11,99 €
Die "Woodwalkers" sind zurück! Die Bestsellerreihe von Katja Brandis geht in die zweite Staffel. Auf Puma-Wandler Carag, Wolfsmädchen Tikaani und ihre Freundinnen und Freunde von der Clearwater High warten größere Herausforderungen als je zuvor. Endlich wieder Schule! Als Carag nach den Sommerferien ins geheime Gestaltwandlerinternat Clearwater High zurückkehrt, erwarten den Pumajungen neben seinen besten Freunden Holly, Brandon & Co. auch jede Menge neue Gesichter. Carags Schwester Mia, die bisher nur als wilder Puma in den Bergen gelebt hat, geht nun in die Erstjahresklasse. Wird sie sich wohlfühlen und mit den anderen klarkommen? Noch dazu wird Carag zum Mentor für den quirligen Hunde-Wandler Terry ernannt - das bedeutet Chaos pur! Während Carag mit diesen Herausforderungen und dem schwierigen Schulstoff kämpft, erreichen ihn beunruhigende Nachrichten von seinem Erzfeind Andrew Milling, der doch eigentlich im Gefängnis sicher verwahrt sein sollte. Der gefährliche Wandler sucht nach einem Weg, mithilfe einer fast vergessenen Beschwörungsformel seine Menschengestalt zurückzuerlangen, und bekommt dabei Hilfe von außen. Von einer Wandlerin, die keine Skrupel kennt … Auch im zweiten Schuljahr kommen Tierfantasy-Fans ab 10 Jahren voll auf ihre Kosten: Neue, spannende Gestaltwandler-Charaktere und mitreißende Abenteuer vor der spektakulären Kulisse Nordamerikas machen jeden Band zum garantierten Lesespaß. Die Illustrationen im einzigartigen Stil von Claudia Carls setzen die Geschichten perfekt in Szene. Gedruckt auf Recycling-Umweltschutzpapier, zertifiziert mit dem Blauen Engel. Die Woodwalkers- und Seawalkers-Bände erscheinen halbjährlich. Bisher erschienen sind: Woodwalkers, Staffel 1 Woodwalkers (1). Carags Verwandlung Woodwalkers (2). Gefährliche Freundschaft Woodwalkers (3). Hollys Geheimnis Woodwalkers (4). Fremde Wildnis Woodwalkers (5). Feindliche Spuren Woodwalkers (6). Tag der Rache Woodwalkers Special Woodwalkers & Friends. Katzige Gefährten Woodwalkers & Friends. Zwölf Geheimnisse Woodwalkers & Friends. Wilder Kater, weite Welt (erscheint am 15.09.2022) Seawalkers Seawalkers (1). Gefährliche Gestalten Seawalkers (2). Rettung für Shari Seawalkers (3). Wilde Wellen Seawalkers (4). Ein Riese des Meeres Seawalkers (5). Filmstars unter Wasser Seawalkers (6). Im Visier der Python
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 378
Veröffentlichungsjahr: 2022
Bücher von Katja Brandis im Arena Verlag:
Woodwalkers. Carags Verwandlung
Woodwalkers. Gefährliche Freundschaft
Woodwalkers. Hollys Geheimnis
Woodwalkers. Fremde Wildnis
Woodwalkers. Feindliche Spuren
Woodwalkers. Tag der Rache
Woodwalkers and Friends. Katzige Gefährten
Woodwalkers and Friends. Zwölf Geheimnisse
Woodwalkers and Friends. Wilder Kater, weite Welt
Seawalkers. Gefährliche Gestalten
Seawalkers. Rettung für Shari
Seawalkers. Wilde Wellen
Seawalkers. Ein Riese des Meeres
Seawalkers. Filmstars unter Wasser
Seawalkers. Im Visier der Python
Die Jaguargöttin
Khyona – Im Bann des Silberfalken
Khyona – Die Macht der Eisdrachen
Gepardensommer
Koalaträume
Delfinteam. Abtauchen ins Abenteuer
Katja Brandis, Jahrgang 1970, hat Amerikanistik, Anglistik und Germanistik studiert und als Journalistin gearbeitet. Schon in der Schule liehen sich viele Mitschüler ihre Manuskripte aus, wenn sie neuen Lesestoff brauchten. Inzwischen hat sie zahlreiche Romane für Jugendliche veröffentlicht, zum Beispiel Khyona, Gepardensommer, Die Jaguargöttin oder Ruf der Tiefe. Bei der Recherche für Woodwalkers im Yellowstone-Nationalpark lernte sie eine Menge Bisons persönlich kennen, stolperte beinahe über einen schlafenden Elch und durfte einen jungen Schwarzbären mit der Flasche füttern. Sie lebt mit Mann, Sohn und drei Katzen, von denen eine ein bisschen wie ein Puma aussieht, in der Nähe von München.
www.woodwalkers.de | www.seawalkers.de
Für Sabine
Ein Verlag in der Westermann Gruppe
1. Auflage 2022
© 2022 Arena Verlag GmbH
Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Dieses Werk wurde vermittelt durch dieAutoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler (München).
Cover und Innenillustrationen: Claudia Carls
E-Book ISBN 978-3-401-81014-0
Besuche uns auf:
www.arena-verlag.de
@arena_verlag
@arena_verlag_kids
Inzwischen kann ich ziemlich gut verbergen, dass ich nicht nur ein blonder Junge mit grüngoldenen Augen bin, sondern in zweiter Gestalt auch ein Puma. Mein erstes Schuljahr am geheimen Woodwalker-Internat Clearwater High habe ich dank der Nachprüfung im Fach Tiersprachen geschafft und es war toll, die Sommerferien mit meiner wunderbaren Polarwölfin Tikaani zu verbringen. Jetzt bin ich gespannt, was sich die Lehrer für unser zweites Schuljahr ausgedacht haben. Und natürlich, ob meine Schwester Mia, die bisher als wilder Puma in den Bergen gelebt hat, sich in der neuen Erstjahresklasse wohlfühlen wird! Manchmal muss ich an Andrew Milling denken, meinen schlimmsten Feind, der nach seinen Angriffen auf die Menschen zu einer lebenslänglichen Strafe verurteilt worden ist. Aber wieso sollte ich noch Angst vor ihm haben? Er ist für sehr lange Zeit eingesperrt in einem der Gefängnisse des Rats, dem »Tierpark« Sunny Meadows …
Es war erniedrigend, angeglotzt zu werden wie ein Zootier, doch daran hatte er sich gewöhnt. Niemals würde er sich daran gewöhnen, dass der Rat ihm seine Verwandlungsfähigkeit genommen hatte, niemals! Er war der mächtigste Woodwalker des amerikanischen Westens gewesen – und irgendwann würde er es wieder sein.
»Schau mal, Mama, ein Löwe«, rief ein Junge jenseits der Wand aus dickem Panzerglas. »Sieht echt flauschig aus!«
»Nein, mein Schatz, das ist kein Löwe – das ist ein Puma«, erklärte die Mutter. »Aber es stimmt, manche nennen sie Berglöwen.«
Andrew Milling ignorierte die beiden, ging auf seinen großen Pranken durch das Gebüsch hinüber zum Teich, kauerte sich nieder und trank. Wäre er frei gewesen, er hätte diese Menschen innerhalb von Sekunden reißen können. Doch er wusste aus Erfahrung, dass die Absperrungen – über die sich manche Besucher wunderten – ausbruchsicher waren. Die Insassen mit milden Strafen hatten Freigehege, die sich von denen eines gewöhnlichen Tierparks auf den ersten Blick kaum unterschieden, doch sein eigenes Gehege war maximal gesichert. Sogar zwischen ihm und dem Himmel waren Metalldrähte gespannt, die unter Strom standen, damit kein fliegender Wandler darauf landen oder ihm jemand von draußen Ausrüstung zuwerfen konnte. Nicht dass er damit hätte viel anfangen können, schließlich musste er damit klarkommen, nur noch Pfoten zu haben statt Hände.
»Huhu, Puma! Schau mal zu mir her!«, schrie der Junge nun und hämmerte mit den flachen Händen gegen die Glasscheibe. »Puuuuma! Hier, Katzi, schau hierher!«
Das nervte und gerade war kein Wächter in der Nähe, um es zu verhindern.
Also wandte Andrew tatsächlich den Kopf und schickte dem Gör einen durchdringenden Blick. Erschrocken wich der Junge zurück, wetten, dem hämmerte das Herz wie wild? Immerhin, er war klug genug, die Gefahr zu spüren. »Können wir jetzt zu den Elchen gehen?«, fragte er und klammerte sich an die Hand seiner Mutter.
»Ja natürlich, mein Schatz. Magst du noch einen Schokoriegel?«
Vor Neid grub Andrew mit den Krallen tiefe Furchen in den nächstbesten Baumstamm. Andere Woodwalker-Häftlinge, bestimmt auch sein ehemaliger Kommandeur Lominga – ein Elch in zweiter Gestalt –, durften sich nachts, wenn alle Besucher Sunny Meadows verlassen hatten, verwandeln und in erster Gestalt menschliche Dinge tun: eine Cola trinken, mit anderen Häftlingen Karten spielen, eine Zeitschrift lesen. Nur er und einige wenige andere waren in der zweiten Gestalt eingefroren worden.
Die Geräte, die Dämpfer genannt wurden, verhinderten, dass er Gedankenkontakt mit anderen Gefangenen aufnehmen konnte. Selbst zu den Hirschen und Füchsen nebenan kam er nicht durch, obwohl seine Fähigkeit, von Kopf zu Kopf zu sprechen, schon immer stark gewesen war. So verhinderte dieser verfluchte Rat, dass er gemeinsam mit seinen Getreuen, die ebenfalls in Sunny Meadows gelandet waren, neue Pläne schmiedete. Sicher war den Ratsmitgliedern klar, dass er sie vernichten würde dafür, dass sie seine Pläne durchkreuzt und ihn hierher verbannt hatten.
Doch heute war irgendetwas anders. Nur was? Rastlos pirschte Andrew Milling durch die sorgfältig mit Büschen und Bäumen bepflanzte Anlage, bis er herausgefunden hatte, was es war.
An der Südseite seines Geheges war einer der Gedankendämpfer – ein silberner Zylinder, etwa so groß wie eine Colaflasche – defekt.
Da war sie, seine Gelegenheit!
Wie lange würde es dauern, bis sie herausfanden, dass das Ding kaputt war, und es austauschten?
Den ganzen Tag über lauschte er, streckte seine Sinne aus. Versuchte zu spüren, ob unter den Besuchern des Tierparks ein Wandler war. Hoffte, wartete. Hin und wieder kamen ehemalige Getreue, er erkannte sie an dem tiefen Respekt, mit dem sie ihn betrachteten. Vielleicht würde heute einer von ihnen kommen, ja, ganz bestimmt!
Am Nachmittag schlenderte ein etwa sechzigjähriger Mann mit einer lächerlichen rot-grünen Kappe und einem kleinen Mädchen an der Hand vorbei. Er war ein Woodwalker, das war deutlich zu spüren. Nein, der war nicht der richtige, ältere Leute waren zu vorsichtig, zu skeptisch. Falls der Mann nicht wusste, dass er selbst kein normaler Mensch war, würde es zu lange dauern, es ihm zu erklären, und wahrscheinlich würde er es nicht glauben.
Gegen Abend horchte Andrew Milling noch einmal auf, als eine blonde, in ein weißes Prada-Kostüm mit pfirsischfarbener Bluse gekleidete Frau vor der Panzerglaswand stehen blieb. An ihrem Handgelenk glänzte eine brillantenbesetzte Armbanduhr. Sie fühlte sich an wie eine Wandlerin und die Art, wie sie ihn fasziniert – und irgendwie wissend – anstarrte, verriet ihm, dass sie sehr wahrscheinlich seine Geschichte kannte. Sollte er mit ihr Kontakt aufnehmen? Doch es war schwer, ihren Gesichtsausdruck zu deuten, womöglich fühlte sie Abscheu vor ihm. Es war zu riskant, sie anzusprechen.
Mit einem eigenartigen Lächeln nickte sie ihm zu, dann stöckelte sie auf ihren teuren, hochhackigen Schuhen davon.
Er hatte Glück, auch am zweiten Tag hatten seine Wächter noch nicht gemerkt, dass der Dämpfer defekt war. An diesem Tag kam zwar keiner seiner früheren Getreuen, aber jemand, der fast genauso gut passte. Ein Mädchen, vielleicht dreizehn, mit frischem Gesicht, die Wangen gerötet von der kühlen Morgenluft der Rocky Mountains. Arglose blaue Augen betrachteten ihn neugierig. Sie war eindeutig ein Woodwalker, so wie auch ihr Vater, doch er hatte das Gefühl, dass sie sich bisher beide nicht verwandelt hatten. Ihre Mutter und der kleine Bruder fühlten sich an wie normale Menschen.
»Oh wow, ist das ein großer Puma – schaut mal«, sagte das Mädchen und blieb stehen, beobachtete ihn. »Raubkatzen sind einfach so cool!«
»Ja stimmt«, meinte ihre Mutter und hob ihr Smartphone, schoss ein paar Fotos. »Ein prachtvoller Kerl. Aber ganz schön viele Narben hat er, der hat wohl in der Wildnis gerne gekämpft!«
Sie wussten nicht, wer er war. Perfekt.
Andrew Milling wandte den Kopf, um die kleine Familie mit seinen Katzenaugen anzusehen, und verbannte die mörderische Wut tief in sein Inneres. Es durfte nichts schiefgehen. Schon heute konnten die Angestellten merken, dass der Dämpfer nicht richtig funktionierte, vielleicht war das hier seine einzige Chance. Als die Eltern mit dem jüngeren Bruder weitergingen, schickte er dem Mädchen ein lautloses Hallo in den Kopf.
Verblüfft blickte sie sich um. »Hallo?«, fragte sie ratlos. »Ist da jemand?«
Kein Mensch war in der Nähe.
ICH habe das gesagt, sagte Andrew Milling. Der Puma.
Mit offenem Mund starrte das Mädchen ihn an.
Mein Name ist Andrew. Wie heißt du?
»Kim… Kimberley«, stotterte das Mädchen und blickte sich noch immer ungläubig um. Durch die Glasscheibe konnte er sie nicht wittern – was für ein Tier konnte sie in zweiter Gestalt sein? Sie fuhr fort: »Wieso … kannst du sprechen? Bist du … ein magisches Tier?«
So was in der Art, meinte er und ließ seinen Blick einen Moment lang traurig zum Horizont schweifen. Schon seit Juni bin ich hier gefangen. In einem viel zu kleinen Gehege, obwohl ich die Freiheit der Berge gewohnt bin.
»Oje, das ist wirklich schlimm.« Sie schenkte ihm einen mitleidigen Blick.
Aber jetzt bist du gekommen, fuhr er fort. Endlich!
»Ich … du meinst, du hast auf mich gewartet?« Er sah, wie das Mädchen die Luft anhielt.
Ja, genau auf dich, weil du vielleicht die Einzige bist, die mir helfen kann, verkündete Andrew Milling feierlich. Schon vor langer Zeit haben die Weisen vorhergesagt, dass du kommen würdest … wenn der Abendstern besonders hell strahlt, nachts eine Mondsichel am Himmel steht und ich einen Schwalbenschwanzfalter sehe. Und genauso war es auch!
»Kim! Wo bist du?«, hörte er ihre Eltern rufen. Verdammt.
»Komme gleich!«, erwiderte das Mädchen, strich sich das schulterlange braune Haar aus dem Gesicht und wandte sich dann mit glänzenden hellblauen Augen ihm zu. »Was kann ich tun?«
Er erklärte es ihr ganz genau – und fügte hinzu: Das alles muss unser Geheimnis bleiben, verstehst du? Das ist sehr, sehr wichtig!
Feierlich legte Kimberley die Hand aufs Herz. »Natürlich. Ich verrate niemandem etwas. Nichts, kein Wort!«
Sie war so eine arme, dumme Gans.
Du stinkst, Carag, sagte meine große Schwester Mia zu mir, als wir uns in den Bergen westlich von Jackson Hole trafen.
Was für eine nette Begrüßung! Wer hatte sie denn darum gebeten, ihren großen zimtfarbenen Raubkatzenkopf an meinem zu reiben? Ach wirklich, gab ich zurück und verpasste ihr einen Prankenhieb mit eingezogenen Krallen. Wonach denn?
Nach Menschenzeug – nach Kräutern und irgendwelchen Früchten, beklagte sich Mia.
Als Mensch hätte ich gegrinst. Hätte ich mir ja denken können, dass sie meine Limette-Minze-Deo-Seife nicht mögen würde. Ich habe geduscht. Heute ist schließlich ein wichtiger Tag, alle kommen aus den Ferien an die Schule zurück und die Neuen kreuzen auf. Sie sollen ja nicht gleich entsetzt wieder abhauen.
Mia kräuselte die Schnauze. Aber wenn du nach Früchten riechst, versucht vielleicht jemand, dich zu essen.
Das muss er erst mal schaffen, gab ich zurück und zeigte ihr meine Fangzähne, die immerhin so lang waren wie ein Menschenzeigefinger. Bevor Mia sich beschweren konnte, dass auch die unnatürlich nach Minze rochen, lief ich ihr voraus und glitt über die Felsen, pirschte um eine Drehkiefer herum.
Dort trafen wir unsere Eltern, die sich natürlich von uns verabschieden wollten. Friss möglichst keinen deiner Mitschüler, meinte mein Vater; er lag als große Raubkatze quer über einem umgestürzten Baumstamm und spähte auf uns herab. Denk dran, du musst bei einem Beutetier immer erst prüfen, ob es nicht etwa ein Woodwalker ist!
Jaja, weiß ich – Carag hat mir die Schulregeln schon erklärt, meinte Mia ein bisschen genervt.
Willst du dich wirklich heute mit Carags Menschenfamilie treffen? Schnurrend schmiegte sich meine Mutter erst an mich und dann an Mia. Sei unbedingt nett zu ihnen und denk dran, deine Krallen einzufahren!
Ach, das wird schon klappen, meinte ich und war selbst ein bisschen aufgeregt bei dem Gedanken an diese Begegnung. Seit fast drei Jahren – seit ich mich entschieden hatte, nicht mehr als Puma, sondern als Mensch zu leben – wohnte ich nun bei den Ralstons in der kleinen Stadt Jackson. Erst seit Kurzem wussten sie, was und wer ich wirklich war. Sie wollen übrigens nicht nur Mia, sondern euch alle kennenlernen, hab ich euch ja schon erzählt.
Mein Vater antwortete gar nicht erst, warf mir nur einen Ernsthaft?-Blick zu. Er war überzeugt davon, dass die meisten Menschen ihm das Fell abziehen wollten. Obwohl ich wusste, dass meine Mutter sehr neugierig war auf meine Menschenfamilie, meinte sie diesmal nur: Irgendwann werden wir alle bereit dazu sein.
Bestimmt, sagte ich ein bisschen enttäuscht. Kommst du, Mia?
Ich war sehr gespannt, wie meine Schwester mit den Ralstons klarkommen würde; sie hatte nicht viel Erfahrung mit Menschen, weil sie bisher nur als Puma gelebt hatte. Deshalb legten wir den größten Teil des Weges auch in zweiter Gestalt zurück. Kleidung hatte ich schon für uns deponiert, wir mussten uns nur noch verwandeln und umziehen.
Doch als wir von der Hügelkette aus auf die Stadt Jackson herabblickten, blieb Mia plötzlich stehen, ihre Schwanzspitze pendelte unruhig. Dabei hatten wir noch nicht mal das Klamottenversteck erreicht.
Was ist?, fragte ich unruhig.
Deine Menschenfamilie … das sind vier Menschen in einem Haus, oder? Ich muss in dieses Haus und sie machen die Tür hinter mir zu?
Wir können die Tür auch offen lassen – du wirst sehen, es wird sehr katzig, meinte ich und stupste sie mit der Schnauze an. Sie freuen sich schon auf dich!
Mia grub die Krallen in die Erde. Einen Hund haben sie auch, hast du gesagt. Was ist, wenn der Hund mich anbellt und ich Panik bekomme und wegrenne?
Na, dann kommst du eben wieder zurück, sagte ich und lief ein Stück voraus. Es nutzte nichts, sie kam mir nicht nach.
Ich glaube, ich will doch nicht, meinte meine Schwester. Irgendwann mal vielleicht, zusammen mit Mama und Papa.
Beim großen Gewitter! Sobald ich in der Clearwater High war, würde ich die Ralstons anrufen und ihnen absagen müssen. Aber auf meine Schule willst du schon noch gehen? Falls sie sich das auch noch anders überlegt hatte, musste ich ganz dringend irgendwas mit den Krallen zerfetzen!
Ja, das mit der Schule mache ich. Mia spähte entschlossen ins Tal.
Bevor sie noch mal drüber nachdenken konnte, führte ich meine Schwester aus den Bergen heraus zur garantiert geheimsten Highschool des ganzen Landes.
Nach und nach regte ich mich ab. Dass sich Mia nicht zu den Ralstons getraut hatte, war schon in Ordnung, wir würden das nachholen. Es war unglaublich cool, dass wir in Zukunft beide auf die Clearwater High gehen würden! Lange genug hatte ich meine Pumafamilie vermissen müssen und nun würde Mia mein Leben teilen, endlich. Morgen, am Montag, war ihr erster Schultag. Sie war sechzehn und ich vierzehn. Drei Jahre war es nun schon her, dass ich zu den Menschen gegangen war. Damals hatte ich mich gegen ein Leben als Puma entschieden, weil die Menschenwelt mich fasziniert hatte. Es war schwer gewesen, dort Fuß zu fassen, aber es hatte sich gelohnt.
Ich blickte auf die Clearwater High hinab und freute mich darüber, dass sie aussah wie ein Teil der Natur. Von hier oben konnte ich die Lichtung sehen, auf der meine Freunde und ich gerne unsere Pausen verbrachten, und das Flüsschen in der Nähe glitzerte in der Septembersonne. Hübsch, oder?, fragte ich Mia stolz und sie nickte.
Wir überquerten den grasbewachsenen Parkplatz und liefen durch den Kiefernwald bis zum Eingang. Damit Menschen, die zufällig vorbeikamen, keinen Verdacht schöpften, war der Eingangsbereich der Schule aus Backstein und Glas konstruiert, über den großen Eingangstüren war der Schriftzug Clearwater High zu lesen.
Obwohl Mia schon einmal hier gewesen war – zum Besuchertag –, zögerte sie, als sie sich diesem Teil des Gebäudes näherte. Wie halten es die Leute aus, den ganzen Tag in so einem Kasten zu verbringen?
Ach, man gewöhnt sich dran, und keine Sorge, wir sind nicht den ganzen Tag drinnen, versicherte ich ihr, schleckte ihr beruhigend über die Schulter und hoffte, dass sie nicht noch mal einen Rückzieher machen würde. Komm, wir laufen erst mal eine Runde um die Schule.
Zum Glück sah der Rest der Clearwater High weniger nach Haus und mehr nach einem felsigen Hügel aus – die Oberfläche bestand aus großen, unregelmäßig übereinandergestapelten Granitquadern. Dort, wo ein bisschen Erde angeweht worden war, wuchsen Grasbüschel, Bärentraube und sogar ein paar Babykiefern.
Durch kleine und größere Fenster, viele von ihnen rund, konnte man in die Zimmer und Unterrichtsräume blicken. In der Mitte hatte das Schulhaus einen mit Bäumen bewachsenen Innenhof, in dem wir Verwandlungsunterricht hatten.
Etwas Kleines, Rotbraunes schoss auf mein Gesicht zu. Carag! Da bist du ja endlich!, rief das pelzige Etwas empört, zog an meinen Ohren und hüpfte zwischen ihnen auf und ab. Weißt du, wie viele Stunden ich auf dich gewartet habe? Nein, nicht Stunden, sondern TAGE, nein, WOCHEN! Ich könnte einen ganzen Sack Nüsse verputzen, so viel Hunger hab ich wegen dir!
Mia guckte verdutzt, aber ich freute mich einfach, meine beste Freundin wiederzusehen! Ah, Holly, das Hektikhörnchen, meinte ich und schüttelte gleichzeitig den Kopf, sodass das Pelztierchen in hohem Bogen davonflog. Geschickt fing ich Holly unter meiner Pranke und schnupperte an ihr. Mhmm, ich glaube, ich hab auch Hunger, wie wäre es mit einem Snack?
Gute Idee, sagte Mia, ohne mit einem Tasthaar zu zucken. Schließlich kannte sie Holly schon aus den Ferien.
Lass mich sofort los, du Mistmieze, schimpfte Holly und zappelte unter meiner Pranke, was angenehm kitzelte.
Ich tat ihr den Gefallen. Kaum hatte ich meine Pfote gehoben, da zischte meine beste Freundin schon davon. Gerade sind ein paar Neue angekommen, wollen wir die abchecken?
Sind Brandon und Tikaani schon da? Ich schaute mich um, doch weder mein bester Freund, der in zweiter Gestalt ein Bison war, noch die tollste Polarwölfin der Welt waren gerade in Sicht. Beim großen Gewitter, ich vermisste sie!
Hab ich beide noch nicht gesehen, informierte uns Holly, setzte sich auf die Hinterbeine und schaute sich nach uns um. Also, was ist, kommt ihr endlich oder wollt ihr euch lieber hier draußen langweilen, bis euch das Fell ausfällt?
Mein Fell ist eh gleich weg, also kein Stress, sagte ich und zog mich hinter den Baum zurück, bei dem ich meine Klamotten deponiert hatte. Dort konnte ich mich in Ruhe verwandeln. Inzwischen brauchte ich mein selbst ausgedachtes »Zauberwort« Timbuktu nur noch selten, es klappte auch so, indem ich mir meine Menschengestalt vor mein inneres Auge rief. Schon spürte ich ein Kribbeln und das Fell verschwand von meinen Armen. Aus meinen Vorderpranken wurden wieder Hände, die pelzigen Ohren zogen sich an die Seiten des Kopfes zurück.
Mia stutzte zum Glück nur kurz, als sie mich als Jungen sah, roch an meinen Jeans und schmiegte sich dann schnurrend an mein Bein. Ich lächelte ihr zu und meine Schwester schnaufte. Haha, du solltest dich mal sehen, mit so kleinen Zähnen hat ja nicht mal ein Wapiti Angst vor dir!
»Und das ist auch gut so«, sagte ich und winkte Lou zu, die – gerade in ihrer Gestalt als hübsches Mädchen mit langen dunklen Haaren – auf die Schule zuging. Eine ganze Herde ihrer Wapitiverwandten war bei ihr.
Über mir flatterte etwas und ich freute mich, als ich unsere Rabenzwillinge erkannte – Shadow und seine Schwester Wing. »Na, guten Flug gehabt?«
Fedrig, gab Wing gut gelaunt zurück, hockte sich auf eine der offenen Türen und putzte sich das schwarz glänzende Gefieder. Wann gibt’s eigentlich Mittagessen?
Ich musste lachen – die beiden waren unglaublich verfressen.
In der Eingangshalle, in der mittendrin ein lebender, menschendicker Ahornbaum wuchs, war ebenso viel los wie draußen. Ich winkte Mia zu, mir nach drinnen zu folgen, und leicht geduckt schlich sie neben mir her. Um sie zu beruhigen, legte ich eine Hand auf ihren hellbraunen Rücken. Verdammt, warum hatte ich sie nicht nachts hergebracht, wenn weniger Trubel herrschte?
»Oh hallo, Carag!« Das Maulwurfmädchen, das einen riesigen, ramponierten Koffer hinter sich herschleifte, kannte ich schon – es steuerte direkt auf meinen Lieblingslehrer James Bridger zu und fragte: »Aber ich kann doch diesmal ein Zimmer im Keller bekommen, oder?«
»Da sind eigentlich keine Schülerzimmer, aber ich werde schauen, was sich machen lässt«, versprach ihr mein Lieblingslehrer.
Neben ihr wurde gerade ein Mädchen mit glatten braunen Haaren von unserer Schulleiterin begrüßt. »Du bist Kimberley, nicht wahr? Herzlich willkommen!« Lissa Clearwater war eine Weißkopf-Seeadlerin und in Menschengestalt eine hochgewachsene, schlanke Frau mit geisterweißem Haar und leicht gebogener Nase. Sie hakte etwas auf ihrer Liste ab. »Was bist du noch mal in zweiter Gestalt?«
»Kanadagans«, sagte das Mädchen. »Ich weiß es erst seit ein paar Wochen und …«
Ein nicht sehr großer, dunkelhaariger Junge mit eckigem Gesicht und Klamotten, die eine Nummer zu groß für ihn waren, drängte sich zu unserer Schulleiterin durch. »Und ich bin ein Ameisenlöwe«, unterbrach er lautstark das Gespräch.
Im ersten Moment sah ich eine dieser hellbraunen Katzen vor meinem inneren Auge, mit denen ich mich im letzten Schuljahr herumgeschlagen hatte. Nur eben in einer winzig kleinen Version, von der fünf auf meinen Radiergummi passten.
Ein Ameisenlöwe?, fragte Mia, sie klang entgeistert. Sind das nicht INSEKTEN?
Die mit diesem Trichter im Sand, in den ihre Beute reinrutscht?
Ups, ja, sie hatte recht.
»Es gehen alle möglichen Schüler hierher, nicht nur große, starke Raubtiere, und könntest du bitte etwas leiser denken?«, zischte ich ihr zu. »Sonst ist bald jemand beleidigt.« Ich sagte ihr lieber nicht, dass mir von einem der anderen Schüler ein Duft nach Nagetier in die Nase gestiegen war. Sie würde es bestimmt gleich selbst wittern.
Drei andere schnüffelten schon längst interessiert – Jeffrey, der Anführer des Wolfsrudels in unserer Schule, sein kräftiger Beta-Wolf Cliff und Miro, unser Wolfswelpe, der in den Sommerferien ordentlich gewachsen war.
Finster blickte der rundliche Junge mit dem dichten blonden Schopf und dem hübschen Gesicht, der neben uns stand, sie an. »Bevor ihr fragt – ich bin ein Lemming, wisst ihr überhaupt, was das ist?« Ein Schwall Mundgeruch begleitete seine Worte und unauffällig bewegten Mia, Holly und ich mich rückwärts.
Nach einem Blick auf das hellgraue T-Shirt und die dunkelgrauen Hosen des Neuen meinte Jeffrey: »Lemming? Nennt man so nicht geistig behinderte Elefanten?« Dann wieherte er vor Lachen über seinen eigenen Witz, während der Neue die Lippen zusammenkniff. Aha, der gute Jeffrey hatte sich nicht sehr geändert.
Weil Miro große Augen machte, erklärte ihm Cliff schnell: »Nein, nein, Lemminge sehen so ähnlich aus wie Hamster, glaube ich. Wir googeln das nachher mal, ja?«
Holly und ich blickten uns an. Sieht aus, als hätten wir diesmal ein paar, äh, INTERESSANTE neue Schüler, meinte ich.
Aber hallo, eben wäre ich fast den Baum rauf, als ich das gerochen habe, meinte Holly.
Während Miro mich begeistert wedelnd begrüßte, betrachteten Jeffrey und Cliff meine Schwester und mich skeptisch.
»Gleich zwei Pumas an der Schule, wow«, sagte Jeffrey, er klang mäßig begeistert. Es herrschte nun zwar Frieden zwischen uns, aber echte Katzenfans würden die Wölfe sicher nicht mehr werden.
Zwei Pumas sind keiner zu viel, sagte Mia ein bisschen trotzig.
»Jaja, schon gut. Hab ich gemeckert oder was?« Mein Ex-Feind grinste in Mias Richtung und schlug mir auf die Schulter. »Alles okay bei euch? Wie war’s in der Arktis bei den Polarwölfen?«
»Toll. Es gab ein kleines Problem, als einer von ihnen mich verflucht hat, aber Tikaanis Großmutter hat das wieder hinbekommen«, erzählte ich.
Jeffrey schaute drein, als hätte ich nicht mehr alle Nadeln an der Kiefer. Ich zuckte die Schultern und hielt Ausschau nach meiner Freundin, als wäre sie eine Bergquelle und ich gerade am Verdursten.
Holly interessierte sich weder für Lemminge noch für das Rudel, sie witschte zwischen den Beinen des Neuen hindurch und sauste quer durch die Halle: zu einem Mädchen mit tiefschwarzen Haaren, neben dem ein kniehoher grau-weißer Mischlingshund herumhüpfte. Tabitha! He, Fledermaus! Hier sind wir! Sehr nussig, dass du auch gekommen bist, Flauschi.
Dafür wurde sie angeknurrt. Ich heiße nicht mehr Flauschi! Mein wahrer Name ist TERRY! Doch richtig sauer war Terry nicht, schon begann er zu wedeln und versuchte, Holly über den Kopf zu schlecken. Wenn das stimmt, was Carag von euren Lehrern erzählt hat, sind die viel besser als irgendwelche blöden Besitzer.
Absolut, sagte ich und spürte, wie Mia sich wieder etwas entspannte. Diese beiden kannten wir schon, wir hatten sie in den Ferien aus einem Tierheim befreit. Terry war als Haustier aufgewachsen und hatte ein paar nicht besonders nette Besitzer überstanden, Tabitha dagegen kam aus der Menschenwelt, sie war eine angehende Künstlerin und hatte es im Sommer fertiggebracht, sich als Fledermaus einfangen und in einen Käfig sperren zu lassen.
»Dass wir hier auf die Schule gehen, wird bestimmt furchtbar schiefgehen«, sagte Tabitha mit düsterer Miene. Sie war Schwarzseherin aus Prinzip.
Schiefgehen? Wer? Was? Warum?, fragte Terry und setzte an, am Baum in der Eingangshalle sein Bein zu heben und so sein Revier zu markieren. Unsere drei Schulwölfe, zwei von ihnen immerhin doppelt so groß wie Terry, schauten ungläubig zu.
So was machen wir nur draußen, Winselpfote!, schimpfte Holly.
Ich seh hier keine Winselpfote, behauptete Terry, ganz kurz bevor er vom frisch verwandelten Jeffrey gepackt und auf den Boden geworfen wurde. Interessiert beobachteten sämtliche anwesenden Schüler, wie der dunkelgraue Wolf über dem Fellbündel stand und die Zähne fletschte.
Willst du mal raten, wer hier der Chef ist?, fragte Jeffrey.
Von euch Wölfen? Euer Kampflehrer?, riet Terry, was eindeutig die richtige Antwort war, aber bei Jeffrey nicht so gut ankam.
Gerade hangelte sich Holly mein Hosenbein hoch, als sie stutzte. Ihr Näschen zuckte. Hatte etwa auch sie ein Problem mit meiner Duschseife? Nein, anscheinend war ihr die Witterung eines dünnen Mädchens mit schulterlangen rotblonden Haaren in die Nase gestiegen. Die Neue zwängte sich gerade in die Eingangshalle, klammerte sich an ihre Reisetasche und versuchte, sich zu orientieren. Mir fielen ihr schmales Gesicht und ihre großen bernsteinfarbenen Augen auf, die ein wenig unsicher, aber auch herausfordernd blickten.
Bei der großen Nuss, das darf ja wohl echt nicht wahr sein!, entfuhr es Holly. Spinn ich oder was?
»Eulendreck«, murmelte ich, als ich ebenfalls roch, was die Neue in zweiter Gestalt war. »Holly, nicht!«
Meine Freundin stieß etwas aus, das wie ein Hörnchen-Kampfschrei klang, und katapultierte sich, die Pfötchen mit den Kletterkrallen vorgereckt, in Richtung des neuen Mädchens.
Das Mädchen, das ziemlich stark nach Luchs roch, blickte verblüfft drein, als es von Holly angesprungen wurde, und rührte sich nicht vom Fleck. Vielleicht war sie bisher nie von einem Nagetier angegriffen worden und konnte noch nicht ganz glauben, dass das hier und jetzt wirklich passierte.
»He, Hörnchen, bist du Tollwut oder was?«, motzte Jeffrey.
Tabitha hob die Augenbrauen. »Das sagt man anders – verspürst du Symptome einer Tollwut-Infektion?«
»Holly!«, brüllte ich und wusste, dass ich zu spät kommen würde, um diesen Angriff zu verhindern. Mia, die vielleicht hätte eingreifen können, wirkte verwirrt und die Lehrer standen zu weit weg.
Plötzlich ging die große Glastür auf, weil jemand hereinkam. Holly prallte von innen dagegen und rutschte mit ausgebreiteten Pfoten daran herunter. Bevor sie wieder zum Angriff übergehen konnte, packte jemand sie am Nackenfell – eine große weiße Wölfin mit mitternachtsblauen Augen. Tikaani. Sofort schlug mein Herz schneller.
Was sollte das denn werden?, fragte Tikaani, während sie unsere zeternde Freundin festhielt. Zum Glück konnte man von Kopf zu Kopf auch sprechen, wenn man das Maul voll hatte. Erstis werden bei uns nicht angegriffen, wenn sie durch die Tür kommen!
»Ich hab ihr nichts getan«, sagte die neue Erstjahresschülerin.
Sie ist ein Luchs! Ein beknackter Luchs wie der, der meine Mutter umgebracht hat!, wütete Holly, während nun auch Brandon hereinkam – ein großer, kräftiger Junge im schwarzen T-Shirt und in einer mit vielen Taschen besetzten Khakihose.
Ich kam kaum dazu, ihn zu begrüßen, vorsichtig nahm ich Holly aus dem Maul meiner Freundin und hielt sie gegen meine Brust gepresst fest. »Alles gut, das Mädchen kann nichts dafür, dieser andere Luchs war nur ein Tier. Ganz ruhig, alles bestens …«
Währenddessen trafen sich Tikaanis und meine Augen und unsere Blicke hielten sich fest. Ich schickte ihr meine Gefühle, teilte ihr wortlos mit, wie sehr sie mir gefehlt hatte, und ein großer Schwall Wärme schwappte von ihr zurück.
Inzwischen hatten uns Lissa Clearwater und James Bridger erreicht. »Tut mir furchtbar leid, das war eine raue Begrüßung«, sagte unsere Schulleiterin und lächelte das neue Mädchen an. »Du bist bestimmt Juniper Ash Clayton, richtig?«
Das Mädchen nickte und diesmal blieb mir und anscheinend auch Tikaani und Brandon die Luft weg. Diesen Nachnamen kannte ich! Moment mal, war sie etwa die Tochter des Luchs-Wandlers, der im Rat Informationen unterdrückt und sogar Unschuldige bedroht hatte, um unserem Todfeind Andrew Milling zu helfen?
Bevor meine Freunde oder ich irgendetwas fragen konnten, winkte James Bridger dem Mädchen freundlich, ihm zu folgen. »Komm, ich zeig dir dein Zimmer, du wirst mit Kimberley zusammenwohnen. Sie ist Kanadagans in zweiter Gestalt.«
Diese Kimberley schien nichts dagegen zu haben. Sie beäugte Brandon neugierig, als er sich aus einem mitgebrachten Stoffsack ein paar Maiskörner in den Mund warf und sie krachend zerkaute. »Oh, kann ich auch welche haben? Ich liebe Mais!«
»Äh, ja«, sagte Brandon, griff noch mal in den Sack und reichte ihr ein paar Körner.
Ich verriet ihm lieber nicht, dass auch der gut aussehende Lemmingjunge seinen Schatz mit begehrlichen Blicken musterte. Mein bester Freund wirkte sowieso schon überfordert. Wenn auch nicht so sehr wie meine Schwester, die gerade fauchend dagegen protestierte, dass Terry an ihrem Hintern schnupperte.
Sobald das Luchsmädchen außer Sicht war, beruhigte sich Holly wieder etwas und murmelte nur noch etwas von Frechheit, dass so jemand auf unsere Schule gehen darf, was niemand von uns kommentierte. Jetzt kam ich endlich dazu, Tikaani und Brandon zu umarmen.
Hi, Mia! Schön, dich wiederzusehen – ich hoffe, du hast viel Spaß an der Clearwater High, meinte Tikaani und schnurrend blickte Mia meine Freunde an. Danke, es wird bestimmt katzig!
»Kommt, Leute, bringen wir unser Zeug auf unsere Zimmer, dann können wir ’ne Runde chillen«, sagte Brandon und ich nickte, weil ich inzwischen wusste, dass »chillen« nichts mit »frieren« zu tun hatte.
Doch dann fiel uns auf, dass in der Eingangshalle plötzlich sämtliches Geplapper verstummt war und sich ein unnatürliches Schweigen ausgebreitet hatte. Und dass zum zweiten Mal fast alle Leute um uns herum zur Tür starrten. Dabei war das Mädchen, das gerade dort aufgetaucht war, eher unscheinbar und sogar noch kleiner als Cookie, das Opossum aus unserer Klasse. Als ich die Neue betrachtete, die strähnige braunblonde Haare und große Augen hatte, wusste ich plötzlich Bescheid.
»Ich bin doch am richtigen Tag hergekommen, oder?«, fragte sie. »Ava Banning aus Kansas.«
Das ist die Schwester unserer Eule Trudy, die an Millings Tag der Rache getötet worden ist, flüsterte ich Mia in den Kopf und zurück kam ein erschrockenes Oh!.
Ava blickte völlig verunsichert drein, als sich so gut wie alle Leute, die gerade im Eingangsbereich standen, auf sie zubewegten. Dann prasselten Worte auf sie ein.
»Schön, dass du hier bist!«
Deine Schwester war ein tolles Mädchen …
»Herzlich willkommen!«
Du bist auch eine Eule, oder? War das nicht ein scheußlich weiter Flug?
Die Neue ging Schritt für Schritt rückwärts, bis sie wieder draußen stand. Doch Jeffrey packte sie kurzerhand mit den Zähnen am Pullover, zog sie wieder in die Eingangshalle und verkündete: Hey, Leute, ist das nicht toll, dass Trudys Schwester bei uns ist? Was bist du noch mal in zweiter Gestalt, Ava?
»Steinkauz.« Ava wagte ein Lächeln.
Mia schaute zu mir hoch, ihre goldenen Augen wirkten nachdenklich. Zwei Mädchen, zwei sehr unterschiedliche Begrüßungen, meinte sie, und nachdem auch wir Hallo zu Ava gesagt hatten, zogen wir uns mit unseren Freunden zurück. Klar, ich war neugierig auf die anderen eintreffenden Erstis, aber die würden wir sowieso später noch kennenlernen, jetzt mussten wir dringend bequatschen, wie unsere Ferien gewesen waren.
Wir drängten uns in Brandons und meinem Zimmer. Meine Schwester blickte sich um, fläzte sich auf meinem noch unbezogenen Bett und fragte: Krieg ich auch so ein Mini-Revier und ein Liegeding? Das ist schön weich.
»Miss Clearwater zeigt dir bestimmt bald dein Zimmer. Und ja, du bekommst ganz sicher ein Bett«, versprach ich und hielt dabei Tikaanis Hand. Meine Freundin hatte sich in ein Inuit-Mädchen mit schulterlangen schwarzen Haaren zurückverwandelt und saß (natürlich angezogen) im Schneidersitz ganz nah neben mir auf dem Boden.
Hoffentlich ist es ein Zimmer nah bei meinem. Bis gleich, ich geh kurz einen Kiefernzapfen naschen, verkündete Holly und turnte aus unserem Zimmerfenster, von dem aus man unser Baumhaus und den Wald sehen konnte. Besorgt blickten wir ihr nach.
»Hoffentlich geht sie nicht das Luchsmädchen fertigmachen«, meinte ich.
»Schafft sie doch eh nicht.« Brandon versuchte, den Sack mit seinen Maiskörnern in ein leeres Kleiderschrankfach zu pressen. Vergeblich. Frustriert warf er seine Reisetasche auf sein mit Stahlstangen verstärktes Bett – manchmal verwandelte er sich in einen Bison, wenn er davon träumte, dass er über die Prärie galoppierte.
»Es war scheußlich am Meer«, berichtete er währenddessen. »Ich muss meine Eltern unbedingt überreden, dass ich nächstes Mal in den Rocky Mountains bleiben darf, schließlich bin ich ein Bison und kein Fisch!«
»Wir helfen mit«, versprach Tikaani und dann erzählten wir Brandon wild durcheinander, was noch so passiert war. Wie wir mit dem Wolfsrudel gekämpft hatten, das meinen Eltern damals ihr Revier abgejagt hatte. Wie sich herausgestellt hatte, dass eins ihrer Mitglieder von einem tollwütigen Tier gebissen worden war, und wie wir sofort alles getan hatten, um ihnen zu helfen. Wie die Wölfe – unter denen wir eine Woodwalkerin entdeckt hatten! – versprochen hatten, meinen Eltern dafür ihr Revier zurückzugeben. Was für fellsträubende Sachen wir hatten tun müssen, um den Impfstoff und später das Geld dafür aufzutreiben. Dabei hatte besonders Holly geholfen, ihre Kunststücke hatten uns jede Menge Spenden beschert.
Was meint ihr, können wir dieses arme Luchsmädchen vor Holly beschützen?, fragte Mia.
Klar, das schaffen wir, sagte ich zuversichtlicher, als ich mich fühlte. War Juniper Ash ein Milling-Fan so wie ihr Vater? Und wenn ja, wie sollte ich damit umgehen?
»Jedenfalls dürfen wir nicht dulden, dass Holly die Neue rausekelt«, sagte Brandon.
Ich nickte. »Apropos ekeln, ich bin echt froh, dass ich nicht in der Erstjahresklasse bin – dieser Lemming hat ja so dermaßen Mundgeruch …«
Gut, dass wir nicht gerade über Holly geredet hatten, denn schon jagte sie zurück durchs offene Fenster nach drinnen und jodelte: Jooheeeaheee, schaut mal raus! Schnell.
»Hast du einen von deinen Wintervorräten von letztem Jahr wiederentdeckt?«, zog ich sie auf, doch von oben sahen wir, was sie meinte. Eine fremde Wölfin mit rötlich grauem Fell war auf die Lichtung getreten und wurde dort von Jeffrey und Bill Brighteye, unserem Kampflehrer, in Empfang genommen.
»Oh, wie cool! Die Woodwalkerin aus dem wilden Rudel, das wir geimpft haben, ist unserer Einladung gefolgt«, sagte Tikaani. »Ich war nicht sicher, ob sie sich das trauen würde. Bin gespannt, wie sie so drauf ist.«
»Wie hieß sie noch mal?« Ich kratzte mich am Kopf. Wahrscheinlich hatte ich über die Ferien nicht nur den Namen der Wölfin, sondern auch sämtliche Füchsisch- und Elchisch-Vokabeln wieder vergessen. Ein bisschen Angst hatte ich auch vor Mathe und Physik, die mir irgendwie aus dem Kopf herausgerutscht waren in den letzten Monaten. Brandon war darin Klassenbester, aber ich hatte mit diesen Fächern immer gekämpft, weil ich ja als Puma aufgewachsen war und sie für mich fremd geblieben waren.
Mondauge heißt sie, sagte Mia. Jeffrey wird bestimmt froh sein, dass sie sein Rudel wieder etwas vergrößert. Mit nur dreieinhalb Mitgliedern ist das ja im Moment ein bisschen mickrig.
Doch wie sich herausstellte, war Jeffrey nicht besonders froh. Warum, das zeigte sich schon in der allerersten Unterrichtsstunde am Montag.
Hi – wie hast du geschlafen?«, fragte ich meine große Schwester am nächsten Morgen, unserem ersten Unterrichtstag im neuen Schuljahr. Sie stand in Menschengestalt – in der sie lustigerweise etwas größer war als ich, während sie als Puma kleiner war – vor ihrem Zimmer, auf dessen Tür sie schon mit blauer Farbe MIA gepinselt hatte. Prüfend wackelte sie mit ihren ungewohnten Menschenfingern und versuchte dann, auch mit ihren Ohren zu wackeln. Das klappte nicht ganz so gut.
»Das Bett-Ding war mir zu weich, also bin ich raus in den Wald, da war alles prima«, schnurrte Mia und grinste mich unternehmungslustig an. »Ist noch ein bisschen ungewohnt, dass ich mein Revier mit jemandem teilen soll.« Sie hatte als Zimmergenossin eine große, sportlich wirkende Schülerin namens Salomé erwischt, die eine prächtige blonde Haarmähne hatte. Noch hatte ich nicht mit ihr gesprochen, da sie etwas schweigsam und zurückhaltend wirkte.
»Da gewöhnt man sich dran«, sagte ich. Ein paar Grashalme hatten sich in Mias wildem hellbraunem Haarschopf verfangen. Sollte ich schnell einen Kamm holen? Ach nee, musste nicht sein. »Was hat Salomé denn für eine zweite Gestalt?«
»Keine Ahnung.« Mia zuckte die Menschenschultern und kratzte sich mit einem teilverwandelten Krallenfinger unter der Achsel.
»Was?« Erstaunt blickte ich sie an. »Du hast sie nicht gefragt? Also ich bin immer ziemlich neugierig, was …«
»Klar habe ich gefragt. Sie wollte es nicht sagen.«
Jetzt war ich endgültig verblüfft. »Im Ernst?«
Mia verdrehte die Augen. »Ja, im Ernst. Vielleicht ist sie ein Schleimwurm, ein Mistkäfer oder eine Zecke. Also, wo geht’s jetzt zum Lernen?«
»Äh, ja, stimmt, so was kann sein. Komm, ich zeig dir dein Klassenzimmer«, meinte ich. Sie hatte recht, wir mussten uns beeilen, gleich fing der Unterricht an. Ich führte Mia ins Erdgeschoss, wünschte ihr viel Glück und schob sie durch die Tür. Eine Witterung von Nervosität und Erwartung flutete gegen meine Nase, die versammelten »Erstis« schienen ganz schön aufgeregt zu sein. Ich warf einen kurzen Blick hinein und sah noch, wie Mia kurz zögerte und sich dann neben Juniper setzte, das Luchsmädchen. Nun war noch ein Platz frei … wer fehlte denn da? Eigentlich hatte ich gedacht, dass schon alle neuen Schüler eingetroffen waren.
Dann schwang ich die Pfoten, um pünktlich zu meinem eigenen Unterricht zu kommen. Wir waren eine sehr kleine Schule, es gab momentan nur eine Erstjahres-, eine Zweitjahres- und eine Drittjahresklasse. Nach dem dritten Schuljahr auf der Wandlerschule wechseln die Kids auf die normale Highschool, um dort einen anerkannten Abschluss machen zu können.
Echter Glücksfall: Wir hatten immer noch unser altes Klassenzimmer. Es war eins der besten, weil seine Türen direkt auf die Lichtung hinausführten, auf der wir meistens unsere Pausen verbrachten. Früher hatte ich mit Leroy, unserem Skunk-Wandler, eine Bank geteilt, doch ich hatte ihn überreden können, seinen Platz zu tauschen. Dadurch konnten Tikaani und ich nebeneinandersitzen.
Schnell ließ ich den Blick durch die Klasse schweifen. Auch Frankie – unser Otterjunge – und Shadow saßen nebeneinander und blickten sich verliebt an, doch dadurch saß Shadows Zwillingsschwester Wing neben Nell, die in zweiter Gestalt Maus war. Ganz glücklich wirkte Wing nicht. Dafür aber die meisten anderen. Fast alle aus dem ersten Jahr waren wieder da, nur Viola nicht, die in der Prüfung und einer Nachprüfung durchgefallen war, und zwar in Kampf und Mathe. Sie musste das erste Jahr wiederholen. Ich dagegen hatte es mithilfe einer Nachprüfung gerade so geschafft. Aber ich wusste, dass wir montags – also jetzt – in der ersten und zweiten Stunde Mathe hatten, und schon jetzt verknotete sich mein Magen, wenn ich daran dachte. Sämtliche Zahlen waren aus meinem Kopf verschwunden – wie weggewischt.
Doch anscheinend fand am Anfang des ersten Schultags noch kein normaler Unterricht statt, jedenfalls gab es erst mal eine Ansprache.
»Herzlichen Glückwunsch, ihr seid nun Zweitjahresschüler«, verkündete James Bridger, er war Kojote in zweiter Gestalt und unser Lehrer in Mathe, Physik sowie Verhalten in besonderen Fällen. Wie so oft trug er eins seiner karierten Hemden, Jeans und Cowboystiefel, sein langer, schlaksiger Körper lehnte gegen den Lehrertisch. »Das heißt, ihr seid jetzt die Großen. Die Grundlagen dessen, was ein Wandler wissen und können muss, beherrscht ihr.«
»Aber so dermaßen«, flüsterte Jeffrey seinem Wolfskumpel zu.
»Voll krass!«, sagte Cliff.
Bridger fuhr fort: »Deswegen ist es jetzt Zeit, dass wir andere Dinge vertiefen. In diesem Schuljahr geht es zum Beispiel darum, Verantwortung zu übernehmen.«
»Dazu zählt hoffentlich auch, keine anderen Schüler einzuschüchtern, oder?« Nimble, unser ziemlich brav wirkender Kaninchen-Wandler, warf Jeffrey einen feindseligen Blick zu.
»Absolut.« Bridger schaute nicht Jeffrey an, sondern Holly. Dabei kratzte er sich sein haariges Gesicht, er hatte offensichtlich mal wieder Probleme beim Rasieren gehabt. »Aber wir haben uns auch etwas Neues einfallen lassen, nämlich ein Mentorensystem.«
Ich zuckte zusammen. Der mächtige und reiche Puma-Wandler Andrew Milling hatte mein »Mentor« sein wollen, weil Raubkatzen-Wandler selten waren und er den Eindruck gewonnen hatte, dass ich (so wie er) den Menschen feindselig gesinnt war. Aber das war nur ein Missverständnis gewesen und ich hatte sein Angebot abgelehnt, weil dieser Kerl mir unheimlich war. Andererseits konnte ich verstehen, dass er die Menschen hasste: Andrew Millings Frau und Tochter waren von Menschen erschossen worden, deshalb hatte er viele Woodwalker dazu gebracht, am Tag der Rache Menschen anzugreifen und zu verletzen, zum Teil auch zu töten. Viel Blut war geflossen auf beiden Seiten und ich war ausgesprochen froh, dass dieser grausame Woodwalker nun in Sunny Meadows saß und mir nichts mehr anhaben konnte.
Vermutlich dachte er darüber nach, wie er sich an mir rächen konnte, weil ich ihn besiegt und ins Gefängnis gebracht hatte. Oder wie er anderen befehlen konnte, mir zu schaden – aber wenn er seine Zeit so verschwenden wollte, war das sein Problem. Wer in Sunny Meadows hockte, durfte keinen Kontakt nach außen haben, damit er sich keine Unterstützung organisieren konnte.
James Bridger schien zu ahnen, was ich dachte. »Keine Sorge, ihr müsst euch keinen erwachsenen Mentor suchen … im Gegenteil, ihr werdet die Mentoren sein. Jeder von euch wird einen neuen Erstjahresschüler betreuen und ihm dadurch die erste Zeit hier an der Schule erleichtern.«
Tuscheln in der Klasse. Es klang erwartungsvoll, die meisten schienen das neue System gut zu finden.
»Also ich will die neue Wölfin betreuen – Mondauge«, meldete sich Jeffrey zu Wort.
»Habe ich gesagt, dass ihr euch eure Schützlinge selbst aussuchen könnt?«, fragte Bridger. »Wir haben euch schon jemanden zugewiesen. Lasst euch überraschen.«
Jetzt erst fiel mir der Stapel Umschläge auf, der vor ihm auf dem Tisch lag.
»Aber … was ist, wenn wir denjenigen nicht ausstehen können?« Hollys rotbraune Haare hatten sich gesträubt. Der pure Horror auf ihrem Gesicht verriet, was sie befürchtete. Tikaani und ich tauschten einen schnellen Blick. Nein, das konnte nicht sein, die Lehrer konnten nicht so grausam sein, ihr das Luchsmädchen zuzuteilen, oder?
»Wenn ich die Wölfin nicht betreuen kann, nehme ich Ava, die Schwester von Trudy«, verkündete Jeffrey, als wäre es noch vor seinen Ohren versickert, was unser Lehrer gerade gesagt hatte.
Zum Ausgleich ignorierte Bridger ihn völlig. »Ich bin sicher, ihr werdet euch hervorragend um eure Schützlinge kümmern«, sagte er und begann, die Umschläge auszuteilen.
Holly war dran und strahlte, als sie las, wen sie betreuen sollte. »Tabitha«, flüsterte sie uns zu. Das war toll, weil sie sich schon kannten, aber wieso schaute Brandon so skeptisch drein?
»Die ist bestimmt viel besser in der Schule als Holly«, flüsterte er mir zu.
»Was? Sag’s ruhig laut, du brauner Klotz«, fuhr unsere Hörnchenfreundin ihn an.
»Nichts, nichts.« Brandon machte sich daran, seinen eigenen Umschlag aufzureißen, und blickte verständnislos drein. »Wer ist Felix?«
»Ein Schüler aus Deutschland … leider ist noch nicht ganz sicher, ob er es hierher schafft, im Moment steckt er noch an der Ostküste fest«, berichtete Bridger.
Nell grinste. »Meine Tante – ihr wisst schon, die Polizistin in New York – hat ihn verhaftet. Mehr weiß ich leider auch nicht.« Sie zeigte ihren eigenen Zettel herum. Ah, sie hatte Joe Bridger bekommen, den schon achtzehnjährigen Sohn unseres Lehrers … er war so wie sein Vater in zweiter Gestalt Kojote.
Juniper war, wie sich herausstellte, der neue Schützling von Dorian, in zweiter Gestalt ein Russisch-Blau-Kater. »Katze und Kater – das passt hervorragend«, meinte er und wirkte zufrieden.
Nell griff sich an den Kopf. »Du willst nicht ernsthaft mit jemandem flirten, der als Katze fünfmal so groß ist wie du?«
Nun hatte auch Jeffrey seinen Umschlag geöffnet. »Moment mal, ich soll Carags Schwester betreuen? Seid ihr noch ganz trocken hinter den Ohren? Sie ist eine …«
Leider war es verboten, sich spontan im Unterricht zu verwandeln. Dabei hätte ich ihm jetzt furchtbar gerne meine Fangzähne gezeigt. »Ja? Eine was?«
»Eine Katze halt«, sagte Jeffrey mürrisch und ich verdrehte die Augen.
Tikaani hatte ein Mädchen namens Lotta bekommen, von dem wir keine Ahnung hatten, wer oder was sie war. »Gleich in der Pause gehe ich nachforschen«, kündigte meine Freundin an.
Sehr gespannt öffnete ich meinen eigenen Umschlag. »Terry«, berichtete ich meinen Freunden gut gelaunt.
Das war nur richtig so, dass ich den Flauschball bekam, schließlich hatte ich ihn höchstpersönlich aus dem Tierheim heraus adoptiert. Ich würde ihn vor Schul-Wölfen, gemeinen Verwandlungslehrern und Computerviren beschützen, genau wie ich es ihm versprochen hatte.
Als alle ihre Umschläge geöffnet hatten, fragte ich herum: »Wer hat eigentlich Salomé? Mit der ist meine Schwester zusammen in einem Zimmer.«
Ratlose Blicke. Auch Mr Bridger blieb stumm. Die ganze Sache wurde immer seltsamer.
Tikaani stieß mich sanft an und deutete mit dem Kinn auf Leroy. Oh. Der sah irgendwie geknickt aus. Schon streckte er den Arm in die Höhe. »Mr Bridger, da ist ein Fehler passiert … ich habe keinen Umschlag bekommen.«