Leben mit Parkinson - Helmut Schröder - E-Book

Leben mit Parkinson E-Book

Helmut Schröder

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  • Herausgeber: TRIAS
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Lebensglück trotz Parkinson

Morbus Parkinson ist eine der häufigsten Erkrankungen des Nervensystems, verursacht durch einen Mangel des Neurotransmitters Dopamin. Betroffene und Angehörige sind zu Beginn der Diagnose oft verängstigt und unsicher. Dr. Helmut Schröder schildert in seiner Doppelrolle als Arzt und Patient Mut machend und humorvoll, was Parkinson-Erkrankte und ihre Partner bewegt und wie man sich Alltagskompetenzen erhält.

  • Umgang mit der Krankheit: von Akzeptanz zur aktiven Lebensgestaltung
  • Medizinische Hintergründe einfach erklärt: erste Symptome, Krankheitsverlauf und Perspektiven
  • Was wirklich hilft: L-Dopa, Physiotherapie, Autogenes Training

Erfahren Sie, wie Sie die Hürden im Alltag meistern und trotz Parkinson ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 210

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Leben mit Parkinson

Achterbahn für Fortgeschrittene: Selbstbestimmt und lebensfroh trotz Parkinson

Dr. med. Helmut Schröder

2. Auflage 2023

10 Abbildungen

Liebe Leserin, lieber Leser,

© wacomka/stock.adobe.com. Edited by Thieme

so unangenehm und ängstigend die Diagnose Parkinson sein kann, es gibt wirklich keinen Grund zu resignieren. Ich habe seit 17 Jahren Gelegenheit, mich an diesen schroffen Begleiter zu gewöhnen. Das Leben bleibt in jedem Fall lebenswert! Es kommen neue, andere Erlebnisse und Sichtweisen hinzu, die das Leben ohne Parkinson nicht geboten hätte. – Ich will da nichts schönreden: Es gibt mit diesem »Lebensgefährten Parkinson« eine Menge Unannehmlichkeiten. Ich war fast 50 Jahre alt, als ich diese Verbindung eingehen musste. Meine Frau Tamara hat sich mit dieser Dreiecksbeziehung ebenfalls abfinden müssen. Auch wenn man sich phasenweise ganz erbärmlich fühlt, es kommen immer wieder Zeiten der Erleichterung, der Entlastung, der Freude. – Der Vergleich mit der Achterbahn liegt nahe. Es ist wirklich ein unglaubliches Auf und Ab, ein Wechselbad der Gefühle, der Körper zwischen Überbeweglichkeit und Bewegungslosigkeit, zwischen On und Off. Zeitweise kann uns Parkinson-Patienten nichts mehr schocken, zeitweise sind wir empfindlich und weinerlich.

Ich erzähle Ihnen, wie sich mein Leben durch Parkinson verändert hat und was mir hilft, mit dieser Erkrankung zu leben. Die Besonderheit dieses Buches ist sicherlich, dass ich Ihnen nicht nur die Patientensicht schildere, sondern als Psychiater und Psychotherapeut auch die medizinische und psychologische Seite von Parkinson beleuchte. Ich hoffe, dass meine – durchaus kurzweiligen – Schilderungen Ihnen helfen, sich mit Parkinson zu arrangieren, und die Achterbahnfahrt an Schrecken verliert.

Langenhagen, Sommer 2014

Ihr Dr. med. Helmut Schröder

Inhaltsverzeichnis

Titelei

Liebe Leserin, lieber Leser,

Plötzlich Parkinson

Parkinson als Lebensgefährte

Ordnung und Geduld helfen

Ich konnte keine Rechtskurve mehr fahren

»Ich habe fertig«

Kein Hirntumor, sondern Parkinson

Bei Parkinson fehlt Dopamin

Oft bestehen zunächst prämotori-sche Symptome wie Riechstörungen

Wie meine Familie es aufnahm

Irgendwann merkte es jeder

Es fühlte sich beinahe wie Muskelkater an

Im Off kann ich nur noch Schlurfen

Die Feinmotorik ist auch betroffen

Das Anziehen fällt schwer

Beim Essen geht oft was daneben

Wir sprechen schnell, leise und nuschelig

Mimische Starre: ungewolltes Pokerface

Auch mein Blutdruck fährt Achterbahn

Ach ja, einen Herzinfarkt hatte ich auch noch

Wie es beruflich weiterging

Jetzt weiß ich auch, wie sich Panikattacken anfühlen

Wie wird Parkinson diagnostiziert?

Die Hauptsymptome

Unspezifische Beschwerden (»Vorläufersymptome«)

Spezifische Beschwerden

Anfreunden oder nur »entfeinden«?

Den Dämon »Parkinson« enttarnen

Parkinson hat nicht nur Schattenseiten

Kleiner Rückblick auf meine jungen Jahre

Beim Zivildienst sah ich Parkinson in seiner schwersten Form

Schlüsselerlebnis für meine Berufswahl

Partnerschaftskonflikte: Bosheiten aus dem Off

Auch Engeln reißt mal der Geduldsfaden

Ein sinnloser Ehestreit im Off

Den Humor nicht verlieren!

Humor ist, wenn man trotzdem lacht

Mutterwitz

Meine Doppelrolle als Arzt und Patient

Ich horche viel in meinen Körper hinein

Parkinson täuschte mir einen Herzinfarkt vor

Parkinson ist oft schwer erkennbar

Anfängliche Fehldiagnosen

Sind Ärzte gute Patienten?

Ich genieße eine gewisse Sonderbehandlung

Ich lasse mich ungern zurechtweisen

Einfühlungsvermögen ist essenziell

Unbedachte Worte können wie Keulenschläge wirken

Ein mitfühlender Satz ist dagegen wie Balsam

Gegenseitiges Prüfen: Wer weiß mehr über Parkinson?

Viele überlassen mir sofort das Feld

Als »Doppeltversteher« fühle ich mich wohl

Einige Visiten sind nicht »das Gelbe vom Ei«

Uneinigkeit bei Medikamenten

Ein Arzt hatte das Kleingedruckte übersehen

Die psychische Seite von Parkinson

Eine Krankheit ist auch eine Kränkung

Wie spielen Patient und Partner zusammen?

Aggressionen aus heiterem Himmel

Vorsicht vor Überfürsorglichkeit!

Festgefahrenes Rollenverhalten erkennen

Offene Aussprachen

Vorwürfe bringen Sie nicht weiter

Im Bett wird es ruhiger

Eine reaktive Depression ist ganz natürlich

Schlafstörungen und Träume

Wie sich Parkinson bei mir im Traum zeigte

Lautes Rufen im Schlaf

Häufiger Harndrang

Bett und Matratze anpassen

Innere und äußere Ordnung herstellen

Nie ohne Handy aus dem Haus gehen!

Umgang mit Parkinson in der Öffentlichkeit

Auch mir sind Trippelschritte peinlich

Parkinson in Schach halten

Alles dreht sich ums Dopamin

Teamplayer: L-Dopa und seine Mannschaft

Die Apomorphinspritze wirkt schnell und stark

Knotenbildung an den Einspritzstellen der Bauchhaut

Segensreich: das Rotigotin-Pflaster

Professor Odin – ein Profi für mich allein

Machen Sie sich schlau!

Studieren Sie Ihre Medikamente

Wechselwirkungen

Tiefe Hirnstimulation (»Hirnschrittmacher«)

Alltagskompetenz fördern und erhalten

Wie ich zur Malerei kam

Ergotherapie im Wandel

Im Rhythmus und bei Stimme bleiben

Physiotherapie ist unverzichtbar

BIG ist großartig

Seit einer Bootstour habe ich Angst vor wackeligem Untergrund

Logopädie: laut und deutlich sprechen

Mit Parkinson leben

Anleitung zum Glücklichsein

Der Mann mit dem Hammer

Neue Wege suchen

Die Fähigkeit zur Freude kultivieren

Hans im Glück

Abschied nehmen von verlorenen Fähigkeiten

Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere

Gehen, wenn es am schönsten ist

Kleines Glück und Off-Management

Prinz auf der Erbse: Im Off stört jede Falte

Schwer, aber hilfreich: Störungen hinnehmen

Dank Parkinson mag ich jetzt Hunde

Spielspaß

Sport und Bewegung: Parkinson Beine machen

Für Sicherheit sorgen

Mit Halluzinationen umgehen

Man sieht und hört Dinge, die nicht da sind

Das psychotische Erleben ist nur von kurzer Dauer

Ich »sah« eine lange Wäscheleine mit meinen Bildern

Sturzgefahren erkennen und vermeiden

Haltegriffe in der Wohnung anbringen lassen

Im Off gefangen

Rechtzeitig mit dem Autofahren aufhören

Fahrradfahren ist lange möglich

Not macht erfinderisch

Vorausschauend handeln

Mit Autogenem Training entspannen

Meine Lehrjahre bei Prof. Werner Stucke

Basisübungen des Autogenen Trainings

Die Eingangsformel

Erleben der Schwere

Passives Atemerleben und aktive Atemübungen

Wärmeerleben und vegetatives Nervensystem

Den Blutdruck senken

Bauchwärme (Sonnengeflechtsübung)

Das Erleben des Herzens

Die Stirnkühle-Übung (Kopfübung)

Das autogene Prinzip

AT-Übungen für Fortgeschrittene

Imagination: Die Kraft innerer Bilder nutzen

Formelhafte Vorsätze anwenden

Was uns Tag für Tag hilft

Ganz wichtig!

Hilfreiche Maßnahmen

Im Blick haben

Schlusswort von Tamara Schröder

Danksagung und Nachwort

Wie es mir nach der Hirn-OP geht

Service

Hilfreiche Internetseiten

Bücher zum Weiterlesen

Autorenvorstellung

Sachverzeichnis

Impressum

© wacomka/stock.adobe.com. Edited by Thieme

Plötzlich Parkinson

Das ist für jeden ein Schock, wenn man die Diagnose Parkinson erhält. Auch für mich als Arzt kam sie überraschend und ich war sehr erschüttert und deprimiert.

Parkinson als Lebensgefährte

Seit meinem 49sten Lebensjahr ist Parkinson mein ständiger Begleiter. Ich habe ihn zwar nicht in mein Leben eingeladen, aber dennoch teilt er täglich Tisch und Bett mit mir.

Bis Parkinson in mein Leben trat, hatte ich in meinen früheren Jahren alles in allem recht viel Glück gehabt. Wenn ich mich als jungen Mann beschreiben sollte, würde ich mir diese Eigenschaften zuordnen: sorglos, lustig bis albern, kontaktfreudig, etwas ängstlich und nervös, vielleicht auch manchmal arrogant wirkend. Vielleicht ist arrogant nicht ganz der treffende Ausdruck. Ich war zwar auch mitfühlend und verantwortungsbewusst, aber habe mich gelegentlich über andere Menschen lustig gemacht.

Bis in mein Medizinstudium hinein war ich noch ziemlich unreif. Vielleicht erweckt die Verbindung von geringer Erfahrung mit hohen Ansprüchen an die Zukunft (Medizin studieren zu wollen) insgesamt das Bild leichter Überheblichkeit. Damals war ich 20, jetzt werde ich 66 Jahre alt. Inzwischen scheint es mir mit den Erfahrungen und den Ansprüchen an die Zukunft umgekehrt zu sein: Meine Erwartungen an die Zukunft sind geringer, die Erfahrungen mit Parkinson und Medizin sind demgegenüber groß.

Jetzt dürfte ich also nicht mehr überheblich, sondern eher bescheiden wirken. Aber Spaß beiseite: Es muss doch ein Sinn darin zu finden sein, dass ganz überwiegend Menschen in der zweiten Hälfte ihres Lebens, also reifere Menschen, von dieser Krankheit heimgesucht werden. Offenbar setzt Parkinson zu haben oder zu bekommen eine gewisse Reife voraus. Welche sonstigen Eigenschaften außer Reife sind noch gefragt, um Parkinson in das eigene Leben integrieren zu können?

Ordnung und Geduld helfen

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Mitpatienten in der Elena-Klinik in Kassel. Auf einem Spaziergang hatte ich von ihm erfahren, dass er Berufssoldat in einer hohen Stellung war und die gleiche Anzahl von Parkinson-Jahren auf »dem Buckel« hatte wie ich. Er setzte auf Disziplin als taugliches Instrument. Ich war – letzten Endes unter dem Einfluss meiner Frau – der Meinung, dass Ordnung halten wesentlich dazu beiträgt, Parkinson besser zu »beherrschen«. Später stellten wir beide fest, dass Disziplin und Ordnung viel miteinander zu tun haben. Immerhin lautet das lateinische Wort für Schüler »Discipuli«, das sind bekanntlich diejenigen, die noch Ordnung und Disziplin lernen müssen.

Weitere Tugenden, die Menschen mit Parkinson gebrauchen können, sind eine riesige Portion Geduld, Ausdauer und eine zuversichtliche Grundhaltung. Dies sind Eigenschaften, die zwar auch bei gesunden Menschen helfen, die aber unter der Bürde Parkinson eine besondere Bedeutung bekommen. Die krankheitsbedingten Umstände können mich befähigen, Freude über kleine Dinge zu erleben, mich über viele Kleinigkeiten des Alltags freuen zu können.

Disziplinarisch war mit mir in der Schulzeit alles in Ordnung. Nur bei der Wehrdienstzeit war ich insofern »aufsässig«, dass ich den Kriegsdienst verweigerte. Bei fortgesetzter Militärlaufbahn hätte ich wahrscheinlich gelernt, Ordnung zu halten. Meine sportlichen Hobbys waren hauptsächlich Fußballspielen, Langstreckenlaufen, Tennis und Bowling. Dabei hatte ich früher nie körperliche Schwierigkeiten gehabt, bis auf eine kleine Knieoperation vor 20 Jahren, die mich zu einer 8-wöchigen Pause zwang. Ich ging wie selbstverständlich davon aus, dass ich alle diese Sportarten bis ins höhere Alter ausüben könnte. Skilaufen habe ich erst mit 30 Jahren erlernt und es nie besonders gut gekonnt. Ich genoss eher die Winterlandschaft in den Bergen als das Skilaufen selbst. Insofern konnte ich auf diese Sportart noch am ehesten verzichten, auch wenn damit alles begann …

Bei meinem allerletzten Skilaufen herrschte schlechtes Wetter mit häufigen Stürmen und sulzigem Schnee. Davon muss ich jetzt berichten.

Ab 60 wird Parkinson häufiger

Die Parkinson-Krankheit nimmt zwar im Alter deutlich zu, dennoch kann sie nicht als ausgesprochene Alterskrankheit bezeichnet werden. Etwa 0,5 % aller 60-Jährigen leiden daran; bei den 80-Jährigen sind es ca. 3 %. Seltener tritt die Erkrankung vor dem 40sten Lebensjahr auf; es sind aber immerhin durchschnittlich 8 % der Patienten jünger als 40 Jahre zum Zeitpunkt der Diagnosestellung. Das mittlere Alter bei Erkrankungsbeginn liegt bei 60 Jahren. Ich selbst bekam die Krankheit mit 49 Jahren und gehöre damit zu den etwas Jüngeren, aber natürlich nicht zur Gruppe der jungen Parkinson-Patienten. Etwa ein Drittel aller Patienten sind Frauen, zwei Drittel sind Männer.

Ich konnte keine Rechtskurve mehr fahren

Anfang April 1998 war ich mit meinem Schwager Helmut in der Hintertuxer Gletscherregion für einige Tage zum Skifahren. Helmut hatte ein Schnäppchen gemacht: Das wunderschöne Hotel mit exzellenter Küche war für einen sehr günstigen Preis zu haben.

Am 2. Tag merkte ich auf der Skipiste, dass irgendetwas beim Abfahren nicht stimmte: Es fiel mir alles extrem schwer und ich hatte keinen richtigen Spaß mehr an der Sache. Es war ein sehr windiger Tag, und ich führte meine Unsicherheit zunächst auf den starken Wind zurück. An der Talstation traf ich meinen Schwager Helmut wieder, ein sehr guter Skiläufer, der quasi früher mein Privat-Skilehrer war. Er rief mir entgegen: »Ist das ein Sturm heute!«

Ich sagte ihm, dass ich mich schlecht fühlte und am liebsten ins Hotel zurückgehen wollte. Er stimmte sofort zu. Wir relaxten im Hotel und freuten uns auf das leckere Abendessen. Das Essen war vielseitig und es waren sicher interessante Speisen, aber ich konnte kaum etwas davon schmecken. Vielleicht hätte mir sogar eine Currywurst mit Pommes besser geschmeckt. Helmut aß mit sehr gutem Appetit und fand alles köstlich.

Am nächsten Morgen machten wir uns wieder auf zur Skipiste. Jetzt wurde mir klar, dass ich überhaupt keine Rechtskurve mehr fahren konnte: Wenn man den linken Ski belastet, fährt man bekanntlich nach rechts herum. Aber es funktionierte nicht mehr bei mir. Ich war ratlos und musste Helmut mitteilen, dass es keinen Zweck mehr hatte. Am Abend konnte ich im Hotelrestaurant wieder kein Hähnchen von Schweinefleisch unterscheiden. Ich tröstete mich und sagte mir, es ist vielleicht irgendein Virus, den ich ausbrüte und der mir diese Beschwerden bereitet.

»Ich habe fertig«

Abends sahen wir »Das aktuelle Sportstudio«. Wir sollten Zeugen eines »sport-historischen Ereignisses« werden. Die denkwürdige und ungewollt lustige Wutrede des Trainers Trappatoni (damals Bayern München) munterte uns auf. An diese drollige Gardinenpredigt habe ich später noch manchmal denken müssen:

»Ein Trainer ist kein Idiot. Er sehen, was passiert auf dem Feld. Ihr habt gespielt wie Flasche leer! Was erlauben Strunz? Ich habe fertig!«

Hätte Trappatoni damals für mich und für meine Wut gesprochen, hätte er sagen können: »Ein Trainer ist kein Idiot. Er sehen, was passiert auf dem Skihang. Was erlauben Parkinson? Schröder ist gefahren wie Flasche leer. Ich habe fertig!«

Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich selbstverständlich noch nicht, dass ich im österreichischen Hintertux das letzte Mal in meinem Leben Ski gelaufen war. Später habe ich, wenn meine Mitreisenden sich auf den Skipisten tummelten, zauberhafte leichtere Wanderungen im Schnee unternommen. Es war mehr als nur ein Ersatz fürs Skilaufen. Oder war diese Art des Winterurlaubs nicht sogar besser?

Kein Hirntumor, sondern Parkinson

Zu Hause in Langenhagen angekommen, bemerkte ich beim Aufschließen der Tür eine Unsicherheit in der linken Hand. Ich war erschrocken. Eine neurologische Halbseitensymptomatik mit Riechstörung, das konnte ich fachlich vermuten, kann ein raumfordernder Prozess im Gehirn, also ein Hirntumor sein!

Eine Störung des Geruchssinnes (Anosmie) bewirkt auch eine erhebliche Störung des Geschmackserlebens. Ich erzählte alles meiner Frau, aber sagte ihr nichts von meiner Vermutung mit dem Hirntumor. Meine erfahrene Kollegin Frau Dr. Gesine Koch-Wagner tröstete mich: »Zwar müssen wir einen Hirntumor ausschließen, aber deine Symptomatik spricht eher für Parkinson!« Das konnte in diesem Moment nur ein schwacher Trost sein, ich wusste ja, dass man an Parkinson nicht stirbt, wie es durch einen Hirntumor möglich gewesen wäre. Ich bekam von meiner Kollegin ein Medikament verschrieben, das zu den sogenannten Dopaminagonisten zählt.

Da ich meine Beschwerden unter diesem dopaminähnlichen Wirkstoff verlor und scheinbar wieder gesund war, war dies leider eine Bestätigung der Diagnose: Morbus Parkinson. Dr. Koch-Wagner erklärte mir nach einer kurzen Beobachtungszeit, dass ich die sogenannte Rigor-Dominanz-Form der Erkrankung habe. Das ist die Form, bei der die Muskelanspannung im Vordergrund steht. Bei anderen Zustandsbildern steht das Zittern an erster Stelle, das ist der Tremor-Dominanz-Typ. Beide Formen haben ihre »Vor- und Nachteile«, aber beide sind nun mal Parkinson.

Bei Parkinson fehlt Dopamin

Ohne diesen Botenstoff können die unwillkürlichen Bewegungen nicht fließend ablaufend. Parkinson-Patienten müssen den Neurotransmittermangel durch regelmäßige Medikamenteneinnahmen ausgleichen.

Neben Alzheimer und Multipler Sklerose ist die Parkinson-Krankheit eine der großen degenerativen Erkrankungen des Nervensystems. Im Zwischenhirn sind die dunkel gefärbten Nervenzellen der Substantia nigra von einer frühzeitigen Degeneration betroffen. Diese – durch einen hohen Gehalt an Melanin fast schwarz aussehenden – Hirnzellen verlieren die Fähigkeit, den wichtigen Botenstoff Dopamin herzustellen. Für die Übermittlung von Bewegungsimpulsen aller unwillkürlichen Bewegungsabläufe ist der Neurotransmitter Dopamin erforderlich. Das sind die Bewegungen, über die wir nicht nachdenken müssen, die sozusagen automatisch erfolgen. Die unwillkürlichen Bewegungen werden neurologisch als »extrapyramidale Motorik« bezeichnet, weil sie nicht über die Pyramidenbahnen der Großhirnrinde laufen und damit unbewusst bleiben.

Bereits zu Beginn der Erkrankung steht dem Parkinson-Patienten nicht einmal mehr die Hälfte des erforderlichen Dopamins zu Verfügung. Das degenerative Geschehen lässt sich an manchen pathologischen Ablagerungen in den Nervenzellen wie Lewy-Körperchen oder alpha-Synucleinen feststellen, aber die Forschung hat noch keine endgültigen Ergebnisse, die beweisend sind für die Ursachen der Erkrankung.

Oft bestehen zunächst prämotori-sche Symptome wie Riechstörungen

Sehr zu beachten ist eine Theorie des Beginns der Erkrankung im Rahmen eines entzündlichen oder toxischen Geschehens im Magen-Darm-Trakt mit nachfolgender Ausbreitung über den Hirnstamm. Bevor die ersten Störungen der Motorik auftreten, werden die sogenannten prämotorischen Symptome beobachtet. Dazu gehören Riechstörungen, verminderte Darmbewegungen und allgemeine Symptome, wie erhöhte Stressanfälligkeit, Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Störungen der Temperaturregulation, allgemeine Minderung der Leistungsfähigkeit, Rücken- und Herzschmerzen. Erst relativ spät machen sich in den Folgejahren die motorischen Störungen bemerkbar.

Wichtig zum Verständnis der Pathophysiologie der Parkinson-Krankheit ist noch, dass die Nervenzellen in der Substantia nigra nicht nur kein Dopamin mehr produzieren, sondern auch, dass in den Zellen kein Dopamin mehr gespeichert werden kann. Im gesunden Zustand wird das abrufbereite Dopamin in kleinen Vesikeln (Bläschen) gespeichert, wodurch eine kontinuierliche Ausschüttung gewährleistet ist und der Mensch alle Bewegungen ungehemmt ausführen kann. Beim Parkinson-Kranken ist durch den Verlust der Speicherungsfähigkeit des Dopamins keine dauernde Ausschüttung im Sinne eines Fließgleichgewichtes und damit keine gleichmäßige Bewegung mehr möglich. Daher müssen häufigere und regelmäßige Einnahmen der dopaminenthaltenden Medikamente erfolgen und die Uhrzeiten der Tabletteneinnahme möglichst genau eingehalten werden. Den Anordnungen der Neurologen muss man folgen.

Wie meine Familie es aufnahm

Die Diagnose Parkinson trafen meine Frau Tamara, unsere 15- und 25-jährigen Töchter und mich selbst sehr heftig. Meine Frau schildert hier, wie es ihr damit erging.

Tamara

Wir packen es zusammen!

Unsere Töchter und ich haben zuerst gar nicht gewusst, was die Parkinson-Krankheit eigentlich genau bedeutet. Wir dachten nur, dass es etwas ganz Schlimmes ist, was unser Leben stark beeinträchtigen wird. Jetzt stellten unsere Töchter und ich Helmut erst einmal viele Fragen zu der Krankheit und schauten auch in einem Gesundheitsbuch nach. Das Internet war damals noch nicht so aktuell.

Ich weiß noch, dass die erste Nacht die allerschlimmste war. Ich hatte mich gedanklich so sehr mit der Krankheit beschäftigt und mir plötzlich alle Horrorszenarien vorgestellt, dass ich am ganzen Körper zitterte: Ich hatte große Angst. Es war so, als ob ich gar nicht mehr atmen konnte. Ich rang mit mir, Helmut zu wecken – aber ich wollte ihn in dieser Lage nicht zusätzlich belasten.

Ich war froh, als die Nacht zu Ende war und wir wieder miteinander reden konnten. Es ging ihm doch eigentlich ganz gut, so schlimm kann das doch alles gar nicht sein und werden. Ich versuchte, mich immer wieder aufzumuntern. Im Laufe des Tages wurde ich ein wenig zuversichtlicher, Helmut nahm mir die Angst, denn er sprach beruhigend auf mich ein und erklärte mir noch einmal die Symptome. Es beruhigte mich auch sehr, dass es Medikamente dagegen gibt.

Ich hatte aber plötzlich viele Erinnerungen an meinen Vater, der schon mit 42 Jahren eine Gehirnblutung erlitt, halbseitig gelähmt und fast blind war. Da dachte ich, dass jetzt auch bei meinem Mann Pflege, Rücksichtnahme, Hilfe und Fürsorge angesagt seien, und dass das partnerschaftliche Leben ein Ende habe.

Ein Regenbogen gab uns Zuversicht

Da Helmut erst einmal 3 Wochen krankgeschrieben war, blieb er ja zuhause. Wir wollten trotz des unbeständigen, regnerischen Wetters einen kleinen Spaziergang im Park machen. Wir zogen uns ein bisschen wärmer an. Es war Anfang Mai. Wir schlenderten Hand in Hand durch den Wald auf einem schönen Weg durch die Natur, als uns plötzlich einige Sonnenstrahlen erreichten. Wir freuten uns, ich legte meinen Schal ab und es wurde schön warm. Der Spaziergang brachte uns Erleichterung und die Stimmung wurde besser und gelöster. Plötzlich hatten wir ein ganz wunderbares und einmaliges Erlebnis.

Wir sahen über unserem Weg einen farbenfrohen Regenbogen am Himmel. Wir trauten unseren Augen nicht, denn wir standen direkt darunter. Wir blieben stehen, hielten uns an den Händen und waren so glücklich darüber, dass wir beide anfingen zu weinen. Ich weine jetzt auch während ich dies schreibe, weil es ein so einzigartiges Erlebnis war, das ich nie in meinem Leben vergessen werde. Es war wie im Märchen und wir sahen uns ungläubig an und begriffen erst allmählich, dass es wirklich stimmte, dass der wunderschöne Regenbogen direkt über uns stand. Wir sagten uns, dass vielleicht unsere lieben verstorbenen Verwandten und Freunde die »Hände im Spiel« hatten. Sie wollen uns ein Zeichen damit geben, dass alles gut wird, dass wir mit der Krankheit klar kommen, alles nicht so schlimm wird.

Ich versprach Helmut, immer zu ihm zu halten

Ich versprach meinem Mann bei diesem einzigartigen Erlebnis, immer zu ihm zu halten und ihn zu unterstützen, wo ich nur könne. Und er sagte, er wollte tapfer sein und: »Wir packen es zusammen.« Dieses Erlebte war so eine Erleichterung und gab uns solch eine Kraft, dass sie heute – nach 17 Jahren – noch anhält und auch noch weiterhin da sein wird. In schwierigen Situationen denken wir immer an diese Lichterscheinung, die uns die Energie, die Hoffnung und die gute Stimmung wiedergegeben hat. Es war wie ein Wunder, wie eine persönliche Offenbarung.

Ich habe seitdem wieder gut geschlafen und kaum noch Angstgefühle gehabt. Natürlich habe ich viele Informationen über die Krankheit bekommen und bin letzten Endes der Meinung, sie ist zu bewältigen. Gott sei Dank ist es keine lebensbedrohliche Krankheit. Helmut hat natürlich insgesamt Glück gehabt, dass er als Facharzt schon frühzeitig erkannte, dass es sich um eine neurologische Erkrankung handelt, und dadurch schnell eine medikamentöse Behandlung eingeleitet wurde. Wie ich hörte, ist dies sehr wichtig, damit nicht so viele Zellen absterben, sondern schon entgegengewirkt wird (laienhaft ausgedrückt).

Auf jeden Fall sind wir bisher mit der Krankheit, den Beschwerden und oftmals auch schlechten Situationen fertig geworden und sind meistens guter Dinge. Zum Glück sind wir beide auch humorvoll und lachen sogar manchmal über schwierige Situationen, vielleicht »Galgenhumor«. Aber wir freuen uns des Lebens, was wir miteinander und mit unserer lieben Familie haben und erfreuen uns an Kleinigkeiten. Das wünsche ich allen: Genießen Sie das Leben, die Natur, die Familie, die Mitmenschen und versuchen, das Beste draus zu machen.

Es war auch für mich ein geradezu transzendentes Erlebnis, auch ich spürte einen tiefen Trost, eine wundervolle Ermutigung. Für uns ist der Regenbogen ein Symbol für unsere Bewältigung der Krankheit geblieben.

Meiner Mutter haben wir, solange man mir noch kaum etwas anmerkte, zunächst noch nichts gesagt. Der jüngere Bruder meiner Mutter hatte ebenfalls Parkinson, und zwar in den 1960er Jahren, zu einer Zeit, als die Behandlungsmöglichkeiten noch lange nicht so gut waren. Das hatte meine Mutter damals sehr betrübt. Sicher hätte sie vermutet, dass wir ihr eine beschönigte Variante erzählen, um sie nicht zu belasten. Wir wollten nicht, dass sie sich unnötig sorgt, sondern erst einmal den Verlauf meiner Parkinson-Krankheit beobachten.

Irgendwann merkte es jeder

Vier Jahre später konnte ich meiner Mutter die Krankheit nicht mehr verheimlichen. Ich durfte ihr jedoch guten Gewissens berichten, dass die Medikamente und sonstigen Therapieformen inzwischen viel erfolgreicher waren als damals bei ihrem Bruder Klaus. Sie glaubte mir, zumal ich sie auch in der Folgezeit überwiegend in guten Phasen besuchte.

Unsere Töchter erfuhren von mir den mutmaßlichen Krankheitsverlauf. Die damalige Prognose kam dem späteren Beschwerdebild recht nahe. Meine Hoffnung auf einen günstigen Verlauf hat sich bisher im Großen und Ganzen bestätigt.

Es fühlte sich beinahe wie Muskelkater an

Im Vordergrund meiner Symptomatik stand in den ersten Jahren der sogenannte Rigor, eine Muskelanspannung, die sich beinahe wie ein Muskelkater anfühlt. Es handelt sich um eine unwillkürliche Anspannung, dabei wirkt man steif und »ungelenk«. Man geht leicht nach vorn gebeugt, da die Anspannung der Beugemuskeln überwiegt. Der Ruhetremor (Zittern) – ein weiteres wichtiges Symptom – war bei mir eher gering ausgeprägt und nur selten spürbar.

Das dritte Hauptsymptom, die Hypokinese (schlechte Beweglichkeit), auch Bradykinese genannt, bis hin zur Akinese (Unbeweglichkeit) wurde etwa nach 4 Jahren stärker. Ein kurzes Freezing (Einfrieren bis zum Stillstand) ist in den ersten 10 Jahren bei mir die Ausnahme geblieben.

Unangenehm ist auch das charakteristische Gegenteil der Hypokinesien: Die Überbewegungen, auch Hyperkinesien genannt. Diese Phasen sind häufig schwer zu therapieren, aber auch letzten Endes behandelbar.

Im Off kann ich nur noch Schlurfen

Die Off-Zustände sind etwa nach 10 Jahren häufiger geworden, sie haben sich seitdem ungefähr verdoppelt. Ich muss mich ein- oder zweimal am Tag mit Off-Zuständen arrangieren, die im Durchschnitt 1–2 Stunden anhalten können. Wenn ich sehr viel Glück habe, ist das Off auch schon mal nach 20 Minuten vorbei.

Was ist mit »On« und »Off« gemeint?

On ist der Zustand, den der Patient bei guter Tagesform und bei guter Wirkung der Medikamente noch erreichen kann. Das kann über viele Jahre so gut sein, dass medizinisch nicht erfahrene Menschen dem Betroffenen im On nichts anmerken. Off bedeutet schwere Bewegungshemmung, sowohl feinmotorisch als auch bei allen größeren Bewegungsabläufen der Arme, Beine, der Wirbelsäule, des Beckens und des Rückens. Die Bewegungen können kurzfristig ganz Einfrieren (»Freezing«). In späteren Krankheitsstadien gibt es darüber hinaus zwischen diesen beiden Extremen rasch hin und her schwankende Symptome, die sogenannten On-Off-Phasen.

Das Tückische an den Off-Zuständen ist ihr plötzliches Auftreten. Meistens haben wir Parkinson-Patienten keine Zeit, uns darauf einzustellen. Die Phasen sind nicht voraussagbar, weder vom Zeitpunkt noch von der Dauer des Auftretens – und damit kaum planbar. Wie man sich dennoch darauf vorbereiten bzw. die Beeinträchtigungen möglichst gering halten kann, wird auch ein Thema dieses Buches sein.

Im Off fällt es sehr schwer, aus dem Sitzen aufzustehen. Man kann nur sehr mühsam und kleinschrittig gehen, die Trippelschritte sind unübersehbar. Drehbewegungen des Rumpfes sind stark erschwert, das flexible Drehen und Wenden, vor allem auch das Drehen auf der Stelle, sind erheblich beeinträchtigt. Auch das Überschreiten einer Türschwelle oder sonstiger hinderlicher Passagen ist in typischer Weise gestört. Wenn man beispielsweise in der Oper oder im Fußballstadion in eine Sitzreihe geht, wird das Vorbeigehen an den sich erhebenden Mitbesuchern sehr schwierig, weil man sich zu langsam und sehr unbeholfen bewegt.

Nach außen erkennbar ist neben dem feinschlägigen Zittern (dem Ruhetremor) vor allem der kleinschrittige, schlurfende Gang