Zimmerflucht - Sabine Grassy - E-Book

Zimmerflucht E-Book

Sabine Grassy

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Beschreibung

Wann ist ein Mensch alt und ab welchem Punkt fühlt er sich aussortiert? Haben die Jüngeren keine Angst vor dem Tag, an dem der Zenit überschritten ist? Eddy und Mo haben viel Spaß, in einem Seniorenwohnheim die Vergessenen zu unterhalten und lernen viel über Respekt. Marianne, eine Frau, die für ihre Familie alles gegeben hat, um später hier untergebracht zu werden und keinem mehr einen Besuch wert zu sein scheint. Ein Leben, das in die falsche Richtung läuft. Ein ehemaliger Arzt, der krankheitsbedingt Eddy und Mo täglich vergisst, während diese nicht müde werden, sich wiederkehrend vorzustellen. Die schwerste Aufgabe beinhaltet den Kampf gegen die Heimleiterin, die kein Interesse am Leben der Menschen zeigt. Die quälenden Tränen des Shih Tzu Mo bei zwei Abschieden, die ihm maßlos zusetzen. Wie schafft er es, Abschied zu nehmen, wenn er nicht in der Lage ist loszulassen? Dieses Buch ist keine Altenheimstudie über Defizite, die sich in Häusern bei näherer Betrachtung auftun, sondern ein Tribut an die Menschen, denen wir dankbar sein müssen für alles, was sie aufgebaut und uns hinterlassen haben. Die Gratwanderung zwischen Seniorenheim mit zahlreichen traurigen Geschichten, die jeder mit sich trägt, hin zum Lachen, was einer Heilung gleichkommt. Ist das möglich? EDDY und MO Wer sind die zwei? Eddy (West Highland White Terrier) und Mo (Shih Tzu) kommen an ihre Grenzen bei jeder Mission. Aufgeben ist keine Option, weil sie wissen, dass das ehrlichste Lächeln von Menschen ausgeht, die gelitten haben.

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Die Autorin

Der Autorin sind durch eine Doktorarbeit, die sie für einen Chefarzt geschrieben hat, nicht unbekannt. Eine Altenheimstudie, nach der sie erschrocken feststellen musste, dass nicht jedes Seniorenwohnheim den vorgegebenen Standards entspricht.

Ihr besonderes Faible für alte Menschen – und für ihre und andere Hunde – führte zu der Idee dieses Buches. Aufmerksamkeit und Zeit, das, was am meisten in der schnelllebigen Zeit abhandengekommen ist, favorisiert sie als das Wichtigste, was man diesen Menschen schenken kann.

›Eddy und Mo‹ starten in die nächste Runde.

Nach den Themen ›Hospizarbeit‹ und ›Obdachlosigkeit‹ ist es schwer, einen Weg zu finden, das Lachen nicht zu vergessen.

Die Gratwanderung zwischen Seniorenheim – mit zahlreichen traurigen Geschichten, die jeder mit sich trägt – zum Lachen, was einer Heilung gleichkommt, ist nicht unmöglich.

INHALTSVERZEICHNIS

(

W)ALTERSHEIM

UN

HEIM

LICHE

LEITUNG

TEAM ›WEM‹

ZWEI ›WALE‹

RAUS AUS ›MEINEM KLOSTER‹

›KLIMASCHUTZ‹

MARIANNE

›BÖLLERPARTY‹

TOBI

FUNKTIONSFÄHIGER PLAN?

DER DOC

WIE GELINGT LOSLASSEN?

VERGEBUNG

KUDDEL

ABMAHNUNG

ZIMMERFLUCH(T)

EIN ZURÜCK INS LEBEN

LEBEN AUF RÄDERN

EIGENDYNAMIK

WIDERLICHES ESSEN

KRANK

›HUNDE HOCH, MENSCHEN FALLT‹

›MENSCHENMIKADO‹

›SWITCH‹

HEIM KAPUTT

ÄRGER MIT DER HEIMLEITUNG

GEH NICHT

LASST MIR EIN STÜCK DA

SEELENFÄNGER

NEUBEGINN

VERÄNDERUNGEN

GEWAGT

(W)Altersheim

In den schönsten Farben ausgemalt habe ich mir unsere neue Mission.

Endlich treffen wir auf nicht zu schwierige Schicksale, deren Bewältigung uns ratlos macht.

Uns gehen keine Ideen aus, bliebe nicht diese ›Schockstarre‹, sobald wir aus dem Leben anderer erfahren.

Zu viel zu tragen für Einzelne, dieses Fazit haben wir unzählige Mal gezogen.

Wir erinnern uns an Werner.

Der betagte Mann, der von seiner Seniorenresidenz nicht abfällig berichtet, dem es dennoch definitiv an Unterhaltung und Abwechslung fehlt.

Er hat Eddy und mich inspiriert.

Seine Schilderungen über einen langweiligen und unspektakulären Alltag schrien danach, dass er dringend Neues und Ungewöhnliches benötigt.

Wir machen uns nichts vor und sind uns bewusst, dass wir auch dort mit der ein oder anderen traurigen oder zum Nachdenken prädestinierten Lebensgeschichte konfrontiert werden.

Im Mittelpunkt stehen wird das Vergnügen, sind wir überzeugt, nichts ahnend, auf wen und was wir treffen.

An unseren vergangenen Auftrag, nach dem wir eine längere Pause einlegen mussten, um zu regenerieren, denken wir mit Stolz zurück.

Lennart und Mia haben es tatsächlich geschafft, zueinander zu finden.

Im regen Austausch mit ihnen stehend hören wir von kleineren Fortschritten, die von Rückschlägen abgelöst werden, was in Anbetracht der Biografie von Len zu erwarten war.

Entgegen der Befürchtung von Eddy, ich will nach weiteren ›Menschen ohne Schuhe‹ Ausschau halten, habe ich das Kapitel Obdachlosenheim komplett hinter mir gelassen.

Wenn wir uns jetzt auf den Weg zu Werner machen, liegt das Asyl zwar wenige Meter entfernt, rein innerlich bin ich Millionen Meilen entfernt.

Da steht es, das gelbe große Haus, das mich an Sonnenstrahlen erinnert.

Gefällt mir, dass man Senioren nicht in einen dunklen Komplex ›steckt‹, in dem sie das Gefühl haben, das Leben draußen gelassen zu haben.

Meine gute Laune wird schlagartig getrübt.

Ich kann nicht glauben, was meine Augen sehen.

»Sag mir, dass ich träume«, schlucke ich.

»Ich sehe ihn«, reagiert Eddy bestürzt und wirkt fassungslos.

Vor dem Gebäude sitzt Walter rücklings auf einem Rollator.

Unser Walter.

Mit Werner haben wir gerechnet, aber nicht, dass uns jetzt der Schlag trifft.

Wir waren unvorbereitet und können nicht adäquat damit umgehen.

»Beinahe hätte ich ihn nicht erkannt. Ist er es wirklich?«.

In allen meinen ›Hoffnungsgenen‹ gebe ich mich nicht geschlagen.

»Resigniere nicht, Mo. Dass wir ihn hier antreffen, sagt noch nichts. Du hast es Dir anders vorgestellt, ich weiß. Wir müssen herausfinden, was passiert ist. Komm mit mir«.

Zusammen laufen wir auf unseren ›Lieblings-Opa‹ zu.

Als wir ihn fragend anschauen, reagiert er anders auf uns als alle Male davor.

»Ihr seid enttäuscht mich zu sehen?«, fragt er leise. »Sonst habt Ihr Euch immer gefreut«.

Seine Stimme klingt verändert, verlangsamt und auf seltsame Weise heiser.

»Wie könnte uns unser Walter enttäuschen? Was machst Du hier?«, versuche ich die Situation zu retten.

»Kurzzeitpflege. Nichts Endgültiges, hoffe ich«.

»Kurze Zeit klingt vielversprechend. Du gehörst nicht hierher«, versucht Eddy ihn aufzumuntern.

Walter versucht zu lächeln, was ihm nur mäßig gelingt.

»Schlaganfall. Ausgerechnet, als mich das Glück fand. Wally hat die Situation in der Häuslichkeit richtig eingeschätzt und ohne Verschnaufpause gekläfft, bis jemand auf ihn aufmerksam wurde. Mein Glück, dass ich schnell ins Krankenhaus gekommen bin. Die Halbseitenlähmung setzt mir zu, doch wäre ich ohne Wally gestorben«.

»Wally! Wo ist er?«, greife ich die Worte auf und wir erfahren, dass unser ›Pfoten-Freund‹ gut untergebracht sei bei Elias und seiner Familie, solange er selbst in diesem ›gelben Quadrat‹ bleiben müsse, bis er sich erholt und stabilisiert habe, um zurück in sein Haus entlassen zu werden.

»Ich vermisse ihn unsagbar, versteht Ihr das? Seit Ihr ihn mir anvertraut habt, war ich nicht eine Minute getrennt von ihm. Weh tut mir, dass er derzeit unter der Trennung noch mehr leidet als ich«.

Hier endet mein Verständnis, dass man die beiden auseinandergerissen hat.

Hunde genießen den Ruf, die besten Therapeuten im Kampf gegen Krankheiten zu sein.

»Warum lässt man Wally nicht zu Dir?«.

»Tiere sind nicht erlaubt«, erklärt er verzweifelt. »Gestern war Elias mit ihm zu Besuch. Als ich beide hier runter begleitet habe und sie um die Ecke verschwunden waren, habe ich geweint als wäre es ein Abschied für immer«.

Die Tränen kann er auch in diesem Moment nicht zurückhalten.

»Eine Woche habe ich bereits geschafft, wenn es mir auch länger vorkommt«.

Eddy versucht ihn zu trösten.

»Erleichtert es Dir, dass Dein Freund hier lebt?«.

»Werner? Ihr seid seinetwegen hier? Im unpassendsten Moment. Er musste seinen Aufenthaltsort ebenfalls wechseln und liegt nach einem Sturz in der Klinik. Weitere Informationen bekomme ich nicht und hoffe, dass ihm kein Oberschenkelhalsbruch die letzte Kraft raubt«.

Unsere ›Mission‹ fängt gut an.

»Ungelegen kommen wir offenbar nicht. Was wären wir für Freunde, die gerade jetzt nicht für Dich da sind? Es ist der richtige Zeitpunkt«, unterstreicht Eddy, dass wir nicht leere Versprechen machen, wenn wir von Hilfe sprechen.

»Ihr könnt nichts tun für mich«.

Er irrt und sollte uns besser kennen.

Gerade er sollte damit rechnen, dass sich ein Shih Tzu vor ihm aufbauen kann wie ein Gigant.

»Bevor wir das Heim ›aufmöbeln‹ kümmern wir uns um eine Herz-Zusammenführung. Wäre gelacht, wenn Wally nicht in unser Duo passt. Zu dritt eine Mission zum Erfolg zu bringen, was spricht dagegen?«.

Walter lächelt gequält.

»Aufmöbeln klingt nach Unsinn machen und Unruhe stiften. Nichts passt besser zu Euch«.

»Nenn es wie Du willst«, entgegnet Eddy. »Die Richtung stimmt. Die Strategie ändern hat Priorität. Vermuteten wir, für Ablenkung zu sorgen, die unüblich ist für das Unterhaltungsprogramm in Altersheimen, schieben wir unsere Neuformation vor. Zudem werden wir nach Werner schauen, damit Du nicht nur Wally, sondern auch ihn bald wieder an der Seite hast. Lass uns mal machen«.

Ungern überlassen wir ihn sich selbst, wissen aber um die aufwendigen Dinge, die auf uns zukommen.

Wieder einmal.

Unheimliche Leitung

F reundlich empfängt uns die Sekretärin der Heimleitung.

»Zuerst biete ich Gästen Kaffee und Kekse an, um die Wartezeit zu versüßen. Hunde gehören nicht zu unserer Klientel. Mögt Ihr Milch?«.

»Wäre ich ein Kater, würde ich bejahen. Ist Euch das Wasser ausgegangen?«, erkläre ich ihr den kleinen feinen Unterschied der Bedürfnisse verschiedener Haustiere.

Sie nimmt es mit Humor und holt uns aus dem Wasserspender auf dem Flur, was wir wünschen.

Sie reiht sich ein in die Liste derer, die sich über unser Sprachvermögen wundern, wenn sie es auch für sich nutzt, um zu erfahren, was wir überhaupt wollen.

»Zu wem gehört Ihr?«

»Zu keinem der Bewohner. Unsere Frauchen benötigen noch keine Pflegeunterstützung«.

Eddy erklärt, dass wir im Herzen dreimal ein ›W‹ tragen – für Werner, Walter und Wally.

Bei Letzterem muss sie passen.

Einen Wally gibt es nicht auf ihrer Liste.

»Einen Eddy und mich ebenfalls nicht? Niemand gehört mehr darauf als wir drei, merken Sie sich das bitte«.

Sie lacht.

»Soso, Ihr wollt Euch pflegen lassen?«.

»Wenn daneben, dann richtig«, stelle ich fest.

»Bei der starken Überlastung in der Pflege helfen wir an Stellen, die uns möglich sind. Unterstützungsbedarf beim Waschen und Betten ausgeschlossen. Eure Ergotherapeuten können erst mal Ihren Urlaub einreichen, wir sind da«.

»Das solltet Ihr besser mit meiner Chefin klären. Im Grunde spielen Hunde in unserem Heim keine tragende Rolle. Hin und wieder begleitet ein ›Bodenwusel‹ Angehörige, der dann nach dem Besuch wieder das Haus verlässt«.

»Wir tragen keine Rolle«. Mit einem Satz mache ich vor ihren Augen eine vorwärts.

»Wir streicheln Herzen und therapieren verschüttete Seelen«.

Die Zwischentür wird geöffnet und eine ältere Dame kommt weinend aus dem Büro.

»Eddy? Wohlfühlen sollen sie sich hier, nichts sollte jemanden traurig machen«.

Die Mitarbeiterin steht auf und steckt ihren Kopf hinein.

»Was war los?«.

»Dasselbe Theater vom Vortag. Sie will ihr Zimmer wechseln, weil sie Probleme mit der Frau hat, die nachts schnarcht. Wo kommen wir da hin? Demnächst äußert jeder einen Wunsch nach Reform. Gibt es was Wichtiges?«.

»Hier sind zwei Hunde. Halten Sie sich fest. Die können sprechen und wollen mit Ihnen reden«.

»Rein mit den beiden. Ablenkung vor der Mittagspause schadet nicht«.

Wir betreten das Zimmer, unfreundlich und dunkel wirkt es.

Hoffentlich sind die Wohnräume mit anderer Atmosphäre ausgestattet. Diese Frau geht nachmittags nach Hause, während alle anderen hier leben müssen.

»Sucht Ihr das Tierheim?«.

Boa jetzt reicht es.

Jeder erkennt, dass wir von unseren Bezugspersonen gehegt und gepflegt werden.

Wut steigt in mir hoch.

»Ist es dort genauso eisig? Entschuldigung, Sie wirken recht kühl auf uns. Warum hat die süße Omi mit Tränen in den Augen Ihr Büro verlassen? Im Tierheim sieht man Entsprechendes garantiert nicht«.

»Zwar geht Dich das nichts an«, richtet sie den strengen Blick auf mich.

»Diese Omi jammert pausenlos und befindet sich im ›Dauer-Mecker-Modus‹. Die Alten hier sind verbittert und benötigen Ventile zum Dampf-Ablassen, das ich ihnen nicht biete. Weinen erweicht mich nicht und wer das einsetzt, um was zu erreichen, schießt sich ins Aus«.

»Gehören Werner und Walter dazu?«. Bravo, Eddy, das wäre meine nächste Frage gewesen.

»Daher weht der Wind. Hat sich einer der beiden Herren beschwert? Ich vermute den Walter, da der andere selten Unmut über seine Lebensbedingungen äußert. Walter hatte eine tolle Frau, die bei uns ihre letzten Lebensmonate verbrachte. Kurz vor ihrem Tod bedankte er sich noch für die Fürsorge. Im Alter werden alle komisch. Er absolviert eine Kurzzeitpflege und zeigt täglich seine Abneigung gegen unser Heim. Wie ausgewechselt wirkt er und ist ohnehin nicht von wirtschaftlichem Wert«.

»Können Sie sich vorstellen, wie sehr man einen Hund vermissen kann? Manche macht das Heimweh richtig krank«.

Mit einer Pfote klatscht Eddy gegen das Schreibtischbein.

»Wer von Euch gehört zu ihm?«.

»Niemand. Es geht hier um Wally, einem gemeinsamen Freund von uns. Beide müssen sich dringend wiedersehen, nicht für eine Stunde mittendrin«.

Wir erklären ihr unsere Absichten für die nächsten Wochen.

Als Team ›WEM‹ helfen und heilen wir und verschaffen allen Mitarbeitern mehr Spielraum für wichtigere Tätigkeiten. Scheinbar ist der Aspekt reizvoll, dass sie als Heimleitung einen gewissen Vorteil hat und ihre Leute effektiver einsetzen kann.

Wir erhalten die Genehmigung, als ›Hundetrio‹ die nächste Zeit zu agieren und freuen uns riesig auf Wallys Reaktion.

Die zwangsweise Trennung von Walter wird schleunigst beendet.

»Danke, dass Sie uns die Chance geben, Frau Engel«.

Gütlich gestimmt, lächele ich sie an.

»Euch muss man was Nettes sagen oder erlauben und schon hebt Ihr einen in den Himmel? Ich hoffe, das ist nicht die Beste Eurer Unterhaltungsstrategien. Essen und Trinken gibt es für Euch nicht. Grundbedürfnisse stillt ihr bitte zu Hause. Benennt Euch um. Team ›WEM‹ klingt nach Selbstzweifel. Wem wollt Ihr etwas beweisen? Bis morgen«.

Sie winkt uns wirsch raus.

Na warte, das war in diesem dunklen Kabuff nicht unser letzter Besuch.

Um uns zum Weinen zu bringen, bedarf es eines Gegenübers, dem wir mit Hochachtung und Respekt gegenübertreten.

Team ›WEM‹

Überglücklich besuchen wir unseren traurigen Freund, dem sein Leid mehr zusetzt, als wir geahnt haben.

Elias versucht sich seit Tagen am perfekten Ablenkungsprogramm, wie er uns erzählt, doch Wally zeigt keinerlei Interesse an Spiel und Spaß.

»Deinem Herrchen geht es wie Dir« überbringe ich ihm einen versteckten Gruß von Walter.

Irre ich oder leuchten die Augen unseres traurigen Freundes auf?

Er berichtet uns von eigener Verzweiflung, weil er nicht jeden Tag aufgrund der Entfernung diesen Mann besuchen könne, der ihm eine Zukunft gegeben hat.

»Angst habe ich«, berichtet er traurig. »Was wird aus mir, wenn Walter nicht mehr ist? Männer weinen nicht, was aber ist mit Rüden? Wir wurden auseinandergerissen. Nicht, weil einer von uns einen Fehler gemacht hätte, sondern weil das Schicksal etwas bestimmt, mit dem ich nicht zurechtkomme. Müsste nicht gerade ich es ihm leichter machen? Verantwortung gilt es zu erfüllen. Alles müsste ich bewegen, ihm die jetzige Sehnsucht zu erleichtern. Es ist unerträglich, obwohl ich morgens mit dem Gedanken wach werde, dass eine gemeinsame Zukunft auf uns wartet. Walter ist krank, hämmert es in meinem Kopf. Erfüllen sich unsere Träume noch oder muss ich ihn gehen lassen wie mein erstes Herrchen?«.

»Du darfst nicht mal dran denken. Gesund wird er durch Dich und mit Dir«.

»Mir sind die Pfötchen gebunden. Alle sind hier gut zu mir, doch zu Hause bin ich nie allein. Jobverpflichtungen und Schulbesuch sind wichtig und ich bin weit entfernt davon Vorwürfe auszusprechen, die unfair wären. Dennoch ist es ein völlig anderes Leben. Dazu kommt eine Sehnsucht, die ich mir nicht mal in Ansätzen schmerzvoller hätte vorstellen können«.

Wally schaut verzweifelt zu Boden.

»Du musst hier raus«, versuche ich ihn aufzumuntern, ohne zu merken, wie missverstanden ich aufgrund fehlender Erklärungen werde.

»Spinnst Du, Mo? Bei viel Fürsorge habe ich es gut hier. Meinst Du, im Tierheim wäre ich besser aufgehoben? Traurig, ich dachte, gerade Ihr versteht mich«.

»Tun wir«, hat Eddy das verbale Malheur erkannt.

»Mo wollte Dir im Grunde sagen, dass wir eine neue ›Mission‹ verfolgen. Diesmal als Trio, mit Dir in unserer Mitte«.

»Ablenkung gegen Kummer? Ist lieb von Euch. Ich befürchte, mir fehlt die Kraft. Das Vermissen hat mich mehr im Griff, als ich ausdrücken kann«.

»Ohne Dich gelingt es nicht, Walter gesund zu kriegen«.

Wenn ich es auch ungeschickt ausdrücke, gelingt es mir, unseren Kumpel unverzüglich zu erreichen.

»Mein Walter? Diese ›Mission‹ habt Ihr Weihnachten erledigt und abgeschlossen. Seitdem habe ich den liebevollsten ›Papa‹ der Welt«.

Als wir ihm im Detail erklären, was wir vorhaben, ist er Feuer und Flamme für das neue Projekt.

Ohne Frage möchte er ein Teil der Truppe werden, die alten und kranken Menschen hilft – mit nichts anderem als Aufmerksamkeit.

Der Gedanke, jeden Tag bei seinem Herrchen zu sein, ist der ausschlaggebende Punkt für den symbolischen Vertragsabschluss per ›Pfoten-Abklatschen‹.

Wir liegen auf dem Rasen, genießen die Sonnenstrahlen, die unser Fell wärmen und jeder trägt seinen Teil dazu bei, ein bemerkenswertes Programm auf die Beine zu stellen.

Es wird nicht umsetzbar sein, ohne manches Mal die Heimleitung zu verärgern, was Eddy und ich verschweigen, um Wally nicht unnötig zu verunsichern.

»Wann starten wir?«, will der von Euphorie Beflügelte wissen und scheint endlich glücklich zu werden, als er erfährt, dass wir am nächsten Tag die Seniorenresidenz ›zum Wackeln‹ bringen.

Sein Lachen deutet darauf hin, dass er es als unseren Humor versteht und es spricht nichts dagegen es stehenzulassen.

Zwei ›Wale‹

Walter ohne Wally?

Ich muss lachen.

Mir ist vorher nicht aufgefallen, dass beide Namen mit ›Wal‹ beginnen.

Das Leben bleibt spannend durch diese mystischen Zeichen.

Die Zusammenführung kann beginnen.

Noch sitzen wir zu Hause und sprechen mit unseren ›Mamas‹.

»Wann haben wir Euch für uns?«.

Diese Frage, mit vorwurfsvollem Unterton, müssen wir uns gefallen lassen. Das Familienleben kommt viel zu kurz.

»Was haltet Ihr davon, dass Eddy und ich nach dem Auftrag ›Heimumkrempeln‹ eine längere Pause einlegen? Im Zeichen unseres Privatlebens«.

Täusche ich mich beim Analysieren ihrer Blicke?

Ich sehe mich nicht als ›Baron Mönchbanausen‹.

»Ihr entscheidet im Vorfeld, wozu Euch das Leben aufruft und erzählt uns im Anschluss von den geplanten Vorhaben. Was bleibt uns, außer es zu akzeptieren? Was Euch glücklich macht, füllt uns aus. Die Idee mit gemeinsamer Zeit wird vorerst aufrechterhalten, falls Ihr es schafft, die Pfoten mal stillzuhalten. Wenn wir uns das Zusammenleben mit Hunden auch ein wenig anders vorstellen, spricht nichts gegen unsere Unterstützung. Macht los. Brecht keine Regeln, hört Ihr?«.

Mit Küsschen werden wir verabschiedet und ich bin heilfroh, dass auf Letzteres keine Antwort erwartet wurde.

Nachdem wir einen aufgeregten und übernervösen Wally abgeholt haben machen wir uns auf den Weg zur Heimleitung.

Notwendiges Übel, dass der Neue als Akteur kurz vorgestellt wird.

Diese Frau habe ich als harsch und streitwütig in Erinnerung und ich hätte nicht geglaubt, dass eine Steigerung möglich ist.

»Was wollen die denn wieder?«, hören wir, wie sie genervt ihre Sekretärin anmault.

Wally zittert und lehnt ein Personalgespräch ab, bis Eddy ihn durch die halb offene Tür vor uns herschiebt.

»Moin, Frau ›Vortagsengel‹. Haben die Alten sie heute besonders verärgert?«. Eddy hält den Kopf schräg und denkt, auf diese Weise einen Zugang zu ihr zu bekommen.

Er liegt falsch.

»Hör mal, Du weiß-dreckiger Bursche. Ich lasse mich nicht auf das Niveau dummer Hunde herab. Getrost lasse ich Euch auf die Heimbewohner los, die meisten kriegen nichts mehr mit. Ich spiele in einer anderen Liga, wenn ich schon den kleinen Fatzken da sehe«.

Tatsächlich meint sie mich.

»Ich bin ein Shih Tzu, ›Frau Neunmalklug‹. Meine Rasse gehört den Besonderen an. Einst haben wir in Tibet Klöster bewacht«.

Ein gellendes Lachen, das an eine Hexe erinnert und von dem ich wünschte, es würde ihr im Hals stecken bleiben.

»Wachhund? Überschätzt Du Dich nicht? Niemanden würdest Du auf Abstand halten, weil Du schier übersehen wirst. Wer ist der Pummelige neben Dir?«.

»Wally«, hören wir unseren Kumpel leise antworten.

»Walze trifft es eher. Du bist der Ableger von ›Mecker-Walter‹? Das kann heiter werden«.

»Du hochnäsige Alte«, setze ich unsere ›Mission‹ unverzüglich aufs Spiel. »Stecken in Dir größere Talente, als andere kleinzumachen? Wählt man aus dem Grund diese Position, auf der Du Dir täglich den Po platt sitzt und andere schaffen lässt? Wir hatten einen Deal. Du bekommst kostenlose Arbeitskräfte und lässt uns im Gegenzug in Ruhe. Menschen wie Dich interessiert Profit. Beweise nicht dumm zu sein und nutze die Vorteile. Sonst sind wir weg«.

Nein, wir werden nicht vor die Tür gesetzt, allerdings gemaßregelt.