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Wolf Dieter Blümel

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Beschreibung

Wüsten - alles andere als trocken Faszination und Vielfalt - die Gesichter von Wüsten sind reich an spannenden Facetten, die es sich zu entdecken lohnt! Grundlagenwissen über das Wesen, die Ursachen und die landschaftliche Entwicklung von Wüsten. Das integrative Zusammenspiel zwischen Klima, anorganischem Stoffkreislauf und Biosphäre wird im Zusammenhang mit der wechselhaften Klima- und Reliefgeschichte dargestellt. In dieser Form einzigartig: umfassend, eindrucksvoll und reich bebildert! Für Studium und Praxis der Geographie, Geologie, Geoarchäologie sowie alle Interessierte. Sammeln Sie aktuelles Wissen auf der Reise in die faszinierende Welt der Wüsten.

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Wolf Dieter Blümel

Wüsten

Entstehung, Kennzeichen, Lebensraum

Ulmer E-Books

Inhaltsverzeichnis

Die UTB-ReiheÜber den AutorImpressumVon Zeit ...1 VorbemerkungDank2 Wüste: Kennzeichen, Begriffsinhalt, Differenzierung2.1 Merkmale zur Charakterisierung von Wüsten2.2 Heiße/warme Wüsten: Definition und Differenzierung2.3 Hygrische Abgrenzung der Wüsten3 Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten3.1 Antarktische Vereisung: neogene Abkühlung und Aridisierung3.2 Zur Geschichte der Wüste Namib3.3 Afrika im Quartär (Jungpleistozän und Holozän)3.4 Kulturgeschichtliche Entwicklung in Wüsten und an Wüstenrändern4 Wüstentypen: Ursachen ihrer Entstehung4.1 Großklimatisch bedingte Wüsten: Wendekreiswüsten (Passatwüsten)4.2 Kontinental-klimatische Wüsten4.3 Orographische Wüsten (Regenschattenwüsten)4.4 Edaphische Wüsten4.5 Küstenwüsten4.6 Kältewüsten und Hochgebirgswüsten4.7 Komplexe Wüstentypen (Mischtypen)4.8 Desertifikation: anthropogene Wüstenbildung5 Verbreitung und Flächenanteile der WüstenDie wichtigsten ...6 Allgemeine Kennzeichen des Wüstenklimas6.1 Niederschläge und ihre raum-zeitliche Variabilität6.2 Temperaturverhältnisse6.3 Verdunstung (Evaporation)7 Wüste als Lebensraum7.1 Vegetation in Wüsten7.2 Fremdlingsflüsse und Flussoasen7.3 Oasen7.4 Wüstenfauna8 Verwitterung und Stoffneubildungen8.1 Insolations-/Temperaturverwitterung8.2 Hydratation: synergetische Verwitterung8.3 Salzverwitterung8.4 Wüstenlack, Hartrinden und Wabenverwitterung8.5 Tafonierung (Hohlblockbildung)9 Wüstenböden9.1 Kennzeichen von Wüstenböden9.2 Bodentypen der Wüsten und Halbwüsten9.3 Pedogene Kalkkrusten10 Geomorphologie der Wüsten10.1 Paläogeographische Aspekte10.2 Geomorphologische Wüstentypen11 Aktuelle Reliefbildungsprozesse11.1 Schwerkraftwirkung11.2 Windwirkung (äolische Prozesse)11.3 Reliefformung durch WasserRegionalteil12 Wüsten in Afrika12.1 Sahara: größte Extremwüste12.2 Namib: Küsten- und Wendekreiswüste12.3 Kalahari – eine vorzeitliche Wüste13 Die nordchilenisch-peruanischen Wüsten13.1 Wüstenklima und Vegetationaspekte der peruanischen Atacama13.2 Die chilenische Atacama: Küsten- und Binnenwüste14 Australien – Kontinent der (Halb-)Wüsten14.1 Klimakennzeichen14.2 Vegetationsverhältnisse14.3 Geomorphologische Wüstentypen und Landschaftsgeschichte14.4 Böden australischer Wüsten und Halbwüsten14.5 Zur Umwelt-, Siedlungs- und Kulturgeschichte15 Asien: Takla Makan und Gobi – extreme Binnenwüsten15.1 Tarim-Becken: Wüste Takla Makan, Tarim-Fluss, Tugai-Wälder und Lop Nor15.2 Wüste Gobi16 Kältewüsten der PolarregionenWärmemangelgrenze16.1 Arktische Kältewüsten16.2 Antarktische Kältewüsten17 Ausblick: Zur Zukunft der WüstenServiceBildquellenAbkürzungsverzeichnis/ErläuterungenLiteratur
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Prof. Dr. Wolf Dieter Blümel, Studium der Fächer Geographie, Geologie, Volkswirtschaft und Vor- und Frühgeschichte an den Universitäten Münster und Würzburg. Promotion zum Dr. rer. nat. (1972), Habilitation für das Fach Physische Geographie (1980), Prof. für Geomorphologie und Geoökologie an der Universität Karlsruhe (1981–1987). Seit 1987 Lehrstuhl für Physische Geographie und Direktor des Instituts für Geographie an der Universität Stuttgart (seit April 2010 im Ruhestand).

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Impressum

Die in diesem Buch enthaltenen Empfehlungen und Angaben sind vom Autor mit größter Sorgfalt zusammengestellt und geprüft worden. Eine Garantie für die Richtigkeit der Angaben kann aber nicht gegeben werden. Autor und Verlag übernehmen keinerlei Haftung für Schäden und Unfälle.

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

© 2013 Eugen Ulmer KG

Wollgrasweg 41, 70599 Stuttgart (Hohenheim)

E-Mail: [email protected]

Internet: www.ulmer.de

 

ISBN 978-3-8252-3882-7 (Print)

ISBN 978-3-8463-3882-7 (e-Book)

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Von Zeit zu Zeit braucht jeder Mensch ein wenig Wüste

Sven Hedin

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1Vorbemerkung

Anliegen dieses Buches ist es, Wesensmerkmale der Wüsten aus geographischer Sicht zu beschreiben und zu erklären. Mit fast 30 Mio. km2, das sind etwa 20 % der Kontinentflächen, nehmen echte Wüsten einen beträchtlichen Teil des Globus ein. Zählt man die geringfügig feuchteren Halbwüsten hinzu, kommt man auf ~50 Mio. km2 (= 1/3 der Festlandsflächen). In der internationalen Literatur variieren die Flächen- und Prozentangaben beträchtlich – je nach Definition des Begriffs Wüste und der verwendeten Abgrenzungskriterien wie Ariditäts- oder Vegetationsindizes.

Wie andere Ökozonen/Zonobiome oder Großräume der Erde (Tundren, Boreale Wälder, Steppen, Savannen, tropische Regenwälder usw.) sind auch Wüsten als Lebensräume zu betrachten. Damit wird auch neben einer klimatischen, orographischen oder edaphischen Verursachung eine vegetationsgeographisch ausgerichtete physiognomische Definition bevorzugt.

Hauptziel der hier zwangsläufig selektiven Informationen ist es, das Phänomen Wüste aus dem landschaftlichen Blickwinkel zu betrachten, das Verständnis für geo- und biowissenschaftliche Prozesse, kausale Zusammenhänge und vor allem für die Veränderlichkeit in Zeit und Raum zu verstärken sowie darin die kulturhistorische Bedeutung zu betonen.

Der inhaltliche Schwerpunkt liegt im ersten Teil des Buches in einer physisch-geographischen Beschreibung und Erklärung des Phänomens Wüste. Es wird versucht, ein Grundverständnis für die Existenz von Wüsten sowie für deren repräsentative Klima- und Vegetationsverhältnisse mit ihren ökologischen Wechselwirkungen zu vermitteln. Die weltweit unterschiedlichen Physiognomien von Wüsten erklären sich zum Teil aus der Landschafts- und Erdgeschichte. So ermöglichen geomorphologische Wüstentypen (Sand-, Fels-, Geröll- oder Salzton-Wüsten) eine äußerliche Differenzierung und Erklärung des jeweiligen Landschaftscharakters unter dem Aspekt eines erdgeschichtlich jungen Klima- und Umweltwandels. Die aus Vorzeitmilieus vererbte Oberflächengestalt der Wüsten wird unter aktual-klimatischen Bedingungen teilweise transformiert und weiterentwickelt. Hierzu werden die wesentlichsten Prozesse der Verwitterung und Stoffverlagerung vorgestellt. Da klimatischer Wandel nicht nur ein Gegenwartsthema ist, sondern auch in den jüngsten Jahrtausenden eine eigene „Kulturgeschichte der Wüsten“ ermöglicht hat, wird bereits eingangs mit einigen Beispielen auf diese oft unbekannte Rolle hingewiesen. Bei weiter wachsender Erdbevölkerung wird auch der Nutzungsdruck auf die Randbereiche der Wüsten und die semi-ariden Gebiete immer stärker: In einem Abriss wird das Problem der Desertifikation, der vom Menschen verursachten Wüsten als eine aktuelle, die semi-ariden und ariden Lebensräume bedrohende, klimawirksame Entwicklung erörtert.

Im zweiten Teil werden ausgewählte Wüsten vorgestellt. Einen umfassenden Überblick über alle potenziell möglichen Themen kann dieses Buch nicht liefern. Im Vordergrund stehen physisch-geographische Kennzeichen, die die Individualität der einzelnen Wüsten herausstellen. Hinzukommt der Versuch, die klima- und landschaftsgeschichtlichen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte zusammenzufassen, zumal aufgrund ständig verbesserter Analyse- und Datierungsmethoden teils frappierende neue Erkenntnisse und Einordnungen zur Dynamik und Qualität des Umweltwandels in der jüngsten erdgeschichtlichen Phase erarbeitet wurden. Wie sehr der Mensch in diese Entwicklungen eingebunden war und wie er unter dem Regime geänderter klimatisch-landschaftlicher Rahmenbedingungen seine Entfaltungsmöglichkeiten nutzte oder er auf prekäre Umstände reagieren musste, zeigt sich eindrucksvoll am Beispiel der Sahara oder der Peruanischen Atacama. Diese geoarchäologischen Befunde sollen die Rolle der (veränderlichen) Wüsten betonen und ihre siedlungs- und kulturhistorische Bedeutung herausstellen.

Neuere anthropo- und wirtschaftsgeographische Entwicklungen wie der Strukturwandel in den Oasensiedlungen und Gesellschaften, die urbaner Räume und Projekte (Dubai u. a.) können nicht berücksichtigt werden, ebenso wenig die realisierte oder geplante landwirtschaftliche Erschließung oder Rohstoffpotenziale. Die Literatur über Trockengebiete füllt ganze Bibliotheken: Tiefer in die zahllosen spezifischen Themen und Fragestellungen einzudringen, verlangt eigene Literaturstudien.

Dank

Mein besonderer Dank gilt Frau Dipl.-Geogr. Bettina Allgaier für die engagierte Anfertigung zahlreicher Abbildungen, Dr. Ingrid Stengel (Windhoek) für die Bearbeitung einiger Satelliten- und Luftaufnahmen, Prof. Dr. Helga Besler (†), PD Dr. Stefan Kröpelin und Prof. Dr. Michael Succow für einige Fotobeiträge, Prof. Dr. K. Gießner für Grafik- und Datenunterlagen. Herrn Dipl.-Geogr. Bernhard Jakob bin ich für seine EDV-technische Unterstützung, den ehemaligen studentischen Hilfskräften Beate Fleischer und Julia Stahl für vorbereitende Literaturrecherchen sehr dankbar. Frau Sabine Mann, Antje Munk und Herrn Jürgen Sprenzel vom Verlag Eugen Ulmer danke ich für die redaktionelle Betreuung und für die technische Unterstützung bei der (foto)grafischen Ausstattung des Buches, Herrn Bernd Burkart für das Layout.

Der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) sei gedankt für die Unterstützung zahlreicher Forschungsaufenthalte in heißen Wüsten wie auch in den Kältewüsten beider Polargebiete. Die Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Stuttgart e.V. (GEV) bewilligte großzügig zwei Untersuchungen zu vorzeitlichen Siedlungen in der Namib-Wüste. In diesem Kontext gebührt den Kollegen Prof. Dr. Klaus Hüser, Prof. Dr. Bernhard Eitel und AOR Dr. Joachim Eberle zutiefst Dank für viele gemeinsame Geländekampagnen und die dabei erfahrene Kameradschaft.

Wolf Dieter Blümel

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2Wüste: Kennzeichen, Begriffsinhalt, Differenzierung

Kaum ein Landschaftstyp ist begrifflich so widersprüchlich belegt wie die Wüste: Öd und leer, monoton, nutzlos, lebensfeindlich, bedrohlich, erbarmungslos … Die Wüste als horror vacui – als der Schrecken der Leere – ist wohl eher eine europäisch-abendländliche Sichtweise. Wüstenbewohner wie die Hirtennomaden sehen sie anders: als Raum der Ungebundenheit, des freien Lebens, des Glücks. In Anbetracht der zunehmenden Attraktivität von Wüsten als Reiseziel scheint sich jedoch der negative Begriffsinhalt stark gewandelt zu haben. Kennzeichnungen wie faszinierend, fremdartig, unendliche Weite, herausfordernd, hörbare Stille, berauschende Farben, bizarre Formen oder geschichtsträchtige Vergangenheit tragen zu einer weiteren Mystifizierung der Wüsten bei. Sie spricht Forscher, Bildungsreisende und Abenteurer ebenso an wie Esoteriker – biblische Berichte beschreiben die Wüste als Ort der Katharsis, der Meditation, der Erkenntnis.

In Mitteleuropa ist die gängige Vorstellung von einer Wüste vornehmlich durch Berichte aus der Sahara oder dem Vorderen Orient geprägt, wobei weitgehende Vegetationsarmut sowie Sand und Dünen als Wesensmerkmale gelten. Dieses Bild ist ebenso einseitig wie der internationale Gebrauch der Bezeichnung „desert“ (Wüste) für eine Landschaft uneinheitlich und mehrdeutig ist. Der in Atlanten und Veröffentlichungen benutzte Begriff Wüste kann in der Realität völlig unterschiedliche Naturräume meinen: Wer seine Eindrücke einer Namib- oder Atacama-Reise mit der kalifornischen Mojave-Wüste vergleicht (Foto 1), wird letztere wohl kaum als typische Wüste ansehen. Es handelt sich bei der Mojave eher um eine Halbwüste, um eine Dornbusch- und Sukkulenten-Steppe. Sie erhält noch periodische Niederschläge, was den recht dichten Bewuchs erklärt. Ähnliches gilt für die Kalahari im südwestlichen Afrika: Sie ist gegenwärtig keine Wüste, sondern eine randtropische Dornbusch- oder Trockensavanne, die auf einem riesigen Längsdünenfeld stockt, dessen Aktivität als extreme Sandwüste vor etwa 10 000 Jahren endete (Blümel et al. 1998; Foto 59; Kap. 12.3). Australien gilt als der Kontinent der Wüsten – und der Reisende ist erstaunt, recht viel Bewuchs in Form von Büschen (scrub) oder Gräsern anzutreffen, dagegen wenig vegetationsarme oder -lose Gebiete (Kap. 14). Es fehlen also Voll- oder Extremwüstenstandorte nahezu vollständig.

Foto 1

Oben links: Extremwüste: Steinwüste (Hamada) in der chilenischen Atacama (Calama – Tocopilla). Der nahezu niederschlagslose Raum gehört zur weltweit extremsten Wüste.

Oben rechts: Extremwüste: Sand-/Dünenwüste (Erg) der Mittleren Namib (Sossus-Vlei). Der Raum erhält weniger als 50 mm Regen und gelegentliche Nebelnässe.

Unten links: Vollwüste: Diffuse Vegetation in der Nördlichen Namib. Hier fallen deutlich weniger als 100 mm Niederschlag im Jahr. Der weitständische Bewuchs steht für den Typ einer Vollwüste.

Unten rechts: Halbwüste: Die Mojave-Wüste (Kalifornien) ist Teil der Großen Wüste im SW der USA. Sie entspricht aufgrund ihres sehr lückenhaften, aber vergleichsweise üppigen Bewuchses mit Creosote-Büschen (Larrea tridentata) und Kakteen dem Typ einer Halbwüste oder einer Wüstensteppe. Im Jahresmittel fallen 90 bis max. 150 mm Niederschlag bei 12 ariden Monaten.

2.1Merkmale zur Charakterisierung von Wüsten

E. Kaiser verwies 1923 auf eine bereits lange geführte Diskussionen zum Begriff Trockengebiete bzw. zur Erläuterung des Phänomens Wüste. Er bezieht sich auf den Penck’schen Ariditätsbegriff (Trockengrenze): N – V < 0. Sobald langfristig die potenzielle Verdunstung (V) den Niederschlag (N) übertrifft, gilt der Naturraum als arid (Abb. 1). Seine Wasserbilanz ist negativ. Dies schließt aber nicht aus, dass kurzfristig viel Niederschlag fallen kann, teils mit katastrophaler Wirkung.

Abb. 2

Bilma (Sahara/Niger; 18°41’ N/12°55’ E): Hyperaride Wüste mit monsunalen Sommerniederschlägen.

Murzuk (Sahara/Libyen; 25°54’ N/13°54’ E): Hyperarid, mit akzentuierter Jahresamplitude und minimalen Winterregen.

Swakopmund (Namib; 22°40’ S/14°32’ E) und Lüderitz (26°39’ S/15°9’ E): Extrem trockene, kühle Küstenwüsten mit häufigem Nebel und stark ausgeglichener Jahresamplitude. Lüderitz zeigt auch schwache Einflüsse von Winterregen aus dem Kap-Klima.

Generell bedeutet Wüste im wissenschaftlichen Sprachgebrauch ein vegetationsarmes oder vegetationsloses Gebiet. Hitze und Trockenheit, also Wassermangel, gelten als gängige Ursachen für die karge oder fehlende Flora: Die potenzielle Verdunstung übertrifft in Vollwüsten den Jahresniederschlag um ein Vielfaches. Alle Monate des Jahres sind arid, in ihrer Niederschlagsbilanz also negativ (Abb. 2). Auch Boyko (1955, zit. in Evenari 1985) definiert Wüste kurz mit „Desert is an area with a waterless surface as a result of poor and erratic rainfall.”, klammert in dieser Generalisierung jedoch weitere prägende Kennzeichen aus. Denn Wüsten sind charakterisiert durch eine Zahl an gemeinsamen Merkmalen wie Klima, Wasser, Gewässernetz, Böden, Vegetation, Tierwelt usw. – die jeweiligen Wissenschaftler richten bei ihrer Kennzeichnung jedoch häufig den Fokus auf ihre Spezialdisziplin, was auch in abweichenden Definitionen sichtbar wird. Zum vertieften Verständnis von Wüsten als Lebensräume und Ökosysteme ist im Grunde aber eine ganzheitliche, synthetische Betrachtung nötig.

Wüsten sind nach Shreves weitergefasstem Begriff (1951) im Wesentlichen ein Gebiet mit niedrigem und unregelmäßig verteiltem Niederschlag, geringer Luftfeuchte, hohen Lufttemperaturen, starkem Wind, Böden mit wenig organischen Bestandteilen und hohem Gehalt an mineralischen Salzen, violenter Erosionstätigkeit durch Wasser und Wind, sporadischem Abkommen von Flüssen und schwach entwickelter dendritischer Dränage. Für A. Gabriel (1961) sind demgegenüber „echte Wüsten“ charakterisiert durch „… Niederschlagsarmut, eine große tägliche Temperaturschwankung (Maxima in der Sonne von 70 °C bis Minima von –10 °C mit Eisbildung, nachts, in Gebirgen und im Winter) und ferner Vegetationslosigkeit der Oberfläche, die 50 % übersteigen soll.“ Ein dazu oft kolportiertes, bezeichnendes Zitat von Einheimischen lautet „Die Wüste ist ein sehr heißes Land, in dem es (nachts) sehr kalt ist.“ (ebd.). So ließen sich Umschreibungen beliebig fortführen mit dem Ergebnis, dass es eine kurze und pauschal zutreffende Definition nicht gibt. Die global weit verteilten Wüsten sind häufig Individuen. Sie haben viele gemeinsame Merkmale, aber oft in unterschiedlicher Kombination.

Diverse Autoren haben versucht, mit Hilfe von Ariditätsindizes Typen von Trockengebieten und Wüsten auszugliedern. So unterscheidet Dubief (1950, zit. n. Besler 1992) Vegetationstypen nach der Anzahl der Tage, die zur Verdunstung des Jahresniederschlags benötigt werden (= Faktor D):

semi-aride Steppe D >28 → diffuse Vegetation.

Halbwüste D >3 – 4 → diffuse Vegetation.

Vollwüste D >1 → kontrahierte Vegetation.

Extremwüste D <1 → kontrahierte Vegetation.

Capot-Rey (1953, zit. in Besler 1992) ermittelt seinen Ariditätsindex (I) aus Jahres- und Monatswerten des Niederschlags P, p und der Verdunstung (Evaporation) E, e:

Bei dieser groben Zuordnung von Indizes zu Vegetations-Bedeckungsverhältnissen ist der bei außergewöhnlich ergiebigen Niederschlägen auftretende ephemere Pflanzenwuchs nicht berücksichtigt (Kap. 7.1.2). Auch ist die Korrelation für den australischen Kontinent nicht geeignet. Die gleichmäßigere Niederschlagsverteilung (Zeit und Raum) erzeugt dort spezifische Verhältnisse: Vollwüsten mit kontrahierter Vegetation treten nicht auf. Auch im Köppen’schen BW-Klima Australiens dominieren Halbwüsten oder Baum-Strauch-Savannen.

Typische Merkmale einer Wüste zeigen sich vielfach in geringer Bewölkungsintensität und starker Insolation. Der Wind verstärkt die Verdunstung/Austrocknung, führt des Weiteren zu charakteristischen äolischen Prozessen wie Deflation, Korrasion, Umlagerung und Akkumulation). Aus geomorphologischer Sicht unterscheidet Kaiser (1923) die Dynamik der Wüste von angrenzenden Gebieten mit periodischen Niederschlägen: Letztere sind semi-arid mit dominant fluvialer Abtragung und Sedimentation durch regelmäßig wiederkehrende Regenperioden, mit ausgesprochenem Wechsel von humiden und ariden Jahreszeiten. In Wüsten mit ihren episodischen Niederschlägen dagegen ist „… neben aeolischer Abtragung und Sedimentation am wichtigsten die fluvio-aride Abtragung und Sedimentation durch die Schichtfluten …“. Diese entstehen durch gelegentliche Starkregenereignisse, wie sie für tropisch-subtropische Gebiete typisch sind.

Nahezu alle auf die Alte Welt fokussierten Definitionen von Wüste oder Vollwüste zielen auf die durch Trockenheit und Wärme oder Kälte sowie ungünstige edaphische Eigenschaften verursachte Armut an Pflanzen oder Vegetationslosigkeit. Nur Spezialisten in der Pflanzen- und Tierwelt kommen mit der Lebensfeindlichkeit der Wüste zurecht. In der Neuen Welt oder in Australien legt man den Begriff, wie erwähnt, wesentlich breiter aus. So werden dort noch Wüsten verzeichnet, wo andere Autoren die Zuordnung z. B. zu Wüstensteppen oder Dornbuschsavannen vornehmen würden. Insofern bleibt auch für dieses Buch das Dilemma, mit diesen begrifflichen Unterschiedlichkeiten zurechtkommen zu müssen.

Typisch sind für die ariden Regionen starke interannuelle Schwankungen im Niederschlagsverhalten; sie können in vielen Wüsten und Halbwüsten 50 –100 % erreichen. Extrem-aride Gebiete mit ihren charakteristischen episodischen Niederschlägen entfalten nennenswerte Vegetation nur dann, wenn die unregelmäßigen Regenfälle sich in nicht zu kurzem und nicht zu weitem zeitlichen Abstand wiederholen. Dann kann das Phänomen der „blühenden Wüste“ auftreten, in dem die als Samen oder Knollen überdauernden Pflanzen (Ephemere) in großer Zahl austreiben und ihren Lebenszyklus bis zur Blüte und Frucht entfalten können. Dies sind zwar Ausnahmesituationen, aber dennoch ein charakteristisches Merkmal des hochvariablen Niederschlagsverhaltens von Wüsten. Indem episodische Niederschläge rasch abfließen und „in nicht erreichbare Tiefen“ versickern, ist deren ökologische Wirkung folglich sehr begrenzt, was den Wüstencharakter verstärkt.

Auch wenn in typischen Wüsten der primäre Landschaftseindruck vom unverhüllten Blick auf Verwitterungsdecken, Sedimente oder anstehendes Gestein dominiert wird: Es erscheint zweckmäßig, zur allgemeinen Verständigung den Begriff Wüste über die Vegetation (Bewuchsdichte, räumliche Anordnung, Artenspektrum) zu definieren und weitere geomorphologische Typisierungsmöglichkeiten wie Sand-, Kies- oder Felswüste in einen anderen Kontext zu stellen. Diese haben meist eine komplexe und unterschiedliche Vorgeschichte, sodass sie sich als primäre Definitionsmerkmale für Wüsten nicht eignen. Sie bilden eine eigene Kategorie in der Typisierung (vgl. Kap. 10).

Botanische Merkmale – auch wenn sie in Vollwüsten nur spärlich in Erscheinung treten – bieten sich als landschaftsprägender Vergleichsmaßstab an, zumal auch andere Großräume der Erde durch ihre Vegetationsverhältnisse unterschieden werden. Schließlich dokumentiert sich die globale Klimadifferenzierung am eindringlichsten im natürlichen Pflanzenwuchs, in Vegetationsgesellschaften: z. B. Tundra – Borealer Nadelwald – Steppen – Wüsten – Savannen – tropische Regenwälder (Abb. 3). Verallgemeinert drücken Pflanzengesellschaften längerfristige Niederschlags- und Temperaturbedingungen, Saisonverläufe, Vegetationsperioden, Standorteinflüsse, Wasserbilanzen eines Raumes aus.

Abb. 3

Tropisch-subtropische Wüsten und Halbwüsten in ihrer Stellung innerhalb benachbarter Vegetationsformationen bzw. Ökozonen. Trotz der sehr unterschiedlichen Festlandsverteilung lässt sich das Schema für beide Halbkugeln verwenden (veränd. n. Schultz 2008).

2.2Heiße/warme Wüsten: Definition und Differenzierung

Es ist schwer, eine befriedigende und umfassende Kurzdefinition des Wüstenbegriffs zu finden. Die Bezeichnung Wüste ist international inhaltlich weit gefasst, nicht klar umrissen und eignet sich nicht zur unmittelbaren vergleichenden Bewertung oder ökologischen Einstufung. Im Folgenden wird Wüste als vegetationsgeographischer oder standort-ökologischer Begriff aufgefasst, d. h. die Intensität, Menge und das Erscheinungsbild des Pflanzenwuchses wird als Kriterium herangezogen. Für Gradmann (1916) sind Wüsten klimatisch bedingte Trockengebiete mit sehr geringen (meist weit unter 250 mm bleibenden) episodischen Niederschlägen, in denen eine extrem xerophytisch ausgerüstete Vegetation zwar nicht zu fehlen braucht, aber äußerst lückenhaft ist. Dieses Zitat erscheint noch immer am besten zur Beschreibung und Definition des Begriffs Wüste geeignet:

„Wüste ist ein Gebiet, das infolge geringfügiger oder gar fehlender Niederschläge nur eine sehr geringe Vegetation mit erheblichen Zwischenräumen zwischen den einzelnen Pflanzen aufweist.“ Diese Bedingung gilt als erfüllt, wenn weniger als 10 % der Fläche oder der gesamte Raum keine dauerhafte Vegetation besitzt bzw. sich stellenweise nur kontrahierter Bewuchs zeigt. Damit ist eine handhabbare, nachvollziehbare Eingrenzung gegeben, der auch in diesem Buch meist gefolgt wird – auch wenn im nordamerikanischen oder australischen Sprachgebrauch eine andere Vorstellung zu Grunde liegt (s. o.).

Je nach Besatzdichte der perennen (ganzjährigen) Pflanzenarten kann noch zwischen Rand- und Kern- sowie Voll- und Extremwüste (Foto 1; Abb. 2, 15) unterschieden werden. Als vermittelnder Übergangsbereich zu feuchteren Regionen (Savannen, Steppen) wird die Halbwüste (Randwüste) angesehen, bei der generell weniger als 50 % der Fläche von Pflanzen besetzt sind (Jätzold 2003; A. Gabriel 1961; Fotos 10, 64). Die Vegetation der Halbwüsten ist diffus verteilt und in Tiefenlinien kontrahiert. Halbwüsten treten mit < 50 % und >10 % Vegetationsbedeckung durchaus unterschiedlich in Erscheinung, repräsentieren eine relativ großes Spektrum an landschaftlich-vegetationsgeographischen Mustern. Sie sind geprägt durch eine karge Vegetationsausstattung aus Gräsern, Halbsträuchern, Holzgewächsen und Sukkulenten. Halbwüsten, Wüstensavannen oder Wüstensteppen – oft mehr oder minder synonym verstanden – wurden früher als traditionelle Weidegebiete von Hirtennomaden genutzt. Heute dienen sie regional als extensive, ökonomisch oder stammesrechtlich ausgerichtete (Dauer-)Weidegebiete und unterliegen damit häufig Desertifikationsprozessen durch Überweidung (Kap. 4.8).

Anmerkung: Neben den warmen Wüsten sind noch die Kältewüsten in Polar- und Hochgebirgsregionen anzuführen, deren Existenz auf Wärmemangel (und regional auch auf Trockenheit) zurückzuführen ist. Aber auch hier lässt sich der Parameter Bedeckungsgrad < 10 % zur Abgrenzung von den Tundrengebieten anwenden (Kap. 4.6).

2.3Hygrische Abgrenzung der Wüsten

Die Wissenschaft verwendet je nach Fragestellung und Fachdisziplin unterschiedliche Definitionen, Abgrenzungen und Untergliederungen. In der von Shmida (1995) vorgeschlagenen Definition von Wüstenökosystemen ist ein guter Ansatz zumindest für die Wüsten der Alten Welt zu sehen: Er beruht auf der Zuordnung von jährlicher Niederschlagsmenge zu einem bestimmten Wüstentyp (Ariditätsgrad).

Extremwüste: <70 mm N/Jahr

Vollwüsten: <120 mm N/Jahr

Halbwüsten: 100/150 mm N/Jahr

Die 100- bis 120-mm-Isohyete ist häufig als die Grenze bzw. der Übergangssaum zwischen Halbwüste (Wüstensteppe/-savanne) und der Wüstenvegetation (Zwergstrauchgesellschaften mit <10 % Flächenbedeckung) festgestellt worden. Dies sind für einen enger gefassten Wüstenbegriff geeignete, praktikable Schwellenwerte, denen auch im Buchtext gefolgt wird (s. Tab. 1). Es kann jedoch – in Anbetracht der Konzeption der internationalen Literatur – keine einheitliche Handhabung geben. Entsprechend wird bei der Behandlung der australischen Wüsten ein weitergefasster Wüstenbegriff benutzt. Zahlreiche Untersuchungen haben gezeigt, dass Wüsten und ihre angrenzenden Räume sehr sensibel auf klimatische Veränderungen reagieren und mit den geänderten hygrischen Parametern auch die Grenzsäume fluktuieren.

Tab. 1 Äußere Grenzen und Unterteilungen der tropisch/subtropischen Trockengebiete in Abhängigkeit von den Jahresniederschlägen (n. Schultz 2000)

Der Grenze zwischen …

… entspricht ein Jahresniederschlag von etwa …

äquatorwärts

Wüste – Halbwüste

Halbwüste – Dornsavanne

Dornsavanne – Trockensavanne

(sommerfeuchte Tropen)

125 mm

250 mm

500 mm

polwärts

Wüste – Halbwüste

Halbwüste – winterfeuchte Steppen

winterfeuchte Steppen – Hartlaub-Strauchformationen (winterfeuchte Subtropen)

100 mm

200 mm

300 mm

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3Zur (Klima-)Geschichte der Wüsten

Für die ökologische Konstellation sowie die Gestaltung und Dynamik der Erdoberfläche (Reliefsphäre) war und ist ganz entscheidend das regionale oder überregionale Klimaregime verantwortlich, das – in Abhängigkeit von Gesteinseigenschaften und Tektonik – die landschaftliche Evolution und Transformation des jeweiligen Raumes prägt. Es bestimmt wesentlich das exogene Prozessgefüge von Verwitterung und Abtragung, die Geomorphodynamik. In der erdgeschichtlichen Entwicklung ist klimatische Unstetigkeit Normalität. Globale Kaltphasen mit regionaler Vereisung oder Abkühlung und atmosphärische Trockenheit (Kaltzeiten; Glaziale) wechselten sich allein in den letzten 2 Mio. Jahren mehr oder weniger regelmäßig ab, unterbrochen von wärmeren und feuchteren Perioden (Warmzeiten; Interglaziale). In diesem Rahmen der globalen Klimavariabilität ist folglich auch die Geschichte der Wüsten zu sehen: Mit einer kühleren Atmosphäre geht eine Zunahme der Wüstenflächen und eine Intensivierung des Wüstencharakters einher; eine wärmere Troposphäre nimmt dagegen mehr Feuchte auf und lässt die Wüstenareale schrumpfen.

3.1Antarktische Vereisung: neogene Abkühlung und Aridisierung

Wüstenhafte Verhältnisse hat es im Lauf der Erdgeschichte und der Entwicklung der Kontinente immer wieder gegeben, aber auch Zeiten, in denen sie fehlten und teils üppigen Vegetationsformationen Platz gemacht haben. So begann auch die jüngste geologische Ära, das Tertiär, vor etwa 65 Mio. Jahren mit einer langen warm-feuchten Klimaperiode während des Alttertiärs, die offensichtlich von Pol zu Pol eine Waldbedeckung bewirkte. Zeugnisse sind alt- bis mitteltertiäre Steinkohlelager auf Spitzbergen (Arktis) oder die mitteleuropäischen Braunkohlen (Ville, Wetterau, Lausitz). Laterit- und Bauxitvorkommen am Vogelsberg belegen eine intensive chemische Gesteinsverwitterung, die man als tropoid bezeichnen könnte. Immer wieder werden auch fossilisierte Holz- und Blattfunde aus der damals noch unvergletscherten, offensichtlich bewaldeten Antarktis gemeldet.

Tab. 2 Stratigraphische Gliederung des Känozoikums (n. Eberle et al. 2010)

Ära

System

Serie

Alter

Mio. Jahre

KÄNOZOIKUM

Quartär

Neogen

Paläogen

Holozän

Pleistozän

Pliozän

Miozän

Oligozän

Eozän

Paläozän

2,6

24

65

Die jüngere Geschichte der waldarmen oder waldfreien – und damit auch der wüstenhaften – Landschaften beginnt mit dramatischen plattentektonischen Veränderungen: Der Urkontinent Pangäa teilt sich vor etwa 200 Mio. Jahren in Laurasia (später Laurentia und Eurasien) und den Südkontinent Gondwana. Dieser spaltet sich wiederum auf und bildet zwischen den entstehenden Kontinenten und Inseln neue Ozeane: Vor ungefähr 125 Mio. Jahren trennen sich Südamerika und Afrika; der Atlantik entsteht. Im Verlauf des Tertiärs bildet Australien einen eigenen Kontinent; auch Neuseeland ist ein Bruchstück des alten Gondwana-Riesenkontinents. Antarktika bewegt sich in eine zentrale südpolare Lage, was seinen Energiehaushalt völlig verändert – und damit auch die Klimageschichte des gesamten Globus. Vorderindien driftet auf die Nordhalbkugel und kollidiert mit der Eurasischen Masse; Himalaya und das Tibetische Hochplateau entstehen. Die alpidische Orogenese erzeugt einen Gebirgskomplex von den Pyrenäen bis zum Hindukusch. Von Alaska bis nach Feuerland entwickeln sich die nord- und südamerikanischen Kordilleren als Barrieren in wichtigen Windsystemen. Ihre Konfiguration aus Gebirgsketten, intramontanen Becken und Hochplateaus bildet bei der zunehmenden globalen Abkühlung die Ursache für ausgedehnte wie auch kleinräumige orographische Wüsten (Lee-Wüsten).

Mit der neu konfigurierten Erdoberfläche wird vor allem im Neogen der früher ungehinderte Wärmeaustausch zwischen der Äquatorialregion und den Polen abgeschwächt. Eine globale Abkühlungstendenz ist festzustellen (Abb. 4); aufgrund der geringen Wärmeeinstrahlung beginnt im Oligozän (– 38 Mio. Jahre) die Vereisung der Antarktis. Seit dieser Zeit ist die Antarktis wohl nie mehr eisfrei. Mit der definitiven Trennung und Isolierung des Südkontinents von allen übrigen Gondwana-Fragmenten kann sich die Kaltwasserzirkulation des Antarktischen Ringstroms entwickeln (vgl. Blümel 1999). Von hier aus dringt kaltes, dichtes Tiefenwasser durch die ozeanischen Becken bis weit in die Nordhalbkugel hinein. Es etabliert sich unter der ozeanischen Thermosphäre mit Wassertemperaturen über 20 °C die Psychrosphäre als kaltes Stockwerk mit < 10 °C (bis stellenweise < 0 °C). Der konvektive Ferntransport kalten Wassers sorgt für eine im Trend anhaltende globale atmosphärische Abkühlung. Die Weltmitteltemperatur sinkt deutlich um etwa 4 – 5 K; heute liegt sie bei 14/15 °C. Die Antarktis wirkt wie ein globales Kälteaggregat: Ein System aus hoch aufragendem Inlandeis und einem saisonal von Eis bedeckten, circumpolaren Kaltwassergürtel (Antarktischer Ringstrom) sowie daraus in alle Ozeane abströmende dichte, kalte Wässer erniedrigten allmählich die Temperatur der Atmosphäre (Abb. 4).

Abb. 4

Klimatische Abkühlung im Tertiär und Quartär, dokumentiert durch Sauerstoffisotopenbestimmungen (δ18O) in Einzellern (benthische Foraminiferen). Vermerkt sind zeitlich zugehörige Gebirgsbildungen und ozeanographisch-glaziologische Veränderungen (veränd. n. Arz et al. 2007).

Das Messinian Event – Austrockung des Mittelmeeres

Die übergeordnete Antarktisvereisung bezog ab etwa 10 Mio. Jahren den westlichen Archipel mit ein und gipfelte am Ende des Miozäns (vor ca. 5,5 Mio. Jahren) in der Maximalvereisung (Queen Maud-Stadium). Gegenüber heute speicherte die Antarktis etwa 50 % mehr Eis. Damit verbunden war eine eustatische Absenkung des Meeresspiegels um 50 – 60 m. Die Meerenge von Gibraltar fiel trocken; der Zufluss aus dem Atlantik wurde unterbrochen. Das Mittelmeer trocknete (mehrfach) aus und bildete eine weiträumige Wüste, in deren Becken sich riesige Salzpfannen bildeten, in denen ca. 6 % des im Weltmeer gelösten Salzes eingedampft und ausgefällt wurden. Es entstanden mächtige Salzlagerstätten (Hsü 1972). Rhône und Nil mündeten als endorhëische (binnenländische) Flüsse über große Katarakte in das mediterrane Wüstenbecken und verdunsteten.

Ob die glazial-eustatische Meeresspiegelabsenkung alleine für diesen Vorgang verantwortlich ist, oder ob auch tektonische Hebungen an der Gibraltar-Schwelle mitgewirkt haben, ist offen. Erdgeschichtlich wird diese dramatische Entwicklung als Messinian Event bezeichnet. Dessen Begleiterscheinungen haben möglicherweise die globale Klimaentwicklung in Richtung Abkühlung und Wüstenbildung weiter vorangetrieben: Da der geringere Salzgehalt das Meerwasser schneller gefrieren lässt, wird vermutet, dass dadurch der Eisaufbau im Nordpolargebiet unterstützt wurde und die arktischen Kältewüsten entstanden.

Mit der kälteren Atmosphäre sinkt ihr Wassergehalt – die Niederschläge nehmen generell ab. Ozeanität und Kontinentalität akzentuieren sich. Kalte Auftriebswässer aus der Antarktis verursachen eine Aridisierung südwest-afrikanischer und süd-amerikanischer Küstenabschnitte. Es entstehen mit der Namib und der Atacama die ersten extremen Wüsten an den westlichen Kontinenträndern von SW-Afrika und S-Amerika; das belegen zahlreiche Untersuchungen (vgl. Eitel 1994; Kap. 12, 13). Auf den Festländern steigert sich die Trockenheit und weitet sich aus. Man kann davon ausgehen, dass durch die allmähliche globale Veränderung der klimatischen Zirkulationsmuster, insbesondere durch die zunehmende atmosphärische Kühle und Trockenheit, ein breiteres Spektrum an Vegetationsformationen entstand: Die an Humidität gebundenen Wälder mussten regional offenen Landschaften weichen: Es entwickelten sich in der Folge tropische Grasländer (Savannen), Halbwüsten und Wüsten, in den Außertropen die Steppen und andere Trockengebietsformen. Diese Entwicklung vollzog sich vor allem ab dem Mittleren Miozän (Tab. 2): Vor etwa 16 Mio. Jahren wuchs in der Ost-Antarktis ein bis heute persistentes Inlandeis auf; der Aufbau der marinen Psychrosphäre dürfte damals abgeschlossen gewesen sein. Spätestens seit dem Miozän beeinflussen die zugehörigen kalten Auftriebswässer (Benguela-Strom) die südwestafrikanische Küste und verursachen deren extreme Trockenheit.

Die Aridisierung des südlichen Afrika lässt in der Folge auf der Basis des tertiären Tsondab-Sandsteins (Proto-Namib) den Namib-Erg entstehen. Verbunden mit den kalten antarktischen Meeresströmungen und einer seit Jahrmillionen herunter gekühlten Atmosphäre dürften die Namib und die Atacama mit 8 – 10 Mio. Jahren die ältesten Wüstenbildungen der Neuzeit sein. Ein weiterer Schritt in der troposphärischen Entwicklung und damit auch in der Geschichte der Wüsten setzt mit der Schließung der Meerenge von Panama vor ca. 3,5 Mio. Jahren ein: Die neuen Strömungsverhältnisse führten jetzt wärmere Wassermassen nach Norden (Golfstrom) und damit feuchte Luft, die höhere (Schnee-)Niederschläge mit sich brachte und damit möglicherweise die vor etwa 2,6 Mio. Jahren einsetzende Vereisung auf der Nordkalotte beschleunigte.

Anmerkung: Mit dem Verdängen der Wälder und Einzug offener Landschaften wie Savannen, Steppen oder Wüsten erhielt auch die Primaten- und Menschheitsentwicklung Impulse durch den klimatisch bedingten Landschaftswandel der jüngsten Jahrmillionen. Die Bewegung durch (ungewohntes) Grasland dürfte die Primaten und Frühmenschen regelrecht zum aufrechten Gang genötigt haben. Hinzu kommt ein völlig geändertes, vielseitiges Nahrungsspektrum, das ebenfalls evolutionäre Prozesse ausgelöst oder beschleunigt haben dürfte. Savannen und andere offene Landschaftstypen haben die Migration aus Afrika und damit die Ausbreitung der Hominiden im eurasischen Teil der Welt maßgeblich gefördert.

Die Mehrzahl der Wüsten in der Alten wie in der Neuen Welt sind jedoch offensichtlich erdgeschichtlich recht junge Wüsten, die vor etwa 1 – 1,5 Mio. Jahren entstanden. Ihre Ausprägung, ihre flächenmäßigen Schwankungen stehen unzweifelhaft mit der jüngsten klimageschichtlichen Entwicklung in Zusammenhang – dem Beginn des Quartärs (Eiszeitalter; Tab. 2): Bis vor etwa 1,8 Mio. Jahren ist die irdische Atmosphäre thermisch soweit abgesenkt, dass die Milankovich-Parameter (Erdumlaufbahn, Schiefe der Ekliptik, Exzentrizität) greifen und den bekannten zyklischen Wechsel von Kalt-/Eiszeiten und Warmzeiten einleiten. Trockengebiete und Wüsten dehnen sich phasenweise in den Kalt-/Eiszeiten aus, während sie in den Warmzeiten aufgrund höherer Niederschläge und des damit verbundenen Vorrückens von Steppen, Savannen und Wäldern schrumpfen. Allein in den letzten 104 oder 103 Jahren veränderten sich die Vegetationsformationen aller Ökozonen mehrfach und beträchtlich. Damit ist die Ursache der Wüstenbildung zu beträchtlichen Teilen mit der Variation der atmosphärischen Zirkulation und der temperaturabhängigen Niederschlagsgenese verbunden.

Auch der verstärkte Niederschlag in angrenzenden Regionen dokumentiert sich z. B. in Form endorhëischer Flüsse: Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die wechselvolle Geschichte des Tschadsees in der Südsahara, der – heute nur noch ein kümmerlicher Rest von 0 – 24 000 km2 Fläche – zeitweilig zu einem „Mega-Tschadsee“ von ~340 000 km2 wird, während sich die umgebende Wüste in eine Art Savanne entwickelt, insbesondere entlang der auflebenden Wasserläufe und in den Beckenlagen. Sie erhält nun autochthone Niederschläge, die das Einzugsgebiet des Sees beträchtlich erweitern (Pachur & Altmann 2006; Busche 1998).

Andererseits belegen weitflächige, heute bewachsene Längsdünen-Felder in der Sahel-Zone, in der Kalahari oder in Australien ein noch wesentlich trockeneres Klima, als es heute herrscht. Die heutigen Voll- und Extremwüsten waren allein in den letzten 20 000 Jahren mehrfach drastischen Klimaschwankungen ausgesetzt, die ihren Status als Wüste noch verstärkten oder sie zu Steppen- bzw. Savannen-Landschaften transformierten. Näheres dazu findet sich in den jeweiligen regionalen Wüstenbeschreibungen oder in den nachfolgenden Beispielen.

3.2Zur Geschichte der Wüste Namib

Die Geschichte der wohl ältesten (Küsten-)Wüste, der Namib, aufzudecken, ist ein schwieriges Unterfangen, da weitaus weniger geo- und biowissenschaftliche Archive wie limnische Ablagerungen, Fossilien oder Artefakte zur Gewinnung von Proxydaten und absoluten Altersbestimmungen existieren als z. B. von der Sahara. Manche Befunde werden widersprüchlich eingeordnet und paläoklimatisch interpretiert (z. B. Eitel et al. 2005, Eitel & Zöller 1995 versus Heine 2000, 2002). Hinzukommt eine spezifische Lage im Raum und geomorphologische Ausgestaltung, an der auch von außen kommende Flussläufe beteiligt sind (vgl. Kap. 12.2.4).

Folgende Stadien der Geschichte der Namib lassen sich ausgliedern:

Ihr Minimalalter beträgt 7 bis 10 Mio. Jahre und ist im Zusammenhang mit der oben angeführten Antarktis-Vereisung zu sehen, d. h. mit der Bildung der Psychrosphäre (ozeanische Thermokline), der thermohalinen Zirkulation und des Benguela-Kaltwasserstroms. Tertiäre Ablagerungen des Kalahari-Beckens, die durch Schichtfluten (semi-arides Klima) aufgebaut wurden, sind von pedogenen Kalkkrusten überlagert. Darin eingeschlossen ist das Tonmineral Palygorskit, das unter semi-humiden und humiden Bedingungen in Smectit umgewandelt wird (Eitel 1993) – ein Indikator für seither anhaltendes Trockenklima. Weitere Hinweise auf ein mittel- oder jung-tertiäres Alter (Tab. 2) der Namib lieferten Datierungen an der Karpfenkliff-Formation und ihren Decksedimenten.

Das Maximalalter der Namib ist weiterhin umstritten. Der unter der Dünen-Namib (Erg) lagernde Tsondab-Sandstein (eine der Sandquellen für den späteren Erg) wird als Proto-Namib angesehen, aber mit unterschiedlichen stratigraphischen Zuordnungen. Die Ansichten über seine Sedimentation reichen vom Mesozoikum bis in das Unter-Miozän (s. Disk. in Hüser et al. 2001). Eitels Untersuchungen (1999) an intensiv chemisch verwitterten Substraten in der nördlichen Namib zufolge herrschte warmes und semi-humides Klima ab der Kreidezeit bis in das Miozän hinein (s. Tab. 2).

Die Namib im Quartär: Über das Früh- und Mittel-Quartär ist landschaftsgeschichtlich wenig bekannt – Spuren von Reliefgeneration sind kaum auszumachen. Für eine lange, über 700 000 Jahre durchgehende Existenz der Benguela-Strömung, und damit auch der Küstenwüste, sprechen Untersuchungen an benthischen Foraminiferen. Dabei sind Fluktuationen in der Intensität des Kaltwasserauftriebs nicht ausgeschlossen. Zumindest sind in den letzten 100 000 Jahren zwei Abschwächungsphasen von jeweils mehr als 10 000 Jahren nachzuweisen (s. Eitel 2005). Uran/Thorium-Datierungen an Stalagmiten in der Rössing-Höhle belegen das Fehlen einer Feuchtperiode in der Zentral-Namib während des letzten Glazialzyklus’ ab 125 000 Jahren vor heute (Heine 1998).

Jungquartär: Für den jüngsten glazialen Zyklus fehlen verlässliche Zeugnisse zur Klima- und Reliefgeschichte. Lediglich über das letzte Hochglazial (LGM) besteht weitgehend Einigkeit in den Befunden: Um 20 000 J.v.h. herrschte im südwestlichen Afrika eine sehr trockene Periode. Im Namib-Erg formierten sich die noch heute herausragenden Großdünenformen und -muster. Wie aus Abb. 5 ersichtlich, bleibt die extreme Küstenwüste Namib auch über das Spätglazial und Holozän hinweg konstant. Dafür sprechen auch mächtige Gipskrustenbildungen (Heine & Walter 1996). Demgegenüber reagieren aber der Ostteil, der Wüstenrand und das Hinterland der Namib auf Veränderungen der monsunalen Reichweite und Intensität, was Eitel (1993) über Kalkkrustengenerationen nachzuweisen versucht. Diese benötigen für ihre Anlage wiederholte Phasen von Trockenheit und zunehmender Feuchte. Auch das Hinterland der Namib war im LGM eine Wüste. Davon zeugen Dünenfelder im Inland des heutigen Namibia, die aber etwa ab 14 000 J.v.h. durch Vegetation fixiert wurden (Eitel et al. 2002).

Spätglazial und Holozän: Im Bereich der Kalahari endete die Längsdünenformung zwischen 8000 und 9000 Jahren vor heute mit dem Einzug feuchterer Klimabedingungen und der damit verbundenen Vegetationsausbreitung (Eitel & Blümel 1997). Etwa zur selben Zeit kam im Bereich Damaraland und Kaokoveld die Sedimentation und Umlagerung von Silten zum Erliegen (stv. Eitel et al. 2001). Deren Ausräumung begann mit der mittel-holozänen Feuchtperiode, die wiederum vor ca. 4000 Jahren zu Ende ging und in den gegenwärtigen Klimazustand überleitete. In der Folgezeit oszillierte das Abflussverhalten in den Wüstenrandbereichen (s. Eitel et al. 2005b). Auch aus frühgeschichtlicher Sicht gibt es Hinweise auf holozäne klimatische Fluktuationen: Am Mirabib-Inselberg fernab von Trockenflussläufen im Wüstenzentrum (Foto 35) finden sich in Abris Kulturschichten, die eine Feuchtperiode zwischen 8000 und 5000 Jahren vor heute signalisieren. Aus der nachfolgenden, wieder trockeneren Phase (3000 – 2000 J.v.h.) stammen Wüstenrandlösse und die jungen Lunette-Dünen am Westrand der Etosha-Pfanne (Buch et al. 1992). Der Namib-Rand dehnte sich wieder weiter nach Osten aus.

Die Verlagerung des Wüstenrandes, die fluktuierende Ausweitung bzw. Schrumpfung des Kernwüstenareals lässt sich auch durch die heute noch in der Extremwüste persistente Savannenpflanze Welwitschia mirabilis untermauern (Kap 7.1.5; 12.2.5). Weitere Indikatoren für Änderungen am Namib-Grenzsaum stehen zwangsläufig mit hygrischen Schwankungen des Hinterlandes in Zusammenhang. Von dort aus ziehen Fremdlingsflüsse wie der Hoanib in die Wüste. Letzterer hinterließ dort Flussauslaufsedimente als möglicher Indikator für abnehmende Niederschläge während der Kleinen Eiszeit (Kap. 12.2.4). Postsedimentär bis heute werden sie wieder ausgeräumt – ein Zeichen zumindest für Klimafluktuationen am Wüstenrand, aber nicht zwangsläufig auch in der Wüste selbst. Der Küstenwüstenstreifen mit seiner Breite von einigen Zehnern Kilometern scheint über den Zeitraum des Quartärs hinweg in seinem extremen Charakter unverändert geblieben zu sein.

3.3Afrika im Quartär (Jungpleistozän und Holozän)

Den jüngsten Phasen des Klima- und Umweltwandels in den (heutigen) Wüsten gilt das besondere Interesse geographischer Forschung, um daraus die Ursachen und auch die zeitliche und landschaftliche Dynamik von Veränderungsprozessen abzuleiten und sie ggf. für die Einschätzung zukünftiger Entwicklungen zu nutzen.

In Bezug auf die Klima- und Landschaftsgeschichte ist die Sahara trotz ihrer immensen Weite am besten untersucht und hat sehr viel Neues wie auch auf einige andere Wüsten übertragbare Erkenntnisse geliefert. Die Forschungen der letzten Jahrzehnte offenbarten eine frappierende Jugendlichkeit der Sahara als der größten hyperariden Wüste. Ihre Entwicklung von einer lebensvollen Gras- und Strauchlandschaft zum aktuellen Erscheinungsbild einer Voll- und Extremwüste vollzog sich vor etwa 5500 Jahren in kurzer Zeit (Kap. 12.1.3). Zuvor hat ihr Raum während des holozänen Klimaoptimums (ab ~8000 J.v.h; Abb. 5) lange Zeit derart viel Feuchtigkeit erhalten, dass sich ein savannenartiges Ökosystem mit eindrucksvoller Großsäugerfauna und erstaunlichen menschlichen Aktivitäten einstellen konnte. Zudem wurden große Grundwassermengen gebildet, die heute als fossile Ressourcen für die agrarische Nutzung äußerst bedeutsam sind (Pachur & Altmann 2006). Dieser Feuchtphase vorgeschaltet war jedoch der Zustand einer hyperariden Wüste während des letzten Hochglazials, das vor 16 000 Jahren zu Ende ging. Während dieser kühleren Periode mit einer um 4 – 5 K abgesenkten Globaltemperatur (~10 –11 °C) war die Sahara deutlich weiter ausgedehnt als heute und in ihrem Ariditätsgrad noch extremer (Abb. 5). Fixierte, vorzeitlich Dünenfelder zeugen von diesem Extremzustand (stv. Völkel 1988), der sich in vergleichbarer Weise auch in anderen Wüsten wiederfindet.

Tab. 3 Zeitlich-stratigraphische Gliederung des Spät- und Postglazials in Mitteleuropa – zur vergleichenden Einordnung klimatischer u. a. Entwicklungen in den Wüsten und Halbwüsten. Das Hochglazial (LGM/Last Glacial Maximum) umfasst den Zeitraum von 20 000 –14 446 Jahren vor heute [cal BP] (aus Gebhardt et al. [Hrsg.] 2007)

Quartär

Zeitabschnitt (Chronozone)

Zeitdauer (cal BP; Jahre vor heute)

Spätholozän

HOLOZÄN Mittelholozän

Frühholozän

Subatlantikum

Subboreal

Atlantikum

Boreal

Präboreal

2800 – 0

5100 – 2800

8200 – 5100

9800 – 8200

11 590 – 9800

SPÄTGLAZIAL

Jüngere Dryas

Alleröd

Ältere Dryas

Bölling

Älteste Dryas

Meiendorf

12 680 – 11 590

13 370 – 12 680

13 535 – 13 370

13 670 – 13 535

13 810 – 13 670

14 446 – 13 810

HOCHGLAZIAL

Last Glacial Maximum (LGM)

>14 446

Landschaftliche Veränderungen in den Wüsten und an deren Rändern gehen mit hygrischen Schwankungen auch in der weiteren Umgebung einher. Wüsten sind eingebettet in das großräumige Gesamtsystem der Ökozonen/-regionen und Zirkulationsmuster. Alle relevanten Grenzen verlagern sich, wenn v. a. Veränderungen im Niederschlagsregime greifen: In den niederen Breiten mit ihrem ohnehin höheren Strahlungsinput und hohem Wärmeniveau steuern in erster Linie die veränderten Niederschlagsverhältnisse die Dimensions- und Lageveränderungen von Ökozonen und den Charakter ihrer Vegetationsformationen (Artenspektrum, Dominanzen usw.).

Die großräumigen Konsequenzen hygrisch-klimatischer Schwankungen zwischen dem letzten Hochglazial (LGM) und der Jetztzeit werden in dem Zeitscheibenvergleich Afrikas sehr gut deutlich. In sechs Abschnitten ist in Abb. 5 die Entwicklung der Vegetationsformationen seit dem letzten Hochglazial (20 000 – 16 000 J.v.h.) bis zum gegenwärtigen Zustand wiedergegeben. Sehr deutlich wird der Zusammenhang zwischen dem Wachstum der Wüste und dem zeitgleichen drastischen Zurückweichen des Regenwaldes während der Kaltzeit sowie dem Ausufern des Regenwaldes und der Savannen während des postglazialen Klimaoptimums zwischen 9000 und 7000 J.v.h. (Abb. 5; Runge 2001). In diesem Stadium war die Sahara als Wüste nicht existent. Als Hauptursache dafür wird die Stellung der Erdachse angesehen. Sie war im genannten Zeitraum einige Zehntel Grad stärker geneigt als heute. Zudem lag der Perihel im September (heute: Januar). Die Nordhalbkugel erhielt mehr Sonneneinstrahlung.

Abb. 5

Rekonstruktion und Vergleich der Vegetationsentwicklung in Afrika seit dem LGM (Letztes Hochglazial) – der Zeit der global größten Wüstenausdehnung im Jungquartär. Auch die Namib hatte sich während des LGM um ein Mehrfaches ausgeweitet. Während des postglazialen Wärmeoptimums zwischen 9000 und 5000 J.v.h. war der saharische Bereich als Wüste nicht mehr existent (aus Runge 2001).

Diese extraterrestrische Konstellation bewirkte das postglaziale oder holozäne Wärmeoptimum (Abb. 6). Der afrikanische und indische Monsun nahmen zu; mit dem vermehrten Niederschlag breiteten sich die Savannen gegen die Wüste Sahara aus. Vor etwa 5500 Jahren setzte wieder eine Aridisierung ein, aus der die heutige hyperaride Wüste resultierte.

Abgleich mit anderen Wüsten: Die klimatisch-landschaftsgeschichtlichen Befunde aus dem saharischen Bereich und ihre zeitliche Einordnung lassen sich nicht pauschal auf die Wüsten aller Kontinente übertragen. Nicht überall verlief die Entwicklung gleichartig oder synchron. In manchen Hochgebirgsregionen änderten sich die Höhenstufen und Vergletscherungsverhältnisse. Die späteren Kältewüsten der kanadischen Arktis sowie Grönlands und Spitzbergens lagen während des Hochglazials unter Eisbedeckung. Ihre Ausprägung als periglaziale Kältewüste entwickelte sich zeitlich anders als in den heutigen subtropisch-randtropischen Wüsten. Auch besteht zwischen den Wüsten Innerasiens und ihren teils vergletscherten (hoch-)gebirgigen Nachbarregionen während des Quartärs eine geomorphologisch-hydrologische Beziehung, wie sie z. B. in den afrikanischen Wüsten fehlt.

Abb. 6

Kurve der nacheiszeitlichen (holozänen) Klimaschwankungen und deren Auswirkungen auf kulturgeschichtliche Entwicklungen, vornehmlich der Nordhalbkugel (ergänzt n. Schönwiese 1995 aus Eitel 2008).

Dennoch zeigte sich ein erstaunlich synchroner jungquartärer Landschaftswandel beispielsweise zwischen Ost-Sahara und zentralasiatischen Wüsten (Pachur & Altmann 2005) und indiziert für Teile der Mittelbreiten und Tropen/Subtropen einen von der Solarintensität gesteuerten nordhemisphärischen Klimawechsel. Etwa zeitgleich zur Sahara erreicht auch die extreme Trockenheit im LGM in vielen Wüsten ihren Höhepunkt. Mit den hohen globalen Druckunterschieden verbunden ist eine besonders starke Aerodynamik: In den großen Sandwüsten (Ergs) formieren sich die Megadünen-Systeme der Draa (Sahara, Namib, Takla Makan; Fotos 52, 19) oder die riesigen Längsdünenfelder der Kalahari und Australiens (Foto 65). Die heutige Dornbusch- oder Wüstensavanne der ehemaligen Kalahari-Wüste steht mit ihren fixierten Längsdünen als eindrucksvolles Beispiel für die letzt-kaltzeitliche Expansion der äolischen Formung offener Räume. Thomas (1987) gibt für ihre stabilisierte Dünenfläche 1 Mio. km2 an. Damals verbanden wüstenhafte Verhältnisse die Kalahari mit der Namib und der südafrikanischen Karoo. Untersuchungen an Paläoböden im Tschad und in Mauretanien belegen eine jüngste, mittel-holozäne Dünengeneration, die um ~5000 und um ~3000 Jahren vor heute entstand (Tab. 4).

Tab. 4 Flächenangaben (km2) zu Dünenbildungen aus dem letzten Hochglazial (LGM), die heute stabilisiert sind (n. Angaben bei Cooke et al. 1993)

Sahel und Sudan

730 000

China

694 000

Kalahari

1 000 000

Australien

1 070 000

Tharr/Indien

214 000

Nordamerika

34 000

Ehem. USSR

400 000

Südamerika

100 000

3.4Kulturgeschichtliche Entwicklung in Wüsten und an Wüstenrändern

Die Festlandsoberflächen als Ökosphäre und menschlicher Lebens- und Wirkungsraum (Ökumene) unterliegen einer kontinuierlichen Entwicklung. Veränderungen in der klimatischen Steuerung dieser Landschaftsevolution äußern sich in der Transformation der Geo-Biosphäre und in der Reaktion der betroffenen Menschen. Die jüngsten 20 000 Jahre sind für die globale kulturgeschichtliche Entwicklung besonders bedeutsam und zeigen mit dem Übergang vom letzten Hochglazial mit seinen trocken-kalten Bedingungen in die von Wärme und (regionaler) Feuchtezunahme gekennzeichnete Warmzeit (Holozän) einen durchgreifenden Landschaftswandel. Mit der Ausweitung von Gehölz- und Grasformationen zu Lasten von Wüsten und Wüstenrandgebieten erschlossen sich neue Lebensräume – zunächst für Jäger- und Sammlergesellschaften, Pastoralnomaden und letztlich auch Ackerbaukulturen.

Das Beispiel der Sahara dokumentiert eindringlich, wie innerhalb der aktuellen Warmzeit klimatische Fluktuationen einen Wandel von der Extremwüste zur Gras- und Trockensavanne und wieder zurück zur hyperariden Wüste vollzieht – der ganze Zyklus innerhalb nur weniger Jahrtausende (Kap. 3.4.2; 12.1.3). Ausweitung der Ökumene, kulturelle Blütezeit und schließlich Aufgabe des Lebensraumes (Wüstenflucht, Migration) korrelieren mit den natürlichen Veränderungen. Eine deterministische Beziehung ist unübersehbar.

Die ehemalige kulturhistorische Bedeutung heutiger Vollwüsten beruht auf drei wesentlichen Ursachen, die durch klimatische Feuchtperioden bedingt sind:

Schrumpfung des Wüstenareals durch das Vorrücken der Savannen- und Steppenformationen;

Vegetationsausbreitung innerhalb der Wüste durch autochthone Niederschläge;

Erhöhte Tragfähigkeit der Fremdlingsfluss-Oasen durch verstärkte und regelmäßige Wasserführung.

 

Zu Punkt 1 und 2: Das Wüstenökosystem mit seinen episodischen, geringen Niederschlägen wird durch tropische Gras-Gehölz-Gesellschaften (Savannen) oder außertropische Gras- und Krautfluren (Steppen) abgelöst. Ursache ist die vergrößerte Reichweite und Ergiebigkeit des Monsuns bzw. der größere Einflussbereich von Tiefdruckgebieten der Westwindzirkulation. Die Wüstengrenzen rücken gegen das Kerngebiet vor. Auch fallen jetzt Niederschläge unmittelbar vor Ort und erlauben die Kulturausbreitung in neue Gebiete hinein. Als besondere Leitlinien bieten sich die (wiederbelebten) Wasserläufe mit ihren Kolken und Sumpfstrecken an. Ebenso sind durch Überflutungen oder durch die Auffüllung des Grundwasserkörpers neu entstandene Seen besonders attraktive Gebiete (Kap. 12.1.3). Der verstärkte Vegetationsbesatz in den angrenzenden Flächen zieht Savannentiere als potenzielles Jagdwild an und ermöglicht Pastoralnomadismus, später Domestikation und sesshafte Viehwirtschaft in der Sahara.

Zu Punkt 3: Flüsse, die Vollwüsten durchqueren oder in deren Kernräumen gänzlich versickern und verdunsten (endorhëische Flüsse), erhalten ihr Wasser hauptsächlich aus stärker beregneten Einzugsgebieten angrenzender Räume. In den asiatischen und südamerikanischen Wüsten wurzeln solche Fremdlingsflüsse häufig an Gletschern. Allochthone Flüsse sind somit keine integralen Teile des klimatischen Wüstensystems, sondern bewirken als externe Faktoren höherwertige Lebensraumqualitäten in wüstenhaft-lebensfeindlicher Umgebung, sodass hier bedeutsame kulturelle Entfaltungen möglich sind. Als Prototyp eines bis heute kulturträchtigen Fremdlingsflusses gilt der Nil. Hochstehende Zivilisationen waren zu unterschiedlichen Zeiten ebenfalls beispielhaft an Euphrat und Tigris, an den andinen Flüssen der peruanischen und chilenischen Atacama oder an innerasiatischen Wüstenflüssen entwickelt.

3.4.1Wüstenränder/Wüstenrandgebiete

Die Ränder von Ökozonen sind relativ labil – vergleicht man sie mit den Kernzonen. Dies gilt insbesondere für die Wüstenränder, da hier die ohnehin niedrigen Niederschlagsmittel sehr stark variieren. Das trifft sowohl für die zeitliche und räumliche Verteilung zu, wie auch für die Menge und die lokale/regionale Intensität. Der Grad der Variabilität wächst mit der Abnahme des durchschnittlichen jährlichen Niederschlags.

Wüstenränder als Übergangssäume (Ökotone) zwischen Savannen- oder Steppenökosystemen sind ökologisch wie ökonomisch und sozial äußerst sensitiv (Bubenzer 2010). Sie sind weitaus schlechter gepuffert als Übergangsbereiche zwischen deutlich feuchteren Vegetationsformationen (z. B. Borealer Nadelwald/Steppe; Regenwald/Feuchtsavanne).

Entsprechend vulnerabel sind menschliche Gesellschaften, die in/an Wüstenrändern leben. Sie sind einem hohen Dürrerisiko ausgesetzt, bei insgesamt schwacher Wirtschaftsleistung. Hoher Bevölkerungszuwachs (trotz höchster Kindersterblichkeit) und damit verbundene Überstrapazierung der physiologischen Tragfähigkeit führen häufig zu irreversibler Desertifikation oder gravierender Degradierung der Landschaft – ihr Ertragspotenzial in der Weidewirtschaft oder im Feldbau geht ständig zurück (Kap. 4.8). In Anbetracht dieser bedrohlichen Entwicklung speziell in den Wüstenrandbereichen haben die UN im Jahr 2010 die „Dekade der Wüsten und zur Bekämpfung der Wüstenausbreitung“ ausgerufen.

Manche der heutigen Wüsten spielen eine unerwartete Rolle in der Kulturentwicklung – Sahara und Atacama werden in diesem Kontext näher beschrieben (Kap. 3.4.2; 12.1.3; 3.4.4). Eitel (2008, 2007) hat in grundlegenden Abrissen die kulturgeschichtliche Bedeutung von Wüstenrandgebieten beleuchtet. Der nachfolgende Text greift einige seiner Gesichtspunkte auf: Zwar werden 60 % der Katastrophentoten in Trockengebieten gezählt, umso erstaunlicher ist, dass die ältesten festen Siedlungen in semi-ariden Gebieten zu finden sind. So fand der Prozess der Sesshaftwerdung (Ackerbau, Bewässerungsfeldbau, Domestikation) – die sog. Neolithische Revolution – in einem semi-ariden Klimamilieu des Vorderen Orients statt. Aufgrund der hohen Klimavariabilität müsste dieser Raum als (Dürre-)Risikogebiet eingestuft werden. Eitel vertritt die These, dass „… gerade die hygrischen Fluktuationen in den Wüstenrandgebieten und die resultierenden Umweltveränderungen ganz wesentlich die Kulturentwicklung im frühen und mittleren Holozän stimulierten“ und charakterisiert Wüstenränder als „… raumzeitlich hoch dynamische Gebiete mit Umweltsystemen, die auf Klimaschwankungen […] sehr schnell und tiefgreifend reagieren.“ Hier lebende Gesellschaften müssen folglich öfter als andernorts Anpassungsleistungen vollbringen oder mit Migration reagieren, zumal die Wüstenränder äußerst klima-sensitiv sind und bereits bei schwächeren Klimafluktuationen sehr schnell reagieren. Solche Fluktuationen waren in den letzten Jahrtausenden recht häufig und haben auch in besser gepufferten Regionen die Lebensmöglichkeiten der Menschen stark positiv oder negativ beeinflusst (Blümel 2009, 2006). Für die Wüstenränder mit ihrer Vegetationsbedeckung zwischen <50 % und >10 % bedeutet dies eine Stellung zwischen voll-ariden und semi-ariden Gebieten und in der Klimadynamik des Holozäns einen mehrfachen Wechsel zwischen Wüste und Grasland.

3.4.2Östliche Sahara: siedlungsgeschichtliche Entwicklung

Die Hyperaridität der Sahara während des Hoch- und Spätglazials sowie die nachfolgenden Veränderungen während der holozänen Feuchtperiode(n) werden in Kap. 12.1.3 ausführlich behandelt. Hier sei vorab auf siedlungs- und kulturhistorische Aspekte verwiesen:

Vor etwa 10 000 Jahren begann mit der Ausdehnung und Intensivierung des tropischen Monsuns wie auch der Reichweite der zyklonalen Niederschläge (Westwindzirkulation) die Transformation der Wüste in eine Halbwüste/Wüstenrandgebiet, schließlich in Steppen- und Savannenformationen (Abb. 5).

Um 8000 bis 5000 v.Chr. unterlag die östliche Sahara einem periodischen, semi-ariden Niederschlagsregime. Felsmalereien, Artefakte, ausgetrocknete Seen, Fossilien und fluviale Prozesse dokumentieren diese intensive Feuchtphase (Foto 2; s. Dreikluft 2005).

Für die Zeit zwischen 7000 und 5300 v.Chr. ist Weidewirtschaft (teils in sesshafter Form) mit Ziegen und Schafen nachgewiesen (= Bubalus- oder Rinderzeit in der westlichen und zentralen Sahara). Wildgetreide wurde in der Grassavanne gesammelt.

Ab etwa 5300 v.Chr. schwächte sich der Monsun ab (Abb. 6). Menschliche Aktivitäten mussten sich zunehmend auf noch begünstigte Regionen beschränken. Der Raum verwandelte sich bis in das 3. Jahrtausend v.Chr. zurück in eine Art Wüstenrandgebiet. Nach diesem Prozess der siedlungsgeschichtlichen Regionalisierung erfolgte schließlich die Marginalisierung der kulturellen Entfaltung (Kuper & Kröpelin 2006). Es resultierte eine besondere Art der angepassten Viehhaltung in Kombination mit Jagd, Fischerei und Sammeltätigkeit, die letztlich für den gesamten subsaharischen Raum kennzeichnend wurde. Bald blieben in diesem wieder entstehenden Wüstenrandgebiet nur noch grundwassergespeiste Oasen oder bodenfeuchte Tieflagen zur Nutzung übrig.

Nach 3500 v.Chr. lassen sich im Norden der Ost-Sahara keine Siedlungsspuren mehr nachweisen (Nussbaum & Darius 2008).

Die erneute, natürliche Wüstenbildung im Ostteil der Sahara führte zu entsprechenden Migrationen in Gunstgebiete („Wüstenflüchtlinge“). Nun bildete die während der langen Feuchtperiode recht bedeutungslose Nil-Oase die Basis für eine Hochkultur mit Bewässerungsfeldbau, strukturierter Gesellschaft, Schrift, Verwaltung usw. (Kröpelin 2009; Abb. 47).

Foto 2

Links: Knochen- und Knorpelreste von Krokodilen, die in saharischen Flussläufen, Seen und Sümpfen lebten.

Rechts: Reibschalen in der heute hyperariden Ostsahara zeugen vom Sammeln von Grassamen/Wildgetreide und damit von einer üppigen Grassavanne während der mittelholozänen Feuchtphase (Fotos: S. Kröpelin).

3.4.3Vorderer Orient: Fruchtbarer Halbmond

Die „Neolithische Revolution“ – die Entwicklung von Ackerbau und Sesshaftigkeit als neue Lebensform im Vorderen Orient (Syrien, Mesopotamien) – hat wohl eher eine längere Evolution hinter sich. Der Innovationsprozess in einem ursprünglichen Wüstenrandgebiet begann vermutlich bereits am Ende der spätglazialen Phase und zog sich über mehrere Jahrtausende hin, bis im Neolithikum der Höhepunkt erreicht war. Issar & Zohar (2004) führen eine neo-deterministische Modellvorstellung von A. M. T. Moore (1985) an, die den Übergang von einer aneignenden Jäger- und Sammler-Kultur zu einer anfänglichen Ackerbauerngesellschaft beschreibt. Es wird argumentiert, dass günstige Umweltbedingungen wie Temperaturerhöhung und Anstieg periodischer Niederschläge – gefolgt von Waldverbreitung – um 15 000 J.v.h. einsetzten. Die Bevölkerungszunahme beschränkte die Jagdareale und zwang zu sesshafter Lebensform mit sozialen Hierarchien. Zunehmender Bedarf an Nahrungsmitteln erforderte die Nutzung regionaler/lokaler Ressourcen. Dörfliche Siedlungsweise und Ackerbau bildeten den dominanten Lebensstil des sog. Early Pre-Pottery Neolithic. Um 6000 – 8000 v.Chr. etablierte sich dann das Pre-Pottery Neolithic. Zwar gab es noch keine Keramik, aber paläobotanische Untersuchungen belegen, dass Feldfrüchte in Siedlungsnähe gezogen wurden, die höchst wahrscheinlich auch bewässert wurden.

„Ähnliche zeitgleiche Entwicklungen über migrationsbedingt steigende Bevölkerungsdichte zu resultierenden gesellschaftlichen und technologischen Innovationen scheinen sich auch in anderen Trockengebieten der Alten Welt vollzogen zu haben.“ (Eitel 2007). Entsprechende Untersuchungen liegen aus dem Gebiet des mittleren Niger, vom Indus und aus China vor, wo der Getreideanbau ebenfalls vor 4000 Jahren v.Chr. begann.

Nach Issar & Zohar (2004) geht – bei hohem Bevölkerungswachstum – die Entwicklung der städtischen Zentren in Mesopotamien mit starken Aridisierungsphasen zwischen den Jahren 3500 und 3000 v.Chr. einher. Die Bronzezeit als metallurgische Innovation löst das Chalkolithikum (Kupfersteinzeit; Jüngeres Neolithikum) ab. In den Städten herrscht klare Arbeitsteilung und eine vertikale Gesellschaftsordnung. Architektur und Schrift unterstreichen den zivilisatorischen Fortschritt. Konflikte mit dem nomadischen Umfeld führen zur Befestigung der Städte.

Daraus lässt sich ableiten: Generell scheinen die Wüstenränder in feuchteren Zeiten wie dem Postglazialen Klimaoptimum traditionellen Formen der Nutzung entgegenzukommen: Diffuse Jagd- und Sammeltätigkeit sowie Pastoralnomadismus oder sesshafte Viehhaltung; Fischerei an Seen und Flussläufen. Die Versorgung aus der Natur stimulierte nur wenige Innovationen. Anders ist die Situation während der progressiven Aridisierung im Subboreal (Abb. 6). Die großen (Fremdlings-)Flüsse wie Nil oder Euphrat und Tigris ziehen die Menschen an. Flusswasser wird zur Grundlage des neuen Feldbaus; es entstehen bedeutende Stadtkulturen z. B. im Zweistromland. Während sich das Ökoton Wüstenrandgebiet raumgreifend wieder einstellt, geschieht Zuwanderung und innovative, konzentrierte Kultur- und Gesellschaftsentwicklung entlang allochthoner Flüsse. Mit der Restitution von Wüstenrandgebieten bzw. Wüsten im mittleren Holozän wird Migration und damit auch ein kultureller, gesellschaftlicher und kulturtechnischer Entwicklungsschub in den Flussoasen ausgelöst.

3.4.4Die südperuanische Atacama: Prähistorie und Klimawandel

Das Beispiel der Nasca-Kultur in der südperuanischen Wüste Atacama zeigt, wie ihre Blüte und der Niedergang sowohl vom Zufluss aus dem andinen Hoch- und Hinterland und damit von der Reichweite des Monsuns über den Anden-Hauptkamm hinaus bestimmt wurden. Bereits seit Jahrzehnten steht die Nasca-Kultur – nicht zuletzt wegen der berühmten Scharrbilder in der Wüste (Geoglyphen) – im Fokus kulturgeschichtlicher und archäologischer Untersuchungen. Die (Paracas-)/Nasca-Kultur ist insbesondere von Interesse, weil sie sich von 800 v.Chr. bis 650 n.Chr. in einem extremen Wüstenmilieu in der südperuanischen Atacama entwickelte. Blütephase wie auch Untergang der Nasca belegen beispielhaft sowohl die intensiven Wechselwirkungen der klimagesteuerten Umwelt mit den Möglichkeiten und Grenzen kultureller Entfaltung als auch die Wechselhaftigkeit des Klimas im (jung-)holozänen Südamerika – innerhalb weniger Jahrhunderte. (Die folgenden Ausführungen stützen sich v. a. auf Arbeiten von Mächtle 2007, Mächtle & Eitel 2010, 2009, Eitel & Mächtle 2006).

Als Teil des südamerikanischen Küstenwüstenstreifens (Kap. 13.1) erhält der ehemalige Nasca-Lebensraum um die Städte Palpa und Nasca fast ausschließlich Nebelniederschläge. Regenniederschläge erfolgen nur von Osten über den Monsun, der sich an der Andenkette und im Hochland abregnet. Seitens des Pazifiks wird Regenbildung blockiert durch die kalten Auftriebswässer des Humboldtstroms (Passatinversion; stabile Luftschichtung), durch küstenparallele Luftströmungen aus dem Osterinsel-Hoch und durch divergierende Luftmassen zwischen Festland und Pazifik (s. Abb. 51). El Niño-Auswirkungen werden in diesem Raum nicht mehr wirksam. Das belegen auch die spektakulären Geoglyphenfelder (sog. Nasca-Linien, geometrische Flächen und bildliche Figuren; Foto 3) durch ihren guten Erhaltungszustand. Die zugehörigen Wüstenflächen (Pampas) waren keine landwirtschaftlichen Nutzflächen.

Foto 3

Links: Geoglyphen (Scharrbilder) der Nasca-Kultur auf der Pampa von Palpa in der Atacama-Wüste (Südperu). Im Hintergrund eine Flussoase mit den damaligen wie heutigen Bewässerungsfeldern.

Rechts: Wüstenrand-Lösse an der Westflanke der südperuanischen Anden. In der früh- bis mittelholozänen Feuchtphase (11 000 und 4500 J.v.h.) reichten die monsunalen Niederschläge so weit nach Westen, dass sich in 1000 –2000 m ü.M. ein Grasland einstellte, das die eingewehten Stäube fixierte. Heute ist diese Höhenstufe wieder eine dürftig von Kakteen bewachsene Wüste.

Es ist zu betonen, dass die Kulturflächen der Nasca in erster Linie an leistungsfähige Flussoasen geknüpft waren, die aus hochandinen Räumen außerhalb der Wüste gespeist wurden. Das gebirgige Hinterland war zur Blütezeit der Wüstenkultur jedoch nur dünn besiedelt. Damit steht die Region Palpa/Nasca im Verständnis für die Kulturentwicklung in Wüsten beispielhaft und stellvertretend für die entscheidende Rolle allochthoner Niederschläge und Fremdlingsflüsse als Gunstgebiete in Wüsten: Einzugsgebiete mit deutlich feuchterem Klima bestimmen biologisch reichhaltige natürliche Lebensräume und damit auch das Nutzungspotenzial für Menschen innerhalb extrem arider Umgebung.

Die Untersuchungen von Mächtle (2007) demonstrieren aber zusätzlich das Phänomen der veränderlichen Wüstenränder