Wunderwerk Erde - Christian Klepp - E-Book

Wunderwerk Erde E-Book

Christian Klepp

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Beschreibung

Woraus besteht unsere Erde, und wie funktioniert sie? Geowissenschaftler Dr. Christian Klepp ist schon lange fasziniert von der Beschaffenheit und den Funktionsweisen unseres Planeten. In seinem Buch "Wunderwerk Erde" nimmt uns der Klimaforscher und Landschaftsfotograf mit auf eine spektakuläre Reise an entlegene Orte, die vom ständigen Wandel der Erde – in ihrem Inneren und Äußeren – erzählen. Die Gesteine sind das Gedächtnis dieser ständigen Veränderungen. Ihre Geschichten zu entschlüsseln, ist eines der spannendsten Abenteuer und verdeutlicht uns sogar das Problem der menschgemachten Klimakrise. Mit einer Mischung aus Wissen und persönlichen Erlebnissen, dokumentiert mit seinen atemberaubenden Fotografien, legt Christian Klepp uns die einzigartige Schönheit der Natur und die komplexen Funktionsweisen des Erdsystems in die Herzen. Anschaulich, nachvollziehbar und verständlich – eine Liebeserklärung an unseren Planeten, die zudem deutlich macht, dass wir Menschen nur eine Momentaufnahme in der Geschichte sind, dass die Erde uns nicht braucht – wir sie dafür aber umso mehr. »Dieses Buch ist ein Augenöffner. Es lässt einen andächtig staunen, was für ein einmaliges Wunderwerk unser Planet ist und zeigt, warum wir als Menschheit sehr nachhaltig mit ihm umgehen müssen.« Prof. Dr. Gero Hillmer, Geologe und Paläontologe

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COVERFOTO

DIE INNERE SCHÖNHEIT.

Der Antelope-Canyon in Arizona ist mit seinen extrem glatt polierten Sandsteinwänden ein landschaftliches Juwel auf dem Coloradoplateau im Südwesten der USA. Er erstrahlt in seinem vollen Farbreichtum, wenn das indirekt von den Wänden reflektierte Sonnenlicht den Canyon flutet. Von der schürfenden Kraft des Wassers sommerlicher Gewitter geschaffen, werden die Canyonwände während der Trockenzeiten von windverwehtem Sand geschliffen und poliert. Seine sinnlichen Farben und Formen vollenden sich in einer geradezu intimen Atmosphäre, wenn vereinzelt Büsche des Steppenrollers in seinen Windungen stecken bleiben.

ABBILDUNG IN DER INNENSEITE DES BUCHES

Unter der aufsteigenden Milchstraße spiegelt sich das Mont-Blanc-Massiv im Lac de Chéserys. Nach 5 Jahren vergeblicher Versuche waren nun endlich die notwendigen Bedingungen für dieses Bild vereint: die Milchstraße bei Neumond mit den schnell ziehenden Wolken, der frisch gefallene Schnee, der die Berge leuchten lässt, und die perfekte Spiegelung der Gebirgskulisse im See. Zahlreiche Steinböcke standen während der Aufnahme um mich herum und sahen meinem nächtlichen Treiben neugierig zu.

 

 

 

 

Der Himmel sagt, alles ist zugegen.

Der Berg sagt, sei einfach da.

Die Sonne sagt, fürchte nichts.

Die Sandkörner sagen, sei aufmerksam.

Die Blumen sagen, erinnere dich.

Die Sterne flüstern, du wirst niemals sterben.

John de Kadt

Jede Minute, die wir in der Natur verbringen, ist kostbar gelebte Zeit.

Tala Mohajeri

Begegnung mit der irdischen Seele. Ein Monsungewitter bei Sonnenuntergang über dem Grand Canyon in Arizona zu erleben, bedeutet für mich, bei einem Wunder der Natur anwesend sein zu dürfen. Ich war umringt von viel zu nahen Blitzeinschlägen, die zusammen mit dem rollenden Donner und dem Starkregen in dieser atemberaubenden Landschaft von großartiger Erhabenheit waren. Solche Momente erwecken tief verwurzelte Verbindungen zu unserem Heimatplaneten und schärfen die Erkenntnis, wie einzigartig unsere Erde ist und wie eng wir mit ihr verbunden sind.

 

 

 

 

WIDMUNG

Geliebte Erde, ich danke dir für mein Dasein und verbeuge mich voller Demut vor deiner Schönheit und Vollkommenheit.

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

von Prof. Dr. Hartmut Graßl

AUFAKT

Wie ich die Erde lieben lernte

KAPITEL 1

Sternenstaub

Willkommen an Bord des Raumschiffs Erde

Die skurrile Welt der Atome

Das Wesen des Lichts

Die kosmische Verbindung

Der Lebenszyklus der Sterne

Ein kosmischer Hexenkessel

Wie Phönix aus der Asche

KAPITEL 2

Die Geburt der Erde

Die Zeugung der Erde

Aus Molekülen wird Gestein

Der Planet wächst heran

Die einzigartige Erde

KAPITEL 3

Ein junger, wilder Planet

Eine Zeitreise zum Anbeginn der Erde

Der erste feste Boden

Und dann kam Theia

Ein Ozean aus Magma

Alles Gute kommt von oben

Basalt erobert die Welt

Die Ära der Plattentektonik

Winzige Zirkone mit mächtiger Botschaft

Tonalit-Trondhjemit-Granodiorit

Die vergessenen Winkel der Erde

KAPITEL 4

Zerbrechende Kontinente

Wie sich Nordamerika von der Antarktis trennte

Wenn der Ozeanbodenmotor stottert

KAPITEL 5

Weltumspannende Ozeane

Die Geburt der Ozeane

Das Rückgrat der Erde

Eine Reise zum Grund der Weltmeere

Die Hotspots der Tiefsee

KAPITEL 6

Das Schicksal der Ozeane

Der Mahlstrom der Erde

Die Eigenheiten der ozeanischen Abgründe

Wie zwei Ozeane den Grand Canyon erschufen

KAPITEL 7

Crash! Wenn Kontinente kollidieren

Der Tethysozean in den Alpen

Vom Aufstieg und Fall der Hochgebirge

Drei Gebirge in den Neuseeländischen Alpen

Die alten und die jungen Rocky Mountains

KAPITEL 8

Der Zyklus der Superkontinente

Das Puzzle der Landmassen

Superkontinente im Miniaturformat

Nuna, Rodinia, Laurentia und Gondwana

Pangäa, die All-Erde

Amasia, der Superkontinent von morgen

Die vereinigten Platten von Deutschland

KAPITEL 9

Der Herzschlag der Erde

Wahre Schönheit kommt von innen

Versteinertes Wasser im Ozeanboden

Der Aufstieg des Wassers und der Abstieg der Platten

Von Plattenfriedhöfen und Antikruste

Gestein und Wasser im ewigen Kreislauf

Die Klimakapriolen des Kohlenstoffkreislaufs

KAPITEL 10

Das Klimasystem

Wetter, Witterung und Klima

Der Treibhauseffekt der Erde

Die Zirkulation der Atmosphäre

KAPITEL 11

Ozean, Atmosphäre und Klimawandel

Wie Hochs und Tiefs unser Wetter machen

Die Zirkulation der Ozeane

Wandelbare Atmosphäre

Ice Age

Und dann kam der Mensch

EPILOG

Weshalb wir die Erde lieben sollten

Literaturverzeichnis

Vorwort

Wir leben im Anthropozän, dem Zeitalter, das wesentlich vom Einfluss des Menschen bestimmt ist. Unser Planet ist voll, 8 Milliarden Menschen leben auf ihm, in absehbarer Zeit werden es über 9 Milliarden sein, und er wird von uns zurzeit so übernutzt, dass wir dabei sind, uns selbst als Spezies zu gefährden. Wie kommen wir aus diesem Dilemma heraus? Wie können wir die übliche Existenzdauer einer Säugetierart von einigen Millionen Jahren voll ausschöpfen? Dazu ist eine Grundvoraussetzung die Verhinderung der Übernutzung unseres kleinen Planeten. Eine verbreitete Meinung ist, dass dazu schon der Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien ausreicht. Das stimmt jedoch nur, wenn wir die prinzipiell nicht erneuerbaren Metalle, die wir für diesen Wechsel und viele andere Aktivitäten fast alle brauchen, in einer echten Kreislaufwirtschaft wiederverwenden. Wie gelingt uns das? Die kürzeste Antwort, die mir hier einfällt: Wir müssen unsere Heimat nicht nur verstehen, sondern sie auch lieben.

Beim Lesen von Wunderwerk Erde habe ich – teilweise aufgewachsen in der Kernzone eines Naturschutzgebietes, des jetzigen Nationalparks Berchtesgaden – gemerkt, dass mir als Geowissenschaftler für die tiefe Hochachtung, ja geradezu Liebe zum Planeten Erde, wie sie Christian Klepp empfindet, immer noch einiges fehlt. Nämlich die Erde eindeutig als ein folgerichtiges Ergebnis der astrophysikalischen Entwicklung seit dem Urknall vor über 13 Milliarden Jahren hinweg zu sehen. Dass dazu Explosionen von sehr großen und alten Sternen, Supernovae, notwendig sind, um Elemente schwerer als Eisen zu bekommen, und dass in meinem eigenen Körper noch viele »ewig« lebende Atome aus solchen Sternexplosionen in unserer Galaxie stecken.

Viele von Ihnen werden sich jetzt vielleicht fragen, ob man für die Liebe zur Erde diese oder andere naturwissenschaftliche Details wissen muss, wo doch manche frühen und jetzt an den Rand gedrängten oder erloschenen Kulturen des Homo sapiens allein aus der Ahnung heraus, dass wir Sternenstaub sind, schon ihre die Ökosysteme unseres Planeten achtende Grundhaltung abgeleitet haben. Auf einer vollen Erde mit überwiegend in Städten lebender Bevölkerung und der weltweiten Betonung des Konsums ist das Bewusstsein für die wirklich lebensnotwendigen Dinge – wie saubere Luft und Wasser sowie biologische Vielfalt – bei vielen jedoch nur schwach ausgeprägt, oft fehlt es daran völlig. Außerdem ist zu bedenken, dass auf einer früher zum Teil noch relativ menschenleeren Erde ein sich in die globalen Stoffkreisläufe einfügendes Verhalten viel einfacher gewesen ist. Heute, bei stetig wachsender Weltbevölkerungszahl, ist dieses schonende Verhalten nur noch durch weltweite Zusammenarbeit in völkerrechtlich verbindlichen Verträgen zu erreichen. Eine Grundvoraussetzung für ein solches Handeln ist, die Verletzlichkeit unserer Erde immer besser zu verstehen, was nur mittels interdisziplinärer Forschung gelingt. Ein exzellentes und ermutigendes Beispiel dafür ist der erfolgreiche, inzwischen völkerrechtlich verbindliche Schutz der stratosphärischen Ozonschicht, nachdem in den 1970er- und 1980er-Jahren Geowissenschaftler die Chemie dieser winzigen Beimengung der Luft mit weit unter einem Millionstel Anteil grundsätzlich verstanden hatten. Denn hätten wir die Ozonmenge in der oberen Atmosphäre noch weiter durch Abfälle der Produkte eines nur kleinen Teils der chemischen Industrie verdünnt, wäre das für alle Lebewesen auf dem Land bedrohlich geworden. Eine noch größere Herausforderung, durch fast alle Menschen verursacht, ist es, die Anhäufung des Kohlendioxids in der Atmosphäre als Folge der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas sowie der Entwaldung zu stoppen. Dieses zweitwichtigste Treibhausgas unserer Atmosphäre ist der zentrale Temperaturregulator, es hat nachweislich seit Jahrmillionen über die Eismenge auf den Kontinenten und damit über die Meeresspiegelhöhe bestimmt.

Warum nehmen wir die Bedrohung erst so spät wahr? Die hohe Innovationskraft der meist disziplinär orientierten Wissenschaften und ihr zunehmendes Verständnis in ihrem jeweiligen kleinen Wissensbereich haben seit Beginn der Aufklärung immer stärker Wert auf das neu Machbare gelegt. Erst nach der unbekümmerten Anwendung der neuen Techniken und ersten Schäden an unserer Gesundheit durch Luftverschmutzung wurde etwas stärker interdisziplinär geforscht und unsere Verletzlichkeit sowie – meist etwas später – die der Ökosysteme erkannt. Im günstigsten Falle wurde versucht, mit der Anwendung des Völkerrechts gegenzusteuern. Also haben auch wir Wissenschaftler mit unserer oft stark auf die eigene Disziplin hin orientierten Forschung zur heutigen Übernutzung mit beigetragen. Was Christian Klepp in seinem Buch schildert, sind fast ausschließlich wissenschaftliche Erkenntnisse der vergangenen hundert Jahre, in denen wir so viel Neues gelernt haben, aber auch – für die meisten unbewusst – in das Dilemma des zunehmend übernutzten Planeten gerutscht sind.

Die Lektüre dieses Plädoyers für die Zuneigung zu unserer Erde oder wenigstens für die Achtung vor dem Wunderwerk Erde und damit vor dem Wunder unserer Existenz auf ihr hat mir persönlich so viel neue Einsichten gebracht, dass ich nur eines empfehlen kann: Bitte lesen und staunen – und bitte auch das eigene Verhalten zum Wohle von uns allen ändern. Denn erst durch den Druck der Informierten und zu verändertem Verhalten Bereiten werden die notwendigen Beschlüsse unserer Repräsentanten wahrscheinlich.

Prof. Dr. Hartmut Graßl

Max-Planck-Institut für Meteorologie, Hamburg

AUFTAKT

WIE ICH DIE ERDE LIEBEN LERNTE

»

Überall geht ein frühes Ahnen dem späteren Wissen voraus. Die Natur muss gefühlt werden.

Alexander von Humboldt

Die wilde, allumfassende Stille. Der nächtliche Emerald Lake in den Rocky Mountains mit der emporsteigenden Milchstraße erstrahlt im goldenen Licht der Mondsichel. Eine Nacht so fernab unserer Alltagswelt ist eine unglaublich tief bewegende Erfahrung. Unser Planet ist ein einmaliger und bezaubernder Ort in den Tiefen des Alls und unser aller Zuhause. Solche Nächte in der Wildnis, bei denen ich wiederholt Pumas und Bären begegnete, lehren mich tiefen Respekt und Ehrfurcht und lassen mich nachhaltig umdenken.

Die Natur ist mir Heimat, sie ist mein Zuhause. Je wilder und ursprünglicher sie ist, desto wohler fühle ich mich in ihr. Solange ich denken kann, wohnt eine unbändige Neugier für die Erde in mir. Sie entwickelte sich während meiner Wanderungen als Kind mit den Eltern in den österreichischen Alpen. Dort entdeckte ich die zauberhafte Schönheit vergletscherter Berge, die sich in klaren Bergseen spiegeln, umgeben von üppig grünen Wäldern. Später begann ich dann, mich mit der komplexen Geologie der Alpen zu beschäftigen und deren verblüffend vielfältige Gesteine und Mineralien zu sammeln. Bei meinen Streifzügen wurde ich wiederholt mit Gewittern, Starkregen, Lawinen aus Schlamm und Geröll und Steinschlag konfrontiert. Das war gleichermaßen beängstigend wie faszinierend, und ich wollte die Prozesse verstehen, die diese Naturphänomene verursachen. Mein Wissensdurst gepaart mit meiner tiefen Liebe zur Natur führten mich dazu, die Erde zu studieren. Ich wollte lernen, wie unser Planet funktioniert.

So entschloss ich mich für das Studium der Meteorologie, weil die Physik der Atmosphäre mir die mathematisch-physikalische Beschreibung der Welt eröffnete. Parallel dazu begann ich Geologie und Paläontologie zu studieren, um die erdgeschichtlichen Zusammenhänge zu verstehen. Ich erweiterte meine Studien um die Astronomie, zum Verständnis des Universums, und die Quantenphysik, um in die submikroskopische Welt der Atome vorzudringen. Bei so vielen Fächern dauert ein Studium natürlich länger als üblich, und dafür habe ich beizeiten nicht wenig Kritik einstecken müssen – schließlich bewegte ich mich auf diesem interdisziplinären Weg entgegen der Vorstellung, die darauf gepolt ist, ein fachspezifisches Wissen zu erwerben. Für mich stand stattdessen immer die Erde als Ganzes im Fokus. Ich promovierte im Fachbereich Naturwissenschaften und arbeitete 25 Jahre in der internationalen Klimaforschung.

Während zahlreicher Forschungsreisen, die mich bis in die abgelegensten Winkel des Planeten führten, konnte ich einen tiefen Einblick in die Landschaften und ihre Entstehung gewinnen und sie im großen Zusammenhang der Erde betrachten. Der Klimawandel wurde mir an Bord des Forschungseisbrechers Polarstern bereits 1993 deutlich vor Augen geführt. Ich arbeitete dort zwei Wintermonate auf dem zugefrorenen arktischen Ozean unweit des Nordpols bei Temperaturen von −42 °C. Die Stille und Erhabenheit dieser majestätischen Landschaft aus Eis und Schnee sowie die tägliche Nähe zu den Eisbären waren atemberaubend. Dort wurde mir klar, dass ich auch noch lernen musste, »mit Licht zu schreiben«, also zu fotografieren. Ich erkannte, dass mir die Verbindung aus Geowissenschaft und Fotografie den Schlüssel zum Teilen dieser majestätischen Geschichten in die Hand legte.

Seitdem fotografiere ich unberührte Naturlandschaften und nächtliche Sternenwelten. Im Jahr 2019 verschmolzen endgültig mein Beruf als Geowissenschaftler und meine andere Leidenschaft, die Landschaftsfotografie. So kann ich die erlebten intimen Momente in der Wildnis einfangen, ich kann deren Schönheit und meine dabei empfundenen tiefen Emotionen mit den majestätischen Geschichten verbinden, die die Gesteine uns mitteilen. Damit möchte ich zur Besinnung beitragen, wie kostbar, einzigartig und schützenswert unser Heimatplanet ist. Die Fotografien und geowissenschaftlichen Geschichten, die Sie durch das Buch begleiten, sind meine Liebeserklärung an unseren Planeten.

Beim Schreiben dieses Buches habe ich versucht, die Sicht der Erde einzunehmen. Um unseren Planeten und seine bewegte Geschichte angemessen zu schildern und lebendig werden zu lassen, habe ich das Erdsystem eingehend studiert und mich ihm buchstäblich mit Leib und Seele ausgesetzt. Ich bin durch eiskalte ebenso wie durch kochend heiße Landschaften gestreift, bin mehrmals fast vom Blitz getroffen worden, durfte einer Sonnenfinsternis beiwohnen und den Knall einer explodierenden Sternschnuppe hören. Ich bin auf meinen Wanderungen Eisbären, Pumas und Grizzlybären begegnet, stand ihnen Auge in Auge gegenüber und habe den gegenseitigen Respekt bis ins Mark hinein gespürt. Ich bin mit der Natur eins geworden und habe den Geschichten der Gesteine gelauscht.

Dieses Buch widme ich allen, die neugierig sind, mehr über ihren Planeten zu erfahren, und dies ganz ohne geowissenschaftliche Vorbildung. Ich lade Sie ein auf eine abenteuerliche Reise an Orte, die die Spuren des faszinierenden Werdegangs der Erde in sich tragen.

Wollte ich das gesamte Erdsystem in allem Detail schildern, würde dieses Buch Tausende Seiten umfassen und immer noch nicht vollständig sein. Daher musste ich eine Auswahl treffen, die ganz subjektiv dem entspricht, was ich für besonders relevant und erzählenswert halte. Die Essenz für das Verständnis der Erde lässt sich in drei Worten zusammenfassen: Zeit, Gleichgewichte und Kreisläufe. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch dieses Buch. Wir haben schlichtweg keine Vorstellung davon, wie unglaublich viel Zeit die Erde zur Verfügung hat. Deswegen erscheint uns alles unveränderlich, und wir klammern uns an die Vorstellung, wonach alles so bleibt, wie es ist. Dagegen ist der Normalzustand der Erde tiefgreifender Wandel. Das Gedächtnis der Erde und Bewahrer der Erinnerungen an all diese Veränderungen sind die Gesteine. Die in sie eingeschriebenen Geschichten zu entschlüsseln, gehört für mich zu den spannendsten Abenteuern unserer Zeit.

Die abenteuerliche Geschichte unseres Planeten, seiner Entstehung und Entwicklung sowie seiner fein abgestimmten Verzahnung der beteiligten Bestandteile endet für uns in der Momentaufnahme der Erde, wie wir sie heute kennen. Doch der Weg der Erde zählt nach Jahrmilliarden, zeugt von permanentem Wandel und der Erfolgsgeschichte des Lebens – unsere Momentaufnahme ist für sie bestenfalls ein Wimpernschlag. Wie sehr wir von unserer Erde und deren intakten Ökosystemen abhängig sind, in denen wir verwurzelt leben, wird uns von Tag zu Tag deutlicher vor Augen geführt. Es sind unser unstillbarer Konsum von Energie und Ressourcen sowie die Erlangung von Wohlstand, die im Expresstempo das fein balancierte Gleichgewicht der Erde und seiner Ökosysteme bedenklich ins Wanken bringen.

Das Hauptproblem beim menschgemachten Klimawandel liegt in seinem Tempo. Wir müssen die Erde gar nicht retten, denn die Erde braucht uns nicht. Der Planet hat bereits größere Katastrophen als uns erfolgreich überstanden. Der Umkehrschluss gilt nicht, denn wir sind hochgradig von einer intakten Erde abhängig. Was wir daher retten und schützen müssen, sind die Ökosysteme mit ihren Lebewesen, denn sie stabilisieren unsere fragile Lebensgrundlage.

Als Geowissenschaftler sehe ich einen Planeten, dessen einzige Grenzen die der tektonischen Platten sind. Mein Blick aus dem Flugzeugfenster oder von der Reling eines Forschungsschiffes unterstreicht diesen Blick, denn auch dort kann ich keine Grenzen erkennen. Wir leben auf einer Oase im Weltall, weswegen uns das Wohlergehen unserer Erde höchstes Gut sein sollte. Etwas im Sinne des Planeten zu tun, sollte uns mit Glück und Stolz erfüllen. Dieses Buch soll Mut machen, Tatkraft säen und ein neues Werteverständnis für unseren Planeten schaffen.

Erst wenn wir verstehen, wie unser Planet funktioniert, wie fein orchestriert seine Bestandteile ineinandergreifen und voneinander abhängen, werden wir Empathie für unsere Erde empfinden. Dies ist für mich der Schlüssel zum Erfolg für einen nachhaltigen Umgang mit der Erde. Bekommen Sie Lust auf unsere Erde – und im besten Fall verlieben Sie sich genauso wie ich in ihre Flora, Fauna und ihre Landschaften.

Lernen Sie Ihren Planeten ganz neu kennen!

KAPITEL 1

STERNENSTAUB

»

Wir sind Atome mit Bewusstsein, Materie voll Neugier.

Richard Feynman

Solange man Träume noch leben kann.Das ätherische Leuchten grüner Polarlichter hüllt den Bogen der Milchstraße über den Neuseeländischen Alpen in ein bezauberndes Licht. Dunkel zeichnen sich dünne Schleierwolken gegen den Nachthimmel ab, während die tief verschneiten Gipfel mit Mount Cook und Mount Tasman im Licht des aufgehenden Mondes leuchten. Im Zenit erstrahlt das berühmte Kreuz des Südens und bildet einen starken Kontrast zur benachbarten Dunkelwolke des Kohlensacks.

Während einer Nacht in der Wildnis habe ich viel Zeit, mich ganz dem Eindruck der Tiefen des Alls und meiner Gegenwart in der Natur hinzugeben. Bei Neumond leuchten die Sterne fernab jeder Stadt- und Straßenbeleuchtung so hell, dass man die feinen Details der Milchstraße klar und deutlich mit dem bloßen Auge erkennen kann. Ich atme die kalte Luft und lausche den Geräuschen der Tierwelt um mich herum. Manchmal begegnet man ihr dabei auch. Plötzlich in der nächtlichen Wildnis vor einem Puma oder Grizzly zu stehen, lehrt mich tiefen Respekt und Demut. Ich bin zu Gast in ihrem Zuhause, und jedes Mal ist da diese stille Kommunikation, wie eine unausgesprochene Frage, ob ich willkommen oder zumindest geduldet bin. Solch bewegende Erfahrungen vertiefen den überwältigenden Eindruck, den die Schönheit der Erde und die Pracht des Sternhimmels auf mich ausüben. In diesen Momenten wird mir bewusst, wie klein ich bin, nicht größer oder bedeutender als jedes Sandkorn, und ebenso, dass ich ein Teil des Ganzen bin. Der Aufenthalt in der Natur erdet mich und rückt meine Perspektive auf das Wesentliche mit aller Macht gerade. Der Alltag, in dem wir abgeschnitten von der Natur mit all seiner Hektik leben, rückt dann in weite Ferne, wirkt unbedeutend und manchmal sogar falsch.

Der Anblick des Sternhimmels weckte in mir schon immer Fragen, und vielleicht geht es Ihnen ganz ähnlich. Was macht uns zu dem, was wir sind? Woher stammen all die Bausteine, die uns zu neugieriger Materie mit Bewusstsein formen? Was ist das Wesen dieser Bausteine? Und woraus wiederum bestehen diese Bausteine, aus denen sich das Universum, unser Planet und wir uns zusammensetzen? Antworten auf diese und viele weitere Fragen bekommen wir, wenn wir uns das ganz Kleine und das ganz Große anschauen, uns einerseits die Lupenbrille eines Rastertunnelmikroskops aufsetzen und andererseits unseren Blick mit einem Teleskop in die unendlichen Tiefen des Alls richten.

WILLKOMMEN AN BORD DES RAUMSCHIFFS ERDE

Ich lade Sie ein auf eine kosmische Reise der Superlative, bei der sich Ihr Weltbild schnell auf den Kopf stellt. Dafür müssen Sie nicht einmal vom Sofa aufstehen, denn während Sie diese Zeilen lesen, rast der Planet mit Ihnen durchs All. Allein aufgrund der Erdrotation bewegt sich Ihr Sofa, auf dem Sie jetzt vielleicht gerade ruhig und gemütlich sitzen, mit mehr als 1000 km/h auf seiner täglichen Kreisbahn. Das ist schneller, als ein Jumbojet fliegen kann. Wer schon einmal auf der Autobahn die Hand aus dem Fenster gehalten hat, kann sich ungefähr vorstellen, welchen Luftwiderstand das erzeugen muss. Doch weshalb bemerken wir davon nichts? Der Grund liegt darin, dass sich die Erde mitsamt der Atmosphäre dreht. Dennoch können wir diese rasante Bewegung sehen, nämlich in der Drehung des nächtlichen Sternhimmels, der Wanderung des Mondes und dem Auf- und Untergang der Sonne. Zusätzlich zu dieser Rotation rasen wir, auf unserem jährlichen Weg um die Sonne, mit etwa 108 000 km/h durchs All. Der schnellste bemannte Raumflug brachte es gerade einmal auf 40 000 km/h.

Aber noch weiteren Rotationen sind wir unaufhaltsam und von uns unbemerkt ausgesetzt. Wir umrunden als Teil des gesamten Sonnensystems das galaktische Zentrum der Milchstraße und dies dauert beeindruckende 240 Millionen Jahre. Die Erde hat dieses Zentrum seit ihrer Entstehung erst knapp neunzehnmal umrundet und beim letzten Galaxiesilvester waren die allerersten Dinosaurier die Partygäste. Diese Rotation katapultiert uns auf schwindelerregende 800 000 km/h. Und die Fahrt wird noch wilder, denn unsere Milchstraßengalaxie umrundet wiederum einen tief im All gelegenen Galaxiesuperhaufen mit über 2 Millionen Kilometern pro Stunde. Zudem expandiert der gesamte Kosmos, wodurch sich alles, was sich im Universum befindet, pausenlos voneinander entfernt. All diese Bewegungen überlagern sich, was dazu führt, dass Sie sich niemals wieder an dem Ort aufhalten werden, an dem Sie waren, als Sie dieses Kapitel zu lesen begonnen haben. Aus diesem Blickwinkel betrachtet sind wir alle Astronauten auf unserem Raumschiff Erde. Angesichts solcher Zahlen verlieren wir aber schnell jede Vorstellung davon, was da eigentlich passiert. Deswegen fühlen wir uns meist viel behaglicher mit der Annahme, dass unser Sofa unbeweglich an Ort und Stelle verharrt.

Zudem ist der Blick hinauf in den nächtlichen Sternenhimmel die ultimative Form der Zeitreise. Die Entfernung der Sterne von uns ist so enorm, dass die Astrophysiker das Lichtjahr erfanden, um diese überwältigende Größe auszudrücken. Das Lichtjahr bezeichnet die Entfernung, die Licht in einem Jahr zurücklegen kann, und entspricht 10 Billionen Kilometern, das ist eine Zahl mit dreizehn Nullen! Die hellsten Sterne am Himmel sind zwischen 4 und 2600 solcher Lichtjahre entfernt; das galaktische Zentrum unserer Milchstraße im Sternbild Schütze liegt etwa 26 000 Lichtjahre weit weg. Folglich sind alle Sterne und Sternbilder, die wir am Nachthimmel sehen, eine Momentaufnahme der Zeit, als das Licht diese Sterne verließ. Seitdem war es auf seiner einsamen Reise durch die Tiefen des Alls, bis zu dem Augenblick, in dem es in unsere Augen fiel. Wir können sogar Objekte jenseits unserer eigenen Galaxie mit dem bloßen Auge sehen, beispielsweise die 2,5 Millionen Lichtjahre entfernte Andromedagalaxie. Was wir am Nachthimmel erblicken, ist fossiles Licht. Niemand weiß, wie viele dieser Sterne, die uns so vertraut am Himmel stehen, in der Zwischenzeit erloschen oder explodiert, wie viele seitdem neu entstanden sind und wie der Sternhimmel aktuell tatsächlich aussieht. Unternehmen wir ein kurzes, spannendes Gedankenexperiment und drehen den Blickwinkel einmal um. Erst dann wird uns so richtig bewusst, weshalb der Blick in den Sternhimmel eine Zeitreise ist. Nehmen wir an, eine sehr fortschrittliche Zivilisation betrachtet heute Nacht mit unvorstellbar hochauflösenden Teleskopen unsere Erde. Sagen wir ferner, ihr Heimatplanet befindet sich zufällig im Abstand von 65 Millionen Lichtjahren von der Erde. Was würden diese Außerirdischen heute Nacht zu sehen bekommen? Sie sähen, wie die Dinosaurier in den Himmel starren und wie ein riesiger Asteroid in die Erdatmosphäre eintaucht. Sie wären live dabei, wie die Dinosaurier untergehen. Und sie hätten keinerlei Ahnung von unserer Existenz, denn das Licht, das die Informationen von der Erde trägt – in dem einen Fall von den Dinosauriern, in dem anderen von uns –, benötigt bis zu ihrem Planeten 65 Millionen Jahre.

Was ist eigentlich das Licht, das unsere Welt erhellt, und woraus besteht es? Woraus besteht unsere Erde und woraus wir selbst? Unter dem Bogen der Milchstraße stehend wurde mir klar, dass wir etwas so Großes und Komplexes wie unseren Planeten nur verstehen können, wenn wir den Blick auch auf etwas unvorstellbar Kleines richten. Etwas, das sich vollständig unserer Alltagswelt und Logik entzieht. Etwas, das uns in die Welt der Quantenphysik entführt, in der so ziemlich alles seltsam, fremd, unlogisch und sogar widersprüchlich erscheint. Tatsächlich gäbe es ohne diese skurrile Quantenwelt weder Sterne noch Planeten, und damit natürlich auch uns nicht. Willkommen in der faszinierenden Welt der Atome!

DIE SKURRILE WELT DER ATOME

Atome besitzen Eigenschaften, die Generationen von Wissenschaftlern an ihrem eigenen Verstand haben zweifeln lassen. Atome sind sogar fantastischer, als es sich Science-Fiction-Autoren je hätten ausdenken können. Doch keine Angst, es ist nicht meine Absicht, Sie auf den nächsten Seiten in die Tiefen der Quanten- und Atomphysik zu entführen. Stattdessen möchte ich die wesentlichen Zusammenhänge darstellen, die für unseren Planeten und unsere eigene Existenz von immenser Bedeutung sind. Sie gewähren einen tiefen Einblick darin, wie unsere Welt wirklich aufgebaut ist und wie sie funktioniert.

Wir sind im wahrsten Sinne des Wortes Sternenstaub, und die Schönheit der Erde besteht zu 100 Prozent aus Atomen. Sie weben unsere kosmische Verbindung zurück bis zum Urknall und bis in die Sterne. Sie verknüpfen die unendlichen Tiefen des Alls mit ihrer submikroskopischen Welt und unserem Alltag. Kurz, sie stellen das fundamentale Wesen der Natur dar. Deswegen beginnt die Biografie der Erde bei den Atomen und den Sternen, also schon bei ihrer Zeugung und nicht erst bei ihrer Geburt.

Viele von uns beschleicht unwillkürlich ein Unbehagen, wenn von Atomen die Rede ist. Unangenehme Erinnerungen an den Chemie- und Physikunterricht stellen sich dann ein oder wir denken an Atomkraftwerke, Atomraketen und radioaktive Strahlung. Bitte einmal tief ein- und ausatmen und entspannen! Dass dem Wort »Atom« in unserer Alltagswelt oft etwas Negatives anhaftet, sollte uns nicht irritieren. Atome sind die Grundbausteine der Materie. Alle Galaxien mit ihren ungezählten Sternen bestehen aus Atomen und aus ihnen wurde unser Planet – und wir selbst, denn wir alle, Sie und ich, sind neugierig gewordene Ansammlungen von Atomen, die Bewusstsein erlangt haben.

Atome sind extrem stabil und so unglaublich langlebig, dass sie, einmal entstanden, quasi ewig existieren. Sie sind sozusagen die Legosteine der Natur. Denn wie diese werden sie im Kreislauf der Materie pausenlos recycelt und ständig zu neuen Dingen rekombiniert. Jeder Atemzug, den wir nehmen, enthält ein paar Sauerstoffatome, die bereits ein Dinosaurier eingeatmet hat. Jeder Schluck Wasser, den wir trinken, enthält Atome, die vor Milliarden von Jahren tief im Erdinneren verweilten und irgendwann von einem Vulkan in die Atmosphäre geschleudert wurden. Unzählige Male waren die Atome in unserem Kaffee bereits Wolken und Regen und füllten Flüsse und Ozeane. Die Kohlenstoffatome, die unseren Körper aufbauen, das Eisen in unserem Blut und das Kalzium in unseren Knochen waren vormals nicht nur Bestandteil urzeitlicher Reptilien und Gestein in Hochgebirgen; vielmehr stammt jedes Atom in Ihnen aus den Tiefen des Alls. Zudem besitzen wir alle, Sie und ich, unsere Atome nicht, sie sind lediglich Gäste auf Zeit in uns, Wanderer, die sich nicht aufhalten lassen.

Als ruhelose Geister nehmen sie es mit ihrem angewiesenen Platz auch nicht so genau. Je höher die Temperatur ist, desto schneller schwirren die Atome in ihrem Verbund hin und her. In jeder Sekunde wechseln Milliarden von Atomen ständig ihren Platz. Dies tun sie beispielsweise nicht nur in einem Stein, sondern auch in Ihrer Hand, in der Sie den Stein halten. Im Laufe der Zeit verursachen sie dadurch das Altern aller Materialien und auch unser eigenes Altern. Man kann den Atomen ihren Bewegungsdrang nicht verbieten: Sobald die Temperatur über dem absoluten Nullpunkt liegt, bewegen sie sich. Da dieser −273 °C beträgt, lässt sich das Altern niemals aufhalten. Während unseres Lebens wuseln sie nicht nur in uns herum, sie verlassen uns ständig und werden, ohne dass wir dies bemerken, von anderen Atomen ersetzt. Dabei sind sie nicht nur austauschbar, sondern sogar ununterscheidbar. Wenn wir sterben, werden sie wie Bauklötze oder die erwähnten Legosteine allesamt für etwas anderes wiederverwendet – eine Art kosmisches Recycling. Oder weniger nüchtern: Atome realisieren buchstäblich die Reinkarnation. Während nur wenigen von uns das Glück beschert ist, gesund und munter einhundert Jahre alt zu werden, ist das Mindesthaltbarkeitsdatum der Atome erst mit dem Ende des Universums erreicht. So ruhelos und austauschbar Atome auch sind, sie selbst bleiben stabil und ewig jung.

Uns so vertraute Messgrößen wie die Temperatur und der Druck, ganz gleich ob als Lufttemperatur, Körpertemperatur, Luftdruck oder Reifendruck, beweisen die Existenz der Atome. Je mehr Atome sich auf engem Raum drängeln, desto häufiger stoßen sie aneinander und trommeln wie Billardkugeln an unsere Messgeräte. Das statistische Verhalten dieses unauflösbaren Gewimmels von Atomen der Luft oder des Wassers ergibt ein mittleres Maß, das wir als kalt oder warm, viel oder wenig Druck wahrnehmen. Dies erklärt sogar, weshalb wir uns durch die Luft und das Wasser hindurchbewegen können: Die Atome der Luft und des Wassers gleiten wie kleine Kügelchen frei um uns herum. Deshalb weht uns der Wind um das Gesicht herum und deshalb können wir im Wasser schwimmen. Wenn die Temperatur eines Gesteins 1300 °C erreicht, hält es die umherschwirrenden Atome, die das Gestein bilden, gar nicht mehr auf ihren Plätzen. Aus festem Gestein wird dann flüssiges Magma. Nichts anderes passiert beim Wasser. Zwischen 0 und 100 °C ist es flüssig, darüber gasförmiger Wasserdampf und darunter festes Eis. Bei welchen Temperaturen Materie ihren Aggregatzustand von gasförmig über flüssig zu fest wechselt, bestimmen die die Materie aufbauenden Atome sowie die Geschwindigkeit, mit der sie sich bewegen. In diesem Buch wird sehr oft die Rede von Temperatur und Druck sein. Denken Sie immer daran, dass es das Gewimmel der Atome ist, das beides hervorruft.

Aber was sind Atome eigentlich? Die Idee, dass Materie nicht unendlich teilbar ist, sondern aus kleinsten Grundbausteinen besteht, verfolgten schon die griechischen Philosophen der Antike, unter ihnen Demokrit, gut 450 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Das Atom war zu dieser Zeit natürlich nur ein Gedankenkonstrukt, beweist aber die Genialität dieser Denker, denn sie hatten mit ihrer Vermutung im Prinzip recht. Von ihnen stammt auch das Wort »atomos«, was »das Unteilbare« bedeutet. In der Tat gelangt man zu den Atomen, indem man ein beliebiges Stück Materie, einen Stein oder einen Grashalm, halbiert und die Hälften dann immer wieder halbiert. Allerdings sind Atome so unvorstellbar winzig, dass 10 Millionen von ihnen aneinandergereiht so breit sind wie der Punkt am Ende dieses Satzes. Ihr Aussehen ähnelt dem Inneren eines Eierkartons. Allerdings sind sie tatsächlich keineswegs unteilbar und daher im eigentlichen Sinne auch nicht die Grundbausteine der Natur. Dennoch bilden sie das Alphabet der Natur aus 92 Buchstaben. Das liegt schlichtweg daran, dass sie sich nicht freiwillig zerkleinern lassen und stattdessen innig zusammenhalten. Diese 92 verschiedenen Atomsorten sind die Elemente, vom leichtesten Wasserstoff bis zum extrem schweren Uran. Jedes Atom hat einen Kern und eine ihn umgebende Hülle. Beim Wasserstoff besteht der Kern aus einem einzigen Proton und die Hülle aus einem einzigen Elektron. Die Atomkerne aller anderen, schwereren Elemente weisen dagegen zusätzlich zu den positiv geladenen Protonen auch elektrisch neutrale Neutronen im Kern auf. Die Elektronen in der Hülle sind dagegen immer negativ geladen, weswegen das Atom insgesamt elektrisch neutral ist. Die Anzahl der Protonen muss immer identisch mit der der Elektronen sein, damit sich positiv und negativ ausgleichen. Die Anzahl der neutralen Neutronen darf variieren und von der Anzahl der Protonen abweichen. Auf diese Weise entstehen zu den Mutterelementen verschieden schwere Tochterelemente, die Isotope des jeweiligen Elements genannt werden. Wie wir noch sehen werden, ist dies ein Geschenk der Natur, das uns hilft, die Erde besser zu verstehen: Denn weil die Isotope eines Elements verschieden schwer sind, verhalten sie sich auch verschieden, zum Beispiel bei der Verdunstung von Wasser.

Die Anzahl der Protonen im Atomkern bestimmt, um welches Element es sich handelt: 1 macht Wasserstoff, 8 ergibt Sauerstoff, 79 stecken im Gold und 92 im Uran. Das schwere Uranatom ist ein wahres Elementmonster, bestehend aus 92 Protonen und 146 Neutronen, also 238 Kernbausteinen, und nochmals 92 Elektronen in seiner Hülle. Dies ist auch der Grund, dass es radioaktiv ist. Vorausgeschickt sei, dass radioaktive Elemente über eine Kette jeweils leichterer Elemente in ein stabiles, nicht radioaktives Endprodukt zerfallen. Der Grund dafür ist die schiere Größe dieser Elemente. Eine der grundlegenden Kräfte der Natur, die starke Wechselwirkung, sorgt für den innigen Zusammenhalt eines Elements. Sie schweißt die Kernbausteine so unzertrennlich zusammen, dass sie quasi bis in alle Ewigkeit existieren. Diese immense Kraft hat aber eine extrem kurze Reichweite und verliert bereits in einer Entfernung von einem Hunderttausendstel des Atomdurchmessers ihren Einfluss. Nehmen wir nun wieder das Uran in den Blick, so stellen wir fest, dass sie deshalb auch nicht auf die Elektronen in der Atomhülle wirkt – der Atomkern des Urans ist schlichtweg zu groß, als dass die starke Wechselwirkung ihn stabil zusammenhalten könnte. Deshalb zerfällt das Uranatom unter Abgabe hochenergetischer und für das Leben tödlicher Strahlung stufenweise zu kleineren Atomverbänden. Dieser Prozess hört genau dann auf, wenn der Atomkern eine Größe erreicht hat, die von der starken Wechselwirkung dauerhaft zusammengehalten werden kann. Im Falle des Urans führt dieser Weg über achtzehn radioaktive Zwischenstufen zum stabilen Atomverband des Bleis. Blei ist zwar giftig, aber nicht mehr radioaktiv. Die beim Zerfall freigesetzte Energie durchströmt den Planeten und heizt ihn enorm auf. Mit diesem Wissen lässt sich auch das Alter der Gesteine präzise ermitteln, denn der Zerfall folgt, zumindest im Mittel, nach streng von der Natur festgelegten Regeln. Dennoch ist er im Einzelfall zufällig. Atome verhalten sich eben nicht alltagstauglich.

Ein genauerer Blick in die Struktur der Atome offenbart eine verblüffende Welt. Die Elektronen in der Atomhülle tragen so gut wie nichts zur Masse des Atoms bei, bestimmen jedoch vollkommen seine Größe. Umgekehrt ist der Atomkern hunderttausendmal kleiner als das Atom selbst, enthält aber mehr als 99,99 Prozent seiner Masse. Um uns diesen absurden Sachverhalt zu verdeutlichen, stellen wir uns ein Atom als ein etwas wunderliches Fußballstadion vor. Auf dem Anstoßpunkt in der Stadionmitte befindet sich der Atomkern mit seinen dicht gedrängten Protonen und Neutronen. Er hat die Größe einer Fliege, wiegt aber so viel wie das gesamte Stadion. Irgendwo auf den äußeren Rängen umschwirren die Elektronen das Stadion wie in einer La-Ola-Welle. Diese Elektronen wiegen quasi nichts und sind viel kleiner als Stecknadelköpfe. Der gesamte Raum zwischen dem Anstoßpunkt und den oberen Rängen besteht aus nichts! Mit anderen Worten bestehen Atome im Wesentlichen aus leerem Raum. Könnte man all diesen leeren Raum aus ihnen verbannen, hätte die gesamte Menschheit Platz auf einem Teelöffel. Es ist bizarr und auch erschreckend, aber Materie besteht zu mehr als 99,99 Prozent aus nichts!

Zudem können Atome mühelos an zwei Orten gleichzeitig sein. Doch in unserer Erfahrungswelt bemerken wir davon nichts. Ein Stein ist solide und nie an zwei Orten gleichzeitig, der Boden unter unseren Füßen ist fest. Wir können uns anfassen und feststellen, dass wir materiell sind und offensichtlich nicht aus leerem Raum bestehen. Der Grund, weshalb Atome sich so anders verhalten, obwohl sich alles aus ihnen zusammensetzt, ist, dass unsere Erfahrungswelt aus einer gigantisch großen Ansammlung von Atomen besteht. Ihr Zusammenwirken – ein Phänomen, das Superposition genannt wird – lässt die seltsamen Quanteneffekte einzelner Atome zusammenbrechen. Als Resultat bemerken wir, wie bei der Temperatur und dem Druck, auch bei der Festigkeit von Materialien nur deren mittlere, statistische Eigenschaften. Deswegen erscheint uns die Quantenwelt, in der wir leben, so fremd und unlogisch: Wir können niemals einzelne Atome betrachten. Wir sind gigantische Ansammlungen von Atomen, und deren mittleres Verhalten erschafft die uns so vertraute Welt.

Seit Albert Einstein wissen wir, dass Masse und Energie äquivalent zueinander sind. Das bedeutet, Masse kann in Energie umgewandelt werden und umgekehrt kann Energie zu Masse werden. In unserer Alltagswelt ist das undenkbar, denn weder verschwindet ein Kugelschreiber in einer Wolke aus Energie noch materialisiert sich ein Jumbojet aus dem Nichts. Weshalb funktioniert dieser seltsame Trick auf atomarer Ebene in der Quantenwelt? Die geradezu magische Antwort liegt darin, dass die Wandlung von Energie in Masse mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit verknüpft ist. Die Lichtgeschwindigkeit ist das kosmische Tempolimit und beträgt unvorstellbare 300 000 Kilometer pro Sekunde. Mit dieser Geschwindigkeit benötigt das Licht von der Sonne zur Erde gerade einmal 8,5 Minuten. Mit einem Raumschiff, das mit Lichtgeschwindigkeit fliegt, würden wir innerhalb von 3 Minuten zum Mars reisen. Jetzt stellen Sie sich einmal das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit vor. Diese unvorstellbar gigantische Zahl steht den unfassbar winzigen Massen einzelner Atome gegenüber. Alles, was quasi unendlich schnell ist und nichts wiegt, verhält sich als Resultat daher absurd und unlogisch. Genauso verhalten sich Atome. Unsere Alltagswelt besteht aber aus einer Kombination unendlich vieler Atome. Aus Sicht eines einzelnen Atoms ist unsere Alltagswelt daher unendlich langsam und extrem schwer. Unsere gewohnte Welt stellt die Bedingungen der Quantenwelt quasi auf den Kopf. Schnell und leicht wird zu langsam und schwer. Deswegen haben wir den Eindruck, dass in der Welt der Atome alles seltsam ist. In Wirklichkeit liegt es nur am Blickwinkel des jeweiligen Betrachters.

DAS WESEN DES LICHTS

Als wäre all dies nicht schon schwer genug zu verstehen, verhalten sich die Atome und ihre Elektronen gleichzeitig wie winzige, punktuelle Teilchen und wie riesige, ausgedehnte Wellen. Die Physik spricht hier vom Welle-Teilchen-Dualismus. Zudem gibt es in der Welt der Atome sogar Teilchen, die erst eine Masse bekommen, sobald sie sich bewegen. In Ruhe wiegen sie gar nichts. Sie sind geisterhafte Quantenobjekte, die von Atomen ausgespuckt und wieder verschluckt werden. Atome, genauer gesagt ihre Elektronen in der Hülle, sind in der Lage, spontan Wellen auszuspucken, die fünftausendmal so groß sind wie sie selbst. Ein anderes winziges Atom verschluckt diese gigantische Welle wieder. Es ist ungefähr so, als ob Sie Ihre Haustür öffnen und spontan der Chiemsee wie ein gigantischer Tsunami aus Ihrer Wohnung herausbricht. Als dann Ihr Nachbar seine Haustür öffnet, verschwindet der Chiemsee spontan in seiner Wohnung. Falls Sie sich gerade fragen, was derart magische Quanteneffekte mit unserer Welt, in der wir leben, zu tun haben, so ist die Antwort: nichts weniger als alles. Diese geisterhaften Quantentsunamis heißen Photonen und sie erhellen unsere Welt; es handelt sich dabei um das Licht. Wenn Sie einen Lichtschalter betätigen und sich der dunkle Raum erhellt, brechen Photonen in einer Sturzwelle über den Raum herein. Die Atome der Sehzellen in Ihrem Auge verschlucken dieses Licht und aus dieser Information setzt Ihr Gehirn ein Bild Ihrer Umwelt zusammen. Wenn Sie das Licht wieder ausschalten, wird es schlagartig dunkel. Die Sintflut der von der Glühbirne ausgesendeten Photonen wird mit Lichtgeschwindigkeit von den Atomen des Raumes, der Wände und der Einrichtung verschluckt. In der Abwesenheit von Photonen stehen wir im Dunkeln. Wie kann es sein, dass etwas so Winziges wie ein Elektron etwas so Riesiges wie eine Lichtwelle ausspuckt? Die Antwort ist, dass Licht ebenfalls dem Welle-Teilchen-Dualismus gehorcht. Wir können das nicht begreifen, weil es in unserer Erfahrungswelt der großen Dinge kein Pendant dazu gibt. In Wahrheit ist Licht vermutlich weder ein Teilchen noch eine Welle, sondern irgendwie beides gleichzeitig.