Wyatt Earp 104 – Western - William Mark - E-Book

Wyatt Earp 104 – Western E-Book

William Mark

0,0

Beschreibung

"Vor seinem Colt hatte selbst der Teufel Respekt!" (Mark Twain) Der Lieblingssatz des berühmten US Marshals: "Abenteuer? Ich habe sie nie gesucht. Weiß der Teufel wie es kam, dass sie immer dort waren, wohin ich ritt." Diese Romane müssen Sie als Western-Fan einfach lesen! Im Osten kroch schon das Morgengrauen über den Horizont. Aber in den Winkeln der Straßen von Tombstone nistete noch die Nacht. Aus einzelnen Kaminen zogen schon schwefelgelbe Rauchfäden in den Himmel. Von Südwesten her trottete auf müdem, schweiß- und staubbedecktem Gaul ein Reiter auf die Stadt zu: ein untersetzter, kleiner Mann mit schmalen Schultern, überlangen Armen, hagerem, bärtigem Gesicht und einem Augenpaar, das etwas Asiatisches an sich hatte. Der Mann mochte Mitte Vierzig sein, trug einen grauen Schlapphut, dessen Krempe staubbedeckt war, eine graue Joppe, die ebenfalls völlig von Staub überzogen war, und einen patronengespickten Waffengurt, der tief über dem linken Oberschenkel einen großen Smith & Wesson Revolver hielt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 167

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wyatt Earp –104–

Behans Rache

Roman von William Mark

Im Osten kroch schon das Morgengrauen über den Horizont. Aber in den Winkeln der Straßen von Tombstone nistete noch die Nacht. Aus einzelnen Kaminen zogen schon schwefelgelbe Rauchfäden in den Himmel.

Von Südwesten her trottete auf müdem, schweiß- und staubbedecktem Gaul ein Reiter auf die Stadt zu: ein untersetzter, kleiner Mann mit schmalen Schultern, überlangen Armen, hagerem, bärtigem Gesicht und einem Augenpaar, das etwas Asiatisches an sich hatte. Der Mann mochte Mitte Vierzig sein, trug einen grauen Schlapphut, dessen Krempe staubbedeckt war, eine graue Joppe, die ebenfalls völlig von Staub überzogen war, und einen patronengespickten Waffengurt, der tief über dem linken Oberschenkel einen großen Smith & Wesson Revolver hielt. Die engen Yerney-Hosen waren vom feinen Flugsand derartig mit Staub bedeckt, daß sie vorn eine hellere Farbe angenommen zu haben schienen.

Tief hing der Reiter über der Mähne seines braunen Wallachs.

Beide Hände hatte er um den Sattelknauf gekrampft. Ganz starr war sein Blick nach vorn gerichtet, dorthin, wo jeden Augenblick hinter einer Bodenwelle die Häuser der Stadt auftauchen konnten.

Der Reiter hatte einen weiten Weg hinter sich; den Weg von Nogales nach Tombstone.

Endlich tauchten in der Ferne die ersten Häuser der Stadt auf. Das heißt, es waren erst die Hütten der berüchtigten Miner Camps, die im Südwesten der Stadt lagen und seit langem ein großes Ärgernis für Tombstone darstellten.

Müde trottete der Braune auf die ersten Hütten zu. Ein großer, zottiger Hund kam aus einem Hoftor, überquerte die Straße, blieb dann stehen, sah sich nach dem Reiter um und lief schweifwedelnd weiter.

Der Mann wandte keinen Blick von der Straße. Es schien so, als hielte er sich mit letzter Anstrengung im Sattel.

Dann hatte er die erste Straße erreicht und hielt auf ein altes, windschiefes Haus zu, dessen Hoftor offenstand.

Der Reiter rutschte aus dem Sattel und stand einen Augenblick benommen neben seinem Gaul. Dann stieg er mit hölzernen Bewegungen die beiden Vorstufen hinauf und klopfte an die Haustür.

Es dauerte sehr lange, bis eine junge Frau an einem der Fenster erschien. Unwillig blickte sie auf den Fremden.

»Was wollen Sie?« fragte sie.

Der Mann wischte sich übers Gesicht.

»Ich suche einen Freund«, erklärte er mit schnarrender Stimme.

»Einen Freund?« wiederholte die junge Frau argwöhnisch. »Wer sind Sie denn?«

Der Reiter kam auf sie zu, nahm seinen Hut ab und schlug den Staub heraus.

»Mein Name ist Cornelly, Jeff Cornelly aus Nogales. Vielleicht können Sie es ihm sagen.«

Die Frau zog die Brauen zusammen und entgegnete etwas leiser: »Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen, Mr. Cornelly.«

Da trat der Mann noch näher ans Fenster und zischte: »Stellen Sie sich doch nicht so an. Ich bin Cornelly, der Sheriff von Nogales!«

Die Frau wich zurück und blickte ihn ärgerlich an.

»Ich verstehe Sie wirklich nicht, Mr. Cornelly…«

»Damned!« entgegnete der Mann. »Ich will Kirk McLowery sprechen.«

Da wurden die Augen der Frau schmal. Mit nicht ganz sicherer Stimme erklärte sie: »Kirk McLowery? Ich kenne ihn nicht.«

Der Mann schob den Unterkiefer vor, blickte nach allen Seiten und knurrte dann: »Es ist unnötig, Miss, daß Sie mir irgendeine Story erzählen. Sie sind doch Lourie Flanagan. Ich weiß genau, daß sich Kirk hier aufhält.«

Eine dunkle Röte überzog das Gesicht des Mädchens.

»Ja, ich bin Lourie Flanagan. Aber ich weiß nicht, wen Sie hier suchen. Ich kenne keinen Mr. McLowery.«

Der gefürchtete Sheriff zischte: »Hören Sie, Miss Flanagan. Ich bin aus Nogales geflohen…«

»Geflohen? Vor wem denn?«

»Herrgott, das kann ich Ihnen doch nicht hier auf dem Vorbau erklären! Rufen Sie Kirk McLowery!«

Das Mädchen gab auf. »Ich werde Ihnen die Tür öffnen.«

Es dauerte nicht sehr lange, da vernahm Cornelly Schritte im Korridor, und die Tür wurde geöffnet. Aber es war nicht Lourie Flanagan, die vor ihm stand, sondern ein Mann: groß, schlank, hager, mit olivfarbenem Gesicht, scharf ausrasiertem Schnurrbart, hochaufgeschwungenen schwarzen Brauen und dunklen Augen. Der Mann hatte ein gutgeschnittenes Gesicht, aber irgend etwas darin wirkte diabolisch. Sein Haar war schwarz, glatt und glänzend. Er trug ein weißes Rüschenhemd, das oben am Hals offenstand. Er war anscheinend nicht dazu gekommen, sich eine Halsschleife umzubinden. Auch eine Jacke oder Weste trug er nicht. Aber einen großen büffelledernen Revolvergurt hoch in der Hüfte, der an langen Lederschuhen zwei schwere Peacemaker Colts hielt.

Seine langen geraden Beine steckten in enganliegenden schwarzen Levishosen, die in den kurzen Schäften seiner neuen, hochhackigen Stiefel endeten.

Der Mann hieß Kirk McLowery und war der Bruder jener beiden Desperados, die vor zwei Jahren beim Kampf im O.K.–Corral ihr Leben gelassen hatten.

Beim Anblick des frühen Besuchers richtete sich der Mann aus dem San Pedro Valley zu seiner eindrucksvollen Höhe auf, zog die linke Augenbraue hoch in die Stirn und fragte mokant: »Cornelly, was wollen Sie hier?« Die mehr als frostige Begrüßung traf den geflüchteten Sheriff sehr.

Er wurde einen Schein bleicher und keuchte: »Ich mußte aus Nogales flüchten, Kirk.«

»Und?«

Cornelly wich einen halben Schritt zurück.

»Ich… mußte flüchten! Sie verstehen mich offenbar nicht, Kirk. Wyatt Earp ist hinter mir her.«

Sofort verdüsterte sich das Gesicht des Desperados.

»Was geht das mich an?«

Cornelly rang schwer nach Atem und stülpte sich seinen Hut auf den Schädel.

»Kirk… ich dachte, wir wären Freunde.«

»Freunde?« Verächtlich stieß der Outlaw beide Hände in die Hosentaschen. »Nein, Jeff Cornelly, wir sind keine Freunde. Was wollen Sie also?«

»Ich dachte, Sie könnten mir weiterhelfen«, stammelte der Sheriff.

»Wie soll ich Ihnen weiterhelfen? Sie sind in Tombstone. Da sind Sie weit genug geritten.«

»Ich verstehe Sie nicht, Kirk…«, stammelte der verräterische Sheriff.

»Denken Sie darüber nach.«

Rums! fiel die Tür vor Cornellys Nase ins Schloß.

Zitternd vor Wut und Hoffnungslosigkeit, stand der Mann auf dem Vorbau und starrte auf die abblätternde Farbe der Tür.

Ich muß etwas unternehmen! zuckte es durch das Hirn des Geflüchteten. Ich kann mich nicht so von ihm wegschicken lassen. Er ist der einzige, der mir hier helfen wird.

Flüchtig, nur für einen winzigen Augenblick, kam ihm der Gedanke an einen anderen Mann, der etwa von gleicher Größe war, aber ein pockennarbiges, verwegenes und gefährliches Gesicht und gelbe glimmende Augen hatte: Phin Clanton! Aber nein. Cornelly verwarf diesen Gedanken sofort wieder. Die Clantons waren noch unzugänglicher. Außerdem lag ihre Ranch mehr als achtzehn Meilen von der Stadt entfernt. Das war noch aussichtsloser. Er mußte Hilfe bei Kirk McLowery finden: wenn überhaupt, dann bei ihm. Er hatte großen Einfluß in der Stadt, und man würde bei ihm kaum nach einem geflüchteten Sheriff suchen.

Verzweifelt klopfte er noch einmal gegen die Tür. Sie wurde sofort geöffnet.

Kirk McLowery blickte den untersetzten Mann böse an.

»Was wollen Sie noch?«

»Mr. McLowery…«, stammelte der Sheriff in unterwürfigem Ton, »ich bitte Sie, helfen Sie mir. Ich… habe fest damit gerechnet…«

»Ihr Fehler!« unterbrach ihn der Desperado schroff.

Da zerrte der Sheriff eine große Geldnote aus der Tasche, der er nach kurzem Zögern noch drei weitere hinzufügte, faltete sie zusammen, und reichte sie dem Mann aus dem San Pedro Valley.

Kirk McLowery würdigte die Dollarnoten keines Blickes.

»Verschwinden Sie, Cornelly!«

Der Sheriff stieß einen Fluch durch die Zähne: »Das werden Sie bereuen, McLowery!«

Wie ein Geschoß schnellte die Rechte des Desperados vor, packte Cornelly am Rockaufschlag und zerrte ihn zu sich heran.

McLowery überragte Cornelly fast um Haupteslänge.

»Hör zu, Cornelly«, zischte er, »ich liebe es nicht, in dieser Weise angeredet zu werden. Merk es dir, sonst wirst du nicht alt.«

Er stieß ihn mit einem derben Ruck von sich und warf die Tür krachend ins Schloß.

Jetzt wußte Jeff Cornelly, daß jede weitere Bitte nutzlos war. Dieser Mann war eiskalt und brutal.

Cornelly blickte auf seinen zerschundenen, ausgepumpten Gaul und sah dann die Straße hinunter.

Er erwartete das Bild, dem er schon seit Stunden entgegenbangte: eine helle Staubwolke, die von einem schnellen, falbbraunen Hengst herrührte, dessen Reiter niemand anderes war als Wyatt Earp!

Aber der Missourier schien sich die Sache anders überlegt zu haben. Jedenfalls war er ihm nicht sofort von Nogales gefolgt, sonst müßte er den Sheriff, der ein bedeutend langsameres Pferd ritt, längst eingeholt haben.

Cornelly verließ den Vorbau und trat mit gesenktem Kopf auf die Straße.

In tiefer Verzweiflung stand er da, die Zähne zusammengepreßt, mit zitternden Beinen und total erschöpft.

Er war aus Nogales vor dem großen Marshal Earp geflüchtet. Ausgerechnet nach Tombstone hatte er sich gewandt. In die Höhle des Löwen – und doch in die einzige Stadt, in der er hatte hoffen können, Rettung zu finden.

Aber der Mann, von dem er diese Ratschläge erwartet hatte, kannte kein Mitleid, hatte ein kaltes Herz. Kirk McLowery war anders, als seine Brüder Frank und Tom gewesen waren.

An wen sollte er sich jetzt noch wenden?

Schräg gegenüber war Rozy Gingers Saloon. Da war noch alles geschlossen. Die ganze Stadt schien noch zu schlafen. Unten wurden die Tore eines Mietstalls geöffnet, und der schaukelnde Karren eines Traders, der dort über Nacht gestanden hatte, rollte knirschend durch den Sand der Straße davon.

Aus einem Häuserspalt sprang eine große graue Katze und huschte unter den Vorbau.

Gleich darauf war das widerliche Fiepen einer gejagten Ratte zu hören, das kurz darauf in einem so abscheuligen Ton erstarb, daß der Mann erschauerte.

War das nicht ein Abbild seines eigenen Schicksals? War nicht auch er in eine Falle gelaufen? War nicht auch hinter ihm die große graue Katze her, die auch ihn mit tödlicher Sicherheit jagen und packen würde?

Mit einem Ruck wandte er sich um, zerrte sich in den Sattel. Und als er mit dem Fuß nach dem rechten Steigbügel suchte, rutschte er auf der anderen Seite wieder vom Pferd herunter und landete hart auf dem Boden.

Der Stoß fuhr ihm durch den ganzen Körper.

Cornelly richtete sich ächzend auf, machte sich aber nicht erst die Mühe, den Staub aus den Kleidern zu klopfen, sondern zog sich erneut auf den Gaul. Kaum hatte er die Zügelleinen herumgerissen, als ein Schuß brüllend über die Straße heulte und den kleinen Mann wie ein Keulenschlag traf. Jeffry Cornelly wurde nach vorn gestoßen und rutschte über den Hals des Pferdes wieder in den Staub der Straße.

Mit ausgebreiteten Armen lag er da und starrte in den grauvioletten Himmel von Tombstone.

Kirk McLowery war auf der Treppe zum Obergeschoß, als draußen der Schuß fiel. Er blieb stehen, lauschte, wandte sich dannn um und ging hinunter in die Stube. Durch die Gardine sah er Cornelly auf der Straße liegen.

Er ging in den Flur, stieß die Korridortür auf und trat auf den Vorbau.

Der Desperado wußte genau, daß er jetzt von allen Seiten gesehen und beobachtet wurde. Mit schnellen Schritten ging er auf die Straße und blieb neben dem Niedergeschossenen stehen.

Dann wandte er sich um und rief: »Bill! Joe!«

Am Hoftor erschienen zwei halbwüchsige Burschen.

Der Desperado winkte ihnen, und die beiden kamen heran.

»Los, hebt ihn auf und bringt ihn ins Haus!« gebot er ihnen. Dann erst sah er sich nach allen Seiten um. Aber der Todesschütze war nirgends zu sehen.

Mit gesenktem Kopf ging der Desperado ins Haus zurück. Als er die Tür hinter sich zugedrückt hatte, schrie er: »Lourie!«

Am Ende des Flures öffnete sich die Küchentür um einen Spalt; das Gesicht des Mädchens erschien.

»Komm her!« rief ihr McLowery entgegen.

Sie trat auf den Gang hinaus, machte zwei Schritte vorwärts und blieb dann stehen.

Kirk stürmte auf sie zu: »Wer hat ihn erschossen?«

Das Mädchen blickte ihn fassungslos an. »Ich weiß es nicht.«

»Du mußt es doch gesehen haben.«

Lourie Flanagan schüttelte verwirrt den Kopf. »Nein, ich habe es nicht gesehen.«

Da packte er sie am Arm und schüttelte sie wild hin und her. »Du wirst mir sofort sagen, wer ihn ausgelöscht hat.«

»Ich habe doch gesagt, daß ich es nicht gesehen habe. Ich war hinten in der Küche.«

»Das ist nicht wahr. Als ich die Treppe hinaufging, warst du vorn im Wohnzimmer.«

Sie senkte den Kopf. »Ja, ich stand im Wohnzimmer. Ich habe gesehen, wie er vom Pferd fiel. Ich habe auch den Schuß gehört. Aber ich weiß nicht, wer ihn erschossen hat. Das kann ich beschwören.«

»So, das kannst du beschwören? Du wirst dich wundern!« Es blitzte gefährlich in seinen Augen auf.

»Kirk.« Sie blickte ihn flehentlich an. »Was hast du vor?«

»Ich werde den Mörder Jeff Cornellys jetzt suchen.«

Er ging hinauf in das Zimmer, in dem er geschlafen hatte, holte seine Jacke, stülpte sich den Hut auf den Kopf, schnallte sich seinen Waffengurt um und verließ das Haus.

Das Mädchen blickte ihm mit traurigen und angstvollen Augen nach.

McLowery ging hinauf in die Allenstreet und betrat den Vorbau von Behans Sheriffs Office. Als er die Tür aufstoßen wollte, mußte er feststellen, daß sie verschlossen war.

Er stampfte über den Vorbau weiter, überquerte eine Seitengasse und blieb vor dem großen neuen Haus von Burt McIntosh stehen. Vom Hof kamen die Geräusche eines Wagens, der aus einer Scheune geschoben wurde. Deichselketten klirrten aneinander, und die fluchende Stimme eines alten Mannes drang bis auf die Straße.

Kirk trat an das Hoftor und versuchte, es zu öffnen.

Es war von innen verriegelt. Da hämmerte er dagegen.

Gleich darauf war die Stimme des Alten zu hören. »Was ist denn los?«

»Mach auf!« knurrte der Desperado.

Der alte Peon schien diese Stimme genau zu kennen – und zu fürchten.

Er eilte auf das Tor zu, warf den Riegel zurück und öffnete.

Kirk schob das Tor rücksichtslos weiter auf, ohne darauf zu achten, daß er den Alten dadurch zurückstieß.

»Wo ist dein Boß?« fragte er.

»Mr. McIntosh schläft wahrscheinlich noch«, entgegnete der Peon.

»Weck’ ihn!«

Der Alte nickte und entfernte sich.

Nach wenigen Minuten kam er mit einem älteren Mann zurück, dem man ansah, daß er soeben aus dem Bett gekommen sein mußte.

Burt McIntosh blickte dem Mann aus dem San Pedro Valley nicht eben freundlich entgegen.

»Was führt Sie so früh zu mir, Mr. McLowery?«

Der Desperado stemmte die Arme in die Hüften, spreizte die Beine und nahm den Kopf hoch.

Was sollte dieser Auftakt? überlegte der Bürgermeister, während er unsicher nickte.

»Da unser Sheriff sich nicht in der Stadt aufhielt, ist es Ihr Amt, dafür zu sorgen, daß hier Ordnung herrscht.«

»Was haben Sie zu bemängeln, Mr. McLowery?« entgegnete McIntosh, wobei er sich bemühen mußte, das dunkle Angstgefühl, das in ihm aufstieg, zurückzudrängen.

Der Desperado sah sich in dem großen sauberen Hof des Pferdehändlers um und erwiderte: »Vor einer Viertelstunde ist ein Mann ermordet worden.«

McIntosh zog die buschigen Brauen zusammen. »Wer?« fragte er.

»Jeff Cornelly, der Sheriff von Nogales.«

»Cornelly? Ich wußte gar nicht, daß er in Tombstone war…« Argwohn stand in den dunklen Augen des Händlers.

Der Desperado lächelte zynisch. »Muß er ja wohl, Mayor, denn es ist kaum anzunehmen, daß ihn jemand über die Distanz von fast siebzig Meilen erschossen haben könnte.

McIntosh senkte den Kopf, während er die nächste Frage stellte: »Und weiß man, wer ihn getötet hat?«

»Der Mörder hat sich nicht sehen lassen.«

»Sie sagen: der Mörder?« McIntosh zog die Brauen hoch. »Wie kommen Sie darauf, daß er ermordet worden ist?«

Wieder flog das zynische Lächeln über das Gesicht des San Pedro-Mannes. Unendlich verächtlich erklärte er: »Wenn ein Schuß fällt, Mr. McIntosh, und ein Mann kippt aus den Stiefeln – und nirgends ist jemand zu sehen, dann ist das Mord.«

Der Mayor ließ den Kopf sinken und schob die Hände in die Taschen.

Die Sonne war inzwischen über den Horizont gestiegen und bedeckte die Giebel und Dächer der Häuser mit einem purpurnen Licht.

Kirk McLowery machte abrupt kehrt und verließ den Hof des Mayors.

*

Kirk McLowery hatte so laut mit Jeff Cornelly gesprochen, daß die junge Saloonerin Rozy Ginger aufgewacht war, aufstand und ans Fenster trat. Sie blickte verschlafen durch die Gardine auf die Straße und sah drüben auf dem Vorbau den fremden Reiter stehen.

Da es sie nicht interessierte, was dort vorging, wandte sie sich ab, drehte sich dann aber wieder um und blickte verblüfft hinaus.

Drüben in der Mündung der Lemonen Street hielt ein Reiter.

Es war ein mittelgroßer, untersetzter, hagerer Mensch mit seltsam gelbem Gesicht und zottigem Seehundschnurrbart. Seine Augen waren wasserhell und lagen tief unter blonden, nach unten stehenden dichten Brauen. Er trug einen sandfarbenen Melbahut und ein hellblaues Hemd. Seine Jacke war aus braunem Leinenstoff wie auch seine Hose, die unten in überlangen Schaftstiefeln steckte. Er trug keinen Waffengurt. Dafür umspannte seine rechte Hand ein Gewehr, eine siebenundsiebziger Winchester.

Rozy würde sich später genau daran erinnern. Es war eigentlich nichts Besonderes an diesem Mann, und doch hatte er irgend etwas an sich, das den Blick der jungen Frau festhielt.

Jetzt verließ der kleine Mann drüben den Vorbau, trat auf die Straße, zog sich auf sein Pferd und rutschte wieder herunter.

Der zweite Versuch gelang, und als er endlich im Sattel saß, wollte sich die Saloonerin abwenden, um noch ein paar Minuten ins Bett zu kriechen.

Aber sie blickte noch einmal auf den Mann, der dicht an der Hauswand in der Gassenmündung hielt, und sah zu ihrem Schrecken, wie er in diesem Moment die Winchester hochriß.

Der Schuß röhrte über die Straße.

Und der kleine, staubige Mann stürzte getroffen aus dem Sattel.

Die Frau starrte entsetzt auf den Niedergeschossenen. Als sie endlich den Bick hob, um nach dem Mordschützen zu sehen, war er verschwunden.

*

Man war in Tombstone schon an vieles gewöhnt und ganz sicher nicht empfindlich. Aber was da eben geschehen war, war blanker Mord. Das sah sie jetzt, als drüben aus dem Haus der Mann aus dem San Pedro Valley kam und auf den Niedergeschossenen blickte. Der Fremde, der da weggeschleppt wurde, war tot.

Die Frau hatte ein untrügerisches Gefühl dafür, und ganz sicher war es kein gutes Gefühl: schon vor Jahren im Bruchteil einer Sekunde erworben, als ihr Vater oben in Santa Fé in einer Schenke erschossen worden war. Sie hatte es mit ansehen müssen, sie – das damals kleine Mädchen Rozy.

Mit ihrem Schlaf war es vorbei. Sie ging hinunter in die Küche, wusch sich und begann ihr Tagewerk.

Als sie um neun Uhr die Saloontür öffnete, war die Straße noch leer.

Rozy Ginger ging an die Theke zurück, nahm ein Tuch und begann Staub zu wischen.

Plötzlich schrak sie zusammen.

Die hölzernen Schwingarme der Pendeltür wurden auseinandergestoßen und der Mann, der hereinkam, war niemand als der Fremde, der im Morgengrauen den Schuß aus dem Hinterhalt abgegeben hatte.

Der Mörder machte zwei Schritte in den Raum hinein, blieb stehen und blickte die Frau an.

In Rozys Augen stand blanke Angst.

Was will er von mir? Weiß er, daß ich ihn beobachtet habe? Das ist doch ausgeschlossen. Ich hatte doch die Gardinen zugezogen. Nie und nimmer kann er mich da gesehen haben.

Oder doch? Wie eine Eisenklammer saß ihr die bange Frage im Genick.

Mit Gewalt mußte sie sich aus dem Blick des Fremden lösen. Sie nahm ihre Arbeit wieder auf und tat so, als ob die Nähe des Fremden sie nicht im mindesten störte.

Außerdem mußte er ja an die Theke kommen, wenn er irgend etwas wollte.

Aber der Mann blieb stehen, wo er stand: zwei Schritt vor der Pendeltür – und rührte sich nicht.

Rozy schluckte, sah auf und fragte: »Bitte?«

Sie erschrak vor ihrer eigenen Stimme; wie fremd und hohl sie auf einmal klang.

Der Mann antwortete nicht.

Rozy wischte sich nervös über die Stirn, griff nach einem der Gläser und tauchte es mit einer mechanischen Bewegung in die Spülwanne.

»Sie wünschen einen Whisky…?«

Der Mann sagte nichts, stand immer noch wortlos an der gleichen Stelle und sah sie nur an.

Rozy verlor ihre Fassung mehr und mehr.

»Was wünschen Sie?« Sie schluchzte fast.

Jetzt sah sie, daß die Augen des Mannes vollkommen farblos schienen. Es waren die hellsten Augen, die sie jemals gesehen hatte. Und auch die härtesten. Wie Tieraugen, dachte sie.

Da setzte sich der Mann in Bewegung, kam auf die Theke zu und blieb dicht davor stehen.

Rozy wich entsetzt bis an die Tür zum Korridor zürück.

Da öffnete der Fremde die Lippen. Seine Stimme hatte etwas seltsam Dämonisches und Überlegenes, sie drang einem unter die Haut. Er sprach nicht laut, im Gegenteil, eher leise gedämpft, und doch schwang in dieser Stimme etwas Unheimliches, etwas Gefährliches mit.

»Mein Name ist Kilby.« Es war eine Stimme ohne jeden Klang, spröde und brüchig.

Der Mann legte seine Hände auf das Thekenblech.