Zeiten der Entscheidung - Viktor E. Frankl - E-Book

Zeiten der Entscheidung E-Book

Viktor E. Frankl

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  • Herausgeber: Benevento
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2022
Beschreibung

Auf der Suche nach dem Sinn: Viktor Frankls Texte sind heute aktueller denn je  Viele Menschen verspüren eine innere Unruhe oder einen Mangel – ohne wirklich zu wissen, was in ihrem Leben fehlt. Unser Umgang mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit der Natur ist in den letzten Jahrzehnten außer Tritt geraten. Ein Gefühl von Sinnlosigkeit, von Entfremdung und Orientierungslosigkeit stellt sich ein. Doch Krisen beinhalten auch die Chance auf einen Neubeginn. Wenn wir uns jetzt die wesentlichen Fragen stellen, eröffnet sich die Möglichkeit eines inneren Wachstums – sowohl individuell als auch als Kollektiv. Die in diesem Band versammelten Kurztexte von Viktor Frankl zeigen, wie der Mensch in Zeiten der Entscheidung und der Krise bestehen kann. Elisabeth Lukas, österreichische Psychotherapeutin und klinische Psychologin, setzt Frankls Texte in Kontext. - Auftakt der Viktor-Frankl-Buchreihe: Vergriffene Texte in bibliophilen Ausgaben neu aufgelegt - Lesebuch für alle, die sich für Psychologie, Psychotherapie und Philosophie interessieren - Schöne Ausstattung: Schmuckstück für das eigene Bücherregal oder zum Verschenken - Mit einem Vorwort von Alexander Batthyány, Vorstand des Viktor Frankl Instituts in Wien - Kommentiert von Elisabeth Lukas, Frankls bekanntester Schülerin Entscheidungen treffen und Krisen bewältigen: Impulse aus der Psychologie Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor Frankl ist der Begründer der Logotherapie und der Existenzanalyse. Er gilt als »Vater der Sinnsuche«. Eines seiner bekanntesten Werke ist das im Jahr 1946 erschienene »… trotzdem Ja zum Leben sagen: Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager«, in dem Frankl seine Erlebnisse in Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs schildert. Die vergriffenen Texte, die nun in einer bibliophil gestalteten Ausgabe vorliegen, ermutigen die Leserinnen und Leser, sich für eine sinnorientierte Lebensführung zu entscheiden. »Viele Erkenntnisse, die in Frankls Schriften stecken, sind von zeitloser Gültigkeit, ja, aktueller denn je.« – Elisabeth Lukas

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Seitenzahl: 225

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VIKTOR E. FRANKL

ZEITEN DER ENTSCHEIDUNG

Ermutigungen

Zusammengestellt, aktualisiert und kommentiert sowie mit einem Nachwort von

Elisabeth Lukas

Bei dieser Ausgabe handelt es sich um eine aktualisierte Neuauflage der gleichnamigen Originalausgabe, Freiburg 1996.

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage

© 2022 Benevento Verlag bei Benevento Publishing München – Salzburg, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Palatino, Futura PT, Le Monde Livre Cla Std

Autorenillustration: © Claudia Meitert/carolineseidler.com

Umschlaggestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Umschlagillustration: © Katerina Izotova Art Lab/shutterstock

ISBN 978-3-7109-0159-1

eISBN 978-3-7109-5149-7

INHALT

Werkzeugkasten in Zeiten der Entscheidung – ein Vorwortvon Alexander Batthyány

Die Suche des Menschen nach Sinn

Zur Frage der Freiheit und Entscheidungsfähigkeit

Zur Mächtigkeit der Vorgeschichte

Wechselwirkung von Leib und Seele

Kritik psychotherapeutischer Irrwege

Die Stimme des Gewissens

Zum Thema Verantwortung

Die Bedeutung von Tapferkeit und Verzicht

Die Verwandlung eines Leidens in eine menschliche Leistung

Zur Problematik von Glückstreben und Wertkonflikten

Die Methode der paradoxen Intention

Die Methode der Dereflexion

Zur Frage der Lebensbejahung

Zur verborgenen Person »dahinter«

Hilfe in extremen Lebenssituationen

Versöhnung mit Unabänderlichem

Zum religiösen Leben und Erleben

Verdeutlichung durch Bilder und Symbole

Nachwortvon Elisabeth Lukas

Editorische Notiz

Literatur

Textnachweise

Zum Autor

WERKZEUGKASTEN IN ZEITEN DER ENTSCHEIDUNG – EIN VORWORT

In repräsentativen Umfragen und Stichprobenuntersuchungen über das psychische Befinden begegnet einem wiederholt derselbe Befund: Viele Menschen berichten, dass sie »etwas« suchen, und wissen doch nicht recht, wonach genau sie suchen. Sie nehmen ein inneres Unbehagen oder innere Unruhe, einen Mangel wahr, sind sich aber noch nicht ganz sicher, worin genau dieser Mangel besteht.

Was diese Menschen (und gelegentlich auch die Sozialwissenschaften) vor ein Rätsel stellt, übersetzt die Psychologie in einen konkreteren Arbeitsauftrag: Etwas fehlt, und wir brauchen Hilfe. Zeiten der Entscheidung sind angebrochen, denn unser Umgang mit uns selbst, unser Umgang mit anderen Menschen und mit der Natur – kurz: unsere Beziehung zu uns selbst und zur Welt – ist, so scheint es, in den letzten Jahrzehnten irgendwie außer Tritt geraten. Psychologen haben für dieses von vielen Menschen zum Ausdruck gebrachte Unbehagen daher auch einige Begriffe gefunden, die – vermutlich, weil sie den meisten Menschen aus eigener Erfahrung so vertraut sind – auch längst in unseren Alltagssprachgebrauch eingegangen sind. Da ist ein Sinnlosigkeitsgefühl, eine Entfremdung, Orientierungslosigkeit und der Eindruck, in einem nicht enden wollenden Wettlauf gefangen zu sein, aus dem es kein Entrinnen – und bei dem es seltsamerweise zugleich auch kein eigentliches Ziel – zu geben scheint.

Immer mehr Menschen klagen daher auch, dass uns unsere moderne Industrie- und Konsumgesellschaft zu einem recht harschen Umgang miteinander, mit uns selbst und mit der Natur, geführt hat. Es scheint, als hätten wir uns eine Kultur geschaffen, in der der Idealismus viel zu häufig einer gewissen Abgeklärtheit, vielleicht auch einem nicht immer gut begründeten Misstrauen nachgibt. Die Folgen sind absehbar: Etwas muss in uns verkümmern, wenn das, was in uns und anderen auf Erfüllung hofft, so leichtfertig zum Verstummen gebracht wird. Es herrscht – auch mitten im Überfluss – ein Mangel an Sinn, an innerer Erfüllung, an echter Gemeinschaft, an Hoffnung, an sozialer und innerer Geborgenheit.

Dieser Mangel ist in der jüngeren Vergangenheit sogar noch sichtbarer geworden: Die letzten Jahre haben den meisten individuell und kollektiv viel abverlangt – sie haben eine gewisse Verunsicherung und Erschöpfung mit sich gebracht, deren Auswirkungen wir vielleicht erst mit einigem Abstand rückwirkend verstehen werden. Nun aber beginnt langsam eine Zeit des inneren und äußeren Wiederaufbaus – und damit auch eine Chance, sowohl individuell als auch gemeinschaftlich beziehungsweise gesellschaftlich neu zu beginnen. Denn in Krisenzeiten werden oft auch andere Bereiche unseres Lebens besonders hell ausgeleuchtet, die wir bislang vielleicht vernachlässigt haben – weiße Flecken auf der Landkarte gelingenden Lebens werden sichtbar; unerfüllte Sehnsüchte nach einem seelisch und geistig erfüllten Dasein werden wieder wach.

Und es werden nicht selten auch die Ressourcen sichtbar, die uns durch herausfordernde Zeiten tragen können: etwa die schützende Kraft des Miteinanders und der Familien- und Freundesgemeinschaft, das Heilsame einer ausgewogenen Balance zwischen Arbeit, Familie und Freizeit, das Stärkende, das aus der Fähigkeit erwächst, unsere Freiräume wahrzunehmen, und an der Bereitschaft reift, die Verantwortung anzunehmen, die wir für uns und für andere haben.

Wenn wir diese Lektionen aus der Krise in die Gegenwart mitzunehmen versuchen, begegnen wir damit gleichermaßen einer Chance und einer Herausforderung. Die Chance ist die Möglichkeit inneren Wachstums; sie wird, wie auch zahlreiche soziologische Studien bestätigen, von einer zunehmenden Zahl an Menschen als Notwendigkeit und als Aufgabe erkannt: Es ist vielerorts ein wachsender Wunsch nach Wandel zu vernehmen; ein Wunsch nach einem menschengemäßeren, behutsameren, ehrlicheren, gesünderen und besseren Umgang mit uns selbst, der Welt und anderen. Allerdings zeigen diese Untersuchungen auch: Es ist der Wunsch nach Wandel allein noch nicht genug. Es braucht auch Werkzeuge des inneren und äußeren Wandels, die uns dabei helfen, diese Chance des inneren Wachstums und der Erweiterung des eigenen Lebensverständnisses beziehungsweise der eigenen Lebensführung zu ergreifen und zu verwirklichen.

In diese Zeit der Chancen und Herausforderungen – Zeiten der Entscheidung – hinein erscheint nun dieses Buch, und das ist ein Glücksfall sondergleichen. Denn die darin versammelten Texte aus dem Gesamtwerk Viktor Frankls bieten einen niederschwelligen, zugänglichen und zugleich umfassenden Einstieg in eine psychologische Denk- und Forschungsrichtung, die zugleich viel mehr ist als nur eine Denk- und Forschungsrichtung: Sie ist eine Art praktische und konkrete, am Alltag orientierte Anleitung – ein Werkzeugkasten – zum gelingenden, sinnerfüllten Leben, zum heilsamen und guten Umgang mit sich selbst, mit anderen Menschen und der Welt.

In diesem Werkzeugkasten finden sich sowohl die Werkzeuge als auch die Anleitungen, wie man diese selbst im und am eigenen Leben zum Einsatz bringen kann. Sein »Einsatzgebiet« ist der Alltag – denn wo, wenn nicht mitten im Leben, mitten im Berufs- und Familienalltag soll sich etwas, von dem uns klinische Erfahrung, empirische Forschung und persönliche Lebenserfahrung sagen, dass es eminent hilfreich und zeitgemäß ist, bewähren?

Der Beweis nun, dass sich diese Werkzeuge und Impulse bewähren, ist bereits in großem Umfang erbracht – und das unterscheidet dieses Buch und seine Inhalte von einem Großteil der neueren Selbst- und Lebenshilfeliteratur: Es ist gleichermaßen evidenzbasiert (buchstäblich Hunderte Studien bestätigen die Umsetzbarkeit und Wirksamkeit hier vorgestellten Impulse), wie es persönlicher und klinischer Erfahrung entspringt.

Mit anderen Worten: Die hier vorgestellten Konzepte und Werkzeuge haben einerseits im Leben zahlloser Menschen tiefgreifende positive Änderungen bewirkt. Sie helfen, sie wirken, sie können mit teils nur (scheinbar) leichten Veränderungen der Perspektive eben jene positive individuelle und gemeinschaftliche Verwandlung anstoßen, nach denen sich heute so viele Menschen sehnen. Zugleich verfügen wir wie gesagt heute über eine Vielzahl an wissenschaftlichen Arbeiten, die den hier vorgestellten Impulsen und Werkzeugen eine hohe positive Wandlungswirkung attestieren. Diese wissenschaftlichen Arbeiten sagen uns auch: Wenn man weiß, wie und an welchen Stellen man die Hebel der positiven persönlichen Veränderung, des inneren Wachstums, unserer Möglichkeiten und Sinnangebote anzusetzen hat, ist es tatsächlich möglich, den entscheidenden Schritt zu tun vom Wunsch nach Wandel, sinnerfülltem Leben und innerem Wachstum zu seinem unmittelbaren und konkreten Erleben. Wandel ist möglich; und mit den hier vorgelegten Werkzeugen wird er greifbar.

Aus welcher Ausgangsposition auch immer sich daher der Leser oder die Leserin diesem Buch und seinen Ideen annähert – sei es, weil er oder sie an einer Sackgasse im eigenen Leben angekommen ist und nun Ermutigung und Wege zum Neubeginn sucht, sei es, weil er oder sie anderen auf diesem Wege beistehen möchte – oder sei es auch nur mehr, weil er oder sie mehr über die Möglichkeiten und Wege eines sinnerfüllten, gelingenden Lebens erfahren will: Hier wird er oder sie fündig werden wie schon viele Tausende vor ihnen, die durch das logotherapeutische Werk Frankls positiv berührt und inspiriert worden sind.

In diesem Buch werden einige zentrale Einsichten und Impulse aus dem Lebenswerk des bedeutenden Wiener Psychiaters und Begründers der Logotherapie und Existenzanalyse vorgestellt. Ausgewählt (also sozusagen in den Werkzeugkasten gepackt) und kommentiert hat sie Viktor Frankls bedeutendste Schülerin, die berühmte österreichische klinische Psychologin Elisabeth Lukas. Zusammengerechnet verfügen Viktor Frankl und Elisabeth Lukas über eine über viele Jahrzehnte gewonnene Erfahrung im heilenden und aufbauenden psychologischen und psychotherapeutischen Wirken. Beide haben den Wandel, die Ermutigung, den inneren Wiederaufbau nach persönlichen oder gesellschaftlichen Krisen in den Mittelpunkt ihres Wirkens gestellt; beide haben die hier beschriebenen Wege der Wandlung im Lauf ihres therapeutischen Arbeitens verfeinert, ausgebaut, an ihrer Zugänglichkeit und Verständlichkeit gearbeitet. Dieses Buch ist daher auch nicht allein Lesebuch – es ist ein Schlüssel zur persönlichen Wandlung, Lebens- und Selbsthilfe im besten Sinne; ein Buch der Lebensgestaltung.

Das Leben als Werkstatt

Es gibt einen Satz von Joseph Beuys, der gelegentlich etwas missverständlich gedeutet wird: »Jeder Mensch ist ein Künstler« meinte eigentlich nicht, dass jeder von uns nun zu Leinwand, Pinsel, Farbe oder Ton greifen müsse. Der Satz meint viel eher: Jeder Mensch, ob er sich nun dessen bewusst ist oder nicht, ist gestaltend tätig. Mit jedem Wort, mit jeder Handlung, sogar durch unsere Untätigkeit und Stille wirken wir mit an der Gestaltung und Formung unserer Persönlichkeit und unserer Welt – wir sind mit anderen Worten individuell und gemeinschaftlich eigentlich viel wirkmächtiger, als wir uns selbst und anderen oftmals zuzutrauen gewillt sind.

Zwar begegnen einem immer wieder auch schicksalhafte Zusammenhänge und Verhältnisse, die sich unserer Gestaltungsfähigkeit entziehen. Leben ist in gewisser Weise ein fortwährender Dialog zwischen unabänderlichen Bedingungen auf der einen Seite und der Entscheidungsmöglichkeit, was wir mit und aus diesen Bedingungen tun werden, auf der anderen. Wie entscheidend aber diese Gestaltungsfreiheit ist, zeigt schon ein kurzer Blick in die Biographieforschung. Wie oft liest man nicht von Menschen, die in ihrem Leben die scheinbar besten Rahmenbedingungen vorgefunden haben – Gesundheit, wirtschaftliche Absicherung, eine wohlbehütete Kindheit, vielleicht sogar eine liebevolle Erziehung, eine gute Ausbildung, enormen beruflichen Erfolg – und die dennoch (oder gerade deswegen?) der Versuchung anheimgefallen sind, irgendwann in verwöhnte Gleichgültigkeit, Nörgelei und Unzufriedenheit, Verschwendungssucht oder andere Abhängigkeiten abzugleiten. Und wie sehr konfrontiert uns andererseits nicht nur der klinische Alltag mit Lebensgeschichten von Menschen, die unter den schwierigsten Umständen aufwachsen und leben mussten, und dennoch durch ihre ganze Wesensart, ihre Güte, ihr Handeln und ihr Engagement Zeugnis davon ablegen, dass es im menschlichen Leben eben nicht allein darauf ankommt, was wir empfangen – sondern maßgeblich auch darauf, was wir aussenden.

Einfacher formuliert: Auf das Material allein kommt es meist weit weniger an als auf die Frage, was wir daraus gestalten – und mit welchen Werkzeugen wir es gestalten. Dem einen mag das Leben bildlich gesprochen den schönsten und kostbarsten Marmor zugeteilt haben – aber was nützt ihm das, wenn er ihn ungenutzt liegen lässt; wenn er nicht das nötige Werkzeug bei der Hand hat, um sein Material gelungen zu gestalten? Der andere mag nur Lehm oder Holz zugeteilt bekommen haben – doch ist er mit dem geeigneten Werkzeug und etwas gutem Willen in der Lage, daraus für sich und andere eine Heimstätte zu bauen, die in ihrer einfachen Schönheit und Würde nicht weniger als ein Meisterwerk und Zeugnis menschlicher Entscheidungsfreiheit, Kreativität, Güte und gegenseitiger Fürsorge ist.

Dieses Buch ist eine Einladung – und eine evidenzbasierte Anleitung mitsamt Werkzeugen – zur positiven Selbst- und Lebensgestaltung. Und es soll, das wünsche ich seinen Leserinnen und Lesern, zugleich der Eintritt in erfüllteres und menschlicheres Leben sein.

Alexander Batthyány, im Juni 2022

DIE SUCHE DES MENSCHEN NACH SINN

Zeitgemäßheit der Existenzanalyse

Die Existenzanalyse fasst ins Auge das Ringen des Menschen um einen Sinn – und nicht nur um den Sinn des Leidens, sondern auch um den Sinn des Lebens schlechthin, um den Sinn der Existenz. Für die Existenzanalyse gibt es nicht allein einen »Kampf ums Dasein«, wie der programmatische Buchtitel einmal gelautet hat, »und gegenseitige Hilfe« (Peter Kropotkin); sondern für die Existenzanalyse gilt: Kampf um den Sinn des Daseins – und Beistand in der Sinnfindung. Mit einem Wort: Die Existenzanalyse stellt in den Vordergrund ihres Gesichtsfeldes die Sinnorientiertheit und die Wertstrebigkeit des Menschen.

Und nun möchte ich am liebsten einem Fachkollegen das Wort erteilen. Er schreibt in einem Brief: »Warum mich gerade die Existenzanalyse so angesprochen hat? Ich war als junger Widerstandskämpfer noch in den letzten Wochen vor Kriegsende von der Gestapo erwischt, beim Verhör arg misshandelt und schließlich in das nahegelegene KZ R. bei I. gebracht worden. Ich musste mein Todesurteil selbst unterzeichnen, und die Hinrichtung sollte am 3. Mai 1945 öffentlich vollzogen werden. Man mag mir’s nicht verübeln, wenn ich an ein Wunder glaube, dass ich diesem Schicksal entgangen bin. Und doch, jene Tage, da man meinte, auf der absoluten Höhe seines Daseins angekommen zu sein, da waren die Fragen, die man an sich stellte, tiefer und gründlicher, als je eine Lehranalyse sie entwickeln könnte. Und in jener Situation spürte man schon, worum es auch in der Psychotherapie gehen muss! Alle orthodoxen Systeme versagen im Vergleich zu jener Analyse, der man sich selbst unterzog. Spielte es da eine Rolle, ob der oder jener Ansatz einer psychischen Unausgeglichenheit, eines Komplexes, zurückzuführen sei auf ein prägenitales, analerotisches, ja wo möglich auf ein intrauterines Trauma, oder ob die oder jene Organminderwertigkeit daran beteiligt gewesen sein mag, oder ob Archetypen meines kollektiven Unbewussten irgendwie mitgespielt haben – diese Fragen wurden in der Situation des Wartens auf das Letzte wahrlich nicht gestellt! Da sprach man mit sich oder mit andern über Wesentlicheres. Und um dieses Wesentliche bemüht sich auch unsere neue psychotherapeutische Forschung.« – Ich denke, diese Zeilen sprechen für sich – und immerhin für eine gewisse »Zeitgemäßheit« und gegen eine bloße Zeitbedingtheit.

KOMMENTAR

So wie der Zustand unserer Welt heutzutage beschaffen ist, stellen sich auch »wesentlichere Fragen« in der Bevölkerung als die nach psychischen Empfindsamkeiten und deren Herkunft. Angesichts von Krieg, Pandemie, Klimawandel, Flüchtlingselend et cetera geht es viel mehr um ein kollektives Verantwortungsbewusstsein – ein Hauptthema der Frankl’schen Existenzanalyse!

Metaphysischer Leichtsinn

An uns wendet sich ein junger Schneidergehilfe und gibt an, er komme »wegen der Ewigkeit«. Auf Befragen äußert er, was er damit meint: Er komme nicht darüber hinweg, dass alles so vergänglich ist und eben nichts weniger als »ewig«. Im Besonderen habe es ihm die Sterblichkeit des Menschen angetan, und er erinnere sich daran, dass ihn bereits in der Kindheit der Gedanke übermannt hat: auch er selbst werde dereinst sterben müssen.

Was uns in diesem Gedanken gegenübertritt, ist nicht mehr und nicht weniger als eine Wendung vom Logischen zum Existenziellen. Die Logik lehrt immer nur: Caius ist ein Mensch; alle Menschen sind sterblich; also ist Caius sterblich. Demgegenüber ist die Abwendung vom bloß Logischen und Zuwendung zum Existentiellen gekennzeichnet durch die Anwendung der bloßen Logik auf je meine eigene, konkrete und persönliche Existenz in deren Einmaligkeit und Einzigartigkeit. Nicht nur »man« stirbt, sondern auch der Denker ebendieses Gedankens wird sterben müssen. Der Todesgedanke wird rückbezüglich auf das eigene Selbst gedacht. Das Subjekt wird nicht ausgeschlossen, sondern einbezogen in die Gültigkeit eines objektiven Sachverhalts.

Soviel zur Würdigung dieses Denkschritts unseres Patienten. Wir fragen ihn nun, warum er sich denn nicht an einen Priester gewandt habe – der wohl zuständiger sei für Dinge wie »Ewigkeit«. Der Patient jedoch entgegnet, er sei seit Jahren irreligiös. Hingegen habe er sich an seinen Vater gewandt; der Vater aber habe zugegeben, dass tatsächlich alles vergänglich sei, und dass es vor allem eines nicht gebe: ein Fortleben der Seele nach dem Tode.

Daraufhin erkundigen wir uns fürs erste einmal nach dem Beruf des Vaters und erfahren, dass er Buchhalter sei. Ob er als solcher der Geeignete ist, um auch in Fragen einer Sinn- und Wertbilanz menschlichen Daseins Auskunft zu geben, lassen wir dahingestellt.

Wir greifen vielmehr nach einem Rezeptformular. In diesem Augenblick wehrt unser Patient ab: »Bitte, keine Medizin!« Wir hatten aber nicht daran gedacht, ihm ein Medikament zu verschreiben, und so lassen wir uns auch nicht abhalten und notieren auf dem Formular den Titel einer gemeinverständlich gehaltenen Broschüre, die sich mit der Frage nach dem Sinn des Lebens auseinandersetzt und nicht zuletzt mit dem Problem, ob die Sinnhaftigkeit des Daseins durch dessen Vergänglichkeit zunichte gemacht werde (vgl. Kant, Die Philosophie muss als Arzneimittel wirken). Diese Broschüre empfehlen wir dem Patienten zur Lektüre und laden ihn ein, dann wiederzukommen.

Wenige Tage später erscheint er abermals im Ambulatorium, aber nicht ohne sich über das Gelesene höchst unbefriedigt zu äußeren. Gleichzeitig gibt er jedoch an, dass es ihm bedeutend besser gehe. Denn in der Zwischenzeit habe er mehr Arbeit gehabt und sei weniger dazugekommen, seinen Grübeleien nachzuhängen.

Aber wir lassen nicht mehr locker. Und die einmal aufgerührte Problematik dieses Menschen lassen wir keineswegs mehr unter den Tisch fallen. Im Gegenteil, wir wollen sie durchbesprechen, und wir möchten gerade die Einwände durchbesprechen, die unser Patient gegen die lebensbejahenden Darlegungen der Broschüre vorzubringen haben mag. Wir wollen ihn durch die nun einmal aufgebrochene geistige Not hindurchlotsen, und um nichts anderes handelt es sich bei ihm als um wesentlich geistige Not – und eigentlich nicht seelische Krankheit. Um ihn durch diese geistige Not hindurchschleusen zu können, müssen wir ihn in diese existenzielle Krise wohl oder übel nur noch mehr hineinhetzen.

Denn es könnte eines Tages sehr leicht geschehen, dass dieser junge Mann einmal weniger Arbeit hat oder gar arbeitslos wird. Damit zugleich würde er aber auch haltlos werden, ohne geistigen Halt sein. Dem aber gilt es vorzubeugen, auch von unserer ärztlichen Seite – wenn anders es mit zu den Aufgaben ärztlichen Handelns gehört, Leiden auch zu verhüten.

Eine eigenartige Therapie, wird man einwenden, und ein merkwürdiges Vorgehen seitens eines Arztes: Die leidvolle Unruhe, über die ein Mensch spontan schon hinausgekommen ist, noch zu erhöhen. Wer so spricht, vergisst aber, dass diese Unruhe – vielleicht so recht eine inquietas cordis im Augustinischen Sinne – eigentlich keine Krankheit darstellt, auch keine seelische Krankheit, vielmehr – wie oben bereits angedeutet – geistige Not. Geistige Not als solche, als geistige, ist jedoch nichts Krankhaftes, sondern etwas Menschliches, ja in gewissem Sinne sogar das Menschlichste, was es überhaupt gibt.

Aus diesen diagnostischen Überlegungen folgen therapeutische. Oben hieß es, wir hätten angesichts unseres Patienten nicht mehr locker gelassen. Wir ließen ihm keine Ruhe, wir ließen ihm nicht die Scheinruhe metaphysischen Leichtsinns (Scheler). Und wir hätten diesen Patienten auch nicht in Ruhe lassen dürfen, solange er nicht den Sinn seiner Existenz gefunden und damit zu sich selbst. Ist es doch vielleicht der Leitsatz und Wahlspruch aller Psychotherapie, dieses »ich lasse dich nicht, du seist denn du selbst geworden«.

KOMMENTAR

Die Frage, ob unsere Sterblichkeit den Sinn unseres Daseins zunichtemache, ist durchaus berechtigt. In der Broschüre, die Frankl seinem Patienten empfahl, befand sich das Gegenargument, dass gerade unsere Endlichkeit Grund sei, die uns gewährte Lebenszeit sorgsam und engagiert zu nützen. In einem endlos langen Leben wäre ja alles aufschiebbar – und nichts wäre im Hier und Jetzt »fällig«.

Der Sinn – ein Schachzug?

Nicht nur von Stunde zu Stunde wechselt die Frage, die das Leben an uns stellt und in deren Beantwortung wir den Sinn des Augenblicks verwirklichen können, sondern sie wechselt auch von Mensch zu Mensch: Die Frage ist in jedem Augenblick für jeden einzelnen durchaus verschieden. So sehen wir aber auch, wie einfältig die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt ist, sofern sie nicht in aller Konkretheit gestellt wird – in der Konkretheit des Hier und Jetzt. Nach dem Sinn des Lebens zu fragen, muss uns in dieser Sicht ebenso naiv erscheinen, wie etwa die Frage eines Reporters, der einen Schachweltmeister interviewt und hierbei fragen würde: »Und nun, verehrter Meister, sagen Sie mir: welchen Schachzug halten Sie für den besten?« Gibt es denn einen, einen bestimmten Schachzug, der gut sein könnte oder gar der beste – jenseits einer ganz bestimmten, einer konkreten Spielsituation, einer konkreten Figurenstellung?

Nicht weniger naiv war jener junge Mann, der mich eines Tages, vor vielen Jahren, ansprach, bevor ich irgendwo zu einer kleinen Plauderei über den Sinn des Lebens startete. Seine Worte waren beiläufig folgende: »Geh, Frankl, sei mir nicht bös, ich bin heute Abend bei meinen künftigen Schwiegereltern eingeladen, ich muss unbedingt hin und kann nicht bei deinem Vortrag bleiben; sei so lieb und sag mir g’schwind: was ist der Sinn des Lebens?«

KOMMENTAR

Der Sinn unseres Daseins fällt nicht mit dessen Endlichkeit, sondern intensiviert sich sogar dank ihr – so haben wir vernommen. Dennoch übersteigt er unser Begreifen. Was wir von ihm erhaschen, erspüren, erahnen können, konzentriert sich auf unsere jeweilige Situation, in der es (solange wir bei klarem Bewusstsein sind) stets die Möglichkeit für einen nächsten »sinnvollen Zug« gibt.

Die ewig neue Frage des Lebens an uns

Jetzt verstehen wir, wie letzten Endes falsch die Frage nach dem Sinn des Lebens gestellt ist, wenn sie so gestellt wird, wie sie im allgemeinen gefragt wird: Nicht wir dürfen nach dem Sinn des Lebens fragen – das Leben ist es, das Fragen stellt, Fragen an uns richtet – wir sind die Befragten! Wir sind die, die da zu antworten haben, Antwort zu geben haben auf die ständige, stündliche Frage des Lebens, auf die »Lebensfragen«. Leben selbst heißt nichts anderes als Befragt-sein, all unser Sein ist nichts weiter als ein Antworten – ein Ver-Antworten des Lebens. In dieser Denkposition kann uns aber jetzt auch nichts mehr schrecken, keine Zukunft, keine scheinbare Zukunftslosigkeit. Denn nun ist die Gegenwart alles, denn sie birgt die ewig neue Frage des Lebens an uns. Nun kommt alles darauf an, was jeweils von uns erwartet wird. Was jedoch in der Zukunft auf uns wartet, brauchen wir ebenso wenig zu wissen, wie wir es wissen können. In diesem Zusammenhang pflege ich gewöhnlich jene Geschichte zu erzählen, die vor vielen Jahren in einer kurzen Zeitungsnotiz stand: Ein zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilter Farbiger wurde einmal auf die Teufelsinsel deportiert. Als das Schiff, nämlich der Leviathan, auf hoher See war, brach ein Brand aus. In der Not der Situation wurde der Farbige von seinen Fesseln befreit und beteiligte sich an den Rettungsarbeiten. Er rettete zehn Menschenleben. Später ist er daraufhin begnadigt worden. Ich frage: Wenn man diesen Farbigen noch vor der Einschiffung, nämlich am Hafenkai von Marseille, gefragt hätte, ob sein Weiterleben noch irgendeinen Sinn haben könnte – er hätte wohl den Kopf schütteln müssen: was wartete noch auf ihn? Niemand aber von uns weiß, was auf ihn noch wartet, welche große Stunde, welche einmalige Gelegenheit zu einzigartigem Handeln auf ihn noch wartet – so wie die Rettung von zehn Menschen auf jenen Farbigen vom Leviathan.

KOMMENTAR

»In dieser Denkposition kann uns nichts mehr schrecken«, schrieb Frankl. Welch ein tröstliches Wort, wenn man bedenkt, wie sehr unsere Generation von apokalyptischen Zukunftsvisionen geplagt ist. Lassen wir die Frage ruhen, was alles Schlimmes auf uns warten könnte, und schreiten wir zügig zur Beantwortung der drängenden Gegenwartsprobleme – vielleicht werden wir dann auch »begnadigt«.

Arbeitslosigkeit und Hunger nach Sinn

Ich kenne den Hunger. Im Ersten Weltkrieg bin ich zu Bauern um Brot betteln gegangen, und im Zweiten Weltkrieg hab’ ich eine Zeitlang (in einem Lager) von achthundertfünfzig Kalorien pro Tag gelebt und vierzig Kilogramm gewogen.

Aber auch in der Zwischenkriegszeit habe ich hungernde Menschen kennengelernt, und zwar im Zusammenhang mit einer von der Wiener Arbeiterkammer gestarteten Aktion »Jugend in Not«, in deren Rahmen ich den Auftrag hatte, junge Arbeitslose psychologisch zu betreuen Und es ist jetzt fünfzig Jahre her, dass ich über meine diesbezüglichen Erfahrungen in der Sozialärztlichen Rundschau einen Aufsatz veröffentlicht habe. Und zwar konnte ich nachweisen, dass die Depression der jungen Leute darauf zurückzuführen war, dass sie sich sagten: Ich bin arbeitslos, folglich bin ich nutzlos, folglich ist mein Leben sinnlos. Es handelte sich also im Grunde um ein Sinnlosigkeitsgefühl, das die Depression ausgelöst hatte! Und das konnte dadurch nachgewiesen werden, dass in dem Augenblick, in dem es mir gelungen war, diese jungen Leute in irgendeine Jugendorganisation oder in eine öffentliche Bücherei oder in eine Volkshochschule einzuschleusen, wo sie eine unbezahlte, ehrenamtliche Funktion übernehmen konnten, die sie auch persönlich ansprach, im selben Augenblick die Depression verschwunden war – obzwar ihnen der Magen nach wie vor geknurrt hat, und zwar buchstäblich, denn seinerzeit musste ein Arbeitsloser buchstäblich hungern; aber ich werde nie vergessen, wie mir so mancher von diesen jungen Arbeitslosen entgegengeschrien hat: Was wir wollen, was wir brauchen, ist ja nicht nur das Geld, von dem wir leben können, sondern in erster Linie etwas, für das wir leben könnten – etwas, das unserem Leben einen Sinn gibt!

Es gibt also nicht nur einen Hunger nach Brot, sondern sehr wohl auch einen Hunger nach Sinn! Und das wird auch im Wohlfahrtsstaat von heute zuwenig berücksichtigt. Auch im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit. Das sogenannte soziale Sicherheitsnetz, möchte ich sagen, ist zu weitmaschig: Die seelische Not des Arbeitslosen, sein Sinnlosigkeitsgefühl, fällt durch!

KOMMENTAR

Nach wie vor sind Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger gewaltige Themen eines Großteils unserer Welt. Der restliche Weltteil hat andere Sorgen, vielleicht nicht weniger grässliche. Aber eine seelische Not verbindet uns alle miteinander, nämlich der Hunger nach Sinn. Dabei gäbe es sinnvolle Aufgaben im Überfluss, zum Beispiel in der sozialen Umverteilung der Güter …

Erraten!

Freud hat uns gelehrt, wie wichtig das Entlarven ist. Aber ich denke, irgendwo muss es auch Halt machen, und zwar dort, wo der »entlarvende Psychologe« mit etwas konfrontiert ist, das sich eben nicht mehr entlarven lässt, aus dem einfachen Grunde, weil es echt ist. Der Psychologe aber, der auch dort noch nicht aufhören kann zu entlarven, entlarvt nur die ihm unbewusste Tendenz, das Echte im Menschen, das Menschliche im Menschen zu entwerten.

Ich muss es wissen. Denn ich bin durch die Schule des Psychologismus und die Hölle des Nihilismus gegangen. Mag sein, dass wirklich jeder, der ein eigenes System der Psychotherapie entwickelt, letzten Endes nur seine eigene Krankengeschichte schreibt. Es fragt sich nur, ob sie auch repräsentativ ist für die kollektive Neurose seiner Zeit. Dann könnte er nämlich sein Leiden für andere aufopfern, und dann könnte seine Krankheit dazu beitragen, die anderen zu immunisieren.

Eines Morgens kam ich in die Klinik und begrüßte den bereits wartenden kleinen Kreis amerikanischer Professoren, Psychiater und Studenten, die sich zu Forschungszwecken in Wien aufhielten. »Who’s Who in America hat ein paar Dutzend Leute ausgewählt und ist an sie mit der Bitte herangetreten, mit einem einzigen Satz zu umschreiben, was das Anliegen. ihres Lebens gewesen sei. Mich sind sie ebenfalls angegangen.« Allgemeines Händeschütteln. »Was glauben Sie nun, habe ich denen geschrieben?« Allgemeines Nachdenken. Und dann antwortete ein Berkeley-Student wie aus der Pistole geschossen: »Sie haben den Sinn Ihres Lebens darin gesehen, anderen zu helfen, in ihrem Leben einen Sinn zu sehen.« Es stimmte haargenau. Ich hatte das wirklich geschrieben.

KOMMENTAR

Das Aufdecken und Entlarven von Motiven ist ein »Lieblingsspiel« der traditionellen Psychologie. Allerdings kann man sich dabei sehr täuschen, weshalb in der Logotherapie beim Spekulieren von Motiven Zurückhaltung geübt wird. Nicht getäuscht hat sich jedoch jener amerikanische Student, der das Lebensanliegen Frankls richtig eingeschätzt hat.

ZUR FRAGE DER FREIHEIT UND ENTSCHEIDUNGSFÄHIGKEIT

Glaube an den freien Willen