Wortlos - Franziska Steinhauer - E-Book

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Franziska Steinhauer

3,1

Beschreibung

Cottbus. An der Stadtmauer findet ein Skateboarder die Leiche einer schwarzen Frau, die auf äußerst brutale Weise getötet wurde. Schnell stellt sich heraus, dass es sich bei dem Mordopfer um Claudine Caro handelt, eine aus Haiti stammende Studentin an der Brandenburgischen Technischen Universität. Die Staatsanwaltschaft befürchtet einen fremdenfeindlichen Hintergrund der Tat, eine Vermutung, die auch in der Presse die Runde macht. Doch Hauptkommissar Peter Nachtigall entdeckt mysteriöse Gegenstände im Zimmer der jungen Frau, die in eine ganz andere Richtung weisen: Offensichtlich wollte sich Claudine Caro mithilfe eines Voodoo-Zaubers vor einer tödlichen Gefahr schützen. Beunruhigt folgt er dieser Spur und dringt tief ein in die Vorstellungen des Voodoos - nicht ahnend, dass es schon bald weitere Tote geben soll. Jeder, der die Haitianerin kannte, scheint plötzlich in Lebensgefahr zu schweben …

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Franziska Steinhauer

Wortlos

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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www.gmeiner-verlag.de

© 2009 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

1

Haiti

Es war schon dunkel und nur noch wenige Geräusche drangen in den Innenhof des Humfo. Einige Vögel, die wohl im Schlaf gestört worden waren, protestierten mit lautem Gezeter, doch schon bald kehrte wieder Ruhe auf dem Schlafbaum neben dem Tempel ein.

Der Priester überprüfte akribisch alle Vorbereitungen, die für den morgigen Tag getroffen worden waren. Krüge für die Aufnahme der Seelen, die dem Wasser entrissen werden sollten, standen bereit, das weiße Zelt war bereits aufgebaut, und das große weiße Tuch lag sauber gefaltet im Vorbereitungsraum.

Er seufzte.

Es war ein schwieriges Ritual und eines der wenigen, an dem die Mitglieder der Société nicht unmittelbar teilhaben konnten, gleichwohl war es ein emotional erschütterndes. Sie würden ihn nur als Schatten hinter dem Tuch agieren sehen und seine Stimme vernehmen können, mit der er die umherirrenden Seelen überreden würde, zu ihm zu kommen. Jedes Mal, wenn die Angehörigen einen der Gerufenen antworten hörten, ginge ein Raunen durch die Gemeinde. Die Familien wären glücklich, denn die Antwort des lieben Verstorbenen bewies die Rückkehr seiner Seele aus dem Zwischenreich. Endlich könnte sein bisher herumirrender Geist in einem heiligen Gefäß die ersehnte, sichere Zuflucht finden. Eine sehr anstrengende Zeremonie – aber sie war unbedingt notwendig, wollte man nicht, dass die arme Seele weiter in den Tiefen gefangen bliebe.

Schritte kündeten von der Ankunft eines Fremden.

Der Priester lauschte kurz, dann trat er entschlossen der dunklen Gestalt entgegen. Es handelte sich sicher um niemanden, der eine Zeremonie kaufen wollte. Der Schritt des späten Besuchers war eher militärisch hart, weniger religiös gemessen. Ganz bestimmt kein Bittsteller, kein Mitglied der Gemeinde.

Er erkannte zwei Augen, erahnte einen massigen Körper in der Finsternis neben dem Poteau-mitan, dem Mittelpunkt des heiligen Raumes.

Den zweiten Schlag spürte er schon nicht mehr.

Rasch beugte sich der Unbekannte über den Priester und überzeugte sich davon, dass er ihn bei seinen weiteren Aktivitäten nicht stören würde.

Der Schlüsselbund war schnell gefunden.

Aus einem der angrenzenden Räume entwendete er mehrere Krüge und lud sie in den Kofferraum seines Geländewagens. Schon wenige Momente nach dem Überfall war er verschwunden.

2

Freiburg im Breisgau

Burkhard Grün schlenderte über den Freiburger Münsterplatz.

Zufrieden sah er sich um, genoss die Atmosphäre, eine Mischung aus Leichtigkeit und Broterwerb, die über dem Wochenmarkt lag. Die Bauern und Kunsthandwerker der Umgebung der Schwarzwaldmetropole hatten ihre Stände gut bestückt, alles war bunt, und die Menschen wirkten entspannt. Der Duft gebratener und gegrillter Würstchen, der berühmten langen Roten, hing über dem gesamten Areal.

Er schnupperte.

Noch zu früh, beschied er seinem Magen, der unwillig knurrte. Burkhard Grün lächelte.

Er war viel zu eitel, um gedankenlos irgendwelchen Gelüsten nachzugeben. Gegessen war die Wurst schnell, ohne Zweifel wäre sie ausgesprochen schmackhaft, doch um die sinnlos konsumierten Kalorien wieder zu verbrennen, müsste er stundenlang joggen.

Das war die Sache nicht wert.

Der große, athletisch gebaute Mann arbeitete als Model für namhafte Kunden aus der Modebranche, er würde seinen beruflichen Erfolg nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Schwarze Haut war in.

Wieder zuckte ein sympathisches Lächeln über sein Gesicht.

Alles lief perfekt.

Den Namen hatte er sich ausgesucht, weil er sich über das Spiel mit Farbe amüsierte. Die Legende, die man sich für ihn ausgedacht hatte, gefiel ihm ebenfalls und war leicht zu lernen gewesen: Sein Vater hatte eine Schwarze geheiratet, beide waren Einzelkinder und kamen tragischerweise bei einem Autounfall in Kenia ums Leben. Da beide dieses Land liebten, wurden sie dort beigesetzt. Der Sohn, Burkhard, kehrte nach Deutschland zurück und wurde Model. Bisher hatte diese Geschichte jeder Überprüfung standgehalten.

Mit geschmeidigen Bewegungen schob sich der junge Mann durch den Strom der Einkaufenden, ohne jemanden zu berühren.

Gerade als er die Münsterbauhütte erreicht hatte, zirpte diskret sein Mobiltelefon. Mit einem Ruck ließ er es aufschnappen.

»Ja!«

Die andere Stimme war laut und sprudelte Sätze in einer Sprache hervor, die den meisten Menschen auf dem Markt mit Sicherheit unbekannt war. Burkhard hörte aufmerksam zu, bemüht, die Geschichte zu verstehen, die der andere ihm erzählte.

Seine Stirn legte sich in tiefe Falten.

»Aber ihr werdet doch sicher längst geeignete Maßnahmen ergriffen haben?«, fragte er dann. Die Antwort befriedigte ihn offensichtlich nicht. Sein Mund verzog sich unwillig.

»Gut – aber das kann natürlich nur der erste Schritt gewesen sein. Weitere müssen folgen!«, mahnte er und machte kehrt.

Er würde seine Planung für diesen Samstag ändern müssen.

Burkhard Grün war verärgert.

»Was soll das heißen, ihr habt keinen Kontakt? Wie wäre es mit Telefonieren?«

Zornig machte er nun raumgreifendere Schritte und überquerte den Münsterplatz in der Gegenrichtung. Er hatte keinen Blick mehr für die Stände oder das imposante Münster, dessen frivole Wasserspeier ihn sonst immer faszinierten.

»Ich verstehe noch immer nicht, was ich für euch tun kann. Wenn ihr doch schon …«

Wortreich begann sein Gesprächspartner die Notwendigkeit des Eingreifens seitens der Freiburger Gruppe zu begründen.

Burkhard Grün lief derweil an einem der schmalen Wasserläufe entlang, die man hier liebevoll ›Bächle‹ nannte, und erreichte die Kaiser-Joseph-Straße. Mit zügigen Schritten überquerte er die Haupteinkaufsmeile und schimpfte vehement in sein Handy. Erst als er die amüsierten Blicke der Passanten bemerkte, nahm er sich etwas zurück.

»Und das könnt ihr wahrhaftig nicht selbst lösen? Ich fasse es nicht! Ihr wollt, dass ich die ganze Strecke bis Cottbus fahre, nur um euch diese Kleinigkeit abzunehmen? Ja, sicher ist es immer besser, wenn jemand von weiter weg so einen Auftrag durchführt, das sehe ich ein. Aber so weit weg muss es auch wieder nicht sein! Das sind doch fast 800 Kilometer! Ja, ja, schon gut. Ich kümmere mich um euer Problemchen. Mein Preis ist bekannt? Okay. Dann wäre das ja geklärt. Wann ist der nächste Termin?«

Er grunzte zum Abschied unwillig und schob das Telefon in seine Jacketttasche zurück.

Gut, dann würde er jetzt etwas essen und die Fahrt vorbereiten. Cottbus. Wo lag das eigentlich genau?

Während er mit der Rolltreppe in der ›Schwarzwald City‹ hochfuhr, begann er schon mit der Planung seines Einsatzes.

Er war ein Profi.

Und er würde auch diesen Auftrag wie immer zur Zufriedenheit seiner Kunden erledigen.

Als er später in der Salatstube am Fenster saß und auf den Platz hinter dem Herder-Buchhaus hinuntersah, wohlgefällig die renovierte Fassade der alten Sparkasse betrachtend, war sein Ärger schon wieder verraucht.

Einen Plan hatten seine Auftraggeber auch schon.

Und schließlich hatte man sich an ihn gewandt, um die Lösung des Problems in kompetente Hände zu legen. Und diesmal musste er sie sich nicht einmal selbst schmutzig machen.

Er würde die Auftraggeber nicht enttäuschen.

Grinsend betrachtete er seine sorgfältig manikürten Finger.

Es waren bewährte Hände.

3

Drei Wochen später, Cottbus

Claudine Caro räumte ihre Arbeitskleidung in den Spind.

»Wow! Das ist ja ein tolles Schmuckstück! Darf ich mal sehen?« Heide, ihre blonde, etwas dickliche und zu kurz geratene Arbeitskollegin, streckte ihre Wurstfinger aus. Claudine beugte sich bereitwillig zu Heide hinunter und erlaubte ihr, den Anhänger zu betasten.

»Was ist denn das?«

»Ein Amulett. Es beschützt mich vor den Mächten des Bösen.«

»Und – hilft es?« Heide zwinkerte Claudine fröhlich zu.

»Aber ja. Siehst du doch. Bisher läuft alles rund.«

»Hm«, Heide Fischer verzog das Gesicht, als denke sie angestrengt nach. »Vielleicht solltest du es besser mal mit einem Liebeszauber versuchen und das Ding eine Weile nicht tragen. Könnte doch sein, dass es dich – so ganz nebenbei – erfolgreich vor Männern beschützt.«

»Ach, du meinst, daran liegt das!« Claudine lächelte.

»Na ja, es ist doch eine Schande. Eine so hübsche junge Frau wie du – und noch immer ohne festen Freund« Heide zwinkerte Claudine zu. »Dieser Meinert zählt in meinen Augen nicht! Der ist doch kein Partner für eine Frau wie dich! Dabei kommen hier jeden Tag so viele gut gebaute Männer rein und lassen sich von dir bedienen. Hast du etwa noch nie bemerkt, dass die Schlange vor deiner Kasse doppelt so lang ist wie vor meiner?« Heide kicherte albern.

Claudine steckte ihre Bluse in die Jeans und zog einen warmen Pullover über.

»An der Größe liegt es jedenfalls nicht. Männer mögen lieber kleine Frauen, und in diese Gruppe gehöre ich nun bestimmt nicht.«

»Groß und schlank«, kicherte Heide und sah an sich herunter. »Ich bin klein und rund – aber du hast so ganz nebenbei auch noch eine tolle Hautfarbe.«

»Mit dieser Meinung gehörst du einer Minderheit an. Meine Hautfarbe war schon oft genug Anlass für eine Menge Ärger. Nicht alle Leute mögen Schwarze.«

Claudine fuhr sich im Versuch ordnend zu wirken durch ihr glänzendes, krauses Haar. Es fiel locker zu beiden Seiten bis knapp unter die Ohren. Der Mittelscheitel war in der dichten Pracht kaum zu entdecken. Während der Arbeit im Fast-Food-Restaurant trug sie die Haare streng nach hinten gezurrt, ein Band musste die wilden Locken im Zaum halten. Aber nun hatte sie frei.

»Ich bin immer blass. Und Sommersprossen kriege ich auch. Später werden hässliche Altersflecken kommen. Deine Haut sieht immer ebenmäßig aus. Keine dicken, roten Pickel. Hach, muss halt jeder nehmen, was er bekommen hat.« Heide seufzte vernehmlich. »Hast du heute noch was vor?«

»Oh, ja! Lernen! Nächste Woche ist eine Klausur geplant.«

»Wie langweilig. Was ist mit Party? Es ist Montag – da gehen junge Leute bei uns auch gerne aus.«

»Du meinst die Party im ›Glad House‹? Na ja, ich weiß nicht. Wenn die anderen hingehen, begleite ich sie vielleicht.«

Heide warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.

»Huh! Du liebe Zeit, schon so spät. Ich muss an den Tresen und Menschen satt und glücklich machen.« Sie lachte, drückte die große Freundin fest an sich und war verschwunden.

Claudine nahm ihre grüne Jacke und angelte die bunt gewebte Tasche aus dem Spind, den sie sich mit ihrer Freundin Heide teilte, schloss die Tür und machte sich auf den Weg zum Campus der Universität. Ihr Weg leitete sie durch die Spremberger Straße vom Schinkelturm aus in Richtung Altmarkt.

Die Straßen waren um diese Zeit schon menschenleer.

Es war unheimlich und beruhigend zugleich, nur die eigenen Schritte waren hallend zu hören. Die frische Luft vertrieb ihre zermürbenden Besorgnisse und machte Gedanken an Geborgenheit, eine Kanne duftenden grünen Tee, Kerzen und ein schönes Abendessen Platz. Danach würde sie noch die Mitschriften aus den Vorlesungen der vergangenen Woche sortieren und sorgfältig überarbeiten. Theoretisch konnte die Klausur schon Anfang der Woche anstehen, da wollte sie gewappnet sein.

Claudines Stimmung hob sich.

Am Altmarkt tauchten die warmen Lichter hinter den Fenstern der Restaurants die Straße in eine anheimelnde Atmosphäre. Dort trafen sich jetzt Freunde und starteten gemeinsam entspannt in die neue Woche. Neid nagte an ihrer Seele. Vielleicht im nächsten Monat, tröstete sie sich, wenn bis dahin alles andere erledigt war. Dann würde auch sie am Abend mit Freunden in einer der gemütlichen Kneipen sitzen.

Es begann zu regnen, und der Wind frischte merklich auf.

Sie zog die Jacke fester um ihren Körper.

Claudine bog nach links ab und folgte der Straße in Richtung Stadthallenvorplatz, überlegte es sich dann aber anders, als sie laute Stimmen von dort bis fast zum Altmarkt schallen hörte. Betrunkene, aggressive Stimmen.

Es war nicht nötig, sich leichtfertig in Gefahr zu bringen, beschloss sie, ihre Tatkraft wurde noch gebraucht.

Um den grölenden Jugendlichen auszuweichen, überquerte sie die Straße und nahm den Weg über den Klosterkirchplatz zum Park. Ihre Linke umkrampfte das Schutzamulett, als sie plötzlich rasche Schritte hinter sich hörte.

Der Tod war ihr auf den Fersen.

4

Kriminalhauptkommissar Peter Nachtigall lag im Solebecken der Therme in Burg und versuchte, sich zu entspannen. Missgestimmt betrachtete er das, was sich unterhalb des Brustkorbes als fleischfarbener Berg aus dem Wasser wölbte. Er streckte den Zeigefinger der rechten Hand und stupste dagegen. Kein Zweifel. Das gehörte zu ihm. Er grunzte unzufrieden.

Wieso war es dem Fett nicht möglich, sich gleichmäßiger zu verteilen? Bei einer Körpergröße von fast zwei Metern gab es doch wahrlich genug Platz, unauffällig mit dem Rest zu verschmelzen. Aber wie auf eine geheime Absprache hin, versammelte sich bei ihm alles Fett an der Körpermitte. Gut, räumte er ein und knurrte unwillig, als er einen athletisch gebauten jungen Mann am Becken vorbeistolzieren sah, nicht nur dort. Conny meinte zwar immer aufmunternd, sie liebe jeden Zentimeter an ihm, was hoffentlich auch stimmte, doch sein Hausarzt hatte beim letzten Besuch die Stirn gerunzelt und ihm die Gefahren des ›Metabolischen Syndroms‹ in den schillerndsten Farben ausgemalt.

Nachtigall schob sich aus dem Becken und duschte das Salz ab. Es war einfach nicht fair. Er trieb doch Sport – fast regelmäßig.

Er sah an sich herunter.

Die schwarze Badehose konnte ihre schlank machende Wirkung nicht gänzlich entfalten, stellte er fest.

»Herr Nachtigall?«

Unvermittelt stand einer der Schwimmmeister neben ihm.

»Ja?«

»Stimmt doch, nicht wahr? Der Herr am Telefon meinte: zwei Meter groß, nicht ganz schlank, mit Zopf und schwarzer Badehose. Sie waren leicht zu finden«, der junge Mann musste den Kopf weit in den Nacken legen, um zu Nachtigall aufzusehen. Seine Augen glänzten vor Stolz.

»Gut, Sie haben mich also gefunden. Und nun?«

»Oh – äh, ja. Telefon für Sie.«

In der gläsernen Kanzel neben dem Bewegungsbecken reichte er dem Hauptkommissar ein schnurloses Telefon.

»Nachtigall!«

»Hier Peddersen. Wir haben eine weibliche Leiche im Park. Hinter der Klosterkirche, über den Platz, durch den Durchgang, gleich links. An der Unnatürlichkeit ihres Todes besteht kein Zweifel, meint der Arzt.«

»Na gut. Dann sperren Sie alles ab. Rufen Sie bitte schon das Team zusammen. In etwa 40 Minuten bin ich da.«

»Wir haben schon ein Zelt errichtet – aber durch den Regen wird es schwer werden, überhaupt irgendwelche Spuren zu sichern«, meinte Peddersen illusionslos und legte auf.

Albrecht Skorubski, Michael Wiener und das Team des Erkennungsdienstes würden sicher schnell am Tatort eintreffen, überlegte der Hauptkommissar und nickte dem Schwimmmeister zum Abschied zu. Nachtigall duschte zügig und zog sich rasch an. Während er die Haare trocknete, warf er einen Blick in den Spiegel und fand, in seinen schwarzen Jeans, dem schwarzen Rollkragenpullover und der ebenfalls schwarzen Jacke sah er richtig gut aus.

Kein bisschen zu dick!

Am Fundort herrschte hektische Betriebsamkeit.

Mehrere Streifenwagen standen mit zuckendem Blaulicht auf dem Klosterkirchplatz, einige der Mannschaftswagen mit der Aufschrift ›Kriminalpolizei‹ waren unübersehbar auf der schmalen Zufahrt zur Jugendherberge geparkt, das rot-weiße Absperrband der Polizei knatterte im lebhaften Wind, der den Regen über die freie Fläche peitschte, und einige Teams waren mit der Sicherung eventueller Spuren beschäftigt. Das gesamte Areal wurde von gleißendem Scheinwerferlicht ausgeleuchtet.

Eine Handvoll Beamte versuchte neugierige Passanten zu verscheuchen und andere, die ängstlich nachfragten, was denn geschehen sei, zu beruhigen. Außerhalb der Absperrung konnte man Gestalten erkennen, die eifrig mit Handys oder professioneller Ausrüstung fotografierten.

Peter Nachtigall, noch vom warmen Wasser der Therme erhitzt, zog seinen Schal enger um den Hals und schloss den obersten Knopf seiner Jacke.

Für eine Erkältung war nie der richtige Zeitpunkt.

Albrecht Skorubski ging weit vornüber gebeugt, als versuche er, unter dem beißenden Wind und den harten Tropfen hindurchzutauchen.

Nachtigalls Augen suchten nach Michael Wiener. Er entdeckte den jungen Kollegen etwas abseits, offensichtlich im Gespräch mit einem Zeugen. Dabei hielt er sich die Haare aus dem Gesicht, die der Wind beharrlich über seine Augen blies.

»Da ist Michael. Komm!«

Er wies Albrecht Skorubski den Weg. Durch den Regen hatten sich der Pfad wie die angrenzende Rasenfläche in einen schlüpfrigen Grund verwandelt und forderte ihnen eine gewisse Geschicklichkeit ab. Nachtigall runzelte die Stirn. Viele verwertbare Spuren würde es hier wohl nicht zu sichern geben, Peddersen hatte die Situation richtig eingeschätzt.

»Da seid ihr ja!« Michael Wiener unterbrach sein Gespräch sofort und stellte vor: »Das ist Jakob Stegmann. Er hat das Opfer gefunden.«

»Wo ist sie?«, fragte Nachtigall und nickte dem Zeugen kurz zu. »Herr Stegmann, bitte erzählen Sie dem Kollegen Wiener jede Kleinigkeit. In dieser Phase ist wirklich alles von Bedeutung, was Sie uns sagen können.«

»Das Opfer liegt dort drüben«, Michael Wiener wies auf die Reste der Stadtmauer. »Unter einem Busch, ganz nah an der Mauer. Dr. Manz ist noch dort.«

»Ausgerechnet«, schimpfte Peter Nachtigall mürrisch. Er war schon einmal mit diesem Arzt aneinandergeraten, der sein Empathievermögen als Schwäche auslegte. Nun gut, das war nicht zu ändern.

»Wissen wir schon irgendetwas über die Tote? Name, Adresse?«

»Nein. Ihre Tasche ist verschwunden, falls sie eine bei sich trug«, gab Michael Wiener achselzuckend zurück. »Keine Papiere, keine Schlüssel in der Hosentasche, kein Handy in der Jacke.«

Nachtigall wandte sich um und wäre um ein Haar mit Staatsanwalt Dr. März zusammengestoßen.

»Oh – das war knapp. Sie auch schon hier?«

»Wie Sie sehen. Bei Fällen mit Verdacht auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund ist stets Eile geboten.«

»Wieso fremdenfeindlicher Hintergrund?«, fragte Nachtigall verblüfft.

Sie hatten Dr. Manz erreicht, der noch immer neben dem Opfer kniete.

Über den Fundort war eine Plane gespannt, die weiteren Regen abhalten sollte, der Wind griff gierig hinein und spielte mit dem knisternden Plastik. Das grelle Kunstlicht fiel auf eine Szene, die so sonderbar irreal erschien wie ein Filmset.

Selbst der sonst eher forsche, junge Arzt war außergewöhnlich ernst.

»Weil das Opfer afrikanischer Abstammung ist«, beantwortete Nachtigall sich seine letzte Frage selbst und atmete tief durch.

Die große Frau lag auf dem Bauch.

Ihre schwarzen Haare waren blutdurchtränkt, und auch unter ihrem Körper hatte sich eine große Lache gebildet, die am Rand des überdachten Bereichs mit dem regennassen Untergrund verschmolz. Die hellen Handflächen wiesen nach oben, Jacke und Pullover waren verrutscht, die Jeans bis unter das Gesäß heruntergezogen, Schuh und Strumpf des linken Fußes fehlten.

»Sie wurde vergewaltigt?«, wollte Skorubski wissen.

Der Arzt sah ihn einen Moment verständnislos an, sein Blick wanderte zum Körper des Opfers zurück, und er schüttelte den Kopf. »Oh – ich verstehe. Sie meinen wegen der Jeans. Nein, das war ich. Ich musste doch ihre Körpertemperatur messen. Ob eine Vergewaltigung vorliegt, wird der Gerichtsmediziner feststellen.«

»Wie lange liegt sie schon hier?«, fragte Nachtigall mit belegter Stimme.

»Sie ist noch nicht kalt, wenn Sie das meinen. Die Feuchtigkeit und den Wind berücksichtigt – vor zwei, drei Stunden hat sie noch gelebt, denke ich. Mehr kann ich nicht zum Todeszeitpunkt sagen.«

Seine behandschuhten Hände betasteten den Hinterkopf der Toten, suchend, forschend, dann stockend. Er warf Nachtigall einen seltsamen Blick zu, als wolle er abschätzen, wie viel er ihm zumuten konnte, dann meinte er: »Todesursache ist allerdings ziemlich eindeutig. Ein heftiger Schlag. Scharfe Gewalt würde ich mal vermuten. Der Täter hat ihr den Schädel gespalten.«

Mit beiden Händen drückte er die Schädelhälften leicht auseinander. Grau-beige Hirnmasse mit Blut vermengt quoll ihm entgegen.

Dr. März stöhnte und kehrte mit ataktischen Schritten zu Michael Wiener und dem Zeugen zurück.

Peter Nachtigall hob seinen Blick, fixierte einen Punkt an der Mauer und zählte langsam bis zehn. Dann atmete er tief durch.

»Schlimm, nicht wahr?« Der Notarzt warf dem Hauptkommissar einen prüfenden Blick zu.

»Womit kann man einen Kopf derart spalten? Mit einer Axt?«, erkundigte sich Nachtigall, ohne auf die Frage einzugehen und ohne seine Augen von den Reflexionen der Scheinwerfer auf dem Backstein zu lösen.

»Ehrlich gesagt, bin ich da nicht kompetent. Der Rechtsmediziner wird eher eine Antwort auf diese Frage wissen. Ich persönlich glaube, es war eine lange Klinge, viel länger als bei einer Axt«, er räusperte sich. »Vor ein paar Jahren habe ich als Notarzt bei einem dieser Kampfspektakel gearbeitet, bei dem eine Kriegsszene nachgestellt wurde. Dabei habe ich Verletzungen behandelt, die dieser hier ähnlich waren. Natürlich wurde niemand erschlagen, die Waffen waren selbstverständlich stumpf, aber es gab unbeabsichtigte Hiebe auf Unterarme oder gegen Beine. Sie wurden durch Schwerthiebe verursacht. Vielleicht wurde hier eine vergleichbare Waffe verwendet.«

»Ein Schwert ist in unseren Breitengraden eine ziemlich ungewöhnliche Waffe. Vielleicht war es doch eine Axt«, insistierte Albrecht Skorubski.

»Erst ein Schlag gegen die Beine – sehen Sie hier, es hat mächtig geblutet. Dann nur ein Schlag gegen den Kopf. Gezielt und entschlossen, Fundort ist auch Tatort. Ich denke, sie wurde dort auf dem Pfad getötet und dann hier an die Mauer geschleift. Aber wirklich schockierend ist der Anblick ihres Gesichts.«

Damit drehte er das Opfer auf den Rücken.

Mit einem heiseren Aufschrei fuhr Peter Nachtigall zurück, wünschte sich, er könne auf dem Absatz kehrtmachen und im Dunkel außerhalb der Scheinwerfer verschwinden. Selbst Dr. Manz’ Hände zitterten, und seine dunklen Locken bebten.

Diesmal hielt er sich mit bissigen Kommentaren über Nachtigalls emotionale Reaktion zurück.

In der Mitte der Stirn klaffte ein tiefes Loch, die Tote starrte die Betrachter aus leeren Augenhöhlen an, die Nase und Ohren waren abgetrennt, der Mund leicht geöffnet. Und die Zunge fehlte!

»Teufel auch!«, zischte Nachtigall.

5

Im Büro herrschte Schweigen.

An der Pinnwand hingen die Fotos vom Fundort des Opfers, schlaglichtartig beleuchtetes Grauen.

»Meinst du, sie war tot, bevor er …«, Skorubskis Satz blieb unvollendet.

Nachtigall räusperte sich, ehe er antwortete: »Dr. Manz wollte sich nicht endgültig festlegen. Nach der Obduktion wissen wir mehr. Der Schlag wurde von hinten geführt – war wahrscheinlich unmittelbar tödlich. Ich glaube, die Verstümmelungen wurden erst danach vorgenommen.«

Er drehte sich zu seinen Kollegen um.

»Michael, haben wir eine vermisste Person, deren Beschreibung auf das Opfer passt?«

»Nein, aber im Grunde ist es noch zu früh. Wenn sie heute Abend nicht nach Hause gekommen ist, möglicherweise allein wohnt, dann ist ihr Verschwinden noch gar nicht aufgefallen.«

»Und falls sie illegal hier war, wird sie wohl auch niemand vermisst melden«, stellte Skorubski lakonisch fest.

»Wir werden die Presse einschalten. Du hast doch einen Freund, der aus entstellten Gesichtern passable Vermisstenfotos erstellen kann, nicht wahr?«

»Ja, habe ich.« Michael Wiener machte sich eifrig eine Notiz. »Ich rufe ihn nachher gleich an. Aber diesmal ist es nicht halb so schwierig wie beim letzten Auftrag.«

»Er hat ihr die Augen ausgestochen, die Nase, die Ohren und die Zunge amputiert«, murmelte Nachtigall nachdenklich. »Für mich sieht das so aus, als sollte sie bestraft werden. Wegen zu großer Neugier zum Beispiel.«

»Das ist aber ziemlich weit hergeholt. Bestimmt wollte der Täter uns nur die Identifizierung so schwer wie möglich machen«, widersprach Albrecht Skorubski.

»Aber die Zunge? Wie passt …«

Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet und Emile Couvier, Fachmann für operative Fallanalysen beim LKA Brandenburg, schob seinen Kopf hinein. »Darf ich?«

»Emile!«

Nach der allgemeinen freudigen Begrüßung blieb der Profiler vor der Pinnwand stehen und betrachtete die Fotos lange schweigend, bevor er sich zu den anderen an den Tisch setzte.

Albrecht Skorubskis Augen wanderten von Nachtigall zu Couvier und wieder zurück. Seltsam, dachte er, jetzt haben sie schon so oft miteinander gearbeitet, sind über Jule auch privat verbunden und begegnen sich immer noch wie Fremde. Er schüttelte unmerklich den Kopf.

»Diesmal wurde ich euch direkt geschickt. Offensichtlich möchte man den Fall so schnell wie möglich aufgeklärt wissen. Und damit man sich nachher nicht nachsagen lassen muss, es seien nicht alle Ressourcen genutzt worden, steht euch jetzt ein Mann mehr zur Verfügung. Na ja, eigentlich ein halber. Ich arbeite gerade an einem Entführungsfall mit, werde aber hier sein, wann immer es sich einrichten lässt.« Couvier sah in die Runde.

»Prima, dass du uns verstärkst – wir arbeiten immer gerne mit dir zusammen.« Michael Wiener war ehrlich erfreut.

»Habt ihr denn schon irgendwelche Erkenntnisse? Ich war schon hinter der Klosterkirche und habe mir das Gelände dort angesehen. Viele Tatspuren wird es wohl nicht zu finden geben. Der Regen hat ganze Arbeit geleistet«, erzählte Couvier.

»Ja – ich fürchte auch, dass es keine Fußabdrücke oder Faserspuren zu entdecken gibt«, bestätigte Nachtigall. »Aber wir wissen nach der Obduktion sicher mehr über den möglichen Tathergang. Der Arzt meinte, die Verletzung könne von einem Schwert stammen. Damit wäre die Waffe immerhin ungewöhnlich. Der Zeuge, Jakob Stegmann, hat weder auf dem Weg über den Klosterkirchplatz noch beim Finden der Leiche jemanden bemerkt. Niemand ist geflohen – im Gegenteil. Er betonte immer wieder, wie schrecklich die Situation war, allein mit einer Toten.«

»Er hat also nichts gesehen. Schade!«, murrte Skorubski unwillig.

»Hm. Der Täter hat sein Opfer nur oberflächlich versteckt. Die Leiche wurde nicht entkleidet. Die Tasche fehlt. Sie wurde verstümmelt. Hm.« Emile Couvier knetete sein Kinn. »Habt ihr denn die amputierten Körperteile gefunden?«

»Nein, bisher noch nicht.«

Schweigen breitete sich am Tisch aus.

Sollten sie es tatsächlich mit einem Trophäensammler zu tun haben?

»Nun, vielleicht werden sie ja noch irgendwo im Gebüsch entdeckt. Es muss sich nicht um einen Täter handeln, der sich den Nervenkitzel der Tat damit immer neu vergegenwärtigen will«, meinte Nachtigall.

»Es könnt ja auch sein, dass es ein Auftragsmord war. Dann braucht er die Auge’ vielleicht als Beweis dafür, dass die Order ausg’führt wurde«, steuerte Michael Wiener eifrig bei und erntete einen gereizten Blick Nachtigalls.

»Michael, vielleicht solltest du doch mal was anderes lesen! Baldacci bekommt dir nicht, hier sind keine Fantasien zu Geheimdienstverschwörungen gefragt. Du ermittelst in Cottbus, nicht in den USA!«

»Es könnte sich auch um eine Mutprobe im ausländerfeindlichen Milieu handeln«, gab Couvier zu bedenken.

»Wie kommst du auf so etwas? Gab’s das schon mal irgendwo?«, fragte Nachtigall entsetzt.

»Nein, nicht dass ich wüsste. Aber wäre es nicht denkbar?«

»Gut, ich behalte es im Gedächtnis – auch wenn ich mir nicht vorstellen möchte, dass bei uns Menschen sterben müssen, weil andere einen Mord als Mutprobe fordern.«

»Es wird manchmal aus banaleren Gründen getötet«, erinnerte ihn Couvier, und Nachtigall nickte. Er wusste nur zu gut, wie recht der Profiler hatte.

»Ich dacht’ immer, solch fremdenfeindliche Übergriffe finde’ spontan statt. Es ergibt sich zufällig eine Gelegenheit, und die wird brutal ausg’nutzt«, meldete sich Wiener zu Wort.

»Wir haben doch bestimmt Informanten aus diesem Milieu? Wir werden die Kollegen ansprechen, und die sollen versuchen herauszufinden, ob jemand mit dem Mord prahlt, ob er ›in Auftrag‹ gegeben wurde, ob überhaupt darüber gesprochen wird – und natürlich, was diskutiert wird. Michael, kümmerst du dich darum?«

Wiener nickte und machte sich Notizen.

»Was bleibt noch?«, führte Skorubski sie wieder zum Fall zurück.

»Raubmord? Eine Tasche haben wir schließlich nicht bei ihr gefunden. Da sie aber weder Schlüssel noch Brieftasche in der Jacke hatte, muss sie wohl eine bei sich gehabt haben. Meiner Erfahrung nach stecken Frauen solche Dinge nicht gerne in die Anoraktaschen, weil es so aufträgt. Vielleicht war es auch ein Rucksack. Allerdings sind bei Raubmord als Motiv Amputationen nicht nachvollziehbar. Sexualstraftat? Können wir auch nicht ausschließen – es gibt Täter, die ihre Opfer nach der Tat wieder ankleiden. Rache? Wut? Hass? Dazu würde gut passen, dass der Mörder sein Opfer selbst über den Tod hinaus misshandelte«, zählte Nachtigall auf.

»Aber warum hat er dann die Tasche mitgenommen? Um uns die Arbeit zu erschweren?«, fragte Wiener.

»Also – sortieren wir, was wir schon haben.« Nachtigall stand auf und steckte ein großes Blatt Papier mit Nadeln neben den Fotos fest.

»Motive?«

»Hautfarbe. Dr. März glaubt an einen politisch-rassistischen Hintergrund«, warf Couvier in die Runde.

»Dazu gehört dann auch die Theorie über die Mutprobe!«, rief Wiener.

»Geldgier, vielleicht Beschaffungskriminalität?«

»Vergeltung, Bestrafung.«

»Neid. Sie war vielleicht hübsch?« Albrecht Skorubski runzelte die Stirn. »Jemand hat seine Frau mit ihr betrogen. Und ein anderer wollte dieses Verhältnis beenden, weil er sie selbst nicht besitzen konnte – oder sie musste aus Rache sterben, weil zum Beispiel eine eifersüchtige Ehefrau dahinterkam.«

»Der Täter ließ das Opfer so zurück, dass es auf jeden Fall schnell gefunden werden musste«, murmelte Couvier nachdenklich. »Vielleicht wollte er ein Zeichen setzen?«

»Angenommen, Albrecht kommt der Wahrheit sehr nahe, dann könnte der Mörder mit den Verstümmelungen wirklich ein Zeichen gesetzt haben, das bedeutet: So ergeht es Frauen, die sich in Beziehungen drängen.« Nachtigall schrieb hastig mit und hoffte, er würde später noch entziffern können, was dort stand.

»Aber wenn der Auslöser für den Mord die Hautfarbe war, passen die Indizien ebenfalls recht gut zusammen. Fremde schnüffeln hier rum, spionieren uns aus, sprechen nicht einmal unsere Sprache …«, gab Couvier zu bedenken.

»Nase, Augen, Ohren, Mund.«

»Und was ist mit dem Loch in der Stirn? Und ein Schwert als Tatwaffe in der Hand eines gewaltbereiten Rechten?« Nachtigall schüttelte den Kopf. »Nein, das erscheint mir konstruiert.«

»Ein Schwert könnt’ jemandem aufg’falle sein. Es ist immerhin eine ziemlich lange Waffe. Wir müsse’ abwarte’, ob die Befragunge’ durch die Kollege’ Hinweise erbringe’. Denkbar wäre doch, dass Gäste der Jugendherberge jemanden bemerkt haben, der solch eine Waffe bei sich trug«, meinte Michael Wiener hoffnungsvoll.

»Auf jeden Fall müssen wir wohl davon ausgehen, dass die Tat vorbereitet und geplant war. Ein Schwert trägt man schließlich nicht einfach mit sich herum. Der Täter hat der jungen Frau aufgelauert«, meinte Couvier nachdenklich.

»Aber das muss nicht in letzter Konsequenz auch bedeuten, dass er genau auf diese Frau gewartet hat. Möglicherweise lauerte er in einem Versteck auf irgendein passendes Opfer. Damit nähern wir uns wieder der Mutprobe«, führte Michael Wiener den Gedanken weiter aus.

»Er lässt das Opfer so liegen, dass es schnell gefunden wird. Damit hat er sicher etwas bezweckt. Zum Beispiel, dass der Mord schnell in die Zeitung kommt«, kehrte Emile wieder zu diesem wichtigen Umstand zurück.

Bevor sich die Diskussion vom ursprünglichen Thema zu weit entfernen konnte, brachte Nachtigall sein Team wieder auf die Frage nach dem Motiv zurück.

»Eine Bestrafung für Neugier müssen wir auch mit in unsere Überlegungen einbeziehen. Daran haben wir vorhin schon einmal gedacht. Sie steckt ihre Nase in Angelegenheiten, die sie nichts angehen, sieht Dinge, die sie nicht zu interessieren haben, und spricht schlecht über andere.«

»Ohne Informationen zu ihrem privaten Hintergrund können wir all das nicht klären«, stellte Skorubski unzufrieden fest.

Nachtigall seufzte.

»Wir werden morgen die ersten Berichte bekommen. Die Obduktion kann uns weiterhelfen, und eventuell finden wir Zeugen, die den Täter beobachtet haben. Schluss für heute. Wir treten auf der Stelle!«

Es klopfte, und Dr. März schob seine massige Gestalt in Nachtigalls Büro. Er nickte allen knapp zu, griff wortlos nach einem Stuhl und setzte sich so, dass er die Pinnwand mit den Tatortfotos im Rücken hatte.

»Wir wissen nicht, wer sie ist?«, fragte er.

»Nein. Bisher existiert keine passende Vermisstenmeldung, niemand, der nach ihr gefragt hätte. Der Mord ist vor wenigen Stunden passiert – wahrscheinlich fällt es erst morgen im Laufe des Tages jemandem auf, dass sie verschwunden ist.«

»Hm«, grunzte der Staatsanwalt nach einem schnellen Blick auf seine Uhr zustimmend. »Ich habe übrigens Dr. Pankratz gebeten, die Obduktion durchzuführen. Ich weiß, dass Sie gerne und gut mit ihm zusammenarbeiten, und gerade in einem so gelagerten Fall erscheint mir eine reibungslose Kommunikation besonders wichtig.«

»Ja, wir haben ja auch schon eine Reihe von Fällen gemeinsam gelöst. Auf ihn ist Verlass. Aber – was heißt, in einem so gelagerten Fall? Wie ist er denn gelagert?«, hinterfragte Peter Nachtigall die Formulierung des Staatsanwalts.

Dr. März wand sich unbehaglich auf seinem Stuhl.

»Nun gut – gibt es Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund?«

»Ist es denn nicht fremdenfeindlich genug, dass jemand sie getötet hat?«, empörte sich Michael Wiener.

»Mord ist menschenfeindlich – fremdenfeindlich wird er durch das Motiv!«, stellte Nachtigall klar. »Und das kennen wir noch nicht.«

»Demnach halten Sie es aber durchaus für möglich, dass diese junge Frau ihrer Abstammung wegen sterben musste?«, versuchte Dr. März seinen ermittelnden Hauptkommissar zu einer Festlegung zu nötigen.

»Nein, ich kann zu diesem Zeitpunkt nur nichts ausschließen. Wir haben noch keine Tatzeugen, die Lebensumstände des Opfers sind uns nicht bekannt – ja, wir wissen noch nicht einmal, um wen es sich handelt«, konterte Nachtigall.

»Gut. Dann finden Sie es raus.« Damit erhob sich Dr. März, fügte »Und Sie sollten sich damit beeilen!« hinzu und zog geräuschvoll die Tür hinter sich ins Schloss.

6

Haiti

Der Bokor lebte abseits der Siedlung im Wald. Sein kleines Haus war schwer zu entdecken, nur Eingeweihte fanden überhaupt den Weg zu ihm. Damit war auch sichergestellt, dass ihr Anliegen ihnen wichtig genug war, den richtigen Pfad zu suchen.

Der große, hagere Mann, dessen Zauberkünste weit über sein Dorf hinaus bekannt waren, warf einen Blick aus dem Fenster. Warme Luft streifte sein markantes Gesicht, dem die stoppelkurzen, weißen Haare zusätzliche Schärfe verliehen. Im Hof liefen einige Hühner gackernd umher, ein Nashornleguan sonnte sich auf der Mauer, und aus dem nahen Wald drangen die lauten Rufe der Affen bis zu ihm herüber. Sein Blick schweifte über das Stück Grasland bis zum Waldrand.

Niemand war zu sehen.

Einsamkeit gehörte zum Leben eines Bokors, sie war geradezu Bedingung für das, was er zu tun pflegte. Im Stall meckerte eine Ziege. Der Lohn für seine Arbeit. Es war durchaus üblich, seine Dienste in Naturalien zu bezahlen. Der Preis richtete sich nach dem Verbündeten, den der Bokor für die Erfüllung des Auftrags benötigte.

In diesem speziellen Fall hatte natürlich eine läppische Ziege allein als Entlohnung nicht gereicht.

Mit einem zufriedenen Lächeln in seinem faltigen Gesicht, fuhr die linke Hand in die Tasche seiner schwarzen Hose. Beruhigt ertasteten seine Finger die dicke, fest gewickelte Rolle Dollarscheine.

Oh ja! Diesen Auftrag musste man schon angemessen bezahlen!

Er drehte sich um und trat langsam an den rohen Holztisch. Aus einer Pappkiste fischte er ein Stück roten Karton und zeichnete mit dem Bleistift einen groben Umriss darauf. Dann schnitt er die plumpe menschliche Silhouette vorsichtig aus. Aus dem ersten der beiden kleinen Stoffbeutel, die sein Auftraggeber mitgebracht hatte, nahm er mit spitzen Fingern einige Haare, aus dem zweiten ein paar abgeschnittene Fingernägel. Mit geübten Handgriffen klebte er die Haare am Kopf der Pappfigur fest, die Nagelreste an den Enden der Arme. An die Stelle, an der man das Herz vermuten würde, heftete er ein winziges Foto. Es zeigte ein hübsches Mädchen mit fröhlichem Gesichtsausdruck und schalkhaft funkelnden Augen.

Doch das Aussehen der Person interessierte den alten Mann nicht.

Während seiner Tätigkeiten murmelte der Zauberer unablässig Beschwörungen vor sich hin, blies die aromatischen Schwaden der brennenden Räucherstäbchen über die Figur.

Am Ende stach er dem Pappmädchen zwei lange, in einem speziellen Ritual gefertigte Nadeln durch Kopf und Herz. Dann verbrannte er es in einer Metallschale.

Emotionslos sah er zu, bis nur noch ein Häufchen Asche übrig war.

Der Bokor rieb zufrieden die Handflächen gegeneinander, was ein eigenartig raues Geräusch verursachte, und beschloss, die schwarze Ziege sofort zu opfern.

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