World of Warcraft: Der Tag des Drachen - Überarbeitete Neuausgabe - Richard A. Knaak - E-Book

World of Warcraft: Der Tag des Drachen - Überarbeitete Neuausgabe E-Book

Richard A. Knaak

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Beschreibung

Mysteriöse Elfen und kräftige Zwerge lebten mit den Stämmen der Menschheit in relativem Frieden und Harmonie in Azeroth – bis eine dämonische Armee, die sich Brennende Legion nannte, die Ruhe dieser Welt auf ewig vernichtete. Jetzt kämpfen Orks, Drachen, Goblins und Trolle um die Macht über die zersplitterten, kriegführenden Königreiche.

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Der Tag des Drachen

Richard A. Knaak

Ins Deutsche übertragen von Claudia Kern

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Amerikanische Originalausgabe: „WORLD OF WARCRAFT: Der Tag des Drachen“ von Richard A. Knaak, erschienen bei Simon and Schuster, Inc., 2003.

Copyright © 2022 Blizzard Entertainment, Inc. Alle Rechte vorbehalten.

Deutsche Ausgabe: Panini Verlags GmbH, Schlossstraße 76, 70176 Stuttgart.

Geschäftsführer: Hermann Paul

Head of Editorial: Jo Löffler

Head of Marketing: Holger Wiest (E-Mail: [email protected])

Presse & PR: Steffen Volkmer

Übersetzung: Claudia Kern

Lektorat: Manfred Weinland, Dr. Sabine Jansen, Andreas Kasprzak

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Cover Illustration von Sam Didier/Blizzard Entertainment

Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

YDWCTP022E

ISBN 978-3-7367-9835-9

Gedruckte Ausgabe: ISBN 978-3-8332-4188-8 1. Auflage, Mai 2022

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EINS

Krieg.

Für einige Mitglieder der Kirin Tor, des Magischen Zirkels, der über die kleine Nation Dalaran herrschte, hatte es einmal so ausgesehen, als hätte die Welt von Azeroth nie etwas anderes gekannt als immerwährendes Blutvergießen. Da waren vor dem Bündnisschluss von Lordaeron die Trolle gewesen; und als die Menschheit endlich mit diesem üblen Gezücht aufgeräumt hatte, war die erste Welle von Orcs, die aus einem schrecklichen Riss im Gefüge des Universums drangen, über die Ländereien hinweggebrandet.

Anfangs hatte es so ausgesehen, als könne sich diesen grotesken Eindringlingen nichts und niemand entgegenstellen. Nach und nach jedoch hatte sich das, was als grausame Schlächterei begann, in eine für beide Seiten opferreiche Patt-Situation verwandelt. Die Schlachten wurden durch die Zermürbung des Gegners entschieden. Auf beiden Seiten waren Hunderte gefallen – grundlos, wie es schien. Jahrelang hatten die Kirin Tor kein Ende von alledem abzusehen vermocht.

Doch dann, endlich, hatte sich dies geändert. Die Allianz hatte letztendlich die Horde zurückdrängen können und sie schließlich vollständig aufgerieben. Sogar der große Häuptling der Orcs, Orgrim Schicksalshammer, hatte sich nicht mehr gegen die anrückenden Armeen zu stemmen vermocht und kapituliert. Mit Ausnahme einiger Rebellen-Clans waren die überlebenden Eindringlinge in Lager gesperrt worden und fristeten dort seither unter hohen Sicherheitsvorkehrungen ihr Dasein. Bewacht wurden sie von den legendären Rittern der Silbernen Hand. Und zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren sah es so aus, als könnte der Friede dauerhaft einkehren.

Nichtsdestotrotz lastete auf dem Ältestenrat der Kirin Tor ein Gefühl tiefen Unbehagens. Aus diesem Grunde trafen sich die Höchsten der Hohen in der „Halle der Luft“, so benannt, weil sie ein Raum ohne Wände zu sein schien, ein endloser, wechselhafter Himmel voll von Wolken, Licht und Dunkelheit. Er raste an den Meistern der Magie vorbei, als ob die Zeit der Welt hier schneller liefe. Einzig der graue Steinboden mit seinem leuchtenden Diamant-Symbol, das die vier Elemente symbolisierte, verlieh der Szene die Illusion von Halt.

Die Magier selbst trugen wenig dazu bei, den Bezug zur Realität zu stärken. In ihren dunklen Umhängen, die nicht nur die Gesichter, sondern auch ihre Gestalt verbargen, schienen sie mit den Bewegungen des Himmels zu verschmelzen, fast als wären auch sie nur Teil dieses Trugbildes. Dass es sich dabei sowohl um Männer als auch um Frauen handelte, wurde nur ersichtlich, wenn einer von ihnen sprach. Dann wurde das Gesicht zwar teilweise sichtbar, blieb aber schemenhaft.

Sechs von ihnen waren bei dieser Zusammenkunft anwesend. Dass sie die höchsten Ränge bekleideten, hieß jedoch nicht zwangsläufig, dass sie auch die Begabtesten ihrer Zunft waren. Die Führer der Kirin Tor wurden nach unterschiedlichen Kriterien ausgewählt und Magie war nur eines davon.

„Es geschieht etwas in Khaz Modan“, verkündete der Erste mit würdevoller Stimme, und für kurze Zeit wurde ansatzweise ein bärtiges Gesicht erkennbar. Ein Muster aus Sternen umschmeichelte seinen Körper. „Bei oder in den Höhlen, die vom Dragonmaw-Clan gehalten werden.“

„Erzähl uns lieber etwas, das wir noch nicht wissen“, krächzte eine Frau, die trotz ihres spürbar hohen Alters noch immer einen starken Willen besaß. Das Licht eines Mondes glomm durch ihren Schal. „Bei den dortigen Orcs handelt es sich um ein paar wenige Unbelehrbare, die noch Widerstand leisten, obwohl sich Schicksalshammers Krieger längst ergeben haben und ihr Häuptling verschwunden ist.“

Der erste Magier war sichtlich irritiert, wahrte jedoch seine Besonnenheit. „Nun gut“, sagte er ruhig, „vielleicht wird Euch dies mehr interessieren: Ich glaube, dass Todesschwinge wieder sein Unwesen treibt.“

Seine Worte versetzten die anderen in Nervosität, die Frau eingeschlossen. Die Nacht wurde plötzlich zum Tag, aber die Zauberer ignorierten es, war es für sie in dieser Halle doch etwas völlig Normales. Wolken trieben am Kopf des dritten Ordens-Angehörigen vorbei. Er war der Einzige, dessen Figur deutlich zur Korpulenz neigte, und es war unschwer zu erkennen, dass er der gerade gehörten Behauptung keinerlei Glauben schenkte.

„Todesschwinge ist tot!“, erklärte er. „Er ist vor Monaten ins Meer gestürzt, nachdem unser Rat und eine Anzahl unserer besten Männer ihm den tödlichen Hieb versetzen konnten! Kein Drache, auch er nicht, könnte das überleben!“

Einige nickten beifällig, nur der Erste fuhr ungerührt fort: „Und wo war der Kadaver? Todesschwinge war wie kein anderer Drache. Sogar bevor die Goblins die Platten aus Adamantium an seine schuppige Haut schweißten, war er eine weit größere Bedrohung als die Horde selbst …“

„Aber welche Beweise habt Ihr, dass er noch lebt?“ Dies kam von einer jungen Frau, die eindeutig in der Blüte ihrer Jugend stand. Sie mochte nicht so erfahren sein wie die anderen, an ihrer Macht indes gab es keinen Zweifel, sonst wäre sie nicht Mitglied des Rates geworden. „Welche?“

„Der Tod zweier roter Drachen aus Alexstraszas Brut. Zerfetzt in einer Weise, wie es nur einer von ihrer eigenen Art vermag – einer von gigantischer Größe.“

„Es gibt andere große Drachen.“

Ein Sturm begann zu wüten, Blitze und Regen prasselten auf die Magier herab, aber weder sie selbst noch der Boden, auf dem sie standen, wurden nass. Der Sturm war schon einen Augenblick später vorbei und eine strahlende Sonne erschien über ihnen.

Der Erste der Kirin Tor zeigte an diesem Spektakel kein Interesse. „Offenbar wart Ihr noch nie Zeugen von Todesschwinges Wüten, sonst würdet Ihr so nicht reden.“

„Vielleicht ist es, wie Ihr sagt,“ warf der Fünfte ein. Kurz wurde der Umriss eines Elfengesichtes sichtbar – und verschwand rascher wieder als der Sturm. „Und falls ja, ist es eine bedrohliche Angelegenheit. Aber wir können uns jetzt kaum damit befassen. Falls Todesschwinge lebt und nun die Brut seiner größten Rivalin angreift, gereicht uns dies nur zum Vorteil. Immerhin ist Alexstrasza immer noch Gefangene des Dragonmaw-Clans, und es sind ihre Abkömmlinge, die die Orcs seit Jahren benutzten, um Tod und Chaos über die Allianz zu bringen. Haben wir alle wirklich schon die Tragödie von Kul Tiras vergessen? Lordadmiral Daelin Prachtmeer ganz sicher nicht. Immerhin hat er seinen ältesten Sohn verloren und alle, die auf den sechs Schiffen waren, als die monströsen roten Leviathane über sie herfielen. Prachtmeer würde Todesschwinge vermutlich einen Orden verleihen, wäre das schwarze Biest wahrhaftig für die beiden Tode verantwortlich.“

Niemand widersprach diesem Argument, nicht einmal der Erste der Magier. Von den sechs einstmals mächtigen Schiffen waren nur ein paar Holztrümmer und zerfetzte Leichen übrig geblieben. Sie hatten von der totalen Vernichtung gezeugt. Es sprach für die Größe Lordadmiral Prachtmeers, dass seine Entschlossenheit nicht wankte und er sofort angeordnet hatte, neue Kriegsschiffe zu bauen, um die zerstörten zu ersetzen und den Krieg fortzuführen.

„Und wir können uns, wie gesagt, kaum mit dieser Situation befassen, nicht jetzt, da wir so viel dringlichere Probleme zu lösen haben.“

„Meint Ihr die Alterac-Krise?“, grollte der bärtige Zauberer. „Warum sollte der dauernde Streit zwischen Lordaeron und Stromgarde uns mehr beunruhigen, als Todesschwinges mögliche Rückkehr?“

„Weil jetzt Gilneas sein Gewicht in die Waagschale wirft.“

Wieder rührten sich die anderen Magier, sogar der sechste, der bislang geschwiegen hatte. Der korpulente Schatten machte einen Schritt auf die Elfengestalt zu. „Von welchem Interesse sollte der Zwist zweier fremder Königreiche für Genn Graumähne sein? Gilneas liegt an der Spitze der südlichen Halbinsel, so weit weg innerhalb der Allianz wie jedes andere Königreich von Alterac!“

„Da fragt Ihr noch? Graumähne hat immer schon die Führung der Allianz angestrebt, auch wenn er seine Armeen zurückhielt, bis die Orcs endlich auch seine Grenzen angriffen. Er hat König Terenas von Lordaeron nur deshalb zum Handeln ermutigt, weil dadurch Lordaerons militärische Macht geschwächt wurde. Jetzt hält Terenas hauptsächlich durch unsere Arbeit und Lordadmiral Prachtmeers offene Unterstützung an der Führung der Allianz fest.“

Alterac und Stromgarde waren benachbarte Königreiche, die schon seit den ersten Tagen des Krieges in Zwietracht lagen. Thoras Trollbann hatte die ganze Macht von Stromgarde hinter die Allianz von Lordaeron gestellt. Mit Khaz Modan als Nachbar war es für das gebirgige Königreich nur vernünftig, eine gemeinsame Aktion zu unterstützen. Auch konnte sich niemand über die Entschlossenheit von Trollbanns Kriegern beschweren. Ohne sie hätten die Orcs in den ersten Wochen des Krieges große Bereiche der Allianz überrannt, was sicherlich zu einem anderen Ausgang der Ereignisse geführt hätte. Alterac, auf der anderen Seite, hatte zwar viel vom Mut und der Gerechtigkeit der Sache geredet, aber dazu umso weniger mit seinen eigenen Truppen beigetragen. Wie Gilneas hatte Alterac nur zögernd Unterstützung geleistet, aber während Genn Graumähne sich aus Ehrgeiz zurückgehalten hatte, kursierten Gerüchte, dass Lord Perenoldes Beweggrund dafür einzig Angst gewesen sei. Sogar unter den Kirin Tor war sehr früh die Frage laut geworden, ob Perenolde nicht vielleicht sogar ein Abkommen mit Schicksalshammer erwogen hätte, wäre die Allianz unter den unerbittlichen Angriffen zerbrochen.

Diese Befürchtung hatte sich glücklicherweise nicht bestätigt. Zwar hatte Perenolde die Allianz tatsächlich verraten, doch die Folgen seiner schäbigen Tat waren nicht von langer Dauer gewesen.

Als Terenas davon erfuhr, hatte er auf dem schnellsten Weg Truppen nach Alterac entsandt und den Ausnahmezustand verkündet. Durch den sich ausbreitenden Krieg hatte sich niemand in der Lage gesehen zu protestieren, nicht einmal Stromgarde. Nun, da der Frieden erreicht war, verlangte Thoras Trollbann, dass Stromgarde als gerechten Anteil für die von ihm erbrachten Opfer den gesamten östlichen Teil des verräterischen Nachbarlandes erhielt.

Terenas sah das anders. Er debattierte immer noch über die Vorzüge, die ein Anschluss Alteracs an sein eigenes Königreich brächten, und die Möglichkeit, einen neuen und einsichtigeren Regenten auf den Thron zu setzen – vermutlich in Hinblick auf die ureigenen Interessen Lordaerons.

Trotz allem war Stromgarde in diesem Kampf ein loyaler und standfester Verbündeter gewesen, und alle wussten von der Bewunderung, die Thoras Trollbann und Terenas einander entgegenbrachten. Das machte die politische Situation, die sich zwischen beide gestellt hatte, nur umso trauriger.

Gilneas unterdessen hatte keine solche Beziehung zu all diesen beteiligten Ländern; es hatte sich von den anderen Nationen der westlichen Welt stets abgegrenzt. Sowohl die Kirin Tor als auch König Terenas wussten, dass Genn Graumähne sich nicht nur einmischte, um sein eigenes Prestige zu erhöhen, sondern auch, um seine Expansionspläne zu verfolgen. Einer von Lord Perenoldes Neffen war nach dem Verrat in das Land geflüchtet, und das Gerücht, dass Graumähne seinen Anspruch auf die Thronfolge unterstütze, hielt sich hartnäckig. Eine Basis in Alterac würde Gilneas Zugang zu Rohstoffen gewähren, über die das südliche Königreich selbst nicht verfügte, und einen Grund bieten, seine mächtigen Schiffe über das Große Meer zu schicken. Dies wiederum würde Kul Tiras in seine Rechnung mit einbeziehen, denn die Seefahrer-Nation war sehr darauf bedacht, ihre maritime Überlegenheit zu bewahren.

„Dies wird die Allianz auseinanderreißen …“, murmelte die junge Zauberin mit hörbarem Akzent.

„Dazu ist es noch nicht gekommen“, bemerkte der Elfenzauberer, „aber vielleicht wird es dies bald. Und deshalb haben wir keine Zeit, uns mit Drachen zu befassen. Wenn Todesschwinge lebt und sich entschieden hat, seinen Kampf gegen Alexstrasza wiederaufzunehmen, werde ich für mein Teil ihn nicht daran hindern. Je weniger Drachen es auf dieser Welt gibt, desto besser. Ihre Tage sind ohnehin gezählt.“

„Ich habe gehört“, sagte eine Stimme mit keinerlei geschlechtsspezifischem Merkmal, „dass Elfen und Drachen früher einmal Verbündete waren, wenn nicht sogar gute Freunde.“

Der Elf drehte sich zu dem letzten der Weisen um, einer schlaksigen Gestalt, nicht viel mehr als ein Schatten. „Und ich kann euch sagen, dass das nur Gerede ist. Wir geben uns mit diesen Monstren nicht ab.“

Wolken und Sonne verschwanden und hinterließen Mond und Sterne. Der sechste Magier verbeugte sich leicht, wie zur Entschuldigung. „Dann habe ich mich wohl verhört. Mein Fehler.“

„Ihr habt recht, diese politische Situation muss entschärft werden“, grollte der bärtige Zauberer an den Fünften gewandt. „Und ich stimme zu, dass es eine Sache von höchster Priorität ist. Dennoch können wir nicht ignorieren, was bei Khaz Modan geschieht! Ob ich mit meiner Vermutung über Todesschwinge recht habe oder nicht – solange die Orcs dort die Drachenkönigin gefangen halten, sind sie eine Bedrohung für die Stabilität des Landes!“

„Dann brauchen wir einen Beobachter“, warf die ältliche Frau ein. „Jemanden, der die Dinge im Auge behält und uns nur informiert, falls die Situation kritisch wird.“

„Und wer sollte das sein? Wir können zurzeit niemanden entbehren!“

„Es gäbe einen.“ Der sechste Magier glitt einen Schritt vorwärts. Sein Gesicht blieb selbst dann noch im Schatten, als er sprach. „Da wäre Rhonin …“

„Rhonin?!?“, brach es aus dem bärtigen Zauberer heraus. „Rhonin! Nach dem letzten Debakel? Er darf nicht einmal mehr die Robe der Zauberer tragen. Er wäre eher eine zusätzliche Gefahr als jemand, in den wir Hoffnung setzen könnten.“

„Er ist unberechenbar“, stimmte die ältere Frau zu.

„Ein Sonderling“, murmelte der Korpulente.

„Kriminell!“

Der Sechste wartete, bis alle anderen gesprochen hatten, dann nickte er langsam. „Und er ist der einzige Zauberer mit Talent, auf den wir hier verzichten könnten. Außerdem ist es nur ein Beobachtungsposten. Er wird nicht einmal in die Nähe einer möglichen Bedrohung kommen. Seine Aufgabe wird es sein, die Lage zu studieren und darüber Bericht zu erstatten, das ist alles.“ Als sich keine Proteste mehr erhoben, fügte der dunkle Magier hinzu: „Ich bin sicher, dass er seine Lektion gelernt hat.“

„Lasst es uns hoffen,“ murmelte die ältere der beiden Frauen. „Er hat zwar seinen letzten Auftrag erfüllt, aber es kostete die meisten seiner Gefährten das Leben.“

„Diesmal wird er fast auf sich allein gestellt sein, begleitet nur noch von einem Führer, der ihn an die Grenze der von der Allianz kontrollierten Länder bringt. Er wird Khaz Modan nicht einmal betreten. Eine Seher-Kugel wird es ihm erlauben, aus der Entfernung zu spähen.“

„Das klingt einfach genug“, antwortete die jüngere der Frauen. „Sogar für Rhonin.“

Der Elf nickte brüsk. „Dann lasst es uns beschließen und diese Sache beiseitelegen. Vielleicht haben wir Glück und Todesschwinge frisst Rhonin und erstickt daran – dann wären zwei Probleme auf einmal gelöst.“ Er sah die anderen an und fügte hinzu: „Doch nun muss ich darauf bestehen, dass wir uns endlich Gilneas’ Einmischung in die Alterac-Angelegenheit widmen – und der Rolle, die wir bei der Entschärfung dieser Situation einzunehmen gedenken …“

Er stand da, wie er schon seit zwei Stunden ausharrte, mit hängendem Kopf, die Augen geschlossen, in Konzentration versunken.

Um ihn herum verbreitete nur ein schwaches Licht ohne erkennbare Quelle seinen Schimmer in der Kammer. Viel zu sehen gab es jedoch nicht. Ein Stuhl, den er nicht benutzte, stand an der Seite, und hinter ihm an der dicken Steinmauer hing ein Wandteppich, auf den ein kunstvoll verziertes goldenes Auge auf violettem Grund gestickt war. Unterhalb des Auges zeigten drei ebenfalls goldene Dolche bodenwärts. Die Flagge und die Symbole Dalarans hatten während des Krieges stolz über die Allianz gewacht, auch wenn nicht jedes Mitglied der Kirin Tor seine Aufgaben ehrenvoll erfüllt hatte.

„Rhonin …“, erklang eine geschlechtslose Stimme von überallher und nirgends zugleich in der Kammer.

Unter dichtem feurigem Haar blickte er mit Augen von leuchtendem Grün hoch in die Dunkelheit. Seine Nase war einmal von einem Mitlehrling gebrochen worden, doch trotz seines Könnens hatte Rhonin nie etwas unternommen, sie zu richten. Er sah auch so recht gut aus, mit starkem, geradem Kiefer und kantigen Zügen. Eine ständig hochgezogene Augenbraue verlieh ihm einen spöttelnden, zweifelnden Blick, der ihn schon mehr als einmal bei seinen Meistern in Schwierigkeiten gebracht hatte, und seine Einstellung, die seiner Mimik entsprach, war auch nicht dazu angetan, sein Ansehen zu heben.

Groß, schlank und in eine elegante mitternachtsblaue Robe gekleidet, bot Rhonin einen beeindruckenden Anblick, selbst für andere Zauberer. Er gab sich unbeeindruckt, obwohl seine letzte Mission fünf gute Männer das Leben gekostet hatte. Aufrecht stand er da und blickte in die Schatten, um zu sehen, aus welcher Richtung der Zauberer zu ihm sprechen würde.

„Ihr habt gerufen. Ich habe gewartet“, flüsterte Rhonin nicht ohne Ungeduld.

„Es ging nicht anders. Ich musste selbst warten, bis ein anderer die Sache vorbrachte.“ Eine hohe, von Umhang und Kapuze verhüllte Gestalt trat halb aus dem Dunkel heraus – das sechste Mitglied des Inneren Rates der Kirin Tor. „Und so ist es geschehen.“

Zum ersten Mal zeigte sich etwas Lebhaftigkeit in Rhonins Augen. „Und meine Strafe? Bin ich rehabilitiert?“

„Ja. Die Rückkehr in unsere Reihen ist dir gewährt … unter der Voraussetzung, dass du zustimmst, unverzüglich einen Auftrag von immenser Wichtigkeit zu übernehmen.“

„Sie setzen noch so viel Vertrauen in mich?“ Die Bitterkeit kehrte in die Stimme des jungen Magiers zurück. „Obwohl die anderen alle tot sind?“

„Du bist der Einzige, den sie noch haben.“

„Das klingt schon realistischer. Ich hätte es wissen müssen.“

„Nimm dies.“ Der schattenhafte Zauberer hielt eine dürre, behandschuhte Hand mit der Innenfläche nach oben hoch. Über der Hand materialisierten plötzlich zwei glitzernde Objekte – eine winzige Kugel aus Smaragd und ein goldener Ring mit einem einzelnen schwarzen Juwel.

Rhonin hielt seine Hand in der gleichen Weise … und die beiden Dinge erschienen darüber. Er ergriff und betrachtete sie. „Ich erkenne die Seher-Kugel, aber nicht das andere. Es fühlt sich machtvoll an, jedoch nicht in aggressiver Weise …“

„Du bist scharfsinnig, deshalb habe ich mich überhaupt für dich eingesetzt, Rhonin. Du kennst den Zweck der Kugel und der Ring wird dich beschützen. Du gehst in ein Reich, in dem es immer noch Orc-Kriegsführer gibt. Dieser Ring wird dich vor ihren eigenen Erkennungsgeräten abschirmen. Bedauerlicherweise wird es uns jedoch ebenso schwer fallen, dich zu überwachen.“

„Dann bin ich also ganz auf mich allein gestellt.“ Rhonin warf seinem Gast ein spöttisches Lächeln zu. „Wenigstens kann ich dann auch nicht so viele Leute umbringen …“

„Ganz allein bist du nicht, jedenfalls nicht auf der Reise zum Hafen. Ein Führer wird dich begleiten.“

Rhonin nickte, obwohl er augenscheinlich nicht viel für Begleitung übrighatte, schon gar nicht in Person eines Führers. Rhonin kam nicht besonders gut mit Elfen klar. „Ihr habt mir noch nichts über meine Mission erzählt.“

Der schattenhafte Magier lehnte sich zurück, als ob er auf einem Stuhl sitze, den der Jüngere nicht sehen konnte.

Behandschuhte Hände falteten sich, während die Gestalt sich die richtigen Worte zurechtzulegen schien.

„Sie haben es dir nicht leicht gemacht, Rhonin. Einige im Rat fordern sogar, dich für immer aus unseren Reihen zu verbannen. Du musst dir deinen Weg zurück verdienen, und um das zu tun, wirst du deinen Auftrag bis aufs i-Tüpfelchen erfüllen müssen.“

„So wie Ihr darüber sprecht, hört es sich nicht nach einer leichten Aufgabe an.“

„Es geht um Drachen … und um etwas, das nach Meinung des Rates nur jemand mit deinen Fähigkeiten zustande bringen kann.“

„Drachen …“ Rhonin hatte bei der ersten Erwähnung der Leviathane große Augen bekommen, und obwohl er normalerweise zur Arroganz neigte, war ihm bewusst, dass er sich momentan eher wie ein unerfahrener Zauberschüler anhörte.

Drachen … Die bloße Erwähnung erfüllte die meisten Zauberlehrlinge bereits mit Ehrfurcht.

„Ja, Drachen.“ Sein Gast beugte sich vor. „Damit eins ganz klar ist, Rhonin: Niemand außer dem Rat und dir darf von deiner Mission wissen. Nicht einmal der Führer oder der Kapitän des Schiffes, das dich an die Küste von Khaz Modan bringt. Wenn jemand herausfindet, was wir uns von dir erhoffen, könnte es alle Pläne gefährden.“

„Aber was ist es?“ Rhonins grüne Augen strahlten hell. Dies war eine gefährliche Mission, aber die Belohnung, die ihm winkte, schien es wert zu sein: Rückkehr in die Rats-Ränge und natürlich sein wiederhergestelltes Ansehen. Nichts motivierte einen Magier der Kirin Tor mehr als ein gutes Prestige, auch wenn niemand im Höchstenrat dies zugegeben hätte.

„Du wirst nach Khaz Modan gehen“, verriet sein Gast endlich, worauf er die ganze Zeit wartete, „und wenn du erst einmal dort bist, wirst du alles Nötige veranlassen, um die Drachenkönigin Alexstrasza aus der Gefangenschaft der Orcs zu befreien …“

ZWEI

Vereesa wartete nicht gerne. Man sollte meinen, dass Elfen endlose Geduld besitzen, aber jüngere Elfen wie sie, die erst seit einem knappen Jahr ihre Lehre als Waldläufer hinter sich hatte, benahmen sich da eher wie Menschen. Sie hatte schon drei Tage auf diesen Zauberer gewartet, den sie zu einem der östlichen Häfen begleiten sollte, die in das Große Meer mündeten. Im Großen und Ganzen respektierte sie die Zauberer, soweit Elfen denn Menschen respektierten, aber dieser hier irritierte sie einfach. Vereesa wollte gemeinsam mit ihren Brüdern und Schwestern die noch verbliebenen Orcs jagen und die mörderischen Bestien ihrem wohlverdienten Tode zuführen. Die Waldläuferin hatte nicht erwartet, bei ihrer ersten größeren Aufgabe für einen trotteligen und offensichtlich völlig vergesslichen alten Magier Altenpflegerin spielen zu müssen.

„Noch eine Stunde“, murmelte sie. „Noch eine Stunde, dann verschwinde ich.“

Ihre schlanke kastanienbraune Elfenstute schnaubte ganz leise. Nach Generationen der Zucht war das Tier seinen normalen Artgenossen weit überlegen – jedenfalls glaubte Vereesas Volk das. Die Stute war im Einklang mit ihrer Reiterin, und das, was anderen nur als ein simples Schnauben erschienen wäre, ließ die Waldläuferin sofort auf die Beine kommen, den Pfeil schon im Bogen eingelegt.

Aber das Waldland, das sich um sie herum ausbreitete, zeugte nur von Stille, nicht von Verrat, und so tief im Herzen der Lordaeron-Allianz konnte es sich kaum um einen Angriff von Orcs oder Trollen handeln.

Sie blickte zu dem kleinen Rasthaus, das der Treffpunkt sein sollte, aber außer einem Stalljungen, der Heu karrte, sah Vereesa niemanden. Trotzdem legte sie den Bogen nicht nieder. Ihr Pferd hätte sich nicht gerührt, wenn es nicht irgendetwas gewittert hätte. Banditen vielleicht?

Langsam drehte sich die Waldläuferin auf der Stelle. Der Wind blies ihr ein paar lange, silbrig weiße Haare ins Gesicht, nahm ihr aber nicht die Sicht. Mandelförmige Augen von reinstem Himmelblau registrierten selbst die kleinste Bewegung im Dickicht der Blätter und die langen, spitzen Ohren konnten einen Schmetterling auf einer Blume landen hören.

Doch noch immer konnte sie keinen Grund für die Warnung der Stute finden.

Vielleicht hatte sie den Störenfried schon verjagt. Wie alle Elfen war Vereesa eine beeindruckende Erscheinung. Sie war größer als die meisten Menschen, gekleidet in kniehohe Lederstiefel, waldgrüne Hosen mit gleichfarbenem Hemd und einen eichenbraunen Reiseumhang. Die Hände waren durch Handschuhe geschützt, die fast bis zu den Ellbogen reichten, um ihr den Gebrauch von Schwert und Bogen zu erleichtern.

Über ihrem Hemd trug sie einen Harnisch, der ihre schlanken, aber weiblichen Formen betonte. Einer der Ortsansässigen in dem kleinen Rasthaus hatte den Fehler begangen, ihre weiblichen Vorzüge zu bewundern und dabei ihre kämpferischen zu ignorieren. Doch da er betrunken war und anderenfalls wohl seine rüden Bemerkungen für sich behalten hätte, hatte Vereesa ihm nur ein paar Finger gebrochen.

Die Stute schnaubte erneut. Die Waldläuferin starrte das Tier an und hatte schon Worte der Zurechtweisung auf der Zunge.

„Ihr seid Vereesa Windläufer, nehme ich an“, klang plötzlich eine tiefe, angenehme Stimme hinter ihr auf.

Bevor der Sprecher mehr sagen konnte, berührte die Spitze ihres Pfeils seine Kehle. Hätte Vereesa den Pfeil losgelassen, wäre er durch den Hals des Mannes gedrungen.

Seltsamerweise schien ihn diese Tatsache nicht zu beeindrucken.

Die Elfe musterte ihn von oben bis unten – keine unangenehme Aufgabe, wie sie zugeben musste – und stellte fest, dass der Ankömmling der Zauberer sein musste, auf den sie gewartet hatte. Es hätte jedenfalls erklärt, warum ihre Stute sich so seltsam benommen hatte und warum sie selbst seine Gegenwart nicht schon früher bemerkt hatte.

„Ihr seid Rhonin?“, fragte die Waldläuferin schließlich.

„Ich entspreche offenbar nicht Euren Erwartungen“, sagte er mit dem Anflug eines spöttischen Lächelns.

Sie senkte den Bogen und entspannte sich leicht. „Man sagte mir, dass ein Zauberer käme – ein Mensch. Das war alles. Wie könnten da Erwartungen enttäuscht werden?“

„Und mir sagten sie: ein Elf, ein Waldläufer – sonst nichts.“ Er bedachte sie mit einem Blick, der sie fast veranlasste, den Bogen wieder anzuheben. „Da wären wir ja quitt.“

„Nicht ganz. Ich habe drei Tage hier gewartet. Drei wertvolle Tage sind vergeudet!“

„Es ging nicht anders. Vorbereitungen mussten getroffen werden.“ Mehr sagte der Zauberer nicht zu seiner Rechtfertigung.

Vereesa gab auf. Wie die meisten Menschen schien auch diesem hier nichts wichtig außer ihm selbst. Sie konnte von Glück sagen, dass er sie nicht noch länger hatte warten lassen.

Es erstaunte sie, dass die Allianz mit solchen wie Rhonin in ihren Reihen überhaupt hatte triumphieren können.

„Nun, wenn Ihr wünscht, die Reise nach Khaz Modan anzutreten, wäre es wohl das Beste, wenn wir sofort aufbrechen würden.“ Die Elfe spähte hinter ihn. „Wo ist euer Pferd?“

Halb erwartete sie, dass er sagte, er besitze keins, und dass er seine bemerkenswerten Kräfte dazu benutzt habe, sich hierherzubegeben … aber wenn das möglich gewesen wäre, wozu hätte Rhonin sie dann noch als Führer zu dem Schiff gebraucht, das auf ihn wartete? Ein Zauberer wie er verfügte sicherlich über beeindruckende Fähigkeiten, aber es gab auch Grenzen. Außerdem sagte ihr das Wenige, was sie über diesen Fall wusste, dass Rhonin jede Unterstützung gebrauchen konnte, die ihm angeboten wurde, um zu überleben. Khaz Modan hieß keine Fremden willkommen. Die Zelte der Orcs waren mit den Schädeln unzähliger mutiger Männer geschmückt und am Himmel patrouillierten ständig Drachen.

Kein Ort, an den Vereesa sich ohne Armee gewagt hätte. Sie war kein Feigling, aber auch keine Närrin.

„Es ist am Trog der Herberge angebunden, damit es trinken kann. Ich bin heute schon weit geritten, Lady.“

Dass er sie mit diesem Titel ansprach, hätte Vereesa schmeicheln können, wäre da nicht gleichzeitig die leichte Andeutung von Sarkasmus in seiner Stimme zu hören gewesen.

Sie rang ihre Verärgerung über diesen Menschen nieder, wandte sich ihrer Stute zu, hängte Pfeil und Bogen zurück und begann, es zu satteln.

„Mein Pferd könnte noch ein paar Minuten Ruhe gebrauchen“, bemerkte der Zauberer, „und ich auch.“

„Ihr werdet schnell lernen, im Sattel zu schlafen … ich werde ein Tempo anschlagen, bei dem Euer Hengst sich erholen kann. Wir haben viel zu lange gewartet. Nur wenige Schiffe, selbst die aus Kul Tiras, können sich mit dem Gedanken anfreunden, nach Khaz Modan zu reisen, nur um einen Zauberer zu seinem Lauschposten zu bringen. Wenn Ihr den Hafen nicht bald erreicht, überlegen sie sich vielleicht, dass sie bessere und weniger selbstmörderische Dinge in Angriff nehmen könnten.“

Zu ihrer Erleichterung stritt sich Rhonin nicht mit ihr. Stattdessen drehte er sich mit einem Stirnrunzeln um und marschierte in Richtung der Herberge zurück. Vereesa sah ihm nach. Sie hoffte, dass sie nicht in Versuchung geraten würde, ihn zu verprügeln, bevor sie sich wieder trennten.

Sie dachte über den Zweck seiner Mission nach. Es stimmte, Khaz Modan stellte durch die Orcs und ihre Drachen noch immer eine Bedrohung dar, doch besaß die Allianz andere, gut ausgebildete Beobachter über das Land verstreut. Vereesa vermutete, dass Rhonins Aufgabe einen sehr ernsten Hintergrund hatte, sonst hätten die Kirin Tor nicht so viel für diesen arroganten Magier aufs Spiel gesetzt. Aber hatten die Kirin Tor es sich wirklich gut überlegt, ihn dafür auszuwählen? Sicherlich hätte es fähigere Männer gegeben – vertrauenswürdigere. Dieser Zauberer hatte einen Blick an sich, der von Unberechenbarkeit zeugte. Und diese konnte geradewegs ins Verderben führen.

Die Elfe versuchte, ihre Zweifel abzuschütteln. Die Kirin Tor hatten sich in dieser Sache entschieden, und die Führungsspitze der Allianz hatte ihnen zugestimmt, sonst wäre sie nicht entsandt worden, um ihn zu begleiten. Am besten legte sie ihre Befürchtungen ab. Sie musste ihn nur zu seinem Schiff begleiten, danach konnte sie ihrer Wege gehen. Was Rhonin nach ihrer Trennung tun oder nicht tun würde, ging sie überhaupt nichts an.

Vier Tage ritten sie dahin, und das Gefährlichste, was ihnen begegnete, waren Insekten. Unter anderen Umständen wäre die Reise fast idyllisch gewesen, außer dass Rhonin und seine Führerin so gut wie nicht miteinander sprachen. Das störte den Zauberer jedoch wenig, dachte er doch unentwegt über die Aufgabe nach, die vor ihm lag. Wenn das Schiff ihn erst einmal an die Küste von Khaz Modan gebracht hatte, würde er auf sich allein gestellt sein in einem Land, das nicht nur immer noch voller Orcs war, sondern auch aus der Luft von den gefangenen Drachen bewacht wurde. Er war zwar kein Feigling, aber Rhonin hegte auch nicht den geringsten Wunsch, gefoltert zu werden und eines langsamen, qualvollen Todes zu sterben. Aus diesem Grund hatte sein Wohltäter im Rat der Kirin Tor ihn über die letzten bekannten Manöver des Dragonmaw-Clans in Kenntnis gesetzt. Dragonmaw würde jetzt bestimmt sehr wachsam sein, insbesondere dann, wenn stimmte, was man Rhonin gesagt hatte, und der Schwarze Wurm Todesschwinge wirklich noch am Leben war.

Doch so gefährlich der Auftrag auch erschien, Rhonin hätte sich ihm niemals entzogen. Ihm war die Gelegenheit gegeben worden, sich nicht nur bei den Kirin Tor wieder zu rehabilitieren, sondern darüber hinaus sogar im Rang aufzusteigen. Dafür würde er seinem Wohltäter, den er nur als Krasus kannte, ewig dankbar sein. Der Name war vermutlich falsch, das war bei den Regierenden im Rat nicht unüblich. Die Meister von Dalaran wurden im Geheimen gewählt, ihr Aufstieg wurde nur dem Rat bekannt, selbst ihre eigenen Familienangehörigen erfuhren nichts davon. Krasus’ Stimme war wahrscheinlich nicht seine wirkliche, und so war nicht einmal sicher, ob er ein Mann war.

Es war möglich herauszufinden, wer sich zumindest hinter einigen der Magier des Rates verbarg – aber Krasus blieb sogar seinem wissbegierigen Schützling ein Rätsel. Allerdings interessierte Rhonin ohnehin mehr, wie er seine Träume mithilfe seines Mentors verwirklichen konnte, und weniger, wer dieser Mentor eigentlich war.

Aber die Träume würden unerfüllt bleiben, wenn er das Schiff verpasste. Er beugte sich im Sattel vor und fragte: „Wie weit ist es noch bis Hasic?“

Ohne sich umzudrehen, erwiderte Vereesa: „Mindestens noch drei Tage. Sorgt Euch nicht, wir werden rechtzeitig am Hafen sein, wenn wir dieses Tempo halten können.“

Rhonin lehnte sich wieder zurück. Das war nun ihre zweite Unterhaltung überhaupt für heute. Das Einzige, was womöglich schlimmer war, als mit einem Elf zu reisen, wäre vielleicht ein Ritt mit den sauertöpfischen Rittern der Silbernen Hand gewesen. Trotz ihrer unanfechtbaren Höflichkeit, machten die Paladine gerne deutlich, dass sie Magie als ein gelegentliches, notwendiges Übel betrachteten, eines, das sie normalerweise nicht vermissten. Der Letzte, den Rhonin getroffen hatte, war der Meinung gewesen, dass die Seele eines Magiers nach dem Tod in den gleichen Abgrund aus Dunkelheit fiel wie die mythischen Dämonen des Altertums. Gleichgültig, wie rein seine Seele auch sonst sein mochte.

Die späte Nachmittagssonne begann zwischen den Baumwipfeln zu versinken, und es entstanden tief kontrastreiche Flächen aus Licht und dunklen Schatten zwischen den Bäumen. Rhonin hatte gehofft, den Rand des Waldes noch vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen, aber das würden sie nun nicht mehr schaffen. Nicht zum ersten Mal hielt er sich seine inneren Karten vor Auge, um zu prüfen, wo sie sich befanden, und ob sie, wie seine Begleiterin behauptet hatte, noch rechtzeitig zum Schiff gelangen würden. Seine Verspätung bei der Herberge war unvermeidbar gewesen, denn er hatte zunächst die nötige Ausrüstung und Vorräte besorgen müssen. Nun hoffte er, dass dies nicht die ganze Mission in Gefahr brachte.

Die Drachenkönigin zu befreien …

Für manche eine unmögliche, unerfüllbare Aufgabe und für die meisten der sichere Tod. Dennoch hatte Rhonin es schon während des Krieges vorgeschlagen. Denn es war sicher, wenn die Drachenkönigin erst einmal frei war, würden die Orcs eines ihrer stärksten Machtmittel verlieren. Doch es hatte sich keine Gelegenheit ergeben, diesen fundamentalen Plan auszuführen.

Rhonin wusste, dass die meisten im Rat hofften, dass er versagen würde. Ihn loszuwerden würde in ihren Augen einen schwarzen Fleck aus der Geschichte ihres Ordens tilgen.

Diese Mission war eine zweischneidige Klinge: Einerseits wären sie erstaunt gewesen, wenn er zurückkehrte, andererseits erleichtert, sollte er scheitern und umkommen.

Wenigstens konnte er Krasus vertrauen. Der Zauberer war zu ihm gekommen, um sein jüngeres Gegenstück zu fragen, ob es immer noch glaubte, dass es das Unmögliche schaffen könne. Der Dragonmaw-Clan würde für immer an Khaz Modan festhalten, solange Alexstrasza bei ihnen war – und solange die dortigen Orcs das Werk der Horde weiterführten, konnten sie immer wieder mit den Bewohnern der bewachten Enklaven aneinandergeraten. Niemand wollte den Krieg wieder aufleben lassen. Die Allianz hatte genug damit zu tun, Streit in den eigenen Reihen zu führen.

Ein fernes Donnergrollen störte Rhonins Überlegungen. Er schaute hoch, sah aber nur ein paar Wattewölkchen. Mit einem Stirnrunzeln wandte sich der junge Mann der Elfe zu, um sie zu fragen, ob sie den Donner auch gehört habe.

Ein zweites, heftigeres Grollen ließ ihn jeden Muskel anspannen. Gleichzeitig sprang Vereesa ihn an!

Irgendwie hatte die Waldläuferin es geschafft, sich im Sattel umzudrehen und sich auf ihn zu katapultieren.

Ein riesiger Schatten lag über der Umgebung. Die Waldläuferin und der Zauberer prallten gegeneinander. Das Gewicht der Elfenrüstung warf beide von Rhonins Pferd. Ein ohrenbetäubendes Brüllen erschütterte die Luft, und eine Kraft, einem Tornado gleich, schien die Landschaft zu zerreißen.

Als Rhonin auf den harten Boden prallte, hörte er durch den Schmerz hindurch das kurze Wiehern seines Pferdes – ein Geräusch, das im nächsten Augenblick abbrach.

„Bleib unten!“, schrie Vereesa. „Bleib unten!“

Aber Rhonin drehte sich um, wollte zum Himmel hinaufblicken – und starrte stattdessen in eine höllische Fratze.

Ein Drache von der Farbe wütenden Feuers füllte sein Blickfeld aus.

In seinen Vorderkrallen hielt er, was von Rhonins Pferd und den teuren, sorgfältig zusammengesuchten Vorräten übrig geblieben war. Der feuerrote Wurm verschluckte den Rest des Kadavers und dann fixierten seine Augen auch schon die lächerlich kleinen Figuren am Boden.

Auf den Schultern der Bestie saß eine groteske grünliche Gestalt mit Stoßzähnen. Sie hielt eine Streitaxt, die fast so groß war wie der Zauberer, und bellte Befehle in einer rauen Sprache, während sie mit dem Finger direkt auf Rhonin wies.

Mit aufgerissenem Maul und gespreizten Krallen stob der Drache zu ihm herab.

„Ich danke Euch noch einmal für die Zeit, die Ihr mir schenkt, Euer Majestät“, sagte der hochgewachsene schwarzhaarige Adlige mit einer Stimme voller Kraft und Verständnis. „Vielleicht können wir Euer gutes Werk noch davor bewahren, zunichtegemacht zu werden.“

„Wenn das so sein sollte“, erwiderte der ältere, bärtige Mann, der in eine elegante weiße und goldfarbene Staatsrobe gekleidet war, „werden Euch Lordaeron und die Allianz einiges zu danken haben, Lord Prestor. Nur durch Euer Bemühen, dessen bin ich überzeugt, werden Gilneas und Stromgarde noch Vernunft annehmen.“ Obwohl er kein kleiner Mann war, fühlte König Terenas sich ein wenig von der Größe seines Freundes überwältigt.

Der jüngere Mann lächelte und entblößte dabei perfekte Zähne. Es hätte König Terenas äußerst überrascht, wenn er einer eindrucksvolleren Erscheinung als Lord Prestor begegnet wäre. Mit seinem kurzen, gut geschnittenen schwarzen Haar, den glatt rasierten, habichtähnlichen Gesichtszügen, die viele der Frauen bei Hofe in helles Verzücken versetzten, seinem klugen Geist und einem Auftreten, das prinzlicher war als das irgendeines anderen Prinzen in der Allianz, war es absolut nicht überraschend, dass jeder, der mit der Alterac-Sache zu tun hatte, sich an ihn gewandt hatte, Genn Graumähne eingeschlossen. Prestor hatte ein einnehmendes Wesen, das sogar den Regenten von Gilneas einmal zum Lächeln gebracht hatte, wie aus den Kreisen von Terenas’ Diplomaten zu hören war.

Für einen jungen Adligen, von dem bis vor fünf Jahren noch niemand etwas gehört hatte, hatte sich der Gast des Königs ein erstaunliches Ansehen erworben.

Prestor stammte aus der abgelegensten, gebirgigsten Region von Lordaeron, war aber auch mit dem Hause Alterac blutsverwandt. Sein winziges Reich war beim Angriff eines Drachen während des Krieges zerstört worden, und er war zu Fuß in die Hauptstadt gekommen, ohne einen einzigen Diener. Seine Notlage, und was er aus sich gemacht hatte, war inzwischen Legende. Darüber hinaus hatte sein Rat dem König oftmals geholfen, auch während der Dunklen Tage, als der ergrauende Monarch darüber entschieden hatte, was mit Lord Perenolde zu geschehen habe. Prestor hatte dabei den Ton angegeben. Er hatte Terenas ermutigt, die Macht in Alterac zu ergreifen und das Kriegsrecht einzuführen. Stromgarde und die anderen Königreiche hatten zwar Verständnis für eine militärische Aktion gegen den verräterischen Perenolde gezeigt, nicht aber dafür, dass Lordaeron auch noch nach dem Krieg über Alterac verfügen wollte. Jetzt sah es endlich so aus, als sei Prestor derjenige, der ihnen alles erklären und sie dazu bringen konnte, eine endgültige Lösung zu akzeptieren.

Dies alles hatte den König dazu gebracht, über eine mögliche Lösung nachzudenken, die sogar sein scharfsinniges Gegenüber sprachlos machen würde.

Terenas verweigerte die Rückgabe Alteracs an Perenoldes Neffen, der von Gilneas unterstützt wurde. Auch hielt er es nicht für weise, das besagte Königreich zwischen Lordaeron und Stromgarde aufzuteilen. Das würde den Zorn von Gilneas und sogar Kul Tiras heraufbeschwören. Alterac völlig aufzulösen kam ebenfalls nicht infrage.

Doch was, wenn er die Herrschaft über die Region in die fähigen Hände eines Mannes legte, der von allen bewundert wurde und der gezeigt hatte, dass er nichts mehr als Frieden und Eintracht wollte? Ein fähiger Verwalter, wenn Terenas sich nicht irrte, und nicht zu vergessen jemand, der mit Gewissheit ein treuer Verbündeter und Freund von Lordaeron bleiben würde …

„Nein, wirklich, Prestor.“ Der König reckte sich, um dem erheblich stattlicheren Lord auf die Schulter zu klopfen. Prestor war über zwei Meter groß, aber obwohl schlank, konnte man ihn nicht schlaksig nennen. Die blauschwarze Uniform stand Prestor vortrefflich, er sah wirklich wie der Inbegriff eines kämpferischen Helden aus.

„Ihr habt allen Grund, stolz zu sein … und verdient es, belohnt zu werden! Ich werde nicht so bald vergessen, welche Rolle Ihr gespielt habt, glaubt mir!“

Prestor strahlte, vermutlich glaubte er, er würde bald sein winziges Reich zurückerhalten. Terenas würde dem Jungen seinen kleinen Traum lassen. Wenn der Herrscher über Lordaeron ihn als den neuen König von Alterac ausrief, würde Prestors Gesichtsausdruck noch viel erheiternder sein. Es geschah nicht jeden Tag, dass man zum König gekrönt wurde … es sei denn natürlich, man erbte diese Position.

Terenas’ Ehrengast grüßte ihn ehrerbietig und zog sich mit einer graziösen Verbeugung aus dem königlichen Gemach zurück. Der alte Mann runzelte die Stirn, nachdem Prestor gegangen war, es kam ihm vor, als ob weder die seidenen Vorhänge noch die goldenen Lüster oder der reinweiße Marmorfußboden das Gemach zu erhellen vermochten, nun, da der junge Adlige es verlassen hatte. Lord Prestor war ohne Zweifel aus einem anderen Holz geschnitzt als die verhassten Höflinge, die in Scharen zum Palast strömten. Hier war ein Mann, an den jeder glauben konnte, dem man in allen Dingen zu vertrauen und Respekt entgegenzubringen vermochte. Terenas wünschte, sein eigener Sohn wäre ein wenig mehr wie Prestor gewesen.

Der König rieb sein bärtiges Kinn. Ja, er war der perfekte Kandidat, um die Ehre seines Landes wiederherzustellen und gleichzeitig die Harmonie zwischen den Mitgliedern der Allianz. Neues, starkes Blut …

Terenas musste an Calia, seine Tochter, denken. Sie war noch ein Kind, würde aber sicherlich bald zur Schönheit erblühen. Vielleicht konnte eines Tages, wenn alles gut ging, die Freundschaft und das Bündnis zwischen ihm und Prestor durch eine Hochzeit gefestigt werden. Nun, er würde zu seinen Beratern gehen und ihnen seine königliche Meinung mitteilen. Terenas war sicher, dass sie ihm zustimmen würden. Er hatte noch niemanden getroffen, der den jungen Adligen nicht mochte.

König Prestor von Alterac. Terenas versuchte, sich das Gesicht seines Freundes vorzustellen, wenn dieser das wahre Ausmaß seiner Belohnung erfuhr …

„Ihr tragt den Schatten eines Lächelns auf dem Gesicht – ist jemand eines schrecklichen, grausamen, blutrünstigen Todes gestorben, Euer Giftigkeit?“

„Spar dir deine Witze, Kryll“, entgegnete Lord Prestor, als er die große eiserne Tür hinter sich schloss. Über ihm, in der Villa, die sein Gastgeber ihm zur Verfügung gestellt hatte, standen von Prestor eigens ausgesuchte Diener Wache, um sicherzustellen, dass keine ungebetenen Besucher auftauchten. Ihr Herr hatte zu tun, und wenn auch niemand der Diener genau wusste, was in den unterirdischen Räumen vor sich ging, wussten sie doch, dass sie ihr Leben verwirkt hätten, würde er gestört werden.

Prestor erwartete keine Störungen und wusste, dass die Lakaien ihm bis in den Tod gehorchen würden. Der Zauber, der auf ihnen lag, eine Variante des Zaubers, der den König und seinen Hof dazu gebracht hatte, den gut aussehenden Flüchtling sosehr zu bewundern, erlaubte kein eigenständiges Denken. Er hatte ihm im Laufe der Zeit den letzten Schliff verliehen.

„Meine demütigste Entschuldigung, o Prinz der Doppelzüngigkeit!“, krächzte die kleine drahtige Gestalt vor ihm. Der Ton in seiner Stimme klang irgendwie unmenschlich, voller Bosheit und Irrsinn. Kein Wunder, denn Prestors Gefährte war ein Goblin.

Sein Kopf reichte gerade bis an die Gürtelschnalle des Adligen, doch das kleine smaragdgrüne Geschöpf war alles andere als schwach oder dumm. Das verrückte Grinsen entblößte extrem scharfe, lange Zähne und eine blutrote, fast gegabelte Zunge. Seine schmalen gelben Augen ohne sichtbare Pupillen funkelten vor Fröhlichkeit, aber es war eher die Art von Fröhlichkeit, die aufkam, wenn man Fliegen die Flügel oder Vierbeinern die Gliedmaßen ausriss. Aus seinem Nacken spross stumpfbraunes Fell, das nach vorn über den Kopf wuchs und in einem wilden Kamm über der gedrungenen Stirn der scheußlichen Kreatur endete.

„Immerhin, es gibt Grund zum Feiern.“ Das Gewölbe war einmal der Vorratskeller gewesen. Damals hatte die Kühle der Erde Regale voller Wein stets perfekt temperiert. Heutzutage jedoch fühlte sich der große Raum dank Krylls Einwirkungen an, als liege er im Inneren eines tosenden Vulkans.

Für Lord Prestor fühlte er sich an wie Heimat.

„Feiern, o Meister der Täuschung?“, kicherte Kryll. Er kicherte oft, vor allem, wenn Bösartigkeiten bevorstanden. Die beiden größten Leidenschaften der grünhäutigen Kreatur waren das Experiment und die Zerstörung – und wann immer möglich, verband er beides miteinander. Aus diesem Grund war die hintere Hälfte des Raumes mit Werkbänken, Flaschen, Pudern, seltsamen Mechanismen und makabren Gegenständen angefüllt, die der Goblin gesammelt hatte.

„Ja, feiern, Kryll.“ Prestors stechende Ebenholzaugen fixierten den Goblin, der sein Lächeln und sein komisches Gehabe plötzlich fallen ließ. „Du würdest doch gern bei den Feierlichkeiten dabei sein, nicht wahr?“

„Ja … Herr.“

Der uniformierte Adlige hielt inne, um die erstickend heiße Luft einzuatmen. Ein Ausdruck von Erleichterung lag auf seinen Zügen. „Oh, wie ich das vermisse …“ Seine Gesichtszüge verhärteten sich. „Aber ich muss warten. Man geht nur, wenn es notwendig ist, richtig, Kryll?“

„Wie Ihr wünscht, Herr.“

Erneut zierte ein bösartiges Lächeln Prestors Gesicht. „Du stehst vermutlich gerade vor dem künftigen König von Alterac. Das solltest du wissen.“

Der Goblin neigte seinen hageren, aber muskulösen Körper dem Boden entgegen. „Preiset Ihro königliche Majestät, König –“

Ein Quietschen ließ beide nach rechts blicken. Ein kleinerer Goblin schob sich hinter einem Metallgitter, das einen alten Ventilationsschacht abdeckte, hervor. Nervös verließ das kleine Wesen die Öffnung und lief zu Kryll. Der Neuankömmling zeigte einen bösartig amüsierten Gesichtsausdruck, der unter Prestors intensivem Blick jedoch rasch verschwand.

Der zweite Goblin flüsterte etwas in Krylls großes, spitzes Ohr. Kryll fauchte und entließ die andere Kreatur mit einer knappen Handbewegung. Der Neuankömmling verschwand durch das offene Gitter.

„Was ist los?“ Die Worte des Aristokraten klangen zwar ruhig und sanft, verlangten jedoch deutlich nach einer sofortigen Antwort des Goblins.

„Oh, Eure Großmütigkeit“, begann Kryll und zeigte wieder das irre Lächeln auf seinem Bestiengesicht, „das Glück ist an diesem Tag mit Euch. Vielleicht solltet Ihr über eine Wette nachdenken, denn die Sterne scheinen auf Euer –“

„Was ist los?“

„Jemand … jemand versucht Alexstrasza zu befreien.“

Prestor stierte ihn an. Er starrte so lange und mit solcher Intensität, dass Kryll unter seinem Blick zu vergehen glaubte. Sicherlich, dachte der Goblin, würde nun der Tod zu ihm kommen. Dabei gab es noch so viele Experimente, die er versuchen wollte, und so viele Sprengstoffe, die er noch nicht getestet hatte …

Im gleichen Moment brach der große schwarze Adlige vor ihm in ein tiefes, dunkles und nicht ganz natürlich klingendes Gelächter aus.

„Perfekt!“ Lord Prestor gelang es, dieses Wort zwischen seinen Heiterkeitsausbrüchen hervorzustoßen. Er streckte seine Arme aus, als wolle er die Luft selbst einfangen. Seine Finger erschienen viel zu lang, fast schon wie Klauen. „So perfekt!“

Er setzte sein Gelächter fort und der Goblin lehnte sich zurück. Er betrachtete den seltsamen Anblick und schüttelte leicht den Kopf.

„Und da behauptet man, ich sei verrückt“, murmelte er leise.

DREI

Die Welt wurde zu Feuer.

Vereesa fluchte, als sie und der Magier unter dem Inferno, das der feuerrote Drache spie, zusammenbrachen. Wenn Rhonin sich nicht verspätet hätte, wäre das nie passiert. Sie würden jetzt in Hasic sein und sie hätte sich schon von ihm getrennt. Nun war es eher wahrscheinlich, dass sie beide ihr Leben einbüßten …

Sie hatte gewusst, dass die Orcs von Khaz Modan immer noch gelegentlich Drachen entsandten, um die sonst so friedlichen Länder ihrer Feinde zu terrorisieren, aber warum hatten ihr Gefährte und sie das Pech, von einem solchen aufgespürt zu werden? Es gab heutzutage weniger Drachen und die Reiche des Lordaeron waren zahlreich.

Sie blickte zu Rhonin, der sich tiefer in den Wald geflüchtet hatte. Natürlich! Irgendwie hatte es damit zu tun, dass ihr Begleiter ein Zauberer war. Drachen besaßen noch sensiblere Sinne als Elfen. Manche sagten, sie könnten bis zu einem gewissen Grad Magie wittern. Irgendwie musste diese katastrophale Eskalation der Ereignisse die Schuld des Zauberers sein. Der Orc und sein Drache waren seinetwegen gekommen!

Rhonin dachte augenscheinlich Ähnliches, denn er verschwand, so schnell er konnte, zwischen den Bäumen auf der gegenüberliegenden Seite.

Die Waldläuferin schnaubte. Zauberer waren nicht geschaffen für die Front. Es war eine Sache, jemanden aus sicherer Entfernung anzugreifen oder rücklings, doch sobald sie einem Feind offen die Stirn bieten mussten …

Immerhin, es war ein Drache.

Er jagte im Sturzflug auf den flüchtenden Menschen herab, und gleichgültig, was sie persönlich über Rhonin dachte, Vereesa wollte nicht, dass er starb. Doch sosehr sie sich auch suchend umschaute, die silberhaarige Waldläuferin konnte nichts finden, womit sie dem Zauberer hätte helfen können. Ihr Pferd war mit dem seinen umgekommen und auch ihr guter Bogen war für immer verloren. Alles, was ihr noch blieb, war ihr Schwert. Nicht gerade die ideale Waffe, um etwas gegen einen tobenden Titanen auszurichten. Wieder blickte sie sich suchend um, fand aber nichts Brauchbares.

Das ließ ihr ziemlich wenig Handlungsspielraum. Als Waldläuferin war es ihre Pflicht, dem Zauberer zu helfen, ganz gleich wie. Also tat Vereesa das Einzige, was sie überhaupt noch tun konnte, um ihm vielleicht doch noch das Leben zu retten.

Die Elfe sprang aus ihrem Versteck auf, gestikulierte wild mit ihren Armen und schrie: „Hier! Hier drüben, du Eidechsenbrut! Hier!“

Der Drache hörte sie nicht, seine Aufmerksamkeit – Vereesa hatte mittlerweile festgestellt, dass sie es mit einem männlichen Vertreter seiner Gattung zu tun hatten – konzentrierte sich ganz auf den brennenden Wald unter ihm. Irgendwo in dem Inferno kämpfte Rhonin ums nackte Überleben. Der Drache versuchte, ihm dies unmöglich zu machen.

Fluchend schaute sich die Elfenkriegerin um und fand einen schweren Stein. Für einen Menschen wäre das, was sie vorhatte, fast unmöglich gewesen – nicht so für sie. Vereesa hoffte nur, dass ihre Zielkünste noch so gut waren wie vor ein paar Jahren …

Sie lehnte sich zurück, um dem roten Leviathan den Stein an den Kopf zu werfen. Sie hatte ihn weit genug geschleudert, doch plötzlich bewegte sich der Drache, und einen Moment lang fürchtete Vereesa, der Stein würde ihn völlig verfehlen.

Er traf zwar nicht den Kopf, streifte aber den Flügel. Vereesa hatte nicht erwartet, das Biest spürbar zu verletzen – ein einfacher Stein gegen harte Drachenschuppen war eine nahezu lächerliche Waffe –, erhoffte sich aber, die volle Aufmerksamkeit des Tieres auf sich zu ziehen.

Und das gelang ihr.

Der massige Kopf fuhr sofort zu ihr herum, und der Drache brüllte seine Wut über die Störung hinaus, worauf der Orc seinem Reittier etwas Unverständliches zuschrie.

Das große geflügelte Wesen drehte bei und steuerte genau auf die Elfe zu. Sie hatte es also geschafft, ihn von dem glücklosen Magier abzulenken.

Und was jetzt?, schalt sich die Waldläuferin.

Sie drehte sich um und rannte los, obwohl sie wusste, dass sie gegenüber einem monströsen Verfolger wie diesem keine Chance hatte.

Die Baumwipfel über ihr zerbarsten im Feuer, als der Drache die Landschaft damit überzog. Brennendes Gezweig stürzte vor ihr nieder und versperrte ihr den Weg, den sie hatte nehmen wollen.

Ohne Zögern wandte sie sich nach links und tauchte zwischen Bäumen unter, die noch nicht Teil des Infernos geworden waren.

Du wirst sterben!Und alles nur wegen diesem nutzlosen Zauberer!

Ohrenbetäubendes Brüllen veranlasste sie, über ihre Schulter zu spähen. Der rote Drache hatte sie fast erreicht und fuhr gerade seine Krallen aus, um nach der fliehenden Waldläuferin zu schnappen. Vereesa war überzeugt, von den Klauen zerquetscht, oder schlimmer noch, in das fürchterliche Maul des Tatzelwurms gezerrt zu werden, wo dessen mächtige Kiefer sie entweder erst zermalmen oder gleich in einem Bissen hinunterschlucken würden.

Doch als der Tod schon unausweichlich schien, zog der Drache plötzlich seine Krallen zurück und krümmte sich in der Luft. Die Klauen rissen an seinem eigenen Körper. Das hieß, seine sämtlichen Nägel versuchten, überall zugleich zu kratzen, gerade so, als ob … als ob der Leviathan unter einem unbeschreiblichen Juckreiz litte.

Auf seinem Rücken saß der Orc und kämpfte um die Kontrolle, doch er hätte ebenso gut der Floh sein können, der den Drachen stach, so wenig gehorchte dieser ihm jetzt noch.

Vereesa stand da und konnte nur starren. Einen solch seltsamen Anblick hatte sie noch nie zuvor erlebt. Der Drache drehte und wand sich, um seine Pein loszuwerden, und seine Bewegungen wurden immer heftiger. Sein Orc-Reiter konnte sich kaum noch festhalten. Was, fragte sich die Elfe, konnte dem Monster so heftig zusetzen?

Die Antwort, die ihr schließlich einfiel, flüsterte sie nur: „Rhonin …?“

Und als ob sie mit dem Aussprechen des Namens einen Geist heraufbeschworen hätte, stand der Magier unvermittelt vor ihr. Sein feuerfarbenes Haar war zerzaust und seine dunkle Robe voller Schlamm und zerfetzt, doch aus dem Konzept schien ihn das nicht zu bringen.

„Ich denke, es wäre besser, von hier zu verschwinden, solange wir noch dazu in der Lage sind, oder, Elf?“

Das brauchte er ihr nicht zweimal zu sagen.

Und dieses Mal war es Rhonin, der sie führte. Er gebrauchte dazu irgendeine Kunst, irgendeinen Zauber, und lotste sie damit durch den brennenden Wald. Vereesa selber hätte es nicht besser vermocht. Rhonin führte sie auf Pfaden, die die Elfe noch nicht einmal sah, bis sie diese entlangschritten.

Die ganze Zeit pflügte der Drache durch die Lüfte über ihnen, immer noch an seiner Haut kratzend. Einmal sah Vereesa auf und stellte fest, dass er es geschafft hatte, sich mit einer der wenigen Waffen, die Drachenhaut durchdringen konnten, zu verletzen – mit seinen eigenen Drachenkrallen.

Von dem Orc war nichts mehr zu sehen, irgendwann hatte der Krieger mit den Stoßzähnen wohl den Halt verloren und war abgestürzt. Vereesa hatte keinerlei Bedauern für ihn übrig.

„Was habt Ihr mit dem Drachen gemacht?“, konnte sie endlich hervorstoßen.

Rhonin, der immer noch damit beschäftigt war, einen Ausweg aus den Flammen zu finden, drehte sich nicht zu ihr um. „Etwas, das nicht so geklappt hat, wie ich es wollte. Er hätte mehr erleiden müssen als nur einen starken Juckreiz!“

Er klang wirklich zornig über sich selbst, aber die Waldläuferin war zum ersten Mal beeindruckt von ihm. Er hatte sie vor dem sicheren Tode gerettet – falls sie diesem Wald je entkamen.

Hinter ihnen brüllte der Drache vor Wut und Frustration.

„Wie lange wird es anhalten?“

Endlich stoppte er und sah sie an. Was sie in seinem Blick lesen konnte, beunruhigte sie sehr. „Auf jeden Fall nicht lange genug …“

Sie verdoppelten ihre Anstrengungen. Das Feuer umzingelte sie fast vollständig, doch irgendwann erreichten sie seinen Rand, rannten weiter in eine Gegend, durch die nur dichter schwarzer Rauch trieb. Hustend stolperten sie weiter auf der Suche nach einer rettenden Schneise, wo der Wind von vorne blies und dadurch Feuer und Rauch hinter ihnen zurückhalten würde.

Ein neuerliches Brüllen schreckte sie auf, denn es klang nicht mehr gequält, sondern wütend und rachsüchtig. Der Zauberer und die Waldläuferin drehten sich um und spähten in die Richtung der roten Bestie.

„Der Zauber hat seine Wirkung verloren“, murmelte Rhonin unnötigerweise.

Er hatte recht, und Vereesa konnte sehen, dass der Drache genau wusste, wer für seine Schmerzen verantwortlich war. Mit fast unfehlbarer Sicherheit kam der Drache auf sie zu, um sie zu vernichten. Seine riesigen ledrigen Flügel peitschten die Luft.

„Habt Ihr noch einen Zauber übrig?“, rief Vereesa im Rennen.

„Vielleicht. Aber den würde ich hier lieber nicht einsetzen. Er könnte uns auch erfassen!“

Als ob das noch einen Unterschied machen würde – Zauber oder Drache, eins von beiden würde ihr Schicksal besiegeln, so oder so. Die Elfe hoffte, dass Rhonin sich zu seinem tödlichen Zauber entschloss, bevor sie beide als Drachenfutter endeten.

„Wie weit …?“ Der Magier schnappte nach Luft. „Wie weit ist es noch bis Hasic?“

„Zu weit!“

„Irgendeine Siedlung zwischen hier und Hasic?“

Sie versuchte nachzudenken. Ein Ort fiel ihr ein, aber sie erinnerte sich weder an den Namen der Niederlassung, noch von wem sie bewohnt war. Nur dass sie ungefähr eine Tagesreise entfernt lag. „Da gäbe es eine, aber …“

Das Brüllen des Drachen ließ sie beide erzittern. Ein Schatten zog über sie hinweg.

„Falls Ihr wirklich einen anderen Zauber kennt, würde ich vorschlagen, wendet ihn an – sofort!“ Vereesa wünschte sich ihren Bogen zurück. Mit ihm hätte sie wenigstens auf die Augen der Bestie zielen können und eine reelle Chance gehabt, sie damit aufzuhalten oder zumindest entscheidend zu irritieren. Der Schock und Schmerz eines solchen Treffers hätte vielleicht sogar ausgereicht, das Monster zu vertreiben.

Sie prallten fast zusammen, als Rhonin unerwartet stehen blieb und sich umdrehte, um der Gefahr ins Auge zu blicken. Mit für einen Zauberer überraschend starken Händen packte er sie an den Armen und stieß sie beiseite. Seine Augen glühten.

Vereesa hatte zwar gehört, dass wirklich mächtige Magier dazu in der Lage waren, aber sie hatte es selbst noch niemals erlebt.

„Bete, dass es nicht auf uns zurückschlägt“, keuchte er. Dann begann er in einer Sprache zu murmeln, die Vereesa unbekannt war und ihr Schauer über den Rücken jagte.

Rhonin führte seine Hände zusammen, begann wieder zu sprechen …

Drei neue geflügelte Wesen brachen durch die Wolken.

Vereesa ächzte, und Rhonin verstummte, brach den Zauber ab.

Er sah aus, als wollte er den Himmel verfluchen, doch dann sah die Elfe, was da über ihrem fürchterlichen Feind aufgetaucht war.

Greife! Riesige, adlerköpfige Greife mit Löwenkörpern und Flügeln … und mit Reitern.

Sie zog Rhonin am Ärmel. „Unternimm nichts!“

Er starrte sie wütend an, nickte aber. Sie sahen wieder hinauf zu dem Drachen.

Die drei Greife stürzten auf ihn herab und überraschten ihn völlig. Nun konnte Vereesa auch ihre Lenker erkennen, aber sie hatte es schon zuvor geahnt. Nur die Zwerge des Wildhammerclans vom Nistgipfel, einer weit entfernten Bergregion, die noch hinter dem Reich Quel‘Thalas lag, vermochten die wilden Greife zu reiten … und nur diese geübten Krieger und ihre Reittiere konnten es überhaupt wagen, einen Luftkampf mit einem Drachen einzugehen.

Obwohl sie viel kleiner waren als der karmesinrote Gigant, machten die Greife diesen Nachteil durch ihre riesigen, rasiermesserscharfen Krallen wett, mit denen sie selbst Drachenschuppen durchdringen konnten, und durch Schnäbel, die das Fleisch darunter herauszuhacken vermochten. Außerdem waren sie viel wendiger und schlugen Haken in der Luft, denen ein Drache nie folgen konnte.

Die Bergzwerge waren auch nicht ausschließlich Lenker. Sie waren größer und schlanker als ihre im Boden lebenden Verwandten, aber genauso stark.

Obwohl ihre bevorzugten Waffen im Luftkampf die legendären Sturmhämmer waren, führte dieses Trio gewaltige doppelseitige Streitäxte an langen Griffen mit sich und handhabte sie mit beeindruckender Leichtigkeit. Die Waffen wurden aus einem dem Adamantium verwandten Metall hergestellt und konnten selbst die schuppigen, knöchernen Schädel der Tatzelwürmer durchstoßen. Es ging das Gerücht, dass der große Greifenreiter Kurdran einen noch mächtigeren Drachen als diesen hier mit einem einzigen gut gezielten Hieb einer solchen Axt erlegt habe.

Die geflügelten Tiere umkreisten ihren Gegner, sodass dieser sich ständig drehen musste, um zu sehen, woher nun die größte Gefahr kam. Die Orcs hatten mittlerweile gelernt, vor den Greifen auf der Hut zu sein, aber ohne seinen Reiter schien der Drache ziemlich ratlos zu sein. Die Zwerge machten sofort von ihrem Vorteil Gebrauch und stoben auf ihren Reittieren hin und her, was den Drachen zunehmend verdross. Die langen Bärte und Pferdeschwänze der Zwerge flatterten im Wind, während sie dem riesigen Untier furchtlos ins Gesicht lachten.

Das bellende Lachen machte den roten Leviathan noch wütender, und er warf sich herum, wobei er seine nutzlosen Attacken mit Feuerstößen unterstrich.

„Sie rauben ihm seine Orientierung“, bemerkte Vereesa, von dieser Taktik beeindruckt. „Sie wissen, dass er jung ist und zu zornig, um eine Strategie zu entwickeln.“

„Das ist für uns der richtige Zeitpunkt, um zu verschwinden“, antwortete Rhonin.

„Sie könnten unsere Hilfe gebrauchen!“

„Ich habe einen Auftrag zu erfüllen“, sagte er mit einem düsteren Blick. „Und sie haben es unter Kontrolle.“

Das stimmte. Obwohl sie noch keinen Schlag gegen das Untier geführt hatten, waren die Greife ihm deutlich überlegen.

Das Trio raste weiter um den Drachen herum, machte ihn schwindelig. Er versuchte, einen von ihnen im Blick zu behalten, doch die beiden anderen lenkten ihn ständig ab. Nur einmal kam sein Feuerstoß einem der geflügelten Gegner bedrohlich nahe.

Einer der Zwerge packte plötzlich seine Waffe und das Ende der Axt blitzte in der Sonne. Noch einmal flog er um den Drachen herum, dann, als er dessen Hals nahe kam, stürzte der Greif plötzlich auf ihn herab. Seine Klauen gruben sich in den Nacken und pflügten die Schuppenhaut auf. Als der Schmerz den Drachen durchfuhr, holte der Zwerg mit seiner Axt aus und ließ sie niedersausen.

Die Klinge drang tief ein. Nicht tief genug, um zu töten, aber mehr als ausreichend, um den Riesenwurm vor Schmerz aufheulen zu lassen.

Er drehte sich aus einem Reflex heraus und streifte dabei den Zwerg und dessen Greif. Beide gerieten ins Trudeln. Der Reiter vermochte sich zwar festzuhalten, aber die Axt entglitt seinem Griff und fiel in die Tiefe.

Instinktiv wollte Vereesa auf die zu Boden gegangene Waffe zulaufen, aber Rhonin versperrte ihr mit seinem Arm den Weg. „Ich sagte, wir müssen weg!“

Sie wollte widersprechen, doch ein weiterer Blick auf die Kämpfenden sagte ihr, dass sie hier nichts ausrichten konnte. Der verwundete Drache war noch höher geflogen, und die Greifenreiter ließen auch jetzt nicht von ihm ab. Die Waldläuferin hätte nur die Axt sinnlos schwenken können …

„Nun gut“, murmelte sie endlich.

Zusammen entfernten sie sich vom Ort des Kampfes und verließen sich nun wieder auf Vereesa, die allein wusste, wo ihr Bestimmungsort lag.

Hinter ihnen schrumpften der Drache und die Greife zu winzigen Punkten am Himmel. Die Auseinandersetzung bewegte sich von der Elfe und ihrem Gefährten weg.

„Seltsam …“, hörte sie den Zauberer wispern.

„Was ist?“

Er fuhr herum. „Diese Ohren tun also doch nicht nur so, als ob sie zu etwas nütze seien, oder?“

Vereesa erzürnte diese Beleidigung, obwohl sie sich schon Schlimmeres hatte anhören müssen. Menschen und Zwerge waren ziemlich neidisch auf die Überlegenheit der Elfensinne und ließen ihren Unmut oft an den langen, spitzen Ohren aus. Sie waren schon mit Esels-, Schweine-, und am übelsten, mit Goblinohren verglichen worden. Obwohl Vereesa noch keine Waffe ob dieser Beleidigungen gezogen hatte, waren viele nach solchen Worten nicht mehr sonderlich froh gewesen.