Zefira. Es hätte sie nie geben dürfen - Thomas Thiemeyer - E-Book

Zefira. Es hätte sie nie geben dürfen E-Book

Thomas Thiemeyer

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Beschreibung

*** Atemraubende Spannung, actionreiche Kämpfe, die dein Herz rasen lassen, und ein Twist, der dich eiskalt erwischt *** Essenslieferantin in Neo-Hongkong zu sein, ist kein leichter Job. Das merkt Maddie spätestens, als sie nach einer Lieferung von vier Jugendlichen angegriffen und aus einem Hochhausfenster gestoßen wird. In ihrer Todesangst meldet sich eine Stimme in ihrem Kopf. Sie nennt sich "Zefira" und übernimmt die Kontrolle über Maddies Körper. Mit übernatürlichen Kräften rettet Zefira Maddie das Leben. Nur, wer ist Zefira und was hat sie vor? Und warum wird plötzlich Jagd auf Maddie gemacht? Ein geheimnisvoller Hinweis führt Maddie auf der Suche nach der Wahrheit in Neo-Hongkongs gefährliche Unterwelt … Das neue Werk von Evolution-Erfolgsautor Thomas Thiemeyer. Geniales Leseerlebnis garantiert! Dieses Buch enthält mehrere Seiten actionreicher Graphic-Novel-Illustrationen von Timo Grubing, in denen einige der spannendsten Szenen der Geschichte über Bilder weitererzählt werden.   Weitere Titel von Thomas Thiemeyer bei Arena: Countdown. Der letzte Widerstand World Runner (1). Die Jäger World Runner (2). Die Gejagten Evolution (1). Die Stadt der Überlebenden Evolution (2). Der Turm der Gefangenen Evolution (3). Die Quelle des Lebens

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Seitenzahl: 481

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Countdown. Der letzte Widerstand

World Runner. Die Jäger

World Runner. Die Gejagten

Evolution. Die Stadt der Überlebenden

Evolution. Der Turm der Gefangenen

Evolution. Die Quelle des Lebens

Thomas Thiemeyer,geboren 1963, studierte Geologie und Geografie, ehe er sich selbstständig machte und eine Laufbahn als Autor und Illustrator einschlug. Mit seinen Wissenschaftsthrillern und Jugendbuchzyklen, die etliche Preise gewannen, sich über eine halbe Million Mal verkauften und in dreizehn Sprachen übersetzt wurden, ist er mittlerweile eine feste Größe in der deutschen Unterhaltungsliteratur. Seine Geschichten stehen in der Tradition klassischer Abenteuerromane und handeln des Öfteren von der Entdeckung versunkener Kulturen und der Bedrohung durch mysteriöse Mächte. Thomas Thiemeyer lebt mit seiner Familie in der Nähe von Stuttgart.

www.thiemeyer.de

www.thiemeyer-lesen.de

Für Hannah

Herzlich willkommen in unserer Welt

Ein Verlag in der Westermann Gruppe

1. Auflage 2024

© 2024 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Str. 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Text: Thomas Thiemeyer

Umschlag- und Innenillustrationen: Timo Grubing

Timo Grubing wird von der Agentur Brauer vertreten

E-Book ISBN 978-3-401-81077-5

Besuche den Arena Verlag im Netz:

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Prolog

Das Leben kann so kurz sein. Eben noch erfreust du dich bester Gesundheit, im nächsten Moment liegst du tot im Straßengraben. Mit einem Vibropfeil im Kopf, ausgeraubt, weggeworfen, vergessen. Einer von vielen Hundert, die täglich in dieser Stadt sterben oder verschwinden.

Doch wem das Risiko zu groß ist, der sollte nicht als Essenslieferant arbeiten. Zumindest hat das Matoka gesagt. Wer keine Hitze verträgt, gehört nicht in die Küche. Durch die dunklen Gassen Neo-Hongkongs zu streifen, sich halsbrecherische Verfolgungsjagden mit den Thugs auf den Boulevards zu liefern und in den Megatunnels rüber nach Central zu fahren, gehört nun mal zum Alltag der Fooddriver. Doch am Ende des Tages ist es ein Job wie jeder andere. Ein Job, den niemand schneller und gewissenhafter erledigt als die Mädchen und Jungs von Mama Matoka’s Sichuan Palace.

(Aus: Mein zweites Ich, von Maddie O’Brian)

1

Neo-Hongkong 2049 …

Maddie holte tief Luft. Die App auf ihrem Kommunikator sagte ihr, dass die Adresse stimmte. 523E Canton Street, Kowloon. Ein rußgeschwärztes Gebäude, eingesponnen in ein Netz aus Kabeln und Stromleitungen. Mit windschiefen Balkonen und einem Arsenal von Satellitenschüsseln, die wie Ohren in alle Richtungen ragten.

Der Anblick jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Schätzungsweise fünfundzwanzig Etagen, allesamt unbeleuchtet. Hier sollte also jemand leben, der eine Essensbestellung aufgegeben hatte? Sehr unwahrscheinlich. Es wäre nicht das erste Mal, dass man ihr einen Streich spielte.

»Ganz schön runtergekommen«, sagte die Kinderstimme neben ihr. »Kennst du den Laden, warst du schon mal hier?«

Ratte hatte seine Kapuze runtergezogen und blinzelte zu den dunklen Stockwerken hinauf. Sein Umhang ließ ihn wie einen zu kurz geratenen Superhelden aussehen. Das Kauderwelsch, das er sprach, war Mixkanton, auch Hongkong-Englisch genannt. Eine Mischung aus Englisch und Chinesisch, mit Anteilen von Japanisch und Koreanisch, die ständig neue Ausdrücke hervorbrachte.

»Nein, noch nie«, antwortete Maddie. »Eindeutig Prä-Division. Ein Gebäude aus der alten Zeit. Diese Kästen gehören eigentlich längst abgerissen.«

Rattes Augen funkelten im Licht der Straßenlaterne. »Du hast doch den QR-Code, oder?«

»Habe ich. Scheint safe zu sein«, sagte Maddie. »Das Problem ist nur, hier ist kein Klingelschild.« Die Luft hinter ihrem Mundtuch schmeckte abgestanden. »Immerhin habe ich einen Namen: Kwan. Bo Kwan. Sechstes Obergeschoss, Nordwestflügel, Apartment 126.«

»Na, worauf wartest du dann noch? Neue Kunden sind gut fürs Geschäft. Zumindest sagt Matoka das immer. Geh und suche ihn, ich passe solange auf Flitzi auf.« Sie konnte erkennen, dass Ratte unter seinem Mundtuch grinste. Für seine sieben Jahre war er ganz schön vorlaut. Aber er hatte Mumm. Das war der Grund, warum sie ihn mitnahm. Bei ihm wusste sie ihren eHopper in guten Händen. Sie seufzte. »Dann werde ich mal mein Glück versuchen.«

Sie schulterte ihren Rucksack, ging rüber zur Haustür und lehnte sich mit der Schulter dagegen. Knarrend ging die Tür auf.

Dass sie unverschlossen war, wunderte Maddie nicht. Die meisten Gebäude in Kowloon standen offen. Wenn man Thugs, Black Bishops oder anderes Gesindel anlocken wollte, brauchte man nur einen stabilen Sicherheitsriegel vor seine Tür zu schrauben. Das war, als würde man einem ausgehungerten Kampfhund einen saftigen Schinken unter die Nase halten. Bei offenen Türen überlegten es sich Diebe zweimal, ob Chance und Risiko in einem vertretbaren Verhältnis standen. Was hatte man davon, zehn Stockwerke zu Fuß zu laufen, um dann mit nichts weiter als einem flackernden Fernseher und einem stinkenden Toaster zurückzukehren?

Früher, ja, da hätte sich ein Bruch in dieser Gegend gelohnt. Wenn man Matoka Glauben schenkte, war das hier mal eine der beliebtesten und wohlhabendsten Straßen Hongkongs gewesen. Mit edlen Restaurants, luxuriösen Boutiquen, Shoppingmalls und Kinos. Doch das lag lange zurück.

Die Division, die Große Teilung, wie die Abspaltung des Ostens vom Westen nach dem Wirtschaftskrieg zwischen den Weltmächten USA und China in den 2030er-Jahren genannt wurde, hatte in vielen Stadtteilen Hongkongs zu Veränderungen geführt. Die Reichen waren noch reicher geworden, die Armen noch ärmer. Trotz der Kommunistischen Partei, die dieses Land mit eiserner Hand regierte, waren es vor allem kapitalistische Großkonzerne, die das Straßenbild mit ihren funkelnden Werbetafeln und gigantischen Holoprojektionen bestimmten.

Du bist, was du besitzt – das hatte sich der Osten vom Westen abgeschaut. Doch es war eine brutale Weltsicht. Kowloon, ehemals funkelndes Touristenzentrum, war inzwischen zum Armenviertel verkommen. Jetzt lebten hier nur noch Träumer, Tagediebe, Glücksritter, Philosophen und Armleuchter. Gutes existierte neben Bösem, Schönheit neben Hässlichkeit, Liebe neben Hass. Doch während die Bewohner von Kowloon immer mehr von der Hand in den Mund lebten, war auf der anderen Seite des Kanals der Wohlstand explodiert.

Central, der ehemalige Finanz- und Handelsdistrikt Hongkongs, war der Lebensmittelpunkt der Reichen, der Superreichen und der unaussprechlich Reichen. Ein Tag in einem Hotelzimmer auf Hongkong Island kostete so viel, wie Matoka in ihrem ganzen Leben verdiente – und das, obwohl sie bekanntermaßen das beste Streetfood-Restaurant der Stadt führte. Verdammt ungerecht so was. Und etwas, wogegen Maddie ankämpfen würde, solange sie lebte.

Sie sah sich um. Das Treppenhaus war dunkel und verlassen. Einen Lichtschalter gab es nicht. Dort, wo er vermutlich gewesen war, gähnte ein tiefes Loch in der Wand. Die Luft roch abgestanden, feucht und moderig. Als würde der Schimmel in den Mauern sitzen. Zum Glück wurde der Gestank von dem Duft überdeckt, der aus Maddies Rucksack aufstieg und sie daran erinnerte, dass ihre letzte Mahlzeit schon wieder Stunden zurücklag. Mapo-Tofu, Pak Choi in Knoblauchsoße und Süßkartoffelnudeln. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen.

Sie schaltete die Stirnlampe ein. Aufzüge gab es keine, aber das hatte sie auch nicht erwartet. Nicht bei einem so alten Gebäude. Die Stiegen, die vor ihr in die Dunkelheit hinaufführten, waren abgenutzt und fleckig. An manchen Stellen bog sich der Belag hoch. Mit leisen Schritten, zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte sie nach oben.

Im dritten Stock sah sie eine Ratte nahe der Wand sitzen. Das Vieh war größer als eine Katze. Vielleicht ernährte sie sich ja von denen – statt umgekehrt. Schaudernd wandte Maddie sich ab.

Im vierten Stock wurde die Luft besser. Durch eine zerschlagene Fensterscheibe drang frischer Wind.

Fünf.

Sechs.

Sie verlangsamte ihren Schritt. Hier musste es sein. Nordwestflügel, Apartment 126. Noch immer keine Beschilderungen. Na toll! Wie dachten die Bewohner sich das? Musste man überall anklopfen, um nach dem richtigen Weg zu fragen?

Zwei Flure zweigten vom Treppenhaus ab, einer nach rechts, der andere nach links. Beide verschwanden in der Dunkelheit. Leise Musik drang an Maddies Ohren.

Ihr Blick wurde von einem Lichtspalt auf der rechten Seite angezogen. Eine der Türen war nur leicht angelehnt. Dort schien also jemand zu wohnen. Ihr Herz schlug vor Aufregung. All ihren Mut zusammennehmend, klopfte sie an.

»Mr Kwan? Bo Kwan? Ich habe eine Essenslieferung für Sie!«

Reglos stand sie da und lauschte. Vielleicht sollte sie besser ihre Stirnlampe ausschalten. Das Teil war ziemlich hell und sie wollte ihr Gegenüber nicht blenden. Allerdings war es hier draußen stockdunkel. Man könnte sie für einen Einbrecher halten.

Sie entschied, die Lampe zu dimmen und den Strahl auf den Boden zu richten.

Noch immer rührte sich nichts dadrinnen. Sie versuchte es erneut.

»Mr Kwan, sind Sie da? Sie haben eine Essensbestellung aufgegeben. Ich komme von Mama Matoka’s Sichuan Palace.«

Jetzt wurde die Musik noch etwas leiser gedreht. Schlurfende Schritte erklangen. Hinter dem Lichtspalt war Bewegung zu sehen. Ein kratzendes Geräusch, dann fiel die Tür ins Schloss.

Verdammt!

Noch einmal klopfte sie. »Hallo?«

»Wer ist da?« Eine Frauenstimme mit einem merkwürdigen Akzent.

»Bitte verzeihen Sie«, sagte Maddie. »Ich suche einen Mr Kwan. Er soll hier auf dem Stockwerk wohnen. Ich habe eine Essensbestellung für ihn.«

Geklapper, dann öffnete sich der Spalt wieder. Diesmal lag eine massive Kette davor. Der Ausschnitt eines Gesichts erschien im Türspalt. Die Frau war vielleicht fünfzig Jahre alt und nicht asiatischer Abstammung. Maddie konnte es an der Augenform erkennen. »Kwan, sagst du? Ich kenne keinen Kwan.« Der Akzent klang russisch.

»Bo Kwan, ja. Er hat sich bei uns gemeldet«, erwiderte Maddie. »Hat bei uns bestellt. Sehen Sie?« Sie hielt der Frau die App hin.

Argwöhnisch linste sie durch den Spalt. »Das glaube ich dir gerne, Mädchen. Es ändert aber nichts daran, dass hier kein Bo Kwan wohnt. Weder auf meiner Etage noch sonst wo. Ich lebe schon seit fünf Jahren in diesem Dreckloch. Du wurdest verarscht.«

Ein Schnaufen ertönte. Ein schwarzer Körper zwängte sich durch den Spalt und fing an, um ihre Beine zu schnüren. Maddie zuckte zurück. Ein Hund mit funkelnden Augen und glänzendem Fell. Obwohl bereits recht groß, war er anscheinend noch ein Welpe. Ein tiefes Brummen stieg aus seiner Kehle.

»Stanley, nein«, sagte die Frau. »Du kannst doch nicht einfach die Wohnung verlassen.«

Maddie beugte sich vor und kraulte die Fellnase. Zu Hunden hatte sie immer schon einen guten Draht gehabt. Eigentlich zu allen Tieren.

Angesichts des Zutrauens des Welpen verlor die Frau ihre Scheu. Sie löste die Kette und öffnete die Tür. Maddie konnte erkennen, dass sie die Stimme aufs Glatteis geführt hatte. Die Frau war mindestens sechzig. Hunderte von Fältchen umrandeten ihre Augen. Sie beugte sich vor, griff nach dem Welpen, hob ihn hoch und drückte ihn an ihre Brust. Als sie Anstalten machte, die Tür wieder zu schließen, drehte sie sich noch einmal um. »Tut mir wirklich leid«, sagte sie. »Ist sicher blöd, die Tour umsonst gemacht zu haben.«

Maddie zuckte die Schultern. »Wäre nicht das erste Mal. Na, dann noch einen schönen Abend.«

»Warte.« Die Frau hob schnuppernd die Nase. »Das riecht ziemlich gut. Was ist das?«

Maddie zählte die Bestellung auf.

Die Frau schien nachzudenken. »Und was soll das kosten?«

»Vier Hongkong-Dollar, plus Lieferung. Also sechs.«

»Wie wär’s, wenn ich dir fünf gebe? Ich habe gerade nichts zu essen da und es riecht wirklich verdammt lecker.«

»Ist das Beste der Stadt.« Maddie sagte das mit Überzeugung. Matokas Küche war legendär. »Haben Sie noch nie von Mama Matoka’s Sichuan Palace gehört?«

Die Frau schüttelte den Kopf.

»Das sollten Sie aber schleunigst ändern. Ich gebe Ihnen unsere Speisekarte mit.« Sie zog einen Zettel aus ihrer Tasche. »Da stehen Preise und Adresse drauf. Kommen Sie doch mal vorbei. Ist unten am Pier. Sie können es gar nicht verfehlen.« Sie deutete auf den Stadtplan, erleichtert darüber, dass diese Fahrt doch keine Nullnummer war. Ums Essen machte sie sich keine Sorgen, das hätten sie und Ratte in Windeseile verputzt – aber Matoka hätte ihnen das Fell über die Ohren gezogen, wenn am Ende des Tages die Kasse nicht stimmte.

Die Frau runzelte die Stirn. »Mama Matoka, hm?«

Maddie öffnete den Rucksack und reichte ihr die drei Boxen. Die Frau öffnete sie, blickte hinein, dann sagte sie: »Warte kurz. Ich gehe Geld holen.«

Maddie nutzte die Gelegenheit, um einen Blick ins Innere der Wohnung zu werfen. Keine Frage, die Frau hatte Stil. Zwar lebte sie nicht in Saus und Braus, aber Möbel und Einrichtung zeugten von Geschmack. Schöne Bilder, Regale mit Büchern und sogar ein echter Plattenspieler. Eine der Hüllen war frontal zu sehen. Beethoven, Klavierkonzert Nummer 3, Opus 37.

In diesem Moment kam die alte Dame mit fünf Scheinen zurück und zählte sie Maddie in die Hand. Dann sah sie sie an und gab ihr noch einen extra. »Hier, weil du so ein nettes Mädchen bist. Aber behalte es für dich, okay? Gib’s nicht deiner raffgierigen Chefin.«

»Einverstanden.« Maddie lächelte, immer noch erstaunt darüber, dass die Frau mit Bargeld und nicht mit Plasticmoney oder ihrem Kommunikator zahlte. Kaum jemand benutzte heute noch die alten Scheine.

»Lassen Sie es sich schmecken«, sagte sie. »Und besuchen Sie uns mal.«

»Das werde ich, Maddie. Mach’s gut.« Die Tür fiel ins Schloss.

Maddie schaltete die Lampe wieder auf Maximum und machte sich auf den Weg zurück. Sicher würde Ratte fragen, wo sie denn so lange gesteckt hatte, aber es gab einen guten Grund. Nicht nur hatte sie Geld verdient, es gab obendrein noch eine gute Geschichte. Ein Lied auf den Lippen, eilte sie die Stufen hinab.

Es war in der letzten Kurve, kurz bevor es ins Erdgeschoss ging, als ihre Schritte unwillkürlich langsamer wurden. Ihr Gesang verebbte und sie blieb stehen.

Ganz langsam wanderte ihr Blick nach oben. Woher kannte die Frau ihren Namen?

2

Matokas Lemminge, so nannten sie sich selbst.

Acht Kinder im Alter zwischen vier und vierzehn Jahren. Baby Henry war der Jüngste und erst seit sechs Monaten bei ihnen. Dann kamen Yema, sechs Jahre alt, Ratte, von dem niemand wusste, wie sein richtiger Name lautete – sieben Jahre. Die Zwillingsmädchen Xin und Xinxin, beide zehn. Sowie der harte Kern, bestehend aus Tian, Bo und ihr selbst. Maddie war die Älteste und am längsten mit dabei. Was es mit sich brachte, dass sie nicht nur in der Küche helfen und Essen ausfahren musste, sondern obendrein auch noch Kindermädchen war. Um Tian und Bo musste sie sich nicht groß kümmern. Dafür, dass die beiden zwölf und Jungs waren, benötigten sie erstaunlich wenig Aufmerksamkeit. Auch Xin und Xinxin waren pflegeleicht. Als eineiige Zwillinge waren sie sich selbst genug und konnten den ganzen Tag miteinander verbringen, ohne sich zu langweilen. Baby Henry, Yema und Ratte waren ihre Problemkinder. Ratte war rotzfrech und aufsässig, doch seit Maddie ihn auf ihre Essensfahrten mitnahm und hinten auf dem eHopper sitzen ließ, hatte sie ihn besser unter Kontrolle. Yema, die noch nie ein Wort geredet hatte, wurde von unzähligen Ängsten geplagt und hing unablässig an Matokas Rockzipfel. Was natürlich zu Komplikationen führte, denn ihre Pflegemutter war ja für die Zubereitung der Speisen zuständig. Sie hatte keine Zeit, sich nebenher noch um die Waisenkinder zu kümmern. Also musste Maddie das übernehmen.

Baby Henry spielte in einer eigenen Liga. Nie war er da, wo man ihn vermutete. Wenn man ihn fand, hatte er garantiert etwas angestellt: Sicherungen rausdrehen, Gäste belästigen, Zeug verbummeln – es war erstaunlich, was sich alles im Kriechgang und auf allen vieren anstellen ließ.

Und tatsächlich drohte die Situation, kaum dass Maddie und Ratte zurückgekehrt waren, schon wieder aus dem Ruder zu laufen. Gerade hatte Maddie den eHopper hinter dem Haus abgestellt, als sie einen Schrei und ein Scheppern hörte. Es klang, als wäre ein Topf zu Boden gefallen. Gelächter ertönte. Sie sprintete los und kam gerade noch rechtzeitig an, um zu sehen, wie ihre Pflegemutter mit einem Topf und zwei gusseisernen Woks gleichzeitig hantierte, während nebenan die Suppenbrühe überzukochen drohte. Yema hing an ihrem Bein und brüllte wie am Spieß.

Nicht auszudenken, wenn Matoka den Topf fallen ließ und sich der heiße Inhalt über Yema ergoss. Maddie schnellte vor, packte die Kleine und hob sie hoch. »Hab dich«, rief sie. »Was ist denn los mit dir? Wo sind die anderen? Wo sind Xin und Xinxin, wo Tian und Bo?«

»Bestimmt hinten im Laden«, donnerte Matoka. »Dieses nichtsnutzige Pack.« Mit hochrotem Kopf fischte die Köchin Teigtaschen aus der brodelnden Brühe und verteilte sie auf vier Schälchen. Dann fügte sie noch ein bisschen Gemüse hinzu, streute frisch gehackten Koriander darüber und stellte alles auf die Theke.

»Musstest du unbedingt diese Spielekonsole anschaffen? Das war die dümmste Idee, die du je hattest.«

Maddie schluckte. Stimmte schon, es war ihre Idee gewesen. Sie wollte einfach, dass die Kleinen zwischendurch mal ein bisschen Freude und Zerstreuung hatten. Ein Fehler, wie es schien.

»Ich sehe nach, was los ist«, sagte sie kleinlaut. »Ratte, du kümmerst dich ums Servieren. Und nichts anstellen, okay?«

»Aye, aye, Captain.« Er salutierte. Immerhin tat er, was Maddie ihm sagte. Das war nicht immer so gewesen.

Dass Matoka Kinder aus dem Waisenhaus aufnahm, war zwar ein Akt der Herzensgüte, aber so langsam wurden es einfach zu viele. Zum Glück half ihre Schwester Misaki manchmal mit, doch die war gerade frisch geschieden und am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Momentan war sie unterwegs, auf irgendeiner Art Selbstfindungstrip, und so blieb alles an Maddie hängen.

Aber sie wollte sich nicht beklagen.

Sie musste etwa in Baby Henrys Alter gewesen sein, als sie hier aufgenommen worden war. Matoka hatte ihr zu essen gegeben, ein Dach über dem Kopf sowie Wärme und Geborgenheit. Wäre sie nicht gewesen, wer weiß, was aus Maddie geworden wäre.

Klar verdiente Matoka an ihren Pflegekindern. Waisenkinder aufzunehmen, wurde vom Staat finanziell unterstützt. Doch es war zu wenig, um damit auf einen grünen Zweig zu kommen. Außerdem wollte Maddie nicht glauben, dass es hier nur ums Geld ging. Matoka war die einzige Person, die ihr je etwas bedeutet hatte, da schaute man nicht mit der Lupe auf jede Kleinigkeit.

Sie fand die Lemminge hinten im Laden. Wie erwartet, bearbeiteten sie die Spielekonsole. Tian, Bo, Xin und Xinxin lieferten sich ein erbittertes Duell bei Mario Kart. Soeben war Joshi mit einem gekonnten Wheelie an Bowser vorbeigezogen und hatte eine Banane geworfen. Maddie griff nach der Steuerung und schaltete den Fernseher aus.

Protestgeheul schlug ihr entgegen.

»Ich lag gerade in Führung!«, schrie Xin. »Das erste Mal, dass ich die Abkürzung gekriegt habe, und du machst mir alles kaputt!«

Maddie platzte schier der Kragen. »Seid ihr eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Habt ihr eine Ahnung, was da draußen los ist? Um ein Haar hätte es ein Riesenunglück gegeben. Vorne geht es drunter und drüber und ihr habt nichts Besseres zu tun, als euch hier hinten die Nacht um die Ohren zu schlagen. Wenn ihr schon nicht helfen wollt, dann lasst wenigstens Baby Henry schlafen. Besser noch – geht selbst schlafen! Es ist kurz nach zwölf. Schon vergessen, dass wir morgen früh auf den Markt müssen?« Sie blickte auf das kleine Bündel, das zu Füßen des Fernsehers auf der Erde lag. Wie jemand bei diesem Lärm ein Auge zu bekommen konnte, war ihr ein Rätsel. »Was ist überhaupt mit Yema los? Sie war völlig außer sich, als ich kam. Wollte Matoka gar nicht loslassen. Was habt ihr angestellt?« Noch immer hielt sie die Kleine im Arm. Inzwischen hatte Yema sich wieder etwas beruhigt.

»Irgendein Idiot hat draußen ein paar Böller gezündet, da ist sie völlig ausgerastet«, verteidigte sich Bo. »Können wir doch nichts für.«

»Und warum habt ihr sie nicht getröstet, anstatt hier zu zocken? Ihr wisst doch, wie empfindlich sie ist, was laute Geräusche betrifft.«

»Haben wir ja versucht, aber sie wollte nicht«, sagte Tian. »Wir dachten, wenn wir Mario spielen, kommt sie vielleicht. Du weißt doch, wie sehr sie Toadette liebt.«

Maddie verbiss sich einen Kommentar. Es stimmte, außer von Matoka und Maddie ließ Yema sich nur von der kleinen Pilzdame trösten. Dieser Knall mussten etwas in ihr ausgelöst haben. Ein verschüttetes Trauma vielleicht? Das Geräusch von Schusswaffen?

Sie sah ihr in die Augen. Yema hatte den Daumen im Mund.

»Geht’s wieder?« Sie spürte, wie die Kleine zitterte. Aber wenigstens brachte sie ein Nicken zustande. »Schön. Dann werde ich euch jetzt alle ins Bett bringen. Es ist Zeit.«

»Liest du uns wenigstens eine Geschichte vor?« Fünf hoffnungsvolle Augenpaare waren auf sie gerichtet. Sie seufzte. Eigentlich hatte sie keine Zeit dafür. Drüben am Straßenstand herrschte Hochbetrieb. Die Spielhalle hatte vor wenigen Minuten zugemacht. Ehe die Leute in die nächste Kneipe weiterzogen, wollten sie rasch noch etwas essen und das taten sie erfahrungsgemäß bei Matoka.

»Ich werde zusehen, was sich machen lässt. Bis dahin seid ihr ausgezogen und im Bett. Zähneputzen nicht vergessen. Und kümmert euch gefälligst um Yema.«

Sie stellte die Kleine auf den Boden. Dass sie nicht plärrend hinter ihr herlief, wertete Maddie als Fortschritt.

Vorne an der Theke hatte sich die Lage inzwischen entspannt. Sechs Gäste warteten auf ihre Bestellung, doch Matoka hatte alles im Griff. Wenn es sein musste, konnte sie locker doppelt so viele Leute bedienen. Um Mitternacht war hier immer Hochbetrieb.

»Na, was hatten die Taugenichtse jetzt wieder für eine Ausrede?«, fragte sie zwischen einer Portion Sichuan-Pfefferhuhn und Auberginen in Knoblauchsoße. »Ich hoffe, du hast ihnen gehörig den Hintern versohlt. Hier, iss eine Kleinigkeit.« Sie schob Maddie ein Schälchen zu.

»Sie haben es nur gut gemeint«, erwiderte Maddie und nahm noch ein paar Nudeln dazu. Ihr Magen machte komische Geräusche. »Dachten wohl, wenn sie Mario Kart spielen, würde Yema vielleicht zu ihnen kommen und zugucken. Na ja …« Sie aß, als hätte sie schon seit Ewigkeiten nichts mehr zu essen bekommen. Es war seltsam – seit sie vierzehn geworden war, hatte sie immerzu Hunger.

Matoka grollte, doch da war ein Zwinkern in ihren Augen. »Du warst schon immer zu weich. Wenn es nach dir ginge, wäre die Welt ein Ort voller Luftballons und Zuckerwatte. Doch das ist sie nicht. Man muss kämpfen, um zu überleben. Man muss Befehle befolgen und Verantwortung übernehmen. Wer das nicht frühzeitig lernt, wird sterben.«

»Sie putzen sich jetzt die Zähne und gehen schlafen«, sagte Maddie. »Ratte würde ich auch gerne mitnehmen, wenn du auf ihn verzichten kannst. Es ist Zeit für ihn. Der Tag war lang, aber er hat seine Sache gut gemacht.« Sie zögerte. »Ich habe versprochen, ihnen noch eine Geschichte vorzulesen.«

Das war das erste Mal an diesem Abend, dass Matoka von ihren Töpfen aufsah und ihr direkt in die Augen blickte. Sie war eine stämmige, untersetzte Frau Mitte vierzig. Die entbehrungsreiche Zeit, der Überlebenskampf und die harte Arbeit hatten dunkle Ringe unter ihren Augen gezeichnet. Auch trug sie etliche Narben auf Händen und Unterarmen, die von dem Hantieren mit Holzkohle, heißem Fett und glühenden Metallgegenständen herrührten. Doch ihr Haar war immer noch schwarz, ohne ein einziges graues Strähnchen, und ihr Lächeln breit und herzlich.

Dieses gütige Gesicht war das Erste, woran Maddie sich erinnern konnte. Und solange sie lebte, würde Matoka ihr Anker und ihr Lebensmittelpunkt sein.

Zuerst dachte sie, ihre Pflegemutter wäre wütend, doch dann bemerkte sie ein leichtes Glitzern in den Augenwinkeln. Waren das Tränen? Maddie hatte Matoka noch nie weinen sehen.

»Mein kleines irisches Mädchen, was täte ich nur ohne dich?«, sagte sie und ihre Stimme klang auf einmal anders. Weicher. »Du bist mir wirklich eine große Hilfe.«

»Dann darf ich …?«

»Aber ja. Ich komme hier klar. Du warst heute sehr fleißig. Leg dich auch ins Bett. Ich mache noch bis halb zwei weiter, dann gehe ich ebenfalls schlafen. Morgen früh wünsche ich dafür keinen Lärm, verstanden? Bis zehn Uhr ist Ruhe.«

Maddie lächelte. »Versprochen.«

»Die Einkaufsliste ist auf dem Küchentisch. Geld liegt daneben. Bring der Bande bei, wie man gute von schlechter Ware unterscheidet, und zeig ihnen, wie man hart verhandelt. Das kann man gar nicht früh genug lernen. Vor allem lasst mich schlafen. Wir öffnen dann um elf.«

Maddie beendete ihr Mahl und stand auf. Lecker war es wieder gewesen.

Ihre Tage waren streng durchgetaktet. Ab elf Uhr vormittags konnten die Leute in ihrem kleinen Shop Dinge für den täglichen Bedarf einkaufen, ab siebzehn Uhr öffnete Matoka dann den Streetfood-Stand. Um einundzwanzig Uhr wurde der Shop geschlossen, ab dann gab es nur noch frisch gekochtes Essen. Das dafür aber bis ein Uhr nachts, an Wochenenden auch bis zwei.

Matoka träumte schon seit Langem von einem richtigen Restaurant, doch die Lizenz dafür war so unverschämt teuer, dass sie es sich nicht leisten konnte. Also kombinierte sie Shop und Streetfood und das lief einigermaßen. Zumindest so gut, dass sie alle Mäuler gestopft bekam und monatlich etwas beiseitelegen konnte.

»Zweimal Hühnerfüße mit Lotoswurzeln«, rief ein Kunde und Matoka legte wieder los. Maddie schnappte sich Ratte, der bereits auf einem Hocker döste, und ging nach hinten.

Die Lemminge waren bettfertig und saßen erwartungsvoll auf ihren Liegematten. Ratte putzte sich ebenfalls die Zähne, schöpfte sich Wasser ins Gesicht und kroch dann zu den anderen.

Ihr Schlafbereich befand sich in der rechten Kammer, Matokas war links. Der Raum dazwischen war gleichzeitig Wohn-, Arbeitsund Spielzimmer und bis unter die Decke vollgestopft mit irgendwelchem Krempel. Zwei Schränke standen hier, in denen Kleidung, Schuhe und allerlei Alltagsgegenstände aufbewahrt wurden. Es gab noch eine Truhe mit Matokas Erinnerungen, einen Tisch und ein paar einfache Holzstühle. Viel war es nicht, aber es genügte zum Glücklichsein. Hauptsache war ohnehin, dass alle gesund waren.

Natürlich träumte Maddie, wie alle in Kowloon, davon, eines Tages reich zu werden und rüber nach Central zu ziehen, aber das würde wohl bis ans Lebensende ein Traum bleiben. Niemand, der aus der Gosse kam, würde jemals eine solche Chance erhalten. Eher fror die Hölle zu. Zwischen ihnen und den Leuten drüben lag mehr als nur der Kanal. Ganze Welten lagen dazwischen. Und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als am Pier zu sitzen, über das Wasser zu blicken und von den glitzernden Megatürmen auf Hongkong Island zu träumen.

Maddie ging rüber zu ihrem Regal und strich mit dem Finger über all die vergilbten und eingerissenen Buchrücken. Eines der Bücher war besonders ramponiert, doch es bedeutete ihr alles. Der Zauberer von Oz. Ein Roman, von dem Matoka ihr erzählt hatte, es wäre die einzige Hinterlassenschaft ihrer leiblichen Mutter. Mit eckigen Buchstaben stand dort Patricia geschrieben.

Doch Der Zauberer von Oz war für die Lemminge noch nicht die richtige Lektüre. Kurz entschlossen zog sie ein anderes Buch hervor. Chinesische Volksmärchen. Ein Klassiker, der bei den Lemmingen immer auf viel Begeisterung stieß. Der Band war dick und voller rätselhafter Märchen. Ihre Wahl fiel auf eine Geschichte, die sie immer sehr gemocht hatte.

»Hört zu«, sagte sie, während sie es sich gemütlich machte, das Licht etwas dimmte und einen Schluck Wasser trank, um ihre Kehle zu befeuchten. »Heute möchte ich euch von den Abenteuern des Affen Wukong erzählen, der aus einem steinernen Zauber-Ei geboren wurde und der sich irgendwann anschickte, der König aller Tiere zu werden. Es geht um eine geheimnisvolle Insel, ein paar seeeehr ungewöhnliche Freunde und eine lange und abenteuerliche Reise. Und es geht um den Kampf gegen den König der Teufel. Also passt gut auf …«

3

Am nächsten Morgen

Es war kurz nach neun, als sie den Laden verließen. Maddie voran, die Lemminge wie die Orgelpfeifen hinterher. Die Kleinen waren nicht früher wach zu kriegen gewesen. Ihnen stand die Müdigkeit ins Gesicht geschrieben. Es war gestern Nacht einfach zu spät geworden. Zu spannend die Geschichte um den kleinen Sun Wukong, zu aufregend die Frage, ob er wirklich König aller Tiere werden würde.

Der Einzige, der bestens geschlafen zu haben schien, war Baby Henry. Voller Lebensfreude saß er in Maddies Rückentrage und gurrte fröhlich vor sich hin.

Sie schwor sich, die Dinge künftig anders zu gestalten. Spätestens um zweiundzwanzig Uhr mussten die Kinder im Bett sein, dann würde es auch keine Probleme geben. Zumindest ein Gutes hatte die Sache: Die Lemminge würden heute auf dem Markt friedlich sein und ein langes Mittagsschläfchen brauchen. Zwei Stunden Minimum. Ob Maddie ebenfalls Zeit für ein Nickerchen finden würde, blieb abzuwarten, denn es gab mehr als genug zu tun. Aber darüber konnte sie sich später den Kopf zerbrechen. Erst mal standen die Einkäufe an und die Liste war lang.

»Kommt, Lemminge. Nicht trödeln!« Ungeduldig trieb sie die Gruppe wie eine Schar Gänse vor sich her. »Der Bus kommt gleich, den dürfen wir nicht verpassen.«

Die Luft war neblig heute Morgen, schwer vom Smog. Die Türme von Central waren kaum zu erkennen. Durch den Dunst schwebten Copter, blinkend wie Glühwürmchen. Fähren kreuzten den Kanal, luden Menschen ein und spuckten sie auf der anderen Seite wieder aus. Signalhörner hallten weithin über das Wasser. An normalen Werktagen fuhren viele Arbeiter rüber nach Central, was dazu führte, dass Kowloon tagsüber wie ausgestorben wirkte. Nicht jedoch heute. Heute war Samstag, da blieben die meisten daheim und bereiteten sich aufs Wochenende vor.

Maddie setzte ihren Fuß auf die Straße und wollte gerade mit den Lemmingen zur Bushaltestelle hinübergehen, als ein Donnern sie innehalten ließ. Fünf Motorräder kamen den Pier entlanggefahren. Die Fahrer schienen sich einen Dreck um die Passanten zu scheren. Eine alte Frau wurde fast über den Haufen gefahren, weil sie offensichtlich nicht gut hörte. Ein junger Mann war aufmerksam genug und zog sie gerade noch rechtzeitig nach hinten. Träger und Fahrradfahrer hüpften zur Seite. Fußgänger, die die Straße überqueren wollten, sprangen panisch zurück auf den Gehsteig.

Unter anderen Umständen hätten die Leute vielleicht protestiert, doch nicht diesmal. Keiner war verrückt genug, sich Mitgliedern der Black Bishops entgegenzustellen. Die Fahrer trugen schwarze Kutten, Lederstiefel und Macheten. Auf Wimpeln, die an langen Stangen an den Motorrädern befestigt waren, prangten mittelalterlich aussehende Mönchsfiguren mit gekreuzten Armen.

Die Black Bishops waren ein Seitenarm der chinesischen Mafia und kontrollierten das Nordufer. Vom Cultural District bis rüber zum Whampoa Garden und hoch nach Kadoorie Hill reichte ihr Revier. Schutzgeld, Glücksspiel, Drogen und das Schmuggeln biomechanischer Ersatzteile – es gab nichts, wo die Bishops nicht ihre schmutzigen Finger drinhatten. Gerüchten zufolge wurden sie von einem Mann namens Yusheng Wei angeführt. Niemand wusste, wie er aussah. Niemand wusste, wie alt er war und wo er lebte. Yusheng hatte seinen Stiefel im Nacken der Ehrlichen, der Fleißigen und Rechtschaffenen. Wie Zitronen presste er sie aus, knöpfte ihnen ihr mühsam Erspartes ab und bereicherte sich an ihnen. Leute wie Matoka, die versuchten, sich mit bescheidenen Mitteln eine Existenz aufzubauen. Maddie konnte gar nicht genug betonen, wie sehr sie solche Menschen verachtete.

Die Motorradgang wurde langsamer. Im Schritttempo kamen sie auf sie zu. Mit aufbrüllenden Motoren zogen sie einen Kreis um Maddie und ihre sieben Schützlinge. Auf ein Handzeichen hin gingen die Maschinen aus. Der Anführer drückte den Ständer runter und stieg ab. Dutzende von Passanten starrten zu ihnen herüber. Viele waren stehen geblieben, um Zeuge zu werden, was sich hier abspielte. Keiner kam den Kindern zu Hilfe.

»Na, kleine Lady, wohin des Wegs?« Raues Gelächter ertönte. »Siehst aus wie eine Henne, die ihre Küken spazieren führt.«

Der Anführer war an den Unterarmen tätowiert. Maddie konnte sein Gesicht unter der Kapuze kaum erkennen. »Wo du hinwillst, habe ich gefragt.«

»Antworte dem Boss gefälligst«, erklang eine weibliche Stimme.

Die Kinder waren jetzt hellwach.

»Zum Markt.« Maddie scharte ihre Schützlinge hinter sich. Sie konnte nur hoffen, dass die Kleinen keine Dummheit anstellten. Ratte und Tian waren unberechenbare Kandidaten. Wenn irgendwo Stress drohte, waren sie vorne mit dabei. Zum Glück verhielten sie sich gerade ruhig.

Es war nicht das erste Mal, dass so etwas passierte. Pünktlich zu Monatsbeginn wurden die Schutzgelder eingetrieben. Aber war denn schon wieder der Erste? Maddie musste zugeben, dass sie den Kalender aus dem Blick verloren hatte.

»Du weißt, weshalb wir hier sind, oder?«

»Klar weiß ich das«, entgegnete Maddie. »Ihr wollt Geld. Ich habe aber keins.«

»Und wie hast du dann vor, auf dem Markt zu bezahlen?« Die Frau grinste. »Du bist doch auf dem Weg dorthin, ich erkenne es an deinen Taschen. Willst du Stepptanz tanzen oder etwas singen? Oder hast du vor, einen deiner kleinen Spielgefährten zu verkaufen?« Sie ließ einen Goldzahn funkeln.

Wieder erklang dröhnendes Gelächter.

»Ja, wir wollen einkaufen«, sagte Maddie und hob trotzig ihr Kinn. »Und ja, ich habe Geld. Aber nur für Lebensmittel.«

Zu hoffen, dass die Polizei kam, war sinnlos. Die würde nichts gegen die Bishops unternehmen. Böse Zungen behaupteten sogar, Yusheng und der Polizeipräsident steckten unter einer Decke. »Wenn wir nichts einkaufen, können wir nicht kochen. Wenn wir nicht kochen, nehmen wir nichts ein, und dann bleibt nichts für euch, ihr Halsabschneider. Die Rechnung ist so einfach, dass selbst ihr sie kapieren müsstet.«

Der Anführer holte tief Luft. »Hoho, die Kleine hat ganz schön Mumm, findet ihr nicht? Nennt mich dumm. Dazu gehört schon was.« Er kam drohend auf sie zu.

Maddie wich keinen Schritt zurück.

Der Mann blinzelte. Zögerte. Offenbar hatte er nicht mit Widerstand gerechnet. Er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln.

»Ich glaube, du missverstehst hier etwas«, sagte er mit gefährlich leiser Stimme. »Schutzgeld dient, wie der Name schon sagt, zu eurem eigenen Schutz. Wir sorgen dafür, dass ihr in Ruhe euren Geschäften nachgehen könnt und keine Angst haben müsst, dass euch jemand ausraubt. Solche Dienstleistungen gibt es natürlich nicht umsonst. Nicht unser Problem, wenn euer Laden nicht läuft. Die Abgabe ist pünktlich am Monatsersten fällig, also her damit.« Er streckte seine Hand aus. Sie steckte in einem abgewetzten Lederhandschuh. Die Finger zuckten vor unterdrückter Wut.

Maddie spürte, dass sie den Bogen jetzt weit genug gespannt hatte. Jeder Widerstand würde sie und die Lemminge in Gefahr bringen. Matoka würde es ihr niemals verzeihen, wenn den Kleinen etwas zustieße. Der Typ war unberechenbar. Als Anführer konnte er sich keinen Gesichtsverlust leisten.

Seufzend griff sie in ihre Einkaufstasche, holte die Geldbörse raus und öffnete sie. Schneller, als sie reagieren konnte, riss der Mann sie ihr aus der Hand, zog ein Bündel Geldscheine heraus und zählte durch.

»Dreißig, vierzig, fünfzig. Na, wer sagt’s denn? Du hast doch genug dabei.«

»Aber dann habe ich nichts mehr zum Einkaufen.«

»Pfft.« Der Mann wedelte mit der Hand. »Arbeitet fleißiger oder esst weniger, mir egal. Hauptsache, am Ende des Monats stimmt die Kasse. Ich habe, was ich brauche, und damit Ende der Diskussion. Los, Leute, aufgesessen und dann weiter. Wir haben noch ein paar Läden abzuklappern.«

Wieder brüllten die Maschinen auf. Die Biker drehten noch eine Runde um die Kinder, dann fuhren sie donnernd weiter Richtung Westen.

Maddie presste die Lippen zusammen. Drüben auf der anderen Straßenseite fuhr gerade ihr Bus ab. Der Tag war verhagelt, kaum dass er begonnen hatte. »Wartet hier«, sagte sie und deutete auf eine Stelle auf dem Bürgersteig. »Rührt euch nicht weg. Ich bin gleich wieder da.«

Sie überquerte die Straße und eilte mit schnellen Schritten zurück zum Laden. Wenn sie sich recht erinnerte, befand sich hinter den Aktenordnern eine kleine Holzschatulle, in der Matoka ihren Notfallgroschen aufbewahrte. Sollte sich dort kein Geld finden, musste sie am Markt anschreiben lassen. Das machten die Händler allerdings nur sehr ungern und meist bekam man dann auch nur minderwertige Ware.

Sie hatte gerade ihren Schlüssel ins Schloss gesteckt, als sie ein Kribbeln im Nacken spürte. Sie konnte nicht genau sagen, was das für ein Gefühl war, denn es war neu. Wie ein Nadelstich, nur feiner. Das Gefühl, als würde sie von jemandem beobachtet.

Ruckartig drehte sie sich um.

Drüben auf der gegenüberliegenden Straßenseite drängten die Menschen aneinander vorbei. Da waren die kleine Bäckerei mit den Teigkrapfen, der Ticketschalter und der Nippesladen, in dem vor allem Andenken und Glücksbringer verkauft wurden. Der alte Anson war gerade dabei, seinen Hotdog-Wagen aufzustellen, von links näherte sich die Straßenkehrmaschine. Alles wie gewohnt.

Und doch …

Maddies schneller Blick erfasste die Umrisse einer Frau. Graue Haare, zu einem Zopf gebunden, ein blaues Kostüm mit rotem Gürtel, die Füße steckten in Sandalen. Merkwürdiges Outfit. Und sie blickte genau zu Maddie rüber.

Für einen kurzen Moment war sie zu sehen, dann drängte eine Gruppe von Menschen an ihr vorbei und sie war verschwunden.

Der Augenblick währte nur eine paar Sekunden. So kurz, dass Maddie sich schon fragte, ob das vielleicht nur Einbildung gewesen war.

Nein, entschied sie. Die alte Dame war da gewesen. Und sie hatte sie beobachtet. Dieselbe Frau, der Maddie gestern Nacht das Essen verkauft hatte.

4

Für einen Samstagabend war es am Pier erstaunlich ruhig. Es fuhren nur noch wenige Schiffe und auch die Zahl der Copter und Robotaxis hatte merklich abgenommen. Maddie wusste jedoch, dass dies nur die Ruhe vor dem Sturm war. In spätestens zwei Stunden wimmelte es hier von Touristen, Schaulustigen und Partypeople. Viele kamen über den Kanal, weil man von hier aus die besten Fotos schießen konnte. Maddie hoffte, dass sie auch Hunger mitbrachten und den einen oder anderen Hongkong-Dollar bei Mama Matoka ließen.

Der Blick über das Wasser raubte ihr immer wieder den Atem. Die Sonne war vor wenigen Minuten untergegangen und auf den Spitzen der Wolkenkratzer schimmerte das letzte Abendrot. Einer von ihnen stach besonders heraus. In gigantischen leuchtenden Lettern stand dort der Name einer Firma. Helix Corporation. Der größte Biotechkonzern der östlichen Welt. Hunderte von Stockwerken hoch, schraubte sich der Megatower in den Himmel, sodass man den Eindruck bekommen konnte, er würde bis in den Weltraum ragen. Doch die anderen Wolkenkratzer waren nicht minder beeindruckend. Für Maddie war das eine ferne Welt aus Lichtern und Farben.

Ratte und der Rest der Lemminge saßen auf einem Poller, unterhielten sich und mümmelten ihr Abendessen. Es gab gefüllte Pfannkuchen mit Gemüse und Synthohühnchen. Zu trinken gab es Malzbier und Limettensaft.

Ratte musterte Maddie mit vollen Backen. »Was, glaubst du, machen die Menschen gerade dort drüben? Meinst du, sie essen jetzt auch? Glaubst du, ein paar von denen blicken gerade zu uns rüber und fragen sich, was wir so machen?«

»Ziemlich unwahrscheinlich«, entgegnete Maddie. »Warum sollte sich in Central jemand für uns interessieren? Ich glaube, die planen eher ihren Urlaub, überlegen, wie sie ihre Apartments einrichten, welche Farbe ihr neues Auto haben soll oder ob sie sich nicht lieber gleich einen Copter kaufen.« Sie biss herzhaft ab und sagte mit vollem Mund: »Wer so viel Geld besitzt, den interessieren doch nicht die Probleme kleiner Leute.«

»Copter würde ich auch gerne mal fliegen«, sagte Tian. »Die neuen Modelle sind vollkommen lautlos. Es heißt, man wäre wie auf einem fliegenden Teppich unterwegs.«

»Oder mit einem Drachen«, sagte Xin lächelnd und spielte damit auf das chinesische Märchen an, aus dem Maddie ihnen gestern vorgelesen hatte. »Machst du nachher mit Der Affenkönig weiter?«

Maddie grinste. Das Märchen war lang und sie hatten gestern etwa nur die Hälfte geschafft. »Wenn ihr möchtet.«

»Oh ja«, riefen alle wie aus einem Mund.

»Na schön«, sagte sie. »Aber unter einer Bedingung – ihr geht alle heute früher ins Bett. Um zehn seid ihr in den Federn.«

»Warum?« Tian sah sie verdutzt an.

»Damit ihr ausgeschlafen seid und mittags im Shop mithelfen könnt. Wenn ihr nur pennt, bin ich dort ganz allein und …«

Ihr Kommunikator piepte. Eine neue Essensbestellung. Sie schaute auf das Display. Teigtaschen in scharfer Soße, Mapu-Tofu und Pak Choi. Die Bestellung kam von …

Maddie traute ihren Augen nicht.

»Was ist los?«, erkundigte sich Ratte.

»Bo Kwan?« Sie schüttelte den Kopf. »Du willst mich doch verarschen.« Maddie hielt ihm die App hin.

Ratte runzelte die Stirn. »Du sagtest doch, den gäb’s nicht.«

»Das hat diese Frau behauptet«, entgegnete Maddie. »Und doch ist wieder eine Bestellung von ihm eingegangen. Das verstehe ich nicht …«

Tian beugte sich zu ihr rüber. »Gibt es da nicht einen Filter, der verhindert, dass man zweimal von denselben Leuten verarscht wird?«

»Doch, genau so ist es.«

»Hast du den eingeschaltet?«

»Natürlich. Ich mach den Job ja nicht seit gestern.« Maddie presste die Lippen zusammen. »Ich weiß, dass ich ihn für diesen Typen aktiviert habe. Damit du als Kunde nach einer Falschbestellung wieder zugelassen wirst, musst du die Sperre deaktivieren. Du musst einen Authenticator benutzen und nachweisen, dass du wirklich der bist, für den du dich ausgibst, und eine rechtmäßig gemeldete Adresse besitzt. Mit Ausweis, Gesichtskontrolle und allem, was dazu gehört. Ziemlich aufwendig, das Ganze.«

»Dann gibt es ihn also doch?«, sinnierte Ratte kauend. »Vielleicht hast du nur nicht richtig nachgeschaut.«

»Warum sollte mir die Frau so einen Quatsch erzählen?« Maddie blickte auf die App. »523E Canton Street, Kowloon. Sechstes Obergeschoss, Nordwestflügel. Dieselbe Adresse.« Unwillkürlich musste sie an ihre Begegnung heute Morgen denken. Sie war ziemlich sicher, dass sie diese merkwürdige Frau gesehen hatte. Warum hatte sie nur dagestanden und sie beobachtet? Warum war sie nicht rübergekommen und hatte mit Maddie geredet?

Ziemlich seltsam, das Ganze.

»Was wirst du jetzt machen«, fragte Tian. »Fährst du noch mal hin?«

»Ich würd’s nicht machen«, sagte Ratte. »Wäre doch bescheuert, sich zweimal verarschen zu lassen.«

»Ratte hat recht«, sagte Xinxin. »Einmal ’nen Fehler machen, das passiert jedem. Zweimal und man ist dumm.«

»Dann bin ich eben dumm.« Maddie stand auf.

Xinxin blieb der Mund offen stehen. Ratte sah sie groß an. »He, warte auf mich, ich bin noch nicht fertig.«

»Diesmal fahre ich alleine«, sagte Maddie. »Wer immer mir diesen Streich spielt, er wird heute sein blaues Wunder erleben, das verspreche ich euch. Esst ihr in Ruhe weiter, ich erzähle euch nachher, wie es gelaufen ist.« Sie drehte sich um und ging zu ihrem eHopper. Die Bestellung ignorierte sie. Ganz sicher würde sie diesem Bo Kwan kein Essen bringen. Sie war entschlossen, sich nicht erneut auf der Nase herumtanzen zu lassen.

Zehn Minuten später stand sie wieder dort, wo sie gestern schon gewesen war. Sie schob den eHopper in die schmale Gasse, die zum Hinterhof führte, versteckte ihn hinter ein paar Mülltonnen und machte sich auf den Weg in den sechsten Stock. Vorbei an dem fehlenden Lichtschalter, dem zerbrochenen Fenster und der dicken Ratte. Alles war, wie sie es in Erinnerung hatte. Sogar …

Maddie verlangsamte ihren Schritt. Sie spähte in den dunklen Gang im sechsten Stock.

»Das gibt’s doch nicht«, murmelte sie verblüfft. Schon wieder stand die Tür einen Spalt weit offen. »Wie leichtsinnig kann man sein?« Sie atmete tief ein. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich sie. War das ein Zufall? Was, wenn es diesen Bo Kwan gar nicht gab, wenn es ein Deckname war – der Name dieser Frau? Eine Frau, die ihren Namen kannte. Woher?

Ein tiefer Argwohn setzte sich fest. Ließ sie nicht mehr los. Komisch, dass sie nicht schon eher darauf gekommen war, aber es passte alles zusammen. Die erste Bestellung, um Maddie abzuchecken. Dann der Besuch bei Matoka, um ihre Geschichte zu überprüfen. Jetzt ein zweites Treffen.

Aber warum? Wer war diese Frau? Ihr schwirrte der Kopf.

Hinter der Tür erklang Musik. Diesmal Jazz. Irgendwo im Hintergrund war Gläserklirren zu hören. Zaghaft hob Maddie den Finger und klopfte an. Die Musik übertönte alles. Wenn die Frau hinten in der Küche beschäftigt war, würde sie sie nie hören. Maddie klopfte etwas lauter, doch selbst das genügte nicht. Klar, sie hätte laut rufen können, aber dann wäre auch der Rest des Hauses aufmerksam geworden. Vorausgesetzt, hier wohnten noch andere, was nicht der Fall zu sein schien. Auch fiel ihr auf, dass – anders als bei ihrem letzten Besuch – diesmal keine Kette vor der Tür lag. Sie wurde also erwartet. Na schön.

Maddie fasste sich ein Herz und drückte die Tür einen Spalt weit auf. »Hallo?«

Halb rechnete sie damit, von Stanley begrüßt zu werden. Hunde hatten ein viel besseres Gehör als Menschen und einen besseren Geruchssinn. Doch der Welpe ließ sich nicht blicken. Die Geräusche aus dem hinteren Teil der Wohnung hielten an. Die Frau schien beschäftigt zu sein.

Vielleicht war das Ganze doch keine so gute Idee. Die Alte machte nicht den Eindruck, als wäre sie wehrlos.

Hin- und hergerissen stand Maddie im Flur, als plötzlich ein Junge erschien. Er trug einen grauen Stoffanzug und orangefarbene Schuhe. Seine Haare waren blau gefärbt. Seinem Aussehen nach konnte er kaum älter sein als sie. Eine Maschinenpistole hing an einem Gurt über seiner Schulter. Einen Apfel essend, stand er da und starrte sie an. Offensichtlich war er genauso erstaunt wie sie.

Schneller, als sie reagieren konnte, warf der Junge den Apfel weg, riss die Waffe von seiner Schulter und richtete sie auf Maddie. »Wer bist du denn? Ist ja auch egal. Bleib, wo du bist. Und nimm die Hände hoch, verstanden?«

Sie wollte etwas sagen, da reckte er auch schon seinen Hals und rief: »He, Leute, kommt mal alle her! Ich glaube, wir haben Besuch.«

5

Wer bist du, Kleine? Was machst du hier?«

Vier Augenpaare waren auf Maddie gerichtet. Eine Gruppe von Jugendlichen, keiner älter als sechzehn. Der Anführer war ein Junge mit strubbeligen schwarzen Haaren und einer Narbe entlang des Schläfenknochens. Alle vier trugen diese merkwürdigen hellgrauen Uniformen und orangefarbenen Schuhe, die gleichzeitig militärisch und sportlich wirkten.

Neben dem Jungen mit den blauen Haaren und dem Typen mit der Narbe waren da noch ein asiatisch anmutendes Mädchen mit Sidecut, Nasenpiercing und neonfarbenen Lippen sowie ein bulliger Typ, dessen schimmernde Augen aussahen, als würden sie einem Roboter gehören. Wie das Mädchen schien auch er asiatische Wurzeln zu haben.

Maddie wich zurück.

»Ich … ich habe mich in der Tür vertan«, stammelte sie. »Tut mir leid.«

»Halt, hiergeblieben!«, sagte der mit der Narbe an der Schläfe. »Wer bist du und was willst du hier? Bist du eine Bekannte von Anastasia?«

»Von wem?« Maddie wusste nicht, was sie sagen sollte.

»Na, die Frau, der diese Wohnung gehört.«

»Die kenne ich nicht.«

»Ich glaube dir kein Wort. Jared, bring die Kleine in die Küche zu der Alten. Der Rest von euch sucht gefälligst weiter. Kimiko, habe ich dir nicht gesagt, du sollst die Tür schließen? Wie konnte das Mädchen hier reinkommen?«

»Muss von alleine wieder aufgegangen sein«, keifte Kimiko. »Was kann ich dafür, wenn das Scheißschloss kaputt ist?«

»Schieb das nächste Mal einen Stuhl davor, verstanden? Drück einen Keil rein, verbarrikadier sie, mach irgendetwas. Und du, Jared, wieso bist du immer noch hier?«

Der Junge mit den blauen Haaren richtete wieder die Waffe auf Maddie. »Na komm.« Er wies sie an, den Flur entlang in den hinteren Teil der Wohnung zu gehen.

Ihr schwirrte der Kopf. Was war das für eine Truppe? Zu den Black Bishops gehörten die nicht. Dafür waren sie viel zu jung. Kimiko war ein japanischer Name, Jared hingegen klang europäisch-amerikanisch. Dan und Sid konnten sonst woher kommen, Maddie tippte aber auf China.

Die Wohnung war ein einziges Chaos. Überall lagen Dinge herum: Bücher, Fotoalben, Kissen und Geschirr – alles achtlos auf den Boden geworfen. Bilder waren von den Wänden gerissen worden, Stühle umgestoßen und Polster aufgeschlitzt. Ganz offensichtlich suchten die Typen etwas.

»Hier links«, sagte Jared und führte sie in die Küche.

Hier traf Maddie auf die alte Frau. Festgebunden an einen Stuhl und mit einem Knebel im Mund, saß sie da und blickte Maddie erschrocken an. Eine Platzwunde am Kopf zeigte, dass sie geschlagen worden war. Sie ruckelte hin und her, wollte etwas sagen, doch der Knebel verhinderte das.

»Setz dich hierhin«, sagte der Junge und deutete auf einen Stuhl gegenüber. Maddies Beine zitterten. »Was wollt ihr von mir?«

»Nicht reden!«, entgegnete der Junge. »Keine Ahnung, wer du bist oder was du hier willst, aber wir müssen dich abchecken.«

»Ich kenne diese Frau überhaupt nicht«, wehrte sich Maddie. »Ich komme von einem Foodservice und wollte Essen ausfahren. Mama Matoka’s Sichuan Palace.«

Der Junge sah sie verwundert an. »Der Laden unten am Pier? Arbeitest du dort?«

Maddie nickte heftig.

»Ziemlich gute Küche. Du sagst, du wolltest Essen ausliefern? Dann müsstest du eine Lieferung dabeihaben. Wo ist sie?«

Daran hatte Maddie nicht gedacht. Mist!

»Wirf einen Blick auf meinen Kommunikator«, schlug sie vor. »Hier, in meiner Brusttasche. Die Liefer-App beweist, dass ich nicht gelogen habe.«

Der Junge zog das Gerät raus und las interessiert. Plötzlich lachte er laut auf. »Bo Kwan, hm? Wirklich sehr lustig.« Er bedachte die alte Frau mit einem wissenden Blick. »Schmückst dich wohl gerne mit fremden Federn, was? Das dürfte Sid interessieren.« Er steckte den Kommunikator ein.

»He, das ist meiner«, protestierte Maddie. »Gib ihn mir zurück.« Sie wollte aufstehen, doch der Junge drückte sie zurück auf ihren Platz. Er verfügte über erstaunliche Kräfte.

»Versuch es erst gar nicht«, sagte er. »Mag sein, dass du wirklich vom Restaurant kommst. Wobei ich mich frage, wieso du nichts dabeihast. Alles sehr verworren, findest du nicht?«

»Was ist verworren?«, unterbrach ihn der Vernarbte, der in Gefolgschaft der anderen Psychos den Raum betrat. »Was gibt’s hier zu quatschen?«

»Sie sagt, sie hätte eine Essenslieferung für Bo Kwan, doch sie hat nichts dabei. Der Eintrag in der App stimmt allerdings.« Er hielt dem Anführer den Kommunikator hin.

»Bo Kwan, hm? So ein Bullshit.« Sid warf das Gerät auf den Boden und ließ mit Wucht ein Stuhlbein darauf knallen. Das Display zerbarst in hundert Einzelteile. Maddie stieß ein wütendes Schnaufen aus.

»Wie heißt du, Kleine?«

Sie schwieg. Diese Typen würden nichts von ihr erfahren.

»Maddie«, sagte Jared. »Maddie O’Brian. Stand in der App.«

»Klingt irisch.«

»Meine Mutter war Irin«, stieß sie zwischen ihren zusammengepressten Zähnen hervor. »Habe ich zumindest gehört.«

»War?«

»Sie ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen.«

»Aha.« Dem Vernarbten war anzusehen, dass ihn das nicht die Bohne interessierte. »Wir sind fertig hier, Leute. Abmarsch. Los jetzt!«

Der blauhaarige Junge sah den Anführer aufmerksam an. »Habt ihr den Koffer gefunden?«

»Nein. Die Alte muss ihn irgendwo gebunkert haben. Aber störrisch, wie sie ist, wird sie uns nichts verraten. Oder?«

Die Frau drehte demonstrativ den Kopf weg und vermied Sichtkontakt.

»Ja, dachte ich mir.« Sid nickte. »Stur wie ein Maulesel. Aber das wird schon. Dem Boss wird etwas einfallen, da bin ich sicher. Wir nehmen sie mit.«

»Und was ist mit der Kleinen?« Kimiko legte den Kopf schief. In ihren Augen funkelte ein tief sitzender Wahnsinn. »Sie hat uns gesehen.«

»Das ist wahr …« Der Vernarbte dachte nach, dann zuckte er die Schultern. »Pech für dich, aber wir haben strenge Vorschriften. Das war denkbar schlechtes Timing. Dan, du übernimmst das. Einen Sturz aus dem sechsten Stock dürfte sie wohl kaum überleben. Lass es wie einen Unfall aussehen, verstanden?«

»Moment mal …« Ein heißer Schreck durchfuhr Maddie. Redeten die etwa davon, sie umzubringen? Sie wollte aufspringen, aber der Junge mit den blauen Haaren hielt sie zurück.

Kimiko kam unangenehm dicht an Maddie heran. Ihr Atem roch irgendwie chemisch. »Lass mich das übernehmen, Sid. Mir gefällt ihre Aura nicht.«

»Nein, Dan soll das erledigen«, befahl der Anführer. »Du weißt, was du zu tun hast, Dan. Lass dir nicht zu viel Zeit, verstanden?«

»Hör mal, Sid …«, sagte Jared. »Muss das denn sein? Können wir sie nicht einfach laufen lassen? Direktor Zhao muss ja nichts von ihr erfahren. Die Kleine weiß nichts, das spüre ich. Außerdem wirkt sie irgendwie … nett.« Er sah Maddie an. Von den vieren war er der Einzige, der so etwas wie Mitgefühl zu empfinden schien.

»Was soll das Gelaber, Jared? Du kennst die Regeln. Willst du jetzt einen auf weich machen?« Sid schüttelte den Kopf. »Wir werden kein Risiko eingehen. Kimiko hat recht, sie hat uns gesehen. Bei einer Gegenüberstellung könnte sie uns identifizieren.«

»Und unsere Namen kennt sie jetzt auch«, sagte der Bullige. »Sogar den vom Boss.«

»Da hörst du es, Jared, Die Sache ist beschlossen. Auf geht’s. Wir treffen uns unten beim Copter. Schnappt euch die Alte und dann los.«

Kimiko blies sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie war sichtlich erbost darüber, dass der Bullige den Job übernehmen durfte und nicht sie.

Maddie war unfähig, etwas zu sagen. Der Schock saß zu tief. Zu Beginn hatte sie kurz überlegt, ob sie versuchen sollte zu fliehen, aber wie sollte das funktionieren? Außerdem raubte die Panik ihr jegliche Kraft. Diese Typen machten keine Scherze.

Jareds Blick sagte ihr, dass er zutiefst bedauerte, was gerade passierte. Seine Lippen formten den Satz: Tut mir leid.

6

Plötzlich war da eine Stimme. Mitten in ihrem Kopf.

»ICH BIN ZEFIRA. ICH WERDE UNS RETTEN!«

Ein Ruck fuhr durch Maddies Körper. Fühlte sich an wie ein Stromstoß. Hunderttausend Volt, die durch sie hindurchjagten und in jede einzelne Faser ihres Körpers vordrangen. Sternchen explodierten in ihren Nervenzellen, entzündeten Tausende von kleinen Feuerwerkskörpern.

Sie wurde langsamer – jedenfalls kam es ihr so vor. Die Luft fühlte sich an wie Honig, bremste sie ab, streichelte sie, umschlang sie mit der Zärtlichkeit eines Liebenden. Sie sah das Fenster über sich und den Boden unter sich. Als wäre sie in der Lage, zeitgleich in mehrere Richtungen zu blicken.

Eine der vielen Satellitenschüsseln glitt gemächlich an ihr vorbei. Stromkabel tauchten auf, streiften ihre Hand.

»Greif zu!«, hörte sie die Stimme sagen.

Und Maddie tat es.

Das Kabel war lang und elastisch. Es spannte sich unter ihrem Gewicht, wurde in die Länge gezogen. Ein paar Metallschellen sprangen ab und flogen im Zeitlupentempo davon. Maddie widerstand der Versuchung, loszulassen und wie ein Vogel davonzufliegen. Stattdessen hielt sie das Kabel gepackt. Sie schwang nach links. Wieder folgte ein Ruck, doch diesmal hielten die Schellen. Das Kabel schwang nicht mehr so heftig, pendelte sich ein, beruhigte sich, wurde schwer.

Der Boden kam näher. Wie an einer Liane glitt Maddie abwärts. Sie wartete, bis die Füße Kontakt hatten, dann wagte sie wieder, Luft zu holen.

Sie war unten.

Sie sah sich um.

Der Hinterhof lag dunkel und verschwiegen da. Wie ein Ort jenseits von Raum und Zeit. Sie stand mit beiden Beinen auf dem Boden, doch die Realität schien eine andere zu sein. Oder war es Maddie, die sich verändert hatte? Sie blickte auf ihre Hände, ihre Arme und Füße. Sie tastete ihr Gesicht ab. Alles wie gewohnt. Und doch kam es ihr vor, als wäre sie immer noch in einem Traum.

Sie atmete ein paarmal tief ein und aus. Ihr Blick wanderte nach oben. Da war das Fenster, hell erleuchtet. Wenn dort jemand gestanden und zu ihr heruntergeblickt hätte, wäre ihr das aufgefallen. Doch da war niemand. Hoch ragte das Bauwerk in die Nacht.

Was war geschehen? Dreißig Meter. Wie hatte sie den Sturz überleben können? Und was war das für eine Stimme in ihrem Kopf gewesen?

Ein leises Geräusch riss sie aus ihrer Trance. Rechts von ihr, zwischen den Mülltonnen, war eine Bewegung zu erkennen. Etwas rannte dort mit trippelnden Füßen umher. Eine Ratte. Nichts Ungewöhnliches.

Maddie hob einen kleinen Stein auf und warf ihn nach dem Tier. Sie traf einen Blecheimer und sorgte dafür, dass die Ratte quiekend davonrannte. In normaler Geschwindigkeit, wie Maddie feststellte. Die Zeit war wieder, wie sie sein sollte.

»Verrückt«, murmelte sie. »Vollkommen verrückt.«

Ein überwältigendes Gefühl von Müdigkeit hüllte sie ein. Wie eine dunkle, warme Decke. Am liebsten hätte sie sich hingelegt und ein Nickerchen gehalten, aber dafür war keine Zeit. Noch war sie nicht außer Gefahr.

Mit angehaltenem Atem eilte sie in Richtung Straße.

Das Licht der Halogenlampen blendete sie. Ihre Augen flimmerten. In ihrem Kopf hämmerte es wie in einer Autowerkstatt. Die Geräusche waren lauter und intensiver als zuvor. Sie konnte alles hören, selbst die Schritte im Treppenhaus. Durch die meterdicke Ziegelmauer hindurch vernahm sie die Geräusche von fünf Paar Füßen. Die alte Frau und ihre Entführer! Maddie versuchte, sich die Namen in Erinnerung zu rufen. Sid, Dan, Kimiko und Jared. Jetzt erreichten sie die Vordertür. Wer waren diese Jugendlichen?

»… ist gefallen wie ein Stein«, hörte sie einen sagen. »Hat sich überhaupt nicht gewehrt. Kann einem schon fast leidtun, die Kleine.« Grunzendes Lachen.

»Das passiert eben, wenn man seine Nase in Angelegenheiten steckt, die einen nichts angehen.« Kimikos Stimme. »Niemand hat sie gebeten, eine fremde Wohnung zu betreten. Ich wünschte immer noch, du hättest mich das machen lassen, Sid.«

»Deine Boshaftigkeit gibt mir manchmal zu denken, Kimiko. Du solltest mal deine Medikamentendosis überprüfen lassen.« Das war der Junge mit den blauen Haaren. Er hatte als Einziger eine angenehme Stimme. »Ich wüsste gerne, wer sie war. Ich finde immer noch, dass es falsch war, sie zu töten.«

»Sentimentales Geschwätz«, sagte Sid. »Wir hatten einen Auftrag und sie ist uns dazwischengekommen. So einfach ist das.«

»Ohne den Koffer dürfte der Boss nicht zufrieden sein«, knurrte Jared.

»Den kriegen wir schon noch«, sagte Sid. »Sie wird ihn irgendwo deponiert haben. Der Boss wird rausfinden, wo er ist. Alles nur eine Frage der Zeit. Los jetzt, rein in den Copter und dann weg. In dieser Umgebung schlafen mir die Füße ein.«

Raues Gelächter, gefolgt von Türenknallen. Mit dumpfem Surren sprang eine elektrische Turbine an. Ein Windstoß fegte durch die Straße, verwirbelte Staub und Kehricht. Maddie beobachtete, wie der Copter in den Himmel aufstieg und dann Richtung Victoria Harbour davonflog.

Ein paar Sekunden wartete sie noch, dann traute sie sich wieder ins Licht. Ihre Beine zitterten. Der Schock saß tief. Was sollte sie jetzt tun? Vielleicht die Polizei rufen? Versuchter Mord und Entführung waren keine Kleinigkeiten. Doch sollte sie den Beamten erzählen, dass sie einen Sturz aus dem sechsten Stock überlebt hatte? Wer würde ihr glauben?

Sie wollte heim, so schnell wie möglich. Zu Matoka, den Lemmingen, in Sicherheit. Aber war sie dort wirklich in Sicherheit? Wie dumm von ihr, dass sie den Verbrechern ihren Aufenthaltsort verraten hatte. Damit hatte sie nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Liebsten in Gefahr gebracht. Zum Glück schienen diese Leute von ihrem Tod überzeugt zu sein. Sie hatten sich nicht mal die Mühe gemacht, in den Hinterhof zu gehen und sich zu vergewissern. Wer so kaltherzig war, der würde keine Nachforschungen anstellen. In deren Augen war Maddie ein Nichts, ein Niemand.

Anders diese alte Frau. An ihr schienen sie wirklich Interesse zu haben. Anastasia war ihr Name. Klang russisch. Passte zu dem Akzent, den Maddie gehört zu haben glaubte. Doch wer war sie? Und was war aus dem Welpen geworden? Ob er immer noch dort oben war und sich versteckt hielt?

Maddie kam zu der Erkenntnis, dass sie jetzt unmöglich heimfahren konnte. Erst musste sie sichergehen, dass dem Kleinen nichts passiert war.

Zum dritten Mal betrat sie das Treppenhaus.

Der Weg war inzwischen vertraut. Dennoch hatte sie das Gefühl, ihn diesmal vollkommen anders zu erleben. Ihre Sinne waren seit dem Sturz feiner geworden, ihr Gehör empfindlicher. Ihre Augen durchdrangen die Dunkelheit selbst ohne Stirnlampe und