Zeitstrom - Helmut Schröder - E-Book

Zeitstrom E-Book

Helmut Schröder

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Beschreibung

Nach mehreren Jahren Aufenthalt in einer alternativen Zeitlinie, in der Hitler beseitigt und die Invasion in der Normandie verhindert werden konnte, landet der Wissenschaftler Lutz Bachmann wieder vor dem Gebäude, wo seine Zeitreise in die Vergangenheit begann. Ausgestattet mit dem Wissen und Konstruktionsplänen aus der alternativen Gegenwart, gründet er Firmen mit dem Ziel ein Raumschiff zu bauen mit dem er zum Saturn reisen kann. Denn dort liegt ein fremdes Raumschiff, von einem Volk, das vor mehreren tausend Jahren die Erde besucht hatte. Lutz bemerkt jedoch nach einiger Zeit Widersprüche in seinen Erinnerungen und muss erschreckt feststellen, dass dies nicht seine Realität ist. Nach einigen Jahren machen sich wieder die Anzeichen für ein Wechsel des Zeitstroms bemerkbar. Erneut muss er seine Freunde und die Frau, die er ein zweites Mal lieben gelernt hatte, verlassen.

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Über das Buch:

Nach mehreren Jahren Aufenthalt in einer alternativen Zeitlinie, in der Hitler beseitigt und die Invasion in der Normandie verhindert werden konnte, landet der Wissenschaftler Lutz Bachmann wieder vor dem Gebäude, wo seine Zeitreise in die Vergangenheit begann.

Ausgestattet mit dem Wissen und Konstruktionsplänen aus der alternativen Gegenwart, gründet er Firmen mit dem Ziel ein Raumschiff zu bauen, mit dem er zum Saturn reisen kann. Denn dort liegt ein fremdes Raumschiff, von einem Volk, das vor mehreren tausend Jahren die Erde besucht hatte.

Lutz bemerkt jedoch nach einiger Zeit Widersprüche in seinen Erinnerungen und muss erschreckt feststellen, dass dies nicht seine Realität ist. Nach einigen Jahren machen sich wieder die Anzeichen für ein Wechsel des Zeitstroms bemerkbar. Erneut muss er seine Freunde und die Frau, die er ein zweites Mal lieben gelernt hatte, verlassen.

Über den Autor:

Helmut Schröder, Jahrgang 1949, studierte Elektrotechnik und Physik in Berlin. Er hat viele Jahre als Hard- und Softwareentwickler gearbeitet. Jetzt ist er Rentner und kann sich mit ernsthaften Dingen beschäftigen, wie das Schreiben von fantastischen Geschichten. Wenn er nicht schreibt, beschäftigt er sich mit Mehrkörperproblemen und Differentialgleichungen oder schreibt Software.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Zu Hause

Mitstreiter

Paula

Rückfall

Haus

Neuanfang

Einweihung

Übernahmeangebot

Sabotage

Aufbruch

Entführung

Start

Raumstation

Marine

Orbit

Zeichen

Testfahrt

Mond

Russland

Bündnis

Landnahme

Raumkampf

Kreuzfahrt

Epilog

Personenregister

Zeitsprünge

Prolog

Lutz Bachmann wurde durch die Fehlfunktion eines neuem Ortungsgerätes in das Jahr 1943 geschleudert. Offiziere, die zum Widerstand gehörten, haben ihn gefunden. An ihnen gab er sein Wissen über die Entwicklung des Krieges und sein technologisches Wissen weiter. Als er ohne sein Zutun wieder in die Gegenwart zurück kehrte, befand er sich in einer Welt, in der das Attentat auf Hitler gelang und der Kriegsverlauf sowie die Nachkriegszeit völlig anders abliefen. Mehrere Jahre lebte er dort und arrangierte sich mit der Ehefrau des Lutz Bachmann, der bisher dort gelebt hatte und bei seinem Erscheinen verschwand. Doch das Universum duldete seine Anwesenheit nicht, er war ein Fremdkörper in Raum und Zeit. Deshalb musste er seine neue Gegenwart und die Frau, die er lieben gelernt hatte, wieder verlassen und wechselte in einen anderen parallelen Zeitstrom, ohne es verhindern zu können.

Zu Hause

D as war jetzt das dritte Mal, dass er das Gleichgewicht verlor und auf dem Boden landete. Nachdem sich sein Kreislauf beruhigt hatte, sah er sich um. Er war wieder dort gelandet, wo seine Reise angefangen hatte. Zu Hause. Keine hundert Meter entfernt stand das Gebäude, in dem Alexej und Erik zusammen mit Paulsen das Experiment durchgeführt hatten. In dem Zaun fehlte ein Stück, es lag, bereits etwas vergammelt, daneben. Auch seine alten Kleidungsstücke waren mitgekommen, obwohl er sie nicht an hatte; dafür trug er noch die Kleider, die er bei seinem Verschwinden getragen hatte. Und er hielt völlig verkrampft ein Weinglas in der Hand.

Zu Hause, dachte er betrübt und sehnte sich nach Paula und ihrer Tochter. Er raffte seine Sachen zusammen, nahm seinen Koffer, der diesmal nicht aufgesprungen war, und machte sich auf den Weg zu seiner alten Wohnung.

Es war ein merkwürdiges Gefühl, diesen Weg nach mehr als drei Jahren erneut zu gehen. Da war der Laden von Frau Koslowski. Er zögerte einen Moment, dann siegte die Neugier, und er trat ein. Die Ladenbesitzerin verabschiedete gerade eine Kundin.

„Guten Abend, Herr Bachmann. Na, endlich Feierabend?“

„Ja, Frau Koslowski. Endlich Feierabend“, sagte er mit brüchiger Stimme. Er ging an den Verkaufstresen und stand jetzt direkt vor ihr. Sie sah ihn forschend von oben bis unten an.

„Ich kann mich gar nicht erinnern, dass Sie schon so viele graue Haare hatten, Herr Bachmann. Aber vielleicht ist das nur der Kontrast zu Ihrem dunklen Anzug. Haben Sie sich einen neuen gekauft? Wegen Ihres Vortrags?“ Sie deutete auf seine alten Sachen, die er über dem Arm trug. „Soll ich Ihnen eine Tüte geben? Sie können ja nicht alles in der Hand halten.“

„Das wäre sehr nett von Ihnen, Frau Koslowski. Ich wollte eigentlich noch ein paar Flaschen Bier mitnehmen. Sagen Sie mal, hat das Einkaufszentrum heute noch auf? Ich muss dringend noch etwas besorgen.“

„Ich denke schon. Soviel ich weiß, hat es immer bis zweiundzwanzig Uhr auf. Möchten Sie wieder ein Sechserpack von dem dunklen Bier?“

„Ja, bitte. Hat Ihnen eigentlich Ihre Mutter mal erzählt, wie das hier früher in der Gegend ausgesehen hat? So um 1943?“

Frau Koslowski nahm eine große Plastiktüte und stellte das Bier hinein. Dann nahm sie Lutz die Kleider aus seinem Arm und legte sie dazu. „Ja, das hat sie. Ich habe sogar eine Menge Fotografien. Meine Mutter hatte schon damals den Laden gehabt, sie hat ihn von meinem Großvater übernommen. Wieso interessiert Sie gerade diese Zeit?“

„Ich habe … am Wochenende für meine Exfreundin Internetrecherchen über den deutschen Widerstand gegen Hitler gemacht. Da habe ich mich gerade gefragt, wie das hier wohl damals ausgesehen hat.“

„Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen gerne mal ein paar Fotos. Möchten Sie denn sonst noch was haben, Herr Bachmann? Sie sehen jetzt irgendwie anders aus als heute Morgen, geht es Ihnen gut? Was machen Sie denn mit dem Weinglas?“

Heute Morgen war ich also schon einmal hier, ging es ihm durch den Kopf. Dann ist heute der Tag, an dem ich verschwunden bin. Das heißt, ich war gar nicht weg. Er hatte Frau Koslowsky ein paar Sekunden lang angestarrt. „Ehrlich gesagt, mir geht es nicht besonders gut. Ich fühle mich miserabel, als ob ich im laufe des Tages mindestens drei Jahre älter geworden bin.“ Lutz stellte das Weinglas auf den Tresen und holte einen Geldschein aus der Tasche, um das Bier zu bezahlen.

Die Ladeninhaberin drehte sich zu ihrer Kasse um, stutzte und wandte sich wieder an Lutz. „Was soll ich denn damit, Herr Bachmann? Mit Reichsmark kann man schon lange nicht mehr bezahlen.“

Lutz schaute etwas verunsichert. Dann kramte er aus seinen alten Sachen sein Portemonnaie heraus und bezahlte mit Euro. Er merkte, wie Frau Koslowski ihm hinterher sah, als er den Laden verließ.

„Ihr Weinglas“, rief sie ihm noch nach, aber er ignorierte es. Sie nahm den Zehn-Reichsmark-Schein, den Lutz liegen gelassen hatte, und betrachtete ihn.

„Deutsche Reichsbank, 1984“, murmelte sie vor sich hin. „Da hat sich einer aber viel Mühe gemacht.“

Sie zuckte mit den Schultern und steckte den Schein in das Glas.

Seine Wohnung sah genauso aus, wie er sie vor drei Jahren verlassen hatte. Oder eigentlich erst heute Morgen. Diese Zeitreise war verwirrend. Er machte sich ein Bier auf und setzte sich in die Küche. Da war er nun wieder in seiner Drei-Zimmer-Wohnung. Heute Morgen hatte er noch ein großes Haus mit einem Garten so groß wie ein Park gehabt, eine Frau und eine Tochter und ein Bankkonto, das ausreichte, um den Rest seines Lebens sorgenfrei zu verbringen. Wie er Paula vermisste! Sie hatte geschrien, als er verschwand, hatte ihn festhalten wollen und einen elektrischen Schlag bekommen. Ständig hatte er die Bilder seiner letzten paar Sekunden in der neuen Gegenwart im Kopf.

Niedergeschlagen stand er auf und ging in sein Arbeitszimmer. Er leerte seine Taschen und zog die Weste mit den vielen kleinen Taschen aus. Ein ganzer Berg Speicherkarten und zwei Adapter lagen jetzt auf seinem Schreibtisch.

Er hatte wahrscheinlich noch eine Weile Zeit, bevor die Sachen aus der Parallelzeit wieder verschwanden, aber zur Sicherheit wollte er sich lieber beeilen. Außerdem hatte er noch eine Idee. Er nahm sein Notebook aus dem Koffer und stellte es auf seinen gewohnten Platz. Dann schaltete er seinen PC an, denn daran befand sich der Adapter, um die Kamera auszulesen. Außerdem war sein Notebook voll mit Dokumenten aus der anderen Gegenwart. Er nahm die Kamera aus dem Koffer und kopierte die Bilder auf den PC, danach nahm er die SD-Karte heraus und steckte eine leere Speicherkarte in die Kamera. Er wollte mit seiner Kamera Bilder aus seiner Realität aufnehmen und sie auf eine Speicherkarte packen, damit die anderen wussten, wie er jetzt lebte.

Er zog sich um und verstaute alles, was er zum Einkaufen brauchte. Seine Kreditkarte war noch da. Hoffentlich funktioniert sie noch, dachte er bei sich. Lutz steckte die Kamera ein und fuhr mit seinem Auto ins Einkaufszentrum, zu dem Computergeschäft, wo er immer sein Zubehör kaufte. Er kam mit dem Ladenbesitzer gut aus, und der hatte auch Ahnung von den Dingen, die er verkaufte. Wenn man ein Computerproblem hatte, war man hier an der richtigen Adresse.

Lutz stellte seinen Wagen auf dem Parkdeck ab und schlenderte durch die Geschäftsreihen, als sei er das erste Mal hier. Es waren noch drei Kunden im Computerladen.

„Hey, Lutz, wie geht’s? Warst ja schon eine Weile nicht mehr hier.“

„Hallo Felix. Ich hatte eine Menge zu tun.“

Felix sprang von einem Kunden zum anderen, um etwas zu erklären oder zu zeigen. Früher hatte er Dreadlocks, jetzt hat er einen Pferdeschwanz. Aber seine Schwarz-Grün-Gelbe Strickmütze hatte er immer noch. Lutz war drei Jahre weg, aber hier ist die Zeit stehen geblieben. Im wahrsten Sinne des Wortes. Ein merkwürdiges Gefühl. Zwischendurch wechselte Felix rasch ein paar Worte mit ihm.

„Hier war die Hölle los“, stöhnte er. „Ausgerechnet heute hat sich mein Gehilfe frei genommen. Normalerweise ist montags nicht so viel los. Ich habe Durst, und mir knurrt der Magen, und nichts ist mehr da.“ Dann widmete er sich wieder einem Kunden, der etwas wissen wollte.

„Soll ich dir was vom Chinesen holen?“

„Super Idee, Mann. Du rettest mir das Leben. Ente kross wäre toll. Bring auch Bier mit.“

Als Lutz zurückkam, ging der letzte Kunde gerade hinaus. Sie setzten sich an einen Tisch und packten das Essen aus. Während Felix mit Heißhunger seine Ente verschlang, stocherte Lutz nur unlustig in seinem Teller herum. Er wusste gar nicht, warum er sich auch etwas zu Essen geholt hatte, denn schließlich hatte er gerade gegessen, mit Paula und den anderen.

„Hast du was dagegen, wenn ich ein Foto von dir und deinem Laden mache?“, fragte er und holte seine Kamera heraus.

„Nein, überhaupt nicht.“ Felix schob sich den letzten Bissen in den Mund.

„Was hast du heute für ein Problem?“

„Ich brauche jede Menge Datenspeicher. Die größte interne Platte, die du hast, und zwei externe USB-Laufwerke. Was würdest du für eine Langzeitarchivierung von großen Datenmengen vorschlagen?“

„Wie viel Daten hast du denn?

„Es müssten so um die drei Terabyte sein.“

„Drei Terabyte, das ist eine ganze Menge. Auf eine Dual-Layer-Blu-Ray passen fünfzig Gigabyte drauf. Davon brauchst du mindestens sechzig Stück. Es gibt sie inzwischen auch mit noch mehr Lagen, aber die habe ich nicht da.“

„Dann gib mir noch ein gutes Blu-Ray-Schreiblaufwerk und hundert von den Scheiben.“

„Wo hast du denn plötzlich so viele Daten her, die du speichern willst? Für ein Terabyte musst du eine Menge Briefe schreiben. Selbst bei deiner Arbeit mit Raketen und so kommt man doch nicht auf solche Mengen.“

Lutz leerte die Dose Bier. „Ich war drei Jahre in einem Paralleluniversum und habe alles an Wissen mitgenommen, was ich für nützlich befand.“ Er warf die Bierdose in den Mülleimer.

Felix schaute ihn mit großen Augen an und lachte dann gezwungen. „Haha, guter Joke. Deine Ente wird übrigens kalt. Die größte interne SATA-Platte, die ich da habe, ist zwei Terabyte groß, externe USB-Laufwerke ebenfalls. Es gibt größere, die müsste ich aber erst bestellen. Reicht dir das?”

Lutz machte sich noch ein Bier auf und aß von der Ente. „Das müsste reichen. Hast du alles da?“

„Klar, Mann.“ Felix machte sich das letzte Bier auf und ging an seine Regale, um einzusammeln, was Lutz haben wollte. Er scannte alles mit dem Barcode-Leser der Kasse ein und packte die Sachen in einen Karton. Lutz machte ein paar Fotos von ihm.

„Zahlst du mit Kreditkarte?“

„Ja. Willst du meine Ente? Ich habe keinen Appetit.“ Lutz stand auf und gab ihm seine Kreditkarte.

„Gerne, Mann. Du bist heute nicht gut drauf, stimmt’s?“

„Merkt man das?“

„Wenn ich meinen Laden zugemacht habe, gehe ich in den irischen Pub. Ich treffe mich da mit einem Kumpel. Wenn dich deine Wohnung erschlägt, komm einfach dazu.“

„Danke für das Angebot, aber ich muss noch meine Daten um kopieren.“ Lutz klemmte sich den Karton unter den Arm und ging in Richtung Ausgang. Felix hielt ihm die Tür auf.

„Hey, ich glaube, es gibt wirklich Paralleluniversen. Du auch?“

Lutz drehte sich in der Tür um. „Nein, ich glaube es nicht. - Ich weiß es!“ Er warf die leere Bierdose in einen Mülleimer an der Tür, klopfte Felix auf die Schulter und machte sich auf den Heimweg. Felix schaute ihm noch eine Weile hinterher bevor er die Tür wieder schloss.

Zu Hause schaltete Lutz sein Notebook und seinen PC ein und schloss an beide ein externes USB-Laufwerk an. Außerdem verband er seinen PC mit einem Speicherkartenadapter. Dann kopierte er alle Daten von den Speicherkarten auf das externe Laufwerk am PC. Gleichzeitig startete er eine Datensicherung auf dem Notebook. Um drei Uhr früh war er damit fertig und konnte endlich schlafen gehen.

Am Morgen saß er an seinem Küchentisch. Er hatte sein Notebook vor sich stehen und sah sich die Bilder mit Paula und den anderen an, die in der Parallelwelt gemacht worden waren. Sein erster Impuls war, zu Paulsen zu gehen, um das Angebot von Alexej und Erik anzunehmen, bei dem Projekt mitzumachen. Aber das würde nichts bringen; er war ihnen mindestens fünf Jahre voraus.

Das Denken fiel ihm schwer, dauernd drifteten seine Gedanken zu Paula. Er würde erst mal zu seiner Arbeitsstelle gehen. Die Idee, sich krank zu melden, hatte er verworfen. Der Vortrag war für ihn nicht so wichtig wie für seinen Kollegen Frank. Das konnte er ihm nicht antun.

„Du kommst aber spät heute“, begrüßte ihn Frank. Er wollte noch etwas hinzufügen, blieb aber stumm, als er Lutz sah. „Wie siehst du denn aus?“

„Ich fühle mich beschissen“, entgegnete Lutz.

„Bekommt man davon graue Haare? Die waren doch gestern noch nicht da. Warum bist du nicht zu Hause geblieben?“

„Wir müssen den Vortrag am Freitag halten, der ist wichtig für dich. Danach werde ich Urlaub machen.“

Frank war überrascht, dass Lutz einerseits Dinge vergessen hatte, die sie gestern noch besprochen hatten, andererseits jedoch verblüffende Vorschläge und Anregungen machte. Wie hatte er das seit gestern herausfinden können?

Nach der Frühstückspause ging Lutz ins Personalbüro und beantragte Urlaub. Er hatte drei Wochen vom letzten Jahr übrig und legte noch zwei dazu.

Abends sortierte Lutz seine Daten und machte Sicherungskopien auf Blue-Ray-Disks. Außerdem schützte er die Daten mit einem Passwort, falls sie in falsche Hände gerieten.

Am nächsten Tag ging er mittags in die Kantine, um zu sehen, ob Lomonossow oder Vadström dort zu finden waren. Es war kaum etwas los, wahrscheinlich war er ein bisschen früh dran. Er holte sich einen Kaffee und ein Stück Kuchen und setzte sich an einen Tisch. Seine Gedanken drifteten in die Parallelzeit zu Paula und seinen anderen Freunden. Er war so in Gedanken vertieft, dass er zunächst gar nicht merkte, wie ihn jemand ansprach.

„Hallo, Lutz!“, sagte Alexej ein zweites Mal und schüttelte seine Schulter.

„Alexej! Entschuldige bitte, ich war in Gedanken.“

Lomonossow setzte sich mit Kaffee und zwei belegten Brötchen zu ihm. Erik kam gerade vom Tresen und nahm ebenfalls an ihrem Tisch Platz.

„Wie war euer Test am Montag? Hat es funktioniert?“, fragte Lutz.

„Teils, teils“, antwortete Erik. „Beim ersten Einschalten hat es nicht geklappt, es gingen keine Impulse raus, glauben wir. Wir mussten einige Einstellungen ändern und ein Steuermodul austauschen, das nicht richtig funktioniert hat. Wir haben den Test wiederholt, und er verlief zufriedenstellend.“

Lutz grübelte. „Habt ihr bei dem Test euren Zaun demoliert?“

„Keine Ahnung, was mit dem Zaun los ist. Er liegt in Richtung unserer Testmessung, das ist richtig. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das von uns ist.“

„Vielleicht von dem ersten missglückten Test“, hakte Lutz nach.

„Also, wir haben nichts Ungewöhnliches bemerkt, bis auf die Fehlfunktion. Wieso interessiert dich das so, Lutz?“, fragte Erik.

„Nur so. Ich habe mir einfach Gedanken gemacht, als ich den beschädigten Zaun sah. Vielleicht ist es gefährlich in unmittelbarer Nähe des Gerätes.“

„Der Gedanke drängt sich auf. Wir werden das überprüfen. Danke für den Hinweis.“

Als sie gerade gehen wollten, fragte Lutz: „Habt ihr was dagegen, wenn ich ein Foto von euch mache?“

Der Vortrag am Freitag war ein voller Erfolg. Ihr Chef war sehr zufrieden. Die Stelle, die man Frank in Aussicht stellte, würde er mit ziemlicher Sicherheit bekommen, ein eigenes Projekt mit Budget und Leuten, die er sich aussuchen konnte.

„Ich möchte mich für dein Engagement bedanken, Lutz“, sagte Frank. „Dass ich die Stelle bekomme, habe ich nicht zuletzt auch dir zu verdanken. Woher hast du nur deine Ideen genommen? Ich kann mir nicht helfen, aber du hast dich irgendwie verändert. Kannst du mir das erklären?“

„Ja, die Nacht von Montag zu Dienstag war sehr ereignisreich. Ich habe mich verändert, aber ich möchte heute noch nicht darüber sprechen. Es könnte durchaus sein, dass ich mal deine Unterstützung brauche, deinen wissenschaftlichen Rat.“

„Auf mich kannst du zählen! Ich freue mich, wenn ich dir helfen kann. Die Zusammenarbeit mit dir hat mir Spaß gemacht.“

„Ich werde jetzt erst mal in den Urlaub gehen, Frank.“

Am Wochenende besuchte Lutz seine Eltern. Seine Mutter erschrak ein wenig, als sie ihn sah, war aber freudig überrascht über die besonders herzliche Begrüßung. Als Lutz seinen Vater begrüßte, kam ihm die irritierende Erinnerung daran, wie er ihn als Kleinkind auf dem Arm gehalten hatte.

Lutz gab seinem Vater die Datensicherung auf Blue-Ray-Disks in einer kleinen Tasche und bat ihn, sie an einem sicheren Ort aufzubewahren. Bei Kaffee und Kuchen fragte er seinen Vater über seinen Großvater aus und verglich die Auskünfte mit seinen eigenen Erlebnissen. Sein Vater war erstaunt über einige Einzelheiten, die Lutz wusste. In dieser Vergangenheit bekam sein Großvater 1943 keinen Fronturlaub.

Beim Abschied fragten sie, ob alles in Ordnung sei oder ob er Hilfe brauche.

„Nein, es geht mir gut. Macht euch keine Sorgen, die letzte Zeit war sehr anstrengend. Ich habe ab heute Urlaub und werde ein wenig ausspannen. Außerdem habe ich Ideen für eigene Projekte, die ich ausarbeiten möchte.“

Am Sonntag hatte Lutz sich ein schönes Frühstück zubereitet, aber alleine machte es ihm keine Freude. Er hatte Sehnsucht nach Paula. Nachdem er flüchtig in der Zeitung geblättert hatte, starrte er aus dem Fenster und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Mit seinen Kollegen vom Institut für interplanetare Forschung hatte er auch zusammengesessen und gemeinsam beratschlagt, wie er in seiner Realität einen neuen Anfang machen konnte. Sie waren Projekte durchgegangen, die er hier zum Patent anmelden konnte, um damit Geld zu verdienen. Er goss sich einen Kaffee ein und setzte sich an seinen Schreibtisch, um das Material zu sichten.

Die Tage vergingen mit Patentrecherchen und dem Ausarbeiten der Pläne. Häufig konnte Lutz Patentschriften einfach abschreiben und abzeichnen, schließlich existierten sie ja bereits. Aber er konnte selbstverständlich keine Pläne einreichen, auf denen „Reichspatentamt“ oder „Reichswehr“ geschrieben stand.

Mit verschiedenen Firmen der Raumfahrt und der Rüstungsindustrie hatte er Kontakt aufgenommen und zum Teil auch offene Ohren gefunden. EADS bot ihm an, seine Projekte bei ihnen als Angestellter weiterzuentwickeln. Das angebotene Gehalt war wirklich verführerisch, aber er wollte doch lieber seine eigene Firma gründen.

Eine kleine, aber erfolgreiche Firma der Raumfahrttechnik und des Luftfahrtzubehörs wollte sofort bei ihm bestellen. Herr Lehmann, der Geschäftsführer von Space Engeneering in der Nähe von Dresden, und Lutz fanden einander auf Anhieb sympathisch, auch der Entwicklungschef war ein angenehmer Zeitgenosse. Lehmann bot ihm an, bei größeren Projekten gegen die exklusiven Vertriebsrechte die Entwicklung vorzufinanzieren. Zum ersten Mal seit seiner Rückkehr war Lutz besserer Laune, als er von diesen Gesprächen nach Hause kam.

Bevor er aber mit dem Vertrieb anfangen konnte, musste er sich die Rechte sichern. Also stöberte er am nächsten Tag im Internet nach Patentanwälten. Da er keine kannte, musste er nach subjektiven Kriterien vorgehen und einfach mit einigen reden. Er notierte sich Namen und Webadressen, die er sich näher ansehen wollte.

Als er auf der Internetseite eines Anwaltsbüros war, fiel ihm der Name Förster ins Auge, doch er konnte sich das zunächst nicht erklären. Dann sickerte langsam etwas durch seine Gedanken. Lutz durchsuchte die Internetseiten nach Bildern der Mitglieder der Anwaltskanzlei. Und dann sah er Frau Förster, Paula Förster ‒ seine Paula. Sein Herz raste. Plötzlich war alles wieder da: der Schmerz, die Sehnsucht, die Einsamkeit. Er rief bei der Kanzlei an, erklärte sein Anliegen und bekam einen Termin für den übernächsten Tag.

Lutz war aufgeregt. Mehrmals wollte er den Termin absagen und woanders hingehen. Aber er konnte nicht, er musste sie sehen. Als er vor der Haustür stand, fotografierte er das Firmenschild mit dem Namen Paula Förster.

Die Dame am Empfang bat ihn, ihr zu folgen. Sie öffnete die Tür zu einem Büro. „Frau Förster, Herr Bachmann ist da.“

„Guten Tag, Herr Bachmann.“

Er stand da und starrte sie an.

„Herr Bachmann?“, sagte sie noch einmal und lachte.

„Gurmpf“, brachte Lutz heraus. Er räusperte sich und setzte neu an. „Guten Tag, Pau…, ähm, Verzeihung, ich meine Frau Bach…, Frau Förster.“ Lutz wusste nicht, ob sie ihn an- oder auslachte. Es war ihm egal, er liebte ihr Lachen. Er unterdrückte den Impuls, sie in den Arm zu nehmen. Am liebsten würde er weg rennen, weit weit weg.

„Nehmen Sie Platz“, sagte sie immer noch lächelnd. „Was können wir für Sie tun?“

„Verzeihen Sie bitte meinen missglückten Auftritt. Ich hatte im ersten Moment gedacht, dass ich Sie kenne.“

„Aber ich bitte Sie, das macht doch nichts. Sie wollen etwas zum Patent anmelden, nehme ich an?“

Lutz erklärte ihr, was er vorhatte, und zeigte ihr seine Unterlagen. Paula hörte geduldig zu und schaute sich alles an. Zwischendurch ging er mehrmals fast zum vertraulichen Du über. Sie merkte es, ging aber lächelnd darüber hinweg. Zwei Stunden dauerte das Gespräch, dann sagte sie ihm, seine Unterlagen seien erstaunlich gut ausgearbeitet, man könne sie direkt beim Patentamt einreichen. Sie erklärte ihm, was sie als Nächstes unternehmen werde und wie die Patentanmeldung ab lief.

„Ich werde Sie anrufen, wenn die Anträge fertig sind. Das wird ein paar Tage dauern, es sind immerhin fünf Patente, die Sie anmelden wollen. Ein Kollege von mir, der fachlich kompetent ist, wird sich Ihre Unterlagen ansehen und die Patentanträge vorbereiten. Dann müssen Sie zum Unterschreiben wiederkommen. Sobald die Anträge beim Patentamt eingereicht wurden, gilt der Patentschutz. Dann können Sie auch gefahrlos an Firmen herantreten.“

„Hervorragend“, sagte Lutz.

Sie sah ihn an und fing erneut an zu lachen, als er keine Anstalten machte aufzustehen. „Ich habe jetzt einen anderen Klienten, Herr Bachmann.“

„Oh, natürlich, wie dumm von mir“, sagte er, als er realisierte, dass er jetzt gehen soll. Aber er wollte nicht gehen, er wollte hier bleiben und sie ansehen, mit ihr reden!

Notgedrungen stand er auf und verabschiedete sich von Paula.

Lutz kam völlig aufgewühlt nach Hause. Nachdem er sich Kaffee gemacht hatte, setzte er sich an den Rechner. Mit der Suchmaschine wollte er sich ein paar Informationen über die anderen Leute holen, die er kennengelernt hatte. Es gab keine Liste der Wehrmachtsangehörigen im Internet, auch die Suche nach Leutnant Hermann Schulze und Major Falkenberg brachte kein Ergebnis. Nur Luise von Schnakenburg wurde erwähnt, sie war 1944 bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Sie hatte Major Falkenberg nicht mehr geheiratet, demzufolge gab es auch keine Charlotte und keinen Martin. Die anderen Mitglieder des Widerstands, die er kennengelernt hatte, waren bekanntlich alle hingerichtet worden.

Er setzte sich wieder an seinen Lieblingsplatz in der Küche am Fenster und überlegte, wie er zum Saturn gelangen könnte. Die Pläne für alles Notwendige hatte er, man musste das Raumfahrzeug nur bauen und los fliegen. Da das fremde Raumschiff schon vor 1943 dort gewesen war, musste es auch in diesem Zeitstrom im Saturn-Ring sein. Mitten in seinen Grübeleien klingelte das Telefon.

„Herr Lehmann! Ich hätte nicht gedacht, so schnell von Ihnen zu hören. Morgen Abend? Ja, das geht. Wo denn? Sagen Sie mir bitte die Adresse. Ich danke Ihnen, Herr Lehmann, das ist sehr freundlich. Ich komme gerne. Bis morgen.“

Lutz legte zufrieden den Hörer auf. Der Kontakt zu Lehmann und seiner Firma hat sich gelohnt. Morgen sollte ein Treffen mit Abendessen stattfinden, bei dem auch einige Militärs und Leute der Raumfahrt aus Forschung und Industrie anwesend sein würden. Sie sind gespannt auf meine Entwicklungen, dachte Lutz. Ich werde mit Lehmann über meine neuen Strahlturbinen reden. Sie kommen mit ihrer Neuentwicklung nicht voran, hat er bei ihrem ersten Treffen erzählt. Das wird spannend.

Gegen Mittag fuhr Lutz mit seinem Wagen in Richtung Dresden, leider hatte er nicht mehr seinen schönen Borgward. Und auch nicht den roten Sportflitzer, über den sich Paula so gefreut hatte, dachte er wehmütig. Er ließ sich Zeit und ging in Gedanken das heutige Treffen durch. Manchmal drifteten seine Gedanken ab zu Paula und seinen anderen Freunden im parallelen Zeitstrom. Oder zu den Ereignissen bei Saturn und Uranus. Dabei fiel ihm ein, dass er sich mal wieder um die Gleichungen kümmern musste, vielleicht entdeckte er doch noch den temporalen Zusammenhang. Vielleicht sollte ich mich mit Lomonossow und Vadström in Verbindung setzen, überlegte er.

Lutz wurde von Franz Lehmann herzlich begrüßt. „Schön, dass Sie so kurzfristig kommen konnten, Herr Bachmann. Ich habe Neuigkeiten, die auch Sie interessieren dürften. Unter Berücksichtigung Ihrer äußerst aufschlussreichen Erörterungen über Ihre Entwicklungsvorhaben habe ich meine Fühler ausgestreckt und versucht herauszufinden, wie sie bei den Bedarfsträgern ankommen würden. Wie ich es erwartet habe, war das Echo extrem positiv, und man hat mich gebeten, so schnell wie möglich ein Muster vorzuführen. Da kommen jetzt Sie ins Spiel, schließlich ist es Ihre Erfindung. Ich bin bereit, Ihnen jede Unterstützung zu gewähren. Wir haben in Belzig Fabrikräume, falls Sie welche benötigen. Wichtig ist, dass Sie möglichst schnell an den Markt gehen, im Moment wären Sie konkurrenzlos. Das muss man ausnutzen. Kommen Sie, ich werde Ihnen jemanden vorstellen.“

Lehmann führte ihn zu einer Gruppe Soldaten. „Gerhard, ich möchte dir Herrn Bachmann vorstellen“, wandte er sich an einen der Uniformierten. „Es sind seine Ideen, von denen ich dir erzählt habe.“ Und zu Lutz sagte er: „Das ist General Gerhard Schneider, ein guter Freund von mir.“

„Wenn das stimmt, was Franz Lehmann uns erzählt hat, dann kommen wir hoffentlich bald ins Geschäft“, sagte der General. „Können Sie ein Muster vorführen, Herr Bachmann?“

„Noch nicht, ich habe gestern die Patentanmeldungen in die Wege geleitet. Sobald die Anträge beim Patentamt sind, kann die Sache offiziell gestartet werden. Ich werde natürlich schon vorher mit den Vorbereitungen anfangen. Herr Lehmann hat mir seine Unterstützung angeboten.“

„Bei Franz sind Sie in guten Händen. Wenn der was verspricht, dann macht er das auch richtig. Und der bescheißt niemanden, da können Sie sich drauf verlassen. Wir kennen uns schon eine ganze Weile. Ganz davon abgesehen hat er eine Menge gute Verbindungen. Haben Sie noch mehr interessante Dinge für uns?“

Lehmann beugte sich vor. „Das würde mich auch interessieren. Sie machten neulich so Andeutungen, dass Sie noch mehr Lösungen liefern können.“

„Ich habe mich in den letzten Jahren mit vielen Dingen beschäftigt“, erwiderte Lutz. „Sie sagten mir letztens, dass Sie ein Problem bei der Neuentwicklung einer Strahlturbine haben. Ich könnte da behilflich sein, ich habe ein Patent angemeldet in diesem Zusammenhang. Genau wie bei dem Raketentriebwerk werden Leistung und Wirkungsgrad erhöht. Ich bin bei den Recherchen auf Ihr Patent gestoßen, Herr Lehmann und könnte Sie da hilfreich Unterstützen, auf Gegenseitigkeit. Ich sage Ihnen, wie Sie vorankommen, und Sie unterstützen mich bei meiner Variante. Mein Triebwerk wird Ihres hervorragend ergänzen. Ihres haben Sie erfolgreich vereinfacht, es ist preiswert herzustellen, gut für Passagierflugzeuge. Meines ist aufwendiger und teurer, aber leistungsfähiger, perfekt für Militärflugzeuge.“

„Das müssen wir unbedingt demnächst besprechen“, freute sich Lehmann. „Wir haben schon eine Menge Geld und Arbeit in das neue Triebwerk gesteckt. Ihre Aussage lässt uns hoffen, das Projekt doch noch zum Abschluss zu bringen. Am Anfang hat uns EADS belagert, sie wollten unbedingt das Patent von uns kaufen. Sie haben uns sogar mit Sanktionen gedroht, unter der Hand versteht sich, ohne Zeugen. Auch einige Politiker, die mit EADS verknüpft sind, haben Druck gemacht. Wir haben aber abgelehnt, weil wir damals noch sehr optimistisch waren und die Schwierigkeiten sich erst später zeigten. Außerdem hat sich bei mir eine gewisse Störrischkeit eingestellt. Dann hatten sie uns einen Brief geschickt, dass kein Interesse mehr besteht. Ich nehme an, sie haben eigene Tests gemacht und sind auf die gleichen Probleme gestoßen. Natürlich ohne unsere Erlaubnis.“

„Sie arbeiten doch zurzeit für unseren Verein, wenn ich mich recht erinnere“, warf der General ein, „wollen Sie da aufhören?“

„Ja, das Projekt ist im Wesentlichen abgeschlossen. Wenn alles finanziell gesichert ist, werde ich kündigen und meine eigenen Projekte verfolgen. Ich habe noch ein Angebot von Lomonossow und Vadström aus der Gruppe Paulsen. Die machen gerade Versuche mit dem neuen Ortungsgerät und fragten mich neulich, ob ich Lust hätte mitzumachen. Das ist eine sehr interessante Aufgabe, in der viel Zukunft steckt. Aber ich denke, ich werde doch meine eigenen Ziele verfolgen.“

„Sie wissen von dem Ortungsgerät?“, fragte der General erstaunt. „Das ist doch streng geheim!“

„Wie Sie schon sagten, ich arbeite für den gleichen Verein und habe die Sicherheitsstufe. Außerdem sind wir Nachbarn.“

Lehmanns Frau ließ sie wissen, dass das Essen aufgetragen wurde.

„Dann wollen wir mal, meine Herren. Durch unser Gequatsche bin ich überhaupt nicht dazu gekommen, Sie den anderen vorzustellen. Das werden wir nach dem Essen nachholen“, entschuldigte sich Lehmann bei Lutz.

„Sagen Sie mal, Herr General, wo kann man über den Verbleib von Wehrmachtsangehörigen nachforschen?“, fragte Lutz General Schneider auf den Weg zum Speisesaal.

„Rotes Kreuz und WASt1 fällt mir da nur ein. Geht es um einen Verwandten?“

„Nein, kein Verwandter.“

„Das wird schwierig. Die geben nur bei Verwandten Auskunft. Um wen geht es denn?“

„General Fellgiebel, der 1944 hingerichtet wurde, hatte einen Adjutanten, Leutnant Hermann Schulze. Ein Bekannter wollte wissen, was aus dem geworden ist“, log Lutz. „Irgendein entfernter Verwandter oder Kamerad seines Vaters.“

„Nein, da fällt mir nichts zu ein. Aber ich werde mich mal umhören. Wenn ich etwas erfahre, werde ich es Sie wissen lassen.“

„Das wäre sehr freundlich von Ihnen, Herr General.“

Es gab ein fantastisches Sechs-Gänge-Menü. Zwischen den Gängen stellte Lehmann Lutz die anderen Anwesenden vor und sagte ihm, was sie beruflich machten. Er erzählte natürlich auch, was er und Lutz planten und dass eine Lösung für seine neue Strahlturbine in Sicht sei. Lutz machte sich in Gedanken Notizen über die Arbeitsbereiche der verschiedenen Personen. Bei Gelegenheit würde er in seinen Unterlagen nachsehen, ob er etwas fand, das er ihnen verkaufen konnte.

Es war eine Ansammlung von mittelständischen Firmen, die zum Teil gut im Geschäft waren, aber unter der Konkurrenz und dem Druck von staatlich unterstützten Großfirmen und DAX-Konzernen litten. Die anwesenden Offiziere waren aus dem Verwandtenoder Freundeskreis. Man hätte fast auf die Idee kommen können, dass es sich um eine Versammlung von Verschwörern gegen die großen Konzerne handelte. Das wichtigste Gesprächsthema war, wie man erfolgreich auf Ausschreibungen reagiert.

Nach dem Essen gab es Kaffee, und die Gesellschaft lockerte sich auf. Franz Lehmann führte Lutz zu einem Freund. „Ich möchte Ihnen Herrn Peterson vorstellen, er ist Chef der Flugzeugfirma Ikarus.“

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Herr Bachmann. Franz hat mir schon einiges von Ihnen erzählt. Sie sollen ja ein unglaubliches Genie sein. Wo andere jahrelang an Problemen sitzen, zaubern Sie die Lösungen einfach aus dem Hut.“

„Wenn das mal so einfach wäre!“, entgegnete Lutz. „Ich habe schon auf vielen Gebieten gearbeitet und mir meine Gedanken gemacht, wenn ich auf ein Problem gestoßen bin. Manchmal ist mir auch eine Lösung eingefallen. Dann habe ich alles sorgfältig aufgezeichnet, um es später zu verwenden. So ein Zeitpunkt ist jetzt gekommen. Herr Lehmann hat mir von seinem Problem erzählt, und ich habe eine Lösung – wahrscheinlich. Das muss selbstverständlich noch eingehend untersucht werden. Sie sehen, auch ich komme nur durch Arbeit zu meinen Ergebnissen.“

„Ich habe Herrn Peterson schon mehrmals aufgefordert, bei den Ausschreibungen des Beschaffungsamtes mitzumachen“, meldete sich ein Luftwaffenoffizier zu Wort. „Seine Firma baut hervorragende Flugzeuge. Er hat auch einige gute Vorschläge für militärische Flugzeuge gemacht.“

„Die habe ich letztes Jahr beim Verteidigungsministerium vorgelegt. Als es dann um die konkrete Realisierung eines Musters ging, wurde mir vom Ministerium gesagt, dass EADS die Federführung hat und wir die Juniorpartner sind. Ich habe mich aber geweigert, die Pläne weiterzugeben. EADS hat es alleine nicht geschafft, die Spezifikationen zu erfüllen. Daraufhin wurden alle Aktivitäten an dem Projekt eingestellt. Später haben wir noch einmal beim Ministerium vorgesprochen, dass wir durchaus in der Lage sind, die Projektspezifikationen zu erfüllen und bis zum Ende durchzuziehen. Man war erst gewillt, die Sache aufzunehmen, aber das Projekt wurde dann auf Kanzlerebene gestoppt. Vermutlich hat jemand interveniert, der keine Konkurrenz entstehen lassen wollte. So weit dazu.“

„Dann werden wir beim nächsten Mal anders vorgehen“, schlug Lehmann vor. „Wir werden das Flugzeug in eigener Regie bauen und vorstellen. Und wenn die im Ministerium wieder mauern, bieten wir es auf dem Markt an. Wäre doch gelacht, wenn wir nicht etwas auf die Beine stellen könnten!“

„Das ist eine gute, aber teure Idee“, meinte Peterson. „Wir sollten unsere Kräfte bündeln. Wenn Herr Bachmann mit seinen vielen Ideen mitmacht, werden wir ein starkes Team. Wir sollten eine Versammlung abhalten und eine Strategie entwickeln. Außerdem sollten wir Frau Bernstein mit ihrer Waffenfirma mit ins Boot nehmen, wenn wir Militärflugzeuge bauen wollen. Vielleicht ist sie ja vorangekommen mit ihrer hülsenlosen Munition. Das wäre doch was, wenn wir die Ersten wären, die eine Kanone im Flugzeug mit hülsenloser Munition anbieten könnten! Was das an Gewicht einsparen würde!“

„Nun, Herr Bachmann, was sagen Sie?“, fragte Lehmann. „Hätten Sie Lust, bei den Unternehmungen mitzumachen? Den Großen die Stirn zu bieten?“

„Sehr gern. Vielleicht kann ich ja etwas beitragen. Mein Vermögen ist allerdings nicht sehr groß, ich müsste erst durch meine Patente etwas verdienen.“

„Das können wir später regeln“, warf Lehmann ein, „erst brauchen wir einen Plan, dann kümmern wir uns um die Finanzierung. Ich werde mit Frau Bernstein reden und sie fragen, ob sie an einer Kooperation Interesse hat. Dann machen wir einen Termin für eine Besprechung. Bis dahin kann sich jeder überlegen, wie unsere Ziele aussehen sollen und wo die eigenen Interessen liegen.“

Lutz lernte die Bankchefin kennen, bei der Lehmann seine Konten hatte.

„Wir haben Großes vor, Frau Hartmann. Ich glaube, wir brauchen demnächst eine größere Menge Geld. Die Entwicklung der neuen Turbine wird mithilfe von Herrn Bachmann weiter vorangetrieben. Eventuell werden wir ein eigenes Flugzeug bauen, das bringt mehr Gewinn, als nur die Strahlturbinen zu verkaufen.“

„An mir soll es nicht liegen, Herr Lehmann. Was für ein Flugzeug wollen Sie denn bauen?“

„Das, was Peterson und mir schon lange im Kopf herum spukt. Ein Geschäftsreiseflugzeug mittlerer Größe. Mit meinen Turbinen hat das eine konkurrenzlose Reichweite und Geschwindigkeit, nicht zu vergessen die Treibstoffersparnis. Wir werden nur die großen Varianten Airbus anbieten, damit wir den Markt für unser Flugzeug nicht kaputtmachen. Ich kenne jemanden in Australien, der eine lokale Fluglinie betreibt. Er würde sofort mehrere Flugzeuge kaufen. Ich musste ihn bisher immer vertrösten, aber als ich ihn gestern anrief und ihm sagte, dass die Turbine bald einsatzreif sein wird, hat er mir versprochen, seine Neubestellungen noch ein wenig hinauszuzögern. Sobald ich mit Herrn Bachmann handelseinig geworden bin, wird mit der Produktion begonnen.“

Lutz war sehr zufrieden über die Entwicklung. Gleich am nächsten Tag setzte er sich wieder an den Schreibtisch, um weitere Patente vorzubereiten. Er erinnerte sich, was Lehmann über die Waffenfabrikantin erzählt hatte. Sie arbeitete an einem anderen System für den Verschluss und an der Wärmeabfuhr für hülsenlose Munition. Er suchte in seinen Unterlagen und fand zwei Varianten des Verschlusses, eine für Handfeuerwaffen und eine für großkalibrige Waffen. Außerdem hatte er Unterlagen über die chemische Zusammensetzung der Treibladung, Zünder und andere wichtige Komponenten. Er stöberte im Internet, um sich über den aktuellen Stand der Technik zu informieren. Morgen würde er dem Patentamt einen weiteren Besuch abstatten und recherchieren.

Nach ein paar Tagen war er mit dem Erstellen der Patentunterlagen fertig. Insgesamt sechs Patente hatte er im Zusammenhang mit der hülsenlosen Munition vorbereitet, außerdem drei weitere, die grundlegend für die Methan-Brennstoffzelle waren. Diese lieferte nicht nur die Energie aus der Reaktion zwischen Wasserstoff und Sauerstoff, sondern konnte zusätzlich die Reaktion zwischen Sauerstoff und Kohlenstoff nutzen. Die drei Patente bezogen sich auf das dahinterstehende Prinzip sowie auf das Material der Ionen-Membranen und des Elektrolyten. Schließlich hatte Lutz noch drei andere Patente vorbereitet, die ihm vielleicht durch Lizenzen das benötigte Geld einbrachten.

Er überlegte gerade, ob er Paula anrufen oder lieber warten sollte, bis sie sich meldete, um die laufenden Anmeldungen zu unterzeichnen. Diese Entscheidung wurde ihm abgenommen, denn das Telefon klingelte, und am anderen Ende war Paula Förster. Sie bat ihn, am nächsten Tag zu kommen.

Lutz war aufgeregt wie vor seinem ersten Schultag. Er meldete sich mit seinem Stapel Papieren unter dem Arm bei der Rezeption an. Die Frau telefonierte kurz mit Paula und führte ihn zu ihrem Zimmer.

„Guten Tag, Frau Förster“ quälte er sich zu sagen, Am liebsten hätte er sie umarmt. Lutz merkte, dass Paula gehetzt wirkte. „Haben Sie ein Zeitproblem? Sie wirken angespannt. Ich könnte auch später wiederkommen.“

„Nein, Herr Bachmann, es ist kein Zeitproblem. Aber jeder Beruf bringt auch mal Stress mit sich. Die Unterlagen sind vom Patentamt geprüft worden und können eingereicht werden. Sie müssen nur unterzeichnen. Die waren übrigens richtig begeistert von Ihrer Ausarbeitung und meinten, wenn alle so sorgfältig arbeiten würden, hätten sie weniger Arbeit, und alles würde schneller gehen. Ich werde die Dokumente heute nach dem Essen noch hinbringen, dann genießen Sie ab morgen Patentschutz.“

Sie breitete die Anträge vor ihm aus. Nachdem er alles überflogen hatte, unterschrieb er. Paula reichte ihm die Rechnung mit allerlei Gebühren.

Lutz nahm sie mit gespielter Skepsis und fragte: „Habe ich so etwas bestellt?“

Sie lachte. „Das gibt es bei uns gratis. Gehört zum Service.“

„Dann können wir ja gleich weitermachen. Ich habe hier die nächsten Patentanmeldungen.“ Er zeigte auf den Papierstapel.

Sie sah ihn verblüfft an. „Donnerwetter, Sie sprühen ja nur so vor Ideen! Wie machen Sie das? Ich habe andere Klienten, die kommen nur alle paar Jahre und müssen dann ihre Unterlagen zehn Mal überarbeiten, bevor das Patentamt sie akzeptiert. Dann lassen Sie mal sehen.“

Er breitete die Unterlagen für jedes Patent vor ihr aus. Wie schon beim letzten Mal sah sie sich alles sorgfältig an und stellte verschiedene Fragen zum Inhalt. Zwischendurch hörte man ein Grummeln.

„Ihr Magen meldet sich. Sie sollten was essen“, schlug Lutz vor.

„Ja, man hört es deutlich. Ich bin heute Morgen nicht zum Frühstücken gekommen.“

Lutz ergriff die Gelegenheit. „Darf ich einen Vorschlag machen? Ich möchte Sie zum Essen einladen. So als Einstand für eine zukünftige fruchtbare Zusammenarbeit. Ich denke, ich habe mit Ihnen einen guten Griff getan.“

„Einverstanden“, sagte sie und lächelte ihn an. Dann widmete sie sich wieder seinen Dokumenten. „Was ist das denn?“, fragte sie plötzlich mit erstaunter Miene und hielt ein Blatt hoch, um es besser lesen zu können.

„Was denn?“

„Na, dieses Blatt, da steht ,Streng geheim’ drauf.“

Lutz bekam einen Schreck. Verdammt, ein ausgedrucktes Original von der Reichswehr! „Das habe ich bei meinen Patentrecherchen gefunden“, sagte er und faltete das Blatt zusammen, um es einzustecken. „Man muss sich schließlich informieren, ob nicht schon einer vorher die Idee gehabt hat.“

Sie merkte, dass er nicht die Wahrheit sagte, das spürte Lutz deutlich. „Wenn es von der Reichswehr ist, hat es sowieso keine Bedeutung mehr“, ergänzte er.

Sie ließ es dabei bewenden und sichtete die restlichen Unterlagen.

„Die Leute im Patentamt werden sich freuen, dass alles wieder so ausgezeichnet ausgearbeitet wurde. Man könnte meinen, jemand hätte es schon mal gemacht.“ Sie sah ihm in die Augen, als erwarte sie eine Antwort. Doch Lutz blieb stumm.

Paula sortierte die Dokumente in eine Mappe und ordnete ihren Schreibtisch. „Dann können wir jetzt gehen. Ich habe richtig Hunger. Sie hätten sich für die Einladung einen Tag aussuchen sollen, an dem ich schon gefrühstückt habe, das wäre billiger.“

Lutz grinste. „Das kann ich mir schon noch leisten, wenn Ihre Rechnungen nicht zu hoch ausfallen. Sie bestimmen, wo wir hingehen.“

Er steckte den Umschlag mit der Rechnung und das verdächtige Blatt ein.

Paula ging mit schnellen Schritten voran zu einem nahe gelegenen Steakhaus. Eigentlich hätte er es wissen müssen: Seine Paula aus der parallelen Realität liebte Steaks, und diese anscheinend auch.

Als sie die Karte studierten, sagte Lutz: „Darf ich raten? Rumpsteak mit Kräuterbutter, Maiskolben, Knoblauchbrot und Salat mit French Dressing.“

Sie sah ihn mit großen Augen an. „Wie sind Sie denn darauf gekommen? Haben Sie mich etwa heimlich beobachtet? Sie werden mir unheimlich, Herr Bachmann. Das Knoblauchbrot muss ich leider weglassen, ich habe noch einen Klienten.“

Nach dem Essen fragte Paula: „Könnte ich vielleicht das Schriftstück von vorhin noch einmal sehen? Das schien mir interessant.“

„Sie meinen das, auf dem ,geheim’ stand?“

„Ja!“

„Nnnnein“, entgegnete Lutz mit einem schelmischen Gesichtsausdruck.

„Warum nicht?“

„Das steht doch drauf, es ist geheim.“

Sie überlegte einen Moment. „Sie verheimlichen mir etwas.“

„Ja“, sagte er grinsend, „aber ich versichere Ihnen, es ist alles in Ordnung.“

Paula kräuselte die Lippen. „Ich werde es schon noch herausfinden. Ein Dokument der Reichswehr mit einem Datum von 1990 ist verdächtig. Wie kommt dieses Datum zustande?“ Er blickte wohl ziemlich überrascht drein, denn sie ergänzte: „Ich habe ein gutes Gedächtnis und einen Blick für solche Feinheiten. So ein Widerspruch entgeht mir nicht.“

Lutz überlegte, wie er das erklären konnte, ohne ihr die Wahrheit zu sagen. Es fiel ihm nichts ein. Er war so in Gedanken, dass er fast nach ihrer Hand gegriffen hätte, konnte aber den Impuls noch unterdrücken. Anscheinend nicht rechtzeitig genug, denn sie blickte kurz hinunter auf seine Hände.

„Sie machen doch hoffentlich keine krummen Dinger mit mir. Ich werde Sie sonst nicht mehr betreuen“, erklärte Paula.

„Wie ich bereits sagte, ich versichere Ihnen, dass alles seine Richtigkeit hat. Ich habe niemandem ein Patent gestohlen oder Derartiges. Sie müssen sich keine Sorgen machen.“

„Es würde mich trotzdem interessieren, was es mit diesem Dokument auf sich hat. Meine Neugier ist geweckt.“

„Ich verspreche, dass ich es Ihnen eines Tages erklären werde. Aber nicht heute. Vertrauen Sie mir.“

„Dann werde ich es nicht erfahren, denn Sie werden demnächst von meinem Chef, Herrn Pagel, betreut. Ich verlasse die Kanzlei.“

Lutz erschrak. „Nanu, warum denn das?“

„Ich glaube nicht, dass ich es Ihnen erklären muss“, sagte sie ernst.

„Verzeihen Sie, ich wollte nicht indiskret sein. Teilen Sie mir mit, wo Sie arbeiten werden, ich komme dann wieder zu Ihnen.“

„Sie wären bei meinem Chef gut aufgehoben, er ist sehr fähig und erfolgreich. Außerdem weiß ich noch nicht, wie ich weitermachen werde. Auf jeden Fall werde ich erst einmal mindestens drei Monate nichts tun. Sie sollten mit Herrn Pagel sprechen.“

Der Kellner brachte das Essen, und Paula machte sich hungrig über ihr Steak her. Nach einer Weile sagte sie: „Sie sehen so verdrießlich aus, dafür gibt es keinen Grund.“

„Doch. Ich habe mich an Sie gewöhnt und Sie als zuverlässig eingestuft.“

„Mein Chef ist auch sehr zuverlässig. Warum wollen Sie unbedingt, dass ich Sie betreue?“

„Sag ich nicht“, war seine kurze Antwort.

„Sie haben eine Menge Geheimnisse, Herr Bachman. Ich weiß nicht, ob das gut ist.“

„Ich hoffe, das weckt Ihre Neugier noch mehr. Sie könnten mich auch freiberuflich beraten, dazu brauchen Sie doch nicht Ihren Chef.“

Sie sah ihn intensiv, fast misstrauisch an. „Warum sind Sie so hartnäckig? Hat das einen Grund?“

„Selbstverständlich hat das einen Grund. Ich möchte, dass Sie meine Patente betreuen, ich finde Sie zuverlässig, und ich mag Sie. Ich werde demnächst eine Firma gründen. Wenn Sie wollen, stelle ich Sie ein.“

Paula war verblüfft. Sie mochte Lutz. Wenn er einfach nach ihrer Telefonnummer gefragt hätte, um in Kontakt zu bleiben, hätte sie wahrscheinlich nichts dagegen gehabt. Aber seine Hartnäckigkeit, sie an ihn zu binden, war schon fast grotesk. „Sie überraschen mich. Wir haben uns doch erst zwei Mal gesehen.“

„Ich habe das Gefühl, wir kennen uns schon jahrelang“, sagte er und dachte an die vergangenen Jahre, von denen sie natürlich nichts wissen konnte.

Nachdem sie das Restaurant verließen, gingen sie gemeinsam zurück, bis Lutz an seinem Wagen anhielt.

„Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu sehr unter Druck gesetzt, das täte mir leid. Aber mein Angebot, dass Sie mich weiter betreuen, war ernst gemeint. Auch das Angebot, Sie einzustellen.“

„Ich werde darüber nachdenken, Herr Bachmann. Vielen Dank für die Einladung.“

Sie war schon einige Meter gegangen, als Lutz seinen Fotoapparat zückte. „Frau Förster!“

Sie drehte sich um, und Lutz machte eine Aufnahme.

„Hey, was soll das?“, empörte sie sich.

„Nur zur Sicherheit, damit ich nicht vergesse, wie Sie aussehen!“, rief er ihr zu und verschwand in seinem Wagen.

Lutz machte täglich zahlreiche Fotos und sicherte sie abends auf einer der Speicherkarten aus der parallelen Realität. Er hatte sie mit einem eingeritzten Kreuz markiert. Damit seine Freunde etwas über seine Gegenwart erfuhren, hatte er auch Nachrichten und politische Dokumentationen aufgenommen.

Während Lutz sich mit seinen mitgebrachten Daten beschäftigte, rief Lehmann an. Er fragte ihn, ob er in zwei Tagen Zeit hätte für ein Treffen mit Frau Bernstein, der Waffenfabrikantin, und Herrn Peterson. Sie wollten sich in Frau Bernsteins Berliner Wohnung treffen und einen Plan für ihr weiteres Vorgehen ausarbeiten. Lutz sagte zu und notierte sich die Adresse.

1 Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung von Angehörigen ehemaliger Wehrmachtsangehöriger

Mitstreiter

L utz konnte nicht alles alleine machen. Wenn er mit Lehmann und den anderen handelseinig wurde, kam eine Menge Arbeit auf ihn zu. Die Pläne für Flugzeuge und Raketen mussten um gezeichnet und überarbeitet werden. Lutz brauchte zuverlässige Leute, die ihn unterstützten, zum Beispiel einen Softwerker, der die Programme für die hier verwendeten Computer umschrieb und neu kompilierte.

Felix war ein guter Programmierer, früher hatte er viel für die freie Software entwickelt und war aktiv im KDE2-Projekt tätig. Vielleicht könnte er wenigstens die CAD-Programme so anpassen, das sie auf einem PC laufen.

Auch ein Flugzeugkonstrukteur war unbedingt notwendig, ebenso wie ein Fachmann für die Hochleistungstriebwerke der Trägerflugzeuge. Lutz nippte gedankenverloren an seinem Kaffee.

Er erinnerte sich, auf einer Feier bei seinem Kollegen Frank mit ein paar Leuten über die Geheimprojekte der Wehrmacht gesprochen zu haben. Darunter war auch eine Flugzeugkonstrukteurin gewesen, wenn Lutz sich richtig erinnerte. Sie hatte sich bitterböse darüber beklagt, dass sie als Frau in der Branche keine richtige Stelle bekomme, sondern nur als bessere technische Zeichnerin eingesetzt werde.

Lutz rief seinen Kollegen Frank an, um ihn nach der Telefonnummer zu fragen, anschließend rief er die Frau an.

„Hallo, Susanne? Ich bin Lutz Bachmann, wir haben uns vor einiger Zeit bei Frank Wächter kennengelernt und uns über Geheimwaffen des Dritten Reichs unterhalten, kannst du dich erinnern? Nicht? Spielt auch keine Rolle. Du sagtest damals, dass du Flugzeugkonstrukteurin bist und keinen vernünftigen Job bekommst, weil alle nur Männern so etwas zutrauen. Bist du zurzeit in Lohn und Brot? Eine Halbtagsstelle, aha. Ich würde mich gerne mit dir über ein Projekt unterhalten. Hättest du Interesse? Es geht um ein Flugzeugdesign, ein eigener Entwurf. Na klar sollten wir uns treffen, wann kannst du denn? Heute Abend ist klasse. Was hältst du von dem irischen Pub im Einkaufszentrum? Prima, dann bis heute Abend. Tschüs.“

Lutz suchte in seinem Datenberg nach Zeichnungen von den Flugzeugen. Fotos konnte er nicht mitnehmen, das würde viele Fragen aufwerfen. Er druckte zwei Entwürfe aus. Der eine zeigte ein zweimotoriges Kampfflugzeug mit Propeller, das andere Bild zeigte das Trägerflugzeug für die Raumfähre.

Lutz überlegte, ob er die Hoheitszeichen entfernen sollte, denn auf den Bildern war natürlich das Balkenkreuz der Wehrmacht zu sehen. Er ließ es so. Wenn sie danach fragte, dann war es eben eine Marotte des Konstrukteurs. Schließlich stellte er die Leistungsdaten des Flugzeugs zusammen, die er gemeinsam mit einer anderen Grafik ausdruckte.

Susanne war noch nicht da. Er setzte sich an einen kleinen Tisch und bestellte sich ein Kilkenny. Hoffentlich würde er sie wiedererkennen!

Lutz bemerkte nach einer Weile eine Frau, die sich unsicher umschaute.

„Susanne!“, rief er. Sie drehte sich um und kam auf ihn zu.

„Lutz?“

„Ja, setz dich.“

Sie nahm Platz und bestellte sich ein Guinness.

„Du sagtest, du hast einen eigenen Flugzeugentwurf? Ich wusste gar nicht, dass du auch Flugzeuge entwirfst. Wie kann ich dir dabei helfen?“, fragte sie ihn, nach dem sie einen kräftigen Schluck Guinness getrunken hatte.

„Die Sachlage ist ein wenig kompliziert, aber darauf möchte ich im Moment nicht näher eingehen. Ich habe mehrere Flugzeugentwürfe, die ich realisieren möchte. Dazu brauche ich einen zuverlässigen Konstrukteur ‒ oder eine Konstrukteurin. Ich werde demnächst das Institut verlassen, in dem ich mit Frank zusammen arbeite, und eine eigene Firma gründen.“

Sie lachte kurz auf. „Weißt du, was das für eine Arbeit ist und was das für einen Haufen Geld kostet? Der Militärtransporter A400 hat mehr als zwanzig Milliarden gekostet und acht Jahre gedauert. Da brauchst du aber einen guten Mäzen.“

„Ich habe verschiedene Patente beantragt, da wird dann sicher Geld fließen. Übermorgen werde ich die Daten des Flugzeugs einer Flugzeugfirma vorstellen, die diese wiederum der Luftwaffe unterbreitet.“

„Das wird ein Kampfflugzeug?“

„Das eine ja, das andere nicht.“

Sie sah ihn an und schüttelte den Kopf. Lutz griff in seine Tasche. Er gab ihr die Computergrafik des zweimotorigen Kampfflugzeugs und den Ausdruck mit den technischen Daten.

„Sieht gut aus“, bemerkte sie anerkennend, „aber ein Turboprop mit den Daten gibt es nicht.“

„Wird es aber bald geben“, entgegnete er. „Die Entwicklung läuft bereits.“

„Das schaffst du nicht. Das Einzige, was du machen kannst, ist, damit bei EADS oder einer anderen Firma vorstellig zu werden. Die Amerikaner haben immer Interesse an ausgefallenen Ideen. Sei mir nicht böse, ich hätte wahnsinnige Lust, bei diesem Projekt mitzumachen, aber ich sehe keine Möglichkeit, das ohne einen wirklich großen Partner durchzuziehen. Wie viele Konstrukteure hast du denn schon?“

Er grinste. „Du bist die Erste.“

Jetzt lachte sie schallend. „Du bist ein Traumtänzer, das funktioniert nicht.“

Lutz wurde wieder ernst. „Doch, es wird funktionieren. Der Entwurf ist komplett fertig, das Flugzeug ist vollständig durchkonstruiert. Man muss es nur noch bauen.“

„Und das hast du gemacht?“

„Nein, aber ich soll die Entwürfe realisieren.“

„Wird der Konstrukteur mit dabei sein?“

„Nein, er lebt nicht mehr.“ Das entsprach zwar nicht der Wahrheit, aber eine andere Erklärung konnte er ihr jetzt nicht geben. Vielleicht später.

„Was ist das andere für ein Flugzeug?“

Er reichte ihr die Zeichnung. Sie sah sich die Grafik an und bekam große Augen. „Das ist nicht dein Ernst. Das ist doch der Entwurf für das Projekt Sänger!3 Hast du vielleicht dafür auch schon die Pläne?“

„Ja“, sagte er lächelnd, „alles fertig.“

Sie trank mit einem Zug den Rest ihres Bieres aus und bestellte sich ein neues. Lutz schloss sich an. Während sie auf die Getränke warteten, studierte sie eingehend die Entwürfe.

Plötzlich hörte Lutz jemanden seinen Namen rufen. Felix kam an ihren Tisch. „Hey, Lutz, schön, dich hier zu treffen! Ich wollte ein Bier trinken und eine Kleinigkeit essen. Darf ich mich zu euch setzen, oder wollt ihr lieber alleine sein?“

„Setz dich hin, Felix. Das ist eine geschäftliche Besprechung.“ Er stellte Felix und Susanne einander vor. „Programmierst du eigentlich noch?“, fragte er.

„Die letzte Zeit nicht, aber das wird demnächst wieder mehr. Ich habe zwei Mitarbeiter, die sind zuverlässig und richtig gut. Da kann ich mir wieder etwas mehr Zeit nehmen.“

Der Kellner brachte das Bier. Felix gab seine Bestellung auf, und Lutz und Susanne bestellten sich ebenfalls etwas zu essen.

„Warum fragst du, hast was zu programmieren?“, nahm Felix den Faden wieder auf.

„Ich habe ein Konstruktionsprogramm, das müsste für PC angepasst und neu kompiliert werden. Ebenso der Compiler für die Sprache, in der es geschrieben wurde.“

„Also nicht C++, was dann?“

„Es ist eine grafische, objektorientierte Programmiermethode. Man muss nicht mehr kilometerlangen Text schreiben. Ist eine prima Sache.“

Felix überlegte kurz. „Davon habe ich noch nichts gehört. Von welcher Firma ist das?“

„Von mir“, antwortete Lutz.

„Und dieses Konstruktionsprogramm, was konstruiert das?“, hakte Felix nach.

„Unter anderem Flugzeuge.“

Susanne schaute bei diesen Worten hoch.

„Das da?“, fragte Felix und deutete auf die Zeichnungen.

„Ja“, sagte Lutz.

„Sind das Sachen aus deinem Datenbestand, den du neulich sichern wolltest und aus einem Paralleluniversum mitgebracht hast?“

Susanne schaute wieder hoch als Felix das Wort Paralleluniversum erwähnte.

„So ist es“, sagte Lutz.

„Paralleluniversum?“, fragte Susanne ungläubig. „Ihr spinnt! Jetzt mal im Ernst, Lutz. Woher hast du die Sachen? Eine komplette Flugzeugkonstruktion stellt einen Milliardenwert dar, das gibt doch keiner einfach weg. Selbst wenn der Hauptkonstrukteur nicht mehr lebt, hat die Firma, die das bezahlt hat, die Finger drauf. Das kannst du nicht einfach für dich verwenden!“

Bevor Lutz antworten konnte, schaltete sich Felix ein. „Was sollst du machen? Bist du auch Informatikerin?“

„Nein, ich bin Flugzeugkonstrukteurin. Lutz fragt mich, ob ich bei der Umsetzung eines Entwurfs mitmachen will, der komplett fertig ist.“

„Cool“, war Felix’ Kommentar. „Und du bist jetzt skeptisch, wo das herkommt.“

„Ja, aber auch die Finanzierung sehe ich nicht.“

„Was hast du eigentlich vor?“, fragte Felix. „Willst du plötzlich Flugzeugbauer werden? Das ist doch eigentlich gar nicht dein Metier. Du bist doch eher auf Raketen spezialisiert. Wie kommt das?“

Lutz schwieg einen Moment. „Ich habe ein Ziel.“ Die beiden anderen warteten darauf, dass er fort fuhr. Aber er sagte nichts, sondern holte ein weiteres Blatt aus der Tasche, faltete es auseinander und legte es auf den Tisch. Susanne und Felix beugten sich vor.

„Donnerwetter“, bemerkte Felix.

„Soll das ein Raumschiff sein?“, fragte Susanne.

„Ja“, antwortete Lutz, „das ist das Ziel.“

Susanne holte das Blatt mit dem Trägerflugzeug hervor. „Und damit willst du das Material zum Bauen in die Umlaufbahn bringen?“

„Genau.“

„Und wofür ist das Kampfflugzeug?“, fragte Felix.