem Staatssicherheitsdienst interessierten sich auch die Mitarbeiter des amerikanischen Counter Intelligence Corps (CIC), der französischen Sécurité des Forces Armées und des britischen Secret Intelligence Service (SIS) für sie.

Wie lange dieser Stachel schmerzte, wie lange sie ihre früheren Dienstherren beschäftigten, verrät die Tatsache, dass nach dem Mauerfall das National Defense Research Institute im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums nach den Deserteuren von damals fahndete.3 In dieser Zeit waren die BStU-Akten kaum erschlossen, die Ergebnisse dürftig. Erst jetzt, im Laufe von mehr als zwei Jahren Recherche, ergibt sich, Teil um Teil, das Bild eines Puzzles, das der Geschichte des Kalten Kriegs ein unbekanntes Kapitel hinzufügt.

So viel ist sicher: Irgendwie suchten die meisten dieser Überläufer Frieden und Freiheit, die sie in ihren Truppenteilen offenbar nicht (mehr) gefunden hatten, oder schlicht ein besseres Leben. Es stimmt aber auch: Die Überläufer landeten in einer Sackgasse. Viele dieser Deserteure mussten feststellen, dass sie sich geirrt hatten, dass die DDR ihre Hoffnungen nicht erfüllte. Einen Weg zurück gab es nicht, jedenfalls keinen straffreien.

Jeder dieser Männer erzählt eine außergewöhnliche Geschichte, eine private Geschichte des Kalten Kriegs. Es sind Geschichten von Hoffnung und Verzweiflung, von Kollaboration und Konfrontation, von Vertrauen und Verrat, von Liebe und Hass. Vor allem aber sind dies Geschichten eines grandiosen Scheiterns. Sie zeigen, wie ein totalitäres Regime, das versucht, alles Leben zu kontrollieren, das Leben selbst zerstört, Menschen zu Feinden macht, auch miteinander befreundete und sogar sich liebende. Sie zeigen, wie Menschen unerwartet ins Mahlwerk der Politik, der Ideologien, der Interessen geraten und darin zugrunde gehen, zumindest verkümmern, wie sie verraten werden, manipuliert und gedemütigt von ihren übermächtigen Widersachern. Der Druck des Regimes, seiner Nutznießer und willfährigen Helfer kehrte bei einigen von ihnen das Schlechteste nach außen, statt, wie es der Sozialismus und die DDR-Regierung versprachen, Menschen zu Brüdern zu machen, zu Freunden. Genau so aber, »Freunde«, nannten die Stasi-Aufseher und die DDR-Beamten die Deserteure, doch sie behandelten sie wie Feinde, wie eine Bedrohung. Lassen Sie mich von einigen dieser vergessenen Männer erzählen.

Prolog

An Richard Warren Coffman lag es nicht, dass er sein Versprechen nicht halten konnte. Vor siebeneinhalb Monaten hatte er es ihnen schriftlich gegeben: »Ich erkläre«, kritzelte er damals auf ein bräunliches Stück Papier, »ich werde niemals in die USA zurückkehren.« Er meinte das ernst, er wollte für immer in der DDR bleiben. Der Satz war Ergebnis eines langen Ringens mit sich selbst und den Resultaten seiner Erziehung.

Doch nun hatten andere für ihn entschieden: seine Vorgesetzten in der größten, der erfolgreichsten Armee der Welt, die er im vorigen Herbst ohne Erlaubnis verlassen hatte, weshalb die Fahnder des CIC mehr als ein halbes Jahr lang seiner Spur gefolgt waren, die Sowjets, die in der DDR noch immer das Sagen hatten und sich in dieser Angelegenheit durchaus gern den Wünschen der Amerikaner beugten, sowie seine Ehefrau in Aberdeen, USA. Deren Wille war es, dass an diesem kühlen Morgen des 25. Mai 1955 ein paar Sowjets und Amerikaner in Uniform rauchend auf dem Marienfriedhof in Bautzen standen, während vier deutsche Arbeiter ein Grab öffneten, Coffmans Grab.

Es dämmerte, niemand redete, höchstens ein Flüstern war hin und wieder zu hören. Schweigend sahen die amerikanischen Offiziere, Vertreter der sowjetischen Kommandantur, darunter ein Oberst, ein paar Volkspolizisten, der Kreisarzt, zwei Kollegen der örtlichen Hygieneinspektion, ein Klempner, ein Genosse aus dem Ost-Berliner Innenministerium und Heinz Schattel zu, wie die Männer Erde aus dem Loch nach oben warfen und dabei langsam im Boden versanken. Schließlich stießen sie auf den Sarg, den die Totengräber vor knapp hundert Tagen hinabgelassen hatten. Sie banden zwei Seile um die Kiste, zogen sie aus der Grube, öffneten sie. Streng hielten sich alle Beteiligten an die Verfügung, die der stellvertretende Kreisarzt vier Tage zuvor an Schattel geschickt hatte, der die »Internationale Solidarität« (IS) leitete, die Organisation, die in Bautzen die Überläufer betreute.

»1. Die Ausgrabung hat unter Hinzuziehung des zuständigen Totenbettmeisters und des Desinfektors (…) zu erfolgen.

2. Die Ausgrabung hat zu einer Zeit zu erfolgen, zu welcher die betreffende Stelle von unbefugten Personen nicht betreten wird (Morgengrauen).

3. Derjenige Teil der ausgegrabenen Erde, welcher den Sarg umgibt, ist mit 5 kg Chlorkal oder Kalkmilch zu vermischen.

4. Es ist ein genügend großer Sarg (Metallsarg) bereitzustellen, in welchem die Überreste wieder beigesetzt werden können.

5. Der Metallsarg ist nach der Schließung zu verlöten.

6. Der Sarg darf nicht mehr geöffnet werden.

7. Die Volkspolizeibehörde ist wegen polizeilicher Überwachung der Ausgrabung unter Angabe von Tag und Stunde der Vornahme der Arbeiten rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, unter gleichzeitiger Benachrichtigung der zuständigen Hygiene-Inspektion des Kreises Bautzen.

8. Sie haben sämtliche Kosten der Ausgrabung und Durchführung zu tragen.

9. Die Hygiene-Inspektion ist von der vollzogenen Ausgrabung und Überfügung in Kenntnis zu setzen.«

Nach eineinhalb Stunden war die Geheimaktion beendet, die Bevölkerung hatte die Exhumierung verschlafen, auch dank der gewissenhaften Arbeit von Stasi und Volkspolizei, die den Ort weiträumig abgesperrt hatten. Der Kreisarzt bestätigte abschließend, dass die polizeilichen und gesundheitlichen Bestimmungen eingehalten worden seien. Die US-Offiziere übernahmen großzügig die Kosten für Arbeit, technisches Personal und Transport in Höhe von 266 Mark und 65 Pfennigen. Nach einem Frühstück im Nebenraum der Gaststätte »Weißes Ross« begleitete der Stadtkommandant die Amerikaner, die Sowjets und den Sarg bis zur Stadtgrenze. Dort nahm der sowjetische Oberst die Leiche in Empfang, die er nach einer gemeinsamen Fahrt an der Sektorengrenze endgültig den Amerikanern überließ. Der Deserteur Richard Warren Coffman, der seine in Bremerhaven stationierte Einheit am 3. Oktober 1954 illegal verlassen und in der darauffolgenden Nacht die Grenze nach Osten überschritten hatte, befand sich nun auf dem Weg in das Land, in das er nicht mehr hatte zurückkehren wollen.

Wenige Stunden später hielt der Mann, der in der Ost-Berliner Zentrale des Staatssekretariats für Staatssicherheit für die Bearbeitung der Überläufer aus Nato-Armeen verantwortlich war, das Protokoll der Bautzener Genossen in den Händen. Er war erleichtert, dass Coffman fort war, aber er wusste: Die Probleme, die dessen Tod offenbart hatte, waren geblieben. Sein ertragreichster Geheimer Informator (GI), »Taylor«, hatte sie bereits wenige Tage nach Coffmans Beerdigung benannt, indem er von den Gerüchten berichtete: »Der Tod dieses Jungen hatte eine seltsame Wirkung auf alle Boys. Die Franzosen glauben, es sei für sie nicht mehr sicher in Bautzen. Die Amerikaner (…) sagen, der Vorfall zeige, dass man den Deutschen nicht trauen könne.« Einer von ihnen habe gewarnt: »Sie werden uns einen nach dem anderen töten.«4

Kinder, »Commies«, Kriminelle

Weshalb Nato-Soldaten in der DDR um Asyl baten

Er nannte sich »Dr. Huber«. Die Wahl dieses Decknamens war ein bisschen verwegen, weil der Mann, von dem er sich jede seiner wichtigen Maßnahmen genehmigen lassen musste, der »Arbeiterführer« Erich Mielke, akademische Titel verabscheute; vor allem aber war sie sehr anmaßend, weil »Dr. Huber« nicht promoviert, sondern lediglich ein Germanistikstudium an der Karl-Marx-Universität in Leipzig abgeschlossen hatte. Aber wenn Karl Schenk,5 so sein richtiger Name, das Tor von »Objekt 4« passierte, im Fond eines BMW schräg hinter dem Chauffeur sitzend, und dann das Haus betrat, in dem wieder ein Deserteur wartete, wenn er den neuen Amerikaner, Briten oder Franzosen begrüßte, dann ahnte der: Dieser Mann ist wichtig, »Dr. Huber« würde über sein weiteres Schicksal entscheiden. Das muss auch Richard Warren Coffman bemerkt haben, als er ihn zum ersten Mal sah.

Wenn Schenk in Coffmans Akte blätterte – und das dürfte er zweifellos spätestens nach dessen Tod erneut getan haben, weil er Maßnahmen zu ergreifen hatte –, dann trat ihm ein fortschrittlicher 29-Jähriger aus einfachen Verhältnissen entgegen, der in einem Land wie der DDR seinen Weg hätte finden können. Coffman war ein anständiger Mensch gewesen, obwohl oder gerade weil er mit einer Prostituierten, einem »business girl«, wie er sie nannte, in die DDR gekommen war, die ihm gesagt hatte, dass sie von ihm schwanger sei; Coffman war ein anständiger Mensch, obwohl in den USA eine Ehefrau und zwei Kinder auf ihn warteten. Vor allem war er ein konsequenter Mensch gewesen.

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