Wortspiele - Thomas Göpfert - E-Book

Wortspiele E-Book

Thomas Göpfert

0,0

Beschreibung

Worte lesen, Worte hören, Worte verstehen, nicht immer ist es das, was wir lesen, hören oder verstehen wollen. Mal bewusst, mal unbewusst und manchmal spielt uns unser Geist auch etwas vor. Mal wollen wir schlauer wirken als wir es sind und oft schämen wir uns nachzufragen. Wie oft haben Worte in unserer Sprache eine oder mehrere Bedeutungen? Dies führt zwangsweise zu Missverständnissen. Das Spiel mit den Worten, in Gedichten und Geschichten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 172

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Widmung

Zuerst gab es „mein Wort“: die kleinen Gedichte zu bestimmten Anlässen für die Familie, später auch für Kolleginnen und Kollegen, sowie Texte für die betrieblichen Weihnachtsfeiern und die Betriebszeitung.

Mein „Talent“ habe ich wahrscheinlich von meiner Mutter geerbt. Wenn dem so ist, danke dafür.

Nach den ersten Versuchen und der Anerkennung der „Leserschaft“ habe ich mich getraut, weiter zu machen. Und neben den Gedichten entstanden die ersten Geschichten. Aus diesem Sammelsurium ist nun endlich dieses Buch entstanden.

Schon lange unterstützen mich liebe Menschen an meiner Seite und drängen darauf, dies alles zu veröffentlichen. Hier gilt mein besonderer Dank meiner lieben Iwona.

Aber auch unsere beste Freundin Belgüzar hat mich stets ermutigt.

Doch erst der für mich so wichtige Kontakt zu Cornelia Ender-Graß brachte alles zum Laufen. Sie gab die Initialzündung, „verpflichtete“ mich dann zu einer Lesung im kleinen Kreis. Das hier erhaltene Feedback spornte mich weiter an.

Durch ihre Hilfe lernte ich Dr. Gudrun Thielking-Wagner kennen. Sie war es, die mir „Hausaufgaben“ aufgab. Erst die intensiven Auseinandersetzungen mit den Themen Buchdruck, Struktur und Inhalt haben dieses Buch entstehen lassen und mir Klarheit verschafft, dass meine Gedichte und Geschichten einer bestimmten Struktur folgen und ich sie zu mehreren Themen zusammenfassen kann. Sie hat den Prozess der Buchentstehung freundschaftlich begleitet, wertvolle Tipps gegeben und das Geschriebene lektoriert. Vielen lieben Dank!

Ich veröffentliche dieses Buch und vielleicht auch weitere, um sie meinen Liebsten, engsten Freunden und Bekannten zu schenken.

Damit etwas von mir übrig bleibt.

Danke auch an die Unterstützer, die ich nicht erwähnt habe.

Viel Spaß beim Lesen!

Inhalt

Mitgift und andere Doppeldeutigkeiten

Staubgefäße

Ich war mal in Vulgarien

Da sitz´ ich nun und schau´ auf euch hernieder

Früh Ling

Fremdwörter und Freundschaften

Homopathie

Kuckucks-Clan

Ziepresse

Legostheniker

Biathleten

Ehe

Erstes Fly-Inn - Eröffnung in Schönefeld

Woll-Lust

Platzangst

Endlich Wider Sinn

Wortspiele

Kannibalen

Trilogie des Falschverstehens

Wir ernten, was wir säen

Der Teufel steckt meist im Detail

Entweder, oder

Alles über den Wal

Sag´ mir, was du hörst und ich sage dir, wie man es nicht schreibt

German Touries in holiday

Kulturterror oder die Macht der Musik

Modern Times

Die Geschichte einer Nichtstuer-Karriere

Meine Kindheit

Meine Schulzeit

Meine Lehrzeit

Mein Arbeitsleben

Mein Familienleben

Die Lose des Lebens

Abgeklärt und aufgeklärt

Erzähl´ mir einen vom Pferd

Würstchen

Das Leben

Generation Scheißname

... denn es war schon immer so!

Last Minute Christmas Shopping

Erlebnisse eines Hotelportiers

Walli und der Slip

Hartes B

Völkerverständigung

Nomen est omen

Schwedisches Porzellan

Witzige „W“(e)schichten

Selfie mit meinem Star

Mortadella

Heiligabend im JobCenter

Ode an die Weihnachtstanne

Mitgift und andere Doppeldeutigkeiten

Planst du ´ne Ehe, nur nicht schämen,

´ne Frau musst du mit Mitgift nehmen.

Die Wurst mit Gift wird man dir geben,

will man beenden dir dein Leben.

Es überspannt den Fluss die Brücke

und schließt somit des Weges Lücke.

Sie dient im Alter deinem Schatz

letztendlich nur als Zahnersatz.

Man wird dir ein Gericht darreichen,

damit soll dann der Hunger weichen.

Doch stehst du dann vor dem Gericht,

der Richter hart sein Urteil spricht.

Du hast ein Laster, das klingt hart,

doch ist´s ´ne schlechte Eigenart.

Doch kannst du einen Laster fahren,

bewegst du Leute und auch Waren.

Jetzt fällt herunter dir dein Kinn,

die Wörter haben Doppelsinn.

Kennst du noch solche Doppelseiter,

schick sie zu mir: ich reim dann weiter.

Staubgefäße

Schule ist nicht so mein Ding. Ich gehe in die neunte Klasse, kann aber mit dem ganzen Zeug nicht so richtig was anfangen. Meine Leistungen sind unterdurchschnittlich und die meiste Zeit des Unterrichts verpasse ich. Nein, nicht, weil ich nicht da bin, ich sitze schon in der Klasse, aber ich höre nicht zu. Mein Gesicht vermittelt einem Außenstehenden, dass ich aktiv zuhöre. In Wirklichkeit jedoch träume ich oder beschäftige mich mental mit anderen Sachen. Häufig suche ich die großen Zusammenhänge, wenn ich ein Wort aufschnappe und assoziiere sie mit meinen eigenen Gedanken. Es fällt keinem auf. Oft weiß ich nicht, in welcher Unterrichtsstunde ich mich gerade befinde.

So ging es mir neulich auch. Wir hatten eigentlich Biologieunterricht, ich war aber wieder in meiner Welt und ahnte nicht, was gerade passierte. Erst der dumpfe Schlag auf die Tischplatte machte mich wieder unterrichtsbereit. Herr Feistkorn stand neben mir, schaute mich böse an und legte mir einen Zettel hin. „Los, fang an und hör auf zu träumen.“ Dann verschwand er wieder und ging durch die Reihen. Ich schaute ihm nach und sah, dass die anderen schon emsig schrieben. Was machten die denn da? Da ich ja wieder den Anfang verpasst hatte, fehlte mir nun dieser Teil. Was für eine Stunde haben wir denn jetzt? Ich versuchte mich zu konzentrieren, konnte aber keine Antwort finden. Egal, der Zettel wird mir schon verraten, was ich machen soll.

Ich nahm den Zettel und las: „Die Rolle der Staubgefäße für Umwelt und Natur“.

Aha, um Staubgefäße ging es, alles klar. Ich sollte also einen Aufsatz über Staubgefäße schreiben. Dann kann es nur die Deutschstunde sein. Ich lehnte mich zurück und versuchte im Kopf, das Thema zu sortieren. Also Staubgefäße! Staubgefäße?

Was soll das sein?

Die Fähigkeit zu assoziieren sollte mir nun helfen.

Staubgefäße – zusammengesetztes Substantiv aus Staub und Gefäß. Alles klar. Den Begriff hatte ich so noch nie gehört, zu Hause sagten wir immer Staubsauger dazu.

Gut, vielleicht benutzen wir nur das Wort Staubsauger im Slang, richtig deutsch und technisch einwandfrei hieße der Staubsauger bestimmt aber Staubgefäß. Schließlich sammelte er den gesamten Staub der Wohnung und des Balkons, der Fußmatten des Autos und Mücken und Spinnen an der Decke ja ein. Und das alles in einem Gefäß – dem Staubsaugerbeutel. Nur so konnte es sein.

Ja und der Zusammenhang zwischen Umwelt und Natur wurde mir nun auch klar: Saubere Umwelt wurde geschaffen, indem der Dreck der Wohnung eingesaugt wurde, in diesen Beuteln verschwand und die vollen Beutel im Hausmüll entsorgt wurden. Der Weg des Mülls von der Mülltonne über das Müllauto bis zur Deponie oder Verbrennungsanlage ließ sich auch gut beschreiben. Klar war ich mir hingegen nicht über die Möglichkeiten des Wiederverwendens, also die ökologische Variante des Entsorgungsprozesses. Aber da hatte ich ja beim Schreiben noch Gelegenheit, darüber nachzudenken.

Ich nahm meinen Stift und wollte das weiße Blatt Papier vor mir mit dieser Erkenntnis beschreiben. Die anderen Schüler hatten schon mehr als zwei Seiten geschrieben. Das schaffe ich schon, motivierte ich mich. Ich schreibe das ganz konkret, ohne viele Schnörkel, geradeaus und auf den Punkt gebracht.

„Staubgefäße“ war meine Überschrift. Sie schaute mich an. Jetzt konnte es losgehen.

Staubgefäße – halt, da gab es doch noch eine andere Variante. Ich wurde unsicher.

Na klar, Staubgefäße, warum war ich nicht gleich darauf gekommen? Staubgefäße, na klar.

Jetzt fiel es mir wieder ein. Neulich, so etwa vor drei Wochen, waren wir zur Beerdigung. Onkel Klaus, ein entfernter Verwandter, war viel zu früh von dieser Erde gegangen, sein Lebenswandel war ihm zum Verhängnis geworden.

Onkel Klaus´ Liebe zum Alkohol hatte dazu geführt, dass er zur Familie nur noch wenig Kontakt hatte. Besser: die Familie zu ihm. Da er sein ganzes Vermögen in die Sammlung von nachher leeren Flaschen steckte, musste die Familie für das Begräbnis aufkommen.

Aus Gründen des Umweltschutzes wurde er eingeäschert. Außerdem brannte das mit Alkohol getränkte Fleisch besonders gut und gab dem Prozess die nötige Hitze. Eine Handvoll Asche, also Staub, blieb lediglich übrig. Diese Asche gab man dann in ein Gefäß, der sogenannten Urne.

Ich denke, dass der Begriff Urne aus dem Germanischen kommt und einfach nur Staubgefäß bedeutet.

Wollte uns der Lehrer auf eine falsche Fährte bringen? Ich triumphierte schon, glaubte ich nämlich, dass die anderen Schüler über Staubsauger schreiben und ich, vielleicht als Einziger, die richtige Bedeutung des Wortes erkannt haben würden.

Gut, ich legte los. Nur noch schnell den Zusammenhang zwischen Umwelt und Natur herstellen und dann noch aufschreiben.

Für die Umwelt ist es schon eine saubere Sache, wenn leblose Körper auf diese Art und Weise zum Gedenken konserviert werden. Asche bleibt Asche in einem geschlossenen Gefäß. Ein mit Alkohol getränkter Körper in einem Sarg und dann im Grab hingegen ist für die Umwelt sicher nicht so angenehm. Ich dachte dabei an das Trinkwasser.

Und hier fiel mir dann auch der Zusammenhang zur Natur ganz leicht. Wenn Würmer den leblosen Körper zersetzen wollen und auf das mit Alkohol getränkte Fleisch treffen, so ist doch die Gefahr sehr groß, dass die Würmer ebenfalls am Alkohol sterben und somit ihrer Rolle nicht mehr gerecht werden können.

Wer soll dann die Arbeit machen?

Jetzt wurde mir auch klar, warum es Mumien gibt. Das waren alles erdbestattete Alkoholiker. Gut, bei Ötzi konnte ich mir das noch vorstellen, auch beim Ritter Kahlbutz.

Was war jedoch mit Ramses?

Nicht nachdenken, wahrscheinlich hatten auch diese so großen und gepriesenen Herrscher ihr kleines Geheimnis.

So, aber jetzt ging´s los, die Überschrift hatte ich ja schon.

Ich setzte den Stift an und wollte meine Erkenntnisse aufschreiben, da klingelte schrill die Pausenglocke.

„Alle Arbeiten beenden und nach vorne“, hörte ich Herrn Feistkorn sagen.

„Aber“, stammelte ich, „aber ich habe doch noch...“. Hier unterbrach mich Herr Feistkorn derb und sagte nur: „Los, du auch!“.

Ich gab ihm den Zettel mit der Überschrift. Erst hier fiel mir ein, dass dies die Biologiestunde gewesen war.

Den Zusammenhang zwischen Staubgefäßen und dem Lehrfach Biologie hätte ich ohnehin nicht herstellen können. So konnte ich wenigstens auch nichts Falsches schreiben.

Hui, da habe ich ja wirklich Glück gehabt.

Ich war mal in Vulgarien

Die Reise führt mich oft an Orte,

da nutzt man ordinäre Worte.

Wollt´ ich mir eine Zeitung kaufen,

so musste ich schon Amok laufen.

Noch vor dem Shop auf Treppenstufen,

da wurden solche schon gerufen.

Stieg ich in eine S-Bahn ein,

fing irgendjemand an zu schrei´n.

Ich sah auch keinen, der mal lacht

und immer wurd´ ich angemacht.

An jeder Ecke stand man ´rum,

und quatschte hässlich und auch dumm.

Wollt´ ich nur mal ganz freundlich grüßen,

das musste ich dann sofort büßen.

Schimpfwörter fing ich dafür ein,

so, wie „Du Blödmann, dummes Schwein“.

Und keine Chance auf Freundlichkeit,

nur überall Verdrossenheit.

Auch auf der Bank kann man´s erleben,

denn da wollt´ ich mal Geld abheben.

Der Banker rief mir Böses zu,

das Schönste war noch „Blöde Kuh“.

Selbst kleine Kinder auf den Straßen

war´n wohl nur da, um mich zu hassen.

Und auch an einer Kirchenpforte,

da hörte ich solch schlimme Worte.

Niemals ein „Bitte“ oder „Danke“

und überall nur Hirnverbrannte.

Man fragt sich, wo kam das wohl her,

warum sind die so ordinär?

Und ziemlich schnell wurde mir klar,

das „nett“ für sie ein Fremdwort war.

Denn schon als Kind im Kinderhort,

erlernten sie das schlechte Wort.

Und in der Schule, welches Fest,

da lernten sie den letzten Rest.

Dann schickte man sie in die Welt,

weil das den Herrschern so gefällt.

Und da, wo sie sich niederließen,

da konnte das Vulgäre sprießen.

Und es fiel keinem wirklich ein,

zu Anderen ´mal nett zu sein.

Nun die Moral von der Geschicht´:

Verbreite das Vulgäre nicht.

Da sitz´ ich nun und schau´ auf euch hernieder

Da sitz´ ich nun und schau´ auf euch hernieder.

So könnte ein bedeutender Roman beginnen, es ist aber nur meine, kleine und unbedeutende Geschichte.

Aber mal von Anfang an.

Ich bin Sven, zweiunddreißig Jahre alt und wohnte bis vor kurzem noch in Frankfurt bei meinen Eltern. Mein Leben verlief bisher recht eintönig, nicht auffällig, also fast normal. Ich hatte eine Arbeit, einen recht überschaubaren Freundeskreis und keine Freundin.

Ich war nicht arm und auch nicht reich, das Geld reichte für ein normales Leben, es blieb halt nichts übrig und die Wünsche waren immer größer als das zur Verfügung stehende Budget.

So hoffte ich immer auf den Riesenerfolg, viel Geld und ein tolles Leben in Luxus und Wohlstand, auf Anerkennung und, dass ich berühmt werde.

Nachdem ich davon viele Jahre geträumt hatte, sollte sich bald alles ändern.

Alles fing am Hauptbahnhof an. Ich hatte ein paar Tage Urlaub und wollte zu einem Freund nach Berlin fahren. Wir hatten uns viele Jahre nicht gesehen und es sollte ein extensives Wochenende in Berlin werden. Doch bereits die Fahrt zum Hauptbahnhof verlief nicht so, wie ich es mir vorgestellt und geplant hatte. Erst kam der Bus zehn Minuten später, dann stand er wegen eines Verkehrsunfalls nochmals weitere zwölf Minuten, um dann sehr verspätet am Bahnhof einzutreffen. Bis zur Abfahrt des Zuges hatte ich aber noch etwas Zeit, allerdings noch keine Fahrkarte. Also auf zum Fahrkartenschalter. Von weitem sah ich, dass der Schalter leer war, also keine Menschenmenge wartete aufs Drankommen. Ich sollte also mal Glück haben. Direkt vor dem Schalter sah ich dann jedoch diesen kleinen Zettel mit dem Hinweis, dass aufgrund einer Personalberatung der Schalter geschlossen sei, es stünden aber mehrere Automaten zum Fahrkartenkauf zur Verfügung.

Viele mögen ja diese Automaten nicht, ich hatte aber mit diesen Dingern bisher kein Problem und ging mutig ans Werk.

Zuerst berührte ich den Bildschirm, damit sich das Menü öffnet, dann gab ich als Ziel „Berlin“ ein, bestätigte, wählte als Zielbahnhof in Berlin „Südkreuz“, tippte zur Anzahl der Personen eine „1“ und klickte weiter zum Reisetag. Alles richtig bisher, denn der Automat zeigte mir nun die kompletten Reisedaten und den Ticketpreis mit dem Hinweis auf die Bezahlmöglichkeiten an. Ein Kinderspiel. Ich drückte „bar“, nahm meine Brieftasche und schob den Fünfziger in das blinkende Fach neben dem Eingabedisplay.

Wie ein gefräßiges Raubtier schluckte der Automat mit einem lauten Schmatzer meinen Geldschein. Ich wartete. Es tat sich nichts. Wenig später wurde der Schein an gleicher Stelle wieder ausgekotzt. Ich nahm ihn, glättete ihn, um ihn erneut in den Schlund des Automaten einzustecken. Wieder das schmatzende Geräusch und dann Stille. Nach gefühlten drei Minuten spuckte der Automat den Schein erneut aus. Er war jetzt total zerknittert. – Nun wurde es doch etwas eng mit der Zeit bis zur Abfahrt des Zuges. Ich überlegte, ob ich den Vorgang ganz abrechen sollte, um dann im Zug nachzulösen. Der Geiz und die permanente Geldknappheit ließen es mich aber nochmals versuchen. Ich nahm aus der Brieftasche einen anderen Schein und übergab ihn wieder dem Automaten. Es schien sich jetzt etwas zu tun, denn der Bildschirm wechselte zu einer neuen Ansicht. Es erschien in der Mitte ein rotes Feld mit der Aufschrift „Vorgang abgebrochen – ungültiger Zahlvorgang. Bitte wenden Sie sich an das Bahnhofspersonal“.

Wie bitte? Keine Fahrkarte, Geld weg und welches Bahnhofspersonal? Angstschweiß legte sich auf meine Stirn und ich hörte die Ansage, dass auf Gleis drei in wenigen Minuten der Zug nach Berlin einfahren würde. Panisch schaute ich mich um, lief von rechts nach links und unkoordiniert durch die Bahnhofshalle. Endlich erspähte ich einen Bahnmitarbeiter in seiner blauen Uniform und lief mit einem lauten „Hallo!“ zu ihm: „Sie müssen mir helfen, mein Geld ist im Automaten, eine Fahrkarte habe ich auch noch nicht und mein Zug fährt in drei Minuten!“, schrie ich ihn an, etwas aus der Puste, aber immer noch laut.

„Guten Tag erst einmal.“, sagte der Bahnmitarbeiter. „Nun mal in Ruhe, was ist passiert?“

„In Ruhe?“, schrie ich ihn erneut an. „Ich habe keine Zeit, ich muss nach Berlin und nichts funktioniert hier in diesem blöden Bahnhof.“

„Beruhigen Sie sich doch, wir haben für alles eine Lösung.“, lenkte der Mitarbeiter erneut freundlich ein.

„Das Geld bekommen Sie ja wieder, ich telefoniere gleich und in etwa dreißig Minuten wird ein anderer Kollege den Automaten öffnen und die Sache mit dem Geld überprüfen. Einen Fahrschein können Sie sich, auch mit meiner Hilfe, an einem der anderen Automaten ziehen. Und zu guter Letzt: Es fahren heute noch mehr Züge nach Berlin, denn Ihrer fährt gerade ab.“

Nach dieser Ansage war ich mir nicht mehr ganz sicher, was ich jetzt tun sollte. Sollte ich geduldig das alles und in dieser Reihenfolge hinnehmen, sollte ich ihn anschreien, der Bahn mit einer Klage drohen, ihn verprügeln oder alles gleichzeitig tun?

Der Zug war weg, also warum sollte ich mich jetzt noch unglücklich machen? Ich gab nach und sagte ihm: „Ja, so machen wir das!“.

Nach gut einer Stunde war dann alles geklärt, ich hatte den zerknitterten Fünfziger wieder, hielt eine gültige Fahrkarte in meiner Hand und ein Blatt Papier mit den Daten der nächsten Verbindung. In drei Stunden sollte der nächste Zug nach Berlin fahren.

Nach Hause zurückzukehren hätte sich zeitlich nicht gelohnt. So ging ich in die Bahnhofsgaststätte und suchte mir ein ruhiges Eckchen. Da saß ich nun und musste warten. Ich bestellte mir ein kühles Bierchen und beobachtete die Leute im Lokal. Es war relativ viel los, ein ewiges Hin und Her, es gab aber auch ein paar Leutchen, die länger saßen, wahrscheinlich auch solche Pechvögel wie ich. Zug verpasst, Anschluss nicht bekommen, vielleicht auch kein Geld mehr zur Weiterfahrt, es gab ja hunderte Gründe hier zu sitzen und zu warten. Und dann geschah es.

Ich hatte schon eine Weile gewartet, als ein bärtiger Mann mit dunkler Sonnenbrille und einem auffallenden silbernen Aktenkoffer in die Gaststätte kam.

Er sah sich sichtlich nervös um und suchte einen geeigneten Platz. Ganz in meiner Nähe setzte er sich hin. Er sah immer wieder auf seine Uhr. Den Koffer hatte er neben seinen Platz gestellt. Als der Kellner eine Bestellung aufnehmen wollte sagte der Bärtige nur „No“.

Es hatte schon irgendetwas Geheimnisvolles, ich erinnerte mich an diverse Filme mit ähnlichen Situationen. Wie ein Dienstreisender sah er nicht aus. Diese dunkle Gestalt mit Sonnenbrille und Vollbart, dazu der silberne Koffer – meine Gedanken fingen an sich zu überschlagen: Drogenkurier, Diamantenhändler, Geldbote einer Entführung oder Erpressung, Steuerhinterzieher, Mafia, … oder einfach nur der Abgesandte eines Ölscheichs, der ein paar Millionen in der zivilisierten Welt investieren will?

Während ich so vor mich hin sinnierte und mich schon längst wieder mit anderen Gaststättenbesuchern beschäftigte, muss der bärtige Mann plötzlich aufgestanden sein und die Gaststätte verlassen haben. Ich hatte ihn nicht weggehen gesehen. Ich trank mein Bier aus, bezahlte und wollte gerade losgehen, da entdeckte ich unter dem Nachbartisch den silbernen Koffer des bärtigen Mannes. Zuerst wollte ich ihn nehmen und dem Mann hinterher bringen, ließ dann aber davon ab, er war ja auch schon eine Weile weg. Also den Koffer nehmen und dem Kellner geben. „Halt“, dachte ich und setzte mich wieder. Ich rief den Kellner und bestellte noch ein Bier, bezahlte es aber gleich.

Ich weiß, was ich jetzt erzähle, sollte man nicht denken und schon gar nicht machen, aber es war vielleicht meine erste und letzte Chance. Die Chance, mir nun doch alle Wünsche zu erfüllen: Ich wollte den Koffer selbst behalten, mit all dem Geld oder den Drogen drin, die sich ja auch verkaufen ließen oder mit den Diamanten oder wichtigen und wertvollen Dokumente. Dass darin eventuell nur alte Socken und Unterwäsche waren, schloss ich vollends aus.

Stückchenweise, ohne aufzufallen, rutschte ich etappenweise zum Objekt der Begierde heran. Schließlich saß ich an diesem Tisch, der Koffer unter ihm und nun ganz nah bei mir. Mein Traum bekam reale Züge, ich würde bald reich sein. Langsam nahm ich den Koffer hoch, legte meine Jacke darüber und stellte beides neben mich auf die Bank.

Ich schaute mich um, es schien keiner bemerkt zu haben, dass ich nun an einem anderen Tisch saß und den Koffer an mich genommen hatte. Ich blieb noch einige Minuten sitzen und in dem Moment, wo die Gaststätte noch voller wurde und der Kellner gut zu tun hatte, stand ich auf und verließ das Lokal. Langsam entfernte ich mich, es schien aber keiner bemerkt zu haben. Der Koffer war gut getarnt unter meiner Jacke. Jetzt nur nicht nervös werden.

In meinen Gedanken war ich schon in der Südsee, angereist im eigenen Jet, in einer Villa am Meer mit viel Personal. Meine Arbeit bestand nur noch darin, die Kontoauszüge zu überprüfen. Das Kapital vermehrte sich selbstständig und ich konnte mir alles leisten. Nur ein kleiner Schritt zum Glück fehlte noch.

Die Reise nach Berlin verlor zunehmend an Bedeutung, ich wollte wissen, was in dem Koffer war. Ich verließ den Bahnhof und bog in eine Seitenstraße ein. Hier stand bis zum letzten Jahr ein altes Kaufhaus, dieses wurde abgerissen und sollte einem neuen Platz machen. Das Grundstück war komplett beräumt und nur von einem Bretterzaun umzäunt. Ein paar Bretter waren lose, so dass ich auf das Grundstück gelangen konnte, ich schob sie zur Seite und stand nun auf diesem Gelände, geschützt vor fremden Blicken.

Jetzt sollte mein Moment kommen. Ich legte den Koffer vor mich auf den Boden und öffnete die Schlösser.

Und jetzt bin ich hier.