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Langgedichte, Kurzgedichte, Tanka und natürlich Sonette, diese Antriebsraketen für alle anderen Gedichtformen, umfasst Thomas Kunsts neuer Gedichtband. Und am Ende eines jeden Kapitels steht das Meistersonett, ein Brief an seine Katze WÜ. Voller Anmut und feinem Humor sind diese Verse, befremdend schön, und eine Art Schutzzauber gegen alles, was uns Angst macht, gegen eine gewaltbereite Welt.
»WÜ ist mehr als nur eine Katze. WÜ ist Abholdienst von der Garage und abendliches Seelenheil. WÜ ist Bewegungsmelder und das erste Wesen, das mich morgens vor der Schlafzimmertür schon erwartet. WÜ ist eine Russisch-Blau. WÜ ist auch Wüste mit Wünschen. WÜ ist würdevolle Aufzählung: Eukalyptusbonbons auf der Autobahn.
Die amerikanischen Fotos von Leuna im Vorbeifahren.
Die Empfehlung der Bauern, sich vor dem ersten Frost einen Plattenspieler zu kaufen.
Die Angst, durch hohes Gras zu gehen.
Der Golf von Mexiko hinter Garagen.
Vornamen im Schnee.«
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Thomas Kunst
WÜ
Gedichte
Suhrkamp
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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2024
Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2024.
Originalausgabe© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2024
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Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg
Umschlagabbildung: Jan Stanisławski, Steppe, Öl auf Karton, 1900, 32,4 cm × 23,8 cm, Nationalmuseum Krakau
eISBN 978-3-518-77864-7
www.suhrkamp.de
Für meinen Vater in Liebe
Die Gärten in Frage stellen heißt, das in Frage stellen, was dem Geruchs- und Gesichtssinn schmeichelt. Keinerlei Düfte in der Wüste; kein Entzücken; sondern der scharfe Geruch der ausgeplünderten Ewigkeit …
Edmond Jabès
Nachfragen wegen Luftschutzräumen haben um zweihundert Prozent zugenommen. Die allgemeine Auffassung dazu ist, dass sie versteckt bleiben sollten, dass sie, wäre ihre Existenz bekannt, nur kleine Schlachtfelder werden würden.
John Cheever
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Inhalt
Informationen zum Buch
Cover
Titel
Impressum
Widmung
Motto
Inhalt
I. Mein Vater hatte früher mal einen Arbeitskollegen
Du brauchst für diese achtzig Kilometer
Du wirst bei dieser hohen Geschwindigkeit weder
Damit es unsere Kinder einmal besser haben
Ich habe Angst, durch hohes Gras zu gehen
In einem Text, der draußen spielt, bei Wind
Nie mehr nach Hause zurückkehren
Ab fünfzig denkt man öfter an den Tod
Wir haben noch paar Jahre ohne Not
Im Heim gibt es den Stuhl, das Fensterbrett
Mein Tod ist um, ihr könnt mich jetzt besuchen
Wenn ich diesen Geist
Mein Vater hatte früher mal einen Arbeitskollegen
Mit einem Vater am Bett veränderte sich alles
Mit mir allein an deinem Bett wäre
Meine liebe Wü, fünfzehnter Januar
II. Meine Mama machte sich früher nichts aus ihren Haustürschlüsseln
Einmal fand ich die Schlüssel im Kühlschrank, wir wollten
Der Bowdenzug besteht aus einer Hülle und einer
Wir haben einen Walnussbaum im Garten
Ich würde nie, wenn du nicht da bist, fahren
Die Tierspaziergänge mit meiner Schwester, früher
Du warst zuletzt um drei Uhr vierzehn online
Container in der Walachei, auf Rügen
Das Personal der alten Rügendammbrücke
Bei uns zuhause strömen Rettungsgassen
Wir könnten uns um Stellplätze bemühen
Ich wollte nicht mit einer Wespe streiten
Die Toten nehmen ihren Anschluss mit
Der Widerstand am Montag ist am Ende
Ich schicke dir meine neue Adresse
Meine liebe Wü, dreiundzwanzigster Februar, du
III. Meine Schwester machte früher mal eine Ausbildung zur Eurosekretärin
Nach dem eins zu null Auswärtssieg bei West
Der Fahrstuhl im Wind
Einen Bordlift, von
Die Farbe des Zahnsteins war von der Farbe
Den Tod austricksen
Bevor das Ende
Du schläfst, ich halt das
Meine liebe Schwester, ob wir uns im Krieg
Du bist lädiert an Kopf und Vorderpfote
Ich darf dich nicht verlassen, wenn ich gehe
Solarkugeln an
Auf unserer Fahrt
Wenn es früher mal Situationen gab, in denen
Auf Nelken gekaut
Meine liebe Wü, Sonntag, zehnter April, trotz
IV. Mein Sohn hatte früher mal eine Kassette von mir unter seinem Kopfkissen
Musik von gestern
Ich schickte ihr Musik auf Mix-Kassetten
Nachts in Schönefeld
Secondigliano
Vela Celeste
Ich habe Gott als
Mit Vater letzte Fahrten im VW
Als Vater zu versagen, dauert länger
Wir sollten einfach vergessen, dass in unserer
Generationen
Die Kinder sind längst erwachsen, ich habe nichts
Seltersfarbene
Ich konnte meine Tochter nicht erreichen
Man konnte sich bei allen alles leihen
Meine liebste Wü, siebzehnter Mai, dieser Sommer
V. Meine Tochter war früher mal eine Serienprinzessin
Ginkung und Kokild
Als du noch fast ein Engelchen warst, mein
Als du noch fast ein
Adler in Neubaugebieten sind an den Sonntagen
Der Krieg, in Heizungsnähe, fast auf vier
Hier sterben unsere Hunde nie
Aber immer abends die Butter rausstellen
Liebste, ich starre auf die Uhr und frage mich
Aber wie soll ich denn, von meinem Hotelzimmer aus
Ohne Tagebuch würden wir diese Helligkeit
Im Schnee merkt man sich Vornamen
Ich habe den Schlafsack nicht berührt, den Spaten, den See
Ich weiß jetzt endlich, wo ich hingehöre
Dein Hass braucht eine
Meine liebste Wü, Sonntag, elfter Dezember, gleich
Anmerkungen
VI. Früher hatte ich noch Illusionen von Sonettenkränzen
Hidden Tracks
Das Meer und die Höhlen, die Legende vom Ende
Wir leben in Städten, sind draußen und drinnen
Proteste, Lebensüberdruss, wir streiken
Ich dachte erst, ich hätte mich verlesen
Es gab zuletzt das Beispiel eines Falles
Was brauchen wir, um Poesie zu schreiben
Gemeinsam unsere letzte Reise planen
Wir hatten Bachmann, Brasch und Hölderlin
Die Weine und der Wein vom letzten Jahr
Am Ende ist die Poesie am Ende
Der Aderlass im genervten Unterleib
Die Blume war das letzte Großereignis
Wenn ich mal tot bin, lasst mich bitte raus
Wir haben heute Nacht nichts weiter vor
Die Legende vom
Informationen zum Buch
Mein Vater hatte früher mal einen Arbeitskollegen
Du brauchst für diese achtzig Kilometer
Bis zur Arbeit nur einen Eukalyptusbonbon, einer muss reichen, es
Darf nur diesen einen geben, die erste Fahrt ging gleich voll
Daneben, zwei bis drei jener Drops verloren schon auf dem Weg
Zur Autobahn jegliches Gespür für Nähe und Zusammenhalt, zuerst
Bewegst du diesen verwaschenen Klumpen ohne Füllung noch mit der
Zunge nach links und rechts, prüfst, ob er schon von allein an der
Gaumendecke kleben bleibt, ohne Füllung, mit seinen elf bis zwölf
Gramm, zählst die Sekunden bis zu seinem Aufsetzen auf der
Zunge, von wegen, er hält sich ohne fremde Hilfe in der Höhe, hüte
Dich davor, ihn zu schnell kleiner werden zu lassen, Schauer über der
Querfurter Platte, du hast noch eine eisige Distanz vor dir, verspiele
Dein Glück nicht so lässig, du überstehst diesen Trip nur, wenn
Dein Bonbon bis zuletzt durchhält, als Folie am Gaumen verharrt, dünn-
Häutiges, gezacktes Kristall nach einer krankhaften Glasbläser-
Anmutung, niemand auf der Welt wird dir dabei behilflich sein,
Deinen Speichelfluss zu reduzieren, gedankenverloren Leuna links
Auszublenden, eben ist die Verdunkelungserleichterung aufgehoben
Worden, du wirst bei dieser hohen Geschwindigkeit weder ein Foto
Von Amerika machen noch zwanzig Salvia-Wild-Tropfen in deiner
Linken Handfläche versammeln können, bedenke die Sickerstellen,
Nimm lieber mehr Tropfen, aber wer lenkt in dieser Zeit der Tropfen
Und Bonbons schon freiwillig mit beiden Händen, früher gab es
Viele Straßen und wenig Autos, Autos, deren Straßenverankerungen
Jammern und schmelzen, heute gibt es Streusalz auf Poolplanen, du
Wirst die heimische Heizungsluft mit Mandarinen vermissen, die
Beschleunigungsangst beim Auffahren, Abbiegen und Träumen,
Der Rachenraum wird nicht mehr mitspielen, du bist mit dem
Eukalyptusbonbon und deiner unregierbaren Spucke bis zur
Ausfahrt Süd ganz auf dich gestellt, die lasche Gewissheit,
Diesen allein schon durch Sabber verwundbaren,
Figürlichen Rest bis zuletzt im Konferenzraum
Deines Kopfes halten zu können, ist der Tod,
Eine Bonbonfüllung wäre keine mit sich
Selbst zufriedene Figur, denn allein
Diese kleine, zerbrechliche, auf der
Zungenspitze zu balancierende,
Räudige Ballerina wird nie
In die Geschichte
Der Vorstädte
Eingehen.
Du wirst bei dieser hohen Geschwindigkeit weder
Ein Foto von Amerika machen, Leuna in der Wüste, das Glühen der
Genickschussvitamine, damit es unsere Kinder einmal besser
Haben, Silbervorräte an unentdeckten Graureihern in der Ebene,
Einer von uns beiden hört jetzt Idaho, am elften Januar, teilweise
Als Schnee, die Empfehlung der Bauern, vor jedem ersten Frost
Im Jahr einen neuen Plattenspieler zu kaufen, ist niemals in den
Wind zu schlagen, das Laichen der Hartschaumprofile auf dem
Gartenteich, quengelige, am Pullover haftende, kreischend
Weiße Kugeln, Kosmonautennahrung für Plüschtiere, die
Wir bei Kälte draußen an uns pressen, Laub und Tannen-
Zapfen auf dem gespannten Netz, nichts zum Runter-
Harken, reduzierter Winterdienst, lege nur so viel
Ins Schilf, was du in einem Karton wieder
Auf die Felder tragen kannst, noch
Sind die Kontrollmelder
In den Augen der
Vertreiber aus
Holz.
Damit es unsere Kinder einmal besser haben,
Begannen wir damit, verbogene, aus der Ofenklappe
Entnommene Mandarinenschalen einzufrieren, keine
Kälte war damals wertvoller als diese, die Sehnsucht,
Aufzugeben, Jahr für Jahr, mit den Füßen, zögerlich,
So verschwenderisch mutlos, aber auch hinterhältig
Bescheiden, ohne das geringste Vertrauen in die
Träger der Kohlensäcke zu haben, auf dem Hof,
Ohne die peinlichste Daseinsberechtigung,
Auch nur in der Nähe unseres Keller-
Fensters zu stehen, fingen wir an, mit den
Schuhen, Striche in den Schnee zu ziehen,
Mit den Füßen, ohne Socken, mit einem
Seit Monaten gewachsenen Zehennagel
Wären mehr Linien drin gewesen, doch
Wir wurden mit der Lieferung immer
Wieder vertröstet, uns blieben, bis
Zum Frühjahr, neunzehn, siebzehn
Oder einundzwanzig Streifen, das
Taschentuch darüber war
Abschaum, der blanke
Abschaum, aber warum
Sollte die Verlierer-
Seite auch noch
Frieren.
Ich habe Angst, durch hohes Gras zu gehen,
Mein Auto zeigt das Gras als Grenze an.
So eingeengt an diesen Ufern dann
Zerlegen Stein und Wildnis sich im Drehen.
Der Luxus, nicht in unseren Garagen
Zu leben, darin alt werden zu müssen,
Die abschließbaren Wände anzupissen.
Wir halten inne, übersehen Passagen
In einem Text, der draußen spielt, bei Wind,
Bei Wetterwind, die Schutzräume sind rar.
Die Machtlist achten: das war ein Verleser.
Auf einer Kohle knien kann jedes Kind.
Die Sehnsucht, aufzugeben, Jahr für Jahr,
Verlangt nach einem Zwischenhalt der Gräser.
In einem Text, der draußen spielt, bei Wind,
Wartet ein Mann auf seine Frau, die noch mal kurz mit
Dem Auto unterwegs ist, weil sie Kleinigkeiten bei
Ihrem Einkauf in der Stadt vergessen hat, die
Rouladennadeln findest du aber nicht bei
Den Kurzwaren, die Hafermilch nicht
Bei den Milchprodukten, nie mehr
Nach Hause zurückzukehren,
Verändert die Seele der
Toreinfahrt.
Nie mehr nach Hause zurückkehren,
Verändert die Seele der Toreinfahrt, Hafermilch, Rouladen-
Nadeln, wenn ich mich jetzt zu unserem Würfel lege, ist sie
Die eine von uns beiden, die hiergeblieben ist, ab fünfzig
Denkt man öfter an den Tod, unser Blick auf die Felder
War ein beliebiger Vorgänger der Toreinfahrt, no
Borders, no nations, ich würde nie wieder mit dir
Schimpfen, nur weil du deinen Kapuzenpulli,
So, wie du ihn dir über den Kopf ziehst,
Falsch rum in die Wäsche legst, das
Üben wir dann aber noch
Mal, machst du bitte
Unten alles
Aus.
Ab fünfzig denkt man öfter an den Tod.
Die Rhythmusstörung ist kein gutes Omen.
Der Kreislauf zuckt, wir googeln nach Symptomen
Und haben noch paar Wochen ohne Not.
Das Armband mit dem Bildschirm bleibt im Haus.
Wir zählen unsere Schritte durch den Garten.
Die Apps synchronisieren Fitnessdaten.
Wie misst man richtig, und was sagt das aus.
Das Taille-Hüft-Verhältnis zu ermitteln,
Gleicht einer selten schönen Todesart.
Der Körperfettanteil ist nicht ideal.
Der Weg ins Hospital ist zu zwei Dritteln
Erforderlich, wir tragen Vivosmart.
Gesund zu leben macht uns radikal.
Wir haben noch paar Jahre ohne Not,
Solange wir uns an die Küsten trauen,
Mit Frauen, Kindern, aber auch mit Frauen,
Die Männer haben, Kinder, sapperlot.
Ein Ozean ist nichts zum Gegenlehnen.
Ein gutes Haus ist immer gut am Rand.
Das nächste Krankenhaus bleibt in der Hand
Von Katzen, Harlekinen und von Schwänen.
Um siebzehn Uhr ist Essenszeit am Bett.
Mein Gott, die Kinder kommen in die Jahre.
Wir werden schon noch sehen, wer hier spinnt.
Im Heim gibt es den Stuhl, das Fensterbrett,
Falls ich euch mein Geheimnis offenbare.
Wir sterben nie, genügsam wie wir sind.
Im Heim gibt es den Stuhl, das Fensterbrett.
Mein Sohn bringt Haselnusslikör, ich sterbe,
Und meine Tochter, der ich nichts vererbe,
Kein Gartengras am Feld und kein Baguette,
Verhält sich so wie immer, gottseidank.
Du Arschloch, altes Haus, dann alles Gute.
Wir werden uns nicht wiedersehen, akute
Belastungsreaktion, wir sind nicht krank.
Mein Kind bringt Nüsse, Honig und Zitronen,
Die ich zerstoße und zusammenbringe,
Olivenöl von Eigner, diesem Schuft.
Im Keller gibt es keine Umweltzonen.
Mein Tod ist um, wir treffen uns bei Inge
Und lärmen drinnen, selten an der Luft.
Mein Tod ist um, ihr könnt mich jetzt besuchen.
Die Anastasiya kommt mit ein paar Fläschchen.