Wundersame Weihnacht – Geschichten und Märchen zur Weihnachtszeit - Lynda Lys - E-Book

Wundersame Weihnacht – Geschichten und Märchen zur Weihnachtszeit E-Book

Lynda Lys

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Beschreibung

Wenn sich das Jahr dem Ende nähert, es draußen zeitig dunkel wird, dann wissen alle – Weihnachten steht vor der Tür – und damit die Zeit der Märchen und Geschichten rund um das Weihnachtsfest, das Fest, das Kinderaugen zum Leuchten bringt, und selbst Erwachsene sich ein kleines Stück Kindheit zurückwünschen.
Dieser Band ist für die ganze Familie gedacht und soll helfen, das Tempo aus dem Alltag zu nehmen und somit die Vorweihnachtszeit zu verschönern …


In diesem Buch sind folgende Geschichten und Märchen enthalten:
› Ein Zelt von geschliffenem Opal – von Lion Obra
› Vom Feuermännchen und der Maus Grisegrau – von Paula Dehmel
› Der Kaufmann und der Weihnachtsbaum – von Rainer Popp
› Der Weihnachtsbesucher – von Kirby Jonas
› Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern – von Hans-Christian Andersen
› Oma Bonningks besondere Weihnacht – von Ines Schweighöfer
› Zwei Weihnachtsgeschichten – von Sophie Reinheimer
› Ein unerwartetes Geschenk – von Lynda Lys
› Wo die alten Riesen stehen – von Guy M. Brant
› Der allererste Weihnachtsbaum – von Hermann Löns
› Willkommen zurück, Weihnachten – von Kirby Jonas
› Frau Holle – von den Gebrüdern Grimm
› Wie der Mond auf den Dom ging – von Lotte Betke
› Weihnachten in der Speisekammer – von Paula Dehmel
› Oh Tannenbaum … – von Micki Frickson
› Keno lernt Weihnachten – von Horst Bieber
› Das Wunder einer Weihnachtsnacht – von Karl Plepelits
› Die heitersten Weihnachten – von Kirby Jonas
› Die Weihnachtsgeister, die ich rief … – von Olivier Watroba
› Das Weihnachtsspiel – von Kirby Jonas
› Der Schneemann – von Manfred Kyber
› Der Brief – von Corinna Kosche
› Die Wichtelmänner – von den Gebrüdern Grimm

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Wundersame

Weihnacht

 

 

 

Geschichten und Märchen zur Weihnachtszeit

 

Herausgegeben von Kerstin Peschel

 

 

 

Mit Geschichten und Märchen unter anderem von Lion Obra, Kirby Jonas, Lynda Lys, Rainer Popp, Guy M. Brant, Ines Schweighöfer, Micky Frickson, Horst Bieber, Karl Plepelits, Olivier Watroba, Lotte Betke und Corinna Kosche, die Gebrüder Grimm, Hans-Christian Andersen, Paula Demel, Hermann Löns … 

 

 

 

Impressum

 

 

Copyright © by Author/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © by Kathrin Peschel nach Motiven, 2023

 

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

 

Alle Rechte vorbehalten

 

Das Copyright auf den Text oder andere Medien und Illustrationen und Bilder erlaubt es KIs/AIs und allen damit in Verbindung stehenden Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren oder damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung erstellen, zeitlich und räumlich unbegrenzt nicht, diesen Text oder auch nur Teile davon als Vorlage zu nutzen, und damit auch nicht allen Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs nutzen, diesen Text oder Teile daraus für ihre Texte zu verwenden, um daraus neue, eigene Texte im Stil des ursprünglichen Autors oder ähnlich zu generieren. Es haften alle Firmen und menschlichen Personen, die mit dieser menschlichen Roman-Vorlage einen neuen Text über eine KI/AI in der Art des ursprünglichen Autors erzeugen, sowie alle Firmen, menschlichen Personen, welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren um damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung zu erstellen; das Copyright für diesen Impressumstext sowie artverwandte Abwandlungen davon liegt zeitlich und räumlich unbegrenzt bei Bärenklau Exklusiv

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Ein Zelt von geschliffenem Opal 

Vom Feuermännchen und der Maus Grisegrau 

Der Kaufmann und der Weihnachtsbaum 

Der Weihnachtsbesucher 

Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern 

Oma Bonningks besondere Weihnacht 

Zwei Weihnachtsgeschichten 

Ein unerwartetes Geschenk 

Wo die alten Riesen stehen 

Der allererste Weihnachtsbaum 

Willkommen zurück, Weihnachten 

Frau Holle 

Wie der Mond auf den Dom ging 

Weihnachten in der Speisekammer 

Oh Tannenbaum … 

Keno lernt Weihnachten 

Das Wunder einer Weihnachtsnacht 

Die heitersten Weihnachten 

Die Weihnachtsgeister, die ich rief … 

Erster Teil: Das muss wohl der Winter sein … 

Zweiter Teil: Draußen vom Walde komm ich her … 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

17 

18 

19 

20 

21 

22 

23 

24 

Das Weihnachtsspiel 

Der Schneemann 

Der Brief 

Die Wichtelmänner 

Erstes Märchen 

Zweites Märchen 

Drittes Märchen 

Eine kleine Auswahl schöner Gedichte zur Weihnachtszeit 

Es treibt der Wind im Winterwalde – Advent 

Knecht Ruprecht 

Wenn es Winter wird 

Zitate und Sprüche zur Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel 

Backrezepte für die Weihnachtsbäckerei 

Einfache Mürbeteigplätzchen 

Weihnachtliche Haferflockenkekse 

Folgende Weihnahtbände sind ebenfalls erhältlich: 

 

Das Buch

 

 

 

Wenn sich das Jahr dem Ende nähert, es draußen zeitig dunkel wird, dann wissen alle – Weihnachten steht vor der Tür – und damit die Zeit der Märchen und Geschichten rund um das Weihnachtsfest, das Fest, das Kinderaugen zum Leuchten bringt, und selbst Erwachsene sich ein kleines Stück Kindheit zurückwünschen.

Dieser Band ist für die ganze Familie gedacht und soll helfen, das Tempo aus dem Alltag zu nehmen und somit die Vorweihnachtszeit zu verschönern …

 

 

***

 

 

In diesem Buch sind folgende Geschichten und Märchen enthalten:

 

› Ein Zelt von geschliffenem Opal – von Lion Obra

› Vom Feuermännchen und der Maus Grisegrau – von Paula Dehmel

› Der Kaufmann und der Weihnachtsbaum – von Rainer Popp

› Der Weihnachtsbesucher – von Kirby Jonas

› Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern – von Hans-Christian Andersen

› Oma Bonningks besondere Weihnacht – von Ines Schweighöfer

› Zwei Weihnachtsgeschichten – von Sophie Reinheimer

› Ein unerwartetes Geschenk – von Lynda Lys

› Wo die alten Riesen stehen – von Guy M. Brant

› Der allererste Weihnachtsbaum – von Hermann Löns

› Willkommen zurück, Weihnachten – von Kirby Jonas

› Frau Holle – von den Gebrüdern Grimm

› Wie der Mond auf den Dom ging – von Lotte Betke

› Weihnachten in der Speisekammer – von Paula Dehmel

› Oh Tannenbaum … – von Micki Frickson

› Keno lernt Weihnachten – von Horst Bieber

› Das Wunder einer Weihnachtsnacht – von Karl Plepelits

› Die heitersten Weihnachten – von Kirby Jonas

› Die Weihnachtsgeister, die ich rief … – von Olivier Watroba

› Das Weihnachtsspiel – von Kirby Jonas

› Der Schneemann – von Manfred Kyber

› Der Brief – von Corinna Kosche

› Die Wichtelmänner – von den Gebrüdern Grimm

 

Bonus:

Eine kleine Auswahl schöner Gedichte zur Weihnachtszeit

Zitate und Sprüche zur Weihnachtszeit und zum Jahreswechsel

Backrezepte für die Weihnachtsbäckerei

 

 

***

 

 

Weihnachten, ein Fest der Liebe und Freundschaft, der Besinnung und des Gedenkens an all die Verstorbenen, der Freude und Gemeinschaftlichkeit; ein Fest, das Kinderaugen zum Leuchten bringen und Streitigkeiten jeglicher Art und jeglichen Umfangs vergessen machen sollte.

 

Wundersame Weihnacht

 

 

 

Ein Zelt von geschliffenem Opal

 

 

von Lion Obra

 

 

Joja staunte und konnte nicht aufhören zu staunen. Der Mann trug wahrhaftig einen Turban, seine behandschuhten Hände zierten Ringe aus Gold und Silber. Einer der Ringe war mit einem roten Juwel geschmückt, das von innen heraus zu leuchten schien. Mehr noch. Es strahlte und glühte wie die abendliche Sonne, wenn sie sich anschickte, hinter dem Horizont zu verschwinden.

Der Mann war groß. Größer als Jojas Vater und größer als alle Hirten, die von der Arbeit als Tagelöhner auf den Feldern draußen vor den Toren Bethlehems so gebeugt daherkamen, als wären sie schon alte Männer. Joja konnte sich nicht erinnern, dass er jemals woanders gelebt hätte. Selbst als seine Mutter noch bei ihnen war.

Bald würde er erwachsen sein. Dann würde er von hier weggehen. Vielleicht nach Jerusalem hinauf. Oder noch weiter weg? In Jerusalem war er schon oft gewesen. Anfangs mit seinem Vater. Inzwischen konnte er die zwei Stunden Fußweg auch allein gehen. Aber im Grunde war Joja das zu wenig. Er wollte fort, hinaus in die Welt. Vielleicht nach Caesarea oder besser nach Joppa, an den Hafen, wo die Galeeren der Römer anlegten. Er wollte all die Wunder mit eigenen Augen sehen, die es in der Fremde geben musste.

Doch gestern war die große, weite Welt mit ihren Wundern zu ihm gekommen.

Joja blickte sich in dem Stall um. So oft er konnte, kam er hierher. Wenn man ihn nicht mit Wassertragen oder Schafehüten beauftragte, verdrückte er sich in einen Winkel des engen Verschlages, der eigentlich nur ein Unterstand war, vorgebaut einer Höhlung in den Felsen. Dort soll sich, so erzählten sich die Hirten, etwas Ungeheuerliches ereignet haben. Vor einigen Tagen sei vom Firmament herab ein Regen wie von Licht über den Stall gekommen, heller als hundert Sternschnuppen, und voller Machtglanz und Herrlichkeit. Sicherlich hatten die Hirten bei ihrer Erzählung übertrieben, wie sie es immer taten, wenn sie etwas zu berichten hatten. Obwohl Joja nun jede Nacht die Schafe seines Vaters in der Nähe des Stalls zusammengetrieben hatte, um hier seine Nachtwache zu verbringen, konnte er doch nie etwas von dieser Lichterscheinung erhaschen. Sie war vorbei und kam kein zweites Mal. Er hatte sie verpasst. Joja war deswegen anfangs enttäuscht gewesen. Doch inzwischen hatte er etwas viel Besseres erlebt.

Gestern, mitten in der Nacht, war eine Karawane aus der Richtung von Jerusalem angekommen. Prächtige Reittiere und Dienerschaften verwandelten das Feld vor dem Stall in einen Auflauf, der nicht aufregender hätte sein können. Selbst der Markt in Bethlehem, wenn die Händler von Hebron und Ascalon kamen, bot nicht solche Wunder. Pferde, Esel, aber auch riesige Tiere aus der Wüste, die Joja nicht kannte, trugen Lasten, Waren und Vorräte, sowie Männer und Frauen, die wie Könige und Königinnen aussahen.

Drei Männer, prächtig gekleidet und voller Würde, waren schließlich vor den Stall getreten, hatten mit Gesten nach Art der Fürsten zueinander und sogar zum Himmel gesprochen. Sie schienen erregt, gingen aber nicht hinein. Joja verstand nicht, was sie sagten.

Schließlich hatten sie sich in der Nähe des Stalls bei ihren Tieren gelagert. Diener rollten Teppiche aus, errichteten Zelte, entzündeten Feuer. Joja fiel es in dieser Nacht nicht schwer, wach zu bleiben. Die Geräusche, die die Felder erfüllten, brachten seine Fantasie in Wallung. Was wollten diese Fremden hier? Es musste mit dem Stall zusammenhängen, aus dem seit dem nächtlichen Leuchten häufig das leise Schreien eines hungrigen Säuglings zu hören war.

Joja fasste einen Plan.

Gleich beim ersten Licht der Morgensonne, als sein Vater zu ihm auf die Felder gekommen war, die Schafe gezählt und ihm einen Kanten Brot zugesteckt hatte, schlich er sich zu dem Stall. Josef, den er von seinen letzten Besuchen her schon kannte, nickte ihm zu. Sein Weib wiegte das Neugeborene. Joja drückte sich an den beiden vorbei und öffnete den Pferch, wo der Esel angebunden stand. Aufmerksam stellte dieser die Ohren auf. Joja schob ihm eine Wurzel ins Maul, die von einer Distel stammte, welche er in der Nacht ausgegraben hatte. Der Esel nahm sie und drückte seinen Eselskopf gegen Jojas Schulter. Joja streichelte die langen Ohren. Sein Plan ging auf. Wo er jetzt schon einmal hier war, würde man ihn wohl nicht aus dem Pferch vertreiben, wenn alles gut ging, wenn er sich ruhig verhielt, wenn er den Esel dazu brachte, nicht zu bocken, wenn, wenn, wenn… Joja suchte sich eine Kuhle im Heu, von wo aus er genau sehen konnte, was im Stall vor sich ging.

Plötzlich schreckte er hoch. Müde, wie er nach einer Nacht bei den Schafen immer war, hatte ihn in dem warmen Heu der Schlaf übermannt. Der Stall war jetzt voller Menschen. Sofort war Joja hellwach. Ein Mann, der sein Haar mit einem golddurchwirkten Tuch bedeckt hatte, das von einem glänzenden Band gehalten wurde, sagte etwas in einer fremden Sprache. Da trat eine Dienerin vor, bückte sich und stellte Salbgefäße auf den Boden. Joja verstand nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Umso aufmerksamer verfolgte er das Geschehen.

Da weiteten sich seine Augen. Die Hände der Dienerin sahen aus wie die Hände seiner Mutter. Er hielt den Atem an. Obwohl das Mädchen höchstens so alt war wie Joja, waren es die gleichen Hände, die geschickt die kostbaren Gefäße aus dem Korb nahmen und sorgsam und mit konzentrierter Behutsamkeit auf das seidig schimmernde Tuch stellten, das sie über den gestampften Boden gebreitet hatte, als wär es die geheiligte Oberfläche eines Altars. Joja meinte im Anblick der schlanken Hände, der feingliedrigen Finger, der zarten Haut all die Zärtlichkeit wieder zu erleben, die seine Mutter ihm einst geschenkt hatte, bis zu jenem Tag, an dem sie für immer von ihnen gegangen war.

Das Mädchen glättete eine Ecke des Seidentuchs, die sich aufgestellt hatte. Dann blickte sie unvermittelt auf und sah Joja an. Ihre Blicke trafen sich und Joja erschrak. Alle seine Hoffnungen, alles was er jemals in seinem Leben erträumt, was er je für sich zu erwarten gewagt hatte, alles das schien sich in den Augen des fremden Mädchens zu erfüllen.

Doch diese Gefühle, diese Erfüllung, diese Gestalt werdende Zukunft, die ihn so unvermittelt überfiel, waren zu viel für Joja. Er stolperte, fiel rückwärts und landete zwischen den Beinen des Esels auf dem harten Boden. Schmerzhaft traf es seinen Steiß. Einen erschreckten Schrei konnte er nicht unterdrücken. Doch niemand schien auf ihn zu achten. Die drei Edlen verließen mit ihrer Dienerschaft den Stall und Josef war mit Frau, Kind und Tieren wieder allein. Da schlich sich Joja hinaus. Wie ein geprügelter Hund zog er davon. Sein Herz hatte dort in diesem Stall einen Sprung gemacht. Aber was hatte das zu bedeuten?

Die Sonne stand hoch. Bald würde der Schatten knapp werden. Er ging zum Brunnen, schöpfte Wasser. Dann kauerte er sich hinter einen Felsen und dachte nach. Sollte er hinübergehen zu den Fremden? Würde er das Mädchen in dem Lager finden? Der Wunsch, zu ihr zu gehen, wurde übermächtig in seinem Herzen. Doch Joja schüttelte nur den Kopf und schalt sich selbst einen Narren. Was sollte er mit dem Mädchen? Wie konnte er meinen, sie sei das Ziel seines Lebens? Ihre ausgestreckten Hände, ihre offenen Arme, ihr Ja zu ihm, dem kleinen Joja… sollte so das ihm bestimmte Glück aussehen? Der Hirtenjunge und die Dienerin mit den großen, samtschwarzen Augen? Der Schafhirte und die Königin von Saba?

Joja schüttelte den Kopf und schalt sich erneut einen Narren. Das war doch alles eine Nummer zu groß für ihn. Er stand auf.

Und da stach ein scharfer Schmerz in seine Brust. Als wäre etwas darin entzweigebrochen.

In einiger Entfernung rief jemand laut und ruderte mit den Armen. Es war sein Vater. „Komm, Joja, schnell komm!“

Joja rannte los. Ein Schaf war verschwunden. Das bedeutete Unglück.

Sein Vater war fürchterlich aufgeregt. „Es ist weg. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Wir müssen es suchen. Schnell.“

Joja wurde in die eine Richtung geschickt, sein Vater ging in die andere.

Es kam nicht oft vor, dass sich ein Schaf von der Herde trennte. Wenn es aber passierte, war das eine fürchterliche Sache, denn ein Schaf war ein kostbarer Besitz.

Dieser Tag wurde heiß und trocken. Joja war bereits eine geraume Zeit unterwegs und die Sonne brannte ihm auf den Kopf. Die dürren Büsche ringsum begannen vor seinen Augen zu flirren und zu flimmern. Er stolperte dahin, ein wenig ärgerlich über das dumme Schaf, dem er nun nachzulaufen hatte, als er plötzlich ein Knacken im Gebüsch hörte. Er atmete auf, weil er meinte, das Schaf schon gefunden zu haben. Joja beeilte sich und lief schnell in die Richtung, um nachzusehen.

Da er nichts fand, wollte er wieder zurückgehen, als abermals ein Geräusch erklang. Wiederum ganz in seiner Nähe. Doch auch dort konnte er nichts finden. Als Joja zum dritten Mal etwas hörte, dachte er, jemand wollte ihn zum Narren halten. Aufmerksam um sich blickend schlich er sich an. Er gelangte auf eine Anhöhe und kauerte sich auf die Erde. Wenn er den Kopf hob, sah er von hier oben in das Tal, das sich vor ihm ausbreitete. Da stand, keinen Steinwurf entfernt, ein schlankes, hohes Zelt von strahlendem Blau. Joja traute seinen Augen nicht. So etwas hatte er noch nie gesehen. Niemand schien in der Nähe, keine Menschen, keine Reittiere. Jemand hatte das Zelt, wie es ihm schien, einfach vergessen.

Neugierig ging er näher an das merkwürdige Zelt heran, das in der Sonne strahlte, als bestünde es aus geschliffenem Opal. Was es doch in diesen Tagen für wundersame Dinge gab! Mit dem Sternenregen fing es an, dann kamen die Fremden und nun stand hier etwas, das es auf den Feldern vor den Toren Bethlehems noch nie gegeben hatte. Diese Farbe, was für ein Wunder! Ein einziges Mal in seinem Leben hatte Joja bei einem persischen Händler eine Rose von Scharon gesehen. Deren gekräuselte Blütenblätter leuchteten in dieser Farbe, wenn das Licht der Sonne darauf fiel. Und ein anderes Mal hatte er dieses Blau gesehen, als er ins Angesicht eines Fremden geblickt hatte. Der Mann war der Sklave eines römischen Feldherrn gewesen. Unter flammend rotem Haar leuchteten dessen Augen in ebendiesem Blau.

Joja ging halb um das Zelt herum und sah, dass der Eingang offen stand: Eine Plane war zurückgeschlagen und mit einem weißen Seil befestigt. Joja bemühte sich, im Inneren etwas zu erkennen, doch nur wenig Licht fiel hinein. So trat er kurz entschlossen und alle Vorsicht vergessend über die Schwelle des Zeltes.

Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an das Halbdunkel. Innen war das Zelt von rubinroter Farbe. Auch die weichen Teppiche zu seinen Füßen waren von diesem dunklen Rot. An den hölzernen Säulen des Zeltes hingen silberne Posaunen. Wunderschöne Instrumente! Sonst war das Zelt leer.

Von der Stimmung im Inneren ein wenig erdrückt, schlich Joja unsicher, fast bis zu den Knöcheln in den Teppichen einsinkend, zu einer der Posaunen. In dem Moment, als seine neugierigen Hände das edle Metall berührten, erklang eine Stimme, die von überallher zu kommen schien. Sie rief: „Joja!“

Er erschrak und wollte fliehen. Doch die Stimme befahl: „Halt! Du musst erst ein Rätsel lösen, sonst kommst du hier nicht mehr hinaus. Höre also! Was ist stärker als ein Löwe und süßer als Honig?“

Joja wusste darauf keine Antwort. Er verstand nicht, was hier vor sich ging, was das alles zu bedeuten hatte. Wieder versuchte er, in die Nähe des Ausgangs zu gelangen. Doch seine Beine wurden schwer und zogen ihn immer tiefer auf die weichen Teppiche. Schließlich lag er ausgestreckt da, sein Blick war auf die gewaltigen Stämme gerichtet, die sich verjüngend in der Höhe trafen und das Dach der Zeltplane trugen. Joja konnte sich nicht erklären, wohin er hier geraten war. Das hatte doch nichts mit seiner Welt und seinem Leben als Hirte zu tun. Selbst das Auftauchen der fremden Fürsten in der Nacht verblasste gegen diese Erscheinung, die ihn ergriffen hatte und in ihrer Gewalt gefangen hielt. Allein die Prachtentfaltung übertraf all die Herrlichkeiten, die man sich von Salomons Königshof erzählte: silberne Musikinstrumente, Teppiche und ein überirdischer Duft, der dem Zelt eines Königs wahrlich würdig gewesen wäre.

Schließlich wurde Joja von einer Müdigkeit befallen, die sich schwer auf ihn legte. So schlief er ein. Ein Traum kam zu ihm. Er sah einen gewaltigen, unglaublich starken Mann mit langem, gelocktem Haar, der mit einem nicht minder gewaltigen Löwen kämpfte. Die beiden rangen lange miteinander, warfen sich zu Boden, rappelten sich wieder auf, tänzelten umeinander und griffen immer wieder an. Auf einmal packte der Mann den Löwen, riss ihn in zwei Teile und schleuderte ihn auf die Erde. Ein Vogel flog herbei, setzte sich auf einen Ast und zwitscherte ein liebliches Lied. Der Mann hörte voller Hingabe zu, bis die hereinbrechende Dämmerung ihn unruhig machte. Als der Abendstern hell erstrahlte, wandte er sich ab, blickte auf den Löwen und schien zu überlegen. Im Bauch des Löwen hatte in der Zwischenzeit ein Bienenschwarm genistet und Honig eingetragen. Der Mann griff mit der bloßen Hand in den Bauch des Löwen und stärkte sich ausgiebig an den frischen Honigwaben. Danach sprang er auf und rannte wie von Sinnen in Richtung des fernen Horizonts, direkt zu dem funkelnden, hellen Abendstern. Noch lange wehte das Haar des sich entfernenden Mannes im Rot des Abendhimmels.

Da erwachte Joja. Er lag noch immer auf den Teppichen des Zeltes. Nun war er sich gewiss, dass etwas Großes von ihm Besitz ergriffen hatte. Mächte und Gewalten, die die Vergangenheit seines Stammes bestimmt hatten, waren in sein Leben getreten. Ganz nahe fühlte er sich mit einem Mal Mose, dem Propheten, der das Volk aus der ägyptischen Sklaverei geführt hatte, und David, der hier in Bethlehem als Sohn Isais geboren und von Samuel schon als Knabe zum König gesalbt worden war. Hier waren Mächte am Werk, für die die Stunden des Tages nichts bedeuteten, für die die Zeitalter der Menschen nur Augenblicke waren, Mächte, die in Äonen ihre Heimstatt hatten. Und nun änderten sich diese. Zum Sternbild Fische hatten die Fremden emporgeblickt, als sie mit dem Himmel gesprochen hatten. Das fiel Joja jetzt wieder ein. Und während er noch überlegte, hörte er wiederum die Stimme: „Kannst du mir nun das Rätsel lösen? Was ist stärker als ein Löwe und süßer als Honig?“

„Ich will es versuchen, denn der Traum hat mir den Weg gewiesen“, antwortete Joja. „Der Löwe ist ein Symbol für Macht, der Honig für Reichtum. Der Mann zog aus, um beides zu erreichen. Er wollte reich und mächtig werden. Doch der Vogel erinnerte ihn mit seinem lieblichen Lied an die Zuneigung, die ihm jemand schenken will, und forderte ihn auf, diese zu erwidern. Das tat der Mann dann auch, indem er zum Abendstern lief. Der Abendstern steht für Schönheit und Sinnlichkeit. Damit ist eine Frau gemeint. Und so ist die Antwort auf das Rätsel nun einfach: Stärker als ein Löwe und süßer als Honig ist nur die Liebe.“

Als Joja das gesagt hatte, erschien inmitten des Zeltes ein großer Steinblock, auf dem der Mann aus seinem Traum lag. Er war mit wunderschönen Gewändern angetan. Langsam, als hätte er lange geschlafen, erhob er sich und lächelte Joja an: „Ich danke dir. Du hast mich befreit. Ich bin durch die Welt geirrt und habe vielen dieses Rätsel gestellt, doch niemand vor dir konnte es lösen.“

„Von was habe ich dich befreit?“, fragte Joja.

„Das will ich dir sagen, kleiner Joja, damit du selbst nie dieser Versuchung erliegen mögest. Ich bin dem heiligen Ruf der Liebe nicht sofort gefolgt, sondern richtete all mein Sinnen und Trachten darauf, Macht und Reichtum zu erlangen. Wie du in deinem Traum erlebt hast, folgte ich dem Vogel nicht, der mich rief, als ich den Löwen besiegt hatte, sondern sättigte mich an dem Honig. Zur Strafe, weil mir der Reichtum wichtiger war, konnte ich den Stern der Liebe, den Stern des Abends und des Morgens, nie erreichen, so schnell ich auch rannte. Ich war dazu verdammt auf einen weisen Menschen zu warten, der dieses Rätsel lösen konnte. Erst dann war ich nicht länger an meine Einsamkeit gefesselt. Dieser Mensch warst du, Joja. Nun muss ich mich aber aufmachen. Du weißt, dass jemand auf mich wartet. Geh du nun in deine Zeit, ich will in die meine.“

„Sag mir nur noch deinen Namen“, begehrte Joja zu wissen.

Doch der Mann lächelte und entgegnete: „Hat dir dein Vater nie die Geschichte von dem Mann erzählt, dessen Kraft in den Locken seines Haares wohnt? Frag ihn danach! Aber nun geh!“

Joja trat aus dem Zelt hinaus ins grelle Sonnenlicht. Als er sich blinzelnd umwandte, war das Zelt verschwunden. Joja stand da. Fassungslos. Er kam erst wieder zu sich, als an seiner Seite ein Meckern laut wurde. Das verlorene Schaf! Es war fast noch ein Lämmchen. Und es hatte Angst. Voller Freude streichelte und liebkoste er es. Doch dann wurde er stutzig. Das Fell des Schafes war weich und geschmeidig, wie er es noch nie an einem Schaf gefühlt hatte. Es war so weich, wie – ja genau wie die Teppiche im Inneren des Zeltes. Da begriff er. Das war das Geschenk des Mannes für Joja, der ihn gerettet hatte.

Joja legte sich das Schaf über die Schultern und lief los. Sein Weg würde ihn nicht nach Caesarea führen, auch nicht nach Ascalon oder sonst eine Stadt in dieser Provinz. Das wusste er. Zunächst aber trug er das Schäfchen zu seinem Vater. Er gab es ihm nicht, sondern sprach: „Vater, ich werde von hier weggehen. Heute muss ich dich verlassen. Gib mir deinen Segen und wenn du willst, auch dieses junge Schaf.“

Sein Vater segnete ihn und gewährte ihm seine Bitte.

Anschließend ging Joja hinüber zu den Zelten der Fremden. Und während er unter all den Menschen umherging, deren Sprache er nicht verstand, um das Mädchen zu suchen, hörte er auf, ein Kind zu sein. Joja wurde zu einem Mann, als er das Mädchen zwischen den Zelten, bei den Tieren erkannte.

Und so begann an dieser Wende der Zeiten ein neues Leben für den Hirtenjungen. Das Schaf aber war das erste einer neuen Rasse, die das weichste Fell von allen Schafen auf der ganzen Welt hatte.

 

ENDE

Vom Feuermännchen und der Maus Grisegrau

 

 

von Paula Dehmel

überarbeitet von Ines Schweighöfer

 

 

„Heut will ich euch die Geschichte vom Feuermännchen erzählen“, sagte eines Abends unsere gute alte Tante Minna, „sie ist zwar ein bissel gruselig, aber ich will sie euch dennoch erzählen.

Ihr müsst wissen, zu Hause in Pankenbrück hatten wir einen großen Kachelofen, so einen recht altmodischen grünen Kachelofen. Der hatte blanke Haken, um nasse Kleider dran aufzuhängen, und eine Warmröhre mit einer Tür aus Messing hatte er auch.

Ich sage euch Kinder, es war ein Prachtstück von einem alten Kachelofen!

Und was das Herrlichste war, es wohnte ein Feuermännchen darin, ein wirklich gelbes Teufelchen. Wenn man unten die Tür aufmachte und die rote Glut einem entgegenschlug, konnte man ihn deutlich hüpfen und springen sehn, hopp, hopp, immer durch die Flammen durch, hinüber und herüber. Manchmal machte er auch ein ganz lächerliches Specktakel. Er amüsierte sich, die Holzstücke, die nicht gleich brennen wollten, knack, mitten durchzubrechen, spuckte wohl auch die Flammen, dass sie sprühten und zischten, und kicherte vernehmlich hinterher. Kurz und gut, er war eben ein rechtes Teufelchen, wie alle andern Feuermännchen auch sind.

Doch nun kommt meine Geschichte:

Einmal nämlich musste ich eine Mausefalle aufstellen. Im Eckschrank in der Wohnstube hatte das Brot ein ganz verdächtiges Loch gehabt. Ich briet ein Stück Speck hübsch knusprig und legte es in die Falle. Am andern Morgen war der Speck weg, die Falle aber zu und von einem Mäuschen nichts zu sehen. Grete und ich schüttelten verwundert die Köpfe; bloß der Fritz, der sich über nichts wunderte, lachte unbändig, sodass wir schon glaubten, er habe das Mäuschen wieder laufen lassen. Er sagte aber nein, und da er immer die Wahrheit sagte und niemals log, mussten wir ihm glauben. Ich machte ein neues Stück Speck zurecht und richtete die Falle zum zweiten Mal. Aber es ging wie zuvor: Speck weg, Maus weg, Falle zu! Das ging nicht mit rechten Dingen zu!

Ich machte mir nun mein Bett auf dem Sofa in der Wohnstube zurecht und wollte aufpassen. In der Falle roch wieder ein saftiges Speckstückchen. Ich legte mich hin und blinzelte von Zeit zu Zeit hinüber, aber es blieb alles still.

Wenn der Vollmond nicht so hell ins Zimmer geschienen hätte, wäre mir die Zeit gewiss recht lang geworden. Endlich hörte ich Trippelschrittchen, und – Kinder, da hatten wir die Bescherung! Da kam mein Mäuschen, aber nicht allein, es hatte einen artigen Kavalier bei sich, nämlich unser leibhaftiges Feuermännchen. Der ging an die Falle, hielt zierlich und geschickt das Fallbrettchen hoch, das Mäuschen holte den Speck, und als sie außer Gefahr war, ließ das Kerlchen vorsichtig den Deckel wieder fallen. Ich sah belustigt zu, mit welchem Appetit sie anschließend den Speck verzehrten, und spitzte die Ohren, was sie wohl sonst noch machen würden.

Ich brauchte nicht lange zu warten, bis sie ihre drolligen Spiele anfingen.

Mitten auf der Diele war ein großer weißer Fleck, den hatte der Vollmond dorthin gemalt. Da begannen sie ihre Kunststückchen. wie die geschicktesten Turner und Seiltänzer sag ich euch!

Einmal war Feuermännchen der Reiter und Maus das Pferdchen. Hui, ging’s immer rundum, ohne Sattel und Zaum. Nein, das hättet ihr wirklich sehn müssen! Von Mäuschens kleinen Ohren bis zu Mäuschens Schwanzspitze lief das behände Männchen hin und her, vorwärts und rückwärts, dass sein gelbes Röckchen sich um ihn bauschte und die roten Schuhe klapperten. Dabei machte er noch Purzelbäume und schlug Räder; ich sage euch, mir wurde ganz schwindlig bei dem Anblick.

Oder die Maus lief ihrem Kameraden blitzschnell durch die Beine, rechtsum, linksum, sprang ihm unversehens über den Kopf weg, wieder durch die Beine und lief ihm endlich davon. Dann begann ein tolles Haschen über Stuhl und Tisch, oben und unten; von der Gardinenstange aufs Fensterbrett, von dort auf die Sofalehne oder quer über die Kommode, bis sie sich endlich hatten und müde waren. Dann setzten sie sich artig auf eine Fußbank und streichelten und küssten sich wie ein richtiges Liebespaar.

Bald aber tollten sie wieder wie vorher. Das dauerte so eine gute Stunde; da ging der Mond weg, und Maus und Feuermännchen verschwanden im Ofen, unten, wo schon lange eine Kachel fehlte.

Na, nun wusste ich Bescheid und nahm mir vor, da nun einmal das Mäuschen unserem Feuermännchen sein Schatz war, ihr nichts Böses zu tun. Im Gegenteil, Grete musste jeden Tag ein Puppenschälchen voll Milch vor das Ofenloch stellen; und ich tat ab und zu auch noch einen andern guten Bissen hinein; wusste ich doch, dass auch Feuermännchen kein Kostverächter war.

Bald war das Mäuschen so zahm, dass es sich auch am Tage hervorwagte, ja, es stellte sich zu den Mahlzeiten ein und trug manch Häppchen zu ihrem Schatz ins Ofenloch. Wir nannten sie Frau Grisegrau und hatten sie alle lieb.

Wenn Vollmond war, ließ es mir keine Ruhe; eine Nacht wenigstens musste ich ihrem übermütigen Treiben zusehen. Auch dem Fritz und der Grete machte ich mal im Wohnzimmer ihr Bett, aber die dummen Göhren schliefen immer ein und wussten am andern Morgen nichts vom Feuermännchen und nichts von Frau Grisegrau.

So lebten wir ein paar schöne Jahre zusammen; und wenn die Bratäpfel zur Weihnachtszeit in unserm alten Ofen schmorten und draußen Schnee fiel und der Sturm ging, erzählte ich den Kindern neue Kunststücke von Feuermännchen und Grisegrau, und sie guckten vergnügt ins Ofenloch und sahen das Teufelchen lustig flackern und springen.

Doch nun kommt's traurig, Kinder, denn alles Schöne im Leben hat mal ein Ende.

Eines Tages lag unser Mäuschen tot vor ihrem Loch. Ein fremder Kater hatte sich hereingeschlichen und es erwischt. Ich verjagte ihn, aber ich kam zu spät.

Ich blieb im Wohnzimmer, und als der Mond kam, sah ich unser Feuermännchen klagend um die Leiche gehen. Schließlich nahm er sie auf den Rücken und ging langsam den gewohnten Weg durch die Kachel.

Im Ofen war noch Glut, ich bückte mich, um hineinzusehen, da war er schon mit seiner lieben Grisegrau mitten drin. Hellauf loderten die Flammen, die die kleine Maus begraben sollten; ganz stille hockte das Feuermännchen daneben und sah zu.

Mir war ganz traurig zumute, als ob mir was Liebes gestorben wäre …

Bei uns im Haus wurde es, seitdem Feuermännchen und Griesegrau nicht mehr zusammen spielten, auch still. Der Fritz suchte und fand sein Glück fernab von zu Hause und die Grete wurde Erzieherin in der großen Stadt.

Für mich allein mochte ich zur Weihnachtszeit keine Bratäpfel mehr in den alten Kachelofen legen, und auch das Feuermännchen habe ich seit jener Nacht nicht wieder gesehen.

 

ENDE

Der Kaufmann und der Weihnachtsbaum

 

 

von Rainer Popp

 

 

Was für ein wundersames Ding ich doch bin – grün am ganzen Leib, aber ohne Fleisch und Blut und ohne Knochen und ohne Fell auf dem Buckel. Gummireifen, Kufen oder Zahnräder, die gibt es bei mir ebenfalls nicht zu sehen. Ein Auspuff, der ist auch nicht dran an mir. Und dennoch trete ich in dieser Geschichte als ein Wesen auf, das denken und das fühlen kann und sich was wünschen … und träumen sowieso.

Aber wenn ich gefragt werde, was ich denn darstelle und wie ich aussehe, dann würde ich mich so beschreiben: Mein Körper, der besteht zu hundert Prozent aus Plastik und der ist nur fünfunddreißig Zentimeter groß, und er wiegt noch nicht einmal achtzig Gramm. An meinen verzweigten Armen – es sind elf an der Zahl – da hängen Kerzen, die größer sind als eine Wimper hoch. Vierzehn sind es insgesamt. Ihre Farben, die strahlen rot und gelb und blau und grün. Um meinen ganzen Leib, bespickt mit kleinen Nadeln, ringelt sich von oben bis unten ein Kranz von silbernem Lametta.

Mein Geburtsort: Das ist die 24-Millionen-Einwohner-Stadt Shanghai, die im Süden der Volksrepublik China liegt. Der Name, den man mir gegeben hat, der lautet Weihnachtsbaum mit der Bestellnummer Reg. 77792643. Es gibt Millionen Stück von mir wie ich eins bin; verteilt über die ganze Welt. Ich fange an zu leuchten und ich kann auch blinken, wenn ich unter Strom stehe.

In welchem Ort ich mich gerade befinde, das kann ich noch nicht sagen. Nach einem langen Flug über Stunden um Stunden, nach einer anschließenden langen Fahrt mit der Eisenbahn und nach einer kurzen Fahrt mit einem Lastwagen – in einem großen Karton verpackt mit Dutzenden von anderen Exemplaren – liege ich seit Anfang November in völliger Dunkelheit im Regal eines Baumarktes. Luft kriege ich – ein bisschen zumindest.

Manchmal höre ich Stimmen von Menschen und ich höre Schritte, die an mir vorbeigehen. Aber nach Feierabend, wenn die Kunden gegangen und die Kassen geschlossen sind, dann ist es ganz still um mich herum. Nicht ein einziger Laut ist zu hören und mir ist dann unheimlich zumute.

Und immer wieder stelle ich mir die Frage, wann ich endlich aus meinem stockdunklen Verlies befreit werde und wer es sein wird, der mich kauft und der mich zu sich in seine Wohnung nimmt. In eine Villa vielleicht oder gar in ein Schloss oder zu einer richtigen Prinzessin in ihre Gemächer? Es kann ja auch sein, dass ich bei einem armen Rentner-Ehepaar in der ungeheizten Stube am Heiligen Abend aufgestellt werde und ich dann die ganze Zeit frieren muss; oder ich kehre in das Haus einer Großfamilie mit sieben Kindern ein. Ich höre schon in meiner Fantasie die Lieder, die um die Gabentische gesungen werden. Das würde sicher fröhlich werden. Und ich höre Gitarrenklänge und ich höre ein Klavier dazu spielen.

Das Schlimmste jedoch wäre, wenn mich überhaupt keiner will und ich noch ein weiteres Jahr hier liegen muss, bis zum nächsten Fest mit der Geburt des Jesuskindes – ohne Lichterglanz und ohne den Duft von Pfefferkuchen und Bratäpfeln. Aber noch viel, viel schlimmer wäre es, man sortiert mich ganz aus, weil mich niemand haben will und man wirft mich in einen Abfallcontainer. Und danach geht’s womöglich ab in eine Verbrennungsanlage. Das wäre dann mein sicherer Tod. Oh Gott! Ich mag gar nicht daran denken.

 

*

 

Die Tage vergingen, und sie vergingen, und unser Weihnachtsbaum aus China, den hatte immer noch keine Kundschaft gefunden. Zu beiden Seiten neben ihm, ja da tat sich allerdings was. Da wurden Kartons geöffnet, und da wurde die Ware den Käufern präsentiert. Und die legten die Tannenbäume in ihre Einkaufswagen und schoben damit zur Kasse. Jetzt hörte er zum ersten Mal auch den Preis, den er kostet: 9,99 Euro inklusive Mehrwertsteuer. Ob das viel Geld war oder wenig, das konnte er nicht sagen. Wie denn auch? Er kannte sich ja im Geschäftsleben mit der Bezahlung von Ware und mit der Preisgestaltung von Angebot und Nachfrage nicht aus.

Am nächsten Morgen – es war kurz nach neun Uhr – da wurde er aus seinem Schlaf geweckt, als er Geräusche vernahm, die sich anhörten wie das sanfte Kratzen von Katzenpfoten an einer Tapetenwand. Und zugleich fühlte er, wie er mitsamt dem Pappkarton hochgehoben wurde, wie er ein Stück durch die Luft segelte und wie er auf einer harten Unterlage landete. Es gab einen Krach. Es gab einen Ruck, aber der Aufschlag, der tat ihm überhaupt nicht weh.

Im Gegenteil: Der Weihnachtsbaum, der spürte große Freude aufkommen, weil er nun wusste, dass er nach der langen Wartezeit einen Besitzer gefunden hatte, der für ihn bezahlen und ihn zu sich mitnehmen würde. Es könnte aber auch eine Frau sein, die ihn gerade eben erworben hat oder ein junges Mädchen. Noch konnte er es ja nicht wissen, was ihm geschehen und unter welchen Umständen er sein zukünftiges Dasein erleben würde.

Aber all seine Überlegungen und Vorstellungen und all seine Fantasien, die irrten sich vollkommen. Es war kein Rittersaal, der ihm über die Feiertage als Heimat dienen sollte, es war keine Rokoko-Kommode für ihn als Standort vorgesehen und es war auch nicht das Schaufenster eines Schuhladens, in dem er seinen Platz finden würde. Wo er zu seiner großen Freude noch an diesem Vormittag befestigt wurde, das hätte er nicht einmal zu träumen gewagt. Wäre er ein Mensch gewesen, er hätte angefangen zu juchzen und zu lachen und in die Hände zu klatschen und der hätte fortgefahren, Luftsprünge zu vollführen.

Der Weihnachtsbaum, der thronte – angeklebt mit drei Streifen Isolierband – genau in der Mitte auf dem Armaturenbrett eines Kastenwagens, der dem neunundsechzig Jahre alten Witwer Max Vormann gehörte. Und der hatte diese Art von Plastik-Exemplar, übrigens zum ersten Mal überhaupt seit er denken kann, in einem Baumarkt erstanden und es sofort noch auf dem Parkplatz in seinem Fahrerhaus befestigt.

In diesem Jahr, so war es besonders nach dem plötzlichen Tod seiner Frau seine Absicht, wollte er auch während seiner täglichen Fahrten ein weihnachtliches Gefühl hinter seinem Steuerrad haben. Vor allem am späten Nachmittag, wenn es um diese Jahreszeit bereits zu dämmern begann und die Dunkelheit aufgezogen war, wünschte er sich an seinem kleinen Tannenbaum zu erfreuen, dessen winzige Kerzen sanftes und buntes Licht spendeten.

Mit dem Viertakter, einem 3,5-Tonner, der wie ein Verkaufsstand hergerichtet war, fuhr der große und stämmige Mann seit einer Ewigkeit in den Bergen und Hügeln umher und versorgte in den abgelegenen Dörfern der Eifel die Menschen und die Tiere mit Lebensmitteln aller Art – mit Brot und Backwaren, mit Spirituosen und Bier und mit Wein und mit Sekt und Süßigkeiten. Er führte in seinem Sortiment auch Nikolaus-Männer aus Schokolade und Printen und Pralinen und Puffreis-Kekse und Putzlappen und Parmesankäse und Brennspiritus und Streichhölzer und Korn und Klebstoff und Körperlotion und Karotten und Kartoffeln und Krabben in Gelee und Haarshampoo; Gemüse und Obst und Spielzeugautos, die bot er ebenfalls feil sowie Schlüpfer, Herrensocken, Grillzangen, Schnürsenkel, Wildwest-Hefte, Streichhölzer und Strumpfhosen für Damen. Dosenfutter für Hunde und Katzen, die waren gleich neben den Kaugummi-Päckchen gestapelt.

Die allerliebsten und die begehrtesten und die besonders sehnsüchtig erwarteten Kostbarkeiten von allen, das waren jedoch die mit viel Luft und viel Krimskrams und mit viel Bonbons und viel Schnickschnack gefüllten Wundertüten, von denen Max Vormann stets einen großen Vorrat an Bord hatte. Und die Kinder, Jungen ebenso wie Mädchen, die warteten oftmals schon am Dorfeingang auf die Ankunft des weißen Autos; und sie liefen dann winkend und johlend nebenher, bis der altersschwache Wagen Baujahr 1987 mit quietschenden Bremsen anhielt.

Jetzt in der Vorweihnachtszeit hatte der alte Max Vormann zudem Marzipan-Herzen mehrere Pfund schwer geladen und Weihnachtsmänner und Mandelgebäck und Geleefrüchte. Nüsse und Dominosteine, die konnte man bei ihm ebenso kaufen. Und Sonderbestellungen wie zum Beispiel Hemden, echte Goldfische im Glas oder Dosenöffner, die erledigte er stets zur vollsten Zufriedenheit.

Ohne seine Dienste, die er sechs Werktage die Woche und – auf dringende Nachfrage – gelegentlich auch an Sonn- und Feiertagen anbot, würde seine Kundschaft wohl verhungern, denn in ihren abgelegenen Ortschaften gab es längst keine Geschäfte mehr; auch keinen Schlachter und keinen Bäcker und ebenso keinen Gasthof. Wollten die Bewohner außer der Reihe Besorgungen machen, mussten sie unglaublich lange Wege in die nächste Kreisstadt in Kauf nehmen – bei Wind und Wetter, Regen und Sturm, in brütender Hitze und bei Schnee und Eis. Omnibusse, die fuhren, wenn überhaupt, nur einmal am Tag.

Nachdem er geprüft hatte, dass sein Tannenbaum auch wirklich fest vor der Windschutzscheibe saß, machte sich der Neunundsechzigjährige auf zu seiner alltäglichen Tour über die Dörfer. Und der Weihnachtsbaum, der aus Shanghai stammt, der schaute sich während der Fahrt in einer Landschaft um, die er zum ersten Mal in seinem Leben sah. Wie schön das hier ist, dachte er. Und wie aufregend und wie abwechslungsreich. Birken, Erlen, Eichen, Sträucher, Wiesen, Häuser – ein Anblick, der ihn in Erstaunen versetzte. Ebenso verhielt es sich mit dem Gesicht von Max Vormann, das nicht weniger beeindruckte. Es war bewachsen mit einem weißen Bart, und darin blitzen blaue Augen unter einer schlohweißen Haarpracht auf, von der ihm Strähnen über beide Schläfen hingen. Seine Stimme, die war tief und die krächzte. Seine Hände, die waren ganz schön groß und die konnten zupacken.

In Dudeldorf fing es zu schneien an, und in Schafbillig, wo von insgesamt sechsundachtzig Einwohnern sieben ältere Damen, zwei Männer und drei Enkelkinder auf ihn warteten, kam am Nachmittag hinter den Wolken die Sonne hervor. Es war ein Grad Celsius unter Null, und die Straßen, die wurden immer feuchter und immer rutschiger. Äußerste Vorsicht war abgebracht, wollte man nicht in einem Graben landen.

Im Dörfchen Sülm machte Händler Vormann eine Pause. Dort kehrte er bei einem pensionierten Oberförster ein, der ihm einen Becher voll Lindenblütentee anbot und zwei Scheiben Pumpernickel mit Leberwurst. Hier legte er immer eine Rast ein, wenn er die Strecke befuhr. Und hier wurde er stets als Dankeschön für seinen zuverlässigen Lieferservice bewirtet, der noch niemals ausgefallen war.

„Was mach’ ich bloß, wenn Sie mal krank werden“, sagte der bald Achtzigjährige, nachdem die von ihm bestellten Lebensmittel – Vorrat für mehr als eine ganze Woche – auf dem Küchentisch abgestellt waren. „Dann weiß ich nicht, wovon ich existieren soll. Und im Winter erst recht nicht. Dann ist hier in dieser Einöde die Welt wie mit Brettern vernagelt.“

„Keine Angst. Keine Sorge, mein Lieber. Bloß nicht an schlimme Sachen denken. Ich werd’ schon nicht krank“, antwortete Vormann. „Bin noch nie krank gewesen … seit ich denken kann. Fieber oder so was … das kenn ich gar nicht. Ich hab ’ne Statur wie ein Elefant aus Eisen.“

 

*

 

Und die Tage bis Weihnachten, die vergingen, und sie vergingen wie im Fluge. Noch Dienstag einmal zu Bett gehen und am Mittwoch noch mal schlafen, und dann war der Heilige Abend gekommen. Der Weihnachtsbaum, der über dem Tachometer wackelte, wenn es auf der Straße holperte, der genoss jede Minute, die er mit Max Vormann und dessen Auto zusammen war. Er hörte dem Alten dabei zu, wie der ellenlange Selbstgespräche führte und wie der sich bei seinem lieben Gott darüber beklagte, dass er nun alleine leben musste und ohne seine Frau war. Er hörte ihm dabei zu, wie der vor sich hin fluchte, wenn Motorradfahrer ihn waghalsig überholten, oder er beobachtete den gespitzten Mund, wenn der ein Wanderlied pfiff, weil sich der Fahrer gerade in diesem besonderen Augenblick glücklich fühlte.

Der China-Baum, der hätte sich kein besseres Schicksal für sein Dasein in Deutschland aussuchen können als die Nähe von Max Vormann und als das Gebrumm des Diesels, der schon mehrere hunderttausend Kilometer gelaufen war. Und der Geruch nach Öl, nach heißem Kaffee aus der Thermosflasche und nach Käsebroten, der das Innere des Kraftfahrzeuges erfüllte, der gefiel ihm auch.

In den Nächten allerdings da war es mit der Freude vorbei. Dann fror er und er fühlte sich mutterseelenallein in dem dunklen Fahrerhaus. Wenn es regnete, hörte er die Tropfen auf das Dach des Kleinlasters prasseln. An Schlaf war nicht zu denken. Und wenn der Wind heulte, dann ängstigte er sich.

Die Wunschvorstellung von einst, er wäre gerne auf dem Schloss eines Grafen eingekehrt und hätte dort die Feiertage des Christfestes verbracht, die hatte er längst hinter sich gelassen. Und bei einer Prinzessin wollte er auch nicht mehr sein. Ist eher langweilig bei der. Die schminkt sich womöglich den ganzen Tag, dachte er sich und schaute die nächste Kurve in einem ziemlichen Tempo auf sich zukommen.

Er konnte sich in diesen Momenten nichts Schöneres vorstellen, als mit freier Sicht geradeaus nach vorn über die Kühlerhaube von einer Verkaufsstelle zur anderen zu fahren und dort die Menschen zu beobachten, wie sie die Ankunft der Lebensmittel und der süßen Weihnachtsgaben erwarteten. Und die Kinder erst. Die freuten sich jedes Mal ein kleines Loch in ihre Bäuche, wenn sie Max Vormanns schnarrende Hupe hörten, die fünfmal anschlug – lang, lang, kurz, kurz, kurz.

 

*

 

Endlich war er da – der 24. Dezember. Es war frostig draußen; dunkelgraue Wolken standen tief am Horizont, vor dem die Helligkeit allmählich aufzog und ein paar schmale Korridore von Licht freigab. Für den späten Nachmittag hatte der Wetterbericht dichte Schneefälle mit Sturmböen der Windstärke 7 vorhergesagt.

Max Vormann, der war schon sehr früh aufgestanden und hatte seinen Wagen beladen; mit vielerlei Kleinigkeiten nur, die er bei seiner Kundschaft noch in den allerletzten Stunden vor dem Fest des Heiligen Abends abliefern wollte: Eine Flasche Spiritus für den Fondue-Topf, mehrere Päckchen Kerzen in Rot und Weiß, drei Tüten Zuckerkringel, zwei Laibe Brot und Essiggurken im Glas.

Die wichtigste Ware aber aus seinem Bestand, die hatte er gleich neben sich auf den Beifahrersitz gelegt. Seit einer gefühlten Ewigkeit, so kam es ihm vor, fuhr er immer wieder genau am Tag dieses Datums die Bestellung an denselben Bestimmungsort. Was drin war, in dem runden Paket, das konnte der Weihnachtsbaum nicht wissen. Vielleicht eine Eisenbahn, die im Kreis fährt, überlegte er.

Je höher der 3,5-Tonner den Gipfeln der Eifeler Berge entgegenfuhr, desto ungemütlicher wurde das Wetter.

---ENDE DER LESEPROBE---