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Mit dem ersten Band der Ahkis-Trilogie hat Conan Reed bewiesen, dass er „Clean Fantasy“ auf höchstem Niveau beherrscht, und führt im zweiten Band „Zaubertal“ die fantastische Reise des jungen Magiers Alex auf Bathan fort – mit jugendfreien All-Age-Abenteuern, die bedenkenlos von Jung und Alt genossen werden können. Tief verborgen im Fluss der Zeit liegt das Zaubertal, ein geheimnisvolles Gebiet voller Rätsel und vergessener Ruinen. Nur wer das Rätsel der Zeittreppe löst, kann durch das verborgene Tor treten und das Zaubertal erreichen. Conan Reed, Lord of Glencoe dazu: „Ich nehme meine gesamte Zielgruppe ernst. Ein zehn- oder elfjähriger Leser ist zum Beispiel kein Kleinkind mehr. Deshalb sind Sprache, Thema, Illustration und Layout darauf abgestimmt: einfach, aber nicht kindisch; spannend, aber nicht aggressiv; schön, aber nicht niedlich. In Bathan siegt das Gute, Tugend und Treue werden belohnt, und wahre Stärke erwächst aus Klugheit, Mut und reiner Fantasie – niemals aus Gewalt. Keine Monster, kein Blut; nur unterhaltsame Abenteuer und jugendfreie Spannung. Pure ‚Clean Fantasy‘.“ Alex und seine Gefährten müssen sich in zahlreichen Prüfungen bewähren: Sie werden vom geheimnisvollen Mädchen mit dem doppelten Schatten verfolgt und geraten ins Visier von Semus Häschern, die jede ihrer Bewegungen beobachten. Auf ihrer Flucht schließen sie ungewöhnliche Bündnisse, kämpfen sich gemeinsam durch Hinterhalte, lösen knifflige Rätsel und überwinden ihre tiefsten Ängste, bis sie das Herz des Zaubertals erreichen und dessen wahre Bestimmung entdecken. „Zaubertal“ ist ein fesselnder Fantasy-Roman, der mit kurzen Kapiteln, viel Fantasie und gewaltfreien Prüfungen Leser jeden Alters verzaubert. Erleben Sie, wie ein junger Magier mit Mut, Grips und reinem Herzen die wahre Macht des Zaubertals erkundet. Tauchen Sie ein in eine Welt voller Magie und Wunder, in der nichts ist, wie es scheint, und jede Begegnung neue Geheimnisse birgt.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Die Ahkis-Trilogie, Band 2
von Conan Reed, Lord of Glencoe
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Umschlag, Illustration: © 2025 Conan Reed, Lord of Glencoe
Lektorat: Juliane Husemann
Verlag: Conan Reed, Lord of Glencoe Talerweg 29 81825 München
www.conanreed.com
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
© 2025 Conan Reed, Lord of Glencoe
Alle Rechte vorbehalten.
Meiner Königin Auna
Weil sie an mich und an Bathan immer geglaubt hat,
und weil wir „schau - so“ sind.
INHALT
Kapitel 1. Traumfluss
Kapitel 2. Wolkenreise
Kapitel 3. Zauberrat
Kapitel 4. Sturmberg
Kapitel 5. Zaubergrün
Kapitel 6. Königsschmiede
Kapitel 7. Drachenprinz
Kapitel 8. Weinwoche
Kapitel 9. Zeittreppe
Kapitel 10. Zaubertal
Kapitel 11. Sturmangriff
Als Clean Fantasy bezeichnet man einen Schreibstil, der den Kindern und Jugendlichen spannende, gewaltfreie Erzählungen schenkt. Jugendfreie Texte, All-Age Literatur für Jung und Alt, die auch unsere Kinder lesen und hören können, und dabei jede Menge Spaß haben.
Die Herausforderung, gewaltfreie Spannung anzubieten nahm ich bereits mit dem ersten Buch der Ahkis-Trilogie, „Drachenreif“ gerne an. Diese Fortsetzung, "Zaubertal" lädt Sie jetzt ein, gewaltfreie Fantasy zu genießen.
Ich wünsche Ihnen eine spannende Unterhaltung.
Conan Reed, Lord of Glencoe
www.ConanReed.com
instagram.com/ReedConan
Kapitel 1. Traumfluss
Darian und Maxi hatten den ganzen Nachmittag bei Opa Alex verbracht. Sie hatten gerade Ferien. Darian kam in die zweite Klasse, Maxi freute sich, bald das letzte Kindergartenjahr antreten zu dürfen. Sie hatten den ganzen warmen Sommernachmittag durch den Garten fröhlich getobt und kreuz und quer mit dem Gartenschlauch herumgespritzt. Vor dem Abendessen entschieden sie sich, die Eichel, die Opa Alex als Kind von der alten Eiche im Garten gerettet hatte, in einer feierlichen Prozession zu pflanzen. Es war fraglich, ob aus der getrockneten Eichel jemals ein Baum wachsen würde. Dies hielt die drei nicht davon ab, das geschrumpfte Etwas zu pflanzen und die Stelle mit zwei weißen Steinen zu markieren.
Später am Abend war wieder Märchenstunde angesagt. Nach der üblichen Kissenschlacht kamen die Jungs langsam zur Ruhe und schauten erwartungsvoll von ihren Betten auf ihren Großvater. Opa Alex hingegen tat so, als ob er sich für die Nacht verabschieden würde. Er schmatzte jedem Enkel einen Gutenacht-Kuss auf die Wange und ging auf die Tür zu.
„Nein, Opa, bleib hier!“, rief Maxi mit wachsendem Entsetzen.
„Wieso, was habe ich vergessen?“ Opa Alex schmunzelte. „Ach ja, Gute Nacht, schlaft gut, Kinder.“
„Die Geschichte, Opa!“, flehte Darian.
„Ach so“, spielte Opa den Verdutzten, „ihr wollt das Märchen vom singenden Pilz hören? Oder welches?“
„Mit dem Ahkis!“, riefen die beiden Kinder so laut, dass sich die Tür öffnete und der besorgte Kopf der Mutter hereinschaute.
Sie erkannte die Lage und tadelte: „Papa, spann sie nicht so sehr auf die Folter.“
„Aber Lilia, meine Liebe, es geht uns bestens. Sie wollten mich nur gerade daran erinnern, wo wir letztes Mal aufgehört haben.“
„Beim Fluss!“, erinnerte Darian.
„Ja, wir waren noch nicht bei der Pyrami-mi-mi-de!“, stotterte Maxi siegreich.
„Mach ihnen bloß keine Angst mit deinen alten Geschichten“, drohte Lilia spielerisch mit dem Zeigefinger und verschwand mit einem „Gute Na-acht.“
„Angst?“, blickte Opa Alex verträumt. „Dush hat mir einst gesagt, dass ein Magier nie Angst hat.
Es ist schwer zu beschreiben, was ich an jenem kühlen Morgen nach unserer Flucht empfand, als ich am Flussufer aufwachte. Nach der frostigen Nacht auf Bathan vermisste ich mein Bett. Aber ich fühlte auch Freude, weil wir Gean entkommen waren, Schmerz, weil Dush von uns gegangen war und Neugier darüber, was uns im sagenumwobenen Zaubertal wohl erwarten würde.
Doch Angst? Nein, an Angst kann ich mich nicht mehr erinnern.
War das ein Zeichen, dass ich ein Tah geworden war? Um ehrlich zu sein, war das meine geringste Sorge. Nachdem sich Dush für uns aufgeopfert und mein Ahkis sich mit mir vereint hatte, waren Prinz Patar, Ritter Barian und der ehemalige Baumsoldat Erun meine einzigen Freunde auf dieser magischen Welt. Unser Überleben und das Fortbestehen des weißen Königreichs hingen davon ab, wie gut wir zusammenarbeiteten.
„Wir müssen Albuhn auf Schleichwegen erreichen, mein Tah. Der direkte Weg würde uns nur in die Hand des Feindes ausliefern.“
Es war Prinz Patar, der gesprochen hatte. Es fiel mir erst später auf, dass er mich nicht mehr Tah’rin genannt hatte. Es war für mich neu und fühlte sich doch so natürlich an, als Tah angesprochen zu werden.
„Alles der Reihe nach. Zuerst müssen wir sehen, wie wir zum anderen Ufer kommen“, sagte ich und zeigte auf die morsche Brücke über den inzwischen etwas ruhiger fließenden Fluss.
„Du klingst auch schon fast wie er“, sagte Barian traurig. Ohne einen Namen zu nennen, wussten wir alle, von wem er sprach.
„Zeit zum Aufbrechen“, entschied Patar und zeigte in Richtung der Hängebrücke aus verflochtenem Schilf, die wir am Vorabend im Halbdunkel nicht betreten hatten. „Der Leichteste unter uns sollte herausfinden, ob die Brücke passierbar ist.“
Alle schauten mich erwartungsvoll an. Meinten sie wirklich, dass ich die verrottete Brücke überprüfen sollte?
„Du bist der Leichteste“, beantwortete Barian meine stille Frage.
„Nicht Feuerschild. Feuerschild Leichtester. Schwerster muss. Erun muss. Erun aus Holz. Erun immer über Wasser, kein Problem.“
Unser Baumfreund hatte Recht. Wenn der Schwerste von uns die Brücke nicht überqueren konnte, hätten wir alle einen anderen Weg finden müssen. Gesagt, getan: er näherte sich der Brücke. Das Geflecht aus Schilf bot keinen vertrauenserweckenden Anblick. Besonders der dunkelbraune Mittelteil schien morsch, hing deutlich zu tief und war von tropfenden Flechten bedeckt, ein Zeichen dafür, dass dieser Abschnitt bei normalen Wasserpegel vom Fluss überspült wurde. Es war schwer zu glauben, dass sie überhaupt noch tauglich war.
Erun schlängelte los. Seine dicken Wurzeln peitschten nach vorne bis zum Brückenansatz, tasteten dann vorsichtig die Oberfläche ab. Der Kurze knurrte etwas, dann traute er sich drauf. Die Hängebrücke spannte sich unter seinem Gewicht. Er glitt weiter vor. Doch als er sich dem Mittelteil näherte, gab die Brücke ein langes Stöhnen von sich. Die laute Vorwarnung hatte Erun gereicht, um sich hastig zum Brückenkopf zurückzuziehen und sich dort zu verankern.
„Brücke nicht“, stellte er trocken fest. „Anders muss.“
„Ich kenne die Gegend“, sagte Barian. „Etwas weiter flussabwärts folgt eine weitere Brücke, beim Zudder-Damm. Keine Stunde von hier entfernt. Dort haben wir, Herons Männer, öfters gejagt, bevor ich … ich meine, vor meinen ruhmreichen Taten in Omero.“
Wir brachen auf und folgten dem Fluss. Unterwegs trafen wir einen Holzfäller mit einem vollen Karren Holz, der uns misstrauisch beäugte. Vor allem schien er sich für Patar zu interessieren. Er sah das goldene Dreieck auf meiner Stirn, murmelte einen kurzen Gruß und machte sich so schnell aus dem Staub, dass sein Karren einige Holzscheite verlor.
„Das ist nicht gut, Patar“, sagte Barian zum Prinzen, als sich der Holzfäller entfernt hatte. „Gar nicht gut. Er schien dich zu erkennen.“
„Wir werden bestimmt steckbrieflich gesucht“, erwiderte Patar. Ich muss wohl beunruhigt geguckt haben, denn er fügte mit einem kleinen Lächeln hinzu: „Keine Sorge. Wir heizen diesen Winter den weißen Palast in Albuhn mit den gesammelten Steckbriefen aus unserem Reich, mein Tah.“
Er hatte die Gabe, immer das Richtige zu sagen. Hoffnung war eine willkommene Abwechslung nach der Flucht der vergangenen Tage.
„Zuerst müssen wir in Sicherheit dorthin gelangen“, gab ich zu bedenken.
„Lass uns doch erst einmal zum anderen Ufer gelangen, einverstanden?“, fragte Barian und zeigte stolz auf seinen Fund: An einem Uferstrauch angebunden wartete ein Boot in der Strömung tänzelnd darauf, uns zum anderen Ufer zu bringen. Wir hätten alle reingepasst, dachte ich, bis auf Erun.
„Wir können nicht, nicht ohne Erun“, meinte ich. „Wir gehen weiter zur Brücke, flussabwärts.“
„Erun doch mit“, brummte unser Kurzer. „Erun Holz. Wasser gut.“
Um seinen Worten Ausdruck zu verleihen, glitt er ins Wasser und klammerte sich von außen an das Boot. Er trieb still daneben, fast vollständig untergetaucht, und schien die Lage sichtlich zu genießen.
„Mücken raus aus Rinde. Wie bei Regen.“
Wir stiegen in das Boot und fanden einen Platz zum Sitzen. Patar band das Boot frei, Barian packte die Ruder und legte los. Die starke Strömung trieb uns flussabwärts. Etwa in der Mitte des Flusses angekommen, überkam mich ein bedrückendes Gefühl. Mir wurde es plötzlich schwindlig; das Boot schien in eine Stromschnelle geraten zu sein. Ich musste mich festhalten und sah, dass Patar auch benommen war und sich an die Reling klammerte. Barian, dem es offensichtlich nicht besser erging, schüttelte langsam den Kopf und brachte dann das Boot mit ein paar gekonnten Ruderschlägen wieder auf Kurs.
„Kraft“, rief Erun aus dem Wasser.
„Ich mach ja schon“, knurrte Barian und ruderte fester. „Ich bin sowieso der Stärkste von uns allen. Keine Ahnung, was das war. Mir war nur kurz schlecht.“
Einige Minuten später erreichen wir trocken das Ufer und steigen aus dem Boot. Erun kam aus dem Wasser und machte das Boot an einem Busch am Ufer fest.
„So viel Rudern macht hungrig“, sagte unser Ritter zufrieden. „Ich sorge für das Essen, könnt ihr euch um das Feuer kümmern? Oder Dush kann uns ja eins zaubern.“
Patar und ich sahen uns lange an. „Er ist doch weg, Barian. Als mein Vater zurückbleiben musste, hat Dush sich für uns in der Höhle aufgeopfert“, sagte der Prinz traurig.
Das ließ wiederum mich stutzig werden. „Was? Wann haben wir deinen Vater gefunden?“
„Na gestern!“, rief Barian. „So viel weiß ich noch.“ Er zwinkerte spitzbübisch und meinte, dass wir bestimmt hungrig und aufgeregt seien. „Wir essen zuerst Mal in Ruhe und klären dann, wo Dush jetzt wirklich ist. Ich gehe angeln, ihr besorgt Holz. Bei leerem Magen denkt sich’s schlecht.“
Ich machte mich mit Patar auf die Suche nach Brennholz. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass Albor zugegeben hatte, Patars Vater zu sein. „Ich weiß, dass wir in Albors Höhle waren, aber wann hat er gesagt, dass er dein Vater ist?“
„Die ganze Zeit. Gleich von Anfang an.“ Patar grübelte. „Es ist nicht normal, dass sowohl du als auch Barian etwas so Wichtiges vergessen habt. Das muss etwas mit Magie zu tun haben.“
„Vielleicht ist das Semus Werk“, gab ich zu bedenken.
„Wessen Werk?“, fragte Patar.
„Semu“, sagte ich. „Groß, finster, hat dein Reich besetzt …? Dein böser Onkel?“
„Das weiße Königreich besetzt?“, lachte Patar. „Meinem Reich geht es gut, danke schön.“
Ich spürte, wie mich die Verzweiflung langsam packte. „Wieso ist dein Vater dann verschwunden?“, fragte ich.
„Zum Drachen geworden, meinst du. Stimmt.“ Er grübelte nach. „Ich scheine mich tatsächlich an einiges nicht mehr zu erinnern. Irgendwer hat meinen Vater wohl verzaubert, nur wer?“
„Semu“, sagte ich. „Aber nur, wenn Albor wirklich dein Vater ist.“
Wir waren während unserer Unterhaltung dem Ufer stromaufwärts gefolgt, auf der Suche nach Holz. Es lagen kaum lose Äste in diesem feuchten Lebensraum; nur grüne Zweige ragten aus dem Ufergebüsch. Die Freude war groß, als wir gleich mehrere Holzscheite im Gras fanden.
„Die stammen von dem Holzfäller von vorhin“, sagte ich. „Der muss von dieser Seite des Flusses gekommen sein. Er wird die Brücke, von der Barian gesprochen hat, am Zudderdamm passiert haben.“
„Welcher Holzfäller?“, fragte Patar erstaunt.
Ich war beunruhigt, an wie viele Sachen sich der Prinz nicht mehr erinnern konnte und erzählte ihm das Geschehnis mit dem Holzfäller.
„Wir kehren zurück und besprechen uns mit den anderen“, entschied er. „Möglicherweise sind wir gerade Ziel eines magischen Angriffs.“
Wir wurden von Barian empfangen, der einen großen, orange-blauen Fisch siegreich präsentierte. „Endlich seid ihr wieder da! Gleich gibt’s Essen!“
Er schnappte sich unsere Holzteile und machte Feuer. Dies gefiel wiederum Erun nicht. Er zog sich mit einem „Holz nicht Feuer soll“ zurück.
„Wir sind hungrig, Erun. So bereiten wir unser Essen nun mal zu“, sagte Patar. „Wie ernährst du dich denn?“
„Wurzeln in der Nacht“, brummte der Baumsoldat. „Erdsaft, lecker.“
Während der Ritter sich um das Essen kümmerte, tauschten wir uns über die vergessenen Ereignisse aus.
„Fluss kräftig“, grollte Erun.
„Du meinst, der Fluss hat Magie?“, fragte ich.
„Die Fische“, bestätigte Erun. „Kräftig.“
„Ist das für uns gefährlich?“, wollte ich wissen.
„Papperlapapp. Wenn, dann kräftig würzen“, sagte Barian genüsslich und streute eine Prise Pulver über den dampfenden Fisch. „Kein Wunder, dass unser Verstand durchdreht. Das passiert auch mir so, wenn ich Hunger habe. Ihr werdet sehen, nach dem leckeren Essen wird es uns ganz anders gehen.“
Barian hatte nicht zu viel versprochen. Im Nu war der Fisch schmackhaft gebraten. Ich kostete das süßliche Fleisch und freute mich insgeheim, dass unsere Welten doch so ähnlich waren. Es fehlte nur ein wenig Salz. Doch leider gab es dieses weiße Gewürz auf Bathan nicht, wie ich herausgefunden hatte. Ich aß und erinnerte mich dabei, wie ich am Tag davor meinen Karren mit Holz für den Markt gepackt hatte, zufrieden nach der Schufterei der letzten Woche. Ich hatte die ganze Woche Holz gehackt, und … warte Mal, Holz gehackt? Ich wusste noch genau, wie ich die letzte Woche mit meinen Gefährten verbrachte, doch zugleich schob sich immer wieder die Erinnerung an das Holzfällen dazwischen. Es war, als würde ich zwei Leben gleichzeitig leben. Ich erkannte an den langen Gesichtern meiner Freunde, dass etwas nicht in Ordnung war. Patar ließ auch vom Fisch ab und schaute mich verdutzt an:
„Sind wir letzte Woche in Albuhn, bei den Riesen und bei Albor gewesen, oder war ich Holz hacken?“
„Holz fällen, ja! Bei Dulur! Moment mal! Wir sind keine Holzfäller, was soll das?“, grummelte Barian.
„Wieso erinnern wir uns alle an dasselbe, obwohl das uns nie passiert ist?“, fragte ich. „Was soll das bedeuten?“
„Fisch anders“, sagte Erun, der sich uns interessiert genähert hatte. „Fluss viele bunte Fische. Kräftige Fische. Erun spürt.“
„Wir essen das lieber nicht weiter“, entschied Patar und warf sein Essen weg. „Nicht, dass wir uns vergiften.“
„Nicht Gift. Kraft. Fisch und Fluss. Erun spürt.“
„Kraft? Meinst Du, dass der Fisch verzaubert war?“, fragte ich unseren Kurzen.
„So wie Feuerschild. Wie Vaterbaum. Wegen Fluss. Erun spürt.“
War das ein Ja? Meinte Erun damit, dass der Vaterbaum aus Exohl auch Magie besaß? Ich fragte ihn, ob dieser besondere Baum auch ein Tah sei.
Erun stieß ein tiefes, hechelndes Lachen aus. „Nein. Vaterbaum Vater der Kraft. Alle Kraft von Vaterbaum. Kraft der Tahs, Kraft von Feuerschild, Kraft dieser Fische. Von Vaterbaum.“
Barian schleckte sich inzwischen die Finger ab. Er hatte seine ganze Portion verputzt. „Ja, was soll’s“, meinte er fröhlich, „lieber mache ich mir Sorgen mit vollem Magen. Eigentlich stören mich die paar fremden Erinnerungen auch nicht. Magie sei Dank, jetzt kann ich eben auch meisterhaft Bäume fällen.“ Er spannte seinen Arm und zeigte Erun stolz seine Muskeln. „Kraft!“
Bei diesen Worten entfernte sich Erun sprachlos. „Barian! Du hast seine Gefühle verletzt“, mahnte ich. „Bäume zu fällen … das sind seine Verwandten.“
„Wir müssen weiterziehen“, sagte Patar daraufhin. „Mit oder ohne Erinnerungen, unser Weg führt in Richtung …“ Er schaute sich schweigend die Sonne an.
„Die Sonne liegt auf der falschen Seite“.
Nun bemerkte auch ich das Problem. „Vor der Flussüberquerung lag sie hinter uns. Sie müsste jetzt auf der anderen Flussseite sein.“
Patar nickte. „Nur ist sie das nicht. Nach dieser merkwürdigen Benommenheit mitten in der Strömung brachte uns Barian wieder zum selben Ufer zurück. Darum liegt die Sonne noch immer hinter uns.“
„Wieso sollte ich …“, fing Barian zu protestieren an, und verschwand mitten im Satz samt Lagerfeuer und Fluss in einem bunten Farbenmeer, das alles in sich auflöste.
Plötzlich stand ich auf dem Flur im dritten Stock meiner Schule. Vor mir stand Silvester, der gemeine Schulhofschläger, mit seinem Bruder Tim und seiner Schlägertruppe. Silvester hielt meinen Ahkis in der Hand! Wie konnte das nur sein, ich war mit dem Ahkis doch verschmolzen? … Auf Bathan verschmolzen, erinnerte ich mich. Auf meiner Welt konnte man es abnehmen, wie es aussah.
„Wie schön. Alex wollte mir den Klunker hier schenken.“
„Ja“, sagte Tim und grinste. „Wie schön!“ Die Bande lachte und grollte.
„Nein, mein Ah…ndenken!“, rief ich. „Silvester, gib es mir bitte wieder zurück.“
„Warum sollte ich das tun?“, fragte er und lachte böse. „Oh, willst du nach deiner Mami rufen?“
„Ja“, sagte Tim. „Warum sollte er es dir zurückgeben?“
„Weil du so nett bist?“ Mein Versuch, ihn umzu-stimmen, ging im allgemeinen Gelächter unter.
„Ja, gut“, sagte Silvester und spielte den Netten. „Überredet. Fang!“
„Ja“, sagte sein Bruder. „Fang.“
Silvester warf den Ahkis unerwartet schnell und zielte dabei hoch über meinen Kopf. Hinter mir stand das Fenster zum Schulhof weit offen. Ich hechtete nach oben, streckte mich in die Luft und konnte gerade noch spüren, wie der Ahkis meine Mittelfingerspitze streifte, als er ins Freie flog.
NEIN!
Der Ahkis bremste ab und kam über meinem Kopf zum Stehen. Das allgemeine Gelächter verstummte. Und auch jeder andere Laut. Und jede Bewegung. Alles stand still. Zeitstopp? Hier?? Ich sah die regungslosen Gesichter der Bande. Ihre hämischen Gesichter waren in schadenfrohen Posen eingefroren. Ich konnte mir später Gedanken darüber machen, warum ich überhaupt in meiner Welt zaubern konnte. Der Ahkis war alles, was jetzt wichtig war. Ich sprang ein paar Mal, um ihn zu erreichen. Einmal gelang es mir, ihn zu berühren, doch das war das Höchste, was ich in meinem Sprung erreichen konnte. Ich blieb keuchend stehen und bemerkte, dass der Ahkis noch ein paar Zentimeter in Richtung Fenster zurückgelegt hatte. Was auch immer ich vor hatte, musste ich es schnell tun.
Ich rannte in das Klassenzimmer der 4G hinein und sah, wie Frau Wieskel am Lehrerpult gerade essen wollte. Vor ihr standen zwei gekochte Eier, eine Brotscheibe, Salz und Pfefferstreuer. Sie war gerade dabei, ein Ei zu salzen; ein Sturm von Salzkörnern schwebte um das Ei wie eine kleine, eingefrorene Schneewolke. Ich schnappte mir einen Stuhl aus der ersten Reihe und rannte zurück zum Ahkis. Der hatte gerade den Fensterrahmen erreicht. Ich kletterte auf den Stuhl und schnappte mir den Ahkis, rollte ihn zusammen und versteckte ihn in meiner Tasche.
Ich brachte den Stuhl zurück ins Klassenzimmer zurück und lief wieder hinaus. Sollte ich jetzt den Zauber fallen lassen? Ich sah Tims offenen Mund; im schadenfrohen Lachen hing ihm die Zunge heraus. Wie wär’s mit einem kleinen Denkzettel, sich nicht mehr an den Schwächeren auszulassen? Ich kehrte zurück in die 4G und lieh mir den Pfefferstreuer von Frau Wieskel aus. Zurück zu Silvesters Bruder. Er bekam etwas Pfeffer auf die Zunge. Nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig. Eine Denkzettel-Portion eben.
Ich verstaute den Pfefferstreuer in der offenen Brusttasche von Silvesters Jacke, so dass er halb herausschaute. An seiner Hosentasche war eine lange Metallkette befestigt, die seitlich verlief und in die Hosentasche auf der anderen Seite gesteckt war, so dass die Kette lässig hinter seinem Rücken hing. Ich fischte die Kette aus Silvesters Hosentasche heraus, an der ein Schlüsselbund hing und sah, dass die Kette bis zum Türknauf der 4G reichen würde. Also hakte ich den Schlüsselring an der Türklinke ein und zwar so, dass er nicht von allein wieder abrutschen konnte.
Aber, was war das? Oh, Silvester, deine Schnürsenkel sind offen! Ich verknotete die Schnürsenkel beider Schuhe miteinander und kehrte zurück zu meiner Anfangsposition am Fenster. Möge die Show beginnen, dachte ich und ließ den Zeitzauber fallen.
„Nein!“, rief ich traurig und schaute kurz beim Fenster raus. „Jetzt ist es weg, wer weiß, ob ich es noch im Gras finden werde …!“
„Ha ha ha!“, lachte Tim und wurde plötzlich Lila im Gesicht. Er schrie auf und spuckte. „Bah! Wer hat mich vergiftet?“
„Das muss er gewesen sein“, sagte ich und zeigte auf Silvester. „Schau mal, was da aus seiner Tasche ragt.“
„Pfeffer!“, rief Tim und stürzte sich auf seinen Bruder. „Na, warte!“
Dieser versuchte auszuweichen, stolperte aber über seine Schnürsenkel und stürzte. Durch den Sturz spannte sich die Kette an der Tür und riss Silvesters Hose zur Hälfte auf. „Ich war’s nicht!“, rief er seinem Bruder zu und versuchte im allgemeinen Gelächter, über seine verknoteten Schuhe, die an der Türklinke angekettete Hose auszuziehen. Frau Wieskel kam auf einmal aus der Klasse heraus, betrachtete das Geschehen und sagte kühl:
„Wenn ihr die Spaßveranstaltung beendet habt, dürft ihr wieder reinkommen. Die Pause ist vorbei.“
Ich wartete, bis alle in ihre Klassen gegangen waren und wollte auch ins Klassenzimmer reingehen. Einen Augenblick lang überlegte ich, eine Auszeit von Bathan zu nehmen. Ich vermisste meine Familie, meine Freunde, meine Welt. Doch dann wurde mir wieder bewusst, welche Verantwortung ich als Tah auf Bathan über-nommen hatte. Ich legte den Ahkis wieder an …
Und kehrte durch das Farbenmeer zurück nach Bathan. Wir saßen alle wieder im Boot. Barian ruderte knirschend in Richtung Sonne.
„Nein, falsche Seite!“, rief ich ihm zu. Doch Patar erklärte mit nüchterner Stimme: „Der Fluss ist mit dem Boot unpassierbar. In der Mitte passiert jedes Mal etwas Seltsames. Wir kehren wieder zurück und überqueren die Brücke.“
Wir kamen am selben Ufer wieder an, stiegen aus und banden das Boot wieder fest.
„Wer seid ihr?“, fragte Barian plötzlich ängstlich. „Was habt ihr gerade mit mir gemacht? Bleibt mir fern!
„Wir sind deine Freunde, Barian“, sagte ich so sanft ich konnte, und ging auf ihn zu. „Erinnerst du dich nicht mehr? Ich bin euer Tah.“
„Nein! Bleibt mir fern, Hexer! Hexerei!“ Er sprintete los, am Ufer entlang, flussabwärts.
Patar rief mir zu: „Komm, Rupert, wir fangen ihn!“, und lief los, dem Ritter hinterher.
Er hatte mich Rupert genannt. Na, das verspricht ja noch lustig zu werden, dachte ich und folgte dem Prinzen. Doch Barian hatte bereits Abstand gewonnen. Wir rannten dem verwirrten Ritter hinterher. Es war bemerkenswert, wie schnell der Mann in seiner Rüstung flitzen konnte und welche Finten er schlug. Als wir ihn fast eingeholt hatten, lief er in ein brusthohes Dickicht aus orangefarbenen, efeuähnlichen Pflanzen und blieb keuchend stehen.
„Ihr kriegt mich nicht!“, rief er, lud seine Armbrust und bedrohte uns damit.
In seinen Augen lag Angst – und zum ersten Mal erkannte ich auch etwas Düsteres. War es Hass?
„Barian, der Fluss scheint der Grund dafür zu sein, dass wir uns nicht mehr an alles erinnern.“, sagte ich und wollte langsam auf ihn zugehen. Doch gerade, als ich mich dem orangenfarbenen Dickicht nähern wollte, hielt Patar mich mit panischer Miene zurück.
„Rupert, was ist bloß in dich gefahren? Das ist Shlak.“ Er zeigte auf den orangenfarbenen Efeu. „Seine Rüstung schützt ihn davor, uns aber würde der Shlak durch die Kleider brennen.“
„Ja, ihr fürchtet euch davor, Ha-Ha!“, rief der Ritter siegreich. „Und wehe, der Tah’rin versucht zu zaubern.“
Ich berührte meine Stirn. Das goldene Dreieck war noch darauf zu spüren, warum auch immer, darum meinte Barian, dass ich noch ein Tah’rin war.
„Ich kenne euch nicht“, fuhr er fort, „aber wisset dies: ich bin Barian …“
„…der Tapfere, der mutige Held der Schlacht von Omero, Drachenfreund und weißer Ritter. Und mein Freund“, vervollständigte ich seinen Satz.
„Woher weißt du das? Omero? Ist das nicht das kleine Dorf an der Grenze zum braunen Königreich?“ Der Ritter sah recht verdutzt aus. Er ließ die Armbrust sinken und sah mich neugierig an.
„Was? Du hast deine größte Heldentat vergessen? Das, wovon so viele Menschen im weißen Königreich erzählen, und darüber hinweg? Und auch noch Generationen später weiter darüber reden werden?“
Ich täuschte Verwunderung vor, während sich Barian mir durch die orangefarbenen Shlak- Pflanzen wissbegierig näherte.
„Erzähl mir mehr“, verlangte er. „Ich habe ein Recht darauf zu erfahren, wie tapfer ich eigentlich bin.“
Und eitel, dachte ich und sah, dass Patar ihm seitlich immer näherkam.
„Nun, du bist der größte Held, den Omero jemals gesehen hat. Deine mutigen Taten haben das Dorf vor dem sicheren Verderben gerettet. Es war vor einigen Jahren, als dein Heer in der Nähe von Omero …“
„Heer“, unterbrach mich der Ritter genüsslich, steckte die Armbrust weg und näherte sich. „Ich habe immer gewusst, dass ich für Höheres geboren wurde. Erzähle weiter!“
„Es war der letzte Herbsttag, um die Mittagszeit, als die Späher dir zuriefen: wir werden angegriffen, Herr! Schlangenadler am Horizont!“
„Zu den Waffen!“, rief der wackere Ritter, den meine Geschichte völlig in ihren Bann gezogen hatte.
Er kam geradewegs aus dem Shlak heraus und las mir jedes Wort von den Lippen ab. Patar stand jetzt neben ihm und blickte mich fragend an. Ich schüttelte den Kopf.
„Was war dann?“, flehte Barian mich an.
„Fürchtet euch nicht! Denn ich bin bei euch, hast du ihnen zugerufen. Und beim Klang deiner Stimme wussten sie sich wieder in Sicherheit. Und du hast sie beschützt. Und die Schlangenadler besiegt, das Dorf Omero von der Plage erlöst. Und seither wirst du dort und überall als der Mutige Held der Schlacht von Omero gefeiert.“
„Ist das wahr? Ist das wirklich wahr?“, fragte mich Barian mit Tränen in den Augen. „Bin ich wirklich ein Held? Weil ich mich an manchen Stellen ein bisschen anders erinnere.“
„Alles ist wahr und noch mehr“, sagte ich aus ganzem Herzen. „Einfach alles. Bleib bei uns, mein Freund, und ich werde dir mehr darüber erzählen.“
Er reichte mir entzückt seine Hand. Er strahlte vor Glück.
„Ich werde euch beschützen, Wanderer. Omero, sagtest du?“, er lachte vergnügt. „Wie heißt ihr und wohin wollt ihr reisen?“
„Ich bin Alex Tah Rupert“, stellte ich mich vor.
„Ich bin Dvork der Holzfäller“, sagte Patar und mich durchfuhr es kalt.
„Nein, bist du nicht! Du bist Patar, der weiße Prinz.“
„Prinz?“ Patar lachte vergnügt. „Danke, Junge. Warte, bis ich das Brunda erzähle.“
Ich wollte fragen, wer Brunda ist, aber die Erinnerung an meine Frau, ich meine, an die Frau des Holzfällers und ihre unglaublich leckere Klößchen Suppe hielt mich davon ab.
„Soso. Holzfäller. Dann beschreibe uns deine Kleider und schau dich danach an“, bat ich Patar.
„Was soll ich da groß beschreiben? Ich trage normale Holzfä …“, begann er, hielt aber inne, als er nach unten schaute. Er zog sein Schwert aus der Scheide, betrachtete es und schaute mich anschließend fragend an.
„Prinz?“, versuchte ich es erneut und deutete auf den Anhänger, den er an einer Kette um den Hals trug. Er ertastete verwundert das Schmuckstück und holte es hervor, wog ihn in seiner Handfläche, pustete und räumte schließlich ein: „Prinz.“
„Kraft des Flusses. Fluss sucht Quelle der Kraft. Fische auch“, brummte Erun, der uns gerade eingeholt hatte. „Brücke beim Damm. Nicht Boot. Fluss zu kräftig. Fische fressen Gedanken, weil keine Kraft. Quelle weit weg.“
„Welche Quelle sucht denn das Wasser?“, fragte ich. „Die Quelle ist doch bergauf, der Bergsee Galur.“
„Wasser des Lebens“, brummte Erun. „Erinnerungen darüber. Erinnerungen, Gedanken. Wo Kraft? Doch Quelle weit weg.“
Erun sprach in Rätsel. Das Wasser des Flusses sollte also magisch sein und mit der Hilfe der Fische nach einer „Quelle des Lebens“ suchen.
„Was ist denn diese Quelle des Lebens?“, fragte ich ihn.
Doch Erun war nicht bereit, dieses Wissen mit uns zu teilen. „Geheimnis“, brummte er. Selbst nach weiteren Fragen gelang es mir nicht, mehr aus ihm herauszulocken.
„Wenn du dich so gut damit auskennst, weißt du auch, wieso dich das Vergessen verschont hat?“, wollte Barian seinerseits wissen.
„Erun kräftig. Erun anders.“
„Unabhängig ob die eigentliche Gefahr vom Wasser oder von den Fischen ausgeht, überqueren wir die Brücke besser bei Nacht“, schlug ich vor.
Sollten die Fische unsere Vergesslichkeit ausgelöst haben, blieb nur die Hoffnung, dass sie nachts schliefen. Wir machten uns also weiter auf die Reise und kamen etwas flussabwärts an eine Stelle, an der sich das Wasser vor einem Hindernis verlangsamte. Schwärme kleiner brauner Otter-artiger Nagetiere schoben eifrig Holzstücke und Äste im Wasser vor sich her zu dem Staudamm, den sie um die Pfeiler einer Holzbrücke geflochten hatten. Was nicht durch die eigene Kraft zu schaffen war, konnten die faustgroßen Schwimmtiere durch ihre schiere Anzahl erreichten. Ein Dutzend von ihnen reichte aus, um größere Holzstücke zur Brücke zu schaffen. Hunderte waren erforderlich, um einen morschen Baumstamm durch das Wasser langsam zu schieben, doch dieser drehte sich langsam um die eigene Achse und schien seinen eigenen Weg zu verfolgen, was die unermüdlichen Tiere lautstark in Aufruhr versetzte. Weitere dieser kleinen Tiere nagten an den Sträuchern des Uferdeiches und behielten uns dabei wachsam im Auge.
„Es sind ungewöhnlich viele Zudder“, sagte Patar bitter. „Sie werden sich bald in zwei Scharen aufteilen und noch mehr Schaden anrichten. Wir Holzfäller …“ Er sah meinen traurigen Blick und schwieg bedrückt.
Wir wählten diesen Ort, um eine Rast einzulegen und auf den Einbruch der Nacht zu warten. Barian verjagte eine Schar zirpend protestierenden Zudder von einem Baumstumpf und setzte sich. „Dann haben wir Zeit, um einander alles zu erzählen, woran wir uns erinnern. Ich kann es kaum erwarten, mehr von meinen Heldentaten zu erfahren!“
Das war eigentlich eine wunderbare Idee. Also setzten wir uns hin und ich erzählte ihnen von unserem Abenteuer und weihte sie in unsere Pläne ein. Sie erzählten mir auch einiges, was ich vergessen oder gar nicht miterlebt hatte. Und ich musste beiden erneut erklären, wie Rupert und ich Körper tauschten.
„Jetzt verstehe ich, was du am Fluss während der letzten Überfahrt gemeint hast!“, sagte Patar, dem gerade ein Licht aufging. „Du hast gesagt, dass es dir auf ‚der anderen Welt‘ sehr gut gefällt und du unser Einverständnis brauchst, für immer dort zu bleiben. Du wolltest für immer den Alies …“
„…Ahkis“, korrigierte ich ihn.
„…Ahkis anlassen und ihn gut tarnen.“
„Und was hast du geantwortet?“, rief ich verzweifelt.
„Ich kannte dich nicht und konnte nicht verstehen, was du von mir erwartest“, wich Patar der Antwort aus. „Ich kenne dich eigentlich immer noch nicht.“
„Patar, bitte …“ flehte ich ihn an. Er sah mich verständnislos an. „Dvork“, erinnerte ich mich an seinen Holzfällernamen, „sag mir bitte, was du geantwortet hast!“
„Dir schien wirklich viel daran zu liegen, dass ich dir mein Einverständnis gebe. Du hast mich damals genauso angeschaut, wie du es jetzt tust! Ich verstand zwar nicht, was du von mir willst, doch ich erlaubte es dir. Hat mich ja nichts gekostet, und dich hat es sehr glücklich gemacht.“
Nein! Meine Eltern, meine Welt, für immer verloren! Ich war entsetzt und spürte plötzlich die Entfernung zwischen dem Zudder-Damm und der Chestnut Street in Olney, wo Rupert in meiner Haut jetzt bestimmt zu Abend mit meinen Eltern aß. Mit meinen Eltern! Wer gab ihm das Recht … Patar eigentlich. Er war schuld! Oder dieser Fluss und seine Fische. Eigentlich war es Semus Schuld, er war es, der diesen blöden Farbenkrieg entfacht hatte. Oder der Ahkis, der erst die Reise möglich gemacht hatte. Der Zauberer, der ihn geschmiedet hatte! Ja! Er war für mein Leid verantwortlich!
Ich weinte viel an diesem Abend. Immer wieder kamen einige Zudder auf mich zu, stellten sich auf die Hinterbeine und schnupperten in die Luft, scheinbar mein Leid fühlend. Patar versuchte, sich zu entschuldigen und versprach mir mit beruhigenden Worten etwas, was ich nicht hören wollte. Ich dachte nur an das Unrecht, das mir Bathan angetan hatte und wollte nicht getröstet werden. Barian kam auch zu mir und reichte mir ein Stück Brot, um mich mit Essen abzulenken. Ich nahm es und warf es so weit ich konnte in den Fluss. Ich wollte einfach nur in Ruhe gelassen werden.
An der Stelle, an der das Brot gelandet war, kochte das Wasser kurz mit einem bunten Glitzern von Flossen und Fischmäulern auf, dann war das Brot verschwunden.
„Hunger“, brummte Erun. „Fluss Hunger. Ohne Fressen kein Schlaf.“
War die Lösung für unser Problem wirklich so einfach? Brot, um den Fluss in Frieden zu überqueren?
„Hast du noch mehr davon?“, fragte ich Barian.
„Brot? Kriegst du nicht mehr, du würdest es nur ins Wasser werfen.“
„Natürlich wirft er es ins Wasser! Und wir beide sollten das auch tun“, sagte Patar und lächelte in Verständnis.
Wir rissen dem protestierenden Barian das Brot aus der Hand, brachen kleine Stücke ab und warfen sie in den Fluss. Zuerst wehrte sich der Ritter, aber als er unsere Freude und das Schauspiel im Wasser sah, schloss er sich uns an und machte glücklich mit.
Ein ganz normaler Abend auf Bathan: Wir standen am Zudder-Damm im doppelten Sonnenuntergang und fütterten magische Fische. Es war ein überwältigender Anblick, als hätten sich alle Lebewesen des Flusses an diesem Ort versammelt. Das Wasser schäumte in einem Geschlängel von Fischen, die sich gegenseitig das Futter wegschnappten. Manche sprangen in die Höhe, um das Brot in der Luft abzufangen, noch bevor es das Wasser erreichte. Jeder dieser Fische, die wie große Karpfen aussahen, hatte eine einzigartige Färbung. Es sah aus, als würde ein prächtiger Regenbogen im Wasser kochen. Die Zudder hatten sich alle auf den sich langsam drehenden Baumstamm gerettet und betrachteten das Geschehen mit einer beleidigten Miene. Es war sehr be-freiend für mich, endlich etwas tun zu können. Ich holte meine eigene Brotreserve raus und warf mit meinen Freunden um die Wette.
Draußen wurde es zunehmend dunkler. Nachdem wir das ganze Brot an die Fische verfüttert hatten, blieben wir noch ein paar Stunden, bis die Monde Bruhn und Traffos am Sternenhimmel erschienen. Mittlerweile konnte ich alle drei Monde erkennen und benennen. Phe sollte sich den beiden in der Weinwoche dazu gesellen, zur Dreimondnacht. Genau zu dem Zeitpunkt, an dem wir die Zeittreppe auf der Suche nach dem Zaubertal betreten mussten. Doch zuerst mussten wir dafür diesen verflixten Fluss überqueren. Ich fragte Erun, ob er spürte, was die Fische jetzt taten.
„Fische satt. Schlafen. Fluss träumt“, sagte er ver-gnüglich und zeigte in Richtung Brücke.
Ich bemerkte, dass sich eine leuchtend grüne Blase von der Wasseroberfläche löste und ganz langsam aufstieg. Sie sah aus wie eine dieser großen Seifenblasen aus dem Zirkus, nur dass in ihrem Inneren Lichter flackerten. Wir liefen auf die Brücke, um die leuchtende Blase aus der Nähe zu betrachten. Der Wind trieb sie langsam auf uns zu, sie verformte sich und waberte ein wenig im Luftzug, aber sie hielt stand. In ihrem Inneren sah ich Szenen wie aus einem Film! Es waren halbdurchsichtige Bilder einer Geburtstagstorte, auf der die Zahl 8 stand - und meine Eltern waren auch zu sehen. Von Zeit zu Zeit verschwand die Szene, um dann wieder von Neuem zu beginnen.
Mein achter Geburtstag? Ich konnte mich nicht mehr an die Feier erinnern, obwohl es noch gar nicht so lange her war. Überwältigt von der Sehnsucht nach meinen Eltern streckte ich die Hand nach ihnen aus. Die Blase zerplatzte und meine Hand wurde nass. Eine Flut von Erinnerungen überwältigte mich und ich erlebte in einem Augenblick meine achte Geburtstagsfeier! Weitere Blasen lösten sich von der Wasseroberfläche und trieben langsam empor.
„Unsere Erinnerungen!“, rief ich. „Das sind unsere Erinnerungen!“
Erun winkte ab. „Leise. Fluss träumt.“
Die schimmernden Blasen kamen in verschiedenen Farben und Größen daher. Der vormals dunkle Fluss leuchtete nun in strahlenden Tönen. Unter der Wasseroberfläche offenbarten sich zahllose Lichtkugeln, die sanft funkelnd an die Oberfläche trieben und langsam vom Wind in unsere Richtung geweht wurden.
Wir liefen die Brücke auf und ab und erkundeten das Innere der Blasen. In einer grünen erkannte ich erneut die Gestalt meines Vaters. „Jede Person hat seine eigene Farbe“, rief ich meinen Freunden zu und ließ die Blase platzen. Der Wanderausflug in den Bergen! Ja!
„Ich habe Gelb“, sagte Barian, nachdem er eine blaue und eine rote Blase probiert hatte. Finger weg von Gelb!
Patar schloss sich an, studierte die Erinnerungen und berührte Orange. „Meine Familie. Warte nur, Semu! Meine Erinnerungen sind orange.“
Im Mondlicht lösten sich aus dem dunklen Wasser hunderte von bunt schimmernden Erinnerungskugeln und schwebten zu den Sternen empor. Es war so, als ob die Fische als Dank für das Abendessen all das zurückgaben, was sie uns davor genommen hatten. Fußball spielen! Angeln mit Opa! Das erste Mal Schlitten fahren! Und ich erinnerte mich an Dinge von Bathan, die ich während meiner Unwissenheit nicht einmal vermisst hatte. Der weiße Drache, das Zaubertal, die Zeittreppe … wir hatten uns viel vorgenommen!
Also standen wir in dieser zauberhaften doppelten Vollmondnacht am Damm und holten uns unsere Erinnerungen Stück für Stück zurück. Es war sehr erfüllend, meine Erinnerungen wiederzuerlangen: Meine Familie, meine Freunde! Silvesterraketen abfeuern mit meinem Vater! Fußball spielen! Und ich erinnerte mich auch, wie sehr ich das alles vermisste. Es hatte etwas Festliches, fast Weihnachtliches, wie wir an diesem Abend unter den bunt leuchtenden Kugeln dankbar waren für die Geschenke des Traumflusses. Sobald wir die Farben des anderen noch vor ihm sahen, machten wir uns gegenseitig darauf aufmerksam. So kam es, dass mir Barian glücklich zurief: „Das ist doch dein Grün! Sie ist ganz groß, kommt gerade links hoch!“
Tatsächlich: Eine riesige grüne Blase wie eine Kartoffel verformte sich wabernd und drehte sich durch die Luft auf mich zu, hoch über meinem Kopf. Ich sprang hinterher, konnte sie aber nicht erreichen. Patar und Barian erkannten mein Problem und bildeten mit ihren Händen eine Räuberleiter. Ich trat auf ihre verschränkten Hände und sie hoben mich hoch. Ich streckte mich, aber leider reichte es immer noch nicht! Ich musste zusehen, wie die Blase hochstieg und sich immer weiter von mir entfernte!
„Auf drei“, sagte Patar und ließ zusammen mit Barian die Hände sinken. „Eins, zwei …“
Erst kurz vor drei verstand ich, was sie vorhatten, und spannte meinen Körper.
„Drei!“ Sie warfen mich hoch und ich sprang wie eine Feder der grünen Erinnerung hinterher. Ich erreichte sie gerade noch so und ließ sie platzen. In diesem Augenblick erinnerte ich mich wieder an Magie. Es war mehr als eine Erinnerung; ich konnte wieder zaubern. Die Magie elektrisierte und durchströmte mich wie eine erfrischende Dusche. Ich wusste sofort, dass ich auf Patars Kopf landen würde, und handelte instinktiv. Langsam und majestätisch ließ ich mich neben ihm auf der Brücke nieder. Ich muss zugeben, dass ich dabei ein bisschen angeben wollte. Ich genoss meine Zauberkraft und das Gefühl des Triumphes, wieder ich selbst zu sein.
Patar lachte zufrieden: „Na dann, mein Tah, das scheint es gewesen zu sein. Der Fluss hat uns alles zurückgegeben, wie es aussieht.“
In der Tat waren keine neuen Blasen mehr zu sehen. Und ich konnte mich wieder an alles klar erinnern: Albor, Durman, Gean, Dush … Nur eine gelbe Blase stieg noch hoch über den Baumkronen in den Himmel, die Barian verfehlt hatte.
„Als ich dir mit der Leiter hochgeholfen habe“, beantwortete der Ritter meine stumme Frage. „Nicht schlimm. Ich sah drinnen Sachen, an welche ich mich nicht gerne erinnern würde. Ich weiß jetzt genug über mich.“
„Und mehr“, erinnerte ich ihn. „Die rote und die blaue Blase.“
„Ja, Verschwommenes aus der Vergangenheit anderer Leute. Nur unwichtiges Zeug.“
Ich spürte, dass er etwas zurückhielt, wollte ihn nicht dazu drängen, sich zu öffnen. Wir hatten an diesem langen Tag genug vom Fluss gesehen und erlebt. Also überquerten wir die Brücke zum ersehnten anderen Ufer und richteten uns unter einem dicht belaubten Baum für die Nacht ein. Die Nacht wurde kühl, wir machten ein Lagerfeuer und setzten uns im Kreis darum. Das Schauspiel war vorbei, der Fluss blieb dunkel und gab keine Blasen mehr von sich.
„Fluss schläft“, brummte Erun.
Wir machten es uns bequem; meine Augen fielen müde zu. Irgendwann begann Barian seine Lieblings-geschichte zu erzählen, von seinen Heldentaten in Omero. Ich kuschelte mich unter meiner Decke am Feuer und hörte zu, glücklich, dass wir wieder unversehrt waren. Bevor ich einschlief, glaubte ich, eine letzte grüne Blase vom Zudderdamm zum Sternenhimmel aufsteigen zu sehen, und fragte mich im Halbschlaf, was ich wohl für immer vergessen hatte. Ich schlief tief und fest am knisternden Feuer ein und träumte vom festlich geschmückten Weihnachtsbaum, zu Hause.
Kapitel 2. Wolkenreise
Kaum war der Morgen angebrochen konnten wir es kaum erwarten, den Fluss und dessen Fische hinter uns zu lassen. Wir hatten keine Pferde und mussten den mühsamen Weg zu Fuß auf uns nehmen. Und zwar nur so langsam, wie Barian in seiner schweren Rüstung mithalten konnte. Ich hatte Erun als den Langsamsten eingeschätzt, doch unser hölzerner Freund schlängelte sich viel schneller voran als der Held von Omero. Der Himmel war bedeckt; eine dunkle Wolke verhieß Regen. Ich fragte Patar, auf welchem Weg wir nach Albuhn kommen wollten.
„Der sicherste Weg führt durch Exohl“, sagte er und zeigte auf einen weit entfernten, sonnigen Hügel. „An dem Punkt berühren sich die Grenzen der Farbenkönigreiche Lila, Braun und Grün. Der berühmteste Hügel auf Bathan: Kessilo, der einstige Schauplatz des ersten Farbenkrieges. Ab dort darf uns Geans Armee nicht mehr folgen, ohne mit einem meiner Onkel Ärger zu kriegen.“
Ich schaute zum Zudderdamm zurück, um mich zu vergewissern, dass wir nicht verfolgt wurden. Der Damm strahlte weit entfernt in der Morgensonne; niemand war weit und breit zu sehen. Mit einem verschmitzten Lächeln dachte ich daran, was passieren würde, wenn eventuelle Verfolger den Fluss überqueren würden. Würden sie sich danach noch an die Verfolgung erinnern? Das Lächeln verging mir, als ich merkte, dass das Tageslicht unnatürlich schien. Ich sah mich um; irgendetwas stimmte nicht.
„Warum hängt die Regenwolke nur über uns? Ringsumher ist es sonnig.“
„Nicht Regen“, brummte Erun. „Wolke kein Regen.“
„Die Wolke ist bläulich“, sagte Patar. „Ungewöhnlich blau.“
„Ist bestimmt wegen der Morgenluft.“ Der Ritter lachte auf. „Wenn die Wolke trocken ist, so bleiben wir es auch. Ob Regen oder Sonnenschein: Auf nach Exohl! Ich fühle mich erst sicher, wenn ich Geans Gebiet verlassen habe.“
Wir setzten unseren Weg fort und erreichten nach einiger Zeit den zugewachsenen Kessilo-Hügel. Außer einer in Stein gemeißelten Tafel war nichts und niemand zu sehen.
„Keine Grenzwachen“, merkte ich an.
Barian und Patar fanden das ulkig. Der Ritter weihte mich ein: „Du musst die Grenzposten nicht sehen. Die Wachen müssen dich sehen. Und glaube es mir: sie sehen uns sehr wohl, selbst in diesem Augenblick.“
Ich zuckte mit den Schultern; so lange Semus und Geans Truppen uns in Ruhe ließen, hatten wir von den anderen Farbenreichen ohnehin nichts zu befürchten. Ich trat vor die moosbedeckte Steintafel und las die Inschrift laut vor:
„Wir werden nie vergessen
Wie brannte seine Rache!
Vom feurigen Hass besessen
fiel hier Dulur der Drache.“
„Hat Dulur im ersten Farbenkrieg gekämpft?“, fragte ich.
„Und wie! Der Endkampf wäre anders ausgegangen, wenn nicht der …“ Patar hielt inne und schaute zum Himmel. „Sagt mal, war es hier nicht vor einer Minute noch sonnig?“
